Gabriele d'Annunzio
Heißes Blut
Gabriele d'Annunzio

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Sancho Panzas Tod.

Als Donna Letizia, den Kranken mit rührender Besorgnis in ihren vollen, runden Armen tragend, eintrat, liefen alle Mädchen herbei und machten ihren mitleidvollen Herzen in Seufzern und Klagen Luft. Zu den offenen Fenstern drang der verworrene Lärm des Straßengetriebes herein und mischte sich mit den weiblichen Stimmen. Die Klagelaute der Mädchen wurden ab und zu von den Anpreisungen eines Marktschreiers, der Angelikawasser und Wunderpillen feilbot, unterbrochen.

Den Hund auf den Armen der Signora durchlief ein schwaches Zittern, das über den ganzen Rücken bis zur äußersten Schwanzspitze ging. Er versuchte die Lider zu öffnen und die großen Augen voller Dankbarkeit nach den Liebkosenden zu drehen und den Hals, der schon ganz steif war, zu bewegen. Die Schnauze war halb geöffnet; die Zunge hing heraus und lag wie ein rötliches, bläulich geädertes Blatt auf den beiden vorspringenden Schneidezähnen des Unterkiefers. Eine schleimige Masse feuchtete das Kinn, jenen kleinen Teil der unteren Kinnlade, wo die rosige Haut durch das spärliche Haar des Felles sichtbar wird. Der Atem wurde immer mühsamer und ging in ein rauhes Pfeifen über, während die Nase immer trockner und runzlich wie die Oberfläche einer Trüffel wurde.

O Sanzio, armer Sanzio, was haben sie dir gethan! Armes Bibi, je! Mein armes Alterchen! ...

Das Jammern der empfindsamen Mädchen wurde immer zärtlicher und ging in wortlose Klagetöne und Schmeichellaute über. Alle wollten ihm den Kopf streicheln, eine seiner Pfoten anfassen oder die Nase berühren. Donna Letizia wiegte mütterlich die süße Last, und ihre dicken, weißen Finger, deren Glieder etwas krankhaft geschwollen schienen, gruben sich in das Fell und strichen zärtlich über Sanzios Bäuchlein hin.

Durch die grünlichen Fenstervorhänge drang die Nachmittagssonne und die Meeresfrische in das Zimmer. Acht Farbendruckbilder in dunkeln Rahmen schmückten die gelben Tapeten der Wände, die Blumenmuster trugen. Auf einer Konsole im Stile des achtzehnten Jahrhunderts mit rötlicher Marmorplatte und Messingbeschlägen stand auf silbernem Fuße zwischen zwei Spiegeln eine Jardiniere mit Wachsblumen unter einer Glasglocke. Am Kamin glänzten zwei vergoldete Leuchter mit unbenutzten Kerzen. Ein Affe in maurischem Kostüm, ein Automat aus Papiermaché, träumte beschaulich auf einem jener kleinen, eingelegten Tische, die von Sorrent kommen. Eine Anzahl Sessel, deren Lehnen mit Schäferidyllen geschmückt waren, ein Sofa in Empire, zwei moderne Fauteuils machten sich den Rang streitig in diesem bunten Durcheinander von unverträglichen Farben und Formen.

Als der Kranke auf den Sitz eines Fauteuils gebettet war, wurde es im Zimmer still. Sanzio erhob sich zitternd auf die Füße, drehte sich einige Male um sich selbst, um in der Ruhelosigkeit seines leidenden Zustandes eine bequeme Lage zu finden, versuchte den Kopf auf eine seiner Pfoten zu legen, rollte sich in sich zusammen und blieb dann mit geschlossenen Augen, mühsam atmend, wie von einer plötzlichen Schlafsucht befallen, liegen. Auf der breiten Brust bildete das Fell drei oder vier dicke Falten, fast wie eine kleine Wamme; hinten im Nacken waren die Falten breiter und rundlicher; die Lippen der oberen Kinnlade hingen schlaff an den Seiten herab. Das arme Vieh hatte in seiner Krankheit etwas Groteskes und Mitleiderregendes, wie ein Zwerg, der an Asthma und Fettsucht leidet.

