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3.

Sechs Monate sind verflossen, seit Eduard Abschied von den Seinigen genommen, um sich in O. eine Existenz zu gründen, und heute ist er wieder in G., man hat ihn an das Sterbebett des Vaters gerufen. Wenn die Jugendkraft sich dem erwählten Berufe mit sanguinischen Hoffnungen weiht und sich in Träumen die höchsten Ziele stellt, so denkt sie wohl der Hindernisse und Schwierigkeiten, welche zu überwinden sind, aber sie ahnt nicht, welche kleinlichen Dinge oft den Strebenden ermüden, ihn erschöpfen und mürbe machen. Man hofft auf Glück, selbst der Bescheidene baut darauf, wenigstens das zu erreichen, was Fleiß und Eifer verdienen, aber die Meisten erfahren im wirklichen Leben, daß an sich unbedeutende Dinge, ungünstige Verhältnisse, störende Zufälle u. s. w. unser Fortkommen oft mehr hemmen als besondere Unglücksfälle, die uns nur vorübergehend schädigen oder um einige Schritte auf der Bahn des Strebens zurückwerfen. »Der Arbeiter,« so sagt das Wort, »ist seines Lohnes werth,« aber er findet diesen Lohn nicht immer, oft nicht einmal Arbeit überhaupt.

Als Eduard sich entschlossen, der Nothwendigkeit nachzugeben und ein sicheres Brod zu suchen, da hatte er nicht daran gezweifelt, dieses »sichere« Brod auch finden zu müssen, wenn er pflichtgetreu arbeitete, er hatte sich nur gesagt, daß es Glückssache sei, ob dieses Brod reichlich sein werde oder nicht.

Mit den besten Empfehlungen ausgestattet, ging er nach O., es hatten außer ihm noch zwei junge Aerzte auf das Inserat des Magistrats reflektirt, der Eine derselben hatte im Orte Protektionen und erhielt die Armen-Praxis und die Bestallung als Physikus, der Andere gab daher sein Vorhaben, sich in O. niederzulassen, ohne Weiteres auf, Eduard dagegen ließ sich durch die Versicherung, er werde ebenfalls noch genügende Praxis finden, zum Bleiben bestimmen. Es herrschte in der Stadt große Furcht vor einer Seuche, welche schon wiederholt im Orte gewüthet hatte und jetzt wieder auszubrechen drohte, man versprach Eduard, falls diese traurige Sorge sich erfülle, Anstellung in einem Noth-Hospital, überdem hörte er von verschiedenen Seiten, daß der älteste und bedeutendste Arzt des Ortes, Doktor Globig, seine sehr ausgebreitete Praxis nur dem Umstande verdanke, daß in weitem Umkreise kein besserer Arzt zu finden sei. Doktor Globig, so hieß es, kurire noch mit den Mitteln, welche vor dreißig Jahren üblich gewesen, er habe sich um die Fortschritte der Wissenschaft nicht bekümmert, verachte die neueren Methoden, und der Patient, welcher die Mittel dazu besitze, einen Arzt in Breslau zu konsultiren, lasse sich in ernsten Fällen von dort einen Helfer kommen, besonders seit Doktor N. gestorben.

Eduard machte dem Doktor Globig seinen Besuch, um sich ihm als College vorzustellen, er fand bestätigt, was man ihm über diesen Arzt gesagt. Globig empfing ihn mit herablassender Freundlichkeit und machte gar keinen Hehl daraus, daß der Rival ihm höchst unwillkommen sei. »Sie werden es bereuen,« sagte er, »daß Sie hieher gekommen sind. Was der Magistrat vergeben konnte, hat Doktor Balz erhalten, er wird hier ein kümmerliches Brod finden, aber Sie, Sie werden viel Zeit haben, spazieren zu gehen. Ich meine es ehrlich, darum spreche ich die Wahrheit, wenn dieselbe auch Ihre Illusionen zerstört. Es ist hier für Aerzte gar wenig zu thun, ich bin noch sehr rüstig, brauche keine Hilfe. Sie denken natürlich, mir meine Patienten abzujagen, mit den neuen Modetheorien Wunderkuren zu verrichten, aber Sie werden sich täuschen. Mancher wird freilich zu Ihnen gehen, schon um mich zu ärgern, aber was werden Sie für Patienten haben? Entweder Unheilbare, denen Niemand mehr helfen kann, oder eingebildet Kranke, die es aus Neugierde mit Ihnen versuchen, in ernsten Fällen hat man nur zu einem älteren Arzte Vertrauen, da ruft man nicht junge Leute.«

