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Zweites Buch.

*

 

I.

Der Herr Bischof von Würzburg war nicht recht mit sich zufrieden.

Er sagte sich das, wie er an einem heißen Nachmittag in der Bücherei auf und nieder wanderte. »Schon all' diese Zeit her ist mir nicht geheuer, seit ich Berengar entsendet habe; eigentlich doch mehr nur: habe ziehen lassen. Und ich hab' ihm streng eingeschärft, noch nicht abzuschließen mit den wilden Wenden. Ich scheue mich, sie in den Gau hereinzurufen, am Ende gar in die Stadt einlassen zu müssen. Wenn diese Heiden ...« Er blieb plötzlich stehen und griff mit der Hand an die heiße Stirne.

»Ah bah,« fuhr er, wieder ausschreitend fort, »ich habe doch schon oft schlimmes Kriegsvolk in Zucht gehalten, werd' auch mit diesen fertig werden. Der erste, der stiehlt, hängt. – Es ist nicht das! – Aber gegen den Kaiser! Gegen den deutschen König! Gegen diesen Jüngling: – er, seine Mutter, sein Vater haben mich mit Huld, mit Ehren überhäuft. Undank wird er's nennen. Er – und die Welt! Ich trotze dem lauten Wort der ganzen Welt, wenn das stille Wort hier – hier in der Brust mich freispricht. Und es muß mich freisprechen. Ich muß Sank Burchhards Rechte wahren! – Wäre doch Arn zurück mit der Entscheidung des Papstes. – Ja: die Entscheidung! Wäre ihre Stunde doch da! – Inzwischen verzehrt mich die Ungeduld! – Immer beten! – Kann's nicht! – Und auch nicht immer lesen! – Es ist so eng, so dumpf, so staubig hier unter all' den alten Pergamenten! – Ich bin büchermüde. Menschen will ich sehen! Hinaus ins Freie! Aber was draußen tun? Fechten darf ich gar nicht mehr. Jagen soll ich nur zahm und selten. Der Bischof, der Priester soll –! O Weh und Pein! Der Priester! Warum Priester, warum? Ah falsches, treuloses Weib! Was hast du zu verantworten! Was hast du angerichtet in mir, Verräterin!« Und er drückte die geballte Faust vor das Auge.

»Der Priester, – der Bischof – was kann er tun draußen unter den Menschen? Ihnen wohltun! Ja, und das will ich! ›Seelsorge!‹ Schönes Wort! ›Herzenssorge‹ wäre auch gar schön, aber wer auf Herzen baut –! Ah was! Fort damit.

Geht es dir schlecht, soll's andern desto besser gehen! Hinaus, Heinrich, und hilf, wo du kannst!«

Er stieß den halbgeschlossenen Laden auf und blickte über die Stadt hin gegen den Main.

»Die Sonne geht zu Gold. Bald sinkt sie hinter die Buchenwipfel des Königswaldes. – Aber noch ist's Zeit genug, Gutes zu wirken, bevor der Tag verronnen ist. Es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken mag. Die Nacht! Am Ende gar – für diese Welt – bald die ewige Nacht.«

Er schritt aus dem Büchersaal in das Vorgemach, dann auf den breiten Gang, in welchen die Holztreppe mündete, stieg diese herab und wollte sich der Haupttüre zuwenden, die aus dem Bischofshause ins Freie – in der Richtung nach Westen, gegen die Brücke hin, – führte.

Allein in der Mitte der Vorhalle ward er angerufen von einer Stimme, die aus der Unterwelt emporzudringen schien. »Hezilo! Herr Graf! – Hochwürdiger Herr Bischof, wollt' ich sagen.« – »Du, Supfo? Was soll's? Was willst du?«

Und er wandte sich zur Rechten, wo einige Stufen in die Keller des Hauses hinunterführten. Auf der obersten derselben tauchte jetzt dort eine behäbige drollige Gestalt auf, die aus lauter aufeinander gesetzten Kugeln aufgebaut schien.

