Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

In diesem Winter hatte Miß Post weit mehr Bälle besucht, als gut für sie war, und als der Frühling kam, wurde sie krank. Der Hausarzt empfahl Luftveränderung. Und da Miß Posts Tante eine intime Freundin von »Frau Oberst« Bolland war, und der Hausarzt gegen die klimatischen Verhältnisse von Fort Crockett nichts einzuwenden hatte, so wurde ein Besuch auf dem Militärposten beschlossen.

Zweimal, nachdem sie St. Louis verlassen hatten, mußten Miß Post, ihre Tante und ihre Zofe in andere Eisenbahnzüge umsteigen und schließlich mit der Postkutsche nach Kiowa-City fahren, wo sie, während sie auf »Papa« Hendersons Postwagen nach Fort Crockett warteten, mit ihm Speck, gebratenes Brot und Alkaliwasser mit Kaffeegeschmack dinierten.

In Kiowa-City, einer Stadt von vierhundert Häusern (auf dem Papier der Prospekte für Ansiedler) und sechs auf wirklichem Erdboden stehenden Gebäuden, stieg in Miß Post zuerst die Ueberzeugung auf, daß sie sich bei ihrem Ausflug ausgezeichnet amüsieren würde. Dort sah sie zum ersten Mal, frei in seinem Heimatland, einen Indianer, einen hochgewachsenen, schönen Jüngling, mit gelben Ockerstrichen auf seinen dünnen braunen Armen und blauem Ocker auf seinen Backenknochen. Er saß auf »Papa« Hendersons Türschwelle und beguckte sich die Sterne. Miß Post trat mit ihrer Zofe aus der Tür, stolperte über den Indianer und fiel. Die Zofe schrie. Miß Post sagte: »Entschuldigen Sie gütigst!« während der Krieger durch gutturales Grunzen und hochmütiges Hinwegschreiten seine Verachtung andeutete. Da freute sich Miß Post, daß die Entscheidung auf Fort Crockett gefallen war. Für die Zwölf-Meilen-Fahrt durch die mondscheinerhellten Hügel nach Fort Crockett hatte sich außer den Frauen nur ein einziger Passagier gemeldet. Er war Geschäftsreisender der Hancock-Uniform-Company und suchte Fort Crockett auf, um den Offizieren für die Sommeruniformen Maß zu nehmen. Beim Diner reichte er Miß Post die Büchse mit kondensierter Milch und war auch sonst sehr liebenswürdig. Der Tante teilte er mit, er sei im Ausrüstungsamt der Armee, sprach jedoch, zur großen Verlegenheit dieses jungen Mädchens, meistens mit der Zofe. Nach seinem Geschmack war sie nämlich die hübscheste der drei Damen.

»Ich vermute,« sagte er heiter zu Miß Post, »daß Sie und die junge Dame Schwestern sind?«

»Nein,« sagte Miß Post, »wir sind nicht verwandt.«

Es war sieben Uhr und der Mond stand am Himmel, als »Papa« Henderson sie in die Postkutsche hob und seinem Kutscher, Hunk Smith, noch eine Reihe von Ratschlägen erteilte, die jedoch in Wirklichkeit für die Passagiere bestimmt waren.

»Du mußt sehr vorsichtig mit'm linken Handpferd sein, Hunk,« sagte er, »sonst schmeißt es euch' in'n Graben. Hm – un' bei der zweiten Furt halt dich rechts; 's Wasser steht hoch und könnt' euch alle den Fluß hinunterschwemmen. In einer Postkutsche, die mir gehört, sollen diese Damen nicht ertrinken. Un' wenn der Rote Reiter euch abfaßt, versuch' keinen Bluff! Sitz' still! Der Zahlmeister ist nächste oder übernächste Nacht fällig, un' ich denke mir, der Rote Reiter wird ihm aufpassen. Sagst du ihm aber, daß niemand im Wagen is als Frauen un 'n Schneider, so tut er euch vielleicht nix.«

»Ladies,« fügte er bei, seinen Kopf durch das Türleder steckend, als ob er nicht wüßte, daß die Passagiere jedes Wort mit angehört hatten, »ich möcht' Sie nicht beunruhigen, würde Ihnen aber den Rat geben, Ihr Geld und Ihre Juwelen bereitzuhalten. Mit den Gentlemen der Landstraße fährt man am besten, wenn man tut, was sie wollen, un' zwar schnell. Wenn Sie ihnen alles geben, was Sie haben, gehen sie vielleicht fort, ohne daß Blut geflossen wär'; nich' gern freilich, weil sie nun mal so sin'.« Er wandte sich zu dem ängstlich zusammengeduckten Militärschneider.

