Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Buch.

*

 

I.

Jetzt gab es Arbeit für den Bischof von Würzburg, geistliche und weltliche! –

Die Wirkungen des Glaubens an das demnächst hereinbrechende Weltende waren im ganzen Abendland gewaltig. Freilich nicht überall gleich starke: In Italien, im Süden von Frankreich wurde die Bevölkerung, an sich von lebhafterer Empfindungsweise und leichter erregbar, in größeren Mengen und leidenschaftlicher ergriffen, weil so nahe den Quellen, von denen die Verkündung ausströmte: süditalische Einsiedler, zuletzt auch Rom. Die kühleren Deutschen nahmen die Sache kühler, mit häufigerer Bezweifelung und, auch wo sie glaubten, mit festerer Haltung auf; in manche Landschaften des Nordens und Ostens war das Gerücht kaum gelangt.

Allein wo, wie im Würzburgischen geschehen war, ein Bote, unmittelbar von Papst und Kaiser und heiligem Wundertäter entsendet, ein Bote, befeuert von schwärmerisch verzücktem, felsenfestem Glauben, selbst durch ein Wunder erst zu diesem Glauben bekehrt, das schaurige Wort verkündete, – da war die Wirkung eine furchtbare, eine fortreißende. Nicht einer und nicht eine, die den Aufzug des Mönches und seine Bußmahnung auf jener Festwiese gesehen und gehört, verharrte im Unglauben, hegte noch Zweifel; sogar der alte Rado raunte Hellmuth zu: »Ja, zur Sonnwend! Ist richtig! Ich wußt' es längst. Die Welt geht unter, – aber anders als die Pfaffen wähnen.«

Supfo hatte wichtiger Geschäfte gewaltet und an jenem Nachmittag den Keller nicht verlassen.

Noch am selben Tage hatte sich der Zug des Mönches durch die Stadt hindurch den Fluß hinab weiter gewälzt: der Bischof hatte, mancherlei Wirren in der Gemeinde besorgend, die baldige Entfernung des starken Haufens in jeder Weise begünstigt und beschleunigt.

Eines der ersten Geschäfte Herrn Heinrichs, sobald er in seinen Hof zurückgelangt war, bestand darin, daß er einen Eilboten in die Gegend von Bamberg sandte, wo er noch die Lagerung der wendischen Söldner vermutete, mit dem strengen Befehl an Berengar, die Verhandlungen abzubrechen, das etwa bereits Bezahlte zu opfern und schleunigst zurückzukehren. Es hatte keinen Sinn mehr, für Sankt Burchhard eine Grafschaft zu erkämpfen, die in wenigen Wochen in Feuer aufging.

Im übrigen aber hielt der tüchtige, klar-verständige Mann streng darauf, daß, unerachtet der frommen Vorbereitung durch Gebet und Bußen, jeder seine obliegenden weltlichen Pflichten streng und genau wie immer erfülle, gleichwie er selbst mit bestem Beispiel darin voranging: er sah voraus, was die Erfahrung der nächsten Tage schon bestätigte, daß die Wirkungen jenes Glaubens keineswegs bloß fromme, wohltätige, sittliche sein würden.

Gegenüber der maßlosen Aufregung der Gemüter, der Furcht vor Tod und Hölle, die zu untätigem Brüten, zu leidenschaftlichen Ausbrüchen, zur Lockerung aller hergebrachten Bande, zur Vernachlässigung aller Gewohnheiten und Geschäfte verführte, war das einzige Heilmittel die strenge treue Erfüllung jeder Pflicht, auch der weltlichen. Unermüdlich schärfte er das wie in seinen nun täglichen Predigten, so im Beichtstuhl und im Verkehr mit Geistlichen und Laien ein.

Und wahrlich: es tat not.

Die meisten freilich, die Frauen und Mädchen fast ausnahmslos, und auch der weitaus größte Teil der Männer wurden durch die Erwartung des nahenden Endes zur Zerknirschung, Reue und Buße getrieben. Und die Furcht vor dem Zorne des allwissenden Richters bewog Unzählige, nach der sehr bedenklichen Sittenlehre nicht der Kirche zwar, wohl aber der Zeit, die Heiligen zu bestechen, ihre Fürsprache bei dem Herrn dadurch zu gewinnen, daß sie den Heiligen: das heißt deren Kirchen, Klöstern und frommen Stiftungen Geschenke zuwendeten soviel sie nur konnten. Viele, viele Tausende errichteten damals Schenkungen an die Kirchen von Land und Leuten, von nutzbringenden Hoheitsrechten, von Häusern und Feldern, von barem Geld, von Gold- und Silbergerät und Schmuck. Auch dem Bischof von Würzburg wurden jetzt für Sankt Kilian, Sankt Burchhard und andre Heilige solche Vergabungen in einer kaum zu bewältigenden Fülle aufgedrängt. Wenig Freude hatte Herr Heinrich an diesen Äußerungen einer Frömmigkeit, die dem Schenker den Genuß nur auf drei Wochen noch entzog, dem Heiligen nur auf drei Wochen zuwandte und durchaus nicht in Selbstverleugnung, sondern in jämmerlicher Furcht vor den Höllenqualen ihren Beweggrund hatte.

Allein ausschlagen durfte er das Dargebrachte nicht: – das verboten die Canones! – Auch würde die Zurückweisung die Leute erbittert, zur Verzweiflung, zu wüstem vergeudenden Genuß getrieben haben. In solchen Mengen aber drängten sich Schenkungsurkunden und geschenkte Fahrhabe zusammen, daß er außer dem Bischofshaus auch noch andre verfügbare Räume zur Aufnahme anweisen mußte. Auch das bisher von den beiden Mädchen bewohnte Haus ward hierzu bestimmt: die Freundinnen mußten sich trennen. Denn der Bischof bestand darauf, daß der Eintritt Minnegardens in das Kloster nun doch noch zu geschehen habe. Das Widerstreben der Weinenden, die geltend machte, nun könne es doch darauf nicht mehr ankommen, ob sie nächstens als Weltkind oder als Nonne sterbe, wies er gütig, aber bestimmt zurück. Er würde, gestand er ihr, wäre der Bescheid des Papstes anders ausgefallen, ihr vielleicht nachgegeben haben, da er längst erkannt habe, wie wenig das Alpenkind zum Kloster neige und dafür tauge, wie so ganz auf andre Dinge ihr Sinn gerichtet sei. Aber nun, da alle solche Hoffnungen und Wünsche doch ausgeschlossen, nun sei es Pflicht, den letzten Wunsch der Mutter zu erfüllen: auch teilte er den allgemeinen festen Glauben der Zeit, es sterbe sich viel seliger im Nonnen- oder Mönchsgewand denn in weltlicher Tracht; er machte mit dieser Versicherung freilich wenig Eindruck auf das Mädchen! Schon daß sie sterben müsse, bevor sie in das Himmelreich eintreten könne, fand sie recht hart; sie hatte gemeint, nachdem der Herr die Menschen, die er lebend antreffe, lebend richte, könnte er sie wohl auch gleich lebend mit in den Himmel nehmen. Da hatte sie denn zu lernen, daß jenes Leben ein andres als das auf Erden und daß nur wenigen Auserwählten verstattet sei, ohne den Tod zu schauen, in den Himmel einzugehen.

So ward die Tieftraurige untergebracht in das Haus der »Religiosen«, das nördlich der Stadt vor dem Holztor, aber innerhalb des Pfahlhags auf dem rechten Ufer flußabwärts an der heutigen Straße nach Veitshöchheim lag: hier ward sie von den frommen Frauen für die Einkleidung vorbereitet, die – nach Anordnung des Bischofs – von diesem selbst in dem Dom in der letzten Stunde vor Mitternacht vorgenommen werden sollte.

Edel bezog mit Malwine, der alten Pflegerin, ein kleines, dem Bischof gehöriges Häuslein, das, gerade dem Religiosenhaus entgegengesetzt, flußaufwärts vor dem Südtor und der Sandvorstadt in der Nähe der großen Festwiese, aber auch außerhalb des Pfahlhags lag. Sonder Abschied hatte Fulko die Geliebte müssen ziehen lassen; denn er wie Hellmuth wurden gleich in den nächsten Tagen nach jenem verhängnisvollen Schützenfest von Herrn Heinrich sehr häufig außerhalb der Stadt im Gau verwendet. Der waffenfrohe Bischof fand nämlich neben der unablässigen geistlichen auch weltliche, kriegerische Arbeit in diesen Wochen. Denn keineswegs alle Seelen wurden durch den Gedanken des nahen Endes zerknirscht: es gab doch auch gar viele rohe, kraftstrotzende Männer, in der Vollkraft der Jahre, in welchen umgekehrt die Flammen der Genußgier noch einmal wild aufloderten bei der Vorstellung des baldigen Erlöschens für immerdar. Von wahnsinnigem Drang nach Erdenlust jeder Art ergriffen, betäubten sie ihre Angst vor dem Tod und frönten zugleich ihrer Sinnengier in wüsten und verbrecherischen Taten gegen alle Gebote der Kirche und gegen alle Gesetze des Reichs.

In der Stadt selbst hielt Herr Heinrich solche Ausbrüche nieder mit eherner Faust. Es war dem tapfern Manne sehr erwünscht, daß die Abwesenheit desjenigen, der durch sein Amt berufen war, den Landfrieden zu wahren, des Grafen, mit fast all' seinen Reisigen in Italien, dem Bischof die Erfüllung dieser Pflicht zwar keineswegs von Rechts wegen aufzwang, aber doch ermöglichte und nahelegte.

Wie in andern Teilen Deutschlands hatten sich im Waldsassen- und Rangau bei Würzburg, zumal aber auch in den armen Gegenden des Spessart, dann im Maingau, wohin der Mönch Monitor seine aufregende Verkündung zunächst getragen hatte, bewaffnete Scharen zusammengerottet. Sie suchten mit Raub und Brand die nächsten Herrensitze, ja auch Klöster heim, sie erbrachen hier die vollen Weinkeller, die strotzenden Vorratskammern ihrer Herren – die oft ihre Peiniger gewesen waren – oder ihrer reicheren Nachbarn und nahmen sich mit der Faust zu einem letzten Rausch, zu einer letzten Völlerei, was ja doch in wenigen Tagen dem Untergang geweiht war: auch manche Weiber und Mädchen rissen sie zu wilden, schamlosen Reigen und oft zu schlimmeren Dingen fort.

Es waren meist Unfreie, die ihren Herren entlaufen waren, entsprungene Gefangene, Landstreicher, Waldgänger, Räuber, unzufriedene verarmte Kleinbauern. Schwer aber fiel es Herrn Heinrich aufs Herz, als ihm gemeldet wurde, auch viele jener Bauleute seien darunter, die er plötzlich aus Arbeit, Brot und Lohn entlassen hatte.

Daß so er – er selbst! – die Scharen jener Mordbrenner verstärkt habe, – das legte ihm die rasche, kraftvolle Dämpfung der Unruhen noch besonders als Pflicht auf das Gewissen.

So gab er sich denn mit heißem Eifer wie mit altbewährter Stärke und Umsicht dieser kriegerischen, staatlichen Aufgabe hin. In einer kampffreudigen Predigt in der in diesen Tagen immer bis auf den letzten Fleck gefüllten Domkirche forderte er alle wehrfähigen Bürger der Stadt und des Gaues auf, sich zu waffnen: – er stellte ihnen die eigne reiche Waffensammlung zur Verfügung – und zusammen mit seinen Dienstmannen unter Führung seiner Ritter die Umgegend zu durchstreifen, die bedrohten offenen Landsitze, Dörfer und Klöster zu schützen, die Banden aufzusuchen und zu zerstreuen.