Kugelform hatte das grüne Mützlein aus steifem Wolltuch, das, vorn höher als hinten, etwas schief auf dem rundgeschorenen Grauhaar des runden Kopfes saß. Aus dem ganz glattgeschorenen Gesicht traten die stark geröteten Wangen halbkugelig hervor unter den runden vergnügten Äugelein, die frisch und hell in die Welt schauten; unter dem hellbraunen Schurzfell erhob sich ein Bäuchlein, das sich der Kugelgestalt nach Kräften zu nähern trachtete und auch die roten Wadenstrümpfe zwischen Knie und Knöchel hatten Mühe, ihren geschwellten Inhalt zu bergen. Fröhlich, treuherzig und dabei recht gescheit, ja schelmisch-witzig war der Ausdruck der angenehmen Züge: auch Herrn Heinrich schien der Anblick zu vergnügen: heiter ward seine bewölkte Stirne, während er auf die Antwort des dicken Männleins wartete. Diese kam etwas langsam, denn der Rundliche hinkte ein wenig beim Ersteigen der Stufen und schnaufte ganz gewaltig. »Uf! Heiß ist's im lieben Würzburg im Brachmond sogar im kühlen Keller.« »Ja freilich,« drohte der Bischof lächelnd, »wird dem Kellermeister warm, wenn er so fleißig seines Amtes waltet – im Vorkosten! Aber was willst du?« – »Was ich will? O Hezilo, lieber Herr, – das krieg' ich doch nie wieder.« – »Was ist's?« – »Meinen Hezilo von ehemals möcht' ich wieder haben! Den aus der guten Rothenburger Zeit. Hei wie wir jagten mit dem alten Rado in dem waldgrünen Taubergrund! Den Grafen Heinrich möcht' ich wieder haben, den jagdfrohen, waffenfrohen, weinfrohen, frauenfrohen ...« Hier furchte der Bischof die hohe Stirn. »Den weltfrohen Liebling von jung und alt, von Mann und Weib!« »Ja, Vielgetreuer,« seufzte Herr Heinrich, »der ist gestorben und begraben! Lange schon!« – »Ich weiß! Ich weiß! Weiß auch den Todestag, die Todesstunde – zu Pfingsten war's. – – Hätt's nie von ihr geglaubt! Der arme Herr!« brummte er unhörbar. »Schad' um Euch, Graf Hezilo! Was war's für eine Freude, mit Euch leben im Frieden, und im Krieg erst recht! Wißt Ihr noch den schlimmen Julitag von Squillace? Wetter und Strahl, dort in Kalabrien war's doch noch heißer als hier am Main! Da Ihr – Ihr allein den Herrn Kaiser Ott den Jüngeren – noch seh' ich ihn vor mir in seinem jugendlichen welligen roten Bart! – vor der Gefangennehmung gerettet habt? Sie glauben falsch, diese Sarazenen, aber dreinschlagen tun sie ganz richtig. Auf einmal waren sie da, wie vom Himmel heruntergeflogen, unzählbar viele! Nichts sah man mehr – vorn, hinten und links – als ihre weißen Flattermäntel fliegen! Es war wie ein unabsehbar Schneegestöber.«

»Ja,« fiel Herr Heinrich eifrig ein. »Und welch' ein furchtbar Kampfesfeld für uns! Ich hatte treu davor gewarnt, von der breiten alten Straße oben auf den Berghöhen herabzuziehen auf den Schmalpfad unten an der See. Nun hatten wir's! Vorn und hinten die Araber zu Roß: auf den Felsen aber zur Linken – wie steil stiegen sie empor l – die arabischen Pfeilschützen zu Fuß, unsichtbar, unerreichbar: und hart zur Rechten – das brausende Meer, gierig, jeden Ausgleitenden zu verschlingen.« »Wie viele starben damals,« fuhr Supfo fort, »des Herrn Kaisers Entkommen zu decken! – Wißt Ihr noch, wie er zuletzt – auf geliehenem Roß! – in das Meer hineinsprang und schwimmend ein Schifflein erreichte?« – »Da fielen alle um ihn her, Herr Richari, sein Lanzenträger, und die Markgrafen Berchtold und Günther, die Grafen Udo, mein Vetter, Gebhard, Ezelin.« – »Landulf von Capua und Atenulf, die edeln Langobarden.« »Und sogar der alte ehrwürdige Herr Bischof Heinrich von Augsburg kämpfte dort und starb für seinen Kaiser. Beneidenswerter Tod für einen Bischof!« seufzte Herr Heinrich. – »Da lag sie hingestreckt, seine ganze Stechschar. Nur Einer daraus stand noch aufrecht, seine Flucht zu decken. Aber zu Fuß, denn das eigne Pferd hatte er dem Kaiser aufgedrängt, da dessen Rotroß, von Pfeilen gespickt, unter ihm zusammengebrochen war. Und dieser, stets der Vorderste am Feind, im Weichen der Letzte, der hieß – Heinrich von Rothenburg.« – »Nein! der Vorletzte hieß so. Denn der Letzte, der den Schild über mich hielt, der hieß Supfo, der von der Taubermühle. Sooft ich dich den linken Fuß ein wenig nachschleppen sehe, denk' ich des Schwerthiebes, den du damals für mich aufgefangen.« »Bah,« lachte Supfo, »der Heide, der den Hieb schlug, ist doch schlimmer daran. Zwar schleppt er den Fuß nicht nach, aber auch den Kopf nicht mehr mit! – Ja, das waren noch Zeiten! Acht, zehn Jahre sind's nun bald! – Aber auch noch nach des Herrn Kaisers frühem Tode erging's uns gar gut. Wir sonnten uns unter der warmen, – recht warmen! – Gnade der schönen Kaiserwitwe. Weiß Sankt Kilian, Ihr und ich, wir beide regierten damals die Frau Regentin samt dem heiligen römischen Reich!«

Herr Heinrich mußte lachen.

