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Die Doppelhexe.

Anno Domini 1649.

 

 

Am fünften Tage des vierten Monats.

Heut, morgens um die elfte Stunde, ist Ihre landgräfliche Gnaden, die hochwohlgeborene gnädige Frau Landgräfin Amalia Elisabetha von Hessen, durch ihren, unseren armen Ort gereiset mit Reutern und Wagen. Durch das Friedensinstrument zu Münster ist Ihr ein Teil unserer lieben Grafschaft Schaumburg zugefallen, da nach dreißigjähriger Bekümmernis die Kriegesgeißel Menschen, Fürsten, Völker, Städte, Dörfer, Edelhöfe hinweg gebracht vom Erdboden und unter solchen Umständen auch unseren letzten Erbgrafen hinwegraffte. Ist Ihr nunmehr unser uralt Wappen, das Neßelblatt, unter den Schutz des hessischen Leuen übergeben worden.

Hochgräfliche Gnaden wurden vom Dorf bewillkommet und haben dasselbige huldvoller Fürsorge versichert. Mich befragten gnädigste Herrin um meinen fehlenden rechten Arm, mein Wams und Schwert, und da Sie erfuhren, ich sei des großen Gustav Adolfus Gloria zugehörig gewest und sei, infolge malheuriger Bataille nicht fürder tüchtiglich, hier im Dorfe hängen geblieben und habe allda Schutz- und Schulmeister vorgestellet, anitzo auch noch meinen guten Leumund vom Dorfvolk vernahm, zudem noch vierzehn Kinder im Evangelium examinierte, bestallten mich hochwohlgeborene Landesmutter aufs wohlste und löblichste als Schulmeister und Wächter ihres getreuen Dorfes Hohenrode.

Hoffend, solchen Posten würdig zu verwalten, bat ich und mein Weib, die Eckeharde geb. Gundlaherin, zum Herrn im Himmelsthron!

Traugott Cyriakus Dahlström,
weiland schwedischer Feldwaibel,
des Alters anitzo 52 Jahre 1 Monat 25 Tage.

 

Am ersten Tage des Monats Junius.

Muß vermelden, ist heute mit meinen drei Würmlein das zweite Dutzend meiner Schulkinder voll geworden; freilich sind solche dabei von siebenzehn Jahren, die noch nicht bis achtzehn zählen können und kein Sprüchlein aus Lutheri Katechismen herzusagen wissen. O schwere Not!

Doch alle sollen sie lesen und ihren Namen schreiben lernen außer Gotteswort aus dem ff.

Wenn nur erst der Magister zur Seelsorge käme, den uns gnädige Frau Landgräfin versprochen! Wir wollen dieser Tage unser Kirchlein reinigen und vorbereiten auf seinen Empfang, es sieht sehr übel und unheilig darin aus, die Kroaten und bayrischen Völker haben arg darin gehauset und aus dem protestantischen Gotteshause eine Mördergrube gemacht.

Item kommt krüppeligtes und sonstig vagabondig Volk, Mannsen und Weibsen und Kinder ins Dorf, behauptend, zugehörig zu sein. Ihrer vieler entsinnen sich alte Leute, daß sie als Jungbursch unter die Fahnen gegangen und itzo heimgekehrt, etlicher entsinnen sie sich aber nicht. Tun sie gut, so möge der Zuwachs unserem Orte von Segen sein; darum sage ich: arbeitet, sucht euch eine Feuerstelle, baut das Dach, bringt Verbranntes zum Ansehen, Brachfeld zur Nutzung, so sollt ihr wohl aufgenommen sein. Tut ihr übel, führt Böses im Schilde, so haben wir Alten uns zusammen gelobet, wir hauen euch unglimpflich aus dem Orte. Sonstens segne euch der Herr!

Damit gingen sie, ich aber, als Dorfschutz, wache!

 

Am vierundzwanzigsten Tage des Monats Junius.

Johannistag.

O, voller Güte ist der Herr, dreimal voller Güte!

Der Sack Brotkorn, den wir im Herbst vom Grafen Philipp zu Schaumburg-Lippe erhalten und nach sorgsamem Ackern unter Gesang und unter Furcht und Sorgung, ob er möchte wohl aufgehen und nicht wieder zertreten und verheeret werden, einsäeten, ist aufgegangen, und um das Dorf sind wieder etliche im Winde wellende Ährenfelder.

O seltener, o herrlicher Anblick, ich habe zum Himmel geblickt und geweinet.

Auch etliche Wiesen sind gereinigt und geschützt und ergrünen. Fünf Kühe und zwei Kalben haben wir auch schon wieder im Dorf nebst Hühnern, wir dürfen auch noch auf Zuwachs hoffen. Drei der Pferde haben wir und wollen derzeiten nicht mehr, da sie viel fressen und keine Milch geben.

Die Knochen von Menschen und Tieren, so wir im Felde fanden, haben wir tief eingegraben, die Waffen im Kirchgewölbe aufgehängt.

Wir bauen und bessern einmütig überall. Zuerst am Hause Gottes. Und dabei habe ich unsere Heimgekommenen geprüft, sie haben sich wohl bewährt und außer Fleiß, Gehorsam, noch mancherlei nutzbare Kenntnisse und, was am meisten zu schätzen, Religion bewiesen. Alles im Dorfe mußte zugreifen, auch meine Schüler. Drei Fuder Unrat haben wir aus dem Kirchlein geschafft und fastens einen Teich voll Wasser gebrauchet, und vom Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gereinigt. Viele der Bänklein fehlen, die Kanzel ist zerhauen, der Altar ohne Heiland, ohne Gefäße, ohne Tuch! Doch meine Eckeharde hat ein Pfündlein Lein erbettelt beim Edelherrn auf Gut Eckerstein, auch dieses geht auf, und der erste Flachs, so mein Weib spinnet und webet, soll für des Herrn Tisch bereitet werden. Steine und Balken tun noch viel von nöten; durch die abgebrannten Türen und ins zerschossene Kirchendach blickt der Mond und fällt der Regen herein. Läuten können wir nicht, eine Glocke liegt zerschlagen unten, und ob die andere noch hänget, weiß man nicht, da man nicht hinauf kann.

Gibt uns Gott nur Frieden und Gesundheit, so werden wir mit Seiner Hilfe noch vieles vollbringen.

 

Am fünften Tage des Monats Julius.

Höher steigt die Sonne, heißer brennt der Sommer, doch segnet er. Die Acker prangen, gute Ernte winkt uns, Heu zu Betten und fürs liebe Vieh ist schon eingebracht, auch Holz aus dem Walde für den Winter.

Schule halte ich in dieser hillen Zeit nur täglich eine frühe Morgenstunde, da ich mit den Kindern auf dem Papenbrinke Lehm ausgrabe, und Teig davon mache. Sie müssen tüchtig darin treten zum kneten, die Mägdelein, während die Knaben Wasser holen und hinzugießen, auch etliche mit mir schaffen und die Formen füllen um Lehmsteine zu backen, die in der Sonne Glut fest und trocken werden. Wenn auch die eingefallenen Wände im Dache mit Fachwerk und Lehmwurf gebessert werden, Steine sind uns not, da wir Back- und andere Ofen bauen müssen, sintemalen weder Pfarr- noch Schulhaus einen wärmenden Kamin aufweiset. Doch ein Ort muß geschaffet werden, sollte uns ein strenger Winter ereilen und uns die Kälte vom Herde vertreiben, wo die Gemeinde sich versammeln kann.

Im Dorfe haben sie auch eine Leiter gezimmert und sind auf den Turm gelanget. Die Glocke hängt unversehrt, nur das Seil fehlt. Es soll aber nicht früher geläutet werden, bis ein Pfarrer bei uns einzieht und einen ordentlichen Gottesdienst hält. Wir alle sehnen uns danach, denn wenn ich auch allsonntaglich mit der Gemeinde bete und singe und aus der Schrift vorlese, so will sich unser Herz nicht damit begnügen. Wir wollen einen verordneten Mann Gottes, der uns priesterlich unser Heil verkündet und lehrt, ganz eins mit uns wird; ich armer sündiger Waibel lechze nach Predigt und Abendmahl!

 

Am sechsten Tage des Monats Julius.

Nahe war unserer Gemeinde gestern abend eine große Untat!

Vor der Klus, so benannt, weil dort vor dem langen Kriege ein Klausner hausete, hat sich in einer Hütte unter Bäumen und Erdaufwürfen ein uralt Weiblein eingenistet, welches sie eine Hexe benennen und von der sie behaupten, sie könne in gleicher Gestalt an zwei Orten sein.

O welche Torheit ist doch der Aberglaube!

Ich habe wohl böse, dumme, in Irrtümern befangene Menschen kennen gelernt und mußte an diese unsauberen, Fleisch und Blut habenden Gespenster glauben, sonst glaube ich an keine teuflischen Künste bei der menschlichen Kreatur, ich glaube nur an einen guten vollkommenen Geist über uns, den dreieinigen Gott. Sotaner Weise habe ich mich nie, trotz mancher Hetzung um besagtes Weibsbild gekümmert, sintemalen sie sich auch nicht blicken ließ, und ich im übrigen der Sorgen und Gedanken voll war.

Beim Abendrot heimkehrend mit meiner Schar und am Kirchlein vorbeiziehend, höre ich plötzlich ein Geschrei: »Die Hexe, die Hexe, die Doppelhexe!« Während die Mädchen furchtsam davonlaufen, hebt einer von der Bubenbrut einen Stein auf und wirft, ehe ich es verhindern kann, die Greisin damit. Blut quoll unter ihren schlohweißen Haaren hervor, und zornig prügelte ich den Bösewicht mit meiner Linken, so lange ich Atem besaß.

Erneutes Geschrei, Weiber kamen hinzu, Männer, ein Auflauf entstand, alles tobte und drohete gegen die in der Kirchentür lehnende Alte, immer schreiend: »Die Hexe, die Doppelhexe, wenn sie ins Dorf kommt, gibt es ein Unglück. Schlagt sie tot, in die Weser mit ihr, nehmt Steine!«

Ich hatte meine Herde noch nie so gesehen; in einem Stoßseufzer bat ich zu Gott, um eine Eingebung, die Bedrohte zu retten.

»Wer kann beweisen, daß ihr Erscheinen Unglück bringt?« rief ich.

»Wir alle«, entgegnete man mir, »was wollte die Hexe an der Kirche? Gebt acht, was uns geschieht!«

Und ich?

»Liebe Leute hört mich an!« rief ich und mein tapferes Weib stellte sich mit einer Muskete neben mich. »Nach dreißigjährigem Elend und Blutvergießen wollt ihr nun dieses Mütterchen töten, die bald Gnade bei Gott hat? Ihr wollt den Frieden beschmutzen durch Mord, ihr habt sie schon verwundet, und Blut ist schon geflossen, und das wird euch Unglück bringen, nicht die alte Frau, die in heimlicher Gottesfurcht auch das für sie offene Kirchlein beschauen kam. Bin ich nicht von Amalia Elisabetha wohlbestallter und löblich eingesetzter Schutz- und Schulmeister, wollte ich nicht stets nur Fürtrefflichstes?! Und ich sage: ich glaube, dieses Weiblein bringt uns Glück. Spart eure Wut, wartet es ab, tut nicht eine große Sünde; ich sage nur noch: ihr Blut kommt über euch!«

Sie murmelten, grollten, stimmten bei; währenddem hatte meine getreue Eckeharde die Dämmerung benützet, das arme Hexlein in die Kirche hineingeführt, aber sofort es zu einer zweiten Tür wieder hinaus und in Sicherheit gebracht.

Es entging mir nicht und nun hub ich kräftiglich an zu klagen: »O Herr, mein Gott, steht es so mit uns?! Kaum zeigest du uns Saat und Ernte, so ist dein armer Knecht bemühseligt, einen Mord zu verhüten! So steht es mit uns, ist das unser Glaube, unsere Dankbarkeit? Wollt ihr nicht mehr auf mich hören, da ich doch all' Weh und Leid seit fünfzehn Jahren mit euch getragen, euch beraten, ich mir keine Gewalt und Rat über euch angemaßet, sondern ihr selbige mir gegeben, da ich euch zu dreimalen aus Brand- und Plündernot befreite? Lieget nicht seit dem Gefecht auf den Wiesen dort, den Köppen, meine Rechte samt dem Arm im Dorf begraben und wollet ihr mir jetzo mein Herze ausreißen, indem ihr unschuldig Blut vergießen wollet?! Nein, nein, wo ist mein Weib, meine Kinder? Versprechet ihr mir nicht, fürderhin von solchen schändlichen Gedanken abzustehen, so ziehe ich fort, ziehe zu meiner Gönnerin, der Amalia Elisabetha!«

Ein Geschrei erhub sich: ich solle nicht fort, man wolle mir folgen, und doch mußte ich noch einige Male bekräftigen: »Ich glaube, das Weiblein bringt uns Glück!«

»Cyriakus«, sprach mein Weib zu mir nach dem Abendbeten, »die von der Klus lässet dir vielmals danken, und dein Glaube solle nicht zu schanden werden, das würdest du bald im Stall und in der Kirche ersehen.«

»Was soll dieses heißen?« fuhr ich auf. »Stall und Kirche? Hat sie eine Teufelei vor?«

»O Mann«, entgegnete mein Weib, »wirst auch du hitzig? Hättest sie nur sollen reden hören, wie eine Fürnehme und fromm. Nein, der trau ich; und was gilt's, ich suche sie einmal heim!«

O Neugierde der Nachkommen Evas!

Glück, ja Glück und Freude brachte uns die gute Hexe! Macht mein Weib heut früh vor der Sonne ein groß Spektakel, daß ich samst meinen Kindern erschrocken vom Lager auffahre und mein sonstig erster Gedanke: »hilf uns heut, dreieiniger Herrgott«, mir abhanden kommt. Meck, meck, meck! trillerte es draußen, und bevor ich mich kleiden kann, kommt meine Eckeharde wie unsinnig ins Kämmerlein gelaufen und hinter ihr ein gesprenkelt, prachtvolles Ziegentier, welches uns alle beschnuppert, mein einziges Töchterchen, das Mündchen aufsperrende Madlenchen, in die Ecke stößert, und dann wieder zu meckern anfängt aufs kläglichste.

»Wo kommt das Hornvieh her, über das du so eine schier unbändige Freude hast?« frage ich meine Gesponsin und kleide mich und die Kleinen behutsam fertig, um nicht den Zorn des Tieres zu erwecken.

»Von der Hexe ist es, von der Doppelhexe!« ruft sie. »Ich fand es draußen angebunden, sein Schreien weckte mich. Lauf Mann, schneid' ein Ärmlein Futter auf dem Kirchhof, doch nein, zu lange währt's!« und wie der Wind war sie hinaus.

Das Tier sah ihr mit Augen nach, als hätte die unverständige Kreatur verstanden, was sie gesagt. Ich wollte mein Kindlein sich waschen heißen, da trippelte unser Zuwachs hinzu und trank das Wasser schier aus. Im Verein wundern wir uns über solch possierliches Getue, da ruft mich meine Frau, ruft und ruft und rennet endlich mit einem großen Schrei ohne Kraut wieder herein, blutrot im Gesicht, Tränen im Auge und nur mühsam stammelnd:

»Cyriakus, mein viellieber Eheherr, geh zur Kirche, ein Wunder!«

Vermeinend, sie sei vor Ziegenfreude ein wenig unruhig im Gemüt geworden und ein Schlagfluß könne sie treffen, wollt' ich ihr den Kopf mit kalt Wasser feuchten, doch wurde ich schneller belehrt, sie sei bei Verstande. Am Euter des Tieres hing ein Tröpflein Milch. »Du Liebes«, murmelte sie sanft und hausfraulich, »du willst gemolken sein!« und in ruhiger, besonnener Wichtigkeit holt sie ein Gefäße, kniet sich hin und melkt. Ich aber ging zum Gotteshause.