Die Mädchen standen stumm da beim Anblick dieses Kräfteverfalles, voll tiefen Jammers und in der Vorahnung eines drohenden Unglücks. Sanzio war seit Jahren der Gegenstand der Zärtlichkeiten und der Liebkosungen dieser heranwachsenden, bleichsüchtigen Jugend. Er war im Hause geboren und auferzogen; seine plumpen ungefügen Formen zeigten die Rundlichkeit eines faulen, gefräßigen Wesens. Mit der Zeit hatten seine kreisrunden Augen etwas Menschliches, Unterwürfiges angenommen. Wenn er vergnügt war, wedelte er mit dem Schwanze, stand auf drei Beinen, rollte sich mit einem eigentümlichen Zittern, das durch das ganze Fell ging, ganz in ein Knäuel zusammen und trollte mit der Grazie umher, wie das Meerschweinchen in den Frühlingskräutern.

Die schönen Erinnerungen daran bewegten die Herzen der Mädchen lebhaft.

Und der Arzt? Wann kommt er? fragte ungeduldig Victoria, die jüngste, die mit ihrem roten Stirnhaare und dem ganz bepuderten Gesichtchen wie ein kleiner Affe aussah.

Der Kranke ließ von Zeit zu Zeit ein schwaches Stöhnen hören, öffnete die Augen und schaute hilfesuchend mit einem sanften, müden Blick umher. Ein nervöses Zucken der Augenwinkel und zwei dunkle Streifen, die ihm der Schmerz unter den Augen eingegraben hatte, ließen ihn noch menschenähnlicher erscheinen.

Donna Letizia versuchte, ihm einen Löffel voll kräftiger Brühe einzuflößen; er machte mit seiner schlaffen Zunge alle möglichen Anstrengungen, um die Flüssigkeit hinunterzuschlucken, doch konnte er die steif gewordenen Kinnladen nicht wieder schließen.

Endlich hörte man im Vorzimmer die Stimme des Doktors Zenzuino, der endlich heraufkam. In das Zimmer trat ein Herr mit hübschem Gesichte, das von Gesundheit und Jovialität zeugte.

O Don Giovanni, machen Sie Sanzio wieder gesund! rief ihm eine flehende Stimme entgegen.

Der Arzt überflog mit einem Blick die ganze jammernde Familie, die er mit Arsenik, Eisenleberthran und Levicowasser so viele Jahre hindurch erfolglos behandelt hatte. Durch das goldene Pincenez zuckte der flüchtige Aufblitz eines Lächelns, dann betrachtete er den Kranken prüfend als Mann der Wissenschaft und sagte bedächtig: Wir werden es mit einem Fall von Lähmung der Kaumuskeln und der unteren Backenspeicheldrüsen zu thun haben. Die Krankheit, die zweifelsohne in einer Störung des Centralnervensystems besteht, im Rückenmark ihren Sitz hat und ihrer Ätiologie nach hereditären oder bazillären Ursprungs sein kann, hat die Neigung, um sich zu greifen. Der Prozeß, der sich weiterverbreitend fortschreitet, wird den Körper, Organ für Organ seiner Funktionen berauben, bis schließlich eines der vitalen Zentren, sei es der Atmung oder der Zirkulation erfaßt wird, was den Tod zur Folge hat.

Bei diesen schrecklichen und rücksichtslosen Worten legte sich eine beklemmende Angst auf die Seelen der Damen, und die blühenden Wangen Donna Letizias erblaßten für einen Augenblick.

Ich glaube, daß auf die Entwicklung der Krankheit die Ernährung von Einfluß war, fügte Don Giovanni erbarmungslos hinzu.

Bei dieser versteckten Anklage bekamen die Mädchen Gewissensbisse, da sie sich schuldig fühlten, die entsetzliche Gefräßigkeit Sanzios stets geduldet zu haben.