Doktor Globig bestritt es, daß die Cholera sich im Orte gezeigt habe, und Eduard verließ ihn mit der wenig ermuthigenden Ueberzeugung, in diesem Kollegen einen Gegner zu haben, der grundsätzlich ihm entgegen arbeiten werde, hatte Globig dies doch offen und ehrlich ausgesprochen. Dennoch ließ er sich nicht irremachen. Der Mann sprach den Fortschritten der Wissenschaft Hohn, seine Eitelkeit fürchtete keinen Rivalen, es kam also nur darauf an, bei einigen glücklichen Kuren die Ueberlegenheit der neuen Methoden zu zeigen und er war besiegt.

Doktor Balz kam Eduard mit einer Freundlichkeit entgegen, welche einem argwöhnischen Charakter sehr verdächtig erschienen wäre, und es sollte sich bald zeigen, daß dieser College Eduard gefährlicher war als Globig. Doktor Balz war ein Mann der Reklame, er verstand es, seine Protektionen im Orte zu benutzen und alle die Kunden an sich zu ziehen, welche das Vertrauen zu Globig verloren hatten.

Globig hatte Recht gehabt, die Angst vor dem Ausbruch der Cholera war eine Übertriebene gewesen, es zeigte sich, daß man einige heftige Anfälle von Brechdurchfall fälschlich für diese furchtbare Krankheit gehalten, ein Umschlag des Wetters verscheuchte die Angst vor dem unheimlichen asiatischen Gaste völlig. Eduard fand unfreiwillig Muße zu seinen Lieblingsstudien, er hätte, wie Globig gesagt, viel spazieren gehen können, denn nur ab und zu fand sich ein Patient, der seine Hilfe suchte, aber vergebens wartete er auf die Gelegenheit, durch eine glückliche Kur sich einen Namen zu machen – auch in dieser Beziehung schien Globig Recht zu behalten: man rief ihn entweder zu Kranken, denen nicht mehr zu helfen war, oder zu solchen, die nicht ernstlich krank waren und von dem jungen Arzte erwarteten, er werde für seine Besuche wenig oder gar nichts nehmen, er müsse sich durch die Ehre bezahlt glauben, daß man ihm Vertrauen geschenkt und ihn zum Frühstück oder Abendessen eingeladen habe.

Eduard besaß eine nothwendige Tugend der Aerzte: die Geduld, aber dieselbe wurde auf eine harte Probe gestellt – er war bald sechs Monate in O. und hatte kaum zwanzig Thaler an Honorar eingenommen, seine ausstehenden Forderungen betrugen vielleicht dreißig Thaler, aber es war zweifelhaft, ob er das Geld je eintreiben konnte. Da endlich wurde er eines Tages auf das zwei Meilen von O. entfernte Schloß des Grafen Wildenfels, eines der reichsten Grundbesitzer der Gegend, gerufen. Der Wagen des Grafen brachte ihn hinaus, man sagte ihm, Doktor Globig habe die Gräfin seit einiger Zeit behandelt und das Leiden für unbedeutend erklärt, heute Nacht habe man ihn anrufen müssen, weil die Kranke sich plötzlich sehr schlecht gefühlt, und Globig habe gesagt, sie sei nicht mehr zu retten, ein Blutgefäß in der Brust sei gesprungen. Graf Wildenfels, so berichtete der Kutscher weiter, habe eine Depesche an einen Breslauer Arzt geschickt, bitte aber Trotten, herauszukommen, da der Breslauer Arzt frühestens am späten Abend eintreffen könne.

Eduard hatte für alle Fälle Medikamente mitgenommen, er fand die Kranke in bewußtlosem Zustande, ihren Gatten, einen alten Herrn, in trostloser Verzweiflung, ein bildschönes junges Mädchen, eine Nichte des Grafen, hatte am Bette der Kranken eine schlaflose Nacht in Unruhe und Angst zugebracht.

