Alphonse Daudet
Der Nabob. Band 2
Alphonse Daudet

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Sechzehntes Kapitel.

Eine politische Persönlichkeit.

Die lichte Wärme eines klaren Mainachmittages strahlte eine Treibhausglut durch die hohen Bogenfester des Hotels Mora, deren blauseidene Vorhänge weithin auf den langen Terrassen sichtbar waren, auf denen exotische Pflanzen, heute zum erstenmal in dieser Saison aus dem Warmhause herausgebracht, in Rabatten den ganzen Quai entlang liefen. Die großen Rechen ließen auf den Sandwegen zwischen den Gebüschen des Gartens die zarte Fußspur des Sommers zurück, während man in dem Geräusch der sprühenden Brausen auf dem Grün des Rasens sein erfrischendes Lied vernahm.

Der ganze Luxus der fürstlichen Residenz kam bei der herrlichen Witterung zur völligen Geltung, eine grandiose Pracht, die noch durch die Ruhe und das Schweigen dieser mittäglichen Stunde erhöht wurde, die einzige, in der man nicht das Rollen der Wagen unter den Thorgewölben, das Auf- und Zuschlagen der großen Vorzimmerthüren und die fortwährende Bewegung vernahm, die das Ziehen der Glocke bei der Ankunft oder Abfahrt verursachte. Es war bekannt, daß der Herzog bis um drei Uhr im Ministerium Audienz erteilte, und daß die Herzogin, eine Schwedin, noch halb erstarrt von der Kälte ihrer Heimat, kaum von ihrem Schlafsofa sich erhob, auch kam um diese Zeit niemand, weder Besucher noch Bittsteller, und die Kammerdiener, die wie die Flamingos auf den Stufen der verlassenen Freitreppe hockten, waren die einzigen, welche dieselbe durch den dürren Schatten ihrer langen Beine und die gähnende Langeweile ihres Müßigganges belebten.

Ausnahmsweise hielt heute jedoch das kastanienbraune Coupé des Doktor Jenkins in einer Ecke des Hofes. Der Herzog, welcher seit dem vorhergehenden Abend unwohl war, hatte sich nach Tische noch schlechter gefühlt und sofort den Perlenmann kommen lassen, um ihn über seinen eigentümlichen Zustand zu konsultieren. Keine Spur von Schmerz, Schlaf und Appetitlosigkeit wie sonst, nur eine unglaubliche Schlaffheit und ein entsetzliches, durch nichts zu verscheuchendes Frösteln war es, was ihn quälte. So zitterte der Herzog z. B. in diesem Augenblicke, trotz der herrlichen Frühlingssonne, die das Gemach erfüllte und das wie mitten im Winter prasselnde Kaminfeuer erblassen ließ, in seinem blauen Pelzrock und umgeben von kleinen Windschirmen vor Kälte, und indem er seine Unterschrift auf einem niedrigen, goldlackierten Tische, welcher so nahe bei dem Feuer stand, daß der Firnis abblätterte, vollzog und einem Attaché übergab, streckte er jeden Augenblick seine erstarrten Finger nach dem Feuer, das sie fast versengte, ohne in die abgestorbene Starrheit derselben Leben zu bringen.

Ob wohl die Unruhe des Herrn Jenkins durch dies Unwohlsein seines vornehmen Klienten hervorgerufen war? Jedenfalls erschien Jenkins nervös und aufgeregt, durchmaß das Zimmer mit großen Schritten, hierhin und dorthin spürend und witternd, in der Luft nach etwas haschend, was er wahrzunehmen glaubte, etwas Unmerkliches, Ungreifbares, wie den Duft eines Parfüms oder die unsichtbare Spur eines vorüberfliegenden Vogels. Man hörte das Knistern des Holzes im Kamin, das Rascheln von in der Eile durchblätterten Papieren, die müde Stimme des Herzogs, der mit einem kurzen und treffenden Worte die Antwort auf einen vier Seiten langen Brief diktierte, und die ehrfurchtsvollen kurzen Entgegnungen des Attachés: »Ja, Excellenz . . . nein, Excellenz«, darauf das Knarren einer schweren, widerspenstigen Feder. Draußen zwitscherten lustig die Schwalben über dem Wasser und von der Brücke her ertönte eine Klarinette.

»Es ist mir nicht möglich,« sagte, plötzlich sich erhebend, der Minister. »Nehmen Sie das mit und kommen Sie morgen wieder . . . ich kann nicht schreiben, mich fröstelt zu sehr. . . . Hier, Doktor, fühlen Sie einmal meine Hände, sollte man nicht glauben, daß sie aus einem Kübel mit Eiswasser gezogen wären? . . . Seit zwei Tagen bin ich am ganzen Körper so kalt . . . klingt das nicht unglaublich bei dem jetzigen herrlichen Wetter?«

»Das wundert mich nicht . . .« sagte der Irländer in einem brummigen, kurz angebundenen Tone, der mit seinem sonstigen süßlichen Benehmen in Widerspruch stand.

Inzwischen hatte sich die Thür hinter dem jungen Attaché geschlossen, der mit majestätischer Grandezza seine Papiere zusammengerafft hatte und überglücklich zu sein schien, seines Dienstes entledigt zu sein und vor seiner Rückkehr auf das Ministerium eine oder zwei Stunden in dem Tuileriengarten umherschweifen zu können, der mit reizenden jungen Damen in Frühlingstoiletten besetzt war, die unter den blühenden Kastanienbäumen, der Musik harrend, saßen. Der Attaché wenigstens war nicht vor Frost erstarrt . . .

Jenkins untersuchte, auskultierte und perkutierte seinen Patienten, ohne ein Wort zu sprechen, und sagte dann mit demselben brutalen Tone, der zur Not in seiner beängstigten Fürsorge und in dem Unwillen des Arztes, der seine Verordnungen mißachtet sieht, seine Erklärung finden mochte: »Aber mein lieber Herzog, was für ein Leben führen Sie denn in der letzten Zeit?«

Er wußte aus den Vorzimmerklatschereien – denn bei seinen vertrauten Klienten verschmähte der Doktor diese Quelle nicht – daß der Herzog eine neue Liaison habe, daß diese Laune neuesten Datums ihn ganz in Anspruch nahm und in einer ungewöhnlichen Weise aufrege. Und diese Kunde in Verbindung mit anderweitig gemachten Wahrnehmungen hatte ihm einen Verdacht eingeflößt, ein unsinniges Verlangen, den Namen dieser neuen Bekanntschaft in Erfahrung zu bringen. Das war es nun, was er auf der bleichen Stirn seines Patienten zu ergründen suchte, indem er sich weit mehr bemühte, die Richtung seiner Gedanken, als den Grund seiner Krankheit zu erforschen. Aber er hatte es mit einem dieser Gesichter aus der Gesellschaft zu thun, die ebenso hermetisch verschlossen sind, wie die geheimen Schubfächer, in welchen sich Schmucksachen oder Liebesbriefe befinden, eins dieser undurchdringlichen Gesichter mit kaltem, blauem Blick, einem Blick, wie von Stahl, vor welchem auch der geriebenste Scharfsinn zu schanden wird.