»Sie, als 'n Militär,« sagte er, »wer'n natürlich die Ladies beschützen wollen. Tun Sie 's aber nich! Bleiben Sie kaltblütig. Wenn Sie 'n Revolver 'rauszieh'n, is es recht gut möglich, daß Sie umgebracht werden. Aber ich hoffe das Allerbeste. Gute Nacht, alle miteinander, un' vergnügte Reise!«

Der Postwagen setzte sich unter großem Knarren und vielem Peitschenknallen in Bewegung. Der Lärm übertönte Hunk Smiths schallendes Gelächter über »Papa« Hendersons famose Rede. Nach der ersten Meile ließ der Kutscher die Maultiere zum Stillstand kommen. Denn er war Familienvater und gutmütig.

Sofort ließ sich die laute Stimme des Geschäftsreisenden aus dem Innern des Postwagens vernehmen:

»Macht ja die Seitenleder nicht auf. Wenn sie uns sehen, schießen sie!«

»Daß ihr's nur wißt, Leute,« sagte Hunk Smith, sich von seinem Kutschersitz herabbeugend, »die Rederei von Pap' vorhin war dummes Zeug. Auf diesen Straßen sind Sie so sicher wie in einem Pullmann-Luxuswagen, 's ist so seine Art. Pap' muß seinen Witz haben. Schlafen Sie nur ruhig ein, wenn Sie können und vertrauen Sie auf mich. Um 11 Uhr sind Sie dort, oder 's Geschirr ist zerrissen. Daß 's Pferdegeschirr kaput geht, is die einzige Gefahr,« meinte er vergnügt. »Also keine Aufregung.«

Fräulein Post sagte zu ihrer Tante, Frau Truesdall:

»Ich wußte doch, daß er nur scherzte.«

Zwei Stunden lang war der Postwagen gefahren. Jetzt sauste er mit festgebremsten Rädern wahre Berge steilen Lehmwegs hinab, dann wieder rissen die Pferde die wie trunken schwankende Kutsche aus Abgründen von Löchern heraus. Sie rollte und stieß, rutschte und galoppierte, tanzte groteske Tänze von einem Rad zum andern, von Stein zu Stein, rumpelte aus Radrinnen, prallte gegen Steine an, schwamm im Wasser, das zwischen den Radspeichen gurgelte.

»Wenn ich jemals von Fort Crockett abreise,« stöhnte Frau Truesdall zwischen den Stößen, »so werde ich entweder warten, bis sie eine Eisenbahn bauen, oder zu Fuß gehen!«

Sie hatten die Hügelkette schon beinahe passiert und näherten sich der flachen Prärie. Die Ledervorhänge an den Kutschenseiten waren aufgerollt, damit man besser sehen konnte, und weiche trockene Luft strömte erfrischend in den Wagen. Die Maultiere plagten sich über die letzte Anhöhe hinüber. Nur noch wenige Hügel waren auf beiden Seiten sichtbar. Sie ragten in scharf umrissenen Linien im Mondlicht empor, massig, gerundet, wie gewaltige Schlachtschiffe. Endlich wurde der Weg eben. Frau Truesdalls Augen schlossen sich. Miß Post jedoch, so müde sie war, konnte nicht schlafen. Für sie war die Nachtfahrt ein Erlebnis geheimnisvoller, wunderbarer Schönheit. Dankbar trank sie den zarten Duft des Präriegrases ein – beugte sich weit über das Rad hinaus, sich an den Fensterstäben festhaltend.

Da sprang hinter einem Felsen hervor ein Mann auf den Weg und rief mit rauher Stimme den Wagen an. Ein schwarzer Mantel bedeckte ihn bis zu den Knien. Sein Gesicht verbarg eine blutrote Maske.

»Hände in die Höhe!« befahl er.

Mit scharfem Knirschen preßte sich die Bremse an die Räder. Vom Kutschersitz erschallte ein Fluch verwirrter Ueberraschung. Der Postwagen hielt mit einem heftigen Ruck, und die schlafende Frau Truesdall glitt sanft in die Arme ihrer Nichte.

»Ich glaube wirklich, ich war eingeschlafen, Helene,« murmelte sie. »Weshalb halten wir?«

»Ich denke, wir werden überfallen,« sagte Miß Post.

