Albert Daiber
Vom Mars zur Erde
Albert Daiber

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Viertes Kapitel. Getäuschte Hoffnungen

In das Stilleben des Bentanschen Heimes brachte der Besuch eines jungen Marsiten vom Stamme der Ernsten eine kleine Abwechslung, die besonders von Benta angenehm empfunden zu werden schien, wenigstens glaubte dies Frommherz, nicht ohne eine leise Regung von Unbehagen, zu bemerken. Orman, mit dem alten Bentan schon lange näher befreundet, war mit einer wissenschaftlichen Expedition, der er als Mitglied angehörte, nach langer Abwesenheit wieder nach Angola zwecks persönlicher Berichterstattung zurückgekehrt. Für die Zeit seiner Anwesenheit am Zentralsitze der Weisen wohnte er, einer Einladung Bentans folgend, bei diesem.

Der jugendlich schöne Marsite, der reinste Apoll, wie ihn der Schwabe im geheimen und nicht ohne einen gewissen Anflug von Neid bezeichnete, war dem alten Gaste des Hauses sofort mit der so gewinnenden, weil aufrichtigen Herzlichkeit entgegengetreten, die den Marsiten in ihrem Verkehre überhaupt eigen war. Das Gebaren und Auftreten Ormans war offen und klar. Er war ein Mann ohne Furcht und Tadel. Reiches Wissen, gepaart mit jener echten Bescheidenheit, die nur das Produkt wahren Selbsterkennens ist, machte Orman besonders sympathisch. Und diese Sympathie wäre auch bei Fridolin Frommherz vollkommen gewesen, wenn seine Gefühle für Benta, die strahlend schöne Marsitin, etwas weniger selbstsüchtig gewesen wären. So aber empfand der Erdensohn Ormans Anwesenheit als eine gewisse Gefahr für sich selbst.

Verglich er sich nur allein schon äußerlich mit Orman, so fiel die Prüfung leider sehr zu seinem Nachteil aus, ganz abgesehen von der geradezu imponierenden Bildung des Marsiten. Das Schwabenalter hatte Fridolin Frommherz seit kurzem glücklich erreicht. Wollte er also ein eigenes Heim gründen, so durfte er damit nicht lange mehr zögern. Dieser Gedanke hatte erst mit dem Erscheinen Ormans eine bestimmtere und deutlichere Form angenommen, und aus diesem Gedanken heraus wuchs noch ein zweiter: durch die Heirat mit einer Marsitin sich gewissermaßen das legitime Bürgerrecht auf dem Lichtentsprossenen zu sichern. Nun mußte ihm dieser Orman in die Quere kommen, gegen den sich schlechterdings auch gar nichts einwenden ließ!

So scharf und mißtrauisch der Gelehrte auch Benta und Orman beobachtete, er konnte nicht das geringste entdecken, was seiner Eifersucht irgend welchen Schimmer von Berechtigung hätte verleihen können. Harmlos und fröhlich verkehrten die jungen Leute miteinander. Nur wollte es Frommherz vorkommen, als ob Bentas Freundlichkeit gegen Orman doch noch um einen Ton wärmer, herzlicher gehalten sei als gegen ihn: ein qualvoller Zustand für ihn, der zum ersten Male in seinem Leben von Amors schlimmem Pfeile getroffen worden war. Diese heimliche Liebe – denn daß es eine solche sei, wurde Frommherz schließlich klar – machte ihn halb krank und raubte ihm die Lust zu jeglicher ernsten Arbeit.

Hin und wieder besann sich Frommherz, was er unter diesen Umständen tun oder unternehmen solle. Aber kaum war eine Idee gefaßt, als eine andere neue die alte erste wieder umstieß. Nur so viel stand für den Gelehrten fest: solange Orman im Hause Bentans weilte, konnte und durfte er nicht mit dem ehrwürdigen Greise über seine Liebe reden. Sollte er sich eine Abweisung holen, womit er ja möglicherweise auch zu rechnen hatte, nun wohl, so wollte er sie erst nach Ormans Abreise einstecken. Er wollte sich wenigstens vor Orman nicht lächerlich machen.