Seine flammende Beredsamkeit – »wie ein Herzog sprach er, nicht wie ein Pfaff,« meinte Fulko begeistert – hatte guten Erfolg: wohl ein paar hundert Bewaffnete sammelten sich alsbald um den Bischofshof: hatte er doch solches Tun für gottwohlgefälliger und verdienstlicher noch denn Fasten und Beten erklärt! Und eine Freude und heiß erwünschte Erholung von den jetzt fast erdrückenden geistlichen Geschäften war es ihm, gelegentlich selbst, hoch zu Roß, die Sturmhaube auf dem Haupt, das Schwert in der Faust auszuziehen – nicht gerade ganz im Geist der Canones! – an der Spitze einer solchen gewaffneten Schar und eine Rotte von Räubern und Landbrennern auseinander zu sprengen, wie sie Aschaffenburg im Nordwesten, Kissingen im Südosten bedroht und geschädigt, aber auch im Waldsassengau in der Nähe von Würzburg selbst Holzkirchen, Helmstädt, Utingen, Römlingen, Fotingen, Birkenfeld, Himmelstadt, Steinbach, Trifenfeld heimgesucht hatten mit Gewalt und Plünderung. Da hatten außer dem Bischof selbst seine Junker die Hände voll kriegerischer Arbeit. »Es ist all' nicht genug,« schalt gleichwohl Hellmuth. »Sie halten nicht stand, die feigen Schächer. O nur noch Ein tüchtig Einhauen vor dem Ende!«

*

 

II.

Aber neben allen geistlichen und weltlichen Aufregungen dieser Wochen irdischen Daseins gingen doch die Dinge des täglichen Lebens, dessen Erfordernisse und Bedingungen – in seltsamem Gegensatz zu jenen außerordentlichen Geschehnissen – ihren hergebrachten Gang: die Leute sahen dem Ende entgegen: aber einstweilen wollten sie doch schlafen und trinken und – wenn sie nicht gerade das Fasten sich vorgesteckt hatten – auch essen.

Herr Heinrich hörte einmal, wie er die Eingangshalle des Erdgeschosses durchschritt, seines treuen Supfo Stimme gewaltig schelten: laut drang aus der Tiefe des Kellergewölbes seine schallende Rede an die Oberwelt, verbrämt mit manchem nicht gerade bischöflich gedachten Kernfluch. Das bewog den Seelenhirten, zu verweilen und an seinem Kellermeister im Vorüberwandeln ein wenig Seelsorge zu treiben. Er blieb stehen, beugte sich über das Geländer der steinernen Kellerstufen und rief hinab: »Aber Supfo! Schämst du dich nicht? Es wird wohl dein Werk, was immer es sei, auch ungeflucht vonstatten gehen. Aber nichts als: ›Donner!‹ und ›Donnerstrahl!‹ Was bringt dich denn so auf?« »Nun, Herr Hezilo!« antwortete der Runde, der langsam ein paar Stufen entgegenhumpelte. »Wenn das einen Christenmenschen nicht aufbringen soll! Was haben sie getan, diese Eselfüllen von Kellerjungen? Den köstlichen Trank vom Stein schon aufgespundet. Jetzt hält er sich kaum mehr zwei Jahre!« – »Aber Supfo! In zwei Wochen ist ja alles aus!« – »Ja – ja! – Jawohl! – Aber nichtsdestoweniger! – Wie habt Ihr erst gestern wieder so schön gepredigt in der Vesper ( – wie jetzt schon so oft, daß ich's auswendig weiß!)? ›Geliebte in dem Herrn! Vor allem fahret fort, eure Pflicht zu tun in allen Stücken, im kleinen wie im großen‹ (der Steinwein ist aber nichts Kleines!) ›als ginge es noch immer so fort wie von je.‹«

»›Ohne doch (fügte ich bei) durch solche Geschäfte euere Gedanken ablenken zu lassen von dem nahen Ende.‹ – Du aber scheinst ein sehr gutes Gewissen oder – noch immer! einen herzhaften Vorrat Leichtsinn zu besitzen.« »Beides, lieber Herr,« beteuerte der Kellerer treuherzig, die Hand auf sein Schurzfell legend in die Grenzgebiete zwischen Herz und Bauch. »Was hast du denn aber da?« forschte der Bischof sich tiefer bückend. »In der großen Kiste, die du dort in den Nebenkeller schaffen lässest?« – »Das? Das ...? Das kleine Kästlein, meint Ihr? O ... das ... das ist nichts ... von Bedeutung.« – »Was ist darin? Kirchengerät?« – »O nein, im Gegenteil – sozusagen! Es sind Schläuche – von ... von dem Griechenwein, den weiland Frau Theophano, – Gott hab' sie selig! (werdet sie ja auch nun bald wiederschauen: ob sie wohl noch so schön ist?) – Euch oder vielmehr, wie es in ihrem Schreiben hieß, Sankt Burchhard (der aber schon lange – zu Lichtmeß waren es zweihundertsechsundvierzig Jahre! – seinen letzten Trunk getan), also doch wohl Euch verehrt hat. Der Griechenwein steht hier der Kellerarbeit im Wege und ...« »Lauter überflüssig Tun!« schalt der Bischof und schritt zum Tor hinaus, im nahen Dom wieder Beichte zu hören. »Ganz unnütz!« »Wer weiß?« meinte Supfo und sah ihm verschmitzt lächelnd nach.

*

 

III.

Wenige Tage danach – es war schon dunkler Abend – kam Junker Fulko von einem Streifzug in der Umgegend – mainaufwärts – gegen die Landschädiger zurück. Er hatte sein Häuflein in dem Tore der Vorstadt auf dem Sand entlassen, Orco, seinen schönen Rapphengst, dem Roßwart übergeben und schritt nun in tiefe – ach! nicht mehr hoffnungsfreudige – Gedanken verloren durch die schmale Gasse, die innerhalb der Umwallung von Ost nach West an den Fluß führte; er wollte sich von da allmählich an das Religiosenhaus heranpirschen, zu versuchen, ob es nicht endlich gelinge, einen Blick auf oder von Minnegard zu erhaschen; bisher war die Hut der frommen Schwestern nicht zu durchbrechen gewesen! Er summte den Anfang eines werdenden Liedchens vor sich hin in der Dämmerung:

»Wes Auge je dein inne ward,
O zauberschöne Minnegard ...«

Da drang aus der noch engeren Quergasse, welche die Straße von Nord nach Süd kreuzte, lautes Gekläff eines Hundes, dazwischendurch der Streit zweier menschlicher Stimmen, zuletzt etwas wie ein Hilfeschrei: und das war nicht eines Mannes Stimme.

Im Augenblick stand der Ritter in der ziemlich dunkeln Gasse: an deren Südende sah er gerade noch zwei blonde Zöpfe fliegen, während ein zottiges Grauhündlein, mit zornigem Gebell vorstoßend, den Rückzug seiner Herrin deckte.

»He, Junker Blandinus! Bei Euerem Sankt Markus! Schon wieder einmal beim Kinderquälen und im Köterkampf?« rief Fulko. »Könnt Ihr denn nicht warten bis diese Kirsche reif? Noch ist sie zu sauer – wenigstens für Euch. Ja so! Warten! – In vierzehn Tagen ...! Gleichviel, laßt mir das dicke Kind zufrieden oder ...« »Tod und Teufel! Ich liebe das holde Geschöpf und würde sie zur Dogaressa machen, ging nicht – leider! – vorher – zufällig die Welt unter!« rief der Venetianer, blitzschnell sich wendend und die schmale Stoßklinge herausreißend. »Was geht's Euch an, Provenzale! Seid Ihr des Mädchens Muntwalt oder der meine? Zieht! Was habt Ihr mich zu stören? Zieht, sag' ich.« Aber Herr Fulko hatte schon gezogen und wehrte ruhig, jedoch nachdrücklich die hitzigen Stöße ab, mit welchen der Erbitterte auf ihn eindrang. »Brav, brav,« lachte der Sänger. »Das war sogar recht hübsch, dieser Doppelstoß. Aber nun ist's doch genug.« Des Venetianers Klinge flog in die Luft, Fulko haschte sie behend vom Boden auf und reichte ihm mit anmutiger Verbeugung den reichvergoldeten Griff hin; beschämt steckte sie der Entwaffnete ein.

»Seht,« fuhr der Sieger gutmütig fort, »so gut wie jetzt habt Ihr mir in Eurem ganzen Leben noch nicht gefallen. Das war doch ein Anflug von Mannheit, wenigstens ein Flackerzorn, und ein ganz leidlich Fechten. Hätte Euch dabei das hübsche Kind gesehen, – ich glaube, Ihr hättet stark bei ihr gewonnen. Glaubt mir, ich mein' es gut mit Euch, junger Löwe von San Marko. Es steckt was in Euch, Ihr seid gar nicht so übel. Nur laßt – für die paar noch übrigen Tage – die verfluchte Geckerei und Ziererei! – Erst werdet ein Mann, eh' Ihr Weiber gewinnen wollt. Bei Sankt Amor, ich schelte Euch nicht drum, daß Ihr verliebt seid im Angesicht des Jüngsten Tages. Es wäre recht sündhaft von mir! Aber alles hübsch nach der Reihe. Nur der Starke ist des Schönen wert! Glaubt mir, merken die Mädchen, an Eurem Auftreten gegen die Männer, Ihr seid ein Mann, dann werden sie Euch nicht mehr auslachen, tretet Ihr auch gegen sie auf mit dem Begehr, weil mit dem Recht des Mannes. Hätt' ich nur mehr Zeit, zu predigen, und Ihr, mir zu folgen. Folgt mir doch noch diese Spanne Zeit. Und nun gerade erst recht in diesen Tagen. Wenn Ihr nun in Bälde steht vor Sankt Georg, dem Erzengel, der uns Ritter unter sich hat, und er Euch fragt: ›Junker Blandinus aus Venetia, was habt Ihr beschafft auf Erden? Womit habt Ihr die zwanzig Jahre, seit Ihr Hosen tragt, ausgefüllt?‹ Ihr müßtet ja doch vor Scham in die Erde sinken (wenn sie noch da wäre!), könntet Ihr nur sagen: ›Den Mädchen bin ich nachgelaufen – und noch dazu oft sonder Erfolg!‹«

»Ihr ... Ihr habt nicht unrecht, glaub' ich,« sprach zögernd Blandinus, mit niedergeschlagenen Augen, – »ich will's befolgen.« – »Wollt Ihr? Das ist recht! Morgen zieht einmal mit mir aus wider die tollen Bauern. Ich stehe Euch dafür: der Mann findet ganz gehörig zu reiten, zu fechten und zu trinken, der auf Kampf und Abenteuer zieht mit Fulko von Yvonne.«

*

 

IV.

In der diesem Abend folgenden Nacht sprengte auf der Heerstraße von dem Südtor flußaufwärts ein ungeduldiger Reiter; immer wieder trieb er den ohnehin wacker ausgreifenden Braunen zu rascherem Lauf an. –

Die Höhen gegen Randersacker hin, auf denen heute ein edler Trank gewonnen wird, überzog damals noch dichtes Gehölz: im Unterschied von dem »Königswald« auf dem linken Ufer hieß es der »Grafenwald«: denn es gehörte zu dem Amtslehen des Grafen des Waldsassengaues. Etwa eine Stunde oberhalb der Allmänndewiese bog von der breiten Heerstraße ein schmaler Reitweg links nach Osten ab und schlängelte sich durch das buschige Gelände bis zu der Höhenkrone mit ihrem finstern Urwald hinan. Diesen engen Pfad schlug der nächtliche Reiter ein.