»Sie irren sich, Doktor,« antwortete Seine Excellenz unbefangen. »Ich habe an meinen Gewohnheiten nichts geändert.«

»Nun wohl, Herr Herzog, Sie haben unrecht daran gethan,« erwiderte der Irländer, darüber erbost, nichts entdecken zu können, in schroffem Tone.

Aber gleich darauf, weil er wohl merken mochte, daß er zu weit gegangen, verdünnte er seine üble Laune, den Ernst seiner Diagnose durch eine Brühe von handwerksmäßigen Ratschlägen. Man müsse sich wohl in acht nehmen, die ärztliche Kunst sei keine Zauberei. Die Kraft der Jenkins-Perlen finde ihre Begrenzung in den menschlichen Kräften, in den Beschwerden des Alters, in den Hilfsquellen der Natur, die ja leider auch nicht unerschöpflich seien. Der Herzog unterbrach ihn in einem erregten Tone: »Aber, Jenkins, Sie wissen doch ganz wohl, daß ich kein Freund von Phrasen bin. Das ist also nicht der Grund meines Unwohlseins. Was fehlt mir? Woher kommt dieser Frost?«

»Sie sind blutleer, erschöpft. Das Oel in der Lampe ist gesunken.«

»Aber, was ist denn dagegen zu thun?«

»Nichts. Absolute Ruhe, Essen, schlafen, weiter nichts. Wenn Sie einige Wochen im Bade zubringen könnten.«

Mora zuckte die Achseln: »Und die Kammer, der Ministerrat! Gehen Sie! Ist daran zu denken?«

»Auf alle Fälle, Herr Herzog, müssen Sie den Radschuh einlegen, wie Ihnen der andre sagte, absolut verzichten auf –«

Jenkins wurde durch den Eintritt des dienstthuenden Kammerdieners unterbrochen, welcher auf den Fußspitzen, wie ein Tanzmeister, dem Staatsminister, der noch immer fröstelnd vor dem Feuer saß, einen Brief und eine Karte überbrachte. Als der Irländer das Couvert von grauem Atlaspapier und origineller Form erblickte, zuckte er unwillkürlich zusammen, während der Herzog, nachdem er den Brief geöffnet und durchgelesen hatte, sich mit den Rosen einer künstlich erzeugten Gesundheit auf den Wangen erhob, welche alle Kohlenglut nicht zu stande zu bringen vermocht hatte,

»Mein lieber Doktor, ich muß um jeden Preis. . . .«

Der Kammerdiener stand und wartete.

»Was gibt's? Ach ja, diese Karte. . . . Lassen Sie den Herrn in die Galerie eintreten. Ich komme gleich.«

Die Galerie des Herzogs von Mora, die dem öffentlichen Besuch zweimal wöchentlich offenstand, war für ihn ein neutrales Gebiet, wo er, wen er wollte, sehen konnte, ohne sich zu binden oder zu kompromittieren.

Nachdem der Kammerdiener gegangen, sagte der Herzog: »Mein lieber Jenkins, Sie haben schon Wunder für mich gethan, ich bitte Sie noch um eins. Verdoppeln Sie die Dosis meiner Perlen, ersinnen Sie irgend etwas. . . . Aber zum Sonntag muß ich ganz wohlauf sein, hören Sie, ganz wohlauf.«

Und seine schmalen fieberischen Hände umklammerten krampfhaft den kleinen Brief.

»Nehmen Sie sich in acht, Herr Herzog,« sagte Jenkins mit blassen, zusammengepreßten Lippen, »ich möchte Sie nicht unnötig wegen Ihres Zustandes ängstigen, aber es ist meine Pflicht . . .«

Mora hatte hierauf nur ein hochmütiges Lächeln: »Ihre Pflicht und mein Vergnügen sind zwei verschiedene Dinge, mein Bester. Lassen Sie mich die Freuden des Lebens auskosten, wie es mir gefällt. Ich habe nie eine so gute Gelegenheit gehabt.«

Er zuckte zusammen.

»Die Herzogin . . .«

Eine kleine Tapetenthür hatte sich in diesem Augenblicke aufgethan und ein kleiner blonder Krauskopf, welcher ganz in duftige Spitzen und Rüschen eines prachtvollen Negligés gehüllt war, kam zum Vorschein.

»Was höre ich? Sie sind nicht ausgegangen? Doktor, schelten Sie doch! Ist es nicht unrecht, sich so nachzugeben? Sehen Sie ihn einmal an. Welch blühendes Aussehen!«

»Nun, da sehen Sie ja,« sagte lächelnd der Herzog zu dem Irländer. »Wollen Sie nicht eintreten, Herzogin?«

»Nein, im Gegenteil, ich will Sie abholen. Mein Onkel hat mir ein Vogelbauer mit ausländischen Vögeln geschickt, die ich Ihnen zeigen möchte. Prachtvolle Exemplare in allen Farben, mit kleinen kohlschwarzen Augen, ach, und so frostig, beinahe so frostig wie Sie.«

»Das müssen wir sehen,« sagte der Minister.

»Warten Sie auf mich, Jenkins, ich komme gleich wieder.«

Nun erst bemerkte er, daß er noch immer den Brief in der Hand hielt, warf ihn nachlässig in die Schieblade seines kleinen Schreibtisches und folgte der Herzogin, eine Kaltblütigkeit an den Tag legend, wie sie einem an solche Manöver gewöhnten Ehemanne geziemt.

Welch wunderbarer Künstler hat dem menschlichen Antlitz diese Verstellungskunst, diese außerordentliche Elasticität verliehen? Nichts war wunderbarer als dieser Anblick eines Großen der Erde, der überrascht wurde mit dem Bekenntnis des Ehebruchs auf den Lippen, mit Wangen, welche die Aussicht verheißener verbotener Freuden höher färbte, und welcher dem Anschein nach in demselben Augenblicke in der ehelichen Zuneigung die vollste Befriedigung empfand. Ebenso merkwürdig war es, Jenkins, mit seinem väterlichen Lächeln à la Franklin, in Gegenwart der Herzogin zu sehen, ein Lächeln, welches plötzlich, sobald er allein war, einem wilden Ausdruck von Wut und Haß wich, einer verbrecherischen Blässe, der Blässe eines Castaing oder Lapommerais, welcher über seinen düsteren Verrat brütet. Ein rascher Blick auf beide Thüren, und ebenso rasch stand er vor der Schublade, welche mit wichtigen Papieren angefüllt war, und in deren Schloß der goldne Schlüssel stets stecken blieb, mit einer unverschämten Nachlässigkeit, welche zu sagen schien: Man wird es nicht wagen.

Jenkins wagte es dennoch.

