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Erstes Kapitel.

Die Subalternoffiziere von Fort Crockett pflegten in der Kantine zu dinieren. Anfänglich, aber nur anfänglich, hatte Leutnant Ranson einen schlechten Witz nach dem andern über das merkwürdige Offizierskasino gemacht. Mit einer gewissen Berechtigung. Wie überall auf den einsamen Militärposten des amerikanischen Westens war auch in Fort Crockett die Kantine das einzige Bindeglied zwischen kaufendem Konsumenten und verkaufendem Produzenten – ein Restaurant, ein Klubraum, ein Warenhaus, vollgepfropft mit den Tausenden von Dingen, deren die Soldaten des Forts und die Indianer der Reservation bedurften. Und weil die Kantine so vielseitig war, haperte es mit dem Platz! Der Tisch der Offiziere war eingezwängt zwischen riesige Syrupfässer und die glühende Hitze eines offenen Kaminfeuers; der Ladentisch diente ihnen als Büfett; ein Billard, dessen grünes Tuch mit Flecken aller Farben gesprenkelt war wie eine Inselkarte der Großen Seen, mußte den Anrichtetisch ersetzen; Pete, der Indianer, fungierte als Haushofmeister und servierender Kellner. All' diese unbequemen Kleinigkeiten jedoch schwanden zu einem Nichts zusammen gegenüber der allein wichtigen und allein maßgebenden Tatsache, daß jeden Abend Mary Cahill der Tafel präsidierte und durch ihre bloße Gegenwart die einfache Mahlzeit in ein üppiges Bankett verwandelte. Mary Cahill war die Tochter des Fort-Händlers. (So wurde der Inhaber der Kantine nach alter Armeegewohnheit genannt). Von ihrem Stuhl hinter dem Ladentisch aus, zwischen Kasse und Wage sitzend, diktierte sie dem Kasino ihre Gesetze und schenkte Allen und Jedem ein liebenswürdiges Lächeln, unparteiisch, wie ein richtiger guter Kamerad.

Früher wenigstens war sie unparteiisch gewesen. Seit einiger Zeit freilich lächelte sie auf alle hernieder – nur nicht auf Leutnant Ranson. Wenn der sprach oder erzählte, wandte sie den Blick ab und starrte ins knisternde Feuer, mit heißen Wangen, mit Augen, so blitzend, als hätten sie Feuer gefangen am Flammenschein.

Seit fünf Jahren, seit dem Tage, an dem ihr Vater sie aus dem Kloster in St. Louis holte, hatte Mary Cahill fortwährend Offiziere kommen und Offiziere gehen sehen. Sie besaß ausgedehnte und reichhaltige Kenntnisse über diese Offiziere, ihre militärischen und privaten Angelegenheiten. Sie kannte die Tradition jedes einzelnen Regiments der Armee, seine Kriegstaten, seine Politik in Friedenszeiten, seine Spitznamen, seine Skandale; ja sogar die Kantineneinnahmen der einzelnen Kompagnien. Von den Ereignissen des militärischen Lebens in Fort Crockett jedoch, das sich ja unter ihrer unmittelbaren Beobachtung abspielte, wußte sie mehr als der Regimentsadjutant, mehr: noch als selbst des Obersts Frau! Wenn Trompeter Tyler beim Kirchensignal wieder einmal greulich falsch geblasen hatte, wenn Frau Stickney den Quartiermeister immer wieder um eine neue Ofenröhre plagte, wenn Leutnant Curtis zwei Tage Urlaub erhielt, um Wachteln zu schießen, dann wußte es Mary Cahill; und wenn »Frau Kapitän« Stairs sich den Fort-Landauer für eine Fahrt nach Kiowa-City verschaffte, während »Frau Kapitän« Roß zu gleicher Zeit den gleichen Wagen für ein Picknick mit Beschlag zu belegen wünschte, so wußte Mary Cahill ganz genau, was die Damen zueinander gesagt hatten und welche von den beiden in Tränen ausgebrochen war. Sie wußte alle diese Dinge, denn sie wurden ihr jeden Abend von ihren »Kasinogästen« haarklein erzählt. Die Kasinogäste waren sehr loyal gegenüber Mary Cahill. Die Stellung des Mädchens war schwierig genug, und wenn die blutjungen Offiziere nicht ein so feines Verständnis gezeigt hätten, so wäre sie noch viel schwieriger gewesen. Denn das Leben auf einem Militärposten ist ebenso von Rangunterschieden eingeengt, wie das Leben auf einem Kriegsschiff; und so wenig des Schiffbarbiers Schultern mit den Epauletten des Admirals in Berührung kommen, so unmöglich ist es, daß einerseits die Tochter eines Forthändlers die Damen der »Offizierslinie« besucht oder andererseits Soldatenfrauen bei dem jungen Mädchen eingeladen werden, dessen Wäsche sie besorgen.

So befand sich Mary Cahill zwischen den oberen und den unteren Mühlsteinen, war der Gesellschaft ihres eigenen Geschlechts beraubt und mußte wohl oder übel mit den Offizieren vorlieb nehmen. Und die Offiziere spielten ehrliches Spiel. Loyalität Mary Cahill gegenüber war eine Tradition von Fort Crockett, die ein jedes der ablösenden Regimenter pflichtgemäß aufrecht erhielt. Außerdem wußte man von ihrem Vater, einem unheimlichen Gesellen, der nur fürs Geldverdienen lebte, daß er sich ausgezeichnet auf Revolverschießen verstand …

Seit dem Tage, an dem sie aus dem Kloster gekommen war, hatte Mary Cahill nur nach zwei Richtungen hin Liebe empfunden: Sie liebte ihren grimmigen, schweigsamen Vater, der mit der Eifersucht eines Liebhabers über sie wachte, und sie liebte die gesamte Armee der Vereinigten Staaten. Die Armee erwiderte ihre Liebe, ohne die Eifersucht ihres Vaters und mit weit größerer Zärtlichkeit. Als jedoch Leutnant Ranson von den Philippinen nach Fort Crockett kam, verteilte Mary Cahill ihre Liebe nicht mehr auf die militärische Allgemeinheit, sondern ihr Herz schwankte stündlich zwischen Hangen und Bangen.