»Als der falsche Vetter von Bayerland sie verriet, ihren Knaben stahl, das Reich an sich riß, viele, viele geistliche und weltliche Fürsten abfielen von der vereinsamten Witwe und ihrem guten Recht, da habt Ihr bei der vielschönen Griechin nahezu allein ausgeharrt, – wie einst bei ihrem Gatten in der Schlacht – ein Turm in ringsher brandender Flut, und habt endlich ihre Sache zum Siege durchgekämpft. Das war lustig. Fast jede Woche ein Gefecht! Und jed' Gefecht ein Sieg. Und die Sieger immer Ihr und Graf Gerwalt.«

Der Bischof schloß die Augen.

»Und in dem Hoflager der Regentin die edle, holde Jungfrau Heilfriede! Wie oft hat sie nach erfochtenem Sieg Euch den Helm mit Eichenlaub gekränzt! Euch oder Graf Gerwalt.«

»Was hast du von des Grafen Gerwalt Eheweib zu schwätzen?« – Recht unwillig war das gefragt. – »Und wozu riefst du mich an?«

»Zu nichts Bösem wahrlich! Ich wollt' Euch bitten, den Lautertrunk vom vorvorigen Herbst zu kosten: ich sag' Euch – der ist fein geraten!« –«Ist mir nicht danach zumut. – Mich rufen Pflichten.« Und er wollte sich zur Türe wenden, aber der Kellerer hielt ihn am langen porphyrroten Bischofsgewande fest.

»Auch das ist Pflicht, zu erproben, wie herrlich der milde Himmelsherr Eurer müheschweren, klugen, ja weisen Arbeit gelohnt hat. Viele Jahre sind's nun seit Ihr, – kaum wäret Ihr hier eingesetzet – befohlen habt, auch die unwirtlichen Hügelhalden im Norden der Stadt dem Weinbau zu gewinnen. Eitel Geröll und Gestein bis dahin! Den ›Stein‹ schalten die unzufriedenen Bauern den ganzen unnützen Berg, auf dem nur ein paar Ziegen kletterten. Aber die liebe Mittagssonne liegt darauf so lang und so heiß sie irgend kaum! Die Blust der Trauben verweht dort nie ein rauher Wind: – des Berges hoher und breiter Rücken schließt ihn aus. Schwer Geld hat's Euch gekostet, die edelsten Rebschößlinge tief aus Welschland zu beziehen: – den ersten habt Ihr mit eigener Hand gepflanzt und gesegnet, und unverdrossen habt Ihr all' die Jahre lang bei dem müheharten Winzerwerk selbst mitgearbeitet in Sommerbrand und in Herbstnebel. Zum erstenmal nun kelterten wir vor zwei Jahren dies welsche Gewächs auf ostfränkischem Boden – treu und liebevoll, wie eines Liebchens, pflegte ich des Fasses! – und nun kommt in den Keller und schmeckt, genießt, was Ihr da Köstliches geschafft. Es rollt wie flüssig Feuer durch die Adern. Noch späte Enkel werden Euch drum danken.« –«Ich hab' gelernt, der Menschen Dank entsagen. Ich gehe, um ...« –«Nein, Herr, bitte, bleibt nur noch ein weniges. Ich ... ich habe Euch im Keller etwas mitteilen wollen: – es wäre gerade der rechte Ort dafür gewesen: auf einem Fäßlein sitzend und von Weinduft umweht – so muß man das lesen und anhören. Denn es ist ...« er lachte herzlich. – »Nun was ist's?« – »Ein Brieflein von Arn!« »Wie? Von Arn? Aus Welschland? Wohl gar aus Rom? Was? An dich schreibt er und mich, der ich so schmerzlich auf Nachricht, auf Entscheidung warte, mich läßt er ohne Kunde? Das ist ja ...« – »Nein, nein, Herr Graf, es ist kein Unrecht wider Euch: – Ihr werdet's gleich selbst einsehen: aber, bitte, laßt Euch einen Augenblick nieder – dort auf der Hallenbank.« – »Ich nicht! Aber du! Dein Fuß! Verzeih mir, Freund, daß ich dich so lange stehen ließ.« Und fürsorglich geleitete er den Humpelnden an die Bank und ließ ihn auf dieselbe niedergleiten.

*

 

II.

»Wie gut er ist!« flüsterte der Runde. »Und immer so allein! So trübselig! Unter den verwünschten heiligen Pergamenten. Gott verzeih mir's: ich wollte sie wären lauter Fässer voll Stein und Leisten!« – »Nun also! Was schreibt mein träger Bote?« – »Vor allem, er ist noch nicht in Rom. Der Brief ist geschrieben in einem Dörflein hinter Florentia und erst vor einer halben Stunde brachte ihn ein Laienbruder aus dem Sankt Gundberts Kloster zu Onoldesbach (dem mußt' ich doch den Willkommbecher vom Fasse füllen!) dort, bei den guten Mönchen, liegt Arns Reitknecht wund: er stürzte mit dem Gaul schon auf dem Brennerberg und schleppte sich seither all den weiten Weg durch Bayerland und Schwabenland bis in unser liebes Franken. Darum währte das so lang. Nun hört, was der wilde Bayer schreibt: mir ist, ich seh' ihn vor mir und hör' ihn! Die armen Welschen, die ihn angehen wollen! Der Riese steckt zwei von ihnen, wie etwa Euer zwiebelgelber Berengar ist, unter jeden Arm und trägt sie ins Wasser wie junge Katzen.