Morgendlich Rot brach durch die kleinen Fenster und strahlte erhellend über den Altar, den ich kaum zu beschauen wagte. Ich schrie nicht auf, wie mein Weib, ich legte die Hand aufs Herz. Auf dem Gottestische lag eine prächtige Sammetdecke und darüber ein fein battistenes Laken mit Kanten. Ein Kreuz mit einem goldbeleuchteten Heiland daran stand inmitten, zwei hohe Leuchter mit brennenden Kerzen daneben, ein großherrliches Bibelbuch davor, und da schimmerte auch noch ein goldener Abendmahlskelch nebst Kanne und Teller! Und ringsum Blumen: Rosen, Veigelein, Rosmarin. Auch über die Kanzel ein Tuch gebreitet, sotaner Weise man kein Schaden zu erblicken vermochte. Himmelsrot überglänzte aber alles, ruhte auf dem Altar, ließ die heiligen Gefäße, den Erlöser am Kreuze, erflammen, und ich bat kniefällig: »O Herr Jesus, wie auch vor Zeiten von Dir ein Morgenrot ausging, erhalte uns diese, so unerwartet geschenkte Zeichen Deiner Religion und gib, daß wir sie bald aus würdigen Händen würdig und gesegnet benützen können. Erhalte unsere Lehre, gib uns Frömmigkeit, Frieden bis zum Abendrot unserer Erdentage!«

Dann sang ich kräftiglich mein Leiblied: »Nun danket alle Gott!« Beim letzten Verse standen Weib und Kinder um mich herum und sangen mit, und nachdem erzählte meine Ehegesponsin, wie sie anfangs die köstlichen Zierden entdeckt hatte.

»Futter für die Ziege zu schneiden, kam ich her«, erzählte sie; »am offenen Türlein hier vorüber eilend, bannte mich ein Glimmer vom Altar. Bis in die Seele erschrak ich und wankte hinein, fürchtend, staunend, schauend. Da sah ich hier am Taufstein ein wunderlieb Mägdelein stehen, zwar barfuß und in armer Kleidung, doch ein golden Stirnband um die schwärzlichen Locken. ›Dieses ist das erhoffte Glück der Doppelhexe‹, sprach's holdselig, ›auch die Ziege ist euer, und mehr noch soll euch werden‹ sagte sie – und: ›Tut das Dorf nach deines frommen Eheherrn Willen, so soll ihm noch viel des Glückes werden, so weise ich ihm einen Schatz nach, der es reich macht‹, raunte es hinter mir, und als ich mich wandte, siehe, da stand die Alte selbst da und befahl: ›Eile, hole deinen Waibel!‹«

»Und jetzt, jetzt sind sie beide fort«, sagte ich sinnend und zeigte der sich ansammelnden Gemeinde unsere Geschenke der Doppelhexe, sie aber später sorgsam verschließend. –

Wie, ein Mägdelein hat sie bei sich gehabt, ist es ihr Kind, ein gefunden Kind, ist es eine Enkelin und wird es als Christin erzogen? Und woher nahm sie die Kirchenschätze, die sie uns geschenket?

Am Abend.

Meine beiden Buben Fridolin und Martinus haben gegen mein Gebot auf der Klus umher gewittert, am Hexenhüttlein, – ist ihnen aber übel bekommen! Unsichtbarer Hand bekamen sie einen bissigen Wasserstrahl ins Gesicht, und es flog ihnen ein Steinlein an die fürwitzige Nase, auch ein alter »wauwau« bellender Rabe und eine Katze, die wie ein Hund aussah, trieb sie hinweg.

Nach dieser Beichte absolvierte ich die wilden Bäumchen mit einer Tracht Prügel; sie gehen nicht mehr hin. Jedoch meine Eheliebste und ich wollen derbalden gehen und uns bedanken und befragen.

 

Am zehnten Tage des Monats Julius.

Zur selben Zeit, wo man uns beschenket hatte, in Frühkühle vor Tageshitze, stiegen wir heute zur Alus am Papenbrinke. Von fern sahen wir ein Rauchstrichlein der Hütte entsteigen, dem wir entnahmen, auch in ihr wache es schon.

»Komm«, sprach ich zu meiner Eckeharde, »wir wollen nicht den vielbetretenen, gemeinen Weg wandeln, schau hier, ein Fußpatt durchs Gebüsch, der führt etwa auch hin, und wir sehen noch andere Dinge.«

Beschwerlicher wurde der Pfad, dichter das Gebüsch, und beschließlich standen wir vor einem Erdhaufen, auf den ich mich verschnaufend setzte, während meine Gesponsin zankte:

»Nun ist's aus, wir kommen nicht weiter. Wären wir doch auf dem Wege geblieben!«

Von ohngefähr sah ich rückwärts, sah, daß wir zuweit gegangen, absichtlich irregeführt, und dort ein Weglein abzweigte. Ich zog meine Murrende an der Hand zurück, ging mit ihr ein wenig und stand dann mit eins, ungehofft in dem Gärtlein, dem die Altarblumen entstammten. Wir erkannten selbige Sorten, nickten ihnen zu, und eine zittrige Stimme aus der Klause rief:

»Ehrenhafter Cyriakus Dahlström, alter Schwede, gehe mit deiner Hausehre weiter, rings um das Hüttlein, denn drinnen ist zuviel Kräutergeruch und Getier. Dort will ich ihn sprechen, doch vorher muß ich noch, hi hi, mein Haar strähnen!«

Auch wir lachten über die Eitelkeit und gingen zu. Da sahen wir die Ziege, die wohl der unseren Mutter war, auch der Rabe kam geflattert und wauwaute uns wie ein Hund an, und auch die Katze kam, die wie ein Hund aussah, ich betrachtete die Graue und siehe, es war ein fett Käterlein, dem Schwanz und Ohren zu Stummeln abgeschnitten waren.

Nun kam die Hex', viel höher anzuschauen, auch ein Goldband im Haar und ein schwarzer Schleier darüber hin, fragend: »Was willst du hier?«

»Dir danken –«

»War in deiner Schuld, und wir sind noch nicht quitt. Du hast noch mehr der Fragen, Wünsche?«

»So ist es.«

»Frage, wünsche!«

»Vorerstens ...«

»Willst du Waibel wissen, woher der Altarschmuck? Die Bekleidung ist aus meinen guten Zeilen, Kreuz, Leuchter, Teller hat der letzte Pfarrer bei mir verborgen, als die ersten feindseligen Plünderer ins Dorf brachen, den Kelch hab' ich einem abergläubigen Landsknecht gegen eine Wundsalbe eingetauscht. Blut klebt nicht an den Geräten; kommt ein neuer Priester, möge er sie weihen und friedlich benutzen. Bist du zufrieden?«

»Ich bin es!«

»Und weiter willst du vom Schatze wissen. – Du besaßest ihn schon vorhin; glaubst du, dein Dorf könne schon Reichtum ertragen?«

»Nein, will warten bis der Pfarrer kommt, – doch sage mir über das etwa sechzehn Jahre zählende junge Blut, so mein Weib bei dir gesehen; wer ist es?«

»Danach darfst du nicht fragen. Getröste dich, es ist Christin, suche es nicht, denn du würdest es niemalen finden. Willst du gut sein, so halte die Dörfler von mir, ich werde allen lohnen und vielleicht noch eines Tages eure Herrin sein. Flickt Turm und Kirchendach vor der Ernte und Herbstregen!«

»Womit, Gestrenge? Uns fehlt es an Decksteinen!«

»Hi hi hi, geh links dem Hügel entlang und du findest eine Schiefergrube, darin ist das Fehlende! Und nun geht. – Da, Dahlströmin, hast du für dich und deine Kleinen. – Fort, führ' euch der Himmel!«

Ihren gebietenden Winken folgten wir, sie sah uns lange nach, deutete nach dem Hügel und ich fand in der Grube fürtrefflichen Schiefer. In einer halben Tageszeit konnte man genügend schneiden, um unser Gotteshaus zu dachen.

Mein Weib drängte, wir eilten hinab, aber als wir eben der oben noch weilenden Alten einen Gruß sandten, kicherte es am Busch, und wir sahen dieselbe leibhaftig vor uns, oben stand sie und war auch hier befindlich, die Doppelhexe!

Alter Waibel forcht sich nit, ich will sprechen, greifen, da fliegt mir ein fein Pülverlein entgegen; ich reibe die Augen, niese, schneuze, mein Weib ebenso, und als wir fertig, ist das Gebild oben und unten verschwunden!

Sonderbar, keine Hexe wohl und doch doppelt? Gebot aber meinem Weib Schweigen wegen des Volkes; sie schweigt gern, ein Goldstück hatte ihr die Gestrenge geschenket. Nein, eine Hexe ist sie nicht, eher eine Edeldame; doch woher? Wozu Hexen-Mummung?!

 

Am fünfzehnten Tage des Monats Julius.

Unser hockwürdiger Prediger ist da, und nun haben wir all' neuen und guten Mut!

Soeben als unser Turm wieder völlig gen Himmel wies, kam ein großer Reisewagen, von vier Reutersknechten geleitet, den Helweg entlang in unser Dorf. Darin ein blasser, junger Mensch mit schwarzem Wams und langen Haaren, mich Hinzueilenden fragend, ob dieses wohl das Dorf Hohenrode sei.

Ich mache meine Reverenz und bejahe. Da lächelte der Jüngling gewinnend und sprach:

»Sicher ist er der gerühmte Herr Traugott Cyriakus Dahlström?«

»Der bin ich, halten zu Gnaden.«

»Und ich bin der Pfarrer, den die Landgräfin dem Dorfe sendet!«

Du lieber Gott, so blaß, so blutjung und unser Pfarrer?

Er mochte wohl meine Gedanken erraten und sprach treu:

» Gottes Kraft ist auch in den Schwachen mächtig, Er ist mein Stab; doch auch an Ihm werde ich eine Stütze haben, wie?«

»Nach menschlichen Kräften und bestem Willen«, entgegnete ich warm.

Da drückte mich das Jungblut an sich, und fortan waren wir uns gesonnen, wie ein alter und ein junger Engel.

Dabei ist er fürnehmer Leute Kind, sein Ohm der Kanzler des Landes, Sixtinus!

Auch allen, die hinzugelaufen, drückte er unter erbaulichen Worten die Hand; und nachdem er von meinem Weibe eine Erquickung angenommen, führten wir ihn in unserer Mitte in das kleine, lang bereitete Pfarrhaus.

Viel der nutzbaren Dinge hat der junge geistliche Herr mitgeführet in seinem Wagen: schöne Stühle und Tische, Betten. Bücher, Körnersamen drei Säcke, etwa eine Mandel junger Obstbäumlein und etliche neue herrliche Kirchenlieder.

Unser Gotteshaus tat ihm baß gefallen mit seinen Geräten; es schien zu seinen Ehren auch die Sonne gar freundlich darein.

Alles prüfte er sinnig, auch die Kanzel bestieg er und legte seine Bibel hinauf, und dann mußte ich ihm berichten. –

Heut', am Sonntag, war der erste Gottesdienst, und mir zittert der Kiel in der Linken, denn arg bebt mein Herz noch vor Wonne, Andacht und Dank!

Mit grünem Laub war alles gezieret, auch zwei Wundersträuße in silbernen Vasen, sicher aus dem Hexengärtlein, standen auf dem Altare, und auch um die Kanzel war ein trefflich Kränzlein geschlungen, Kränzlein trugen unsere Mägdelein auf dem Haupte, wie die Knaben Zweiglein in den Händen.

O, wie hat der Pfarrjüngling gepredigt, wie herzinnig, gläubig gebetet, mit welcher Kraft das Wort Gottes ausgeleget. Sein Antlitz war das Feuerantlitz eines Propheten, und seinen Augen entleuchtete der heilige Geist; Staunen, Bewunderung erschütterte uns alle. Er wird uns ein rechter Hirte sein, hat er doch an der Stelle studiert, wo Luther weilte.

Alsdann bereitete er uns zum heiligen Mahle, reinigte die Gefäße, weihte sie und verteilte unter uns Leib und Blut des Herrn!

Viel ist geweinet worden an diesem Morgen, viel gelobt, und obgleich Weihe und Mahl viele Stunden gewähret, wollte sich doch keiner so schnell entfernen von unserem teueren Pfarrherren, jeder dankte, drückte, küßte ihm die Hand, er aber ließ sich alle Namen nennen und verknüpfte auch dieses mit Segensworten.

An ein irdisch Mittagsmahl wurde kaum gedacht; es war heut auch leichtlich zu bereiten, da es im Dorf überall Taubenbrühe gab, sintemalen in den Kriegsläuften diese Vögel eine Zuflucht im zerschossenen Turm gesucht hatten, so es in den Jahren über hundert worden waren, welche ich bei stattgefundener Renovation verteilet hatte zur Speis und Zucht.

 

Am fünfundzwanzigsten Tage des Monats Julius.

Sankt Jakobustag.

In der Ernte! – Reif ist das Korn, voll die Ahren, schwer die Garben, groß Gottes Güte! Das erste Korn, in Frieden gesäet und geerntet, steht in Schocken!

Als wir vollendet, kam unser lieber Hirt und stimmte einen Lobgesang an, wir sangen mit. Im nächsten Jahre hofft auch er, seinen Acker zu haben. Schon wohl im September will sein Ohm, der löbliche Kanzler hochmögend, ins Tal kommen und im landgräflichen Auftrage die Mindenschen, Möllenbeckischen und Fischbeckischen Klöster und Stiftsäcker verlehen und verteilen, und von Frauenkamp und Anger, sowie der Klus sollen auch Pfarrerei und Schulmeisterei bedacht werden. Doch was wird aus dem niedergebrannten Edelgute Schönebusch?

Auf meine Auskunft hat auch darüber der hoch-* ehrwürdige Herr nach Kassel berichtet. Herr und Söhne sind seit fünfzehn Jahren im Kriege verschollen, und in der Nacht, wo vor zehen Jahren die Tilly'schen das Schloß überfielen, ausraubten und verbrannten, ist die edle Freiin von Schönebusch nebst ihrer alten Mutter und ihrem Töchterlein verschwunden. Sollten auch sie alle dahin geraffet sein? O Menschen, Schicksal, Glaube!

Abends noch trat der priesterliche Jüngling in mein Gelaß. Vieles hatte er zu besorgen. Wie unsere Stiftshütte wohl eine neue Glocke, eine Orgel bekäme, wie man der Gemeinde noch so manchen Schutz gäbe gegen eines strengen, langen Winters Unbill, gegen Mangel und Teurung.

»Geld, Geld!« rief er aus. »Mein Scherflein biete ich gern dar, aber es ist wenig, und die Landgräfin hat aller Orten Wunden des Krieges zu heilen, sie kann man nicht angehen, sotaner Weise es noch viel ärmere Gemeinden gibt als wir. Was meint er, mein weiser Freund?«

Mir fiel alsogleich der versprochene Schatz der fürnehmen Hexe ein, und ich getröstete ihn damit, und er rief:

»So sie uns schon so manch' Gutes erwiesen, wird sie uns auch dieses gewähren, und wir wollen es gern nehmen. Wissen wir auch nicht, wer sie ist, so ahnt mir doch, daß diese seltsame Frau edlem Blute entstammet, und sie noch einst selbst aus ihrer bedachten Mummerei tritt. Wie wär' es, wollen wir nicht gleich zu ihr gehen und uns unsere Sorgen noch vor Nacht vom Herzen schaffen?«

Ich willigte ein, wir gingen zur Klus.

Von Ferne sahen wir im Mondenscheine ein Wesen da oben tanzen; niemals konnte dieses die Alte sein, es verschwand auch schnell, als wir nahten.