Zwei Räume bildeten das Erdgeschoß der Forthandlung – der große Raum, der nur von Offizieren und ihren Damen betreten werden durfte; der andere, kleinere, der für die Soldaten bestimmt war. Beide waren durch eine Bretterwand getrennt. Auf der Offiziersseite wie auf der Soldatenseite liefen Regale mit Kleiderstoffen und Konserven und Patentmedizinen die Wand entlang. Durch eine mit Büffelfellen verhängte Türe in der Scheidewand konnte Cahill von dem Ladentisch des einen Raumes zum Ladentisch des andern treten. Auf der einen Seite bediente Mary des Obersts Frau mit vielen Metern Seidenband zu Kotillongeschenken – auf der andern wog ihr Vater Bärenklauen ab (aus Truthahnknochen in Hartford, Staat Connecticut, fabriziert) zu einer Halskette für Rotschwinge, die Squaw des Häuptlings der Arrephaos. Cahill bediente einen jeden mit gleichem Ernst und in gleicher eigensinniger Schweigsamkeit. Noch niemand hatte ihn je lachen sehen. Er selbst scherzte dann und wann einmal mit anderen in seiner grimmigen, halb verlegenen Art. Noch niemals aber hatte jemand mit ihm gescherzt. Einmal wurde erzählt, nach Fort Crockett sei Cahill aus New York gekommen, wo er in der berüchtigtsten Gegend, in der Bowery, die erste Hand des nicht weniger berüchtigten Kneipenwirts McTurk gewesen sein sollte.

Dieses Gerücht stammte vom Sergeanten Clancey, von »G«-Schwadron. Als aber der Sergeant sich auf die New Yorker Zeiten berief und Cahill als Bekannten begrüßte, spreizte der Forthändler die Hände auf dem Ladentisch aus und starrte den Sergeanten aus kalten, drohenden Augen an.

»'war niemals in 'ner Wirtschaft,« sagte er. »Bin noch nie auf der Bowery gewesen, niemals in New York, bin in meinem Leben nicht weiter östlich gekommen als Denver. Was wünscht Ihr sonst noch?«

»Schön, vielleicht irre ich mich,« brummte der Sergeant.

Einen Monat später, als eines Abends unten beim Indianerdorf ein Coyote heulte, sagte der Sergeant hinterlistig:

»Klingt gerade wie das Signal der Whyos, nicht?«

Und Cahill, der dem Geheul des Wolfes lauschte, nickte gedankenlos mit dem Kopf.

Der Sergeant schnaubte vor Triumph. »Häh, hab ich's doch gewußt!« schrie er. »Ein Mann, der nie auf der Bowery gewesen sein will, und doch das Signal der Whyos kennt! Das kostet Euch eine Runde, Cahill!«

Das Argument des Sergeanten ließ sich nicht gut widerlegen. Man mußte wirklich die Tiefen des New Yorker Lebens recht genau kennen, um das Signal der Whyo-Jungens, der verbrecherischen Straßenbummler, der Einbrechergemeinschaft New Yorks im Gedächtnis zu haben. Cahill gab auch gar keine Antwort. Er sah den Sergeanten nicht einmal an, sondern putzte seinen Ladentisch mit einem feuchten Tuch ab, langsam, schwerfällig – so bedächtig, wie ein Mann ein Messer an einem Schleifstein schärft.

Als der Sergeant in der gleichen Nacht den Pfad zum Militärposten hinauf schritt, pfiff eine Kugel durch seinen Hut. Clancey war ein gewalttätiger Mann, und da gewalttätige Männer Feinde haben, so war er nicht ganz sicher, ob die Kugel von einem Rekruten stammte, den er in letzter Zeit schlecht behandelt hatte, oder ob er in der Dunkelheit für irgend einen Anderen gehalten worden war. In der nächsten Nacht krachte, gerade als er den Lichtschein aus den Fenstern der Forthandlung durchschritt, von dem Dunkel der Ställe her ein Schuß. Der Sergeant flüchtete schleunigst zu den Indianern, Cowboys und Soldaten in den Laden, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Cahill aus dem anderen Raum eintrat und sich ostentativ damit beschäftigte, eine Flasche Painkiller für Frau Stickneys Köchin einzuwickeln. Clancey ließ sich jedoch nicht täuschen. Er bemerkte mit Genugtuung, daß die Sohlen und die Absätze von Cahills Stiefeln deutliche Spuren der schwarzen Schmutzpfütze bei den Ställen trugen.

Am nächsten Morgen, während der Laden gerade leer war, stellte der Forthändler eine neue Sendung von Büchsen kondensierter Milch auf einem Regal auf. Als er sich zufällig umwandte, sah er den Revolver des Sergeanten auf sich gerichtet.

Er warf die Hände in die Höhe, machte ein Gesicht, als geschähe ihm großes Unrecht und wartete schweigend. Der Sergeant schritt vorwärts, bis er den Revolver auf den Ladentisch auflegen konnte – die Laufmündung präzise auf Cahills Magen gerichtet.

»Einer von uns, Ihr oder ich, hat Fort Crockett zu verlassen,« sagte der Sergeant. »Und da ich nicht desertieren kann, so seid Ihr es, kalkulier' ich.«

»Warum habt Ihr den Mund nicht gehalten?« fragte Cahill. Er mimte noch immer ungläubiges, beleidigtes Erstaunen, aber seine ruhige Stimme drückte nicht nur volles Verständnis für die Situation aus, sondern vor allem den Wunsch, Zeit zu gewinnen.

»Zuerst dachte ich, der neue Rekrut in »F«-Schwadron könnt' es gewesen sein,« erklärte der Sergeant. »Beinahe hätt' ich um Euretwillen den falschen Mann umgebracht. Was hab ich Euch denn dadurch geschadet, daß ich sagte, Ihr seiet Kneipenwirt für McTurk gewesen? Was ist denn dabei? Wie kann man darüber so wütend werden?«

»Ihr habt gesagt, ich gehörte zu den Whyos!«

»Was zum Teufel kümmere ich mich darum, was Ihr getan habt!« brüllte der Sergeant. »Ich weiß überhaupt nichts von Euch. Aber ich denke nicht daran, mich hinterrücks erschießen zu lassen. Ich werd' die Geschichte meinem besten Freund erzählen, und wenn mir was passiert, dann weiß die Schwadron, wer's getan hat, und Ihr werdet gehängt. Also – wie soll's nun werden?«

Cahill kam nicht dazu, sich darüber zu äußern, denn vom andern Laden her rief Mary Cahills sanfte Stimme: »Vater! Oh, Vater!«

Die beiden Männer duckten sich und sahen einander schuldbewußt an. Der Sergeant starrte mit weit aufgerissenen Augen nach dem Vorhang aus Büffelfellen; Cahill ließ seine Hände sinken und legte sie flach auf den Ladentisch.

Und als Miß Mary Cahill die Büffelfelle beiseite schob, war Sergeant Clancey, von »G«-Schwadron, eben dabei, ihrem Vater den Mechanismus des neuen Armeerevolvers zu zeigen. Anscheinend machte ihm das Einschieben des Patronenzylinders Schwierigkeiten, denn sein Gesicht war ganz rot und ärgerlich. Ihr Vater betrachtete die Schußwaffe mit dem kritischen Blick des Kenners.