Der Graf bat Eduard um sein Urtheil. Seine Worte machten den Eindruck, als besorge er, Eduard könne mehr verderben als nützen, als habe er ihn nur rufen lassen, um zu hören, ob die Kranke noch leben könne, bis der Breslauer Arzt da sei, als solle Eduard das Leben der Kranken nur bis dahin fristen.

Eduard ließ sich die Rezepte zeigen, welche Globig verschrieben, dann schickte er sich an, die Kranke zu untersuchen. Seine ruhige Haltung schien der jungen Dame Vertrauen einzuflößen, während der Graf immer unruhiger dreinschaute, als bereue er es schon, den Doktor gerufen zu haben.

»Was wollen Sie thun?« rief er, als Eduard dem Oberkörper der Kranken eine Unterlage gab, denselben aufzurichten, »Globig hat die Kissen fortgenommen –«

»Herr Graf,« nahm Eduard jetzt das Wort und seine Haltung zeigte sehr ernste Entschiedenheit, »ich bitte Sie, mir Vertrauen zu schenken – oder mich nach O. zurückkehren zu lassen. Im ersteren Falle fordere ich zunächst, daß Sie das Krankenzimmer verlassen, Ihre natürliche Unruhe veranlaßt Sie zu Fragen, die mich stören, und hier muß ich absolut ungestört sein, um helfen zu können.«

»Herr Doktor –« wollte der Graf einwenden, aber die junge Dame ließ ihn nicht weiter sprechen, sie flüsterte ihm einige Worte zu und führte ihn hinaus – er hätte ihr vielleicht nicht gehorcht, wenn das entschlossene Wesen des jungen Arztes ihm weniger imponirt hätte. »Entschuldigen Sie die Besorgnisse meines Onkels,« sagte die junge Dame, als sie zurückkehrte, »aber der Doktor Globig hat über Sie ein wenig günstiges Urtheil gefällt, und mein Onkel, der zu Globig größeres Vertrauen besitzt als ich, gab nur ungern meiner Bitte, Sie rufen zu lassen, nach.«

Eduard verneigte sich dankend, ohne ein Wort zu erwiedern. Er brachte die Kranke in eine sitzende Stellung, untersuchte mit dem Hörrohr die Brust, dann wendete er sich zu der jungen Dame, welche in athemloser Spannung ihm zugeschaut. »Ich bitte Sie, für die Kranke eine sehr kräftige Bouillon kochen zu lassen. Zerschnittenes Fleisch, in einer Flasche mit kaltem Wasser beigesetzt, muß völlig auskochen, inzwischen gebe ich einige Tropfen Medicin. Haben Sie alten guten Madeira im Keller, oder vielleicht Tokayer?«

»Vortrefflichen Madeira. Aber kann denn die Kranke so kräftige Sachen genießen?« rief die junge Dame halb zweifelnd, halb frohlockend.

»Ich finde nur eine ungeheure Entkräftung, Herr Doktor Globig hat ihr, meiner Ansicht nach, zu viel Blut entzogen.«

»Und sie wird leben? Sie hoffen, die theure Tante uns zu retten?«

»Ich glaube, das versprechen zu können.«

Die junge Dame spendete Eduard einen Blick, der schwer zu beschreiben war, der ihn fühlen ließ, wie dankbar ihm das junge Mädchen für diese Hoffnung war, dann eilte sie jauchzend hinaus, die frohe Botschaft zu verkünden und das Verlangte zu besorgen.

Eduard flößte der Kranken einige Tropfen Aether ein und hatte die Genugthuung, daß dieselbe Zeichen von wiederkehrender Lebenskraft zu erkennen gab, als der Graf kopfschüttelnd hereintrat, das Wunder zu schauen, an das er nicht geglaubt. Ein Theelöffel Madeira, stärkte die Kranke sichtlich. »Herr Doktor,« rief der Graf, »nächst Gott danke ich es meiner Nichte Klara, wenn die Kranke am Leben bleibt, denn das Mädchen hatte die Idee, Sie rufen zu lassen und hat mich fast mit Gewalt dazu gebracht. Ich sehe, Globig hat Sie verleumdet, wahrscheinlich aus Neid. Klara sagte es immer, die starken Blutentziehungen müßten schädlich sein, aber ich dachte, der Arzt verstehe das besser. Sagen Sie mir die Wahrheit – Globig hat meine gute Alte auf dem Gewissen? Ist es so oder nicht?«