Die Kutsche war nicht weit von dem Felsblock zum Stillstand gekommen, und Miß Post guckte sich neugierig um. Aber keine anderen Männer waren da. Nur ein Pferd stand dort, dessen Zügel um einen Felszacken geschlungen war. Der Mann mit der Maske schritt auf den Wagen zu, in der ausgestreckten Rechten eine Waffe haltend, die bösartig glitzerte und glänzte. Der Mann war nur wenige Schritte von Miß Post entfernt, auf deren Gestalt der Mondschein hell erleuchtend fiel. Von ihm jedoch waren nur zwei schwarze Augen sichtbar, die so bösartig funkelten wie seine Waffe. Während einiger Augenblicke des Wartens, die grausam lang erschienen, stand der Mann regungslos da. Dann senkte er seine Waffe. Die Maske hinderte ihn am Sprechen und seine Worte klangen dumpf und rauh.

»Tut mir leid, Sie belästigen zu müssen, Fräulein,« sagte der Maskierte. »Aber der Mann neben Ihnen muß aussteigen.«

Miß Post wandte sich an den Geschäftsreisenden: »Sie sollen aussteigen!«

»Ich?« rief der Reisende aus. »Ich bin ja gar nicht bewaffnet.« Aengstlich fügte er mit lauter, für den Räuber berechneter Stimme hinzu: »Hören Sie! Ich bin nicht bewaffnet!«

»'raus mit Ihnen!« befahl die Maske.

Der Reisende stolperte rücksichtslos über die Knie der Damen auf die Straße hinaus und hielt seine Hände in die Höhe, so hoch er konnte.

»Ich hab keinen Revolver,« sagte er. »Wahrhaftig nicht!«

»Stellen Sie sich dorthin, mit Ihrem Rücken gegen den Felsen,« kommandierte die Maske. Der Straßenränder betrachtete den Reisenden einen Augenblick lang aus drohenden Augen und richtete seine Waffe bald auf diesen, bald auf jenen Teil der Gestalt des Aengstlichen. Wie ein Fleischer sah er aus, der sich die besten Stücke aussucht. Des Reisenden Muskeln zuckten förmlich unter der Tortur, als würde die Anatomie seines Ich mit einer Schusterahle gekitzelt.

»Ich möchte Ihre Uhr haben,« sagte die Maske.

Der Reisende griff sofort in die Westentasche.

»Hände in die Höhe!« brüllte der Straßenräuber. »Beim Himmel, wenn Sie mir irgend einen unanständigen Trick zu spielen versuchen, werde ich – –« Er schwang seine Waffe hin und her, daß sie unheimlich blitzte.

Ein Ausruf von Hunk Smith kam gerade zur rechten Zeit, um den Geschäftsreisenden vor dem augenblicklichen Umgebrachtwerden zu retten.

»Heh, Reiter,« schrie der Kutscher. »Ich kann meine Arme nicht mehr länger hoch halten. Ich laß sie sinken. Tun Sie mir nichts, und ich tue Ihnen nichts. Ist das ein Geschäft? Abgemacht?«

Die verhüllte Gestalt richtete die Waffe auf den Sprechenden.

»Hast du schon mit mir zu tun gehabt, Hunk?« fragte die Maske.

Auf diese Anerkennung der Wichtigkeit seiner Person hin wurde Hunk sofort liebenswürdig:

»Weiß nicht, ob Sie's waren oder ein anderer von Ihrer Bande, aber – –«

»Na, und du bist noch immer gesund, nicht?«

»Ja.«

»Dann halt's Maul!« knurrte die Maske.

Als Antwort murmelte Hunk Smith hörbare Drohungen, kauerte jedoch in gehorsamer Regungslosigkeit nieder. Nur seine Augen, vom Sombrero verdeckt, blieben keine Sekunde untätig. Sie prägten sich den militärischen McClellansattel ein, den das Pferd des Roten Reiters trug, den weißen Fleck auf dem rechten Vorderfuß des Gauls, die leeren Steigbügelriemen. Sie sahen, in einer Entfernung, so groß, daß nur das Auge eines Präriemenschen sie entdecken konnte, eine Wolke Staub, oder Rauch, oder Nebel, über dem Saumpfad aufsteigen und sich rasch nähern.

Als er das sah, biß Hunk vergnügt auf den Kautabak in seinem Mund und schlug aufgeregt die Beine übereinander, während ein Grinsen unsäglicher Schlauheit auf seinem Gesicht erschien.

Mit seinem Sombrero höflich in der Hand trat der Rote Reiter an den Wagenschlag. Miß Post bemerkte dabei über dem Taschentuch, das sein Gesicht verdeckte, sorgfältig gekämmtes und gescheiteltes Haar.