»Vater,« sagte Miß Cahill lächelnd, »weshalb hast du denn nicht geantwortet? Wo ist das blaue Briefpapier – die Sorte, die Major Ogden immer kauft? Er wartet.«

Der Forthändler verwandte kein Auge von dem Revolver vor ihm. »Bei den Notizbüchern liegt es, Kind,« sagte er. »Auf dem zweiten Regal.«

Miß Cahill traktierte den riesigen Sergeanten mit einem bezaubernden Lächeln und flüsterte leise, so daß der Offizier im Nebenraum es nicht hören konnte:

»Will er dir ärarisches Eigentum verkaufen, Väterchen? Tu's ja nicht! Sergeant, wie können Sie meinen armen Vater in Versuchung führen!«

Sie verschwand in den Falten der Büffelfellvorhänge, bis nur noch ihr Gesichtchen hervorguckte. Es war ein süßes, liebes Gesicht, mit den Augen eines kleinen Jungen.

»Wenn der Major fort ist, Sergeant,« wisperte sie, »dann bringen Sie mir Ihren Revolver in den andern Laden herüber und ich werde ihn Ihnen abkaufen!«

Der Sergeant nickte heftig, in begeisterter Zustimmung, über das ganze Gesicht lachend. Dabei schlug er sich schallend aufs Knie, als könne er sich gar nicht mehr helfen vor Freude und Vergnügen.

Die Büffelfelle fielen nieder und das Gesichtchen verschwand.

Der Sergeant schob den Revolver hin und her, und Cahill verschränkte trotzig die Arme.

»Nun?« sagte er.

»Na?« fragte der Sergeant.

»Ihr könntet eigentlich selber sehen, wie die Sache liegt,« sagte Cahill, »ohne daß ich's Euch erklären muß.«

»Ihr meint, sie soll nichts davon wissen?«

»Mein Gott, nein! Nicht einmal, daß ich Kneipenwirt war!«

»Schön, ich weiß von nichts. Ich plaudere nichts aus. Hätt' ich sowieso nicht getan. Wenn Ihr versprecht, gut zu sein und mich in Ruhe zu lassen, so ist die Geschichte erledigt.«

Da lächelte Cahill, zum erstenmal, seit er in Fort Crockett war.

»Kann ich jetzt mal unter den Ladentisch greifen?« fragte er.

Der Sergeant schmunzelte verständnisvoll und balanzierte seinen Sechsschüssigen in der Rechten.

»Jawohl! Aber ich behalt' das Ding hier noch in der Hand, bis ich sicher bin, daß es nur eine Flasche ist, nach der Ihr greift!« sagte er und brach in ein lautes Gelächter aus.

Einen Augenblick lang, unter dem Schutz des Ladentisches, berührte Cahills Hand sehnsüchtig den Revolver, der dort lag, und glitt dann hinüber zu der daneben stehenden Flasche. Die Flasche kam zum Vorschein. Die Gläser klirrten zusammen …

Und damit war die Angelegenheit erledigt. Sie wäre für immer erledigt geblieben, hätte nicht Leutnant Ranson eine Torheit begangen.

Vor einer Woche war in den Willow-Gründen, im Zeltlager einiger Kiowa-Indianer, ein Feuer ausgebrochen, und die Prärie lag verbrannt und schwarz da, so weit man nur sehen konnte. Als wäre Tinte vom Himmel herabgeregnet. Beim Ausbruch des Feuers befand sich das ganze Regiment, mit Ausnahme von zwei Schwadronen, auf einem Uebungsmarsch, um irgend eine neumodische Feldration auszuprobieren. Komprimierte Nahrung. Tabletten. Sobald das Regiment auf dem Rückweg zwischen den Hügeln hervorkam, sah es den Feuerschein am Himmel, und aus dem Uebungsmarsch wurde ein Rennen.

Im Fort waren die Männer, Leutnant Ranson an ihrer Spitze, mit nassen Pferdedecken nach dem Feuerherd geeilt, so schnell sie nur laufen konnten, und während »G«-Schwadron unter Ransons Führung mit den Flammen kämpfte, brannte »H«-Schwadron, von Major Stickney kommandiert, das dürre Gras in weitem Kreis um das Fort ab. Auf dieses vor dem Feuer gesicherte Gelände flüchteten die Männer von »G«-Schwadron, stolpernd vor Müdigkeit, Köpfe und Schultern in rauchende, angebrannte Decken gehüllt. Die Flammen verfolgten sie mit solcher Schnelligkeit, daß das brennende Gras ihnen die Schnürbänder versengte und die Gamaschen ihnen von den Füßen fielen.

Als das Regiment ankam, hörte es von jedermann in Fort Crockett, wie famos sich Ranson betragen hatte.

»Ich versichere Sie,« sagte Frau Bolland zum Oberst, »wäre der junge Ranson nicht gewesen, so hätten wir in unseren Betten verbrennen müssen. Aber er war sehr unverschämt. Er betrachtete die ganze Affäre als ein Feuerwerk. Es war für ihn das einzige Vergnügen in Fort Crockett seit seiner Ankunft, das ihm wirklich Freude machte.«

Trotzdem gab man allgemein zu, daß Ranson den Militärposten gerettet hatte. Er war allgegenwärtig gewesen. Man hatte ihn in die vordringenden Flammen hineingaloppieren sehen, wie ein wildgewordenes Füllen; wie ein Irrwisch war er wieder aufgetaucht inmitten wirbelnder schwarzer Rauchsäulen, hin- und herjagend, Befehle erteilend an zwanzig verschiedenen Stellen. Einen Augenblick lang konnte man beobachten, wie er mit einer nassen Decke in die Flammen schlug und sie jubilierend um sein Haupt schwang, wie ein Kadett beim Armee-Marine-Fußballspiel mit dem Taschentuch winkt – im nächsten Moment kam er wankend aus dem feurigen Ofen zum Vorschein, einen betäubten Kavalleristen am Kragen schleppend und schreiend:

»Sanitätssergeant, Sanitätssergeant! Hier ist 'n brennender Mann! Löschen Sie ihn aus. Dann schicken Sie ihn wieder zu mir! Schnell!!«

Wer ihm in dem Wirbelwind von Rauch und zuckender Flamme begegnet war, erzählte, Leutnant Ranson habe ohne Unterlaß vergnügt gekichert.