Der Brief lag da auf einem Haufen andrer. Das feine Papier, drei Worte als Adresse in einer einfachen, kühnen Handschrift und dann das Parfüm, dieser berauschende Duft, der Atem ihres göttlichen Mundes. . . . Es war also wahr, seine eifersüchtige Liebe hatte ihn nicht getäuscht, ebensowenig wie die Zurückhaltung, die man sich in seiner Gegenwart auferlegte, ebensowenig wie die geheimnisvolle Miene, welche Konstanze anzunehmen beliebte, und die prachtvollen Blumenbouquets, welche im Atelier zu blühen schienen, gleichwie im Schatten einer Schuld. . . . Also dieser unbezwingliche Stolz hatte sich ergeben? Warum denn nicht ihm? Ihm, der sie so lange liebte und immer geliebt hatte, der noch dazu zehn Jahre jünger war, als der andre, und wahrlich, ihn fror nicht! Alle diese Gedanken zermarterten sein Gehirn. Und da stand er, niedergeschmettert, und sah mit blutunterlaufenen Augen auf das kleine graue Couvert, welches er nicht zu öffnen wagte, aus Furcht, sich den letzten Zweifel zu rauben, als das Rauschen einer Portiere ihm das Nahen einer Person verkündete und ihn veranlaßte, rasch den Brief an seinen Platz zu werfen und die vorzüglich passende Schieblade des Lacktisches zu schließen.

»Sie hier, Jansoulet! Wie kommen denn Sie hier herein?«

»Seine Excellenz haben mich geheißen, ihn in seinem Zimmer zu erwarten,« antwortete der Nabob, sehr stolz, so in die innersten Gemächer eingeführt zu sein, besonders zu einer Stunde, in welcher sonst kein Besuch empfangen wurde.

In Wahrheit fing nämlich der Herzog an, eine aufrichtige Sympathie für diesen Halbwilden zu empfinden. Und das aus verschiedenen Gründen: Erstens liebte er die Verwegenen, die Abenteurer, denen ein guter Stern leuchtet. War er nicht selbst ein solcher? Und dann amüsierte ihn der Nabob: sein Accent, sein ungeschlachtes Benehmen, seine etwas täppische und plumpe Art zu schmeicheln war für ihn eine Abwechselung von dem ewigen Einerlei seiner Umgebung, von dieser in der hohen Verwaltung und bei Hofe eingewurzelten und von ihm so gründlich verabscheuten Plage, – der Phrase, die er so sehr verabscheute, daß er nie den begonnenen Satz beendigte. Der Nabob hingegen hatte eine wunderbare Art, seine Sätze oft in so überraschender Weise zu Ende zu bringen; dazu war er ein sehr angenehmer Spieler und verlor, ohne eine Miene zu verziehen, eine Partie Ecarté zu fünftausend Franken im Klub der Rue Royale. Und wie bequem konnte man bei ihm sich eines Bildes entledigen, er war immer bereit, es zu kaufen, einerlei zu welchem Preise. Zu diesen Gründen für die herablassende Zuneigung des Herzogs hatte sich noch in letzter Zeit ein Gefühl des Mitleids und der Empörung gesellt, hervorgerufen durch die Beharrlichkeit, mit welcher man den Unglücklichen zu verfolgen bemüht war, und zwar durch einen feigen, unbarmherzigen Krieg, welcher so gut geführt wurde, daß die leichtgläubige öffentliche Meinung, welche immer bereit ist, sich nach dem Winde zu drehen, schon anfing, sich ernstlich beeinflussen zu lassen. Man mußte dem Herzog die Gerechtigkeit angedeihen lassen, daß er kein blinder Anbeter der Menge war. Als er in einem Winkel der Galerie die immer gutmütig lächelnde, aber etwas klägliche und gedrückte Gestalt des Nabob erblickte, hatte er es nicht über sich gewinnen können, ihn dort zu empfangen, und ihn deshalb aufgefordert, in sein Zimmer einzutreten.

Jenkins und Jansoulet, welche sich ziemlich verlegen gegenübersaßen, wechselten einige gleichgültige Worte, Ihre heiße Freundschaft war seit einiger Zeit recht abgekühlt, denn Jansoulet hatte kurzweg jeden neuen Zuschuß für die bethlehemitische Stiftung abgelehnt, so daß nun diese Angelegenheit auf Jenkins allein zurückgefallen war, welcher natürlich sehr ungehalten darüber war, in diesem Augenblick aber noch viel erboster über den Eindringling, welcher ihn verhindert hatte, Felicias Brief zu öffnen. Der Nabob hingegen erwog bei sich, ob der Doktor der Unterhaltung beiwohnen werde, welche er mit dem Herzog bezüglich der infamen Verleumdungen, mit welchen der »Messager« ihn verfolgte, zu haben wünschte, und voller Besorgnis fragte er sich, ob nicht etwa diese Verleumdungen die wohlwollende Gesinnung des Herzogs, welche ihm in dem Augenblicke der Prüfung seiner Wahl so notwendig ward, abgekühlt hätten. Der ihm in der Galerie zu teil gewordene Empfang hatte ihn halb und halb beruhigt; ganz sicher aber fühlte er sich, als der Herzog bei seinem Wiedereintritt ihm mit ausgestreckter Hand entgegenkam: »Nun, mein lieber Jansoulet, es scheint, daß Ihnen der Empfang in Paris teuer zu stehen kommt. Was sind das für Ausbrüche von Haß und Wut!«

»Ach, Herr Herzog, wenn Sie wüßten . . .«

»Ich weiß, ich habe alles gelesen,« sagte der Minister, sich dem Kamine nähernd.

»Ich hoffe, daß Ew. Excellenz diesen Verleumdungen keinen Glauben schenken. Uebrigens habe ich hier . . . ich habe die Beweise mitgebracht.«

Und mit seinen behaarten, vor Bewegung zitternden Händen suchte er in den Papieren umher, welche er in einer großen ledernen Mappe unter dem Arme hielt.

»Lassen Sie nur. . . . Ich bin von allem unterrichtet. . . . Ich weiß, daß man Sie, sei es mit oder ohne Absicht, mit einer andern Person verwechselt, daß gewisse Familienrücksichten . . .«

Der Herzog konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er die Verwunderung des Nabob gewahrte, welcher ganz verdutzt war, den Herzog so genau von allem unterrichtet zu sehen.