»Herr Graf, jeder Arzt hat seine Methode und ist Irrthümern ausgesetzt. Ich glaube, mein Herr College hat sich im Charakter des Leidens getäuscht.«

»Sie wollen von ihm nicht sagen, daß er ein Esel ist,« versetzte der Graf, »aber er soll es erfahren, was Sie können, wenn er es noch nicht weiß. Sie übernehmen die Behandlung der Kranken. Erlaubt es Ihre Zeit, hier zu bleiben, bis der Geheimrath Evers aus Breslau kommt? Ich habe ihn einmal rufen lassen und kann das nicht mehr rückgängig machen.«

Eduard war in der für einen Arzt traurigen Lage, über völlig freie Zeit disponiren zu können und hätte gewiß mit Freuden das Anerbieten des Grafen angenommen, aber wenn auch Globig keine Rücksichten auf ihn genommen, so hielt er es doch für richtig, den Gesetzen der Collegialität strenge nachzukommen. »Herr Graf,« erwiederte er, »ich bin Ihrem Rufe gefolgt und würde mit Freuden die Behandlung Ihrer Frau Gemahlin übernehmen, aber es ist feststehende Sitte unter Aerzten, daß wir nur dann in die Stelle eines Collegen treten, wenn dieselbe völlig frei geworden ist. Sie haben Herrn Doktor Globig wohl noch nicht mitgetheilt, daß Sie einen anderen Arzt engagiren wollen und ich kann Ihr schmeichelhaftes Vertrauen nicht annehmen, ehe dies geschehen ist; die augenblickliche Hilfe, die ich geleistet, war durch die Verhältnisse geboten.«

»Sie sind sehr rücksichtsvoll, Herr Doktor, aber ich werde Globig sein Honorar noch heute senden, Sie können also getrost in seine Stelle treten.«

»Herr Graf,« antwortete Eduard, »in Ihrem eigenen Interesse rathe ich Ihnen, Ihren Entschluß sich zu überlegen. Für die Kranke ist vorläufig keine Gefahr, ich bin hier überflüssig. Hören Sie also zuerst den Geheimrath Evers. Derselbe ist Homöopath, er mißbilligt vielleicht die Mittel, die ich der Kranken vorläufig hierzulassen gedenke und rathet Ihnen möglicher Weise, sich den Herrn Doktor Balz aus O. zu nehmen, der seiner Schule angehört. Es würde Sie das in die Lage versetzen, mir entweder abschreiben zu müssen oder doch Ihr Vertrauen auf mich erschüttert zu sehen.«

»Donnerw...,« fluchte der alte Herr, »Sie machen mir den Kopf warm. Ich sage Ihnen, daß ich Vertrauen zu Ihnen habe. Wenn Ihre Mittel gut sind, kann Evers doch nichts dagegen haben, und weiß er noch etwas Besseres, so werden Sie von einem alten berühmten Arzt etwas lernen. Oder halten Sie Evers nicht für einen berühmten Arzt?«

»Herr Graf, der Geheimrath Evers ist ein berühmter Arzt und fordert daher überall, wo er gerufen wird, die unbedingteste Anerkennung seiner Autorität, er hält die Meister anderer Methoden für Unwissende, während diese ganz ebenso über ihn urtheilen. Ich huldige Grundsätzen, die Evers verwirft, und so gern ich von einem älteren Arzt etwas lerne, halte ich doch an gewissen Grundsätzen fest und kann nicht das Werkzeug eines Dritten sein, der nach anderem Systeme kurirt. Ich verstehe es übrigens nicht, daß Globig Ihnen Evers empfehlen konnte.«

»Das hat er auch nicht gethan, im Gegentheil, als ich ihn fragte, was er von Evers halte, nannte er ihn einen Charlatan. Evers ist mir von vielen meiner Bekannten gerühmt worden, er hat Leute gerettet, die von anderen Aerzten schon aufgegeben waren.«