Er mußte der Örtlichkeit genau kundig sein: denn nicht eben leicht war durch Weißdorn- und Hartriegelgesträuch der schmale Streif des Weges zu verfolgen. Freilich warf der Mond, bereits über den Höhenzug emporgestiegen, von Osten her sein phantastisches Licht auf die Abhänge gen Westen, auf die Heerstraße und den silbern glitzernden, ruhig ziehenden Fluß.

Allein der Wind trieb unablässig ziehend Gewölk über die noch nicht gefüllte Scheibe, so daß das wechselvolle Licht, geraume Zeit völlig versagend, dann wieder plötzlich auf kurze Weile grell und blendend vorbrechend aus den schwarzgrauen Wolkenflügen, vielfach mehr störte als förderte. Alsbald sah sich der Reiter, wie der Pfad steiler anstieg, genötigt, abzuspringen und das Roß am Zügel langsam bergan zu führen: trotzdem stolperte es zuweilen über die Knorrwurzeln, welche, wie dunkle Schlangen, quer über den Waldweg liefen. »Gemach, Falk! hübsch bedächtig,« mahnte er das erschrockene Tier. »Sieh, bei Tage trägst du mich! bei Nacht, im Dunkel, wie billig, führ' ich dich! Treue um Treue. Erschrick nicht! Das war nur ein Glühwurm! Aber freilich, es hauset mancherlei im nächtlichen Tanne, was mit eisigem Grausen auch an die Brust des Weidmanns rühren mag. Schon mancher zog zu Walde zur Nacht – kam nicht mit heilen Sinnen wieder daraus hervor. – Ruhig, Brauner! Das war eine fauchende Eule – und was da rot leuchtet an dem alten Baumstumpf, das ist Morschholz. Vorwärts und scheue nicht! Wir sind nicht auf schlimmem Gang!« Nach einer scharfen Rechtsbiegung des Pfades ward oben auf der Höhe in einiger Entfernung ein schwach glimmendes Licht sichtbar. Dahin zog nun der Weg. –

Da schlug der Vorderhuf des Pferdes, das sonst ganz geräuschlos auf das Waldgras trat, an einen Stein: weit klirrte der helle Ton durch die schweigende Nacht: gleich erscholl lautes, wütendes Hundegebell von der Höhe her und in mächtigen Sätzen rannte ein gewaltiges Tier zornmütig auf die Ruhestörer herab: kaum war es abzuwehren durch den umgewendeten Speerschaft, welchen der einsame Wanderer ihm entgegenstreckte. »Giero! Treuer Herdenwart! kennst du mich nicht mehr?« rief er dabei beschwichtend. Da stutzte die grimme Rüde, schnob und schnupperte gegen den Wind und hüpfte gleich danach friedlich und freundlich an Mann und Pferd hinauf. »Schon gut, du wachbarer Freund! Besser zu viel Vorsicht als zu wenig. Nun komm hinauf zu deinem Herrn.« Bald standen nun, von dem freudig bellenden und meldenden Hunde geführt, Reiter und Roß auf der Höhe, wo in einer runden, wie es schien, schon lang bestehenden Waldlichtung an dem Fuß einer uralten gewaltigen Esche ein schwaches Reisigfeuer mehr Qualm als Licht verbreitete.

Neben der Glut lehnte an dem Stamme, hoch aufgerichtet, ein hagerer Mann in einem Mantel aus Wolfsfellen, eine ungeheure Schürstange, wie sie die Köhler führen, in der Faust; er hatte nach oben geschaut, in den gerade wieder hervorgleitenden Mond; schweigend, nur mit leichtem Nicken des grauen Hauptes, begrüßte er den Ankömmling, der sein Pferd seitab, geschützt vor dem Zug des Rauchqualms im Südwestwind, an eine junge Buche band.

»Nun Rado, kam ich noch zu rechter Zeit?« – Hastig entflog die Frage. »Du weißt: gleich durft' ich dir nicht folgen: es war noch zu hell; und der Bischof, der mit seiner Streifschar zurückkam, noch ganz nah. Ich fürchte, er erkannte mich, wie damals in Eurem Hof. Gar manchen Ritt im Zickzack macht' ich noch, meine Spur zu verbergen, falls er mir einen seiner Reiter nachgesandt hätte. Und doch – streng schärftest du's ein – mußt' ich die Stunde einhalten.«

Der Alte, den Schürbaum weglehnend, nickte.

»Nur zu ziemender Zeit,
An bestimmter Stätte,
Geschieht mit Gedeihen
Weihevoll Werk!

So der Spruch der Ahnen. Wir haben noch Zeit. Seht Ihr, Junker Hellmuth, dort rechts vom milden Herrn Mond das kleine Sternchen? ›Hollespang‹ heißt er: und ist unsrer lieben weißen Frau Holle Busenspange. Er darf nur mehr drei Handbreiten von dem Mondrand abstehen. So müssen wir noch warten. Und fragt jetzt, was Ihr noch zu fragen habt: denn

wann das Werk begonnen,
darf es nicht wirren
Wort und Widerwort.«

*

 

V.

»Wie soll ich dir danken, Rado, treuer Rado? Du erfüllst den letzten heißen Wunsch meines Lebens, der mir noch übriggeblieben!«

»Danken? Ihr? Gar nicht! Euer Vater hat mir vorausgedankt für alle Zeiten. Die vielen Jahre, die ich, von den Rothenburger Herren ihm als Waffenträger zugeteilt, ihm dienen durfte in Jagdfahrt und Heerfahrt, – das waren die besten, die ich gesehen.

Seit er gestorben, Herr Heinrich Pfaff und ich Hirt der Burgensen geworden, – wenig Freude habe ich mehr am Leben. Nur daß ich im Wildwald hausen darf als Jäger und Köhler – neben der Herdenhut – das tut mir wohl in der Seele. – Und wißt Ihr, was mir das Liebste war an Euerm Vater? Nicht, daß er mir Lohn und Beuteanteil gab mit vollen Händen, – nein, daß er sich so gern von mir erzählen ließ von – von den Alten – Ihr wisset schon! ... Und daß er davon vieles glaubte, was ich von meiner Mutter überkommen. Mein Bruder Wartold, Großmutter Ute bekreuzen sich dabei, Fullrun ist zu kindjung und mutwillig. Aber Wartold wird's schon erleben, – gar bald! – daß ich recht habe. Und daß auch Ihr, obwohl des Bischofs Lieblingsritter, mir glaubt ... –« »Manches, Rado! Beileibe nicht alles! Ich bin ein guter Christ und will es bleiben. Ich glaube dir von deinen Sachen nur ...« »Was Euch anzieht, was Euch gefällt,« schmunzelte der Alte. »Ihr werdet nicht bereuen, daß Ihr glaubt: ›reich lohnt Woden treue Freundschaft,‹« brummte er leis in den grauen Bart. »Und seht: » fuhr er laut fort, »Eins hat mir – all' diese Monate her! – so gut gefallen von Euch.« – »Nun?« – »Daß Ihr etwas nicht getan, nicht von mir verlangt habt!« – »Bin gespannt!« – »Keinen Minnezauber!« »Rado!« rief der Jüngling und errötete über und über. – »Nun, ich sage nichts weiter. Aber wer Euch und – Eine im Winter selbander zur Jagd reiten sah, – Aug' in Auge! – und Euch jetzt beisammen sieht, der merkt was. Und doch verlangtet Ihr nicht – wie so viele – von mir einen Liebeszauber.« »Niemals!« rief Hellmuth. »Lieber dreimal drüber sterben als ihren keuschen Willen brechen – durch Zauber!« – »Ja, das eben ist mein Hellmuth, den ich vom Kind an kenne und seine lichte Seele: sie ist durchsichtig wie ein klarer Waldquell und kein trüber Fleck darin. Ihr leidet so schwer.« – »Bald ist nun ja auch diese Qual zu Ende. – Aber sage, wie kommt es, daß du, der sonst allzuwenig den Worten der Priester glaubt, gerade diese Verkündung gleich von Anfang – lange bevor der Papst durch den Mönch es gebot! – so gläubig, ja so eifrig, so gierig aufgenommen hast? Was nur die Allergelehrtesten und Allerfrömmsten der Kirche ergrübelt hatten ... – ...« »Hm,« lachte der Alte. »Und wie lang ist's her, daß die das lehren?« – »Noch nicht Jahr und Tag.« – »So? – Nun da weiß ich's etwas länger – so seit vierzig Wintern etwa! Mich hat's die Mutter gelehrt, als ich meinen ersten Fuchs geschossen. ›Ei,‹ sagte sie, ›ein wacker Werk. Du hast Herrn Loges Heer gemindert. ‹ ›Herrn Loges Heer?‹ forschte ich. Und nun hob sie an zu erzählen, was sie von ihrer Mutter gehört und die wieder von ihrem Ahn. Ich glaube,« grübelte er vor sich hin, »unsre Sippe wußte es von je.« »Aber was, was wißt Ihr?« unterbrach Hellmuth ungeduldig. »Das andre ist mir all' gleichgültig: nur das will ich nun endlich genau wissen, von den letzten Geheimnissen, was Ihr immer so dunkel angedeutet, wo und wie ...?«

»Hei, ist so kurz nicht zu sagen. Setzt Euch. Hier! Ins trockene Eschenlaub. Nehmt die Lederflasche. Der Wein, den in der Bergleiste Frau Sunna kocht, die heiße Herrin, ist feurig. Und da – in meinem Netzranzen, das ist Wildeberfleisch. Und nun gebt acht!« Er trank einen langen Zug und hob an: »›Heilige und Teufel ringen dann,‹ sagt der Bischof? Mag ja wohl sein! Riesen und hohe Helfer sagen wir. Die ringen und kämpfen unablässig miteinander um die Herrschaft der Welt und um die Seelen der Menschen: so sagt der Bischof, so sage auch ich. Einst endet die Welt, so sagen wir beide. Aber wie endet sie? Das weiß der Bischof nicht –: auch der Papst nicht und der irrsinnig gewordene Arn – schad' um ihn! den hätten wir als dritten mitgenommen, hätte ihm nicht die welsche Sonne das Gehirn verbrannt, der Tod sieht ihm aus den hohlen Augen: ich glaub's nicht, daß er die Sunnwend noch erlebt! Also Arn, der wußt' es auch nicht: sonst hätte er's doch neulich gesagt. Wir aber wissen's seit grauer Vorzeit der Ahnen: die Welt geht unter – freue dich, mein tapfrer Hellmuth! – in einem ungeheueren herrlichen Heldenkampf, wie er noch nie gestritten ward auf Erden.«

Der Ritter sprang auf: »Den kämpf' ich mit!«

Wohlgefällig ruhten die Augen des Alten auf dem edeln, leuchtenden Antlitz des schönen Jünglings, im Glanze des von der raschen Bewegung aufflackernden Feuers. »Das sollst du, mein Liebling, an meiner Seite. Das eben gönn' ich dir – dir allein – seit Herr Hezilo sich hat scheren lassen. Den letzten Steg, den auf dieser alten Männererde lichte Helden gewinnen gegen dumpfe Unholde, – du sollst ihn mit ersiegen helfen.« – »Aber wann? Wo? Wie?« – »Gemach! Heute will ich das selbst erst erkunden. Deshalb hab' ich dich heute nacht hierher beschieden. Aber noch ist's nicht an der Stunde. Schau hinauf – Hollespang steht noch zu weit rechts.« »Ich erinnere mich,« sprach der Junker nachdenkend. »Ja, ja! Von einem Kampfe, der dem Gericht vorangehen wird, sprach auch einmal einer der Dompriester. Aber da müsse – als Führer der Frommen – zuvor Elias wiederkommen.«

»Wer ist der Held? Hab' nie von ihm gehört!«

»Ein Prophet der Juden. Und werde der gewaltig streiten.«

Ziemlich ungläubig zuckte der Alte die breiten Schultern unter dem Wolfsfell. »Würde mir andern Herzog küren. Vernimm nun die alte Sage von diesem Kampfe wie sie mich die liebe Mutter gelehrt.«

*

 

VI.