»Ein Staatsminister muß alles wissen. . . . Aber beruhigen Sie sich. Ihre Wahl wird dennoch bestätigt werden, und wenn das geschehen ist . . .«

Jansoulet atmete erleichtert auf: »Ach! Herr Herzog, wenn Sie wüßten, wie sehr Ihre Worte mir wohlthun. Ich fing schon an, alles Vertrauen zu verlieren. . . . Meine Feinde sind so mächtig. . . . Dabei habe ich noch ein besondres Mißgeschick. Denken Sie nur, daß Le Merquier beauftragt ist, den Bericht über meine Wahl zu erstatten.«

»Le Merquier! Teufel auch.«

»Ja, Le Merquier, der Sachwalter Hemerlingues, dieser schändliche Heuchler, welcher die Bekehrung der Baronin veranlaßt hat, wahrscheinlich, weil seine Religion ihm nicht erlaubte, eine Muselmännin zur Maitresse zu haben.«

»Na, na, mein lieber Jansoulet. . . .«

»Verzeihen Sie, Herr Herzog, die Wut übermannt mich. . . . Seit acht Tagen hätte die Prüfung erfolgen sollen, und absichtlich wird die Sitzung hinausgeschoben, weil man weiß, in welcher fürchterlichen Lage ich mich befinde. Mein ganzes Vermögen unter Sequester, und der Bey wartet nur die Entscheidung der Kammer ab, um zu wissen, ob er mich ausplündern kann oder nicht. . . . Ich habe achtzig Millionen da drüben, Herr Herzog, und hier fange ich an, die Zunge herauszuhängen. . . . Wenn das noch lange dauert . . .«

Er trocknete sich die großen Schweißtropfen ab, die ihm über die Stirn liefen.

»Wohlan denn! Ich nehme diese Frage der Wahlprüfung auf mich,« sagte der Minister mit großer Lebhaftigkeit. . . . »Ich werde an Dingsda schreiben, damit er sich mit seinem Berichte beeilt; und wenn ich mich in die Sitzung tragen lassen müßte. . . .«

»Sind Ew. Excellenz leidend?« fragte Jansoulet in teilnehmendem Tone, der wahrlich nicht erheuchelt war.

»Nein . . . eine kleine Schwäche . . . es fehlt mir an Blut, aber Jenkins wird dafür sorgen. . . . Nicht wahr, Jenkins?«

Der Irländer, welcher anscheinend nicht zuhörte, machte eine nichtssagende Bewegung.

»Alle Wetter! Und ich, der ich zu viel Blut habe . . .« Bei diesen Worten lüftete der Nabob seine Krawatte um seinen aufgedunsenen Hals, der durch die Erregung und die im Zimmer herrschende Hitze ein nahezu schlagflüssiges Aussehen erhalten hatte. »Könnte ich Ihnen doch von meinem Blute abgeben, Herr Herzog.«

»Das würde ein Glück für uns beide sein,« erwiderte der Herzog in einem Anfluge von Ironie. »Namentlich für Sie, der Sie ein Brausekopf sind, und dem im gegenwärtigen Augenblicke Besonnenheit so not thut. Nehmen Sie sich in dieser Beziehung in acht. Hüten Sie sich vor Zornesausbrüchen, zu denen man Sie so gern treiben mochte. . . . Halten Sie sich immer gegenwärtig, daß Sie ein Politiker sind, daß Sie auf einem erhöhten Standpunkt stehen, und daß man alle Ihre Bewegungen beobachtet. Die Zeitungen schmähen Sie, lesen Sie dieselben nicht, wenn Sie die Ihnen dadurch verursachte Erregung nicht zu bemeistern vermögen. . . . Machen Sie es nicht so, wie ich es mit meinem Blinden vom Pont de la Concorde gemacht habe, diesem entsetzlichen Klarinettenspieler, der mir das Leben verbittert, indem er seit zehn Jahren mir die Arie: ›Von deinen Kindern, Norma . . .‹ herleiert. Ich habe alles versucht, um ihn von dort zu vertreiben, Geld, Drohungen. Nichts hat angeschlagen. . . . Die Polizei? . . . Ja, warum nicht gar. . . . Bei unsern modernen Ideen wäre es eine Staatsaktion, einen Blinden von seinem Standpunkte zu vertreiben. . . . Die Presse der Opposition würde die Sache vor ihr Forum ziehen, die Pariser würden daraus eine ganze Fabel machen. . . . Der Flickschuster und die Geldprotze. . . . Der Herzog und der Klarinettenspieler. . . . Ich muß mich wohl oder übel fügen. . . . Uebrigens bin ich selbst schuld daran. Ich hätte diesem Menschen nicht zeigen sollen, daß er mich ärgerte. . . . Ich halte mich fest davon überzeugt, daß mein Verdruß jetzt die Hälfte seines Lebens ausmacht. Jeden Morgen verläßt er mit seinem Hunde, seinem Klappstuhle und seinem Marterinstrumente seine Höhle und sagt zu sich selbst: Nun wollen wir einmal wieder den Herzog von Mora ärgern. Und keinen Tag laßt er es daran fehlen, der Elende. . . . Sehen Sie, wenn ich das Fenster nur halbwegs öffnete, so würden Sie diese Sündflut von quiekenden Tönen trotz des Geräusches des Wassers und der Wagen hören können. . . . Nun wohl, dieser Skribent vom ›Messager‹, das ist eben Ihre Klarinette. . . . Wenn Sie ihn merken lassen, daß seine Musik Sie verdrießt, so hört er erst recht nie auf. . . . Uebrigens, verehrter Herr Abgeordneter, erinnere ich Sie daran, daß Sie um drei Uhr Kommissionssitzung haben, und ich empfehle Ihnen daher, sich schleunigst nach der Kammer zu begeben.«

Sich dann an Jenkins wendend, sagte der Herzog: »Sie wissen, um was ich Sie gebeten habe, Doktor. . . . Perlen für übermorgen und zwar in kräftigen Dosen! . . .«

Jenkins erbebte und schüttelte sich, wie aus einem Traume auffahrend: »Das ist abgemacht, mein lieber Herzog, Sie sollen Kraft erhalten, sage ich Ihnen. . . . Kraft genug, um den großen Derbypreis zu erringen.«

Er grüßte und entfernte sich mit einem Lächeln, mit dem Lächeln eines Wolfes, der die Zähne fletscht. Der Nabob nahm gleichfalls mit dankerfülltem Herzen Abschied, ohne indessen diesem Skeptiker, dem alle Gemütsbewegung ein Greuel war, von diesem Gefühle etwas zu verraten. Und der Staatsminister, der, vor dem in hellen Flammen flackernden Feuer stehend, in einer, durch die helle Sonne eines Maitages noch erhöhten Temperatur allein zurückgeblieben war, begann aufs neue zu schnattern und zwar in einem solchen Grade zu schnattern, daß der Brief von Felicia, den er mit seinen blassen Fingern öffnete und in verliebtem Eifer durchlas, wie ein Seidenstoff raschelnd in seiner Hand zitterte.