»Ich fürchte, meine Damen,« sagte der Straßenräuber, »daß ich Sie unnötigerweise aufgehalten habe. Wie es scheint, habe ich die falsche Nummer angerufen.« Er lächelte beruhigend, fächelte sich mit seinem Sombrero und fuhr in einem Ton höflicher Ironie fort: »Der Wells-Fargo-Expreßbote ist der Mann, auf den ich es abgesehen habe. Er kommt diesen Weg mit einer Diamantensendung. Hinter der bin ich her. Zuerst dacht' ich, der tapfere Jüngling drüben beim Felsen sei mein Mann; aber ich habe noch mit keinem Wells-Fargo-Boten zu tun gehabt, der sich so aufführte. Ich kalkuliere, daß ich der Blamierte bin. Ich schein' am falschen Grab geweint zu haben.«

Er setzte seinen Sombrero mit leichtsinniger Schiefheit aus und winkte mit der Hand. »Ladies, Sie können Ihre Reise fortsetzen!«

Im gleichen Augenblick jedoch trat er näher hinzu, so nahe, daß sie das Weiße in seinen Augen sehen konnten.

»Ehe wir scheiden,« murmelte er sanft, »würden Sie mir vielleicht irgend ein Andenken schenken? Nicht wahr?«

Die den Augenhöhlen eines Totenschädels ähnlichen Oeffnungen in der Maske wandten sich Miß Post zu.

»Aber natürlich!« schrie Frau Truesdall in hysterischer Erregung. »Hier ist alles, was ich habe, mit Ausnahme dessen, was in meiner Bluse eingenäht ist. Und das kann ich unmöglich herausholen. Ich versichere Sie, es ist unmöglich. Der Eigentümer jenes Hotels sagte uns, daß wir vielleicht – Sie treffen würden, und so hab' ich schon alles parat.«

Sie streckte ihre beiden Hände durch das Fenster. Sie waren angefüllt mit Banknoten, einer Uhr und ihren Ringen.

Miß Post lachte in ausgelassener Lustigkeit. »Ach nein, Tante,« protestierte sie. »Das ist nicht nötig. Nein, durchaus nicht. Der Herr möchte nur ein Andenken haben. Etwas, das ihn an uns erinnert. Nicht wahr?« fragte sie, die blutrote Maske mit einem reizenden Lächeln ansehend.

Der Straßenräuber gab keine Antwort. Während sie sprach, war er so erschrocken zurückgeprallt, daß es aussah, als wolle er schleunigst entfliehen. Dann starrte er durch die Löcher seiner Maske Miß Post forschend an, schwieg aber noch immer.

»Ich denke, damit wird er zufrieden sein,« sagte Miß Post.

Sie suchte aus der Wertsachensammlung in den Händen ihrer Tante eine Silbermünze aus und hielt sie dem Manne hin.

»Nur ein Glückspfennig,« meinte sie spöttisch. »Möge er Sie daran erinnern, wie liebenswürdig Sie zu drei armen Frauen waren.«

Immer noch schweigend, streckte der Straßenräuber seine Hand aus und nahm das Geld. Dann fuhr er sie an, in einem Ton, der plötzlich barsch und hochfahrend geworden war. Miß Post kam es vor, als schauspielere ein Familienvater den Sankt Nikolas für seine Kinder.

»Und jetzt Sie, Miß!« verlangte er.

Miß Post suchte eine andere Münze aus, besah die Inschrift und reichte sie durch das Fenster.

»Diese ist von mir,« sagte sie. »Mit dem Datum 1901. Beim Mondlicht,« sie beugte sich vor und lächelte ihn an, »kann man die Jahreszahl sehr leicht lesen, ebenso wie,« – jedes Wort betonend – »Ihren eigentümlichen Revolver und das Wappen auf Ihrem Ring.«

Dann lehnte sie sich zurück. »Gute Nacht!« lispelte sie süß.

Der Rote Reiter fuhr zurück. Seine Maske erstickte einen Ausruf, der ein Lachen oder ein Fluch gewesen sein konnte. Er wandte sich rasch zu dem Geschäftsreisenden.

»Steigen Sie in den Wagen,« befahl er. »Und du, Hunk,« rief er dem Kutscher zu, »wenn du ein Aufgebot hinter mir herschickst, so verlierst du die obere Hälfte deines Schädels, wenn ich dich allein auf der Straße erwische.«

Der Reisende kletterte in den Wagen, durch die zweite Türe, derjenigen gegenüber, bei der der Rote Reiter stand, und der Straßenräuber schwang mit der Grazie eines D'Artagnan seinen Sombrero.