›Unsern huldvollen Gruß und geistlichen Segen zuvor ...‹« »Der Unverschämte!« lachte der Bischof. – ›Unserm lieben und getreuen, aber durstigen Supfo. Meinem gnädigen Herrn, dem Bischof, hast Du sofort zu melden, daß nichts Entscheidendes zu melden ist.‹« – »Noch immer nicht! Ja freilich, wenn er erst bei Florenz ist!« – »Verzeiht, Herr Hezilo, der Brief ist ja viele Wochen alt: – wegen des Boten, der lange Zeit schon zu Wilten am Fuße des Brennerberges liegen bleiben mußte: – einstweilen muß der Bayer längst am Tiberstrom angelangt, ja er kann schon bald wieder zurück sein! – ›Dem hochehrwürdigen Herrn Bischof – oder wie ich lieber sage – denn so durft' ich sagen in den schönsten Jahren meines Lebens! – dem tapfern Herrn Grafen also Gott zum Gruß voraus. Aber dann gleich Weidmannsheil und Weinfreude vollauf!

Schon einige Male hab' ich ihm durch Boten Nachricht gesandt, wie es mir ergangen auf meiner frommen Fahrt, zu der er mich unfrommen Jägersmann auserkoren hat. Wundert mich nur, daß er mir nicht Rado, den Heiden, mitgegeben hat als Begleiter. (Grüße mir den Alten und er soll mir noch ein paar Stück Wild übriglassen im Grafenwald!) Hat meine Aussendung Herrn Heinrich der heilige Geist eingegeben, so war der gerade in sehr guter Laune. Denn mir geht's soweit ganz gut. Lieber zwar ritt ich mit Junker Hellmuth auf die Wolfsjagd oder säße mit Dir, Freund Kugilo, in dem geheimen Kellerverschlag, wo Du Schlauer die Griechenweine birgst, und mit dem lustigen Junker Fulko: – grüß' ihn schön, und sag' ihm, ich habe zwischen Main und Arno keine zweite Minnegard gesehen, ja keine, die würdig wäre, jener ersten den Strumpf über den feinen Knöchel zu streifen.‹« »Ich werd' ihm!« unterbrach heftig der Bischof. »Du unterfängst dich nicht, dem kecken Provenzalen ...! So weit ist das schon? Nun, warte Jungfräulein! Das führt dich noch rascher ins Kloster.« Supfo wollte etwas einwenden, aber dies zornige Antlitz vertrug jetzt kein Widerwort; so fuhr er fort: »›Als daß ich hier im heißen Welschland erkunden soll, – höchst überflüssigerweise! – ob nicht demnächst die Welt untergehen wird. Es fällt ihr gar nicht ein. Sie schaut gar nicht danach aus! Zwar wahr ist: je weiter man gen Mittag reitet, desto häufiger findet man diesen dummen Wahn in den Köpfen der Leute und desto verbissener und versessener sind sie darauf. Aber das macht nicht die größere Weisheit, sondern die größere Hitze, bei der ja die klügsten Rüden, die oft viel gescheiter sind als die Menschen, toll werden. In Augsburg glaubte noch kein Mensch daran: – nur ein paar Nonnen! – in Bozen schon viel mehr Leute, auch Weltliche: in Mailand ist noch kaum ein Vernünftiger – ausgenommen Herrn Heinrichs Bruder, der Herr Erzbischof Kanzler Heribert: – der sagte mir, er glaube es erst, wenn's der Herr Papst befehle ... ‹« Der Bischof nickte: »So schrieb mir Heribert, und also halt' ich's auch.« Der Runde legte das Pergamentblatt nieder auf seine Kniee und sah ihn an – mit einem vielsagenden Lächeln. »So – –?« fragte er gedehnt. »So? – Ich ... ich halt' es anders.« – Rasch, wie um einer Frage zuvorzukommen, las er weiter. »›Vollends aber in dieser sonst gar lieblichen Stadt Florentia! – ich kenne sie gut von früher! – jedoch davon alsbald. Es ist mir also immer gut gegangen, Freund Supfissimo, wie man Dich hierzulande nennen würde, abgesehen von der landesgebräuchlichen grausamen Hitze: die verträgt mein zottiger Kopf und mein vollblütiger Leib gar schlecht. Denn siehst Du: die unsinnige Hitze macht unsinnigen Durst, der unsinnige Durst macht ein Trinken, das auch nicht alle Tage sinnig bleibt und dann macht das starke Trinken wieder noch stärkere Hitze und so geht es in der Runde fort wie beim Rosenkranzbeten.