Es ist eine eigentümliche Lage, in welcher sich ein Abgeordneter befindet während der Zeit, welche seiner Wahl folgt und die, wie man im parlamentarischen Jargon sagt, der Prüfung des Mandates vorangeht. Dieselbe hat etwas Aehnlichkeit mit derjenigen eines Neuvermählten während der vierundzwanzig Stunden, welche zwischen der Civiltrauung und der kirchlichen Feier liegen. Rechte, von denen man keinen Gebrauch machen kann, ein halbes Glück, eine halbe Befugnis, die Schwierigkeit, sich innerhalb gewisser Grenzen zu halten, nicht Fisch noch Fleisch zu sein. Man ist verheiratet, ohne es zu sein, Abgeordneter, ohne die Gewißheit, es zu bleiben, nur mit dem Unterschiede, daß für einen Abgeordneten die Ungewißheit Tage, ja sogar Wochen dauern kann, und je länger dieselbe anhält, desto problematischer die Aussicht auf Bestätigung wird. Es ist eine wahre Qual für den Unglücklichen, welcher genötigt ist, so zu sagen zur Probe den Sitzungen der Kammer beizuwohnen, einen Platz einzunehmen, welchen er vielleicht nicht behaupten wird, Debatten beizuwohnen, deren Ausgang ihm fremd bleiben kann, seinen Augen und Ohren den entzückenden Eindruck der parlamentarischen Sitzungen, mit ihrem Meer von Glatzköpfen und schlagflüssigen Physiognomieen einzuprägen, mit ihrem Geräusch von zerknittertem Papier, dem Rufen der Saalwärter, dem Trommeln der Papiermesser auf den Tischen, den Privatgesprächen, von deren ununterbrochener Begleitung sich die Stimme des Redners als donnerndes oder zaghaftes Solo abhebt.

Diese an und für sich schon so peinliche Situation verschlimmerte sich noch für den Nabob durch die zuerst nur geflüsterten, jetzt aber gedruckten Verleumdungen, welche, in Tausenden von Exemplaren verbreitet, zur Folge hatten, daß seine Kollegen ihn absichtlich mieden. Die ersten Tage ging er in den Wandelgängen, der Bibliothek, der Restauration, dem Sitzungssaals aus und ein, wie die übrigen, ja es machte ihm große Freude, seinen Fuß in jede Ecke dieses majestätischen Labyrinthes zu setzen. Da er jedoch den meisten unbekannt war, von einigen Mitgliedern des Klubs der Rue Royale gemieden und verleugnet, von der klerikalen Fraktion, deren Haupt Le Merquier war, gehaßt wurde, und da sich diesem Hasse die finanzielle Welt anschloß, welche diesen Millionär, der so vielen Einfluß auf die Fluktuationen der Fondsbörse hatte, verabscheute, so wurde seine Einsamkeit durch dieses Herumirren nur noch merklicher und die Feindschaft folgte ihm überallhin.

Seine Bewegungen, sein Auftreten hatten infolgedessen etwas Gedrücktes, eine Art zurückhaltenden Mißtrauens. Er fühlte sich beobachtet. Wenn er in die Restauration eintrat, in diesen geräumigen, hellen Saal, der auf den Garten des Präsidenten der Kammer hinausgeht, und in welchem er sich so außerordentlich wohl fühlte, weil vor dem mit Getränken und Eßwaren beladenen Buffett die Abgeordneten etwas von ihren feierlich ernsten Mienen einbüßten, die Würde der Gesetzgeber, durch die Bedürfnisse der Natur zur Natur zurückgerufen, sich mehr und mehr gehen ließ, so wußte er, daß am folgenden Tage eine höhnende und beleidigende Notiz in dem »Messager« erscheinen würde, in welcher er seinen Wählern als ein elender Trunkenbold dargestellt wurde.

Keine geringere Qual bereiteten ihm seine schrecklichen Wähler.

Sie kamen scharenweise an, überschwemmten die Vorhalle, stürmten wie kleine schwarze Rehböcke in allen Richtungen auf und nieder, riefen sich von einem Ende des weithallenden Saales zum andern bei Namen, sogen mit Entzücken die sie umgebende Regierungsluft ein, warfen den vorübergehenden Ministern liebevolle Blicke nach, indem sie ihnen schnüffelnd Schritt für Schritt folgten, als hofften sie, daß aus den verehrungswürdigen Taschen, aus den gefüllten Portefeuilles ein kleines Aemtchen für sie herausfallen werde. Vor allem aber bestürmten sie Herrn Jansoulet mit so vielen anspruchsvollen Petitionen, Reklamationen und Auseinandersetzungen, daß derselbe, um sich von diesem gestikulierenden, lärmenden Haufen, der die Aufmerksamkeit aller auf sich zog und ihn zum Erwählten eines wilden Stammes inmitten eines civilisierten Volkes zu stempeln schien, zu befreien, mit flehendem Blick sich an einen der diensttuenden Saalwärter wenden mußte, der, auf solche Rettungsmanöver bereits eingeübt, ihm mit amtseifriger Miene die Bestellung ausrichtete, »daß er sofort in der achten Kommission verlangt werde«. Infolge dieser allseitigen Belästigungen hatte der arme Nabob, der aus den Korridors, aus der Vorhalle, aus dem Restaurationszimmer vertrieben war, den Entschluß gefaßt, seinen Platz nicht mehr zu verlassen, auf welchem er, unbeweglich und stumm, während der ganzen Dauer der Verhandlungen ausharrte.

Er hatte wenigstens einen Freund in der Kammer, den kürzlich gewählten Abgeordneten Sarigue für das Departement Deux Sèvres, ein winziges Männchen, welches dem unschädlichen, von der Natur vernachlässigten Geschöpfe, dessen Namen er trug,Sarigue: Beuteltier. (Anm. d. Uebers.) nicht unähnlich war, wenn er mit seinen spärlichen rötlichen Haaren, seinen ängstlich dreinblickenden Augen, in seinen weißen Gamaschen tänzelnd einherschritt.

Bis zu dem Grade schüchtern, daß er nicht zwei Worte ohne zu stottern hervorzubringen vermochte, und fast stimmlos, lutschte er fortwährend Gummibonbons, wodurch seine Redeweise vollends undeutlich wurde. Jedermann fragte sich im stillen, was denn ein solcher Invalide in der Kammer wolle, und welcher wahnwitzige Ehrgeiz dieses zu jeder Privatstellung untaugliche Geschöpf verleitet hatte, sich um ein öffentliches Amt zu bewerben.

Eine komische Ironie des Schicksals hatte es gefügt, daß Jansoulet, welcher durch die Furcht vor der Prüfung seiner eignen Wahl schon ohnehin sehr aufgeregt war, in die achte Kommission gewählt worden war, um den Bericht über die Wahl von Deux Sèvres zu erstatten; und der arme Herr Sarigue, welcher vollständig von seiner Unfähigkeit durchdrungen und nebenbei von der Besorgnis erfüllt war, mit Schimpf und Schande fortgeschickt zu werden, verfolgte mit demütig bittender Gebärde diesen großen, krausköpfigen Menschen, dessen breite Schultern unter seinem dünnen Ueberzieher wie Blasebälge arbeiteten, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß unter dieser rauhen Hülle sich ein Wesen verberge, welches gleich ihm von Angst erfüllt war.