»Ist das nicht famos?« hatte er jeden angeschrien. »Heh, ist das nicht wunderbar? Nicht um eine Reise nach New York würd' ich dies Erlebnis hergeben!«

Als der Oberst dem Hospital einen Besuch abgestattet und den Männern sans Haaren, sans Augenbrauen, und mit bandagierten Händen und Armen aufmunternde Worte gesagt hatte, lobte er Leutnant Ranson auf der Parade vor versammeltem Regiment. Ranson aber lief nach der Parade unter erschrecklichem Fluchen schleunigst nach seiner Baracke.

Am Abend suchte er im Kasino sympathisches Verständnis bei Mary Cahill.

»Allmächtige Güte!« rief er. »Haben Sie ihn gehört? War's nicht schauderhaft? Wenn ich geahnt hätte, er würde mich so behandeln, so wäre ich desertiert. Warum muß man einem nun das einzige Vergnügen verderben, das man gehabt hat! Hoh! Hätt ich gewußt, daß man aus dieser langweiligen Prärie so viel nette Aufregung herausschinden kann, so würde ich sie selber angezündet haben! Schon vor drei Monaten! Es war mein erstes Vergnügen in Fort Crockett, und – der Oberst stellt sich hin und predigt mir die reine Leichenpredigt!«

Ranson war zur Zeit des spanisch-amerikanischen Krieges in die Armee getreten. Weil er sich von diesem Schritt eine neue Art von Aufregung versprach und weil alle seine Freunde das Gleiche taten. Als der Sohn seines Vaters wurde er zum Generaladjutanten bei der Freiwilligen-Truppe ernannt, mit dem Rang eines Kapitäns, und dem Stabe eines Brigadegenerals aus dem Süden aufgehalst, der von vornherein bestimmt war, Charleston niemals zu verlassen. Aber Ranson argwöhnte sofort, wie die Sache sich verhielt. Er telegraphierte seinem Vater drei Tage lang, erreichte durch dessen Einfluß beim Kriegsministerium auch wirklich, daß er nach den Philippinen kommandiert wurde, und segelte gerade noch zeitig genug von San Franzisko ab, um mit Befehlen und Depeschen durch die Brandung waten zu können, als die Freiwilligen Manila besetzten. Wieder spielte der Telegraph. Kabeltelegramme, die viele, viele Dollars kosteten, bewirkten, daß er von seinen Pflichten beim Stabe entbunden, und als Leutnant zu einem Freiwilligen-Regiment versetzt wurde. Zwei Jahre lang jagte er die kleinen, braunen Männer in den Reisfeldern, brannte Dörfer nieder, plünderte Kirchen, und sammelte Kugellassos und Altardecken. Dabei amüsierte er sich so ausgezeichnet, daß die Ueberzeugung in ihm wuchs, die Armee stelle den einzigen Beruf dar, bei dem immer Aufregung zu haben sei. Und da Aufregung ihm so wichtig erschien wie Licht und Luft, so suchte er um Anstellung in der regulären Armee nach. Auf Grund seiner Führungsliste als Freiwilligen-Offizier wurde er zum Leutnant im Zwanzigsten Kavallerieregiment ernannt und, als dieses Regiment nach den Vereinigten Staaten zurückkehrte, in Fort Crockett – lebendig begraben.

Nach sechs Monaten dieses Exils brach Ranson eines Abends im Kasino in offene Rebellion aus.

»Ich sage Ihnen, ich halte es nicht einen Tag länger aus!« rief er. »Ich reiche meinen Abschied ein.«

Mary Cahill hörte hinter ihrem Ladentisch mit Entsetzen zu. Die Leutnants Crosby und Curtis erschauderten. Sie waren Söhne von Offizieren der regulären Armee. Erst vor sechs Monaten hatten sie die Kadettenakademie von West-Point verlassen, angetan in eleganten nagelneuen Uniformen. Die Traditionen der Akademie von Loyalität und Disziplin waren ihnen ins Rückgrat hinein geknetet worden. Ranson verkörperte für sie die schrecklichen Folgen des Ausstellens von Offizierspatenten an Zivilisten.

»Vielleicht wird jetzt, wo das Frühjahr kommt, mehr los sein,« meinte Curtis, hoffnungsvoll zwar, aber doch mit zweifelndem Blick auf das Kaminfeuer.

»Ich würde nichts Unüberlegtes tun!« mahnte Crosby.

Miß Cahill schüttelte ihren Kopf. »Aber – ich finde es sehr schön auf dem Militärposten,« sagte sie. »Mir gefällt es sehr gut, und ich bin doch schon seit fünf Jahren hier – seit ich aus dem Kloster kam – und ich – –«

Ranson unterbrach sie mit höflicher Verbeugung.

»Ja, ich weiß, Miß Cahill,« sagte er. »Aber ich bin eben nicht aus einem Kloster hierher gekommen. Ich kam hierher von den blutgetränkten Gefilden des Krieges. In den Philippinen zum Beispiel ist immer etwas los. Dort gibt man einem eine halbe Schwadron, und solange man genügend Mausergewehre erbeutet und seine Leute heil und ganz zurückbringt, kann man sich herumschlagen wie und wo man will, und kein Hahn kräht darnach. Hier habe ich nichts weiter zu tun, als mich um kranke Pferde zu bekümmern. So viel Kampf und Aufregung, wie ich hier im letzten halben Jahr gesehen habe, hat jeder Tierarzt in den Vereinigten Staaten. Ebensogut hätte man mir das Kommando der Ställe einer Pferdebahn geben können.«

»Daran ist etwas Wahres,« sagte Curtis vorsichtig. »Wenn Sie wirklich Ihren Abschied nehmen, kann niemand Ihnen nachsagen, angesichts des Feindes abgegangen zu sein!«

»Des Feindes! Ihr Götter!« donnerte Ranson. »Hah! Wenn ein feindlicher Filipino hier hereinkäme, mit einem Lasso in jeder Hand, so würd' ich ihm um den Hals fallen und ihn abküssen. Dieses Fort Crockett-Geschäft hier ist nichts für mich. Für Euch, ja! Man hat in West-Point all das Sportblut aus Euch herausgefuchst; eine schlechte Note für Zigarettenrauchen, zwei schlechte Noten für Nichtgrüßen des Botanikprofessors – und all die Abenteuer, die Ihr jemals gekannt habt, bestanden aus Rätselraten und einem Tänzchen in Cullum-Hall! Ich aber war, ehe ich mit General Merritt nach den Philippinen kam, auf der Jacht eines Freundes schon einmal dort gewesen und – wir mußten damals den spanischen Gouverneur ins Bett bringen, so wie er war, gestiefelt und gespornt. Und jetzt muß ich hier herumsitzen und den alten Bolland erzählen hören, wie er einen Straßenbahnstreik in St. Louis unterdrückte oder Stickneys lange Geschichten über die Kämpfe bei den Tafelbergen und im Blutigen Winkel hinunterschlucken. Er weiß gar nicht, daß der Bürgerkrieg schon vorbei ist. Ich sage Ihnen, meine Herren, wenn ich hier nicht Aufregung frisch vom Faß bekommen kann, braue ich mir selbst noch welche, und wenn ich das tue, stellen sie mich vor ein Kriegsgericht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Abschied zu nehmen.«