»Einst endet das All, es welket die Welt, wann wilde Gewalten ruchloser Riesen reißen die kräftigen Ketten, darin sie gefesselt gute Geister. Und es wollen die Wilden, die wütigen Wölfe, die dräuenden Drachen sich der Seelen bemeistern der Menschen.

In Feuer und Flammen hebt sich ein Buhurd: vom hohen Himmel steigen, stolz und strahlend wie Sterne, uns Helden als Helfer herab und auf Erden ringen, rennen und reiten alle Edeln, die Waffenwerks weise. Wird da wild ein kühnes Kämpfen, ein arges, entbrennen, wie nimmer noch Augen ersahen auf Erden. Es hallet ein Heerhorn, ein gellendes, goldnes, das da wahret der Wächter des Wegs zu den himmlischen Hallen. Von drüben dumpf dröhnet der Riesen Ruf: nun treffen die Tapfern in Eil' aufeinander.

Es naht eine Natter, ein wütender Wurm, mächtig aus dem Meer, aus Wogen und Wellen windet und wälzt er sich in Schlangenschuppen ans steile Gestade: giftigen Geifer speit er in Sprudeln. Es schwimmt ein Schiff, schwarz und schrecklich: gräßliche Geister stehen am Steuer, setzen die Segel, rühren die raschen Ruder: Reihen von Riesen lädt es ans Land. Krächzend krähet der heis're Höllenhahn: es heult der Helhund. Der Helwolf hat die Bande gebrochen: die Fessel fiel, rasend rennt er und reißt, was er erreicht. Da beben die Berge, da brechen die Bäume, entwurzelt erdröhnen uralte Eichen und Fichten im Fall. Es ächzen die Elben, die zottigen Zwerge, unter den fallenden Felsen. Es birst der blaue Himmel, der hohe, es birst die Brücke, der reichfarbige Regenbogen, darauf die Stolzen herabgestiegen. Unter all' dem Dröhnen und Donnern doch dauert der Drang der ringenden Recken: aus den Fugen fällt die weite Welt, nicht stört das die Starken im Stürmen: fort fechten sie freudig, unter den Trümmern noch trotzig einer wankenden Welt.«

»Fort fechten sie freudig, ... unter den Trümmern noch trotzig einer wankenden Welt –« wiederholte Hellmuth leuchtenden Auges und drückte fest die Faust um den Schwertgriff.

»Es rasen die Rosse der helmfrohen Helden, die wild wiehernden Hengste, hoch hauenden Hufs: Speere zerspellen: zerschrotene Schilde, zerhackte Helme, zerbrochene Brünnen decken dicht die alte Erde, die eine einzige Walstatt wurde. Aber ach! Allmählich werden die Wilden, die argen Unholde, Meister der Menschen: es wanken und weichen die schimmernden Scharen der guten Geister, der hohen Helfer.

Und die ermüdenden Menschen mähet und fället furchtbar der Feinde finsterer Führer, das schwarze Scheusal, der Rauchriese, ganz gehüllt in Rauch und in Ruß. Auf dem Rappen rennt er in die Haufen der hellen Helden. Soll er denn siegen?«

»Nein,« knirschte Hellmuth, »nicht, solang ich Hand heben mag.«

»Da rufen die Recken, die bitter bedrängten, blutend aus Verch-Wunden, sie rufen um Rettung: ›komm, kehre du Kühnster der Kühnen, uns, du Waltender, wieder! Was wichst du von uns? Was weilte dich, Wandrer, im Walde? Was barg dich im Berge? Siegvater, siehe die Drangsal der Deinen!‹

Und horch! Da hallet es hin durch die Himmel! Gellender gellt das helle Horn: und es läuft durch die Lüfte wie Rauschen von Raben und ein Jauchzen, ein Jagen von raschen Rossen! Und siehe, da sauset, im mächtigen Mantel, im herrlichen Hochhelm, auf dem großen Grauroß, mit dem spitzigen Speer uns zur Hilfe heran der herrliche Held: Kaiser Karl, den in hohler Höhle des Berges geborgen zäher Zauber: verwunschen war er, als wilder Jäger zu jagen. Aber in äußerster Not nun naht er!

Der Zauber zerfiel und stolz und strahlend, wie er weiland gewaltet in hohen Hallen, führt er freudig die Seinen zum Stege! Und siegen darf an seiner Seite, wer ihm die Seele selber brachte im Bündnis, im treuen Vertrag, auf ewig zum Opfer! An seiner Seite darf er die dräuenden Drachen bestehen im Streite und fällen die Feinde. Wir siegen! Wir siegen! Es fliehen die Feinde, es weichen die Wilden. Wohl verbrennt in breitem Brande die alte Erde. Doch es taucht aus den Tiefen, den nächt'gen, aufs neue wonniger wieder eine werdende Welt und hoch dann und herrlich mit dem hehren Helden haus' ich im Himmel mit allen Edeln immer und ewig.«

Er sprang auf und hielt inne, mehr verzückt als erschöpft.

*

 

VII.

Hellmuth wollte sprechen: – aber der Alte kam ihm zuvor: »Still! Nun sollt Ihr nicht mehr hören, Ihr sollt sehen. Schaut hinauf, das Sternlein ist dem Mondrand nah. Die Stunde kam.«

Er bückte sich und hob, nicht ohne Anstrengung, unter den hohen, mächtig gewölbten Wurzeln der alten Esche eine Rasenscholle aus: – erst jetzt gewahrte der Jüngling, daß sie auf drei Seiten eingeschnitten war – und holte darunter ein Stück Fell hervor: – es war ein Hamsterpelz: – darin lag gehüllt ein etwa zwei Hände breiter rundlicher Gegenstand. Der Alte wickelte ihn sorgfältig heraus und wies ihn dem Überraschten dar: es war eine dunkle, ganz glatte Metallscheibe in ehernem Rahmen: einen in sich gerollten Drachen stellte der umrahmende Erzreif dar.

»Ein Spiegel?« rief Hellmuth erstaunt.

»Ja! Aber nicht der Eitelkeit: – der Wahrheit. Ein Zukunftspiegel! In unsrer Sippe vererbt von Geschlecht zu Geschlecht! Alle andre Fahrhabe teilte die liebe Mutter, als sie zu sterben kam, ganz gleich unter uns beiden Brüdern. Aber diesen Spiegel gab sie mir voraus! Sie schickte den Bruder, der so kircheneifrig war, hinaus, griff unter das Kopfpolster und reichte dies Erbstück mir –, weil sie wußte, ich würde davon schweigen gegen die Geschorenen. ›Und so haben's,‹ sagte sie, ›die Ahnen gehalten von Geschlecht zu Geschlecht: immer nur Einem – dem Treuesten! – haben sie das Erbe der Vorzeit vertraut.‹ – Und sie lehrte mich auch, wie ich des Spiegels zu gebrauchen habe. Einst war er wohl zu eigen den drei seligen Fräulein auf der Karlsburg da unten am Main: Sankt Kilian soll sie von ihren Herrscherstühlen im Goldsaal des Schlosses vertrieben und sie verwunschen haben in den tiefen Ziehbrunnen unten im Burghof. Aber der einsame Hirt, der im Abenddämmer an der Halde die Ziegen weidet, hört sie noch manchmal leise singen aus der Tiefe und ein Sonntagskind mag sie wohl auch in heißester Mittagsschwüle da oben im hohen Grase des Burghofs überraschen, wie sie ihr Goldhaar strählen mit goldenem Kamme. Und ein Urahn von uns hat den Spiegel gefunden, da er einst hinabstieg in den Brunnen, weil ihn das leise Singen und Rauschen lockte. Und die Mutter sagte, das Ende der Welt wird kommen in einer Sommer-Sunnwendnacht. In der Sunnwendnacht eines Jahres, da am Tage der letzten Rauchnacht – heilige drei Könige nennen's die Pfaffen jetzt – also mitten im Winter! – ein mächtig Gewitter wird aufsteigen über dem Stein zur Mitternachtseite der Stadt und wird der Blitz schlagen – gerade zu Mittag – in diese uralte Heidenesche hier.«

Da erbleichte der Jüngling: »Das ist dies Jahr! Am Tage der heiligen drei Könige kam ein Gewitter von Norden und schlug zu Mittag in diese Esche: – ist stand ganz nah dabei, auf Wölfe pirschend, und sah es.« – » Deshalb, nicht weil die Geschorenen es predigen, glaub' ich an das Ende der Welt, in diesem Jahr, in jener Nacht. Zwei Stunden vor Mitternacht, so lehrte die Mutter –, beginnt der Kampf.« – »Gut. Die Stunde weiß ich nun: – aber wo?«

»Das zu erfragen kam heute die Nacht: – nach dem Stand der Gestirne. Nun laßt mich gewähren und schweigt.«

Und der Alte streifte den geflochtenen Bundschuh von der linken Sohle, trat barfuß auf die Breitfläche seines nackten Weidmessers, das er vor sich niedergeworfen hatte, streifte den Mantel von dem rechten Arm zurück, riß Gras, Kraut und Erdschollen aus dem Boden neben den Wurzeln der Heidenesche, streute sie auf sein graues Haar und hielt den runden Spiegel derart empor, daß die Strahlen des Mondes schräg hineinfielen, Hellmuth aber wie er selbst auf die Metallscheibe blicken konnten. Er drehte sich dabei langsam im Kreise und winkte dem Jüngling, ihm zu folgen. Lange schwieg er. Zuerst hatte er den Spiegel gen Norden – nach der Stadt zu – gehalten: man sah nichts. Dann drehte er ihn gen Westen dem Flusse zu: – lange hielt er hier inne. Weiter drehte er ihn gen Osten – nichts zeigte die Scheibe. Endlich wandte er sie gen Süden, – flußaufwärts.

Alsbald fuhr er zusammen. »Seht Ihr?« raunte er leise. »Es zuckt durch meine Hand! Von dorther! Von Mittag – nein, von Südost also – reiten sie an da unten – auf der großen Heerstraße!«

In dieser Richtung jagte der rasche Wind dunkles Gewölk wechselnd mit Helle über die Mondscheibe hin – phantastisch wirre Gestalten: – und demgemäß verdunkelte und erhellte sich der Spiegel.