Endlich mußte der junge Marsite wieder fort. Der Ernst der Zeit und seine Pflichten riefen ihn wieder an die Arbeit. Frommherz atmete ordentlich erleichtert auf. Nach und nach fand er auch seine alte Ruhe und Heiterkeit wieder und mit ihr den früheren Arbeitseifer. Ein unbestimmtes Gefühl hielt Frommherz ab, mit Benta selbst zuerst eine offene Aussprache zu suchen. Und auch mit Bentan, dem Alten, wollte sich keine passende Gelegenheit finden lassen, die dem Erdensohne erlaubt hätte, mit Mut und Zuversicht seinen Wünschen lauten Ausdruck zu verleihen.

Gerade die Mitteilungen Ormans über die zunehmenden ungünstigen Wasserverhältnisse auf dem Mars hatten Bentans ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und ihn auch den etwas veränderten Gemütszustand seines Gastes während Ormans Anwesenheit übersehen lassen. Auch war jetzt Bentan selbst viel beschäftigt. Dazu kamen noch die vielen Versammlungen der Stammesältesten, Besuche anderer Brüder Bentans, kurz in Angolas sonst so stillen Straßen und Plätzen herrschte seit einiger Zeit ein regeres Leben als je. So verschob Frommherz sein Anliegen von einer Woche zur andern und suchte durch strenge Arbeit seine Leidenschaft zu betäuben.

Die gute Weiterentwicklung seines gewaltigen Werkes wirkte auf seine Stimmung so günstig ein, daß er endlich auch den Mut fand, in eigener Sache handelnd vorzugehen. Eines Abends, nachdem schon Monate seit Ormans Fortgang verflossen waren, entschloß sich Frommherz, mit Bentan über die Frage der Ehe im allgemeinen und über eine Heirat mit Benta im besonderen zu reden. Benta hatte sich auf ihr Zimmer zurückgezogen. Die beiden Männer saßen allein auf der Terrasse des Hauses und genossen den herrlichen Abend mit seinem klaren, milden Mondlicht. Schweigend starrte Frommherz hinaus in die Pracht der Nacht, die ihn immer von neuem wieder durch das reizvolle Spiel ihrer beiden Monde bezauberte, trotzdem er sich nun schon länger als fünf Jahre auf dem Mars befand.

»Wunderbar, märchenhaft schön ist doch bei euch hier oben die Nacht!« rief der Gelehrte, das lange Schweigen unterbrechend.

»Ich weiß und kenne nichts anderes,« entgegnete Bentan lächelnd.

»Aber ich!« antwortete der Schwabe. »Unsere Mondnächte auf der Erde bieten nicht diese eigenartige Schönheit.«

»Dafür besitzt ihr ja auch nur einen Trabanten, eine Leuchte. Unser Verdienst ist es nicht, daß wir deren zwei haben.«

»Sie passen aber in würdiger Weise zu euerm Leben voll Licht, ja sie ergänzen es in harmonischer Form. Am Tage das strahlende Licht der Sonne, in der Nacht der milde, versöhnende, zur Ruhe förmlich einladende Silberglanz der Monde, alles hell, licht wie ihr selbst!«

»Nun, dieses Leben, das du so rühmst, hat auch seine Schatten und seine Unvollkommenheiten. Und wohl uns, daß es so eingerichtet ist,« erwiderte Bentan. »Ein gewisser Kampf ums Dasein ist nun einmal untrennbar mit der Existenz eines jeden Lebewesens verknüpft. Er ist die Ursache aller Entwicklung und Vervollkommnung. Darüber sind wir froh und dankbar zugleich. Dieser Kampf ums Dasein wird bald unseres Volkes ganze Kraft in Anspruch nehmen.«

»Des Wassers wegen?« fragte Herr Frommherz.

»Ja, wie du weißt.«

»Ich sehe aber deshalb noch keine drohende Gefahr.«

»Weil du eben unsere Verhältnisse noch zu wenig kennst, Freund Fridolin. Für Angola ist die Wasserfrage, dank unterirdischen Zuflüssen zum See, noch nicht so empfindlich geworden wie an andern Orten unseres Lichtentsprossenen. Trotzdem aber ist eine Abnahme des Seespiegels deutlich wahrnehmbar.«

»Was wollt ihr aber in dieser Sache unternehmen?«

»Eine Änderung unseres gesamten Kanalsystems,« antwortete Bentan so ruhig, als ob es sich um die einfachste Angelegenheit handelte.