»Gute Nacht, meine Damen,« sagte er.

»Gute Nacht, mein Herr,« antwortete Frau Truesdall grimmig, aber mit einem Seufzer der Erlösung. Dann gab die Entrüstung ihr mit einem Male Mut. Sie beugte sich aus dem Fenster und entsandte einen verabschiedenden Partherpfeil:

»Ich muß sagen, Sie könnten wirklich ein anständigeres Geschäft ausüben!«

»Auf Wiedersehen!« sagte Miß Post liebenswürdig.

»Adieu, Miß,« stotterte der Straßenräuber.

»Ich sagte: Auf Wiedersehen!« wiederholte Miß Post.

Da floh der Straßenräuber zu seinem Pferd, durch diese einfachen Worte anscheinend aus der Fassung gebracht.

Hunk Smith kam mit seiner Bremse nicht zurecht. Er trat mit dem Fuß gegen die Bremsstange und beugte sich nieder und rüttelte, aber die Rader rührten sich nicht.

Neues Entsetzen kam über Frau Truesdall. »Was gibt es denn jetzt?« jammerte sie.

Ehe er antwortete, warf Hunk Smith einen schnellen Blick auf die näherkommende Staubwolke. Was er sah, schien ihn zu beruhigen. »Die Bremse!« brummte er. »Das verflixte Ding hat sich eingeklemmt.«

Der Rote Reiter band eben die Zügel seines Pferdes los.

»Kann ich helfen?« fragte er höflich.

»Aber noch ehe er den Wagen erreicht, hatte, blieb er stehen und hob den Arm, gebieterisch Stille fordernd. Regungslos stand er da, zum Erdboden herabgebeugt, und starrte lauschend den Saumpfad entlang. Dann sprang er auf.

»Du alter Fuchs,« schrie er, »du willst Zeit gewinnen. Heh?«

Lachend ergriff er die Zügel und warf sich auf sein Pferd. Die Beine faßten Schluß, und mit schrillem Cowboyruf jagte er, an dem Postwagen vorbei, davon in der Richtung nach Kiowa-City, der Kutsche und dem Kutscher ein Hohngelächter zurücksendend. Er hörte noch, wie Hunk Smith sein Lachen mit einem Schrei um »Hilfe!« beantwortete und – wie Hufschläge erschallten und immer näher kamen. Einen Augenblick lang zog er die Zügel straff. Dann stieß er lachend dem Pferde die Sporen in die Seiten.

Auch Frau Truesdall hörte das Geklapper vieler Hufe und Hunk Smiths Schreien um Hilfe, und befürchtete einen neuen Ueberfall.

»Oh, was gibt es denn nun?« begehrte sie.

»Soldaten vom Fort!« rief Hunk aufgeregt und ließ wiederum seine Stimme in einem langgedehnten unmelodischen Hilferuf erschallen.

»Das ist mal was Gutes, nicht?« fragte der Reisende. »Die Soldaten, meine ich.« Es war dies seine erste zusammenhängende Aeußerung seit dem Erscheinen und dem Verschwinden des Roten Reiters.

»Oh, ich hoffe, die Soldaten werden ihm nichts –« begann Miß Post besorgt.

Da donnerten die Reiter herbei und in die Hufschläge mischte sich das Klappern von Steigbügeln und Patronentaschen. Stimmengewirr. Und die Kutsche wurde umringt von staubbedeckten Kavalleristen und schnaubenden Pferden. Leutnant Crosby zügelte sein Pferd neben dem Fenster des Postwagens.

»Sind Sie hier, Oberst Patten?« keuchte er. Er sah in die Kutsche hinein. Aber niemand antwortete ihm.

»Ist der Zahlmeister im Wagen?« fragte er.

Gleichzeitig schrie Leutnant Curtis Hunk Smith an: »Wo ist der Zahlmeister, Kutscher?«

»Zahlmeister? Nein! Nix!« brüllte Hunk. »'n Geschäftsreisender und drei Damen. Wir sind überfallen worden. Der Rote Reiter –« Er stand auf und deutete mit der Peitsche über das Dach des Wagens. » Den Weg is er geritten. Könnt' ihn leicht noch erwischen.«

Sergeant Clancey und ein halbes Dutzend Reiter griffen in die Zügel. Crosby aber kommandierte vom Fenster aus:

»Halt!«

»Wie heißen Sie?« fragte er den Geschäftsreisenden.