Bei dem Entwurfe seines Berichtes über die Wahl in dem Bezirke Deux Sèvres, beim Durchlesen der zahlreichen Wahlproteste, der Anzeigen von Wahlmanövern, bei der Mitteilung von Bestechungen durch Mahlzeiten, Geld und Spenden von Wein vor den Wahllokalen, all den hergebrachten Wahlumtrieben der damaligen Zeit, erzitterte Jansoulet für seine eigne Wahl.

Aber das habe ich ja alles ebenso gemacht, sagte er sich schaudernd. Wahrlich, Herr Sarigue konnte zufrieden sein, nie hätte er einen wohlgesinnteren, nie einen nachsichtigeren Berichterstatter erwischen können, denn der Nabob, der mit seinem Patienten Mitleid fühlte, da er aus eigner Erfahrung wußte, wie peinlich diese Zeit der angstvollen Erwartung ist, hatte die Arbeit nach Kräften beschleunigt, und das große Portefeuille, das er unter dem Arme trug, als er das Hotel Mora verließ, enthielt seinen Bericht, der zum Vortrage in der Kammer bereits fix und fertig war.

Sei es nun, daß dieser erste Anlauf zu einer öffentlichen Thätigkeit oder die aufmunternden Worte des Herzogs oder endlich das herrliche Wetter, welches auf diesen physischen Eindrücken besonders zugänglichen Südfranzosen niemals seinen Einfluß verfehlte, diese Wirkung hervorgebracht hatte, jedenfalls sahen die Saalwärter des gesetzgebenden Körpers am heutigen Tage einen stolz und erhobenen Hauptes einherschreitenden Jansoulet eintreten, wie sie ihn noch nie zuvor zu Gesichte bekommen hatten. Die Equipage des dicken Hemerlingue, die er vor dem Gitter hatte stehen sehen und die durch die ungewöhnliche Breite der Wagenschläge leicht erkennbar war, trug vollends dazu bei, ihm seine ganze Würde und Verwegenheit wiederzugeben. »Der Feind ist da. . . . Achtung!« Beim Durchschreiten der Vorhalle sah er denn in der That auch den Finanzbaron in einer Ecke mit dem Berichterstatter Le Merquier zischeln und warf ihm im Vorbeigehen einen triumphierenden Blick zu, der den beiden denselben Gedanken einflößte: Was in aller Welt mag es wohl geben?

Ueber seine Kaltblütigkeit erfreut, begab Jansoulet sich nach den Bureaus, geräumigen und hohen Sälen, die zur Rechten und zur Linken auf einen langen Korridor münden, und deren große, mit grünen Bezügen bedeckte Tische und schwere und gleichförmige Sessel den Eindruck langweiliger Feierlichkeit machten. Man versammelte sich, Gruppen bildeten sich, die diskutierten, gestikulierten, Grüße und Händedrücke austauschten und sich von den hellen Fenstern wie ein Schattenspiel abhoben. Einzelne sah man mit gebeugtem Rücken einsam umherwandeln, wie niedergedrückt unter der Last ihrer Gedanken, die ihre Stirnen in Falten legten. Andre flüsterten sich leise ins Ohr, teilten sich äußerst geheimnisvolle und wichtige Nachrichten mit, indem sie den Finger an die Lippen legten und dieser stummen Mahnung durch Aufreißen der Augen noch mehr Nachdruck gaben. Ein Haufen Abgeordneter aus der Provinz zeigt alle denkbaren Abwechselungen, die Verschiedenheit der Betonung, die ungestüme Sprechweise des Südfranzosen, die schleppende Sprache des mittleren Frankreichs und die singende Redeweise der Bretagne, alles zu einer lächerlichen und selbstgenügsamen Wichtigthuerei verschmolzen; Röcke nach der Mode von Landerneau, Bergschuhe, grobe Hausleinwand, anspruchsvolles Auftreten von Kirchturmspolitikern, lokale Ausdrücke und Provinzialismen in gewaltsamer Anwendung auf politische Dinge, jene abgegriffene und farblose Sprechweise, der man Redensarten wie »brennende Fragen, die wieder auf der Oberfläche erscheinen« und Aehnliches verdankt.

Beim Anblicke dieser erregten oder nachdenklichen Leute sollte man glauben, die größten Umstürzler auf dem Gebiete der Gedankenwelt vor sich zu haben. Unglücklicherweise ging aber an den Sitzungstagen eine Umwandlung mit ihnen vor, sie saßen dann auf ihrer Bank wie angeschmiedet, voll Angst wie Schüler, die vor der Rute des Lehrers zittern, verständnisinnig den Scherzen des geistvollen Mannes, der den Vorsitz führt, zulächelnd oder das Wort zu unglücklichen Anträgen ergreifend und den Gang der Sitzung in einer Weise unterbrechend, daß man sich zu der Annahme versucht fühlt, daß es nicht bloß ein Typus, sondern eine ganze Gattung ist, die Henri Monnier in seiner unsterblichen Skizze an den Pranger gestellt hat. Zwei oder drei Redner in der ganzen Kammer, während die übrigen es höchstens verstanden, sich in einem Provinzsalon vor dem Kamine breit zu machen und nach einem ausgezeichneten Diner bei dem Präfekten mit näselnder Stimme zu sprechen: »Die Verwaltung, meine Herren . . .« oder »Die Regierung des Kaisers . . .«, ohne daß sie aber weiter zu kommen vermochten.

Für gewöhnlich ließ sich der gute Nabob durch ein solches Sichaufspielen, durch dieses leere Mühlradgeklapper der Wichtigthuer blenden, heute aber benahm er sich ganz so, als ob er zu den Ihrigen gehörte. Während er an der Mitte des grünen Tisches saß, das Portefeuille vor sich ausgebreitet und die Ellbogen aufgestützt, und den von Géry redigierten Bericht las, blickten die übrigen Kommissionsmitglieder ihn ganz erstaunt an.

Sie fanden darin einen kurzen, korrekten und lichtvollen Ueberblick ihrer gemeinschaftlichen Arbeit in den letzten vierzehn Tagen, worin sie ihre Gedanken so vorzüglich zum Ausdruck gebracht fanden, daß sie dieselben kaum darin wiederzuerkennen vermochten. Da indessen zwei oder drei von ihnen der Meinung waren, daß der Bericht allzu günstig sei und daß er gar zu leichten Fußes über gewisse, ihnen zur Kenntnis gebrachte Wahlproteste hinweggleite, so ergriff der Berichterstatter mit einer staunenerregenden Sicherheit, mit der Weitschweifigkeit und Umständlichkeit, die den Bewohnern seiner Heimat eigen ist, das Wort, setzte auseinander, daß man einen Abgeordneten nur bis zu einem gewissen Grade für die Taktlosigkeit seiner Wahlagenten verantwortlich machen dürfe, daß ohne diese Einschränkung keine Wahl vor einer etwas peinlichen Prüfung bestehen könne, und da er im Grunde nur seine eigne Sache vertrat, so legte er dabei eine außerordentliche Ueberzeugungskraft, eine hinreißende Wärme an den Tag, indem er gleichzeitig sorglich darauf Bedacht nahm, von Zeit zu Zeit eins oder das andre dieser nichtssagenden und zugleich vieldeutigen Schlagwörter, wie die Kommission sie liebte, einzuschalten.