»Er ist ein gescheidter Mann,« erwiederte Eduard, »und hat Glück als Arzt gehabt, ich behaupte nur, daß er über alle Methoden anderer Aerzte sehr schroff urtheilt und von Ihnen fordern wird, daß Sie Balz rufen lassen, der wie er Homöopath ist. Ich habe, weil ich wußte, daß Sie Evers erwarten, der Kranken nur Belebendes und Stärkendes, nicht aber ein Heilmittel gegeben, welches ich unter anderen Umständen verordnet hätte.«

»Das ist eine peinliche Situation!« murmelte der Graf, »ich weiß nicht, was ich thun soll. Ich habe einmal Vertrauen zu Ihnen gefaßt und kann Evers doch nicht zum Narren haben. Wissen Sie, was mir an Ihnen so gefallen? Sie schickten mich aus dem Krankenzimmer, ich dachte, der ist seiner Sache sicher, sonst wäre er nicht so grob. Und jetzt möchte ich Ihnen grollen, daß Sie so wenig nachgiebig sind. Versuchen Sie es wenigstens, sich mit Evers zu besprechen, vielleicht einigen Sie sich doch.«

»Herr Graf, ich würde Ihren Wunsch mit Freuden erfüllen, wenn Sie einen Anderen als Evers gerufen hätten. Ich kenne Evers. Er ordnet an und hört keine andere Meinung. Wäre ich Ihr Hausarzt gewesen, so müßte er darauf Rücksicht nehmen und mich wenigstens anhören, so aber wird er fragen, wer die Kur übernehmen soll, er oder ich. Wenn ich Ihnen also rathen darf, so hören Sie ihn und warten ab, ob er Ihnen und der Kranken Vertrauen einflößt. Geschieht das, so folgen Sie seinen Anweisungen, er wird jedenfalls fordern, daß Sie meinen Collegen Balz rufen lassen, damit er demselben seine Instruktionen ertheilen kann. Können Sie und die Kranke aber kein Vertrauen zu Evers fassen und wollen Sie mich damit beehren, so werde ich Ihrem Rufe mit Freuden folgen.«

Graf Wildenfels drückte die Hand des jungen Arztes, der sich in kurzer Zeit nicht nur sein Vertrauen, sondern auch seine Achtung erworben, er mußte zugeben, daß der Vorschlag Eduard's das einzig Richtige angab, um aus diesem Dilemma herauszukommen.

Wir haben diese Episode aus dem geschäftlichen Leben Eduard's ausführlich geschildert, um dem Leser zu zeigen, wie er seinem Charakter auch da getreu blieb, wo es sich um seine wichtigsten Interessen handelte. Was leicht vorherzusehen war, geschah. Der Geheimrath Evers sprach über Globig ein sehr hartes Urtheil und gab zu, daß Trotten der gefährlichen Krisis, in welcher sich die Kranke befunden, Einhalt gethan, aber er bemerkte auch, daß von einer Wiederherstellung der Kranken nicht die Rede sein könne, wenn seine, Evers', Vorschriften nicht mit äußerster Genauigkeit befolgt würden. Er hatte einen jungen Arzt mitgebracht, welchem er die Instruktionen für die Behandlung der Patientin gab und der sich bereit erklärte, einige Tage auf Schloß Wildenfels zu bleiben, bis alle Gefahr vorüber sei. Der Graf benachrichtigte Eduard in einem sehr freundlichen Schreiben hievon und bedauerte, die Verfügungen des Geheimraths nicht ändern zu können.

Hatte auf dem Schlosse das sichere Auftreten des berühmten Arztes, der »Autorität«, alle Bedenken zum Schweigen gebracht, ob man nicht doch besser thue, Eduard zu vertrauen, so warfen Globig und Balz ihren Groll darüber, daß fremde Aerzte auf Wildenfels schalteten, auf Trotten. Globig triumphirte darüber, daß Trotten es doch nicht gelungen sei, den Patienten zu behalten, den er ihm hatte »abjagen« wollen, Balz gab Eduard die Schuld davon, daß Evers, statt ihn zu rufen, einen Hilfsarzt aus Breslau gewählt habe. Hatte es Aufsehen in der Stadt O. gemacht, daß der reiche Graf Wildenfels sich an Trotten gewendet, so hieß es jetzt, der junge Arzt müsse wohl wenig getaugt haben, da man keinen zweiten Besuch gewünscht habe, genug, der ärztliche Ruf Eduard's war eher benachtheiligt als gefördert, sein Charakter aber durch die Verleumdung bloßgestellt, er suche seinen Collegen auf wenig anständige Weise Patienten abzujagen.