»Warten Sie lieber bis Ende dieser Woche,« sagte Crosby mit einem Lächeln. »Diese Woche wird höchst lustig sein. Am Donnerstag kommt der Zahlmeister mit unserem Geld, und heute nacht trifft Fräulein Post hier ein. Da sie unseren Oberst besucht, so müssen wir alle dafür sorgen, daß sie sich gut amüsiert.«

»Natürlich, darauf muß ich warten,« brummte Ranson. »Höchstwahrscheinlich wird jeden Abend Whist oder so 'was gespielt werden, und als Gewinn bekommt man kleine goldene Sternchen aus Pappe angesteckt!«

Crosby lachte gutmütig.

»Ich verstehe Ihren Standpunkt,« sagte er. »Ich erinnere mich. Als mein Vater mich einmal mit nach Monte Carlo nahm, sah ich Sie an einem Spieltisch sitzen, mit solch einem Haufen Geld vor Ihnen, daß man damit eine Bank hätte gründen können. Ich erinnere mich, daß mein Vater die Croupiers fragte, weshalb sie einem Kind wie Ihnen zu spielen erlaubten. Ich war damals ein Junge und Sie waren auch einer. Ich erinnere mich, daß ich Sie damals für ein ganz verteufeltes Früchtchen hielt.«

Ranson sah verlegen auf Miß Cahill und lachte.

»Na, das war ich auch – damals,« sagte er. »Jeder andere in dem Alter würde auch ein verteufeltes Früchtchen gewesen sein, wenn man ihn so erzogen hätte wie mich. Denken Sie nur: Ein liebender Vater, der einen ganzen Trust sein Eigen nennt und vom richtigen Wert des Geldes keine Ahnung hat! Und dennoch erwarten Sie von mir, ich solle hier glücklich und vergnügt sein: mit einem Spiel, bei dem man nicht höher als fünfzig Cents setzen darf, und – mit zwanzig Meilen verbrannter Prärie. Ich sage Ihnen, ich kann das nicht aushalten! Ich weiß nicht, was es heißt, keinen eigenen Willen zu haben. Und Disziplin! Na, jedesmal, wenn ich gezwungen bin, einen Mann dem Oberst zu melden, lasse ich ihn nachher zu mir kommen, gebe ihm 'was zu trinken und entschuldige mich bei ihm. Ich sage Ihnen: Die Armee bedeutet mir nichts, wenn nicht etwas los ist, und da es Kampf und Abenteuer hier draußen nicht gibt, so möchte ich lieber im Klubraum im New Yorker Holland House sein und im pneumatikberäderten Automobil fahren. Das alte kleine New York ist gut genug für mich!«

Während er diese schicksalsschweren Worte der Rebellion sprach, warf Leutnant Ranson einen raschen Seitenblick aus seinen schwarzen Augen auf das Gesicht von Mary Cahill. Es war beinahe so, als erwarte er seine Antwort von ihr. Was er von Mary Cahill zu hören wünschte, hätte er freilich selbst nicht sagen können. Aber seit der Gedanke in ihm aufgetaucht war, aus der Armee auszuscheiden, erschienen ihm Mary Cahill und die Armee als synonyme Begriffe, bedeuteten das Gleiche. Er bekämpfte zwar diese Erkenntnis blindlings. Daß die Armee ohne frischfröhlichen Felddienst unerträglich war, sagte ihm die Erfahrung der letzten sechs Monate; daß aber bürgerliches Leben ohne Mary Cahill ebenso unerträglich sein würde – das war doch durchaus keine feststehende Tatsache. Natürlich nicht! Er hatte den Gedanken belacht. Er hatte sich die Sache sogar ganz vernünftig zurechtgelegt. War es anzunehmen, so fragte er sich, daß ein Mann nach dreimaliger Umrundung des Erdballs das einzige Mädchen auf der Welt, das ihn glücklich machen konnte, auf der weiten Prärie, hinter dem Ladentisch eines Forthändlers sitzend, finden sollte? Sein Interesse für Miß Cahill war das Resultat eines allzu nahen Zusammenseins. Natürlich! Weil sonst niemand da war, weil er Mitleid fühlte mit ihrem Alleinsein, weil die lächerliche gesellschaftliche Abgeschlossenheit, der sie unterworfen war, seine Sympathien erweckt hatte. Wie lange wohl würde er, nach New York zurückgekehrt, sich des kleinen Kameraden erinnern, der furchtlosen kindlichen Augen in dem feinen weiblichen Gesichtchen, der wallenden Wogen wunderbaren Haares? Nicht sehr lange, meinte er. Vielleicht würde er sich erinnern, wie sie ihren Pony ritt, wie sie sich aus dem mexikanischen Sattel beugte und ihren Handschuh vom Boden aufhob. Ja, das würde er wohl nicht vergessen. Und er würde sich auch des Tages erinnern, an dem er hinter ihr her galoppiert und mit ihr durch das Indianerdorf geritten war, und an jenen Tag, als sie miteinander den Ausflug zum Wasserfall machten. Und ihr Gesicht würde er nicht vergessen – wie sie sich abends über die Bücher beugte, die er für sie geborgt und die sie las, während die Offiziere aßen, in dem hohen Stuhl sitzend, das Kinn in die Hände gestützt, auf das Buch vor ihr starrend. Und wie sie, wenn er sprach, den Kopf erhob und in das Feuer sah, mit lächelnden Lippen und aufleuchtenden Augen. Freundliche, liebe Erinnerungen würden es sein, sicherlich. Aber nach seiner Rückkehr in den Strudel und das Jagen der großen Welt, die außerhalb Fort Crocketts pulsierte, würden sie sogar als Erinnerungen verblassen.