Wir klopften, drin rief es: »Pfarrer und Schulmeister, holt nur den Schatz!«

»Wo liegt er?«

»Du weißt es, Cyriakus, du hast schon darauf gesessen; gehe nur, der Spaten ist schon dort!«

Ich verstand, leitete meinen würdigen Begleiter durchs Gestrüpp zum Erdaufwurf, und siehe, ein Spaten war in Wahrheit dort. Ohne sonderliche Mühe erwühlten wir einen Topf; der war gefüllt mit Gold und nicht leicht. Aufrichtig riefen wir vereint: »Dank, Gute!« und gingen heim, hinter uns tanzte, sang, trällerte die Alte wie eine Junge auf und ab.

Als wir am Krümpel ein wenig niedersitzen, siehe, da saß die Alte ganz gebrechlich auf dem Krümpelstein. Dieses Mal trat mein Pfarrer auf sie, die Doppelte, zu und sprach:

»Im Namen des Herrn Jesus!«

Ich vermutete, es würde, wie dazumal, ein Pülverchen kommen, doch nein, die Alte ergriff die ausgestreckte Hand und entgegnete zitterig:

»Hoffe ich, selig zu werden! Verwendet es zum Segen, Herr Pfarrer, bald hoff' auch ich unter der Kanzel zu sitzen, um zu lauschen; und Er, Waibel, hab Er die Augen offen, ich sehe und höre!«

»Walt's Gott!«

Und wir gingen.

Noch zur Nacht teilten wir das neue Geschenk in zwei Hälften. Ein Fundus sollte für Priester, Kirche und Gemeinde auf alle Notfälle verbleiben, die andere Hälfte geteilt werden unter die Gemeinde, wie alles bisher, und so haben wir es auch gehalten! – –

Wie lieblich, freudig und ernst zugleich weiß unser Hirte, statt meiner, unsere Lämmlein zu unterrichten; wie nehmen sie zu an wahrer Erkenntnis. Am Sonntag, des Nachmittags, unterrichtet, lehrt er uns alle.

Da mir nun mein Amt als Präzeptor abgenommen war, hatte ich Zeit, überall zu leiten, zu bessern. Unsere Mauern, unsere Dächer sind ganz, Brot, Nahrung, Kleidung, Heizung vorhanden; es wird Herbst, und wir haben gesorget. Auch ein Fest hatten wir abermals, da unsere neue Glocke kam, auf dem Glockenplatze, wie die frühere vor Alters, getauft und darauf in den Turm gebracht wurde. Auch neue Bänklein und eine neue Orgel haben wir. Doch ich kann sie nicht spielen, der Hochwürdige spielt selbst und predigt alsdann. Er aber sprach in Seiner Grundgütigkeit:

»Mein Freund, für künftige Zeit werden wir diesem Mangel in seinen Kindern abhelfen. Sein Fridolin muß Lehrer werden und die Orgel spielen lernen und sein sanfter Martin, mein Liebling, Priester; ich habe dererwegen schon nach Kassel referieret und unterrichte derweilen seine Söhne nur ein wenig gelehrsamer!«

Ich küssete ihm die Hand und zerdrückte eine Träne. O, so soll mein Haus doch noch geistlichen Standes sein!

 

Am neunundzwanzigsten Tage des Monats September.

Sankt Michaelistag.

Sorge über Sorge!

Zwar stehen wir in völliger Wohlhabenheit, aber in der Gemeinde sauerteiget es. Wir werden nicht allein von anderen Dörfern wegen unseres Aufblühens geneidet, obgleich wir jederzeit helfen und mitteilen, auch unsere Dörfler selbst neiden sich gegenseitig, werden hochmütig, üppig, schon wird ihnen zu wohl, und unser lieber Pfarrer hat schon geweinet über sie.

Ist da namentlich ein räudig Schaf, Hinz Tiedebold, ein Zugelaufener, der Stärkste im Orte und neuerdings wie Hans in allen Ecken, doch jedesmal verstummend, so ich hinzutrete. Kaum mich irrend, habe ich ihn schon um die Klus schleichen sehen; besser wäre verborgen geblieben, woher unsere Münze stammt, nun gieret man auf die Frau Hexe und ihre Schätze, raubt sie etwa aus und schlägt sie unversehens tot!

Was machen? – Sorge über Sorge; der Tiedebold muß hinaus vor Winters!

Gut nur, daß sie die Hexe baß fürchten.

Noch ärger! – Gestern belfere ich mit meinem Weibe, so es leinen Mützenband, die Elle um zwei schwere Pfennig gekaufet und auch noch für das Madelenchen warmes Stoffgewand; hinterdrein erfuhr ich im Dorf, daß der Holländer, so solche Ware verhandelt, berichtet hat, hinterm Berge zu Kattenhagen habe man eine rotäugige Frau getauchet und verbrannt. Wehe, böse Saat für unser Volk!

Ich sehe häufige Zwiesprache, die mir nicht gefällt, weil sie heimlich ist. Ja, gute Klusfrau, Cyriakus hat Augen und Ohren offen, doch nur einen Arm, drum wache auch du selbstens.

Da es Winter wird, ziehen wieder leidige heimat- und herrenlose Soldatesken als Buschklepper und Strauchdiebe, wo angänglich auch als Straßenräuber, auf den Heerwegen, denen man nach Atzung barsch begegnen und vorsichtig nachschauen muß, wegen des roten Hahnes, den sie gern aufs Dach setzen. Unser Kirchlein ist itzo fest verriegelt, auch wachen nachts noch zween wackere Männer mit mir.

 

Am siebenzehnten Tage des Weinmonats.

Mein Weib, meine Eckeharde, saß gestern gegen Abend friedlich und spann den ersten gewonnenen Flachs, der, Gott gelobet, zu einem Handtuch für das Taufsakrament verwebet werden soll; ich sitze daneben und schäle so gut ich kann mit Madelenchen Bohnen aus, während Martin Latein übt, daß ihm das Köpflein brummt. Da kommt der Fridolin gesprungen und ruft:

»Herr Vater, denket, sah ich doch den Hinz Tiedebold am Hexenbusch stehen mit einem wilden Manne! Sie gewahrten mich aber nicht, und ich hörte sie deutlich sagen: in einer Stunde ist es dunkel, dann ...[*]!«

Mir entfielen die Bohnen und meinem Weibe riß der Faden, doch gebot ich Ruhe. Nun mußte ich noch meinen lieben Pfarrherrn erregen. O, wurde der Sanftmütige voll Feuer! Ein fest Wams anlegend und nach Pistole und Florett greifend, zog er ungesehen mit mir in der Dämmerung zur Klus. Verborgen saßen wir im Busch und warteten, dem Hüttlein gegenüber. Noch sah man die Hand vor Augen, da kalabasterte es auch schon den Weg herauf, machte Halt und klopfte.

»Wer ist da?« fragte es drinnen.

»Der Pfarrer und der Waibel«, entgegnete eine verstellte Stimme, die ich als die Hinzens erkannte.

»O du ver–, ja wohl, wir sind hier, wart nur«, dachte ich, drinnen schrillte es aber:

»Du lügst, nicht diese seid ihr, nein, elende Diebe!«

Nun hörten wir sie vernehmlich beratschlagen. Sie wollten so lange pochen und drohen, bis die Alte öffnete, dann wollte der Wilde sie niederschlagen und acht geben, während Hinz alles durchsuchte.

Wirklich kam die Frau endlich, weil sie sonst die Tür erbrochen hätten, einen Feuerbrand in der Hand.

Nun schrie Hinz Tiedebold: »Auf, Hexe, zeige, daß du zwiefältig bist, denn jetzt wirst du erschlagen; drauf, drauf!«

Wir eilten zu Hilfe, aber kaum hatte der Fremde seinen Kolben erhoben, um ihr das Haupt zu treffen, da stand plötzlich die Alte zum zweitenmal in der Tür und tat dem Räuber, was er zu tun gedachte, und schlug kräftiglich mit einer umgekehrten Flinte aus sein Haupt, daß er taumelnd niedersank.

Wir wollten den sich mühsam erhebenden und blutenden Räuber binden, da trat Hinz dazwischen und sagte frech:

»Tut es nicht, lasset ihn ziehen, denn übel werden es seine Genossen dem Dorfe vergelten, kommt er nicht zurück.«

»Was kümmert es dich, was weißt du davon, du giftige Beule?!« schrie ich erbost, doch der geistliche Herr sprach:

»Ja, lassen wir ihn seiner Wege ziehen, denn, nehmen wir den Mörder ins Dorf, wird er gehenket; dem Strick aber entläuft er doch nicht. Doch auch du, Tiedebold, du Verräter und Schuft, begib dich hinweg, in unsere Gemeinschaft gehörst du nicht mehr!«

Er lachte uns aus und höhnte: »Vielleicht bekommen wir doch noch Gemeinschaft, aber nicht wie Ihr wollt. Einen Strick gibt es doch auch für Euresgleichen, hab' manch Pfäfflein hängen helfen!«

Damit stiegen sie weiter hinauf, und wir hörten bald ein Roß traben. Wie, beritten war der Hallunke? Wir sahen uns an und dachten beide, »die kommen wieder, hüten wir uns und unser Dorf!«

Item wir noch ein Weilchen verziehen, um zu lauern, hören wir drinnen verhaltenes Weinen und Bitten:

»O Teuerste, Liebe, Einzige, wenn man mir auch dich noch erschlagen hätte, dann wäre ich ganz allein, was würde aus mir? O laß uns ziehen von hier und in Bälde!«

»Wohin, meine Taube?« entgegnete tröstend eine alte der jungen Stimme von erst. »Hier ist unsere Heimat; und leben dir Vater und Brüder noch, so werden sie sicher die Gegend nach uns durchforschen. Vielleicht sind sie gefallen, vielleicht beweinen, betrauern sie uns als Verlorene, wie wir sie. Nur wo deine Mutter ist, wissen wir gewiß: in der ewigen Heimat; deine Schwester hatten wir zu ihrer Pate, der Stiftsoberin, ziehen lassen und damals, als die wüste Schar uns überfiel und wir dem brennenden Schlosse entflohen, das zusammenstürzend deine vielliebe Mutter erschrecklich begrub, sind auch die frommen Stiftsfrauen geflohen oder ermordet. Weine nicht, mein Hedwiglein, weine nicht, mein Röslein, du weißt, wer nach unseren Verwandten forscht, dein Freund, der wackere, der dich bald heimholen will; balde kommt er, und schon derowegen müssen wir hier ausharren, denn wenn er käme und uns nicht fände?! Sind wir glücklich durch die Blutjahre gekommen, weil wir uns hier verborgen haben, und die Doppelhexe gefürchtet war, so werden wir doch, trotz raubgieriger Schelme, in Friedenszeiten leben bleiben? Deucht es uns besser, so entdecken wir uns dem würdigen jungen Priester und suchen Zuflucht bei ihm, ist doch auch der Waibel ein ehrlicher Freund von uns!«

Sollten wir nicht gleich hineingehen zu den unbekannten Frauen und sie mit uns gehen heißen? Ja, mein Pfarrer hat recht, sie sind sicher von edlem, fürnehmem Blute; doch horch, trabte es dort nicht abermals? Aber diesermalen war es entgegener Seite aus dem Hohlwege, unter dem hohen Stück. Wir setzten uns in Positur, fasseten unsere Waffen; sollte es abermals ein Überfall sein? Doch nein, der fürsichtig auf der schlechten Straße Reitende sang mit heller Stimme ein mir bekannt Jugendstücklein.

Räuber singen nicht so, sagten wir uns und ließen die Waffen sinken. Doch wer war er, was wollte er, strebte er zu der Frau Hexe?

Siehe da! Weit ging die Tür auf, heller Schein drang itzo von innen, und die Hexe, in doppelter Gestalt, stand abermalen da. Doch nur einen Augenblick, denn als der Angekommene vom Pferde sprang, geschah vor unseren leiblichen Augen ein Wunder. Ein Hexlein richtete sich voll Jubel groß auf, riß sich die langen, weißen Haare vom Haupte, tat ein Leder vom Gesicht, ließ auch ihr grau Gewand fallen, und ein bildschön Fräulein stand anitzo da.

»Hermann, mein Hermann!« rief es frohlockend. »Du bist da, o nun ist alles gut!«

Unter herzen und küssen schritten sie hinein; wir waren wohl in Neubegier zu nahe gekommen, die Alte erblickte uns, nickte und sprach:

»Habet Dank, ihr getreuen Herren, ihr behütet uns noch, doch gehet nun, denn ein trefflicher Schutz ist jetzt eingekehrt. Gesehen habt ihr, was ich euch Freunden in Bälde erklärt hätte, nun ist es auch so recht; noch einmal, Gruß und Dank, ihr Werten!«

Als ich meinem lieben Pfarrherrn an seinem Hause gute Nacht wünschte, meinte er:

»Gewißlich kommt dieser Tage mein Ohm, ich habe genaue Botschaft, ihm will ich die Frauen empfehlen!«

»Den Ritter erkannte ich am Wappen«, konnte ich entgegnen, »drei Rosen im grünen Felde und die in der Mitte gebrochen, führen die Edlen von Rosenbruch, an der Oder begütert und treue Diener des Kurfürsten von Brandenburg. Unter seinem Vater habe ich gefochten, vielleicht erfahre ich noch von dem kühnen Streiter.«

O, welch schöner, feiner Junker bei der Hex'!

 

Novembermonat den vierten Tag abends.

Sind wir noch im Kriege, ist nicht Frieden geschlossen, sind wir nicht sicher vor Mordgesindel, Raub und Brand?!

O, daß ich es aufzeichnen muß in dich, du gut Heftlein; zu gut bist du mir fast, um solch' Schandtaten Kindern und Kindeskindern zu erzählen.

Und auch mein teurer, frommer Pfarrherr ist verwundet, wenn auch nicht schwer! Nein, besser ist es doch wohl, in eine Stadt hinter Tor und Mauern ziehen, wo Schutz und Ordnung herrscht, und man seines Lebens gesichert ist.

Wohl hatten wir hie und da vernommen, wie immer noch brotlose, arbeitsscheue Kriegsknechte umherzögen, bettelnd, stehlend; sich auch wohl mit den Bauern katzbalgten. Doch waren wir, bis auf die Bettelnden, bis dato verschont geblieben, und an die Drohungen des Hinz Tiedebold und seines Kumpanen gedachte ich nicht mehr. Da kommt gestern nachmittag, als ich eben unser Kirchlein für den Gottesdienst bereite, eine der Klusfrauen gelaufen, trotz Hexenvermummung erkenne ich am Springen die junge, und sagt eilig:

»Hütet, wahret Euch, heute früh waren wir im Tannicht, um Wundharz und Kien zu sammeln, da kam es gezogen, wohl an zwanzig böse Buben, junge und alte, doch alle bewaffnet und an ihrer Spitze Tiedebold, der sie gierend machte auf das reiche Dorf, auf seine Schätze in Kirche, Schrank und Stall; auch auf die Doppelhexe. Doch bei ihr wollen sie nicht den Anfang machen und nicht wollen sie das Dorf überfallen abends, nachts, am Morgen, nein, am hellen Tage, wo alle in der Kirche sind, morgen am Sonntage. Dort soll die Gemeinde eingeschlossen werden, bis alles ausgeraubt ist, und wer widersteht, den wollen sie schinden, vorerst den Pfarrer und Waibel martern. Eilt, eilt, die Zeit drängt, doch Vorsicht: sicherlich sind Wachen ausgestellt. Wir sind schon in Hut beim Pfarrer!«

Sie enteilte, noch laut inständigst wünschend: »Wäre doch mein Hermann da!«

Ich wünschete es eben so herzlich, den jungen Degen hier zu haben. »Nun müssen wir mit Gott über die Mauer springen«, seufzte ich bänglich, und da kam auch schon mein geistlicher Herr! Kühnlich gemutet wie ein junger David und mich schon durch sotanen Anblick aufrichtend. Lange berieten wir uns, und dann betete er herzinniglich, so daß mir alle Furcht verging. Ja, es ist etwas herrliches um das Gebet, wenn es so glaubensstark, so ernstlich ist, daß es vor Gott kommt, und wir an innerer Ruhe gewahren, erhört zu sein!