»Schaut!« Dem Alten zuckte und bebte vor Erregung die starke Hand. »Allen voran der Schwarze! Auf schwarzem Gaul! Den gilt es, vor allen zu treffen! Und hinter ihm – seht nur! – die ganze dunkle Schar, zu Roß, zu Fuß! Schaut wie sie wimmeln und drängen! Danke dir, Mutter! Nun weiß ich's gewiß! Ich werde nicht fehlen! In mancher Sturmnacht hab' ich's geschrien in die Wolken hinauf: ›Hör' es, Herr Wode oder wilder Jäger, oder Kaiser Karl oder wie immer du heißest, der da oben brausend hinfährt über meinem Haupt: ich kämpfe für dich im letzten Kampfe. Dafür gib mir Weidmannsheil und treffende Pfeile.‹ Hoch aus den Wipfeln, lachend, gleich der Eule, rief er Gewährung hernieder: – nie fehlte mein Pfeil. So fehle auch ich nicht in seinem letzten Kampfe.«

»Noch ich,« sprach Hellmuth ernst. »Merke: keinem andern als dem Himmelsherrn gelob ich meine Seele. Aber in dem Kampf, der – auch die Priester sagen's ja! – in der Sunnwendnacht gekämpft wird auf Erden gegen Satan und all sein Heer – den Kampf kämpf ' ich mit, Alter: wir reiten zusammen in die Teufel! Zur rechten Stunde bin ich da unten – wo der Reitweg abbiegt – zur Stelle.«

Und von ihm hinwegschreitend zu seinem Roß, sprach er zu sich selber: »Das höchste Glück der Welt – es war, in Edels Arm zu ruhn. Es blieb versagt! Das zweite ist der Siegeskranz von höchster Ritterschaft: – den will ich mir ertrotzen. Sankt Georg soll gestehen: ›nie sah ich Ritter ritterlicher streiten‹ und – noch einmal – jenseit des Grabes – soll mich Edel müssen krönen.«

*

 

VIII.

Näher und näher kam der verhängnisvolle Tag der Sonnenwende, der Johannes dem Täufer geweihte vierundzwanzigste des Brachmonds.

Da begaben sich seltsame Dinge vor und in dem Hause des reichen Kaufmanns, des Kornhändlers Renatus. An dem klugen Manne rächte sich nun der Christenglaube, den er nicht aus Überzeugung, den er aus heuchlerischer Selbstsucht und aus Feigheit angenommen hatte. Und damals war es nicht wie später mit dem einmal abgelegten Bekenntnis, also einer einzigen Lüge, abgetan. Wie alle andern Christen mußte der neugetaufte Jude all' die durch das ganze Kirchenjahr sich hinziehenden äußeren Betätigungen des Glaubens mitmachen vor allem Volk. Täglich – wo irgend tunlich – mußte er die heilige Messe hören, alle vorgeschriebenen Fasttage einhalten, die öffentlichen Aufzüge durch die Stadt mit wallenden Fahnen und Umhertragung der hölzernen Heiligenbilder begleiten, alle die vielen andern Feste mitfeiern, die öffentlichen Gebete einhalten und mindestens sechsmal im Jahre zur Beichte gehen. Scharf überwachte die Seelsorge der geistlichen Oberen den Neugewonnenen, strenger als die Altchristen: und wehe dem Jüdling, gab irgend seine Lässigkeit Grund, ihn des Rückfalls zu beargwöhnen!

So hatte denn auch Renatus viele Jahre lang all' diese Christengebräuche mitgemacht, sorgfältiger noch als andre. Den Glauben an die Lehre seiner Väter hatte er abgestreift: der christliche Glaube aber hatte ihn nicht ergriffen, höchstens hier und da ein Stück christlichen Aberglaubens.

So hatte sein feiges Herz die Verkündung des nahenden Gerichtes mit Schrecken erfüllt: zwar glaubte er anfangs nicht unbedingt daran, wann er aber glaubte, war er der Verzweiflung nah.

Und als nun die Entscheidung immer näher herankam, da wuchs ihm von Tag zu Tag wie der Glaube, so die Angst.

Es war der Morgen des dreiundzwanzigsten im Brachmond angebrochen. Da sah Renatus mit stieren Augen, wie alles Volk, die vielen Hunderte, die ohne den leisesten Zweifel felsenfest an das bevorstehende Ende glaubten, sich in die Kirchen drängten, betend, singend, weinend, heulend vor Todesfurcht oder vor Gewissensangst. Und er mußte es erleben, daß auf dem offenen Platze vor seinem Hof, dem Kornhof, die Leute in dichten Haufen vor einem hochragenden Holzkreuz sich auf die Kniee warfen, an die Brust schlugen, das Haar rauften, vorbeigehende Priester mit Gewalt festhielten, ihnen nochmal zu beichten, ja laut sich solcher Sünden und Verbrechen anzuklagen, die sie nie zuvor über die Lippen gebracht.

Und er sah wie die Männer vorüberschreitenden Mönchen das Mönchsgewand abrissen, sich darein zu hüllen und so seliger zu sterben und sicherer vor den Krallen der überall unsichtbar in der Luft auf die arme Seele bei deren Ausfahren aus dem Munde lauernden Teufel.

Und er sah zuletzt, wie, in immer wachsender Herzensangst, reiche Frauen heraneilten, vor dem hohen Kreuz ihre Prachtgewande, Schapel, Schleier, Geschmeide von sich warfen, bis diese Opfergaben der Todesfurcht und Höllenfurcht zu einem gewaltigen hochgetürmten Haufen sich aufbauten.

Und er mußte es mit anhören und mit ansehen, wie endlich eine Stimme aus der Menge schrie: »Ins Feuer damit. Laßt uns alle diese Sünden verbrennen.«

Und alsbald ward der Haufe von Schätzen zum Scheiterhaufen!

Ein Knecht der nahen Schmiede rannte herzu mit brennendem Span, andre rissen das Stroh von des Kaufherrn Scheunendach herunter, brachen Planken und Bretter aus seinem Zaun, und warfen sie, die Glut schürend, auf die brennenden Kleider: bald stieg die rote Flamme hoch in die Lüfte.

Und nun strömten von allen Seiten Männer und Weiber herbei, und schleuderten Gewänder, Gerät, Schmuck, auch bares Geld, Urkunden, Schuldverschreibungen unter Schreien und Heulen in die gierig fressende Lohe.

*

 

IX.

Da ergriff es auch ihn mit der ganzen fortreißenden, ansteckenden Gewalt solch wahnwitzigen Tuns!

Er sprang mitten in den tobenden Haufen, unter jedem Arm ein paar vollgestopfte Ledersäcke, gefüllt bis zum Bersten mit goldenen Solidi, silbernen Denaren, kupfernen Pfennigen: er schnitt die Säcke mitten durch und ergoß den klingenden klirrenden Inhalt wie einen metallenen Regen unter die Leute: ja, zuletzt riß er einen kleinen Leinensack, den er sorgfältig verwahrt, auf der nackten Brust nachts wie tags getragen hatte jahrzehntelang, von der Schnur ab, öffnete ihn und streute Perlen und Juwelen mit vollen Händen unter die Menge: wie blitzten, wie funkelten die lichten Steine in dem roten Glast der Flamme!

»Nehmt doch,« schrie er dabei mit scharf ergellender Stimme. »Nehmt, ihr Leute! Lest auf! Hier Gold! Da Silber! Hier Smaragden – o schöne Smaragden aus Askalon! kostet mich der große da ... ach ich weiß nicht mehr, wie viel! Nicht ins Feuer werf' ich's, wie die Närrinnen dort. Wie schlecht verstehen sie sich auf ihren Seelenprofit! Ich – schau her, Jesus von Nazareth, und hör' auf mich! – ich schenk es den Armen, zum Heil meiner Seele! Siehst du's auch wohl genau, Galiläer, in all dem Qualm? Diamanten sind sogar dabei und viele blaue Saphire! Ich bin der Schenker, ich, dein Renatus, du Sohn Gottes! Ich bin wohltätig gegen die Armen, ganz wie du es hast befohlen, Rabbi. Ihr Leutchen, tretet's doch nicht mit Füßen! Kauft euch Brot, Wein, Fleisch! Siehst du's, Sohn Marias der Jungfrau, wie ich speise die Hungernden? Hier du, Alter, – wie bist du zerlumpt! – nimm diesen Topas und kaufe dir einen Mantel. Schau' her, Stern von Bethlehem und, du heiliger Geist, seht her wie ich kleide die Nackten. Hab' ich früher wohl genommen mehr als sechs oder zwölf! – ach ja! es war manchmal wohl mehr, – vom Hundert, – ich mach' es jetzt gut millionenfach. – Und, Herr Christus, hier – schau hier! – bist ja allgegenwärtig, sagen sie! Hier ist der Auszug aus dem Taufbuch – weißt du? – aus deiner großen Kirche zu Mainz« – er riß ein Pergamentblatt aus dem Brustlatz und hielt es ausgebreitet mit beiden erhobenen Händen gen Himmel: – »hier! hat's doch geschrieben deines Herrn Bischofs – nein, Erzbischofs sogar! – eigene Hand: – wie heißt er doch gleich! Nun, Christus, du mußt es ja wissen! Willigis heißt er! Dein frommer großer Willigis selbst hat mich getauft. Ich bin getauft: ich kann's dir beweisen! Also mußt du's gelten lassen. Und ich glaube auch an dich, o ja! Nicht immer hab' ich geglaubt. Aber heute – jetzt – glaub' ich. Ich zittere, aber ich glaube. Ich möchte lieber nicht glauben, aber ich muß!«

Nun wandte er den Blick vom Himmel wieder auf seine Umgebung: »Was!« schrie er und das dichte, kohlschwarze, struppige Haar sträubte sich ihm. »Was? Sie nehmen es gar nicht! Sie bücken sich nicht nach meinen Saphiren! Sie zertreten – wehe, wehe geschrien! meine Perlen, meine weißen Edelperlen, meine Zahlperlen aus Damaskus! Wie! Ihr stoßt gegen mich mit den Ellbogen? Ihr Undankbaren! Nehmt doch, gute, edle Herren, schöne Frauen, nehmt: – wenn nicht für euch – aus Barmherzigkeit gegen mich, daß ich kann aufrechnen morgen vor dem Zimmermannssohn, – ach nein, vor dem Sohn Gottes, dem Messias! – gegen kleinen Wucher großmächtige Wohltätigkeit und abziehen von meinem armen winzigen Betrug zu Frankfurt dieses unsinnig reiche Almosen. Ach wehe! Sie hören gar nicht auf mich! Sie lassen's liegen – im Kot! O Christus, ich kann doch nicht dafür, daß sie nicht wollen? Ich habe gewollt – Gutes tun.« Da brach er ohnmächtig auf das Gesicht nieder, Geifer und Schaum standen ihm vor dem Munde.

Die tobende Menge, die sein kaum geachtet hatte, würde ihn zertreten haben: aber da warf sich, aus dem Hoftor hervoreilend, in den dichtesten Haufen eine hohe Gestalt in dunklem Gewand: furchtlos sprang sie unter die Rasenden, ergriff mit beiden Armen des Bewußtlosen Haupt und zog ihn – ihn aufzuheben vermochte sie nicht – quer über den Platz und durch das Hoftor, das sie sorgfältig hinter ihm verschloß. Sie besprengte seine heißen pochenden Schläfe mit Wasser aus dem nahen Brunnentrog: da schlug er die Augen auf.