Zumal ich doch die edle Gottesgabe, die hier wächst – fast schwarzrot ist der starkduftende Feuerwein! – wahrlich nicht wie diese erbärmlichen Welschen mit sündhaftem Wasser verschänden werde. Nun, und im Rausch gibt's dann manchmal einen gelinden Raufhandel. Denn mich macht der Rausch nicht weinerlich, sondern minnegehrend wider die Weiblein und kampfgehrend gegen die Mannsleut' – ‹ Ich muß schon sagen,« unterbrach sich der Dicke hier, »einen gar frommen Boten habt Ihr an den heiligen Vater geschickt. Der wird eine Freude haben an Arn aus Bayerland! – ›Trittst Du aus den kühlen kellergleichen Weingewölben auf den glutheißen, in grellstem Sonnenbrand bratenden Marktplatz so einer welschen Stadt, dann glaubst Du ohnehin, Du stehst mitten in einer sausenden Windmühle: so geschwind drehen sich Säulen und Kirchen und Bettelbuben und Heiligenbilder und Zypressen und Marktweiber um Deinen armen Schädel. – Nun, und da bin ich auch schon manchmal einem schwarzlockigen, glutäugigen Mägdlein oder auch einer Ehefrau – man kann's doch nicht immer gleich erraten, zumal sie hier ihre Ringhand mit Handschützen zudecken! – nachgestolpert ... – ‹«

Hier sah sich zur Abwechslung der Bischof zu einer Unterbrechung veranlaßt: »Nun warte, Bayer! Geht die Welt nicht unter, sollst du mir fasten und dursten, daß dir die Üppigkeit vergeht.« »Hilft nicht. Kommt nicht wieder!« meinte Supfo trocken und las weiter. »›Schon in Verona, in Mailand hab' ich daher leider manchen Degenstoß auffangen und zurückgeben müssen, wenn mir so ein neugieriger Vater, Bruder oder wenig duldsamer Ehemann dabei in den Weg lief. Aber in dieser schönen Stadt Florentia: – das gab einen Spaß ohnegleichen! Schon lange erzürnte mich, daß, je tiefer ich in das schöne Land hineinreite, desto mehr die Hitze zu- und der Verstand abnimmt, so daß sie mir achselzuckend »barbarische Wildheit« an den Kopf werfen, weil ich an jenes Gewäsch vom Weltende nicht glaube.

Hatt' ich mich da in meiner Herberge den ganzen Abend herumgestritten mit zwei edlen Florenzinern und zwei Mönchen von Cluny – die nicht zu trinken, sondern zu bekehren in die Weinherbergen gingen, tranken zwar doch bei der Bekehrung, aber ich mehr als alle vier! – und als der eine Pfaff boshaft wurde und von »dummen Deutschen« und »groben Bayern« sprach, erklärte ich, ihn hinaustun zu müssen: – und zwar, weil's näher sei, zum Fenster: – es war nämlich im Erdgeschoß und nicht gar zu hoch – und da ich es ihm einmal versprochen, ließ ich ihn auch nicht lange warten. Sein Genosse entwich kreischend durch die Türe. Aber da die beiden florentinischen Valvassori dem andern helfen wollten, hatte ich sie diesem vorausschicken müssen. Nun, so was bringt das Blut in leise Wallung. Und wie ich nun den Schlaf suchen will auf meinem elenden Lager – ungleich weniger Strohhalme denn Flöhe barg der Sack, der also richtiger ein Floh- denn ein Strohsack würde geheißen haben, von andrem Getier, nicht so groß wie Skorpione, aber viel häufiger, zu schweigen – da ertoset ein unglaublich Heulen und Winseln auf dem weiten Platz vor meinem Fenster, als ob tausend Teufel tausend alte Weiber zwackten. Ich springe mit einem Salzachfluch ans Fenster und seh' im Mondschein und im Licht von düster rotflammenden Pechfackeln einen langen, langmächtigen Zug von Pfaffen und Laien und Männern und Weibern und Kindern und gewaffneten Valvassoren und schön geputzten Edelfrauen und zerlumpten Bettlern, alles einträchtiglich nebeneinander, und all' das wälzt sich, betend und singend, gegen die alte Basilika mir gegenüber. Und trugen eine Menge Wachskerzen und Fackeln und Kreuze und Bandièren und Heiligenbilder: und heulten aus eitel Furcht vor dem nahenden Tod und Teufel und Weltgericht, daß es die Steine erbarmte; oder doch die Hunde von Florenz, denn die heulten mit gottsjämmerlich. Und scholl's da durcheinander auf Latein und auf Welsch und sangen; »Wehe! Reue! Buße! Besserung! Glaube! Der Diabolus droht. Das Weltgericht! Und vorher geht umher der Antichrist.«