Victoria fragte mit einem Ausdruck ungeduldigen Mißbehagens:

Giebt es denn kein Mittel?

Versuchen wir es. Ich empfehle die Applikation einer spanischen Fliege in den Nacken, riet der Doktor mit liebenswürdiger Beflissenheit.

Sanzio wollte vom Sessel herunterspringen, zauderte jedoch am Rande, da er nicht die Kraft hatte, den Sprung zu wagen, blickte mit flehenden Augen umher, die schon trüb wurden wie zwei schwarze Weinbeeren, welche der silberne Anflug der Ueberreife bedeckt. In seine Züge grub der Schmerz tiefe Furchen und greisenhafte Schatten. Die rosige Farbe der Schnauze schien sich dort, wo die langen Spürhaare stehen, zu zersetzen und wurde fast gelb. Die schlappen Ohren bebten leicht, und in derselben Minute ging ein Fieberschauer sichtbar über das ganze weiße Fell.

Nun beugte sich Isabella, welcher die unerbittliche Natur als Erbe vom Vater die bourbonische Nase und die schmale Stirn beschert hatte, ganz gerührt herab und nahm den Leidenden mit den zierlichen Händchen auf, um ihn auf den Boden zu setzen.

Sanzio blieb einen Augenblick, ohne einen Schritt machen zu können, mit gekrümmtem Rücken, von Atemnot geplagt, stocksteif stehen und versuchte, sich taumelnd fortzuschleppen, wie ein an den Schenkeln verwundetes Wild. Vielleicht hatte er Durst; denn er versuchte, wenn ihm das Schüsselchen hingehalten wurde, die Flüssigkeit aufzuschlecken. Aber da die fortschreitende Lähmung ihn auch hieran hinderte, setzte er sich nach vielen erfolglosen und vergeblichen Versuchen auf die Hinterbeine und begann, die Schnauze mit der Pfote zu putzen, gleichsam als wollte er das Hindernis, das ihm so viele Schmerzen bereitete, beseitigen.

Die Stellung war derart menschenähnlich, und aus den Augen sprach so viel menschliches Flehen und solche Verzweiflung, daß Donna Letizia laut zu schluchzen begann.

O armes Bibi! Wer hatte dir das vorausgesagt! Mein armes Bibi!

Die Rührung stieg bei den Mädchen aufs höchste. Victoria nahm den Sterbenden an sich, trug ihn zum Kanapee und verlangte eine Schere. Eine Heldenthat war notwendig. Schließlich war man doch genötigt, das Heilmittel, koste es was es wolle, zu versuchen.

Isabella, Maria, eine Schere, kommt! Alle beugten sich zitternd und bleich über Sanzio hin, der von neuem die Augenlider geschlossen hatte und mit seinem heißen Atem die hilfsbereiten Hände anhauchte.

Nachdem Victoria den ersten Ekel überwunden hatte, fing sie vorsichtig an, die Haare am Nacken des Tieres abzuschneiden, dabei blies sie Flocke für Flocke weg. Eine Art unregelmäßiger Tonsur breitete sich über den Nacken aus, und das Aussehen des Geschorenen wurde immer possierlicher und jämmerlicher.

Vom Abendwind bewegt, blähten sich die Vorhänge an der Terrasse wie zwei Segel auf. Verworren, aber lebhaft und fröhlich drang der Straßenlärm herauf. Eine Flucht einfacher Häuser verlor sich im Hintergrunde in der bleichen Vergoldung der untergehenden Sonne. Und ein Star pfiff.

 

Nun kam von den oberen Gemächern Natalie, die schöne Schwiegertochter der Donna Letizia, mit einem Kinde auf dem Arme herab und trat ins Zimmer.