Mary Cahill gab kein äußerliches Zeichen einer Antwort auf die rebellischen Aeußerungen des Leutnants Ranson. Sie beugte sich nur über das Buch und versuchte, sich vorzustellen, was der Militärposten ihr noch geben könnte, wenn er seine Drohung ausgeführt hatte; wenn er in die Welt zurückgekehrt und für immer aus ihrem Leben verschwunden war. Nacht für Nacht hatte sie so dagesessen, auf ihrem Thron hinter dem Ladentisch, und seinem Erzählen gelauscht, in tiefer Verwunderung. Von einer Welt hatte er gesprochen, die sie nur aus Romanen, aus der Geschichte, aus Reisebeschreibungen kannte. Seine Schilderungen dieser Welt wirkten nicht gerade erzieherisch: er war weder ein Weiser noch ein geschulter Beobachter. Er erinnerte sich an London – das ihr die Hauptstadt der Welt bedeutete – hauptsächlich ob seiner Restaurants; an Kairo ob seiner schlechten Golfspielplätze. Er lebte, um fröhlich zu sein. Er betrachtete die Welt aus den Augen eines Knaben, eines frischen gesunden Jungen, der sich nach Aufregung sehnt. Sie hatte die Geschichte seiner kurzen Universitätszeit in Harvard gehört; die Geschichten von den Versammlungen in Henrys American Bar in Paris, vom Grand Prix und anderen Rennen; von einer Jachtfahrt, die anscheinend alle nur möglichen Formen der Abenteuerlichkeit umfaßt hatte, von der Rettung einer gestrandeten Operettengesellschaft bis zum Rammen der Dhau eines Sklavenjägers. Die sehnsüchtige Trauer, mit der er von diesen Tagen der Freiheit sprach, eine Trauer, wie sie ein auf einer wüsten Insel ausgesetzter Verbannter empfinden mag, erweckte ihr ganzes Mitgefühl. Sein unhöflicher Spott über die gesellschaftlichen Vergnügungen des Militärpostens (von denen sie ausgeschlossen war), erfüllte sie mit verwundertem Staunen. Wie glänzend und köstlich mußte sein früheres Leben gewesen sein, schloß sie, wenn er sich aus diesen Gesellschaften so gar nichts machte. Das half ihr, die eigenen gesellschaftlichen Entbehrungen leichter zu ertragen. Und da sie ein treues Kind der Armee war, so gefiel er ihr schon deswegen, weil er kein »politisierender Offizier« war, sondern ein Kämpfer; einer der gefochten hätte, ohne sich lang Gedanken über Recht oder Unrecht der Sache zu machen, um der Freude am Kampfe willen.

Und eines Abends, als er den Kameraden von einem Filipino-Offizier erzählt hatte, der allein, gegen ihn und seine Soldaten focht und, ihn verfluchend, in seinen Armen gestorben war, ging sie ins Bett mit dem klaren Bewußtsein, daß Leutnant Ranson viel zu sehr dem Bilde ähnelte, das sie sich von ihrem zukünftigen Gatten machte – viel zu sehr für den Frieden ihrer Seele. Ranson hatte nicht verhehlt, wie sehr er den tapferen Mann bewunderte, der im Kampf für die Freiheit gefallen war; er wurde so traurig in der Erinnerung an den elenden Tod des Braven, daß die Tränen ihm über die Wangen liefen. Die anderen Offiziere wurden ganz verlegen. Ranson aber trocknete sich die Tränen unbefangen und sagte nur:

»Er hatte feuriges Blut in den Adern! Mir hat noch nie irgend etwas so weh getan wie das Schicksal jenes Jungen. Jedesmal, wenn ich daran denke, wie er, fast in Stücke zerschossen, sich mit dem Rücken an die Kirchenmauer lehnte und bis zum letzten Atemzug auf uns feuerte, kommen mir die Tränen. So,« schloß er verlegen, »will ich lieber nicht mehr daran denken.«

Tränen sind von Rechts wegen eines Weibes Waffen, und wenn ein Mann sie benutzt, sei es auch gegen seinen Willen, so kämpft er gegen das andere Geschlecht mit dessen eigenem Rüstzeug. Was höchst unrecht ist. Leutnant Ranson hatte keine Ahnung, welches Unheil sein Mitleid für seinen Feind in Mary Cahills Herzen angerichtet hatte! Noch wußte er, daß sie ihn von jenem Abend an aus tiefster Seele liebte.

… Die beiden jungen Offiziere rauchten eine Zeitlang in nachdenklichem Schweigen, ehe sie Ransons Ultimatum weiter beantworteten.

»Oh, es hat aber auch in Fort Crockett Gelegenheit zum Fechten gegeben,« sagte Crosby. »Während der letzten zwei Jahre ist der Posten siebenmal alarmiert worden, nicht wahr, Miß Cahill? Als die Indianer unbotmäßig wurden, und zweimal wegen der Cowboys, und zweimal um des Roten Reiters willen.«

»Puh, der Rote Reiter!« protestierte Ranson. »Ich sehe nichts Aufregendes darin, einen elenden Pferdedieb einzufangen.«

»Er läßt sich aber nicht fangen,« erwiderte Curtis, ein wenig ärgerlich. »Das ist eben das Aufregende. Er ist der Beste in seinem Geschäft. Er hat nunmehr neunmal in zwei Jahren den Postwagen beraubt. Wer der Kerl auch sein mag, ob's ein Mann ist oder mehrere Männer, jedenfalls ist er der schneidigste Straßenräuber seit den Tagen von Abe Chase.«

Da Abe Chase seinen Namen durch Hunderte von Ueberfällen berühmt gemacht hatte und mit großer Feierlichkeit gehängt worden war, so wollte das schon etwas heißen. Doch Ranson neigte in seiner augenblicklichen Laune zu Pessimismus.

»Einen Postwagen auszurauben, erfordert keinen Mut,« widersprach er.

Curtis und Crosby wieherten förmlich.

»Das sagen Sie!« spottete Curtis.

»Na, es gehört aber tatsächlich kein Mut dazu,« wiederholte Ranson. »'s ist alles nur Bluff. Die Etikette verlangt, daß der Kutscher den Straßenräuber nicht erschießt und daß der Straßenräuber dem Kutscher auf keinen Fall etwas tut, und die Passagiere sind viel zu erschrocken, um sich zu rühren. In dem Augenblick, wo sie einen Mann aus der Nacht auftauchen sehen, werfen sie die Hände in die Höhe. Hoh! Versucht aber wirklich ein Passagier seinen Revolver zu ziehen, so dulden es seine Mitpassagiere schon gar nicht! Jeder meint natürlich, gerade er würde getroffen werden, wenn es zum Schießen käme. Und außerdem kann man ja nicht wissen, wieviele Mithelfer der Straßenräuber hinter sich hat. Nein, ich – –«

Eine Bewegung, die Miß Cahill machte, veranlaßte ihn, plötzlich abzubrechen. Miß Cahill war im Begriff, von ihrem Thron herabzusteigen, denn der Forthändler rief sie aus dem Nebenraum.