Gute Nacht, Schlaf! sagte ich. Flöh' im Stroh, vor dem Fenster Weiber, Hunde, Pfaffen heulend um die Wette – mir ward's zuviel. Gut' Nacht, Florentia, denk' ich. In hellem Zorn lauf ich hinunter in den Stall – ziehe meinen Hengst heraus – den Reitknecht hatte ich schon vorausgeschickt nach Germinianum: denn der hatte – er ist aus Passau und ein wenig grob! – mit dem Wirte einen unerheblichen Raufhandel gehabt: – drei Zähne, aber nur florentinische! – Und will auf und davonretten noch in der Nacht. Suche aber den Wirt, weil ich die Zeche immer zahle, wie hoch sie sei. Alles leer! Wirt und Wirtin und Kammermagd und Stallknecht: – alle halfen wohl da draußen das Ende der Welt herbeiheulen. Und wie ich durch all' die kleinen engen Kammern laufe – (in wahren Mauslöchern hausen sie, diese Welschen! Warum? Liegen immer auf der Straße) ... Jetzt weiß ich aber nicht mehr, wie ich den langen Satz angefangen habe, denn auch hier in Germinianum ist der Wein ziemlich stark: ich mußte ihn sogar auch in die Tinte träufen ( atramento sagen sie hier), und ist immer im Eintrocknen, wegen Hitze der Natur und Seltenheit des Schreibens ... also hier geht es mit den Worten nicht ganz zusammen, wohl weil die Tinte – nicht ich! – des Weines allzuviel getrunken, aber Du wirst es schon verstehen – also daher finde ich keine Seele. Aber in einer Gewandkammer, in die der Mond voll hineinscheint, wär' ich schier erschrocken. Denn da hing einer. An einem Türhaken. Sah aus wie der leibhaftige Teufel, etwa wie ihn die Buben bei uns am Ostersonntag aufs der Bleichwiese vor der Stadt verbrennen im Osterfeuer. Schwarze Tarnkappe mit zwei Gemshörnern, schwarze Kapuze, glühendrote Augen, rote Zunge, lang heraushängend aus bleckenden weißen Beißzähnen – Fledermausflügel an den Schultern – langer schwarzer Mantel, der die ganze Gestalt verhüllt – eine zweizinkige Feuergabel lehnte daneben. Die Welschen haben solche Mummerei im Hornung. Ein lustiger Gesell hatte wohl für manchen vertrunkenen Krug Chlavintowein den kostbaren Seidenmantel als Pfand zurückgelassen. Die Verlarvung sehen und laut aufschreien vor Spaß war eins bei mir! Flugs stak ich drin: vom Hirn bis zum Knöchel der Teufel. Flugs auch saß ich auf meinem schwarzen Gaul und, die Zackengabel schwingend, jage ich, was das Roß nur laufen kann, schreiend, wie auf einer Salzburger Hochzeit, plötzlich in den heulenden Zug. Von der Seite her kam ich: ganz ungesehen, bis ich mitten drin war unter den heulenden und zähneklappernden Weibern und Pfaffen. Da schrie ich in meinem besten Florentinisch: »Ja! Ja! Der Teufel! Der Teufel! Ihr habt ihn gerufen. Jetzt kommt er, euch holen!« O Supfo mein! Hättest Du das mitangesehen! Du hättest Dir das Bäuchlein gehalten vor Lachen! Hättest Du den Schrecken gesehen, den ich, der Eine Mann, der verachtete Barbar aus Deutschland, all' diesen überklugen, feingeistigen Welschen einjagte. Auseinander stoben sie wie ein Flug Sperlinge, darein der Habicht stößt.

Männer wie Weiber, Ritter wie Pfaffen, die Kerzen, die Fackeln, die Kreuze, die Fahnen warfen sie weg, über den Haufen rannten sie sich, alles drängte, die Kirche, den rettenden Altar mit seinen Heiligenknochen zu gewinnen. »Der Teufel! Der Diabolo! Der Antichrist! Der Dämon!« schrien sie durcheinander. »Gleich greift er mich. Er hat mich schon.«

So sprengte ich zwei-, dreimal von links nach rechts und von rechts nach links quer durch den langen Zug, der in seinen Windungen sich mehrfach über den weiten Marktplatz hin dehnte. Und nicht einer hatte den Mut zu stehen, meinem Gaul in den Zügel zu fallen. Nachdem ich, der Eine Salzburger, etwa zweitausend Florentiner in die Flucht der Todesangst gejagt, sprengte ich davon, und riß mir, als ich an das römische Tor gelangt war, die Teufelslarve ab. Hier ward ich eine kleine Weile aufgehalten. Der Torwart hatte meine Entmummung gesehen und leider kannte mich der Mann von meiner letzten Fahrt durch Florenz: und nicht gerade von meiner tugendlichsten Seite: denn er hatte damals eine Nichte gehabt, eine dralle Dirne von üppigem Wuchs und Wesen. Der unchristlich lang nachtragende Oheim stürzt also, sobald er mich erkennt, auf den Platz vor dem Tore mit gefälltem Sperre: »Halt,« schreit er, »ruchloser Arn, du trägst mit Recht des Teufels Gewand.« Und wirklich mußte ich ihm erst den Speer aus der Hand und die Sturmhaube vom Kopfe schlagen, bevor ich an ihm vorbei ins Freie jagen konnte. Die Zeche blieb – zu meinem großen Kummer! – unbezahlt: ein halbes Brot, ein Käse und siebzehn Krüge Wein. Der Teufel, für den sie mich genommen, mag sie zahlen, kommt er einmal wirklich nach Florenz.