Das Oval ihres Gesichtes schimmerte rosig, von bläulichen Adern durchzogen, ihre Augen waren hell und klar, die Nasenflügel fein und durchscheinend; mit einem Wort, sie besaß den ganzen Liebreiz der blonden Frau inmitten der Flut der entfesselten, schwarzen Haare. In der Persönlichkeit, in der Kleidung, in der Haltung, in dem Sichgehenlassen lag jene, ich möchte sagen, glückliche Gelassenheit, jene milchduftende Frische der jungen Mutter, die ihrem Kinde die eigene Brust reicht.

Kaum sah sie den geschorenen Hund, so überkam sie ein so plötzlicher Anfall von unwiderstehlicher Heiterkeit, daß sie das Lachen hinter den Perlenzähnen nicht verbergen konnte.

Ah, ah, ah, ah!

Wie? Natalie wagte zu lachen, während der arme Sanzio im Sterben lag? Die zartbesaiteten, jungfräulichen Wesen warfen der unehrerbietigen, grausamen Schwägerin einen bitterbösen Blick der Entrüstung zu. Aber diese setzte sich leicht darüber hinweg und trat näher, um dem Kinde den Hund zu zeigen. Das unbeholfene Kind tastete mit den kleinen, unruhigen Händen, versuchte den Hund zu berühren und stammelte voller natürlicher Freude unverständliche Laute mit dem noch milchfeuchten Mündchen.

Das Tier, gewohnt für die Patschhändchen den Kopf hinzuhalten, zeigte trotz der schon halbgelähmten Glieder einen Ausdruck von Freude, und in den Augen lag ein letztes Aufflackern von Verständnis und Güte.

Armer Sancho Panza, murmelte nun auch Natalie und zog das Söhnchen zurück, das mit den Fingern in den Speichel des Hundes hineingriff. Als das Kind das Mäulchen zum Weinen verzog, ging sie mit ihm im Zimmer zwei-, dreimal auf und ab, hob es in die Höhe und schaukelte es; dann blieb sie vor dem Automaten stehen und zog mit dem Schlüssel den Mechanismus auf. Der Affe öffnete den Mund, klappte mit den Augendeckeln und rollte unter den Klängen der Gavotte Louis XIII von Victor Felix den Schweif auf und drehte sich wie lebendig hin und her.

Das wollüstige Wogen dieser Klänge erfüllte den Raum, und Natalie bewegte im Takte den Kopf dazu. Das Licht im Zimmer war gedämpft, und von dem geöffneten Balkon drang der feine, liebliche Duft der Pelargonienstöcke herein.

Sanzio hörte vielleicht schon nichts mehr. Die spanische Fliege brannte ihm im Nacken, er krümmte von Zeit zu Zeit den Rücken und bog den Kopf mit einem schwachen Gewinsel nach unten. Die zwischen die Zähne zurückgezogene, violette, fast schwärzlich gewordene Zunge hatte schon jede Beweglichkeit verloren. Nur die mit einer türkisblauen, feuchten Membran überzogenen Augen zuckten noch krampfhaft, wobei in den Ecken das Weiße sichtbar wurde. Der Speichel floß dicker und reichlicher. Die Erstickung schien jeden Augenblick einzutreten.

O Natalie, so hör' doch auf! Siehst du denn nicht, daß Sanzio stirbt? brach Isabella unter Thränen vorwurfsvoll aus.

Doch die Gavotte konnte man nicht unterbrechen, ehe der Mechanismus abgelaufen war, und so fuhren die Töne fort, langsam und leise den Todeskampf des Hundes zu begleiten. Die Dämmerungsschatten breiteten sich inzwischen im Zimmer aus, und die Vorhänge flatterten in der Abendkühle. Donna Letizia, erstickt von Schluchzen, konnte es nicht mehr mit ansehen und ging hinaus. Alle Töchter folgten ihr, eine nach der andern, schmerzbewegt. Nur Natalie näherte sich neugierig dem Sterbenden.

Und während die Gavotte wieder von neuem anfing, gab der gute Sanzio unter den Klängen der Musik, wie der Held in einem italienischen Melodram seinen Geist auf. –


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