Alle Männer bestellte ich am Abend in die Kirche, doch ohne Lichtlein, um uns nicht zu verraten. Und unser Seelsorger gab nun Bericht, welch' ein Plan im Werke gegen uns sei, und wie man sich erwehren wolle.

Da ächzte es vielfach im Dunkel und barmte; doch der Rat, die Worte unseres Hirten erhellten selbst die dunkelsten Gemüter. Der Gottesdienst sollte stattfinden wie sonst, aber die Männer ihre Waffen in der Vorhalle haben; ein zuverlässiger Mann oben am Eulenloch des Turmes auslugen, und das Nahen der Bande melden, die wir dann draußen auf dem Kirchhofe empfangen sollten, während drinnen die Orgel weiter gespielt werden und die Weiber weiter singen sollten.

So wurde es beschlossen.

Das war ein bänglicher Sonntagmorgen heute. Wie würden wir den Tag überstehen, würde nicht ein oder der andere von uns bis Abend totgeknallt daliegen? Doch unsere Waffen waren gut im Stande und war auch sonstens alles wohl vorbereitet, und so gingen wir denn mit Mut und Gottvertrauen in die Kirche.

Ungestört kamen wir bis zum Schluß der Predigt, und ich glaubte schon, die Rotte Korah habe für dieses Mal ihr böses Werk aufgegeben, da winkt mir die Wache vom Turm, ich klettere hinauf und sehe vorerst nichts; doch dort, in der Richtung bewegte es sich, wo der Burgberg an unsere Äcker grenzt, vom Walde kamen sie näher, verbargen sich von Busch zu Busch springend und in einer Fünfzehnvaterunserzeit mußten sie hier sein!

Ich meldete es unten. Der Pfarrer stieg von der Kanzel, gebot Weibern und Kindern völlige Ruhe, und mein Fridolin mußte zum erstenmal die Orgel spielen; ich freute mich, wie gut er schon: »Ein' feste Burg ist unser Gott« zu spielen verstund. Wir nahmen unsere Waffen, hießen die Kirche fest verriegeln hinter uns und verbargen uns im Winkel an der kleinen Kirchentür, bis sich die Bande an der Mauer versammelt hatte und hervorbrechen wollte. Da trat unser Prediger vor sie hin und fragte dräuend:

»Was wollet ihr?«

»Siehe, der Pfaff ist außer der Kirche; hat er Wind bekommen?« grollte ein gräulich alter Lump.

»Was wir wollen?« schrie ein anderer. »Eure Kirchengeschmeide, euer Geld, euer Korn; gebt es, und wir ziehen wieder von dannen, wo nicht, so nehmen wir uns alles und lassen euch in der Kirche braten!«

»Ich rate euch, hebet euch hinweg, und lasset euch nicht mehr blicken, sonst erwartet die Folgen«, warnte unser Haupt.

»Will der Pfaff Feldhauptmann sein, so mag er auch so behandelt werden!« schrie itzo der üble Hinz zornig, »stoßt ihn beiseite und dringet ein! Sollten wir so genarret sein? Gewiß nicht, hin mit ihm; ist er zu Boden, so wehret uns keiner mehr!«

Danach sprang er hurtig über die Mauer und führte tückisch einen harten Schlag gegen unseren Hirten. Ein arm alt Männlein, schon mit einem Fuß im Grabe, warf sich aber dazwischen, unseren Prediger traf es nur ein weniges an der Schulter, ihn aber mit aller Macht und blutig und tot stürzte er zu Boden auf die Gräber!

Blut war vergossen, ein furchtbar Geschrei erhob sich, ein Kampf wie in Kriegeszeiten, nicht wie zur friedlichen Gottesdienstzeit!

Tapfer fochten wir gegen diese Mordphilister, etliche flohen sogleich, als sie sich so empfangen sahen, aber Tiedebold wollte mich vom Leben zum Tode bringen und schrie diabolisch: »Einarm, Einarm, du sollst gleich ganz hin sein!« und der Teufel legt auf mich an, doch mein Martinus, mein sanftes, schüchternes Söhnlein, so sich aus der Kirche gedränget, nimmt die Hände voll Bausand und schmeißt sie dem Diabolus in die grimmigen Augen, so daß er geblendet abstehen mußte, wie ein Toller um sich schlug und dann mühsam gebändigt und gebunden wurde.

Jetzo lief, was laufen konnte, aber der Herr Pfarrer gebot, sie nur bis zur Gemarkung zu verfolgen, da uns noch des Üblen genug an den hier Verbliebenen bevorstände.

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Von uns war der Greis erschlagen, zween verwundet und der Herr Pfarrer an Schulter und Stirne.

Von den Räubern lagen zween Tote da, ein Verwundeter und der Anführer, der gebundene Hinz.

 

Am sechsten Tage des Monats November.

Gott, mein Gott! Nicht gerne schreibe ich nieder, was heute geschehen ist und fasse mich kurz: Hel, so hieß bei unsern Ureinwohnern der Tod. Im Helwege wurden schon zur Cherusker- und Karl des Großen Sachsentöter-Zeiten Opfer gebracht und Verbrecher gerichtet. Dort stehet eingangs eine mächtige Eiche, einst germanischen Göttern geweiht, und ihr größter Ast reichet weit über die Straße. An diesem Aste hängen seit heute früh die gefallenen und der verwundete Mordgeselle nebst Hinz Tiedebold zur Abschreckung! Gott sei ihren Seelen gnädig!

Hart ist es meinem Herrn angekommen und auch mir. Schlimme, ungezähmte Triebe brachten diese Gottlosen zu solchem Ende, und doch mußten wir sie beklagen.

Um unsere Seelen zu erleichtern, schritten wir nachher in den spätherbstlichen Wald hinein, Martinchen mit uns, eben so still wie wir. Tiefer hinein ging es, stumm auf wilden Steigen, weit über die Burgtrümmer hinaus über Hügel und Berg, durch Tannicht und Gründe; und fürwahr, es wurde uns wohler, als uns Gottes reiner Odem anwehte.

Sprach unser Hirt zu mir:

»Die Klusfrauen sind wieder heimgekehrt zur Klause, sie warten dort ihres Edlen!«

Da kommt mein kleiner Martin gesprungen und raunt:

»Hochehrwürdigster Herr, Herr Vater, Kinder sind dort hinter den Bäumen, auch große Leute und Vieh und Häuslein.«

Mich besinnend, fällt mir ein, hier war vor Alters eine Wendenniederlassung, der Wendenkamp genannt.

Wirklich, wir standen plötzlich in einem armen, kleinen Dörflein, und ein Alter, der mich kannte, kam und gab auf Befragen Antwort: In dem langen Kriege, stets in Angst und Gefahr, habe man, der häufigen Flucht müde, sich in dieser sichern Einsamkeit angesiedelt.

Männer und Frauen kamen dazu, auch noch etliche, ehedem aus unserm Dorfe; doch dem Wunsche, im Orte bei uns leere Wohnstätten zu beziehen, willfahrten nur wenige. Sie glaubten an keinen Frieden und wollten in dieser Freistatt, die sie urbar gemacht, bleiben. Doch eine Gemeinde wollten sie mit uns bilden, unsere Kirche besuchen, langentbehrte Taufe und Abendmahl mit uns halten. Wie glücklich wurde mein Hochehrwürdiger! Und in Aussicht aus solch mühe- und segenvolle Apostelzeit wurde seine Seele stille und in ihr auch meine!

 

Am zweiten Tage des Christmonats.

Erster Adventsonntag.

Viel hat sich zugetragen!

Bei schönem, hellem Winterwetter ist der Herr Kanzler auch endlich zu uns gekommen, hat Bericht entgegen genommen von seinem geistlichen Neffen, hat uns sehr gelobet und alle Äcker verteilt, auch sonst alles trefflich geordnet. Mit ihm kam, hält man es für möglich, unser edler Freiherr von Schönebusch, alt und gebrechlich zwar, doch seine zween ihn begleitenden Söhne um so kraftvollere Helden; hatten gesamt an Krankheiten und Wunden laborieret, waren lange der Heimat fern geblieben, die nichts Frohes mehr bot. Daß seine Gemahlin, seine Schwester und sein eines Töchterlein mit seinem Schlosse verbrannt, war ihm bekannt, doch sein ander Töchterlein hatte ihm die Stiftsoberin glücklich bewahrt und zugeführt. Aber als dieses Fräulein in den Saal des Pfarrhauses trat, tat meine Eckeharde einen Schrei und rief:

»Sehe ich Euch wieder? Ja, ich erkenne Euch, Ihr schenktet mir die Ziege, brachtet die Gefäße für den Altar. Das Antlitz, die Locken, das Stirnband – ja, Ihr seid es; erlaubet Hochwerte, Euch die Hand zu küssen!«

Alle standen wir betreten und verwundert und der Freiherr sprach voll Jammers:

»Nur ein Gesicht, nur ein solch Stirnband gab es so gleichsehend: das deiner verbrannten Zwillingsschwester Hedwig.«

Da fuhr noch ein Reisewagen ein, und Herr von Rosenbruch trat ins Gemach, mit ehrerbietig ritterlichem Gruß sich verneigend, und hinter ihm kam eine alte, würdige Dame schlohweißen Haares und in schwarzer Sammetgewandung mit einem jungen Fräulein.

Einmütig stießen wir alle einen Ruf des Staunens aus, nur der Pfarrer nicht, er lächelte stillselig; hatte man früher von einer Hexe in Doppelgestalt gehört, so standen sich jetzt zwei ganz gleiche Fräuleins gegenüber, die sich mit Zittern beschauten.

Ging dieses zu mit rechten Dingen?

Da rief die Dame, die vormalige gute Hexe, die wir wohl erkannten: »Bruder, mein Bruder!« und umhalsete den alten Herrn von Schönebusch, »du lebst noch!«

»Schwester, herzliebe Schwester!« entgegnete dieser, »dem Herrn sei Dank! Doch sage, lebt auch meine Gattin noch und mein Töchterlein Hedwig?«

»Dein Weib liegt unter Schönebusch begraben, sie floh zu spät, doch deine Tochter Hedwig ist diese!«

»Vater, mein Vater, endlich wieder bei dir und meinen Brüdern, – Rottraut, meine Schwester! Ach, zu glücklich bin ich!«

»Zu deinen Söhnen mußt du auch diesen jungen adeligen Kavalier zählen, mein wiedergefundener Bruder,« sprach die Alte, »wir fanden ihn verwundet und bewußtlos in der Nähe unserer Klause und haben ihn gepflegt und geheilt. Mit allem, was uns nötig war, hat er uns heimlich und treu versorgt, auch deine Spur gefunden. Draußen harrt der Wagen, der uns zu dir führen sollte, doch nun kamst du uns zuvor; er ist so edlen Blutes wie wir, Hedwig schenkte ihm ihr Herz, segne ihre Wahl!«

Das war ein Herzen und Küssen, ein Weinen und Erzählen, doch da es einen Augenblick still wurde in der großen Rührung, schluckte ich meine Tränen hinunter und mußte abermalen herzhaft anheben zu singen: »Nun danket alle Gott

Mein Herr Pfarrer trat zu mir, legte seine, Hand auf meine Schulter und sang sogleich mit, gemach auch alle andern und dann lobte und pries er Gott mit gewaltiger Stimme für diese Stunde.

Die Pferde wurden ausgespannt, die Abreise unterblieb vor der Hand, nur der hochlöbliche Herr Kanzler mußte nach diesen wunderbarlichen Stunden weiter und seines Amtes walten. Tags darauf ist die ganze Gemeinde zu den Trümmern des Schlosses Schönebusch gewandert, der Herr Pfarrer hat allda eine ergreifende Totenpredigt für die arme verbrannte Freifrau gehalten, und wir haben das herrliche Lied der Brandenburger Fürstin gesungen: »Jesus meine Zuversicht!«

Der alte Freiherr ist beinahe gestorben vor schluchzen und Weinen, doch seine versammelten Lieben haben ihn getröstet; aber niemalen soll Schloß Schönebusch wieder gebaut werden: wild soll es liegen bleiben, nur ein Kreuz soll sich dort erheben im schon aufsprießenden Buschwerk zum ewigen Gedächtnis an seine Gattin.

Des Freiherrn Schwester führte uns alle dann auch noch einmal zur Klus in ihre Hexenhütte vor der Klause.

Hinter derselben, fast unfindbar im Gebüsch verborgen, war eine Höhle in den Schieferstein gehauen. Hedwig hatte sie einst beim Spielen entdeckt, und sie war der Frauen Zufluchtsort bei Gefahren geworden. Sie war angefüllt mit Gold und Silber, edlen Gefäßen und kostbaren Gewändern, so dem Einsiedler von Frommen gespendet oder von Flüchtlingen anvertraut waren; auch die Hexe hatte manches hinzugefügt, was sie geschenkt erhalten von abergläubigem Kriegs- und Bauernvolk. Die Gebeine des Klausners selbst hatten die Frauen unweit gefunden und begraben. Über diese Schatzkammer wurde beschlossen, sie der Landgräfin anheim zu stellen; Hexenkleider, Larve und Haar nahm ich an mich.

 

Am letzten Tage des Jahres 1649.

Sylvester!

Die Jahre scheiden von uns, nur vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag und hundert, wie eine Nachtwache!

Der edle Freiherr von Schönebusch ist jenseits der Weser in unserer Nähe mit einem neuen Gute belehnt worden. Seine alte Schwester sowie das Edelfräulein Rottraut sind bei ihm, sowie sein ältester Herr Sohn, der jüngste aber ist in hessischen Kriegsdiensten.

Seine wiedergefundene Tochter Hedwig, die Junghexe, ist mit ihrem herzallerliebsten Freund, dem Herrn von Rosenbruch, fortgezogen nach der Mark Brandenburg, doch vorher hat sie unser teurer Pfarrherr um Weihnachten in unserem schönen Kirchlein getraut.

Edelfräulein Rottraut und unser Pfarrherr schauen sich so eigen sinnig an, sollte sich der Hochehrwürdige eine Hausfrau erwählen und diese?! – Wie froh würde da die ganze Gemeinde sein!

Doch draußen harren die Knaben, um heute nacht durchs Dorf zu singen: »Hilf, Herr Jesu, laß gelingen, hilf, das neue Jahr geht an!«

Alter Cyriakus, weine nicht wie deine Eckeharde! Zum letztenmal singen meine Knaben mit, ich muß sie von mir geben, da sie sich auf ihren hohen Beruf vorbereiten sollen. Weh thut Scheiden dem Herzen, doch mit Lob und Dank schließe ich das Jahr und zugleich dich, du vollgeschriebenes Tagebuchheftlein.

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Anno Domini 1650.

 

 

Am vierzehnten Tage des Monats Aprilis.

Heilige Ostern!

Es wird sehr fleißig fortgearbeitet in unserem lieben Dorfe.

Es ist abersten auch noch immer viel zu schaffen, sintemalen es schwer ist, aus Dornen und Distelwüsten fruchtbare Äcker zu fördern.

Namentlich sind die Gelände unseres Pfarrherrn in einem öden, erschrecklichen Zustande und nicht abzusehen, wann sie wieder in richtiger Verfassung sein werden.

Denn obgleich der Herr Pfarrer und ich jedem zur Hand sind, so reißet es im Sonstigen ein, daß jeder trachtet, nur für sich zu urbaren, nicht wie es vordem abgeredet, alle gemeinschaftlich. Nun sitzet er da mit seinem guten Herzen aber nur mit zwei Händen, und wenige helfen ihm.

Auch sieht sein Haus immer noch übel aus. Fehlen sogar doch Dielen auf dem Fußboden, Ruten in den Fenstern und die große Stub', wo vordem ein Kälberstall drauß gemachet war, ist noch so unanständig wie verflossener Zeit.

 

Im Christmonat am achten Tage.

Zweiter Adventsonntag.

Hat sich vergangener Woch' auf der Schaumburg eine furchtbare Grauslichkeit zugetragen.