»Myers,« stotterte der Reisende. »Ich bin von der Hancock Uniform – –«

Curtis hatte sein Pferd neben den Gaul seines Kameraden gespornt.

»Ist Oberst Patten in Kiowa?« unterbrach er.

»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben,« sagte Mr. Myers wichtigtuerisch. »Aber diese drei Damen und ich sind soeben vom Roten Reiter überfallen worden. Wenn Sie sich beeilen, so – –«

Die beiden Offiziere wendeten ihre Pferde seitwärts und berieten, sich aus den Sätteln beugend, in eifrigem Geflüster. Die Soldaten spielten ungeduldig mit ihren Zügeln und starrten die Offiziere erstaunt an. Leutnant Crosby lächelte – vor aller Augen.

»Es ist ihm gelungen!« flüsterte er. »Patten hat die Postkutsche nicht mehr erreicht, Gott sei Dank, und er hat mit nichts Gefährlicherem zu tun gehabt als mit diesen Frauen.«

»Wir müssen wenigstens so tun, als ob wir ihn verfolgten!« zischelte Curtis.

»Nein! Natürlich nicht! Unser Befehl lautet dahin, uns bei Oberst Patten zu melden und ihm als Eskorte zu dienen.«

»Aber er ist nicht in Kiowa, sagt der Mann dort.«

»Er telegraphierte dem Oberst von Kiowa aus,« erwiderte Crosby. »Also mußte er dort sein.« Er wandte sich an Hunk Smith. »Wann haben Sie Hendersons Poststation verlassen?«

»Um sieben Uhr,« antwortete Hunk Smith mürrisch. »Ach! Wenn ihr Jungens ihn noch erwischen – –«

»Und Patten telegraphierte um 8 Uhr,« rief Crosby. »So erklärt es sich. Er ist erst in Kiowa angekommen, als der Postwagen schon fort war. Sergeant Clancey!«

Der Sergeant ritt aus der Menge der verwunderten Soldaten heraus. »Wann, sagte der Zahlmeister, würde er Kiowa verlassen?«

»Sofort, stand in dem Telegramm,« antwortete Clancey. »›Stoßen Sie mit einer Eskorte zu mir, ehe ich die Hügelkette erreiche.‹ So lautete die Meldung, die ich dem Leutnant abstatten sollte.«

Hunk Smith beugte sich von seinem Kutschersitz herab. »Vielleicht fährt ihn Pap' selber im leichten Wägelchen 'rüber,« meinte er. »Pap' fährt Reisende oft auf die Art, wenn sie den Postwagen verfehlen.«

»So verhält es sich, natürlich,« rief Crosby. »Er ist jetzt im Einspänner unterwegs.«

Hunk Smith betrachtete die Soldaten bedauernd und schüttelte den Kopf. »Wenn er dem Roten Reiter begegnet, dann adieu eure Löhnung, Jungens!« sagte er.

»Sammeln! Stillgestanden!« befahl Crosby. »Korporal Tynan, nehmen Sie zwei Mann und eskortieren Sie diese Damen.« Er legte die Hand an die Mütze und ritt, zusammen mit Crosby, an die Spitze des Trupps. »Galopp! Marsch!« erscholl sein Kommando.

»Meinen Sie, er wird sich auch an den Einspänner machen?« wisperte Curtis.

Crosby lachte fröhlich und atmete wie erlöst auf.

»Nein, er ist in Sicherheit,« antwortete er. »Sehen Sie nicht, daß er von Patten und dem Einspänner nichts wissen kann? Wahrscheinlich ist er schon halbwegs zu Hause. Ich habe absichtlich so lange bei der Postkutsche herumgetrödelt, um ihm einen ordentlichen Vorsprung zu geben. Jetzt kann ihm nichts mehr passieren.«

»Viel hat aber nicht gefehlt!« lachte der andere. »Na, wir haben ihm aus der Patsche geholfen. Dafür muß er uns ein Diner geben.«

»Wir hätten ihn in flagranti ertappt,« sagte Curtis, »wären wir fünf Minuten früher gekommen. Großer Gott! Mir schaudert, wenn ich daran denke. Unsere Leute hätten ihn vom Pferde geschossen. Was für ein Erlebnis für diese Frauen! Ich hoffe nur dabei zu sein, wenn sie's erzählen. Wenn Ranson es fertig bringt, ein unbefangenes Gesicht zu machen, während er die Geschichte mit anhört, dann ist er ein Wundertier!«

Einige Minuten lang galoppierten sie nebeneinander, Pferdehals an Pferdehals. Dann beugte sich Curtis wieder aus dem Sattel.