Gleichzeitig verbreitete sich auch das Gerücht in O., Trotten trachte danach, eine reiche Heirath zu schließen, er habe dazu schon in G. einen mißglückten Versuch gemacht, und man war boshaft genug, diesem Gerüchte durch die Bemerkung, auf Schloß Wildenfels sei eine reiche junge Erbin, eine neue Illustration zu geben. Eduard erfuhr nichts von dem, was die Leute über ihn klatschten, aber die Wirkungen solcher Verleumdungen machten sich fühlbar, die Leute, mit denen er oberflächliche Bekanntschaft in den Lokalen, wo er speiste, geschlossen, zeigten sich kühler, zurückhaltender als früher.

Da erhielt er von seiner Schwester die Nachricht, daß der Vater lebensgefährlich erkrankt sei. Er eilte nach G. und sah, daß jede Hoffnung, den Kranken noch zu retten, vergeblich sei. Aber das sollte nicht das einzige Bittere sein, was ihm zu hören vorbehalten war. Man hatte es ihm verschwiegen, was seinen alten Vater in letzter Zeit schwer bedrückt hatte – das kleine Vermögen Trotten's war verloren, denn die Aktien des Ebeling'schen Unternehmens, in welchen dasselbe angelegt worden, waren fast auf Null gesunken.

Es war für den alten Herrn sehr hart gewesen, zu sehen, wie die Zukunft seiner Tochter dadurch eine höchst unsichere geworden, daß er, um sein Wort zu halten, Ebeling sein Vermögen gelassen; sein einziger Trost war es gewesen, daß Eduard sich eine Existenz gegründet hatte – er glaubte das, weil Eduard ihm verschwiegen, wie wenig günstig seine Aussichten standen.

Es war ein furchtbarer Gedanke für Eduard, daß Margareth bald genug werde erfahren müssen, wie schlecht es ihm ergehe, dem Vater ließ er den Trost, daß er Margareth ernähren könne, um dem Sterbenden die letzte Stunde nicht zu trüben. Am Grabe des Vaters drückten Bruder und Schwester einander die Hände, sie standen jetzt allein auf der Welt, düster genug schien der Himmel ihrer Zukunft umwölkt, aber Vertrauen auf Gott und die eigene Kraft war lebendig in ihren Herzen. »Es wird besser gehen,« sagte Eduard, als er seiner Schwester gestanden, wie wenig Erfolg er bisher gehabt, »wir werden uns durchschlagen.« Das Auge Margarethas leuchtete. Es schien, als habe das Geständniß des Bruders ihr Herz eher erleichtert, als sie mit Sorgen erfüllt. »Du glaubst nicht,« sagte sie, »wie froh mich Deine Worte, daß wir Beide arbeiten müssen, gemacht haben. Ich fürchtete, daß Dein Stolz sich dagegen sträuben würde, mich in abhängiger Lage zu sehen.«

»Wie meinst Du das,« versetzte er, sie mit Befremden anschauend. »In abhängiger Lage? Was soll das bedeuten? Willst Du mir nicht meine kleine Wirthschaft führen, wollen wir nicht mit einander Alles theilen, paßt dieses häßliche Wort für ein solches Verhältniß unter Geschwistern?«

»Lieber Eduard,« entgegnete sie, »ich habe mich seit Erkrankung unseres Vaters mit Gedanken an meine Zukunft ernstlich beschäftigt. Ich habe den Gedanken erwogen, daß Du mir die Leitung Deines Hauswesens anbieten würdest. Ich habe aber immer gehört, daß ein Arzt sich verheirathen muß, wenn er in Familien, besonders bei Frauen, Praxis finden will – verzeihe, wenn ich eine wunde Stelle in Deinem Herzen berühre, aber dieselbe wird, sie muß früher oder später vernarben, und wenn ich Dein Hauswesen leite, so könnte ich es verhindern, daß das Bedürfniß nach einer Hausfrau Dich dazu veranlaßt, Dir eine solche zu suchen.«