Nun Gott befohlen, Supfo. Trinke den Griechenwein nicht allen allein aus, bevor ich wieder zurück bin. Ich komme durstiger aus diesem Lande der Heiligen heim als ich hineingeritten. Noch heute geht's nach Rom weiter. Ich freue mich auf den heiligen Vater. Aber noch viel mehr auf die unheiligen Römerinnen, die stolzbusigen, wie man sie nennt, und auf den Wein der Campagnatrauben. Das soll der feurigste sein. Gegeben in einer Taverna zu Germinianum, wo es auch wieder Flöhe hat. Aber es sind doch andre. Es grüßt Dich Arn von der Salzach, Jägermeister zu Würzburg und Teufel zu Florenz.‹«

*

 

III.

Der Bischof schüttelte den Kopf, aber er mußte doch lachen. »Es ist nur ein Glück, daß mir der wilde Bayer die Entscheidung des heiligen Vaters schriftlich zu bringen hat. Seinem mündlichen Bericht ...!« »Nun ist's schon recht,« rief Supfo heiter, sich erhebend von der Bank und das Pergament wieder in den Gürtel des Schurzfells steckend. »Der freche Brief hat doch was Gutes gewirkt: Ihr habt gelächelt, Herr Hezilo, und die böse Falte auf der Stirn, mit der Ihr kamt, hat sich verzogen. Wißt Ihr was? Wollt Ihr mir nicht in den Keller folgen, so verstattet, daß ich mit Euch gehe. Meine Gesellschaft ist doch noch besser als die Eurer Gedanken in der Einsamkeit.« – »Du hast weit mehr recht hierin, als du ahnst! – Komm mit!« – »Gleich, teurer Herr, gleich! Aber da, nehmt, bitte, diesen Schattenhut: – ich habe ihn für Euch erstanden auf dem letzten Markt von den Dalmatinern – er hängt nun immer hier an der Hallentüre für Euch bereit – er ist von feinem Stroh, gar leicht und luftig: – die Sonne schießt noch heiße Pfeile über den Main herüber. Wo steht mein Krückstock? Da in der Ecke. Ich schreite doch besser damit und manchmal gilt's, ein bissig Schwein von den Waden zu wehren! So!« Er öffnete die breite Türe der Halle. »Im Namen Gottes!« betete der Bischof im Hinausschreiten. »Er segne unsern Ausgang.« Beide stiegen nun die Sandsteinstufen hinab auf den freien Platz vor Bischofshaus und Dom. »Wohin zuerst?« fragte der Kellermeister. – »Ich will einen Rundgang der Seelsorge machen und der guten Werke; es gilt gleich, wo wir beginnen: führe du. Du kennst der Menschen Not und Wünsche gut, fast besser als ich, was traurig zu gestehen,« schloß der Bischof seufzend. »Ja freilich,« meinte Supfo und schlug die Richtung von dem Domplatz nach links, nach Süden, ein. »Für die letzte Zeit mag's zutreffen. Ihr zieht Euch ja immer mehr in Euch selbst zurück. Oft seh' ich noch nach Mitternacht vom Hof aus in der Bücherei Euer Öllämplein glimmen. Immer beten!« – »Wenn's doch gebetet wäre!« – »Oder höre unten in unserm Schlafzimmer Eueren Schritt ob meinem Haupte rastlos – rastlos – auf und nieder! Seit Ihr diesen schwarzhaarigen Welschen ...« – »Schweig, Supfo. Ich weiß, du hassest ihn bitter. Das ist unchristlich.« – »Aber unvermeidlich! Der hagere Kerl mit seinem graugelben Gesicht – wie ein unreif verfaulter Apfel! – sein Anblick schon zieht mir das Wasser im Mund zusammen wie der Saure von Dürrbach.« – »Er hat sich als mein – und was viel mehr ist – dieses Bistums eifrigster Freund bewährt.« – »Wer's glaubt wird selig, – oder angeführt! Er ist glücklich fort seit ein paar Tagen. Sankt Kilian schenk' ihm eine lange Reise! – Seht hier, Herr Bischof, könnt Ihr gleich anfangen mit guten Werken!« Und er blieb stehen.

*

 

IV.