»Das ist ja eine Riesenarbeit!« rief der Erdensohn in ehrlichem Erstaunen.

»Sie muß ausgeführt werden. Vor dem imperativen Muß tritt alles zurück. Wir alle ohne Unterschied des Stammes werden im Dienste der Allgemeinheit die große Aufgabe zu lösen suchen.«

»Auch ich will mich freudig daran beteiligen, soweit ich es vermag, fühle ich mich doch eins mit euch,« bemerkte Frommherz.

»Du sollst uns dabei willkommen sein,« erwiderte Bentan herzlich.

»Der Gedanke, ganz in euch aufzugehen, mir gewissermaßen das Bürgerrecht hier zu erwerben, bewegt mich schon lange,« hub Frommherz nach längerer Pause zu sprechen an. »Ich möchte nicht mehr als Gast, sondern als Marsite angesehen werden.«

»Wirst du denn anders als ein solcher behandelt?« Diese Frage Bentans brachte Frommherz ein wenig aus der Fassung.

»Hm, hm, ich kann mich sicherlich nicht beklagen, nein, im Gegenteil. Nur möchte ich, – ja, wie soll ich mich gleich ausdrücken? Ich möchte in allem als euresgleichen gelten.«

»Du bist uns kein Fremder, Freund Fridolin. Wir betrachten dich daher auch schon lange als Mitglied der großen Marsgemeinde. Ich hoffe, daß dich diese Worte befriedigen,« entgegnete Bentan freundlich.

»Sie ehren mich, aber sie erfüllen nicht meine besonderen Wünsche.«

»Und worin bestehen diese? Erkläre dich deutlicher.«

»Für immer auf dem Lichtentsprossenen zu weilen.«

»Niemand von uns weist dich fort. Im übrigen war dies ja auch gewiß schon damals deine Absicht, für immer bei uns zu bleiben, als du deine Brüder ohne dich von hier fortziehen ließest,« entgegnete Bentan mit eigenartiger Betonung.

»Das alles ist nicht das, was ich will. Ein Heim mein eigen nennen, in Generationen fortleben ...«

»Nun verstehe ich dich endlich, lieber Freund Fridolin,« begann Bentan ruhig, als der Erdensohn, plötzlich unsicher geworden, in seiner Rede stockte. »Du möchtest heiraten. Ist es nicht so?«

»Getroffen!« gestand der Gelehrte, ordentlich froh, von Bentan so rasch begriffen worden zu sein.

»Zu jung dazu bist du nicht mehr,« warf Bentan lächelnd ein.

»Nicht wahr? Das finde ich ebenfalls.«

»Ich möchte aber bezweifeln, ob sich dein Wunsch verwirklichen läßt. Du bist ein Sohn der Erde und gehörst auch in der Liebe zu ihr. Was Lichtentsprossen ist, soll sich wieder mit Lichtentsprossenem verbinden, nicht mit Fremdem. Von einem Durchbrechen dieser Auffassung verspreche ich mir persönlich nichts Gutes. Doch ferne sei es von mir, dir jede Hoffnung nehmen zu wollen. Prüfe dich nochmals, und dann handle. Du weißt, daß bei uns keine materiellen Erwägungen bei der Eheschließung mitsprechen. Bei uns hat die Frau eine vornehme und hohe Stellung in der Kultur gerade deshalb, weil sie sich bescheidet, die Ergänzung des Mannes zu sein. Frei wählt sie denjenigen Mann, dessen Persönlichkeit mit der ihren wirklich und wahrhaftig wahlverwandt ist. Mit dem, was er ist, mit seiner ganzen Stellung wirbt bei uns der Mann um das Weib. Dadurch ist bei uns die Eheeinrichtung zu einer hehren Wahrheit geworden, die sich sehr scharf von den ehelichen Zuständen der Erde unterscheidet, über die, wie ich mich noch genau erinnere, als deine Gefährten noch bei uns weilten, ihr uns hier in Angola Vortrag gehalten habt.«