»Lightfoots Squaw braucht dich,« sagte er. »Ihr Baby ist kränker geworden. Sie hat nach dir geschickt.«

Miß Cahill griff mit einem Ruf des Mitleids nach ihrem Hut und schlüpfte durch die Büffelfelle.

Ranson stand ebenfalls auf und holte seinen Sombrero. Mit dem Verschwinden von Miß Cahill hatte sich auch sein Interesse an dem Mut des Roten Reiters verflüchtigt.

Crosby wandte sich an den eintretenden Forthändler. »Cahill, Sie wissen doch Bescheid,« sagte er. »Wir sprachen von dem Mann, der der Rote Reiter genannt wird. Dem Straßenräuber mit dem roten Taschentuch. Ranson behauptet, der Mann habe keinen Mut. Das ist doch nicht richtig, nicht wahr?«

»Ich sagte nur, es erfordere keinen Mut, eine Postkutsche anzuhalten und zu berauben,« erklärte Ranson. »Es gehört auch wirklich kein Mut dazu!«

Der Forthändler blieb einen Augenblick stehen und rieb sich nachdenklich die Hände. Für ihn war Reden etwas sehr Ungewöhnliches und Schwieriges. Aber nach einer Weile meinte er:

»Oh, er läuft ein gewisses Risiko.«

»Natürlich tut er das,« rief Crosby. »Er läuft das Risiko, von den Passagieren erschossen zu werden; er läuft das Risiko, daß ein Aufgebot von Verfolgern ihn erwischt und hängt. Das hat dieser Mann neunmal in 24 Monaten riskiert, und es ist ihm jedesmal geglückt. Und ich behaupte, daß dazu Mut gehört!«

»Huh!« begann Ranson, »für fünfzig Dollars – –«

Er hielt inne und wartete, bis Cahill hinausgegangen war. Als die Büffelfelle wieder niedergefallen waren und des Forthändlers Sporen über den festgestampften Lehmboden des Nebenraumes hinklirrten, richtete sich Ranson straff auf und sagte in scharfem, geschäftsmäßigem Ton:

»Für fünfzig Dollars beraube ich die Postkutsche heute nacht – ich selbst!«

Frühere Erfahrungen mit Ransons tollen Launen, ein sonderbarer, unfugverkündender Ausdruck, der in seine Augen kam, und ein gewisses Vibrieren in seiner Stimme veranlaßte die beiden Leutnants, gleichzeitig aufzuspringen.

»Ranson!« schrien sie.

Ranson lachte spöttisch. »Oh, ich langweile mich zu Tode,« rief er. »Was wollen Sie wetten, daß ich es tue?«

Auch er war aufgestanden und lief, ohne eine Antwort abzuwarten, zum Laden hinaus. Bei der offenen Türe stand sein Pferd. Er beugte sich nieder und begann, an den Riemen der Steigbügel zu zerren. Die beiden Offiziere, Angst in den Augen, liefen ihm nach. Laut zu sprechen, wagten sie nicht, war doch Cahill nur zwanzig Schritte entfernt, aber durch Winke und Zeichen baten sie ihn, zurückzukommen. Ranson kam auch sofort, mit vor Aufregung gerötetem Gesicht, lächelnd, in jeder Hand einen lederüberzogenen Armee-Steigbügel haltend.

» Die dürften sie natürlich nicht sehen!« sagte er.

Er warf die Steigbügel hinter eine Reihe von Fässern.

»Ich werde in den Steigbügelriemen reiten!« sagte er.

Er sprach noch immer in dem gleichen, halblauten aber scharfen Ton.

Crosby faßte ihn brutal am Arm. »Nein, Sie tun's nicht!« zischte er. »Kommen Sie her, Ranson! Hören Sie zu: Machen Sie um Himmels willen keine Eselei! Man wird auf Sie schießen, Sie werden getötet werden – –«

»Und vor ein Kriegsgericht gestellt,« keuchte Curtis.

»Sie werden den Rest Ihres Lebens als Gefangener in der Festung Leavenworth zubringen!«

Ranson schüttelte Crosbys Hand von sich ab und rannte hinter den Ladentisch. Bon einem der unteren Regale riß er ein rotes Bandannataschentuch. Von einem andern nahm er hastig einen Poncho, den ärmellosen Gummimantel des Westens, schlüpfte hinein und knöpfte ihn bis an den Hals zu. Dann schnitt er mit der großen Schere, die auf dem Ladentisch lag, zwei Löcher in das rote Taschentuch und befestigte es am Rande seines Sombreros. Wie ein Vorhang fiel es über sein Gesicht. Seine Gestalt verdeckte der Poncho von den Knien bis zum Hals. Sichtbar waren nur seine Augen, lachende Augen, die durch die Löcher in der roten Maske funkelten.

»Hier ist der Rote Reiter!« flüsterte er mit tiefer, verstellter Stimme. »Hände in die Höhe!«

Dann nahm er das rote Taschentuch wieder ab und warf den Poncho über seinen Arm.

»Sehen Sie diese große Schere?« flüsterte er: »Damit werde ich die Postkutsche anhalten. Kein Mensch feuert auf einen Straßenräuber. Sie schreien gleich: Schießt nicht, Herr Reiter; wir zahlen schon. Na, und ich werde sie mit dieser Schere zahlen machen!«

Crosby faßte Curtis am Arm, nervös lachend.

»Kommen Sie mit zu den Ställen! Schnell!« rief er. »Wir jagen mit zwanzig Reitern hinter ihm her, ehe er eine halbe Meile weit gekommen ist,« Er wandte sich mit triumphierendem Kichern an Ranson:

»Sie werden nicht aus unserm Regiment hinausgejagt werden, solange ich es verhindern kann,« rief er.

Da lachte Ranson auf, kurz, häßlich, so wie ein junger Hund über seinem Knochen knurrt.

»Wenn Sie es versuchen, mir zu folgen, Leutnant Crosby, oder mich in irgend einer Weise zu hindern,« sagte er, »so erschieße ich Sie. Sie und Ihre Reiter!«

»Mit der Schere?« höhnte Crosby.

»Nein, mit dem Revolver in meiner Tasche. Hören Sie mir zu. Für eine mit Frauen gefüllte Postkutsche, die ein siebzigjähriger, alter Mann fährt, gebrauche ich diesen Revolver nicht, aber – und das ist mein Ernst – Sie haben sich vor meiner Waffe zu hüten, wenn Sie es versuchen, mich zurückzuhalten. Ich will und werde beweisen, daß jedermann die Passagiere einer Postkutsche bluffen kann – mit einer harmlosen Schere und einer roten Maske als Extradekoration. Und ich erschieße den Mann, der mir dabei in den Weg kommt.«

Ranson sprang zu seinem Pferd und setzte seinen Fuß in die Schleife des baumelnden Steigbügelriemens … Steinchen zerstoben unter Huftritten, polternde Hufschläge erschallten, entfernten sich schnell wie der Wind, und Roß und Reiter waren nur noch ein grauer Fleck im Mondlicht.