Der Amtsvogt, dem wir Zins und Pflichtabgaben entrichten, sitzet droben. Ein harter Mann und Gottesleugner. sagte er doch stets höhnisch: »Wenn es ein Leben nach dem Tode gibt, komme ich wieder, um es anzusagen.«

Tut dieser Mann am ersten Advent einen Sturz von der Klippe, wird für tot aufgehoben, und auch zwei herbei geholte Doktores konnten ihn nicht mehr zum Atmen bringen. Am dritten Tage danach, trug man ihn eingesargt zur Kirche. Als sich die ersten Leute dort zum Begräbnis sammelten, etwa fünfzehn, fängt der Sarg erst ein weniges an zu zittern, dann immer mehr, bis der lose Deckel zur Erden fällt. Und der Tote stund nunmehr auf, schritt im Sterbehemde durch die entsetzten Menschen zur Kirche hinaus und nahm den Weg zur Schaumburg. Blut, so ihm aus Mund und Nase gedrungen, hatte wohl den Krampf gelöset, der auf seinem erschütterten Hirn gelegen.

Allüberall fürchtet man sich jetzt sehr. Wäre er doch beinahe lebendig begraben worden!

Er hat aber nicht, wie er versprochen, Bericht über jenes Leben geben können. Wohl hat er das Abendmahl begehret und erhalten, um Fürbitte und Segen geseufzt, doch gesaget hat er weiter nichts mehr. Gen den andern Morgen, als wiederum die zwei Doktores bei ihm stunden, ist ihm, unter furchtbarem Gestöhn, aus dem Leibe alles Blut entfahren und sodann sein Geist wirklich entwichen.

Die ganze Grafschaft ist entsetzet von diesem Begebnisse, und hohes Konsistorium, sowie landgräfliches Amt haben den Beschluß gefasset, diese Historie zu Nutz und Frommen der folgenden Menschheit auf einem Steine an der Kirche zu publizieren.

Gott sei seiner Seele gnädig!

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Anno Domini 1651.

 

 

Am letzten Tage des Jahres.

War wieder ein gesegnet Jahr gleich dem vorigen. Keller und Küche sind voll, in den Scheuern lagert das Korn und das Vieh vermehret sich. Auch die Bevölkerung wächset an. Sind doch im letzten Jahre neun Kinder getaufet!

Dem Herrn sei Lob, Preis und Dank für soviel Güte!

Die Weser hat uns wieder lange auf den Wiesen gestanden, ist jetzo aber abgeflossen.

Sunsten aber hat sich dieses Jahr weder Übles noch Gutes bei uns zugetragen, was zu berichten wäre.

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Anno Domini 1652.

 

 

Am neunzehnten Tage des Monats Aprilis.

Ostermontag.

Palmarum hat es sich zugetragen, daß im Nachbardorfe Großenwieden beim Läuten die eine Glock' aus dem Schalloch geflogen und in einen tiefen Teich daneben gestürzet ist. Sie hat sich nicht mehr herausheben lassen, trotz aller angewandten Gewalt und wird nun wohl ewig darinnen liegen bleiben.

Laufen itzo die Leute zu dem Teiche, wie ehemals in katholischer Zeit zu einem wundertätigen Heiligen. Hört man doch darinnen, wenn von den Türmen ringsum die Glocken schallen, ebenfalls läuten.

Als heute, am zweiten Festtagabend, die Auferstehungsfeier ausgeläutet wurde, stand der Herr Pfarrer nebst mir, meinem Weibe, meinen Kindern und wohl noch hundert fremden Wenschen am Teiche, und wir haben es deutlich vernommen.

Was nützete es, daß mein Pfarrer erklärte, das Echo sei sicher schon vordem hier gewesen, nur habe keiner darauf geachtet. Man glaubt ihm nicht. Es ist aber auch herzbewegend anzuhören und klingt wie ein Wunder.

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Anno Domini 1653.

 

 

Im Weinmond, am zehnten Tage.

Unsere Gemeinde vergrößert sich!

Haben wir zu Hohenrode schon den Wendenkamp und Friedrichswald, so kommt nun das gegen Rinteln gelegene Dorf Sarbeck hinzu und die vereinzelten Häuser, welche unweit davon auf dem langen Hügel in den Strücken, so genannt wegen der vielen Sträucher daselbst, stehen.

Möge der Herr unser Wachstum segnen! Wollen ein hohes Konsistorium ehrfürchtig angehen, ob wir nicht am nächsten Tage des heiligen Andreas, dem unsere Kirche geweiht ist, ein Gemeinde-Einigungs- und Dankfest hallen dürfen.

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Anno Domini 1654.

 

 

Im Monat Februarius, am sechsten Tage.

Es ist so kalt, daß die Weser seit zehn Tagen zugefroren ist, und man darüber gehen wie fahren kann. Vöglein fallen tot aus der Luft und viele Bäume bersten vor Frost.

Hirsche und anderes Wildgetier kommen hinab ins Dorf, lecken an den Gossensteinen, die von den Küchen führen und betteln wie Menschen. Kommen auch viele im hohen Schnee um. Konnte am letzten Sonntag wegen solcher Strenge keine Kirche gehalten werden.

Schreien gestern Nacht unsre Ziegen so. Als wir hinkommen, sind zwei Wölfe im Stall, haben schon die junge massakrieret. Tür zu und von oben durchs Gebälk haben wir sie mit Mistgabeln nach schwerer Not erstochen. O die Bestien ! Und wie übel riecht solch Tier. Im Dorf sind sie itzo aber auf der Hut.

Heute sind drei Leichen vom Wendenkampe hier beerdiget, so schon im vergangenen Monat gestorben, doch wegen Verschneiung nicht zu uns durch den Wald konnten, schlimme Zeit!

 

Am dreißigsten des Monats November.

Andreastag.

Das große, langersehnte Fest hat stattgefunden!

Trotzdem wir im Monat November sind, war es ein schöner, sonniger Tag. Die eingepfarrten Dörfler waren sämtlich bei uns im Mutterdorf zusammen. Auch viele von fremden Gemeinden waren gekommen, hatte uns doch ein hohes Konsistorium mit seiner Gegenwart beehrt, nach der Predigt unseren teuren Pfarrer sehr gelobt und ihn als Muster und Beispiel hingestellet.

Gab es dem Hochwürdigen unter den Fuß wegen des baufälligen Pfarrhauses. Unser Hirt will aber die junge Gemeinde vor der Hand nicht belasten und noch so zubringen.

Nun bekomme ich auch kein neues Schul- und Wohnhaus. Das jetzige ist ein kümmerlicher Bau, steht inmitten der Gräber, und meine Eckeharde kann weder Kohl- noch Blumenbeete derowegen anlegen.

Weil alles wacklich und los, ist auch verschiedentlich meine Kuh aus dem Stalle gebrochen und hat etliche Gräber abgegrast. Sagt gleich die böse Nachbarin:

»Das ist kein Gottesacker mehr, das ist itze ein Kuhkamp.«

Habe mich schwer geärgert und mit meinem Weibe, weil sie drob lachte, skandalieren müssen.

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Anno Domini 1655.

 

 

Am achten Tage des Monats Aprilis.

Sonntag Palmarum.

Süßer, wonnevoller Friede, seit Jahren wohnst du nun schon unter uns!

Anderwärts, in den Niederlanden, in Ungarn, Frankreich und am Rhein, lodert abermalen die Kriegesfackel empor, und unsre rüstigen Söhne ziehen unter unserem neuen Herrn, dem Landgrafen von Hessen-Kassel, freiwillig und gut besoldet, im Auslande zu Felde.

Ja, dieses wollte ich gerne angehen lassen; Drang nach Ruhm und Ehren, Kühnheit und Mut liegt unserem Volke wie ein Erbteil der langen Kriegeszeiten im Blute, aber, aber! Traugott Cyriakus Dahlström, jetzt siebenundfünfzig Jahre alt, beginne ein Klagelied!

Ruhe herrscht bei uns, kein Feind bedräuet unsre geliebte schaumburgische Heimat von außen, aber innen, innen, in unserem Dorfe, da hetzt der schlimmste Feind in allerlei Gestalt, wie es nur der Teufel kann.

Undankbares Menschengeschlecht!

Wohlstand hat sich gemehret, es gibt schon fast reiche Bauern unter uns, aber auch unfrommes Wesen, Üppigkeit, Weltlust nehmen täglich zu. Daß sich das Erdenkind so leicht verleiten läßt, in guten Tagen Gott weniger vor Augen und im Kerzen zu haben, als in bösen!

Ach wie betrübt dieses so herbe unseren teuren Pfarrer, wie streitet er gegen den Tanz-, Spiel- und Saufteufel, von Unsittlichkeiten gar nicht zu reden. Feinde macht er sich damit!

Ich wollte ihm beistehen, erbat mir von Kassel, vom edlen, hochmögenden Kanzler, eine Verordnung dagegen. Zerrissen wurde sie, ich ausgelacht, und nun ist es viel ärger denn zuvor!

Ach und vor sechs, sieben Jahren? Vergessen böse Zeit, Gelöbnisse, Wohltaten!

Friede? Ein unfriedlicher Friede, ein sorgen und ärgern, ein stetes streiten, kein Seelenfriede, der von Gott!

Die Kirche ist selten gefüllet, denn seine Bünden läßt sich niemand gern fürhalten; aber der neu erbaute Krug mit seinen leuchtenden weißen Wänden, seinem lockenden Schilde, ist nicht allein Sonntags übervoll, sondern auch Wochentagsabend. An schönen Sommerabenden herrscht vor der Tür ein Saus und Braus, als wäre aus dem langen Kriege erneutes Lagerleben heraufgezaubert.

Da wird gespielt, getanzt, gewürfelt, getrunken, daß ich oft noch am andern Morgen Berauschte an Hecken und in Gräben fand in Übel anzusehenden Zuständen.

 

Am vierundzwanzigsten Tage des Monats Junius.

Johannistag.

Das verwünschte fahrende Volk von Musici, Gauklern, Quacksalbern!

Früher durfte es nur knapp unseren Ort als Durchgang benutzen, jetzt wird es stets aus Sucht zum Müssiggang, zu Kurzweil und Narreteidingen wohl aufgenommen; ja viele bleiben hier hängen, afterreden Land und Leute zusammen und verüben Schelmenstücklein. Kein Veto nützet dagegen. Es wird viel von diesen Zuziehenden versprochen und, kaum sind sie säßig, nichts gehalten; dann haben wir sie auf dem Halse samt Lastern und Untugenden.

Gut nur, daß meine viellieben Söhne dererlei Sachen nicht ansichtig werden, da sie durch des Pfarrherrn Fürsprache in eine Gelehrtenschule unserer Hauptstadt aufgenommen sind. Was würden sie sagen zu aller Unehre, die mir geschieht von den Gottlosen?!

Zudem Seufzer und Tränen unseres Seelsorgers, der immer wieder darauf hinweisen muß, daß uns sicher wieder ein Strafgericht ereilet; aber es ist wie zu Jesaiä und Jeremiä Zeiten, das halsstarrige Volk hört und glaubt nicht!

Ist solchergestalt sogar schon mein Weib, die Eckeharde, angestecket, trägt seidene Mütz und besetzt Gewand, läßt sogar unser Madlenchen mit Falbeln und Spitzen gehen; nicht schicklich für eine Schulmeisterstochter. Ich gedenke der Zeit, wo nicht einmal unser Altar Spitzenkanten aufwies, und jetzo?!

Dann ist ihre Schwester, meine Schwätzerin, auch zugezogen, wie viele. Deren Ehemann trägt alles Erworbene in den Krug und vertut es dorten. Sie hat ihn schon mit Schlägen, kratzen, beißen heimgeholt, vergeblich – er geht immer wieder. Anstatt nun die Abwehr der Frommen, Gebet und Bitte zu wählen, verflucht sie die verführenden Krugleute aufs abscheulich-grimmigste, wünscht Mord und Brand auf sie. Ist dieses eine Verwandtschaft?!

Sagte ich gestern: »Gehe mehr zur Kirche«, sie: »Das nützet nicht.« Ich: »Lies wenigstens in der Bibel!«

»Das tue ich alle Tage«, lügt sie frech und das Geständnis ihrer Lüge entfuhr ungewollt ihren eigenen Lippen, denn als ich ihr arg verstäubtes Buch aller Bücher aufschlug, schreit sie erfreut:

»Da ist ja endlich mein Behexzettel, den ich schon seit Weihnachten suche!«

Und jetzt haben wir Juni! Und an Behexzettel glaubt sie!

Ja, so geht es bei uns. Lieber Gott, werde nur nicht allzu ungnädig auf uns!

Licht in diese Schatten bringt das sich stets gleichbleibende, gottselige, geduldige Wesen unseres Pfarrers. Mir noch besonders die körperliche wie geistige Zunahme meiner lieblichen, jetzt fast vierzehnjährigen Tochter Magdalene. Sie ist des geistlichen Hirten Augapfel und gar vertraut mit ihm, so daß sie in ihrer reinen Kindesweise schon manche Wolke von seiner Stirn scheuchte.

Gar schön beten und singen kann die kindliche Magd, ist sehr begabet mit Pfündlein und lernt spielend von ihrem geistlichen Wohltäter Latein und Gelehrtenwerk, so daß er sie für klüger ästimieret, als meine Söhne.

 

Im Monat Augustus, am zehnten Tage.

Viel Freude macht mir unser Madlenchen! Denn nicht nur, daß sie in Wissenschaften fleißig lernt, auch die Laute weiß sie einigermaßen zu schlagen und konnte uns kürzlich, als das wurmstichige alte Pfarrhaus fürnehme Gesellschaft beherbergte, mit wohlgesetzter Aria nebst Saitenspiel delektieren, so daß sie Lob und Geschenke einheimste.

War nämlich unsere liebe, hochgütige, alte Doppelhexe im Dorf erschienen, samt aller edlen Verwandtschaft. Sie besuchten den Schönebusch, die grüne Trümmerstätte, die Klus, kurz alle Orte vergangener Fährlichkeiten, um, wie die Greisin sagte, Gottes Prüfungen und Bewahrnisse zu erkennen und nie das Dankgefühl in der Brust erlöschen zu sehen.

Das junge gräfliche Paar Rosenbruch aus der Mark führte schon ein trefflich gesundes Söhnlein mit sich.

Edelfräulein Rottraut will sich nicht trennen vom schwachen Vater und der Ohmin. Doch ich mutmaße aus einer Beobachtung, daß sie sich in der Stille mit unserem Gottesmann verlobte, und die Zeit nicht mehr gar so fern ist, wo sie als Pfarrfrau bei uns einziehet.

Warum sie überhaupt nur noch zögert? Es gibt mir zu denken. Sie ist stolz. Dieses ist submissest meine unmaßgebliche Meinung. Unser Pfarrer meinte zwar: »Ich will sie ihren alten Verwandten und deren Pflege nicht entziehen.«

Nun, wir haben Zeit. Es ersteht bis dahin auch wohl ein neues Pfarrhaus!

Nahezu das ganze Dorf war zusammengelaufen bei diesem Besuche, aber man betrug sich nicht, wie es solch Edlen gegenüber gehörig. Es wurde gebettelt, geschwätzt, unehrerbietig gesprochen, frech gewitzelt und sogar unverhohlen behauptet, Hexerei sei jetzt wie damalen im Schwange.

Befremdet hörten solches alles die Gekommenen, schwiegen stille und nur unsere Wohltäterin bemerkte voll tiefer Wehmut, als sie dem Wagen zuschritt:

»Lebe wohl, Hohenrode, dich sehe ich nicht mehr.«

Damit schüttelte sie den Staub vom Saume ihres Schleppgewandes!

Mein Töchterlein wurde jedoch noch von ihr geküsset und vom Pfarrer nahm sie stillen, herzbeweglichen Abschied. Auch von mir, dem, wie noch mehreren, die Zähren im Auge standen.