»Warum soll aber dieser Unterschied eine Erfüllung meines Wunsches unmöglich machen? Auch auf der Erde gibt es, glaube es mir, edler Bentan, manche glückliche Ehen, die nach denselben oder doch ähnlichen Grundsätzen geschlossen worden sind wie hier oben.«

»Das mag sein. Es sind und bleiben aber seltene Ausnahmen. In dieser Richtung sind mir eure völlig miteinander übereinstimmenden und vernichtend lautenden Urteile allein maßgebend. Deine Brüder waren viel zu ernste und wahre Männer, als daß ihre Aussagen dem geringsten Zweifel unterzogen werden dürften. Im übrigen habe ich dir nur gesagt, was ich von deiner Absicht halte. Ich möchte dich nur gern vor Enttäuschungen bewahren. Es steht dir völlig frei, nach Gutdünken zu handeln.«

Eine lange Pause trat ein. Frommherz war durch die Wendung, die das Gespräch genommen, sehr niedergedrückt. Er hatte auf eine Ermunterung, nicht auf eine Ablehnung gerechnet; denn darauf liefen Bentans Worte doch hinaus. Aber er wollte trotzdem nicht ohne weiteres auf seine Neigung zu Benta verzichten und die Angelegenheit noch in dieser Stunde zu einer definitiven Klärung bringen.

»Ich bekenne dir offen, ehrwürdiger Bentan, daß ich mich schon sehr an den Gedanken gewöhnt hatte, mit dir und deiner Familie durch das Band der Verwandtschaft in innigste Beziehungen gebracht zu werden, kurz, Benta als Gattin erringen zu dürfen, für die ich eine warme und ehrliche Neigung empfinde.«

»Mein lieber Freund Fridolin, ich freue mich, daß du dich frei und rückhaltslos mir gegenüber äußerst. Ebenso will ich dir antworten. Benta will, solange ich noch lebe, überhaupt nicht heiraten. Sie will durch die Pflichten der Ehe nicht von der Pflege ihres Großvaters abgelenkt werden. Diesen Entschluß hat sie freiwillig, ohne irgendwelche Beeinflussung schon gefaßt gehabt, bevor du in unser Haus kamst.«

»Wie gern würde ich warten,« warf der Gelehrte ein.

»Es würde dir nichts nützen, denn Benta wird später Orman als Gatten wählen.«

»Also hat mich meine Ahnung nicht betrogen,« seufzte Frommherz.

»Sieh, mein Freund, es ist wirklich besser, du beherzigst meinen Rat und verzichtest auf eine Verbindung mit einer Tochter unseres Volkes. Vielleicht kommt einst noch die Stunde, wo du froh darüber sein wirst, über deine Person und deine Zukunft frei verfügen zu können.«

»Dieser Verzicht auf meine schönsten Träume ist wirklich schmerzhaft,« erwiderte Frommherz wehmütigen Tones.

»Das tut mir aufrichtig leid. Aber durch die Kraft der Selbstbeherrschung wirst du über das Gefühl des Schmerzes rasch hinwegkommen. Du bist mir sympathisch. In unserem Zusammenleben bewies ich dir dies. Und diese Sympathie wird dir auch ferner von mir gewahrt werden.«

»Um eines bitte ich dich noch, ehrwürdiger Bentan, rede nicht mit Benta über das, was ich dir vorgebracht.«

»Das hätte ich auch ohne deine Bitte nicht getan. Ich möchte nicht den harmlos schönen Verkehr zwischen dir und meiner Enkelin stören, sondern mich auch fernerhin an ihm erfreuen.«

»Ich danke dir,« erwiderte der Erdensohn, ergriffen von der schlichten Größe des Alten. Einer Regung des Herzens folgend, streckte er ihm die Rechte entgegen, die Bentan innig drückte.

Damit war Fridolin Frommherz' Liebestraum zu Ende. Es bedurfte aber seiner ganzen Kraft der Selbstüberwindung, um die Wunde, die seinem Herzen geschlagen worden war, nach und nach zum Vernarben zu bringen. Und der Segen der Arbeit half ihm über seinen Kummer weg.

 


 


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