»Er lebt!« frohlockte die alte Frau. »Er lebt, mein Isaak, meines Manasse Blut! Gott meiner Väter, ich danke dir: deine Gnade währet ewiglich! – Zwar wie wird er rasen übermorgen, wann er sieht, die Welt, Jehovahs weises Werk, ist nicht untergegangen – denn ich habe nachgelesen in den Rollen und kann es nicht finden darin und kann es nicht glauben! – und er hat geworfen all' sein Geld und Gut auf die Straße! Er wird verfluchen sich und Gott und die Welt, und mich wird er schlagen, grausam schlagen! Aber! – nun ist er eingeschlafen! – wie schwer er atmet! – aber verzweifle nicht, mein armer Liebling. Nun ist es doch gut, daß die alte Mutter – wie hast du oft gescholten ihre Dummheit! – dir nie hat aufgedeckt den großmächtigen Schatz, den dein Vater hat vergraben als Notpfennig tief unter dem alten Birnbaum im Wurzgärtlein! Das wird dich trösten in deiner Trübsal und du wirst streichen der alten Mutter Kinn, daß sie dich errettet von dem Bettel. Und wirst erkennen, daß es nichts ist mit dem Glauben der Christen und daß sich geirrt hat der große Bischof in Rom und geirrt hat auch der gute Herr Bischof hier, als er ihm folgte. Und wirst einsehen, daß da ist kein andrer Gott als der Gott deiner Väter, Jehovah ist sein Name, der hat über dich gebracht, wie einst über Hiob, diese Prüfung zu deiner Läuterung. Verloren hast du viel Geld, aber zurückgewinnen wirst du deinen Glauben. Und wirst tun nach dem Rat deiner alten Mutter und abschütteln von deinen Schuhen den Staub dieses Landes, wo wir doch immer, ob wir nun verleugnen unsern Glauben oder ihn bekennen, werden bleiben Fremdlinge und Verachtete, in diesem wilden Volk der Gojim, der Waffengewalt, und wirst nehmen den Wanderstab und wirst mit mir wandern an den Jordan, wo die Palmen rauschen, und wirst begraben mit frommen Händen deine alte Mutter am Jordan unter rauschenden Palmen.«

 

Als bald darauf Fulko und Blandinus – denn der war in den Waffendienst Herrn Heinrichs getreten – mit einer Schar von bischöflichen Reisigen erschienen, die rasende Menge auseinandertrieben, und das Feuer, das bereits das Holzkreuz ergriffen hatte und den Kornhof schwer bedrohte, löschten, da vernahmen sie aus den geschlossenen Läden des Judenhauses einen leisen eintönigen Gesang. Sie verstanden die hebräischen Worte nicht: allein sie lauschten, tief ergriffen, dieser eigenartigen fremdartigen feierlichen Weise; der Sinn der Worte aber war:

»Ich halte treu an meinem Gott:
Drum leid' ich von den Heiden Spott.
Jedoch aus Spott und Herzeleid
Löst mich der Herr zu rechter Zeit.
Ich bau auf dich, Herr Zebaoth,
Mein Gott ist stark, mein Gott ist groß
Und süß ruht sich's in Abrams Schoß.«

*

 

X.

Die Sonne dieses Tages neigte sich zur Rüste, die Wipfel der Buchen des Königswaldes wunderschön vergoldend.

In tiefster Erregung durchschritt der Bischof nach Erledigung aller geistlichen und weltlichen Geschäfte – auch in den Nächten hatte er zuletzt nicht mehr geschlafen – lange den geräumigen Büchersaal.

Ein blaues Wölklein von gar süßem Geruch schwebte kreiselnd durch den Saal und verzog sich langsam durch das offene Fenster: neben dem mit Urkunden hoch bedeckten Schreibtisch ruhte auf hohem Erzgestell ein zierlich gearbeitetes Kohlenbecken, in welchem auf rotglühenden Kohlen Weihrauch glimmte: der Bischof hatte befohlen, denselben für den Abendgottesdienst bereit zu stellen.

Oft und oft ließ er im Wandeln den Blick durch das Fenster auf den freien Platz, auf den Strom, die Brücke, die ragende Feste und die Hügelkette im Westen schweifen.

»Wie schön war sie doch, diese Welt, welche morgen in Flammen aufgeht!« Er seufzte tief: dann schloß er fromm: »aber nicht mein Wille, – dein Wille, o Herr, geschehe!« –

Supfo trat ein, offenbar, jemand zu melden.

Rasch schritt Herr Heinrich auf ihn zu: »Berengar, – nicht wahr?« Der Alte schüttelte schweigend den Kopf. »Oder doch Nachricht von ihm? Auch nicht! Einer meiner Boten – es ist der vierte, den ich nach ihm ausgesandt ...?« – »Ritt eben ein; aber er hat Berengar sowenig gefunden, wie seine drei Vorgänger. Kein Mensch weiß, wohin die Söldner, in deren Lager er gesucht werden sollte, sich gewandt haben.« »Es ist auch gleichgültig,« sprach der Bischof vor sich hin. »Ich wollte nur, er sollte wissen, daß mich der ganze Plan ... Was willst du aber, Supfo? Du blickst so ernst – wie ich es kaum je an dir gesehen. Fängst du doch endlich auch an, des Gerichtes zu gedenken? Es ist wahrlich an der Zeit.« Aber Supfo schüttelte noch stärker als zuvor das Haupt und sprach: »Ich melde Besuch, Herr Hezilo.«

»Habe jetzt nicht Zeit für Besuch und Unterhaltung.« – »Wird nicht sehr unterhaltend werden, rat' ich.« – »Wer ist's?« – »Eine Frau. Bittet um eine Unterredung.« – »Nein doch. Soll anderwärts Unterredung suchen. Oder vielmehr, sie soll gar nicht Unterredung suchen, sondern nachdenken über das nahende Ende.« – »Gerade darüber will sie mit Euch reden.« – »Ah, sich trösten lassen? Soll nachher in die Abendpredigt kommen. Oder in die Mitternachtsmesse, wie die andern auch. Soll sich geistlich vorbereiten.«

»Das eben will sie. Ihr müßt sie hören, diese Frau: sie will Euch beichten.« – »Beichten! Dann freilich! Führe sie herein! – Kennst du sie?« Der Alte hatte die Frage wohl nicht verstanden; gar eilig war er hinausgehumpelt. Noch einen friedlosen Gang durch das Gemach: »Beichte hören! Andrer Sünde würdigen ... im Namen des Heilands den Reuigen, den Büßenden vergeben! Und ich? Ich selbst! Wer verzeiht mir im Namen des Heilands meine Erinnerungen, – die ich nie gebeichtet, weil ich sie nicht für Sünde hielt, und die mich auch jetzt noch nicht loslassen? Wer verzeiht mir die unbereute ...?«

Er brach ab, – mitten im Schritt – mitten im Wort.

Er erschrak: er schlug hastig ein Kreuz: denn er glaubte, sie zu erkennen, die Frauengestalt, die ganz geräuschlos über die Schwelle geglitten war, hart an der Türe stehen blieb und nun den langfaltigen dunklen Schleier zurückschlug. »Hilf, Sank Kilian!« flüsterte er, während ihm das Blut heiß vom Herzen in die Wangen schoß. »Es ist ein Blendwerk des Versuchers. Ach, gut kennt er die Schwäche meines ...« – Lauter sprach er nun: »Es ist ja nicht möglich!« – »Doch. Es ist. Ich bin Heilfriede.« Unsagbarer Wohllaut klang aus dieser sanften, lieblichen Stimme, die wie aus dem Mund einer Verklärten zu tönen schien. Etwas Verschleiertes, Verhülltes, wie ein stets im Verborgenen gehütetes Heiligtum lag in der Stimme. Und verschleiert auch war der Blick dieser sanften, lieblichen Augen von mattem Blau unter langen, langen blonden Wimpern: nicht traurig war der Blick, aber so friedlich, so wehmutvoll befriedet, so wettentrückt!

In das lichtblonde, leicht gewellte Haar hatte das häufige Silberweiß nicht das Alter gestreut: die zarte Frau hatte offenbar das vierzigste Jahr noch nicht erreicht: diese blassen, weich gerundeten Wangen waren so jugendlich: nur gar so bleich, so farblos, so nonnenhaft! Der Zug der Augenbrauen war kaum sichtbar angedeutet durch einen Halbkreis von Blond: aber die sanfte Weichheit dieses Antlitzes ward auch von dem bloßen Anschein der Schwäche weit ferngehalten durch den Ausdruck des kleinen, fein geschnittenen, aber festgeschlossenen Mundes, der Willenskraft und lang geübte Willensmeisterung bekundete. Wie sie so dastand, die schmächtige, nur mittelgroße, zarte Gestalt in dem grauschwarzen Schleier, im dunkelveilchenfarbenen Mantel, der das Untergewand völlig verhüllte, glich sie einem stummen, wunderschönen, seelenbeschwichtenden Heiligenbilde. – – –

Herr Heinrich war regungslos stehen geblieben, weit von ihr: er lag völlig unter dem Banne des von ihr ausstrahlenden Zaubers, dieser rührenden Sanftmut, dieser stillen Ergebung, dieser heilig verklärten Anmut. Lange, lange schauten sich die beiden sprachlos an: sie fanden keine Worte: vor tiefem stillem Weh oder war's vor geheimer Wonne?

*

 

XI.

Endlich tat Herr Heinrich, fortgerissen von der Gewalt des Gefühls, einen raschen Schritt ihr entgegen: er hatte ihr die ausgestreckte Hand hinreichen wollen. Allein mitten in der Bewegung hielt er inne: er ließ den rechten Arm schlaff herabfallen. »Frau Gräfin ...!« brachte er nun leise hervor, kalt, beinahe feindlich. Grimm und Erbitterung malten sich auf seinen durchgeisteten, von Schmerz durchzuckten Zügen: er furchte finster die gewaltige Stirne.

Jedoch wie er nun in die sanften Augen der stillen blassen Frau einen feuchten Schimmer treten sah, der sie noch schöner und noch viel rührender machte, – da versagte ihm die Kraft, zu zürnen und in ganz anderm Tone fuhr er traurig, tief aufseufzend, fort: »Ach wie lang ist's her, daß wir uns nicht gesehen!« – »Fünfzehn Jahre.« – »Das ist lang.« – »Ja. Denn es ist das ganze Leben.« Gegen den Ton dieser Stimme – Herrn Heinrichs Jugend klang daraus hervor! – gab es nicht Trotz, nicht Groll, nicht Widerstreben. Er wies mit der Hand auf den erhöhten Platz an der Wand unter dem dunkelroten Baldachin. Aber die Frau blieb an der Türe stehen; sie sprach nicht. So mußte er aufs neue beginnen. Und das war so schwer! – Milder hob er an: »Was ...? Was führt Euch zu Heinrich von Rothenburg?« Da richtete sie die Augen fest auf ihn und sprach mit Nachdruck: »Zu dem Bischof sendet mich mein Gemahl.« Jäh fuhr Herr Heinrich zurück: »Ah so! – Freilich! Ich hätte mir es denken können!« schloß er herb.

»Gewiß! Ihr konntet nicht annehmen, ich suche Euch gegen, ohne meines Gatten Willen.« – »Es hieß ... man ließ mir sagen ... Ihr wolltet beichten?« – »Ich will beichten. Euch will ich, muß ich beichten, keinem andern. Das sagte ich meinem Mann; und dazu schickt er mich.« Der Bischof war aufs höchste überrascht: aber er wollte es um keinen Preis verraten; kühl erwiderte er, leicht die Achsel zuckend: »Seine Pflicht! – Christenpflicht!« – »Mich zu Euch als Beichtiger ziehen zu lassen, zu schicken? – Nein, das verlangte keine Pflicht von ihm.« Herr Heinrich entgegnete nicht. Er strich nur einmal langsam mit der umgewandten linken Hand über die stolze Braue: »So beginnet,« sprach er tonlos.