 

Am neunundzwanzigsten Tage des Septembermonats.

Michaelistag.

Fast wäre ich des Todes gewesen, und doch dünkt mich meine Bekümmernis wenig gegen die, welche über Ort und Umkreis gekommen!

Des Krugwirtes Söhne habe ich zu dreien in der Schule gehabt. Sie waren sämtlich wilde, böse Buben. »Löwenbrut« nannte sie meine Eheliebste stets. Der Jüngste vereinigte jedoch alle Laster in sich. Widerspenstig, tückisch, gottlos, war er ein Teufel allen guten Mitschülern und hat mir manch gebranntes Herzeleid angetan.

Nun hatte er mir zwei junge Obstbäume freventlich abgebrochen, dafür sollte er bestraft werden, er aber wehrt sich, ergreift ein Stück Holz und schlägt es mir quer über das Nasenbein, daß ich blutend und bewußtlos hinstürze. Ostern sollte er konfirmiert werden!

In Gegenwart des Pfarrers ist er dann hart gestrafet worden, mir aber liefen gegen Abend sein Vater und seine älteren Brüder ins Schulhaus, beschimpften, bedrohten mich und wollten mich vom Leben zum Tode bringen, wenn nicht meine Eckeharde Hilfe gebracht hätte aus dem Dorfe. Ja, es ist eine Brut!

Der klägliche Fall wurde berichtet; jetzt ist ihnen vom Vogt strenge Pönitenz und Buße auferleget, doch mir haben sie Rache gelobet, aberst Gott wird mich schützen!

Noch immer ist mir übel und weh. Ich fühle mich schwach und bei jeder Unvorsichtigkeit entrinnt meiner Nase Blut, und Ohnmacht umfängt mich.

Sotanerweise bin ich derzeiten ein gebrechlicher Verweser meines Amtes, und mein hochgeliebter Pfarrer genießet weniges an Unterstützung meinerseits, die ihm jetzt groß von nöten wäre. Denn, wie schon erwähnt, hat sich neben meinem noch ein größeres Leidwesen eingestellt.

Der so nasse Sommer vernichtete schon ein größeres Teil unserer Erntehoffnungen, doch man sah gleichgültig und an Glück gewöhnt dem August entgegen. Wirklich hatte Gottes große Güte es noch gewollt, daß uns ein ziemlich reicher Segen an Korn und Heu in Aussicht stand. Aber wer erkannte dieses dankbar an und besserte Wandel und Wesen? Ach, nicht zehn Gerechte!

Am fürletzten Freitag zog nun über unser schönes Tal ein erschreckliches Gewitter mit Hagelschlag und Wolkenbruch und vielfachen Blitzschäden. Was von Korn in Schocken, von Heu in Haufen stand, wurde durch den austretenden Fluß hinweggeschwemmt, was noch halmte, niedergeschlagen. Dabei jammerten rings auf den Türmen der Dorfschaften die Feuerglocken, und man konnte, selbst wenn man gewollt, nicht hinzu, um zu helfen, alle Wege Wasser und Sumpf. Bei uns ist der Schäfer mitsamt siebenundsechzig Schafen umgekommen und vier Hausstellen sind niedergebrannt.

Eitel Elend und Jammer ringsum; doch keine Besserung, kein Aufschwung zur Buße. Im Gegenteil: gotteslästerliche Reden, Hohn!

Der Krugwirt schenkte jedem, der vorbeiging, umsonst ein Spitzglas voll Schnaps ein und erwarb sich erneutes Verdienst um Hölle und Teufelsbraten.

Als das Getobe überhand nahm in den nächsten Tagen, ging mein Pfarrherr mit mir und einigen Wohlgesinnten zum Hohlweg hinunter, dem Unfug zu steuern. Doch ein Empfang wurde uns zu teil, als seien die Kroaten eingebrochen, wir mußten vor der trunkenen Menge fliehen. Am Sonntag saßen nur fünf Weiblein in der Kirche!

Und kaum regen sich Hände, um gut zu machen. Ich ermahnte einen, der sagte frech:

»Wozu? Schnaps ist wohlfeil und macht lustig, den bekommt man immer, ohne Feldarbeit vorher zu tun.«

 

Am fünften Tage des Monats Oktober.

Jetzt im Herbst ist es das wundervollste, sonnigste Wetter!

Nach Überlegung mit dem Pfarrer und dem neu eingesetzten Bauermeister habe ich, sowie sich die Fluten verliefen, und es einigermaßen trocken geworden war, Tag für Tag mit meiner Schuljugend auf den Äckern zugebracht, um an Feldfrüchten zu suchen und zu sammeln, was nur noch zu finden war. Die Weibsen halfen uns tüchtig, auch gesellten sich am dritten Tage vernünftige Männer dazu, und so haben wir ein gut Teil gerettet.

Auch haben wir an den hohen Doppelzäunen des Schaftriebes Regete viel des angeschwemmten Heues geborgen und fürsorglich getrocknet, damit es das liebe Vieh nicht schädigt.

So könnten wir im Bewußtsein guten Willens und der Erfüllung unserer Pflicht froh aufwärts blicken, wenn uns nicht wiederum Satanas die Freude verdorben hätte.

Aufgestachelt durch den Krüger, der kein Land besitzt, entstand bei der Verteilung der Vorräte eine Schlägerei. Zwar ist durch das feste Zusammenhalten des Bauermeisters mit den Ordentlichen alles geschlichtet und nach dem Willen unseres Hirten verteilt worden, aber wohin kommen wir noch, wie lange erträgt das Gemüt solch stete Verwundungen?

 

Am vierzehnten Tage des Monats Oktober.

Mein Herz hüpft wie ein Lämmlein in der Ostersonne!

Hohe Freude wurde mir und meinem Weibe zu teil; unerwartet kamen gestern am Sonnabend meine beiden geliebten Söhne zu kurzem Besuch. Fridolin hat seine Examina glorreich bestanden, und weil auch Martinus sich gut führet, bekam er ein weniges Urlaub und durfte mit seinem älteren Bruder günstige Reisegelegenheit der hochmögenden Herren von Eckerstein benützen.

Ach wie schön sind meine Kinder anzuschauen, wie lustieren sie mein Vaterherz! Mein geistlicher Freund rief aus:

»Seht nur, stehen nicht des Dahlström Kinder um den Vater wie saftige Ölzweige um den Stamm?«

Prächtig an Körper, prächtig an Seele! Herr Gott, ich danke dir und bitte inbrünstig, erhalte sie mir so!

Um Montag wollen sie mit derselben Gelegenheit wieder zurück. Gern hätte ich meinem Erstgeborenen das Lehramt hierselbst abgetreten, doch sein Los fiel auf ein lieblicheres Feld. Er ist berufen, ehrenvoll berufen als Präceptor bei dem prinzlichen Söhnlein seiner hohen Gnaden des Herrn Landgrafen jüngeren Herrn Bruder und hat es nicht nötig, wilde Bäumlein zu Edelobst zu züchten.

Welche Beweggründe manchmal die Menschen treiben! Meine Hausehre hatte unsern Besuch im Dorfe umherposaunt, und nun war heute am Sonntag die Kirche gefüllt mit Neugierigen, um unsere Söhne zu sehen. Ach, und meine Eckeharde konnte ihre kurze Nase nicht lang genug ausrecken, um ihren Stolz kennbar zu machen, konnte gegen die Bekannten nicht genug auskrämern von hohen Ehren Fridolins, von seinen Aussichten, seiner unvergleichlichen Gelehrsamkeit. Dabei trug sie wieder ein Gewand, welches sie mir verheimlicht hatte und welches wegen seiner Teuernis Galle in mein Blut goß. Doch ich schwieg fein still, denn an ihrem Gebahren merkte ich, wie auch in meiner Brust die Lust an meinen Söhnen, üppiges Hochmutskraut, Blüten treiben wollte. Demütig stieß ich einen Bittseufzer aus, während der Examinabesteher die kleine Orgel spielte, als wären es drei, und der Balgtreter schnaufend winkte, er könne nicht so viel Wind machen.

Mittags hat dann mein Fridolin noch die Kinderlehre abgehalten. Zwar vergaß er anfangs, welch Geistes seines Geburtsdorfes Kinder seien, er fing mit seinen Fragen viel zu hoch an, fand aber bald die richtige Weise und hat es ausgeführet zur Zufriedenheit seines werten geistlichen Gönners, der sich später noch länger mit ihm besprach, und der mit ihm, nachdem die Jugend davongerannt, im Kirchlein Freundschaft schloß.

Gegen vier Uhr machten wir alle einen Spaziergang über die Burgtrümmer, die Römerstätten, den Waldrand entlang nach der Rispel, vor den Augen stets das schöne Wesertal.

Wohltuend strahlte noch das Tagesgestirn hernieder, aber es konnte uns nicht über die Gewißheit hinwegtäuschen, daß es herbstet.

»Verblühet ist des Sommers letzter Baum, die Linde, an Wiesen und am Ackersaum die Winde; entwichen sind die Vöglein längst dem Neste, von Blümlein gibt es nur noch karge Reste«, sang mein Pfarrer leise vor sich hin und wies auf das Farbenspiel der Blätter und auf die Sommerfäden, welche in den Stoppeln hingen.

Wir feierten eine köstliche Stunde im Gespräch über Werden und Vergehen. Manch Blatt im Buche der Natur wurde aufgeschlagen, und über all ihren Gesetzen fanden wir Sehenden das kleine, so übermächtige Wort Gott!

Wehmütig stimmte uns die kurze Abschiedsstrophe eines Rotkehlchens im Steinbruch. In den Lüften zog ein Winkel großer Wandervögel einer schöneren Heimat zu. Werden wir nicht auch bald in eine bessere ziehen?

Für meinen Leib habe ich mir schon ein Plätzlein gewünscht. Dicht am Kirchlein unter der Esche, die Winter und Sommer so dicht mit dunklem Efeu behänget ist.

Trotz Sonntagsverbot sahen wir auch Menschen auf den Äckern hantieren. Es ist freilich die höchste Zeit, das Letzte zu ernten, denn bald wird die große Jagd der Herren von Eckerstein, zu der viele gräfliche Herrschaften aus Kassel geladen sind, über unsere Gefilde ziehen, Wald und Feld mit ihren Tönen füllend.

Ich verberge mich an diesen Tagen am liebsten in meinem Haus, denn schwer wird mir der Anblick des Jagens und Mordens. Niemalen vergesse ich es, wie einst ein Reh in unseren Garten floh, hier getroffen wurde und uns mit brechenden Augen ansah, als sei es eine vernünftige Kreatur. Madlenchen war noch wochenlang krank von dieser Begebenheit.

Und wie ungern folge ich dem Gebote, an diesen Tagen die Schule zu schließen, um die größeren Jungen als Treiber mitgehen zu lassen! Wohl hat der Herr Pfarrer dagegen Einsprache erhoben, aber wie stets, vergeblich.

Bei diesen Treibjagden werden die Buben gründlich verdorben. Hier trinken sie den ersten Branntwein, gewöhnen sich zotige Reden, häßliche Sitten an, so daß ich nachher immer monatelang mehr Qualen auszustehen habe mit ihnen, als sonstens. Darin taten sich des Krügers Söhne stets am meisten hervor; nun, sie sind ja auch heute dafür wohlbestellte Obertreiber. Oberanstifter und Bösewichter möchte ich sie nennen, denn was für Teufeleien hecken sie bei jeder Jagd aus; Männer wie Burschen, die der Kette angehören, fürchten sich, sie zu reizen und sind ihnen aus Furcht ergeben.

Auch wird durch diese große Jagd das Raubwild aus seinen Schlüpfen gescheuchet, denn allemal haben wir durch sie im Winter gefährliche Wolfsbestien in der Nähe. An die fünfzig haben wir schon seit dem großen Kriege auf dem Wehtanze in Gruben gefangen, anderer Orten noch mehr, und doch zerreißen sie auf den Walddörfern noch immer Ziegen und Kühe, ja auf dem Wendenkampe und dem Passensteine haben sie sogar Kinder gefressen.

Indem wir besprachen und ratschlagten, wie wohl mancherlei geschehen könnte, namentlich uns vornahmen, die Wolfsgrube in den Stand zu setzen, kam plötzlich der Krüger gegangen. Kaum geziemend grüßend, brummt er, er habe den Pfarrer zu Hause gesucht und nicht gefunden, müsse ihm hierher nachlaufen. Nach seinem Anliegen befragt, kommt er auf die Hochzeit seines ältesten Sohnes zu sprechen, der, lange in Hamburg weilend, wohlhabend heimgekehret ist und sich ein tüchtiges braves Mädchen aus dem Nachbardorfe zur Frau erkieset hat.

Wir wünschten ihm alles Heil, obgleich wir uns seit langem wunderten, daß er sein Gewese schon abgeben wollte, und bänglicher Empfindung voll, hatten wir schon oft den Haß beredet, den die jüngeren Brüder gegen den ältesten hegten.

Fortfahrend wünschte der Krüger, die Trauung solle in seinem Hause geschehen. Fest entgegnete da mein Pfarrer:

»Nein, ich kopuliere nicht im Wirtshause, nur in der Kirche.«

Rede und Gegenrede entspann sich: der Krüger wurde heftiger, drohte, bot dreifache Gebühren, vergeblich, der geistliche Herr blieb fest dabei:

»Am Dienstag bin ich zu angesetzter Stunde in der Kirche, um die heilige Handlung vorzunehmen, damit hat es sein Bewenden!«

Roten Hauptes, mit geballten Fäusten ging endlich der Krüger. Meine Eckeharde war bei uns geblieben, doch die Kinder hatten sich bei dem häßlichen Zwiste entfernt; seufzend sprach der Pfarrer:

»Mit einem schönen Abendgesange wollten wir jetzo von hier gehen, doch nicht möglich ist mir, zu singen. O daß es uns nicht vergönnt ist, reine Freuden ungetrübt zu genießen. Wie weh ist es mir um mein Herz!«

Und gedrückt gingen wir heim.

 

Am sechzehnten Tage des Monats Oktober.

»Ach daß ich Wasser genug hätte in meinem Haupte, und meine Augen Tränenquellen wären!« »Ich werde mit Leide hinunterfahren in die Grube zu meinem Sohne!«

Herr des Himmels, ist mein Herz denn noch nicht gebrochen vor Jammer, hoffe ich noch immer, daß der Knabe lebt? Trostlos ist meine Seele, nicht im gepriesenen Gebete finde ich Labsal, ach und erst mein armes Weib, sie verzweifelt schier, und ohne aufhören weinen Magdalene und Fridolin, der gestern wieder abfahren mußte ohne seinen verschwundenen Bruder Martin.

Dabei tönt Hochzeitsgelärme des Krügers durchs Dorf. Singen sollte ich vor der Trauung, nur Schluchzen entrang sich meiner Brust, und aus dem Orgelklange hörte ich nur immer den Ruf: »Wo ist mein lieber, mein süßer, frommer Martin?!«

 

Am siebenzehnten.

Nachdem wir mit der Schuljugend und vielen Männern und Frauen wieder den ganzen Tag gesuchet, genoß ich endlich eine Nacht des Schlafes und bin heute gefaßter. Gott, vergib mir mein Murren. Ist mein Söhnlein tot, so nimm seine junge Seele gnädig oben an und stärke uns, damit wir uns in deine Wege finden! Doch wenn du ihn uns wieder geben wolltest!!

 

Am achtzehnten.

Noch nicht gefunden! Der Herr Pfarrer tröstet, bittet, betet mit uns herum, er selbst ist voll tiefer Bekümmernis über unseren Verlust, ermahnet uns, die herbe Prüfung ergeben als Gotteskinder hinzunehmen. Wenn ich nur nicht von Sinnen komme!

 

Am einundzwanzigsten Tage des Monats Oktober.

Nun ist uns mein Martin schon eine volle Woche entrissen!