Die andern hörten ihm andächtig zu, teilten sich ihre Eindrücke durch Kopfnicken mit, indem sie gleichzeitig, um ihre Aufmerksamkeit besser zu fixieren, Namenszüge und Männchen auf ihre Hefte zeichneten, was sehr gut mit dem schülerhaften Lärm auf den Korridoren, der sich anhörte, als ob Lektionen aufgesagt würden, und den Scharen von Sperlingen im Einklang stand, die man auf dem gepflasterten, von Arkaden umgebenen, einem wirklichen Schulhofe vergleichbaren Hofraume unter den Brüstungen der Fenster zwitschern hörte. Nachdem der Bericht angenommen war, ließ man Herrn Sarigue, behufs Abgabe einiger weiterer Aufklärungen, eintreten. Derselbe erschien, kreidebleich, niedergeschlagen, stotternd, wie ein Verbrecher, und es war wirklich zum Lachen, mit welch überlegener Protektormiene Jansoulet ihm Mut zusprach und ihn zu beruhigen suchte: »Fassen Sie sich doch, mein lieber Kollege. . . .« Aber die Mitglieder der achten Kommission lachten nicht. Sie waren alle oder doch fast alle in ihrer Art Sarigues, zwei oder drei vollständig außer sich und fast sprachlos. Eine solche Sicherheit des Auftretens, so viele Beredsamkeit hatte sie völlig hingerissen.

Als Jansoulet den gesetzgebenden Körper, von seinem dankbaren Kollegen bis an seinen Wagen geleitet, verließ, war es fast sechs Uhr. Das herrliche Wetter, ein prächtiger Sonnenuntergang, der die Seine nach der Seite des Trocadero hin in Gold tauchte, lockte diesen robusten Plebejer zu einer Heimkehr zu Fuß, obwohl der gesellschaftliche Anstand ihm geboten hätte, sich in seine Equipage zu setzen und Handschuhe anzuziehen, was er sich freilich, so oft als thunlich, schenkte. Er verabschiedete daher seine Leute und ging, sein Portefeuille unter dem Arme, in der Richtung nach dem Pont de la Concorde. Seit dem 1. Mai hatte Jansoulet ein solches Wohlbehagen nicht empfunden. Die Schultern dehnend, den Hut ein wenig nach hinten gerückt, wie er es bei hervorragenden, von Geschäften überhäuften Politikern gesehen hatte, die an der frischen Luft die fieberhafte Thätigkeit ihres Gehirns abdampfen zu lassen scheinen, wie eine Maschine nach einem arbeitsvollen Tage den Dampf entweichen läßt, schlenderte er inmitten andrer, der seinigen gleichenden Gestalten, die, wie er, aus dem der Madeleine gegenüberliegenden Säulenbau herausgetreten waren. Vorübergehende drehten sich nach ihnen um und sagten: »Seht, das sind Abgeordnete.« Und Jansoulet empfand darüber ein kindliches Vergnügen, eine naive Freude, die aus Dummheit und Eitelkeit zusammengesetzt war.

»Wer kauft den ›Messager‹, Abendausgabe?«

Dieser Ruf erschallte aus einem am Ende der Brücke befindlichen Zeitungskiosk, der im gegenwärtigen Augenblick mit Haufen frischer Zeitungen gefüllt war, die noch nach der Druckerschwärze, nach den jüngsten Neuigkeiten, dem Erfolge oder dem Skandale des Tages rochen, und die von zwei Frauen eiligst gefalzt wurden. Fast alle Abgeordneten kauften im Vorbeigehen eine Nummer und lasen sie rasch durch in der Hoffnung, ihren Namen darin gedruckt zu finden. Jansoulet seinerseits fürchtete, den seinigen darin zu lesen, und blieb nicht stehen. Kurz darauf dachte er aber bei sich: Muß nicht ein Politiker über solche Schwächen erhaben sein? Ich bin stark genug, um jetzt alles zu lesen. Er kehrte um und kaufte ein Blatt wie seine Kollegen. Er öffnete es sehr ruhig und gerade an der Stelle, wo gewöhnlich die Artikel von Moëssard standen. Gerade heute war ein solcher da, und zwar wiederum mit derselben Überschrift: »Chinesisches«, und als Unterschrift ein M.

»Ah ha!« sagte der Politiker, fest und kalt wie Marmor, mit einem verächtlichen Lächeln. Die Lektion des Herzogs klang noch in seinen Ohren, und würde er sie vergessen haben, so hätte die Arie aus »Norma«, welche in spitzen ironischen Tönen nicht weit von ihm heruntergeleiert wurde, ihm dieselbe wiederum ins Gedächtnis gerufen. Leider muß man aber bei den sich jagenden Vorkommnissen unsres Lebens auch noch das Unvorhergesehene in Rechnung ziehen, und das war der Grund, weshalb der arme Nabob einen Blutstrom seine Augen blenden und einen Schrei der Wut seiner Kehle sich entwinden fühlte. . . . Der Name seiner Mutter, der alten Françoise, war diesmal in den infamen Schandartikel vom »Blumenschiff« hineingemengt. Wie zielte er gut, dieser Moëssard, wie wußte er die empfindlichen Stellen in diesem so offen daliegenden Herzen zu treffen!

»Nur Ruhe, Jansoulet, nur Ruhe!«

Mochte er sich diese Worte auch in allen Tonarten wiederholen, der Zorn, ein wahnwitziger Zorn, jener Aufruhr des Blutes, der nach Blut lechzt, erfaßte ihn! Sein erster Gedanke war, einen Wagen anzurufen und sich hineinzustürzen, sich dem lästigen Straßengewühl zu entziehen, seinem Körper die Sorge des Gehens und einer maßvollen Haltung zu ersparen – einen Wagen, wie für einen Verwundeten, in Beschlag zu nehmen. Aber um diese Zeit der allgemeinen Heimkehr in die Stadt war der Platz nur mit Viktorias, Landauern, Equipagen angefüllt, die von dem Triumphbogen nach den Tuilerien zurückkehrten, aufeinander gepfercht, von der Avenue bis zum Kreuzungspunkte, wo die unbeweglichen Standbilder mit ihren Mauerkronen auf dem Kopfe, fest auf ihren Piedestalen stehend, sie teils nach dem Faubourg St. Germain, teils in die Rue Royale, teils in die Rue Rivoli einlenken sahen.

Jansoulet durchschritt mit der Zeitung in der Hand gedankenlos diesen Tumult, gewohnheitsmäßig die Richtung nach dem Klub einschlagend, wo er täglich von sechs bis sieben Uhr seine Partie zu machen pflegte.