»Ich hoffe, er ist wirklich nach dem Fort zurückgekehrt,« sagte er. »Sehen Sie nur die Leute an, wie sie aufpassen, wie sie Ausguck halten nach ihm!«

»Was ist weiter dabei?« meinte Curtis leichthin. »Ranson ist in Uniform – reitet im Mondschein spazieren. Darauf, daß er die rote Maske abriß, sobald er uns kommen hörte, können Sie eine Million Dollars wetten!«

»Wahrscheinlich wird er denken, wir seien ihm nachgeritten, um ihm sein Vergnügen zu verderben. Wir sagten, daß wir's tun würden.«

»Ja. Er wollte uns erschießen,« lachte Crosby. »Weshalb er nur einen Revolver mit sich herumschleppt? Das ist töricht.«

Die Offiziere galoppierten weiter. Schweigen herrschte auf der Prärie. Kein Laut war hörbar außer dem Dröhnen der Hufschläge, dem Geklapper der Patrontaschen und Steigbügel und dem Knarren des Lederzeuges. Da auf einmal ertönte, gedämpft, in weiter Ferne, der scharfe Knall eines Revolvers. Dann noch einmal. Dann eine ganze Reihe von Schüssen …

»Mein Gott!« stöhnte Crosby, schwer atmend.

Er warf sich nach vorne, stieß die Sporen ein und ritt, als wollte er seinen eigenen Leuten entfliehen.

Niemand gab einen Befehl, niemand stellte eine Frage; ein jeder, ob Offizier oder Soldat, senkte nur den Kopf und raste in wildem Rennen vorwärts, um der Erste zu sein.

Zwei um sich schlagende Pferde und ein umgeworfener Wagen versperrten den Saumpfad. Auf dem Weg lag der regungslose Körper eines Mannes, aus leblosen Augen den Mond anstarrend, und ein anderer Mann, eine Gestalt mit weißen Haaren, erhob sich mühsam von einem Felsen.

»Wer dort?« rief die Gestalt.

»Truppen der Vereinigten Staaten. Sind Sie das, Oberst Patten?«

»Ja.«

Oberst Pattens rechter Arm hing hilflos herab. Die linke Hand preßte er auf seine Schulter. Zwischen den Fingern durch sickerten, schwarz aussehend im Mondlicht, schwere Blutstropfen.

»Wir sind überfallen worden,« sagte er. »Er schoß auf den Kutscher und die Pferde. Ich feuerte, aber er zerschoß mir den Arm mit einer Kugel. Schoß mir den Revolver aus der Hand. Als er den Geldkoffer packte, schlug ich mit dem linken Arm auf ihn ein, aber er warf mich nieder. Dorthin ist er geritten – Kiowa zu.«

Sergeant Clancey, der bei dem Mann auf der Straße niedergekniet war, hob die Hand zum Salut.

»Pap' Henderson, Leutnant,« sagte er. »Durchs Herz geschossen. Er ist tot.«

»Er hat das Geld geraubt, zehntausend Dollars,« schrie Oberst Patten. »Er trug eine rote Maske und einen Gummiponcho. Und ich sah, daß an seinen Bügelriemen keine Steigbügel waren.«

Crosby duckte sich nieder, als hätte man ein Messer nach ihm geworfen, und hob dann steif und schwerfällig die Hand empor.

»Leutnant Curtis,« befahl er, »Sie bleiben hier bei Oberst Patten.« Seine Stimme war wie erstarrt. Sie klang dumpf und tonlos.

»In Schützenlinie!« kommandierte er weiter. »›G‹-Schwadron rechts vom Wege; ›H‹-Schwadron links. Jedermann wird angehalten – jedermann. Versucht jemand zu fliehen, so wird zweimal ›Halt!‹ gerufen, dann gefeuert – – gefeuert, um zu töten. Vorwärts! Galopp! Marsch! Nach dem Militärposten.«

»Nein!« schrie Oberst Patten. »Gegen Kiowa zu ist er geritten!

Crosby antwortete mit der gleichen tonlosen Stimme. »Er schlug später einen Haken, Oberst. Er ist nach dem Militärposten geritten.«

Oberst Patten riß sich aus Curtis Armen und ging erregt auf den Offizier zu.

»Sie kennen ihn?« fragte er.