»Margareth –«

»Unterbrich mich nicht, Eduard, ich weiß, was Du sagen willst. Wenn ich an meine Zukunft denke, muß ich den doch immer möglichen Fall im Auge haben, daß Du Dich verheirathest, und dann würde ich mir unter allen Umständen ein anderes Asyl suchen. Wären Deine Verhältnisse nun günstig, so könnte ich vorläufig zu Dir ziehen, so aber scheint es mir richtiger, wenn ich keine Zeit verliere, mir eine Existenz durch eigene Arbeit zu verschaffen. Ich könnte durch Handarbeiten etwas verdienen, wenn Du in einem größeren Orte lebtest, und so etwas zu unserer Wirthschaft beitragen – in einer kleinen Stadt ist das schwer, ich habe aber, Dank der Erziehung, welche mir unser theurer Vater angedeihen ließ, Kenntnisse und Fähigkeiten erlangt, mit denen ich mir ein besseres Brod verschaffen kann. Lies einmal dieses Inserat.«

Sie reichte dem Bruder den Ausschnitt eines Zeitungsblattes.

»Man sucht,« so lautete das mit Rothstift angestrichene Inserat, »eine anständige, gebildete, womöglich musikalische Dame zur Repräsentantin der Hausfrau auf einer größeren herrschaftlichen Besitzung, um einem alten Herrn gleichzeitig als Gesellschafterin zur Seite zu stehen. Das durchaus Ehrenvolle der Stellung wird verbürgt. Damen von Distinktion, welche ein angenehmes, sorgenfreies Unterkommen wünschen, werden gebeten, ihre werthe Adresse vertrauensvoll sub v. S. 303 in der Expedition dieses Blattes niederzulegen.«

Eduard schüttelte den Kopf. »Was willst Du mit diesem Inserat?« sagte er. »Du denkst doch nicht etwa daran, Dich zu einem solchen Posten anzubieten?«

»Warum nicht,« erwiederte sie leicht erröthend. »Im ersten Augenblick, als ich das Inserat las, machte es auf mich auch keinen verlockenden Eindruck, aber ich mußte immer wieder daran denken, ich las es immer wieder durch und die Bedenken, die ich anfänglich gehegt, verschwanden. Es trat mir der Gedanke nahe, daß unser Vater, wenn ich ihm gefehlt, eines weiblichen Wesens in seinem Hause nicht hätte entbehren können, der Vater hatte mir oft gesagt, ich eignete mich zur Leitung eines vornehmen Haushaltes, und so schien es mir nur ein Wink des Schicksals, daß mir dieses Inserat gerade in der Zeit vor Augen kam, wo der Arzt mir sagte, ich müsse mich auf den Tod unseres theuren Vaters vorbereiten. Ich hatte Veranlassung, schon früher den Wunsch zu hegen, daß der Vater G. mit mir verlasse, jetzt, wo ich seinen Schutz entbehre, muß ich fort.«

Eduard starrte die Schwester betroffen an. »Was bedeutet das?« rief er und seine Erregung verrieth, daß er die Worte der Schwester sehr ernst auffasse, »ich dächte, daß ich Dir der Nächste wäre, wenn Du eines Beschützers bedarfst.«

»Du hast mich mißverstanden, lieber Bruder,« entgegnete Margareth erröthend. »Es gibt Nachstellungen, gegen welche ein Mädchen sich nur dadurch schützen kann, daß sie denselben ausweicht. Wenn Jemand trotz einer Abweisung die Hoffnung nicht aufgeben will, mein Jawort doch noch zu erobern, so kann ihm das kein Dritter verbieten.«

»Du hast einen Bewerber? Und ich habe davon noch kein Wort gehört? Wer ist es?«

»Gestatte mir, darüber zu schweigen, ich bitte Dich darum. Kehren wir zu unserem Thenia zurück,« versetzte Margaretha und obwohl sie es ihrem Bruder ansah, daß ihre Worte denselben befremdeten und sehr unangenehm berührten, zog sie einen Brief aus der Tasche. »Dieses ist die Antwort auf meine Meldung zu der offerirten Stellung,« sagte sie, das Billet dem Bruder darbietend.