Ein Politiker war er freilich immer noch, aber zugleich ein aufgeregter Mensch, der mit sich selber sprach, Flüche und Drohungen stammelte mit einer Stimme, die bei dem Gedanken an die gute alte Frau plötzlich wieder weich geworden war. . . . Sie, auch sie da hineingezogen zu haben. . . . O, wenn sie das lesen würde, wenn sie es verstehen könnte. . . . Welche Züchtigung für einen solchen Schurken erfinden. . . . Er gelangte in die Rue Royale, wo zahlreiche verschleierte Damen, blondlockige Kinder, Equipagen aller Art, die vom Bois de Boulogne zurückkehrten, ein wenig Erde aus der freien Natur dem Pariser Pflaster mitteilend und die Frühlingslüfte dem Parfüm des Poudre de roz vermählend, sich drängten. Gegenüber dem Marineministerium gewahrte er einen Phaethon, der einer Riesenspinne ähnlich hoch auf seinen zierlichen Rädern ruhte, und auf dessen Vordersitz zwei Personen saßen, während auf dem Bedientensitz ein kleiner Groom sich klemmte, der beim Umwenden fast aufs Trottoir geriet.

Der Nabob blickte auf und konnte kaum einen Schrei unterdrücken: an der Seite einer geschminkten Dirne mit roten Haaren, auf dem Kopfe einen kleinen Hut mit breiten Bändern, die auf erhöhtem Lederkissen sitzend, mit den Händen, den Augen, ihrer ganzen nachgemachten, zugleich aufrechten und nach vorn geneigten Figur das Pferd lenkte, saß, rosig und gleichfalls angemalt, dem gleichen Sündenpfuhle entsprossen, in denselben Lastern groß geworden, Moëssard, der hübsche Moëssard. Die Dirne und der Journalist, und wahrlich, jene war nicht einmal die käuflichere von den beiden. Hoch über den Damen, die in ihren Wagen zurückgelehnt saßen, und den Herren, die unter den Volants der Kleider kaum noch sichtbar waren, hoch über all diesen Leuten in müder und gelangweilter Haltung, wie sie die Blasierten öffentlich zur Schau zu tragen lieben, um ihre Verachtung des Vergnügens und Reichtums an den Tag zu legen, thronten die beiden mit frecher Miene, sie, sehr stolz, den Liebhaber einer Königin spazieren zu führen, er, ohne die geringste Scham, an der Seite einer Kreatur zu sitzen, welche in den Alleen die Männer mit der Peitschenspitze zu tupfen pflegte und jetzt auf ihrem erhabenen Sitze sich vor den sittenpolizeilichen Nachstellungen geborgen fühlte. Vielleicht hielt er es für nötig, um seine königliche Maitresse aufzustacheln, in dieser Weise unter ihren Fenstern in Gesellschaft der Susanne Bloch, genannt die rote Suse, zu paradieren.

»Komm! . . . Hop!«

Das Pferd, ein großer Traber, mit zierlichen Beinen, lenkte auf der Stelle tänzelnd und courbettierend wieder in den Weg ein. Jansoulet ließ seine Mappe fallen, und als ob er mit derselben gleichzeitig seine ganze Würde, seinen Nimbus als Staatsmann eingebüßt hätte, machte er einen furchtbaren Satz, fiel dem Pferde in die Zügel und hielt dasselbe mit eiserner Faust fest.

Ein Ueberfall in der Rue Royale und noch dazu am hellen lichten Tage, wahrlich an einen solchen Streich konnte auch nur dieser Halbwilde denken!

»Herunter vom Bock!« rief er Moëssard zu, der beim Anblick des Nabob grün und gelb im Gesicht geworden war. »Herunter, und zwar auf der Stelle. . . .«

»Wollen Sie wohl mein Pferd loslassen, Sie Geldprotze, Sie! Peitsche drauf los, Susanne, es ist der Nabob.«

Die Dirne versuchte, die Zügel anzuziehen, aber das vom Nabob festgehaltene Pferd bäumte sich so heftig, daß nur wenig gefehlt hätte und das gebrechliche Fuhrwerk hätte seine Insassen weit weggeschleudert. Da gab sie, in einem Anfall von pöbelhafter Wut, welche bei Dirnen ihres Schlages allen Firnis ihres Luxus und ihrer Haut abstreift, dem Nabob zwei Peitschenhiebe, welche sein lederfarbiges und hartes Gesicht trafen und in demselben einen Ausdruck von unaussprechlicher Wildheit hervorriefen, der noch durch die kurze, ganz weiß gewordene Nase gesteigert wurde, die wie die einer Bulldogge gespalten war.

»Herunter vom Wagen, oder, bei Gott, ich schlage alles kurz und klein!«

In diesem Gewirr von Wagen, die sich an der Stelle gestaut hatten und warteten, oder langsam das Hindernis umkreisten, inmitten dieser tausend neugierigen Blicke, der Zurufe der Kutscher, des Klirrens der Gebisse schüttelten zwei Eisenfäuste das ganze Fuhrwerk.

»Aber so springe doch hinunter, rasch. . . . Du siehst doch, daß er uns umwerfen wird. . . . Was hat der Mensch für eine Faust!« Und das Mädchen betrachtete den Herkules mit Interesse.

Kaum hatte Moëssard einen Fuß auf die Erde gesetzt und ehe er sich noch auf das Trottoir flüchten konnte, wo man schwarze Käppis herbeieilen sah, warf Jansoulet sich auf ihn, hob ihn wie ein Kaninchen am Genick empor und sagte, ohne im mindesten auf seine mit lallender Stimme vorgebrachten Verwahrungen zu achten: »Ja, ja, Elender, ich werde dir Rechenschaft geben, . . . Aber vor allem werde ich dir das thun, was man unsauberen Tieren thut, um ihnen die Unreinlichkeit abzugewöhnen, . . .«

Und nun begann er ihm mit der zusammengeballten Zeitung das Gesicht abzureiben, bis er ihn fast erstickt und mit der an den Aufschürfungen herablaufenden Schminke geblendet hatte. Man entriß ihn ganz blau und halb tot seinen Händen, Nur wenig hatte gefehlt und er hätte ihn umgebracht.

Nach beendigter Exekution zupfte er seine hinaufgekrempelten Aermel zurecht, brachte sein zerknittertes Vorhemd wiederum in Ordnung, nahm seine Mappe wieder auf, aus welcher die Papiere, die Wahl des Herrn Sarigue betreffend, bis in den Rinnstein geflattert waren, und erwiderte den Stadtsergeanten, welche, um ein Protokoll aufzunehmen ihn nach seinem Namen fragten: »Bernard Jansoulet, Abgeordneter von Korsika.«

Ein Abgeordneter!

In diesem Augenblicke erst fiel ihm seine Stellung wieder ein. Wer hätte das gedacht, der ihn so außer Atem und barhäuptig, wie ein Packträger nach einer Rauferei, gesehen hätte, unter den neugierigen, höhnisch lächelnden Blicken einer Menge, die eben im Begriffe ist, sich nach Beendigung des Schauspieles zu zerstreuen!


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