»Ich beginne damit, zu gestehen, daß ich mir gerade Euch als Beichtiger ausgesucht habe nicht nur meinetwillen, auch – ja mehr noch! – um Euretwillen. – Nein: die ganze Wahrheit muß gesagt sein: nur um Euretwillen habe ich Euch zum Beichtiger ausgewählt und von meinem Mann erbeten.«

Jetzt konnte Herr Heinrich sein Erstaunen nicht mehr verbergen: »Und auch das ... das habt Ihr ihm gesagt?« – »Gewiß.« – »Und er hat ...?« – »Er hat erwidert: ›Ja. Geh zu ihm. Sag' ihm alles. Alles, was du soeben mir gesagt. Wenn etwas auf Erden ihm wohltun kann und seine Seele retten ..‹ »Graf Gerwalt soll für seine Seele sorgen!« donnerte der Bischof sehr zornig. Aber ruhig schloß sie: »› ... so wird es das sein.‹ Also sprach mein Mann.« – »Ich will nicht hören, was mir Graf Gerwalt sagen läßt – durch Euch.« – Trotzig schritt er durch den Saal. Geduldig wandte die Frau das schmale Gesicht so, daß sie ihm überall hin folgen konnte mit den Augen. –

»Nicht Er,« sprach sie ganz sanft, »meine Seele spricht – unter seiner Verstattung – zu Euch. Bald stehen wir – wie alle – vor dem Richterstuhl des Herrn. Ihr glaubt doch zweifelfrei daran? Sagt mir das offen, bevor ich weiterrede. Euch glaub' ich unbedingt darin, wie – wie in allen Stücken. Nur weil übermorgen doch alles klar und offen wird zwischen Eurer Seele und der meinen – nur deshalb« ... hier überflog die bleichen Wangen ein leiser Hauch von zartem Rot – »konnte ich mich so weit überwinden. Stehen wir übermorgen vor Gott? Sprecht: Ja oder Nein? Wenn Nein, bleibt meine Beichte ungebeichtet.« – »Ja. Habt Ihr nicht all' meine Vorbereitungen in der Stadt gesehen?« – »Ich treffe soeben erst ein. – O Gott sei Dank für dieses: Ja!« Sie faltete die Hände und sah nach oben.

»Ein betender Engel!« mußte der Bischof denken. »Aber welche Freude in diesen Zügen? – Ihr – ersehnt, so scheint's, den Tod?« – »Von ganzer Seele!« – »Lange schon?« – »Seit ... seit vielen Jahren.« – »Und die drohenden Schrecken des Weltbrands?« – »Ich fürchte sie nicht. Ich segne sie. Sie allein haben mir diese Stunde gebracht. Das Wort der Erlösung – ach! nicht nur für mich – so selbstisch bin ich nicht! – für Euch – – von bittrem Leid.«

Vornehm richtete er sich auf zu seiner ganzen Höhe: »Wer sagt Euch,« fragte er stolz, »daß ich leide oder litt?« Sie wollte ein rasches Wort erwidern: aber sie erschrak über ihr eigenes Wort, faßte sich und verbesserte sanft: »Oder doch von bittrem Groll. Leugnet Ihr auch den?« »Nein, das wäre gelogen!« lachte er grimmig. »Bin kein Erzengel, nur ein Mensch, ein Mann. Und bin's geblieben, auch als ich Priester und Bischof ward.« – »Nun seht, Herr Bischof, daß Ihr nicht mit der schweren Todsünde dieses Hasses, dieses unversöhnten Grolles auf der Seele vor den allwissenden Richter tretet, deshalb, o glaubt es mir, Herr Bischof Heinrich, – nur deshalb steh ich hier: hört es: nur Eure Seele zu retten.«

Er schüttelte finster den Kopf: »Das ist keine Beichte. Habt Ihr keine Schuld auf der Seele?«

Aber ohne auf die Frage zu achte», fuhr die Frau in wachsendem Eifer fort: »Diese Sorge, diese Angst um Euch hat mich ergriffen von dem Tag an, da ich das nahende Ende erfuhr: diese Qual um Euer ewig Heil hat mich rastlos umgetrieben Nacht und Tag. Sie hat mich – ich bin sonst scheu, wie Ihr vielleicht noch wißt, Herr Heinrich! – fortgetragen über alle Bedenken – hierher zu Euch getragen – wie auf Flügeln: die Sorge, die heiße ... Sorge um Euch. Beichten konnte ich, nachdem ich meinem Manne gebeichtet – das war nicht leicht! – jedem Priester. Aber diese Beichte, die ich Euch anvertraue – o Gott! – sie soll ja nicht, wie Beichte sonst, der Beichtenden Seele retten, – sondern die Eure! Euch retten und erlösen – bevor der Richter richtet! – von dem dumpfen Haß und bitteren Groll gegen meinen Mann und – ach! – gegen mich!« Rasch machte sie einige Schritte – dann sank sie unter Tränen auf den vorher abgelehnten Sitz.

Auch er war tief, mächtig bewegt: die edle Empfindung dieser reinen Frauenseele hatte ihn erschüttert. Er trat dicht vor sie hin, schaute scharf auf sie herab und hielt seine beiden zuckenden Hände fest ineinander geschlossen: »Graf Gerwalt zu hassen, ihm zu grollen, – prüf' ich mich – als Christ – im Angesicht des nahen Todes – dazu hab' ich kein Recht. Wir streiten uns um Zoll und Brückengeld, – um Grafenbann und Bischofsrecht: – wir sind beide aus recht hartem Holz – da setzt es denn harte Stöße. Aber deshalb Haß und Groll? Nein! Er glaubt im Recht zu sein, wie ich. – Und ... das andre? Das vor fünfzehn Jahren ...?« »

Sie seufzte und zog den Schleier vor die Augen.

»Beim Donnerstrahl, ich kann's ihm nicht verdenken! Nicht Freunde waren wir: – nur Waffengenossen, Jagdgefährten, Bechergesellen – oder Nebenbuhler um Ruhm und Glanz und Lebensfreude. Daß er die schönste Jungfrau liebte, die wir – beide – jenseit und diesseit der Alpen – gesehen, daran tat er recht. Und daß er ihre Hand nahm, als sie ihn vorzog, daran tat er wahrlich nicht unrecht. Also – will ich – nur als Mann, gar nicht als Priester – fragen – also warum Haß und Groll gegen – ihn?« – »Aber gegen mich, nicht wahr?« Das brach aus ihrer Brust wie aus dem Felsen der Quell, wie aus dem Vulkan das Feuer – weil sie müssen.

»Ah!« Und mit herzzerreißendem Klageton schlug sie die Stirn gegen die Holzwand und bedeckte den Kopf mit den beiden durchsichtigen Händen.

*

 

XII.

Aber diesmal erweichte sie ihn nicht, die rührende Stimme, den grimmen, seit langen Jahren verhärteten Groll des Mannes. Einen Augenblick noch blieb er vor ihr stehen mit festverschlungenen Händen: dann wandte er sich jäh von ihr ab und stürmte in raschen Schritten – in abgebrochenen Sätzen redend – den Saal auf und nieder. »Kann es anders sein? – Bedenkt doch! – Ihr habt es wohl all' vergessen – in diesen langen Jahren – an der Seite des schönen Gemahls? Ich nicht! Ich war nicht – abgezogen durch neues Liebesglück! – Merkt auf, ob ich's noch weiß. Und straft mich Lügen – gleich! – tu' ich Euch unrecht – nur mit Einem Wort. – –

Jahrelang kannten wir uns – am Hofe der Regentin ... Ihr stets in der hohen Frau Geleit: – auch ich nur selten fern von ihr. Denn sie hielt viel auf Euch. Und auch – ein wenig – auf mich. Seit ich zuerst Euer Antlitz geschaut ... – Genug! – Ihr merktet es bald – leugnet es nicht! – mußtet es merken! Und nach vielen Monden treuen Werbens – durft' ich annehmen – durft' ich wenigstens hoffen: ... Frau Gräfin: sagt es offen, wenn es Einbildung eines eitlen jungen Toren war. Durfte ich nicht hoffen – ich sei Euch nicht ganz ... o wie sag' ich nur?«

Er stand jetzt wieder dicht vor ihr.

Da löste sie langsam die langen, schmalen Hände von dem Gesicht, wandte ihm voll das blasse Antlitz zu, schlug die Augen groß auf und sprach mit traurigem Blick: »Ja. Ihr durftet annehmen, ich liebe Euch. Denn es war die Wahrheit. Und ich konnte – Ja: mehr! Ich wollte es auch nicht – weiter verbergen.«

»Hei! Das gesteht Ihr also zu? Und doch, und doch, Verräterin, verraten und verlassen!«

»O Herr Heinrich ...!« – »Nun, beim Zorne Gottes, der uns morgen richtet! Ist das nicht Verrat? Ihr liebtet mich, sagt Ihr? Seltsame Liebe! Sechs Wochen aus den Augen – für immer aus dem Sinn!« – »Herr Heinrich – war das Heilfriedens Art?« – »Nein! Freilich nicht! Gewiß nicht! Ich hätte geeidet als Euer Eidhelfer und Euer Kämpfer – allein! – gegen eine Welt von Speeren: – ›Kein steter, kein verlässiger Herz hat je in Weibesbrust geschlagen.‹ Daher ja die Verzweiflung! Es war nicht nur der Schmerz um Euch: – nicht nur Euch, den Glauben an die ganze Menschheit hab' ich ja verloren. War mir doch bei der Kunde, als fielen alle Sterne vom Himmel: Dieses herrliche Geschöpf – dieses! – verhehlt mir nicht mehr ihre Liebe. Das war zu Ostern. Ich ziehe aus in der Regentin Dienst wider die Wenden. Ich wußte, kehrte ich siegreich zurück an den Hof nach Regensburg, – die Herzogswürde war mir zugedacht. Als Herzog wollt' ich um die Hand Heilfriedens werben. Zu Pfingsten bin ich, sieggekrönt, zurück und sie – – ist fort und des Grafen Gerwalt Weib. O pfui! Wie grenzenlos abscheulich!« Und er stürmte wieder durch den Saal.