»Du hast Dich also schon gemeldet,« rief er in gereiztem vorwurfsvollen Tone. »Du bist ja sehr rasch in Deinen Entschlüssen, wozu fragst Du mich denn überhaupt noch um Rath?«

»Lieber Eduard, eine Anfrage verpflichtet noch nicht zur Annahme der Stellung, aber eine Anmeldung konnte leicht vergebliche Mühe sein, wenn sie verspätet kam. Ich werde keine Entscheidung ohne Deine Zustimmung treffen, ich habe übrigens diesen Brief erst heute Morgen erhalten.«

»Gnädiges Fräulein,« so lautete das Schreiben, welches Eduard mit sehr mißvergnügter Miene entfaltete, »seien Sie vor Allem meiner herzlichen Theilnahme versichert; habe ich auch nicht die Ehre gehabt, Ihren Herrn Vater persönlich zu kennen, so ist mir der Name desselben doch als der eines Mannes von Ehre und Verdiensten oft genannt worden. Sollte der Himmel, wie Sie leider befürchten, Ihnen den herben Verlust nicht ersparen, so bin ich überzeugt, daß mein Oheim, der General a. D. Baron v. Sorben ans Schloß Seebach bei *** sich freuen wird, Ihnen das gewünschte Asyl bieten zu können. Mein Onkel ist seit zwanzig Jahren Wittwer und haben bis dahin Verwandte von ihm seinen Hausstand geleitet. Trotz seiner fünfundsechzig Jahre und der Leiden, welche das Alter bei einem Soldaten, der mehrfach verwundet worden, mit sich bringt, liebt er es, seinen zahlreichen Gästen ein stets offenes Haus zu bieten und bedarf daher einer Dame, welche denselben die Honneurs macht und die Oberleitung des Hausstandes führt.

Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen nicht zu verhehlen, daß mein Onkel trotz seiner vortrefflichen Eigenschaften schwierig zu behandeln ist, daß er Eigenheiten besitzt, über welche Jemand, der in nahen Verkehr mit ihm tritt, hinwegsehen muß, um durch längeren Umgang mit ihm zu erfahren, daß Derjenige, der ihn richtig zu nehmen weiß, sich auch wohl bei ihm fühlen kann. Wer mit festem Charakter, Geduld und Hingebung ihm dient, der kann sich ihm unentbehrlich machen und seiner Dankbarkeit gewiß sein. Er hat für die Stellung, welche ich die Ehre habe, Ihnen zu offeriren, ein Nadelgeld von einhundertzwanzig Stück Friedrichsd'or ausgesetzt. Sollten Sie geneigt sein, auf das Anerbieten einzugehen, so bitte ich Sie, meinem Oheim gütigst mitzutheilen, wann Sie ihm das Vergnügen machen wollen, Sich auf Schloß Seebach ihm vorzustellen.

Mit vorzüglicher Hochachtung!

Breslau den ...

Karl v. Sorben, Geheimrath.«

Die Züge Eduard's klärten sich bei der Lektüre dieses Briefes auf. »Ich glaube,« sagte er, das Billet zurückgebend, »daß eine solche Stellung für Dich viel Verlockendes haben kann, aber es scheint, als ob der General unerträgliche Launen hat, welche ihn zwingen, diese Stellung einer Fremden anzubieten, nachdem seine Verwandten bei ihm nicht ausgehalten, der Geheimrath würde sonst eine solche Warnung nicht in den Brief gesetzt haben.«

»Gerade das, was Dich bedenklich macht,« entgegnete Margareth, »verleitet mich zur Annahme der Stellung. Die Verwandten des Generals haben verzichtet, ich werde also keiner derselben im Wege stehen. Es scheint mir weniger bedenklich, eine solche Stellung bei einem Herrn mit schroffen Eigenschaften anzunehmen, als bei Jemand, der angenehm ist und wo man mir meine Stellung neidet; wo Schwierigkeiten zu überwinden sind, da verdiene ich mein Brod und nehme kein Almosen an.«

Eduard mußte die Richtigkeit dieser Ansichten zugeben und ihm erschien das Vorhaben der Schwester jetzt in ganz anderem Licht als vorher, er mußte zugeben, daß sie Glück habe, wenn sie diese Stellung erhalte und sich derselben gewachsen zeige.


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