»Ja!« rief Crosby. »Gott sei ihm gnädig! Auseinander, Leute; offene Schützenlinie! – und reitet wie die Teufel!«

*

In später Nachtstunde, kurz ehe der Offiziersklub geschlossen wurde, trat Leutnant Ranson ein, setzte sich ans Piano und klimperte »Die Königin der Philippinen« mit einem Finger. Major Stickney und andere Offiziere, die Bridge spielten, ärgerten sich. Dann verlangte Ranson, alle sollten mit ihm Champagner trinken, auf seine Gesundheit, weil er Geburtstag habe, und weil er sich freue, noch am Leben zu sein, und weil er wünsche, auch sie möchten über diese angenehme Tatsache Freude empfinden.

»Sie können sich aber auch über irgend etwas Anderes freuen!« fügte er großherzig hinzu.

Diese Frontattacke auf die Whistspieler ruinierte die Partie. Von seinem Thron auf dem Pianostuhl aus hielt Ranson eine Rede, einen perlengestickten Tabakbeutel aus Rehleder emporhaltend.

»Den hab ich mir heute nacht unten im Indianerdorf geholt,« sagte er. »Die alte Squaw, Rotschwinge, stickt sie für zwei Dollars. Crosby zahlte in Neumexiko fünf Dollars für den seinigen, und der ist nicht halb so gut. Und denken Sie nur: Ich verirrte mich auf dem Rückweg und ritt ewig lange zwischen den Hügeln, ehe ich den Pfad wiederfand. Aber ich fand ihn. Ist das nicht eine Leistung? Und ich bin erst sechs Monate hier. Man sollte mich zum Chef der Späher ernennen!«

Die Offiziere lachten höflich, so wie man eben über eine humoristisch seinsollende Bemerkung lacht, wenn sie von einem Mann gemacht wird, der Champagner traktiert.

»Oh, da sind Sie gewesen?« sagte der Adjutant. »Der Oberst hat Clancey nach Ihnen und Crosby geschickt. Clancey meldete, er könne Sie nicht finden. So sandten wir Curtis an Ihrer Stelle. Mit einer Eskorte für Oberst Patten und das Löhnungsgeld. Er kommt heute abend im Postwagen an.«

Ranson verwandte, während der Adjutant sprach, kein Auge von seinem Glas. Ehe er antwortete, fischte er umständlich einige Eisstückchen aus dem Kelch und leerte ihn dann langsam.

»Der Zahlmeister, heh?« sagte er endlich. »Der Zahlmeister kommt heute abend mit dem Postwagen an? Wirklich?«

»Ja,« erwiderte der Adjutant. Und als draußen Trompetensignale ertönten, meinte er:

»Da ist er schon.«

Ranson schenkte sein Glas mit bedächtiger Sorgfalt wieder voll und trank es behaglich aus, während ein leises Lächeln um seine Mundwinkel zuckte.

Sporengeklirr und feste militärische Tritte wurden auf der Veranda des Offizierklubs hörbar. Zum erstenmal seit Menschengedenken betraten gemeine Soldaten die geheiligten Räume. Vier Kavalleristen, mit Karabinern bewaffnet, unter Führung von Leutnant Crosby, dessen Gesicht bleich und leidend aussah. Die Offiziere sahen in verblüfftem Schweigen auf die Eindringlinge. Crosby schritt zwischen ihnen durch, weder nach rechts noch nach links sehend, und berührte Leutnant Ransons Schulter.

»Auf Befehl des Obersts, Leutnant Ranson!« sagte er. »Sie sind unter Arrest!«

Ranson lehnte sich gegen das Piano und stellte sein Glas auf die Tasten. Mit übergeschlagenen Beinen saß er regungslos da.

»Dann verstehen Sie also doch keinen Spaß,« sagte er in leisem Ton. »Sie mußten hingehen und die Geschichte verraten!«

Er lachte und sagte laut, damit alle Anwesenden es hören sollten:

»Weshalb werde ich verhaftet, Crosby?«

Die harten Linien in Crosbys Gesicht vertieften sich. Nur die Nächstsitzenden hörten seine Antwort:

»Sie sind verhaftet wegen Mordversuchs an einem Vorgesetzten – wegen Beraubung eines Geldtransports der Regierung – und – wegen Mordes!«

Ranson sprang auf. »Mein Gott, Crosby!« schrie er.

»Still. Sprechen Sie nicht!« befahl Crosby. »Kommen Sie mit mir!«

Die vier Kavalleristen traten hinter Leutnant Crosby und seinen Gefangenen. Ranson schnappte nach Luft, in einem Paroxismus des Schreckens. Dann trat er vorwärts. Und die sechs Männer marschierten aus dem Klub, in die Nacht hinein.


 << zurück weiter >>