Matt sprach sie, kaum vernehmbar: »Ja. Fort war sie. – Und war des Grafen Gerwalt Weib. – Wißt Ihr auch, warum?« »Tod und Verderben!« fuhr er auf. »Welcher Hohn! Weil sie jetzt – war er doch auch jünger und schöner! – auf einmal den Grafen Gerwalt liebte!« Und er blieb wieder hart vor ihr stehen und schoß flammende Blitze auf sie herab. »Nein,« sagte sie ruhig und sah ihm voll und fest in die zornigen Augen. »Weil Kaiserin Theophano befahl.«

Er taumelte zurück. »Wie? Was? ... Und darum?«

»O Herr Heinrich,« begann sie liebreich-sanft und beinah heiter in allem Weh. »Nein, Ihr seid wahrlich nie ein eitler Mann gewesen, der sich die Gunst der Frauen eingebildet hätte. Ihr sahet sie ja nicht an vielen von uns, als sie mit Händen zu greifen war. Und nun vollends Sie! Ihr allein merktet nicht, was der ganze Hof wußte.« – »Aber was denn? Was?« – »Die Kaiserwitwe Theophano – die wunderschöne Griechin – verwitwet im sechsundzwanzigsten Jahre – die herrliche, glühende Frau – sie hat Euch geliebt aus aller Macht ihres Wesens.«

»Die Kaiserin? Unmöglich!«

»Und die schöne, stolze, heiße Frau in ihren blauschwarzen diademgleichen Flechten,« fuhr sie ruhig fort, »sie entdeckte, der Graf von Rothenburg, der von so vielen geliebte Held, zeichne vor allen Frauen und Jungfrauen des Hofes aus das schlichte blonde, arme Edelfräulein von der Heide, aus dem Lande der Westfalen. Sie konnt' es nicht begreifen. Sie hatte recht: denn ich begriff auch nicht, warum? Und deshalb – so dachte sie wohl – achtet er gar der Frau Kaiserin nicht und sieht nicht ihre brennende Liebe. Sie war meine Wohltäterin, die Erzieherin meiner verwaisten Jugend. Sie ließ mich kommen, sie öffnete mir ihr Herz. ›Du mußt ihm aus den Augen,‹ sprach sie, ›blondes Kind. Du mußt ihm unerreichbar werden. Dann – ist er mein. Du wirst nicht so selbstisch sein, ihm den Weg an meiner Seite – den sichern Weg zu höchstem Erdenglanz und Ruhm – zu versperren. Aber auch du sollst nicht leiden. Behüte! Graf Gerwalt liebt dich, ich weiß es. Er ist ein schöner wackrer Mann, ein Held wie jener. Du wirst sein glücklich Weib. Heinrich aber – er wird wozu ihn Gott vorausbestimmt hat durch hohe Gaben –: Regent des deutschen und italischen Reiches und mein Gemahl.‹ Sie befahl. Ich gehorchte. Durft' ich, – ich armes Ding! – dem Aufflug des Adlers zur Sonne im Wege sein?« »Um Gottes willen!« schrie der Gequälte auf. »Geopfert um meinetwillen?« Und er warf sich leidenschaftlich vor ihr nieder auf die Kniee.

Sofort sprang sie auf.

Weit trat sie weg von ihm zur Türe.

»Steht auf, Herr Bischof! Sofort: oder ich verlass' Euch.«

*

 

XIII.

Er stand schon wieder.

Hochaufgerichtet stand er, die geballte rechte Faust auf die Tischplatte gestemmt, die flache Linke auf das wild pochende Herz gedrückt, glühendes Rot im Gesicht.

»Verzeiht, Frau Gräfin ... – nein: Heilfriede, vergib, daß ich auf die Kniee sank! Ich bin's so sehr gewöhnt, vor Heiligen zu knieen. Und du – du bist eine Heilige! – Und ich blinder, wildherziger Mann habe dich all' diese Jahre ... gehaßt? O nein! Ich konnte nicht! Aber verachten wollt' ich dich und deine Treulosigkeit. ›Die schöne Verräterin‹ nannte ich dich so gern in meinen schlummerlosen Nächten. Ach der Spruch:

›Nicht Feuer und nicht Gift im Blut
Schmerzt wie verratne Liebe tut,‹ –

er war zu meinem Nachtgebet geworden. O dich verachten – diese Wollust tat so bitter weh! Vergib mir, Heilfriede! Kannst du mir vergeben?«

Sie trat nun langsam von der Türe wieder in die Mitte der Halle zurück. »Ich hab' mir's wohl gedacht,« erwiderte sie traurig. »Ihr kanntet mich doch nicht genug, an mich zu glauben auch gegen den Anschein. Ich, Herr. Heinrich, würde nie so an Euch gezweifelt haben.« – »O sprich, daß du mir verzeihst!« Sie lächelte wehmütig: – es ließ ihr unendlich schön. »Stände ich hier, wenn ich Euch nicht vergäbe?« – »Dank« – »Ist doch kaum etwas zu vergeben! Daß ein ungestümer Mann, gekränkt in seinem Stolz von einem Weibe, das ihn aufgab, diesem nicht gute Beweggründe beilegt, sondern Schwäche in seinen vorwurfsvollen Gedanken, – das ist wohl so der Lauf der Welt. Aber Ihr ahnt nicht, was ich empfand, als mich, statt der Nachricht Euerer Verlobung mit der Regentin, wie ein Donnerschlag die Kunde traf am fernen Rhein: ›Graf Heinrich von Rothenburg hat der Welt entsagt.‹ Er!« Hier leuchteten die sonst so matt blickenden blauen Augen zum erstenmal auf in freudigem Stolz. »Der allerersten Helden des Reiches einer – mir – so lange Zeit! – der Erste! Er nahm die Weihen! Ward Priester! Umsonst, umsonst – so sagt' ich mir – habe ich mein Herz verleugnet, mein Leben geopfert, ihr und ihm. Weder die Herrin, vor der ich aus Dankbarkeit zurückstand, noch Er, dem ich den Weg zu kaiserlichem Glanze bahnen wollte, hat Vorteil davon! – Ach, in jenen Nächten ist mein Haar ergraut. Und ich sagte mir doch auch, welches Weh allein es sein konnte, das den heldenhaften Mann dahin getrieben, das siegvertraute, das geliebte Schwert sich abzugürten.« – »Ja, Heilfriede, auch das tat weh.« »O so vergebt Ihr mir!« rief sie nun in überraschendem Ausbruch des Gefühls, »daß ich Euere Liebe nicht als so stark erkannt, wie sie es war. Aber seht: darum ließ mir die Sorge um Eure Seele keine Ruhe! Sollten wir vor Gott treten – Ihr belastet mit diesem sündhaften, grundlosen Hasse gegen mich und ich ohne Eure Verzeihung, daß ich Eure Liebe unterschätzt? Alles, alles sagte ich meinem wackren Mann in diesen Tagen auf unsrer Rückreise aus Welschland: alles! Und er ließ, ja er hieß mich dennoch zu Euch eilen.«

»Ich dank' ihm! Sagt ihm das!« In rascher Aufwallung des Edelgefühls kam das hervorgesprudelt. Zögernd fügte nun der jahrelang genährte Groll hinzu: »Das heißt: wenn ein Dankeswort von mir bei Graf Gerwalt gute Stätte findet.«

»O Herr Heinrich! Ihr habt ihm noch viel, viel mehr zu danken!« – »Hei ja, gar manchen Span, Streit und Verdruß! Ein Glück, daß er, seit er diesen Gau erhalten, immer jenseit der Alpen weilte. Saß er da oben auf dem Marienberg und ich hier – es wäre wohl Blut geflossen. So hab' ich mich nur mit seinen Amtleuten herumzuzanken gehabt. Wo ist er? Wann folgt er Euch nach?« – »Heute nacht oder morgen in aller Frühe. Er hat noch in seinem andern, im Rangau Geschäfte.«

»Auch über diesen,« schalt der Bischof, »gab es immer Zank und Hader!« – »Gerade deshalb hat er ...! Aber nein! Ihr würdet mir nicht glauben. Und bevor der Erfolg eintreten kann, stehen wir alle drei vor Gott. Dort – auf Wiedersehen, Herr Heinrich!« – »Heilfriede! Wohin?« – »Nach Haus' – in die Burg – so gebot mein Gemahl – ihn dort zu erwarten.« – »Gut! Gehorcht ihm. Aber noch eine Bitte – die letzte im Leben.« – »Sprecht!« – »Wann nun die letzten Dinge hereinbrechen – wann die Posaunen erdröhnen der Engel des Gerichts – dann, Heilfriede, laß uns die Ankunft des Herrn gemeinsam erwarten. Im Dom, am Hauptaltar, im Schutz aller heiligen Reliquien, versammle ich, lang vor Mitternacht, die Gemeinde um mich – so viel der Gläubigen die Kirche fassen mag. – O Heilfriede, in solch schirmender Umgebung, an solch heiliger Stätte erwarte auch du das Ende. Steige rechtzeitig herab von der Burg und –«

»Mein Gemahl ist bis dahin sicher hier. Gern wird er mit mir Euren frommen Vorschlag annehmen. Versöhnt, befriedet, vereint, Hand in Hand wollen wir dann alle drei das Ende erwarten ... – Und nun noch« – ihre Stimme zitterte – »Euren Segen, Herr Bischof!« Und sie beugte demütig vor ihm das bleiche Gesicht.

Er aber winkte ihr abwehrend mit der Hand. »Wer bin ich, daß ich dich segne? Der Sünder die Heilige! Dich hat der Herr gesegnet aus der Maßen. Selig sind, die reinen Herzens sind, denn ihrer ... ach, dein, Heilfriede, ist das Himmelreich!«

Und der starke Mann brach laut aufschluchzend zusammen über dem Tisch. »Leb wohl! Auf Wiedersehen am Ende, Hezilo!« hauchte sie. »Heilfriede! Deine Hand! Nur deine Hand –« Er sprang stürmisch auf.

Sie war verschwunden. Wieder lehnte er sich vorgebeugt, seiner selbst kaum mehr bewußt auf den Schreibtisch.

Dabei streifte sein langfaltiger Ärmel eines der Pergamente, es glitt herab von der Tischplatte und fiel gerade auf das offene Becken der glühenden Kohlen.

Hastig raffte er es auf, schon war es leicht angebrannt.

»Kaiser Karls Verleihung!« rief er erschrocken. »Beinahe ...! Nun, und wenn sie verbrannte?« lächelte er. »Wie töricht doch die Gewohnheit macht! Übermorgen verbrennt sie ja doch! Mit allem was sie mir – dem Bistum – schenkte. O du unselig Pergament! Durch deine zierlichen Buchstaben hat mich der Welsche bezaubert, durch dich hat er mich immer wieder angetrieben, wann ich nachgeben wollte. Zwar für Sankt Burchhards Recht ... ach nein, nein, es ist ja all' nicht wahr!

Heinrich, gesteh' dir's doch endlich – an diesem Tage – selber ein, dir und dem Allwissenden, den du ja doch nicht täuschen kannst, wie du dich selbst so lange, so gern getäuscht hast. Die Lust, Land und Leute zu beherrschen, gegen ihren Gatten – lauter Sünde hat dich dabei getrieben! Unheilsurkunde! Hätt' ich dich doch nie entdeckt! Wärst du doch verbrannt mit allen andern damals vor vielen Jahren! Oder jetzt verbrannt – in diesen Kohlen, – eh' ich dich nochmal sehen mußte!

Dämonisches Geschreibsel!« Zornig zerknitterte er es in der Rechten. »Wieviel Sünde hast du in mir angerichtet! Ich hasse dich, ich verfluche dich! – nicht erst übermorgen – gleich sollst du verbrennen! Durch meinen Willen! Durch meine Hand! Und so wie ich dich zerstöre, so tu' ich von mir – zu Ehren jener bleichen Heiligen – allen Haß gegen Gerwalt und jedes – jedes! – sündige Verlangen!«

Und in fiebernder Erregung, seiner Sinne nicht mehr mächtig, riß er das zähe Pergament mit den beiden starken Händen mitten durch und warf die beiden länglichen Streifen in die glühenden Kohlen.

Hoch loderte sofort die helle Flamme auf. Mit seltsamer Lust sah er das noch: dann stürzte er besinnungslos, ohnmächtig auf den Estrich nieder.

So fand ihn Supfo, der den schweren Fall gehört hatte und besorgt herbeieilte.


 << zurück weiter >>