Mit meinem lieben geistlichen Tröster ging ich zur selben Stunde wie vorigen Sonntag zum Platze am Rande des Waldes, wo ich meinen zweiten Sohn zum letzten Mal geschauet. Wir vergegenwärtigten uns noch einmal alles: Der Krüger war gegangen, wir waren gegangen in der Meinung, Martin sei mit den Geschwistern voraus. Beim Abendbrod fehlte er auffälliger Weise. Wir vermeinten, er sei wohl beim Pfarrer oder sonst bei alten Gespielen festgehalten. Als ich aber meine Erlebnisse vom Tage hier eingezeichnet hatte und der Abendsegen gesprochen war, ohne daß er heimkehrte, schickten wir nach ihm. Weh' uns, er war nirgend zu finden, niemand hatte ihn gesehen!

In aller Angst wurden nun Laternen angezündet, das Dorf, der Wald, unsere Wege vom Nachmittag abgesuchet, gerufen, immer wieder gerufen bis der Tag anbrach, keine Antwort, keine Spur!

Und so haben wir es Tag für Tag gemacht, die Weiden am Strom, die Weser abgesuchet, wir fanden ihn nimmer.

Das ganze Kirchspiel hat sich rühmlichst beteiligt, nur die Leute vom Kruge nicht. Der zweite Sohn warf mir einen Blick zu vor der Kirche, der mir wie eine höhnende, frohlockende Teufelslarve erschien und mir zu denken gibt. Und schändlich, meine Schwäherin mit vielem anderen Gezottel warnt, weiter zu suchen, da der Knabe sicher verhext, verwandelt oder entrückt sei. Ist das Verwandten Trost?

Mein Weib fällt fast um vor Gram, Magdalene kann kaum noch sehen aus ihren vor Weinen geschwollenen Äuglein, und herzbewegend schrieb mein Fridolin von Fulda, gramerfüllt um den Verschwundenen. Wüßten wir nur, ob er tot oder lebendig, ertrunken oder verunglückt ist. Wie begreife ich jetzt die Klagen Erzvater Jakobs um seinen Josef! Wir waren wohl zu stolz auf ihn.

Im ganzen Tal ist Bewegung, ob der uns betroffenen Trauer. Auch die liebe Doppelhexe sandte einen treuen alten Verwandten, um uns zu trösten. Selbstens kann sie nicht kommen, sie hütet das Siechbett, die edle Greisin, und auch ihr Bruder läßt sagen, er wandele dem Grabe zu. Ja, um uns stirbt so viel liebes, vertrautes. Und meine Schickung? »Hinweis auf das Jenseits!« sagt mein Herr Pfarrer.

Für morgen ist die große Jagd angesaget. Daß mir nur nicht mein Weib und mein Töchterlein suchend in den Wald gehen. Sie suchen noch immer. Mein Gott! Könnten sie doch in diesen Tagen leichtlich verwundet werden.

Gar rührsam war es mir neulich. Als ich morgens um sechs Uhr zur Kirche ging, um die Betglocke zu schlagen, höre ich, als ich die vielen Stufen hinabschritt laut beten:

»Du lieber Heiland, du Kinderfreund, du erbarmender Wundertäter, lasse mich doch meinen armen Bruder wiederfinden. Du weißt es, ich glaube nicht, daß er tot ist; hast du gewisse Hoffnung in meinen Sinn gelenket, so führe ihn uns doch zurück. Nie will ich wieder sündigen, ewig dir dankbar sein.«

Und leise betete sie, meine Tochter, tiefgesenkten Hauptes, auf der Altarbank weiter. Ich schlich, unaussprechlicher Bewegung voll, hinweg, um sie nicht zu stören. Aber sonderbarlich, auch ich muß wieder hoffen!

 

Am zweiundzwanzigsten Tage des Oktobermonats,
abends.

Nun möge meine Feder zerplittern, die Lampe die mir leuchtet, verlöschen, weil ich niederzeichnen muß, daß in unserem gottvergessenen Orte ein Mord, ein Brudermord verübet ist!

Das sind des Herrn Gerichte!

Alle Bosheit unserer Einwohner hat nun eine krasse Frucht gezeitigt. Des Krügers Söhne haben den ältesten Bruder neun Tage nach seiner Hochzeit erschlagen!

Trunken von der Jagd heimgekehret, haben sie erst greulich skandalieret, sind dann in das verriegelte Haus eingebrochen, haben ihn gefaßet, an den Füßen über den Süll der Haustür gerissen und ihm den Kopf mit Wildknütteln zerschmettert.

Jetzt ist das Gericht da, untersuchet, inquirieret und führt die Übeltäter mit sich nach der Stadt. Das arme junge Weib, armes Dorf, in dem solche Untat geschehen konnte!

Der Pfarrer ist außer sich, und künftig werden Wanderer im Bogen um den Ort gehen, wo Bruderblut gen Himmel schreit.

So ist schon ein Fluch erfüllet, den die üble Schwäherin getan auf die Krügersleute. Gott bewahre uns und lasse dieses Blut nicht über ...

 

Am vierundzwanzigsten Tage des Monats Oktober.

Nein, es war keine Erscheinung, kein überirdisch Wesen, das ehegestern abend im schwachen Mondenschimmer in der Türe stand und mein Blut vor Schreck gerinnen machte, so daß mir die Feder, mit der ich eben in diesem Hefte schrieb, aus der Hand fiel, – nein, er war es wirklich und leibhaftig, mein verschwundener, mein vielbeweinter Sohn, mein Martin!

»Vater, lieber Vater«, wisperte er leise; ich auf, drei Schritte ihm entgegen und fing mein sinkendes Kind in den Armen auf, um es zu seinem Lager zu tragen.

Magdalene hat ihn heimgebracht, ihr Glaube hat ihr geholfen, ihr Gebet ward erhöret.

Dann aber forschte das Mägdlein klüglich nach der Mutter, welche draußen im Garten stand, und schmerzlich sehnend über die Hecke in die dämmernde Ferne lugte.

Sie hat sie umfasset und so von ohngefähr bemerket, sie solle hineingehen, es sei jemand gekommen zum Vater, ein wegmüder, junger Wanderer, der schon auf dem Bettlein ruhe. Sie solle jedoch nicht erschrecken, wohl aber merken, ein Freudenengel sei dagewesen.

Aufschreiend wollte sie hinein, Madlenchen aber hielt sie zurück.

»Nein, lieb' Mütterlein, du bist viel zu ungestüm, bete, bitte ich, vorerst noch drei der Vaterunser mit mir.«

Als dieses geschehen war, rief die Ahnende mit bebender Stimme:

»Sage, lebt er oder ist er tot gefunden?«

»Er lebt, ich aber gehe jetzt zum Pfarrer, um ihm zu verkünden, daß Gott uns noch lieb hat, denn ein Wunder ist geschehen!«

Wäre der Hochehrwürdige nicht gekommen, wir hätten den Wiedergefundenen doch wohl noch eingebüßet, denn kraft- und besinnungslos lag er vor uns, fast ein Gerippe.

Unser Pfarrherr aber flößte ihm Milch ein, wusch ihn behutsam mit lauem Wein und gab ihm aus seinem Hause herbeigeholte Mixtur zu schlucken. Rieb dann seine Füße, hüllte ihn in Decken und blieb bei ihm, bis zum Mittag, wo er trostvoll vermeinte:

»Nach menschlicher Voraussicht bleibt uns der Teure erhalten. Nur Ruhe und Fürbitte.«

Darnach richteten wir uns.

Während dieser stillen, sorgenden Stunden kam Magdalene flüsternd zu Worte.

Immer hatte es sie zu dem tiefen, verfallenen Graben, gleichend einer kleinen Schlucht, unterhalb der Burg, hingezogen. Als sich gegen fünf Uhr nachmittags die Jagd fortgewendet gegen den Teutoburgerwald, hatte sie sich abermalen dorthin begeben, sich an den Rand gesetzet und hinabgeschaut in die schmale, dunkle Tiefe. Plötzlich hatte sie aber auf dem äußersten hohen Burgwalle des Krügers jüngsten Sohn erblicket, der von der Beute ein entwendet Reh und zwei Häslein auf dem Rücken schleppte.

Sie hatte sich gefürchtet vor dem rohen, halbtrunkenen Burschen und schnell hinter ein Hünengrab ins Gebüsch geducket. Da sah sie, wie er ein längeres Seil vom Leibe losgewunden, das gestohlene Wild umschnüret und ein Stücklein in die Schlucht hinab gelassen, sorgsam das Ende des Strickes um einen Baum windend.

»Da sei geborgen, mein Extralohn, den ich mir selbst gewähre, bis ich dich hole«, hatte er gemurmelt. »Hier findet dich niemand, in der Stadt bezahlen sie dich gut, und auch wir lassen uns feisten, verbotenen Braten munden.«

Damit hatte er sich fortbegeben wollen, war aber hohnlachend noch einmal umgekehret, hatte in die Tasche gegriffen und ein Messer von sich geschleudert mit den Worten:

»Das ist dem da unten, er soll es auch haben.«

Eilend war er hierauf gegangen.

Das Messer war aber zu der Versteckten Füßen niedergefallen und mit einem unterdrückten Schrei erkannte sie es als das ihres verschwundenen Bruders. Sollte sie heimlaufen, Hoffnungen, Befürchtungen oder gar Streit mit der Löwenbrut erregen?

Sie beschloß, erst zu versuchen, was in ihren schwachen Kräften stand.

Auf und ab lief sie am Graben, sich vor Furcht nicht getrauend, zu rufen, aber suchend nach einem Hinab.

Endlich gewahrte sie eine tiefe schmale Stufe, warf ihr hindernd Oberkleid ab und sprang, an Gebüsch sich haltend, hinunter. An Zweige und Steine sich klammernd, kletterte sie, fast schwebend, hin und her, immer tiefer gelangend und jetzt in laute Rufe ausbrechend:

»Martin, mein lieber Bruder Martin!«

Als sie aber den ersten schwachen Gegenlaut vernommen, wäre sie beinahe gestürzet.

Wie es ihr dann gelungen ist, die Tiefe zu erreichen, den Bruder in dem schwachen Tageslichte zu finden, weiß nur Gott, der auch in den Schwachen mächtig ist. Sie gesteht andächtig, es habe sie etwas umgeben, das[*] ihr zugesprochen, sie geleitet, gestärket.

Martin lag wie sterbend an der Felswand.

.

Aber sie bezwang Freude und Schmerz, Jubel wie Erbarmen bei seinem Funde und handelte weiter mit gnadenvoller Bedachtsamkeit und Entschlossenheit.

Mühsam kletterte sie zu dem hängenden Wilde, durchschnitt notvoll mit Martins fürsorglich eingestecktem Messer das Seil, und ließ die Beute fallen. Dann wand sie sich wieder hinab, suchte von unten nach einem Plätzlein an dem steilen Abhang, wo sie wohl am leichtesten mit dem Bruder hinauf könnte, und fand es auch nicht weit von dem Wiedergefundenen, begab sich empor, um das Seil zu holen und aufs neue sicher zu befestigen.

Jetzt war ihr aber das Herz doch voll Angst geworden, denn es wurde Nacht! Wenn die Krügers kamen?

Nur schwer hatte sich Martin erheben können. Aber die Freude, gerettet zu sein, ließ seine entschwundenen Kräfte noch einmal aufflackern.

Den Armen vor sich, in beiden Händen nur ihn und den rettenden Strick haltend, gelang das scheinbar Unmögliche. Sanft stützte sie ihn mit den Knien; ging es auch langsam, so kamen sie doch weiter.

Ach, er war ja so leicht, sie mußte es sich klagend gestehen, als sie beide ermattet oben hinfielen und sie nach kurzer Erholung den Bruder auf den Rücken nahm, und voll Besorgnis und Furcht vor einer feindlichen Begegnung nach Hause trug.

Doch sie hat ihn heimgebracht!

Ja, Tochter, der Pfarrer nennt dich eine Heldin und mit Recht. Selbst voll Schürfungen und Wunden bei dem Rettungswerk geworden, achtest du deine Tat geringe, dankest Gott, dem Heilande, der dich erhöret, gestärket, gewürdiget hat solchen Unterfangens!

 

Am vierundzwanzigsten Tage des Christmonats.

Heiliger Abend!

Dies ist der Tag, den Gott gemacht,
Sein werd' in aller Welt gedacht.
Ihn preise, wer durch Jesum Christ,
Im Himmel und auf Erden ist!

Freudenvoll haben wir vereint dieses köstliche Lied unseres Luther gesungen, bevor wir uns um den festlichen Weihnachtstisch sammelten.

Da saßen alle meine lieben Kinder! Fridolin, zu kurzem Feiertagsbesuch, Martin, wieder mit blinkenden Augen und gerundeten Wangen, nachdem ihn fast vier Wochen lang ein böses Fieber geschüttelt. Magdalene leuchtend wie ein frisch Röslein, und Eckeharde in inniger Andächtigkeit, während bei mir jeder Atemzug ein Loblied war.

Auch der Pfarrer war bei uns. Er hat Martinus, seitdem er gesund, abermalen in Unterricht genommen und will ihn nach dem Neuenjahre selbst nach Kassel zurückbringen.

Hoffentlich kommt er als Verlobter und baldiger Ehekreuzer heim.

Der Tod ist in diesem Winter fleißig durchs Tal gegangen und hat auch im Dorfe aufgeräumet. Unsere Doppelhexe ist auch hinüber mit dem bejahrten Bruder, nachdem sie noch Magdalene mit einem Erbteile bedacht haben. Seitdem weilt Edelfräulein Rottraut zu Kassel bei den fürnehmen Verwandten von der Malsburg. Wäre jetzt nicht ihr Heim bei unserem teuren Pfarrer gewesen? Warum sträubt sie sich, seine Hausfrau zu werden?

Magdalene hat eine gar schöne Laute vom geistlichen Freunde bekommen, sie sangen und spielten, daß uns die Augen übergingen. Später sagte ich zu meinem Sohne Martin:

»Da dich der Herr so wunderbarlich gerettet, setze dich her, schreibe selbst, wie du gefahren, zum Andenken für Kind und Kindeskind.«

Und mit frommer Bescheidenheit setzte er sich, um zu schreiben.

Niederzeichnung des geretteten Martin Dahlström.

Als der Krüger zu zanken begann, mochte ich es nicht hören. Mir fiel auch ein, daß ich am Graben mein Messer vorhin vergessen hatte, und so eilte ich schnelle, ohne davon zu sagen, zur Burg. Ohngefähr blickte ich einmal hinter mich und sah des Krügers Sohn verstohlen mir folgen. Ich erschrack, dachte aber, nie tat ich ihm ein Leid, was könnte er mir anhaben? Ich hob das Messer auf; in demselben Augenblick sprang er auf mich, drückte mich zu Boden, und als ich jetzt schreien wollte, preßte er mir wild ein Stück Rundholz mit Gewalt in den Mund, dann warf er mich in die Schlucht.

Hier lag ich nun betäubt, wohl bis gen den anderen Tag.

Als ich zu mir kam, war ich voll Blut. Mein Kopf war voller Löcher und Beulen, mein Gesicht arg geschwollen und meine Zunge im Munde gequollen und gelähmt vom Knebel, den ich nur schwer und unter großen Schmerzen aus der Höhle über die wunden Lippen brachte. Keinen Laut konnte ich hervorbringen und mußte euch mit unaussprechlichem Jammer vergeblich oben suchen und rufen hören ohne Unterlaß.

Alle Gliedmaßen schmerzten, endlich konnte ich ein wenig kriechen und fand tiefer an der Wand eine dünne Wasserader, in ein kleines Becken laufend, so daß ich meinen brennenden Durst stillen und mir Gesicht und Wunden waschen konnte.

Schwer nur konnte ich schlucken, aber endlich gelang es.

Ich nahm nun mein leinen Tüchlein vom Hals und kühlte die Zunge, bis ich ermattet hinsank und wieder, wohl lange, schlief.