Die beiden Leutnants standen unentschlossen da. Crosby fluchte leise aber herzhaft. Curtis lehnte an der Türe und sah in die Nacht hinaus.

»Wird er es tun?« fragte er.

»Natürlich tut er's!«

Curtis kam ins Zimmer zurück und ließ sich in einen Stuhl fallen.

»Und was – was müssen wir tun?« fragte er.

Der Andere gab lange Zeit keine Antwort. Mit zusammengezogenen Brauen ging er auf und ab, auf den Boden starrend. Mit einemmal stieß er einen leisen Ruf des Erschreckens aus, schritt auf den Fußspitzen zur Türe des Nebenraumes und zog den Vorhang zurück. Cahill stand am anderen Ende des Nebenraumes, in einem Winkel, und schaufelte Zucker aus einem Faß.

Crosby atmete auf und setzte sich an den Tisch.

»Die Sache steht so,« flüsterte er, während er sich eine Zigarette rollte. »Gelingt ihm die Geschichte, und er kommt heil zurück, dann – na, dann ist eben alles in schönster Ordnung. Wird er aber verwundet oder gar gefangen genommen, und alles kommt 'raus, dann ist's eben unsere Aufgabe, zu beweisen, daß es nur ein übermütiger Streich von ihm war.«

»Wäre es nicht unsere Pflicht, es sofort zu melden?« fragte Curtis nervös.

»Nein! Natürlich nicht! Will er absolut eine Dummheit machen, so geht das doch uns nichts an. Wenn er nicht erwischt wird, so haben wir nichts gehört und nichts gesehen. Wird er erwischt, so müssen wir zu ihm halten und bezeugen, daß er es einer Wette wegen tat. Sehr gut möglich übrigens, daß alles klappt. Mit der Postkutsche wird niemand erwartet als Miß Post und ihre Tante. Der Kutscher ist ein geriebener, alterfahrener Fuchs, der sich hüten wird, Widerstand zu leisten.«

»Cowboys könnten aber dazu kommen!«

»Das ist Ransons Sache. Der Rote Reiter läuft eben ein gewisses Risiko, wie Cahill sagt.«

»Ich wünschte aber doch, wir könnten irgend etwas bei der Sache tun,« protestierte Curtis aufgeregt. »Müssen wir wirklich still sitzen und einfach abwarten, bis er wiederkommt?«

»Das ist alles,« antwortete Crosby. Im gleichen Augenblick sprang er auf.

»Was ist das?« fragte er.

Ein Trompetensignal erdröhnte in die weiche Frühlingsnacht. Es klang wie Alarm. Draußen auf dem Fußweg wurden die Schritte eines rasch laufenden Mannes hörbar. Ehe noch die Offiziere die Tür erreicht hatten, trat Sergeant Clancey ein und nahm militärische Haltung an.

»Befehl des Obersts!« keuchte er. »Die Leutnants sollen zwanzig Mann von »G« und »H«-Schwadron nehmen und nach Kiowa-City reiten, um den Zahlmeister zu eskortieren.«

»Den Zahlmeister!« rief Crosby. »Der kommt doch erst am Donnerstag.«

»Nein, Leutnant, er hat soeben von Kiowa-City telegraphiert. Er ist früher daran. Will eine Eskorte für das Geld haben. Hat Kiowa-City vor einigen Minuten mit der fahrplanmäßigen Postkutsche verlassen.«

Die beiden Leutnants sprangen auf ihn zu und schrien ihn an:

»In der Postkutsche! Er ist in der Postkutsche?«

Sergeant Clancey sah von einem der Offiziere zum andern. Er verstand ihr Erschrecken falsch und nahm sich als altgedienter Unteroffizier die Freiheit, sie zu beruhigen:

»Sie wissen, Leutnant, daß nichts passieren kann, bis der Postwagen in die Hügelketten einbiegt,« sagte er. »Und dorthin kann die Eskorte noch mit Leichtigkeit vor dem Postwagen kommen. Auf der offenen Prärie hat noch nie ein Ueberfall stattgefunden.« Er hustete und meldete noch gewissenhaft: »Auf Befehl des Obersts ist Galopp zu reiten, Leutnant.«

Als die beiden Offiziere Knie an Knie durch die Nacht ritten, während die Eskorte auf dem schmalen Pfad hinter ihnen herdonnerte, beugte sich Crosby weit aus dem Sattel, zu Curtis hinüber.

»Er hat nur zehn Minuten Vorsprung vor uns,« flüsterte er. »Wir werden ihn sicherlich überholen. Wir müssen ihn überholen. Wir müssen! Tun wir es nicht und er versucht's, Oberst Patten und seine Geldkiste zu berauben, so stirbt er. Zwei Frauen und ein alter Kutscher im Wagen – das ist ein Scherz. Aber ein Indianerkämpfer wie der alte Patten und Onkel Sams Geld, das bedeutet Widerstand bis zum blutigen Ende – für ihn Tod und Schande.«

Er wandte sich wütend im Sattel.

»Aufschließen!« kommandierte er. »Sprechen ist verboten. Schont Eure Lungen, bis ich sie brauche – und reitet, reitet, was die Gäule laufen können!« – –

Als die Offiziere weggingen und Sergeant Clancey ihnen zu den Ställen nacheilte, trat der Forthändler in den Kasinoraum und verriegelte die Türe, die sie in der Eile offen gelassen hatten. Während er dies tat, hätte ein scharfer Beobachter feststellen können, daß er, trotzdem seine Bewegungen rasch und eilig waren, nicht das geringste verräterische Geräusch machte. Nicht einmal seine Sporen klirrten. Aus einem Winkel zog er einen schweren Sattel hervor, warf ihn auf den Ladentisch und schnallte hastig die Steigbügel ab, die er mit verdächtiger Sorgfalt auf dem höchsten Regal des Ladens versteckte. Aus einem andern Fach holte er einen Gummiponcho und ein rotes Taschentuch. Einen Augenblick lang horchte der Forthändler, während er die Tür aufriegelte, und warf einen raschen Blick um sich. Dann schlug er die Türe zu und Schweigen herrschte.

Eine Minute später donnerte in die Stille hinein das Holtergepolter eines galoppierenden Pferdes, das den Saumpfad entlang nach Kiowa-City jagte.


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