Max Dauthendey
Raubmenschen
Max Dauthendey

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Rennewart

Rennewart war ein Mann, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts und noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine gewichtige Rollen an allen europäischen Fürstenhöfen spielte – man könnte ihn eine europäische Geheimgröße nennen.

Rennewart war jahrelang von Hof zu Hof gesandt, von Staatsmann zu Staatsmann, und er hielt das intime Netz der Privatverbindungen höchster Kreise in seiner Hand. Bismarck nennt ihn unter verschiedenen Namen in seinen Memoiren. Mir wurde er zufällig unter dem Pseudonym »Rennewart« bekannt.

Kein schriftstellernder Europäer war in die damaligen europäischen Zustände so eingeweiht wie Rennewart, keinem seiner schreibenden Zeitgenossen wurde Europa durch sein Schicksal so von allen Seiten beleuchtet wie ihm.

»Man kann nicht bloß hellsehend, sondern auch hellhörend sein«, sagte er, als er in Mexiko weilte und zum erstenmal vom Kontinent Europa durch ein Weltmeer getrennt war und sich dort in eine Mexikanerin verliebte, deren Stimme er reden hörte, auch wenn sie schwieg und ihn küßte. In Mexiko und in der Liebe zu dieser Ausländerin, zu einer Fremden aus einer fremden Rasse und einem fremden Erdteil, entdeckte Rennewart zum erstenmal den Europäer in sich, und er gewann jenseits des Atlant, getrennt von »Mutter Europa«, zum erstenmal einen Überblick über den alten Heimatkontinent.

»Raubmenschen«, dieser erste seiner Romane handelt von der Zuneigung und Leidenschaft zu drei Frauen, deren Seelen ihm auf der mexikanischen Reise nacheinander vertraut werden.

Rennewart, der die europäischen Höfe gut und gemütlich kannte, wie ein starker Raucher seine verschiedenen Pfeifen, er, der allen Großen und allem Großen seiner Zeit begegnet war und nicht bloß den Ideen, sondern auch allem Lebendigen tief nachgefühlt hatte –dieser Mann war außerhalb der Hofkreise und außerhalb der Kabinette Europas so gut wie gar nicht bekannt. Nie ist er im Volke genannt worden, nie im Volke gesehen oder gefühlt worden. Er reiste in den europäischen und außereuropäischen Ländern wie ein Unsichtbarer, stets darauf bedacht, seine Person unansehnlich und unauffällig zu machen. Es war mir besonders interessant, aus seinen Briefen und seinen Schriften festzustellen, daß von allen Frauen, die ihm nahestanden, nicht eine jemals den wahren Begriff von seinem diplomatischen Beruf erhielt, noch Einblick in seine Geheimnisse bekam.

Die Frauen der Welt hielten ihn für einen Weltbummler, für einen Lebemann. Einigen galt er als fabelhaft reich, anderen als Bankrotteur oder Hasardspieler. Den ernstesten unter den Frauen galt er höchstens als ein Privatgelehrter oder als ein künstlerischer Schwärmer.

Er selbst gab sich auf seinen Geheimreisen am liebsten als Mitglied irgendeiner geographischen Gesellschaft aus, der Berliner oder der Londoner, in deren Auftrag er unterwegs zu sein vorgab, was ihm, wie mir scheint, auch blindlings geglaubt wurde. Auch gab er manchmal vor, im Auftrage eines Museums zu reisen, um in irgendeiner Welthauptstadt ein Gemälde zu besichtigen, mit dessen Ankauf sich das betreffende Museum augenblicklich befasse. Rennewart war, wie es die Zeitrichtung damals mit sich brachte, auch künstlerisch vielseitig interessiert und stand in persönlichem Verkehr mit den größten Künstlern seiner Tage.

Es ist erstaunlich, aus den aufgezeichneten Romanen zu ersehen, wieviel Zeit der sehr ernste junge Diplomat neben seinen hohen Tagesaufgaben noch seinen Herzensleidenschaften einräumte. Ähnlich erstaunlich, wie daß der große Maler Rubens, welcher Gesandter und Diplomat war, mit seinem künstlerischen Nachlaß viele Museumssäle anfüllen konnte. Wen man alles drucken wollte, was Rennewart an vertraulichen Erlebnissen aufgezeichnet hat, könnte man eine kleine Bibliothek füllen.

Von Rennewarts Betrachtungen über Europa, die ab und zu den Faden der romantischen Begebenheiten interessiert unterbrechen, habe ich einige mit in die Romane aufgenommen. Gerade diese Europaüberblicke, sagte ich mir, zeigen ihn, den Völkerkenner, und diese Beobachtungen und Vergleiche sind sozusagen der massive Rahmen um jene romantischen Begegnungen und Abenteuer, mit denen Rennewart von seinem Schicksal so reichlich versorgt wurde.

Ich schrieb diese Einführung, um Rennewart dem Leser vorzustellen, da er sich in seinem Roman nicht selbst vorstellt, sondern dort nur als fertiger Weltbetrachter und Welterleber auftritt.

»Man muß sich von vornherein gegen alles wehren, auch gegen Schwerter, die noch in der Scheide stecken, gegen Kugeln, die noch nicht gegossen sind, und gegen Verräter, die erst noch geboren werden«, behauptet Rennewart einmal in einem seiner Romane.


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