Nach dem Erwachen setzte ich fort, was ich begonnen. In meiner Tasche fand ich ein Stück Brot, nahm die Hälfte, tauchte sie in das kalte Wasser und stillete so meinen Hunger, wie ich mir auch damit meinen Mund heil machte.

Sprechen konnte ich immer noch nicht, nur Blut und Eiter brachte ich mit nassen Blättern aus dem Gaumen. Auch meine Knie waren entzwei, der Rücken geschunden und die Fußknöchel dick angelaufen.

So kam nach meiner Schätzung der dritte Tag. Fieber überkamen mich. Ich sah allerlei, was nicht da, konnte aber noch beten. Die lieben Eltern und Geschwister sah ich, den teuren Pfarrer und unzählige holdselige Engelein. Sie füllten die Schlucht, saßen auf den Gebüschen, schwebten um die Zweige, zeigten mir frische Beeren und führten mich mit euch heimwärts.

Wie lange dieses währte, weiß ich nicht, ich konnte die Zeit nicht mehr bedenken. Ich erwachte und sah helle Sonnenstrahlen in der Höhe, es mußte wohl Mittag sein. Ich hoffte und betete. Mir war besser als wie erst, ich trank tüchtig, aß mein letztes Brot,[*mit dem Komma, welches »Neudeutsch« gefordert wäre, leichter zu lesen???*sch*] konnte aber nicht gehen, meine geschundene Beinhaut litt es nicht und die Füße. Ich kroch wieder, den Strahlen nach, aber weh, wie ich auch suchte und suchte, ich konnte an der steilen Wand nicht hinauf und fiel einmal jämmerlich über einen Haselbusch hinab.

Als ich mich erholet, fand ich, was die Engel mir gezeigt: o Freude, ein schön Plätzlein, ganz voll reifer Erdbeeren, lag vor mir, und die Büsche hingen voller Haselnüsse, die ich zwischen zwei Steinen aufschlug und aß. Auch fand ich unter einem Erdhange ein weiches, geschütztes Wildlager, wo ich herrlich ruhen konnte, denn Schmerzen und Schwäche überkamen mich wieder, und ich schlief die Nacht nicht.

Ach, diese dunklen Stunden waren bitter. Die Furcht trat zu mir und fragte: »Was wird aus dir, wie lange wirst du hier liegen, wie lange währet mildes Wetter und Nahrung noch? Wirst du nicht immer schwächer und wirst du nicht verlassen hier sterben müssen?«

Ich weinte sehr. Als es Tag wurde, versuchte ich, zu rufen, aber es klang so dünn und heiser, daß ich mich selbst kaum vernahm.

Als die Strahlen wieder kamen, suchte ich nochmals nach einem Ausgange aus meinem Grabe, suchte, suchte, aber ich fand keinen, und glaubte ich, dort ginge es vielleicht, dann erlaubten mir meine Gliedmaßen weder Sprung noch Klettern.

Zwei schreckliche, lange Tage noch so, dann legte ich mein Antlitz in das gefallene Laub und verzweifelte schier. Einen Pilz hatte ich heute genossen, nicht mehr; also kam nun wohl das Ende durch Hungertod?

Ein Kreuzlein machte ich mir aus zwei dürren Zweigen, das steckte ich zu meinen Häupten als Sterbelager und Grabschmuck. Noch hielt ich an mich, dann aber griff es mir in Herz und Seele, ich zerkratzte den Boden, warf mich hin und her, schrie lautlos heiß zu Gott empor um Rettung, Erlösung, bis mich ein wundersamer Friede überkam.

Im Ohre hörte ich frommen Gesang, eine freundliche Stimme raunte mir Tröstungen aus dem heiligen Buche zu, Gebete, Sprüche, die ich gelernt, sah ich lebendig vor meinen Augen, und es rauschte um mich; dann schlief ich ein.

Laute erweckten mich. Die Glocken klangen vom Dorfe zu mir, es war also Sonntag. Als ich mich erhob, strich vor mir ein Raubvogel ab, der hier, am sonst so sicheren Orte, seine Beute verzehren wollte, aber, von mir erschreckt, fortflog, das Rebhuhn aus seinen Fängen mir zu Füßen fallen lassend.

Am Wasser putzte ich nun diesen Elias-Sonntagsbraten und genoß ihn, der, obwohl roh, mir mundete und mich kräftigte und neuen Lebensmut in mir erweckte.

Anderen Tages hörte ich die Jagd vorbei ziehen. Laut rufen konnte ich noch immer nicht, hätte es auch wohl nicht gedurft, denn ich wußte die Obertreiber Krüger nahe.

Als es allmählich still wurde, kam mir in den Sinn: das waren die letzten Laute des Lebens, und Dunkelheit ergriff abermals mein Gemüte. Abschloß ich mit meinem jungen Dasein.

»Es ist Gottes Wille, daß ich langsam hier sterben soll,« sagte ich mir und wappnete mich mit Ergebung und Geduld, streckte mich aus und wieder hörte ich Unaussprechliches.

Ich glaubte zu träumen und lächelte, als ich vernahm: »Martin, mein lieber Bruder Martin!«

Auch der Schwester Stimme unter den Engeln? Welch rascheln, welch Geräusch, wer wand sich da herab am Gesträuch entlang?! Herr Gott, Magdalene! – Mein Leid war aus.

Aber niemalen ist es zu viel gewesen für das, was ich dafür empfing. Meine Augen haben Gott, meinen Heiland gesehen, empfunden; die Seligkeit hat mich hier unten schon geherzet, nie könnte ich ein böser Mensch werden, und die Engelshände, welche mich im Grabe erhielten, sollen mich einst als würdig empfangen.


Gelobet sei der dreieinige Gott! Als Vater muß ich hinzufügen, daß ich meinen Martin neide um Leid, Erkenntnis, Begnadigung. Er soll einst, wenn meine Linke nicht mehr kann, in dies Heft niederschreiben, wie ich meine Pilgerfahrt beschloß!

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Anno Domini 1656.

 

 

Am Neujahrstage.

Leise rieselt, ohne aufzuhören, der Schnee hernieder, alles weiß einhüllend. Auch der Gräber deckt er wieder viele und viele neue. Das Sterben hört nicht auf. Die Großen raffet die Nervenseuche hinweg, die Kleinen die Bräune.

Auch das Vieh krepieret allenthalben, das Futter hat einen Lapsus, besseres ist nicht zu erhandeln und was nahrungsmäßig ist sonstens, essen die Menschen.

Eine teure Zeit, Gottes vieldrohende Rute!

Bei kleinem geben sie bei, die Kirche ist wieder voll. Schuld lässet uns flehend zum Himmel aufblicken, Unglück den Vater da droben finden. Sterben lehret uns, sich an die Gnade klammern. Was wären wir ohne diese!

Von Kassel kam hartes Gericht und Verordnung. Die Totschläger sind bestrafet, doch nicht am Leben, sondern mit langem Kerker. Trotz aller zusammengelaufenen Gaffer war kein Zeuge zu finden, der sie die tötenden Hiebe führen sah, und sie selbst gestanden, ihn umzubringen, nicht beabsichtigt zu haben.

Wer hat es nun getan? Man munkelt, der Jüngste sei, aufgestachelt von seiner Mutter, hinzugesprungen und habe mit dem Holzscheit auf ihn losgeschlagen. Vor dem Abendmahl, welches unerwartet die Krügersleute kürzlich nahmen, sagte mein Pfarrer zu ihm:

»Bist du es gewesen, so erleichtere dein Gewissen, sonst trifft dich Gott

Er sagte jedoch nichts und ging.

Wir haben Martins Vergewaltigung nicht angezeiget. Er bat inständig, es nicht zu tun, er sei entschädigt, verzeihe. Aber die Verordnung besaget, zwei Jahre darf in Hohenrode keine Lustbarkeit mehr stattfinden. Hoffentlich bekommen sie nun wieder wahre Lust am Worte Gottes.

 

Am fünfzehnten Tage des Maimondes.

Himmelfahrtstag.

Gar traurig war unser Pfarrer heimgekommen von Kassel; jetzt endlich hat er mir sein Weh verraten. Edelfräulein Rottraut hat sich einem anderen anverlobet, einem sehr Fürnehmen, den sie in Kassel kennen gelernt. Sie hat das Los einer schlechten Pfarrfrau unter rohen Bauern doch nicht erwählen mögen und ziehet vor, was ihres Standes. O wie leidet er; und wie soll man ihn trösten?

Ich habe es früher aus ihrem Zögern entnommen und wundere mich nicht. Wundern muß ich mich nur, daß meine Tochter weint um das Leid ihres geistlichen Freundes. Sollte da etwas keimen? Ja, ich sehe in dieses lautere Herz von Gold, ich sehe auch, wie er, bewegt ob ihres Mitgefühls, im Frühlingsscheine ihre Stirne küßte! Welch ein Frühling!

 

Am zwanzigsten Tage des Monats Julius.

Es liegt schwer auf uns. Die Früchte des Feldes haben kein Gedeihen, Wind und Wetter sind ungünstig und unser Dorf geht der Verarmung entgegen. Wohlstand hat es sehr unwürdig vertragen. Gott bessere es.

Das meiste fahrend Volk, das nicht ansässig geworden, nicht arbeiten wollte, statt dessen trog und stahl, ist als überlästige Schnurranten hinweggewiesen, soweit es angängig, elend Verlassene behielten wir.

Gottes Finger hat sich wiederum gezeiget, wenn sich mein schwacher Menschenwitz nicht täuschet. Zieht heut vor zwei Wochen des Krügers jüngster Sohn, eine schlechte, zotige Weise singend, durch's Dorf, kommt da über die Totenhofsmauer, wo der Erschlagene ruhet, ein Stein geflogen, trifft ihn an den Hinterkopf. Wenig wurde dessen geachtet, aber plötzlich heißt es acht der Tage später, der Bursche liegt zum Tode. Heute ist der blühende Mensch schon begraben, er starb, da die Haut seines Hirns sich entzündete an diesem geringen Steinwurf.

Der Pfarrer hat mit ihm beten wollen, die Mutter hat nicht ihn, noch sonst jemand hineingelassen. Wie darf man da richten?

Auch die Suche nach dem Werfer war unnütz. Eine der Krügerstöchter, die beste, die gegen den Willen der hochmütigen Eltern einen Steinbrecher geheiratet, läßt oft unsere Tochter in ihr Stüblein kommen und bittet sie, mit ihr geistliche Lieder zu singen. Mitsingen kann sie nicht, nur weinen. Was wohl bedrücket sie?!

 

Am sechsundzwanzigsten Tage des Monats Oktober.

Schon ein Jahr ist es nun seit dem Totschlage und meines Sohnes Grabfahrt. Uns gehet es gut, namentlich meinen Kindern, aber ein notvoller Winter stehet vor der Tür, da im Tale wenig oder nichts geerntet.

Eine Feuersbrunst hat das Krüger-Anwesen am Hohlwege völlig eingeäschert nebst einigen Nebenhäusern. Die Verwünschung der Schwäherin ist erfüllet: Mord und Brand ist eingekehret dorten. Sie ist aber auch zur Wittib geworden dabei, denn da ihr Mann für sich ein Fäßlein Branntwein retten wollte, traf ihn ein niederstürzender Balken zu Tode.

Unter den Trümmern fand man im Keller einen Topf voller Silbertaler. Daher will des Krügers Wittfrau den Krug wieder aufbauen und auch wieder freien und zwar eines reichen Bauern Sohn. Wäre beides nicht nötig.

Das Mordhaus ist verschwunden, nicht die trübe Erinnerung.

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Anno Domini 1657.

 

 

Am ersten Tage des Monats September.

Heuer haben wir ziemlich geerntet, viel stehet noch aus. Jetzt geht es dem Herbste zu; auch bei mir. Schaffen wie sonst kann ich nicht mehr, nicht wie ich es gewöhnt, sollte und möchte. Mein Armstummel schmerzt, wie zur Zeit der Amputation, auch hat meine Brust den Dump.

Zwar meint mein Pfarrer, erst eben über sechzig sei kein Alter, und nennt mich seinen lieben Getreuen; aber ein Krüppel wird schneller alt und verbrauchet als ein Gesunder.

Meine vielteure Gesponsin und Pflegerin, Frau Eckeharde, grämt sich zwarstens und doch hätten wir Grund, nur zu danken.

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Anno Domini 1659.

 

 

Am ersten Tage des Monats Mai.

Sonntag Kantate.

Liebe Freundin, meine Chronika!

Lange vertraute ich dir nichts an, war nichts geschehen, was der Meldung wert, und dir von meinem leiblichen Elend zu schreiben, wäre unbillig.

Aber große Freudentage zogen jetzt für uns herauf. Als meine Magdalene ihren Geburtstag beging, kam unerwartet mein ältester Sohn angereiset von Fulda, zur Seite eine schöne, liebreizende Braut, eine Anverwandte meines Pfarrers. Sie wollten hier getrauet werden und so hat denn der geistliche Freund den vom Lehramt am Altar unserer lieben kleinen Kirche mit der Erwählten zusammengegeben. Es war wirklich eine hohe Hochzeit!

Nach dem Mahl hat sich mein Pfarrer mit unserer Tochter feierlichst verlobet. Wonne für Magdalene und unsere Elternherzen!

Er hat sie nach seinem Sinne zur rechten und echten Pfarrfrau erzogen, sieht in ihr die ihm von Gott bestimmte Braut, und wir alle hoffen, daß sie glücklich werden.

Wird es mir noch vergönnt sein, diese Hochzeit zu erleben?!

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Anno Domini 1660.

 

 

Am zwölften Tage des Monats Januarius.

Heut ist sie gewesen und wer hat die Trauung vollzogen? Mein Sohn, mein Martin! Es war seine erste Amtshandlung.

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Anno Domini 1661.

 

 

Am letzten Tage des Jahres.

Noch einmal schreibe ich ein, vielleicht zum letzten Male.

Die Doppelhexe ist wieder erstanden! Gott hat uns zu Großeltern gemacht, zwei Enkelinnen dürfen wir auf einmal herzen!

Zwillinge sind unserm lieben Paar geschenket, sich gleichend, wie zwei Kirschen an einem Stengel. Rottraut und Hedwig wurden sie getaufet. Ohne Zwang und Gram haben die Schwestern Gevatter gestanden, und im Dorf nennt man die Kleinen: die Doppelhexlein.

Ehre sei dem Andenken des Urbildes, würden sie nur, wie sie gewesen!

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Anno Domini 1662.

 

 

Am fünfzehnten Tage des Monats Junius.

In der Rosenzeit!

Schreibe noch einmal mit dunkel gewordenen Augen und fast lahmer Hand.

Fridolin lebt glücklich zu Fulda, Martin hat eine Pfarre nicht weit von hier, und das junge Pfarrpaar pflegt meiner wie meiner getreuen Eckeharde, die vollauf zu tun hat als Großmutter. Dank dem Herrn, daß sie dadurch nach meinem Abscheiden ein neues Band der Liebe mit der Erde verbindet.

Ach, alle werden um mich stehen, wenn sich Leib und Seele scheiden; und ich fühl's, das wird gar bald geschehen. Nimm Abschied, Cyriakus! Blicke zurück mit loben und preisen auf deine Pilgerschaft, blicke nach oben und erwarte den

Beschluß.

Hohenrode

Anno Domini 1662.

 

 

Am dritten Tage des Monats Julius.

Am sechsten Sonntag nach Pfingsten ist allhier der ehrenwerte und fromme Schulmeister Traugott Cyriakus Dahlström, weiland schwedischer Feldwaibel, gestorben und nach dreien Tagen, das war gestern, an dem von ihm ausgewählten Platze, unter der Esche in Efeu, eingegraben.

Sein Glaube, sein Wandel, und was er für die Gemeinde getan, wird eingezeichnet sein im Buche der Gerechtigkeit. Möchte ich ihm gleichen!

Mit diesem Wunsche beschließt das ihm überkommene Buch sein Sohn

Martin Dahlström
Pfarrer.

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