»Was? Hier?« rief der Bischof unwillig. »Bei dem Hause des Geizhalses, des Kornwucherers? Wenig erbaut bin ich vom Treiben dieses Renatus.«

»Nennt ihn doch nicht Renatus. Isaak heißt der Jud'.« – »Er ist getauft.« Supfo lachte. »Tauft ihn nochmal! – deshalb führt' ich Euch her! – Aufs erstemal half's wenig, aber besser: laßt es ganz bleiben! Wein kann man wässern, nicht Blut.« – »Ich verbiete dir, so von dem heiligen Sakrament zu sprechen.« – »Verzeiht mir, Herr. Aber ist's nicht so? Der Glaube wird danach – vielleicht, vielleicht auch nicht! – geändert: aber das Geblüt? Wisset Ihr noch in Neapolis, der schönen Stadt, des Herrn Kaisers Mohren aus Äthiopia? Die Welschen hatten ihn bei ihrem Mummenschanz vor Aschermittwoch mit weißem Mehlkleister überstrichen – fingerdick! Aber sowie er schwitzte beim Tanzen und Springen, da bröckelte die weiße Tünche ab von Stirne, Wangen und Händen und allüberall kam die angeborne schwarze Haut wieder zum Vorschein. Gedenkt Ihr's noch? Nun seht, gerade so steht's mit dieses Juden Taufe. Wird der Mensch in ihm warm und rührt sich, – bröckelt der Christ ab und der Jude kommt zum Vorschein. Da lob' ich mir die Ungetauften: – unter denen sind die Besten!« – »Du sprichst unchristlich. Die Taufe bringt ihnen das Heil.« – »Ja, aber nur, wenn sie daran glauben, wenn sie das Sakrament deshalb suchen. Wenn sie's aber suchen, weil sie sich ihres Volkes schämen und lieber mit den Christen die Juden placken wollen als sich mit den Juden von den Christen placken zu lassen ...«

»Und geplackt müssen sie doch nun einmal werden, nicht, Supfo?« lächelte der Bischof. – »Gewiß, dafür sind's Juden. Sind ja das ›auserwählte Volk‹. So hat sie der Herr, nachdem sie seinem Sohn Gewalt und Unrecht getan, auserwählt, Gewalt und Unrecht zu leiden. Das ist doch klar und höchst gerecht. Ihr Volk verleugnen diese Abtrünnigen und Euch, Herr Bischof, lügen sie vor, sie glauben: Untreue und Lüge aber bringt nicht Heil, sondern Schmach. Dagegen des Juden Mutter, – das ist ein prächtig Weib! Seht, da tritt sie gerade hervor aus ihrem Hoftor.« Vor der Außentüre des ansehnlichen Holzhauses erschien eine stattliche alte Frau mit edeln, vornehmen Zügen des tief gebräunten Gesichtes. Sie trug die phantastische, kleidsame, weitfaltige Gewandung der Orientalen. Ein gelbes Brusttuch von feinster Wolle verhüllte den Oberleib, gelb waren auch die spitzen Schnabelschuhe, die aus dem langen, dunkelblauen Rock hervorsahen; ein ganz enganliegendes, turbanähnlich gebundenes Kopftuch von schwarzer Seide verbarg sorgfältig jedes Haar der Witwe. Sie kreuzte ehrerbietig die Arme über der Brust, neigte, gleich einer Palme, das hohe Haupt vornüber und sprach mit niedergeschlagenen Augen: »Der Gott meiner Väter segne dich und behüte dich, großgewaltiger und – was siebenmal mehr ist! – großgütiger Herr Bischof. Und er lohne dir, daß du bist ebensogut als du bist gewaltig.« »Mit der großen Gewalt, Sarah,« erwiderte der Gelobte, »ist das so schwach bestellt wie – leider! – mit der Güte.« »Laßt Euch nicht irren, kluge und schöne Frau!« fiel Supfo ein. »Wären wir nur so fröhlich, als wir gut sind.« »Unnütze Reden!« verwies der Bischof. »Jawohl,« sprach die Greisin mit sanfter, wohllautender Stimme und schlug die langen, schwarzen Wimpern auf: – die schönen dunkelbraunen Augen leuchteten immer noch – »unnütz, denn man kennt Eures Herzens Güte! Mein Eheherr Manasse, – lang ruhet er, gesegnet sei sein Gedächtnis für und für und sein Name sei nicht vergessen in Israel! – oft hat er es uns geschildert, Isaak, unserm Sohn, und mir, wann wir saßen in Frieden vor den brennenden Leuchtern und aßen vom Passahlamm und Ruhe waltete im Haus und ringsum im Lande und Sicherheit in der Stadt. ›Die Ruhe,‹ – hat er gesagt, – ›und die Sicherheit verdanken wir nach Gott dem Herrn dem Mann, der da ist wie ein Turm der Stärke und ein Streitwagen von Erz, dem Löwen von Rothenburg. Der Graf ist fern, denn leer steht da oben die Grafenburg der Gewalt. Er steuert – der Bischof – dem Raub auf den Handelsstraßen und auf dem Flusse und er hat die bösen Buben gebändigt, die schlimme Rotte, die da plündern wollte mein Frachtschiff auf dem Main und einbrachen mit Beilen in das Haus unsres Friedens. Der Engel des Herrn ist mit diesem Bischof der Christen!‹ Und so hab' ich mich gewöhnt zu Euch, starker und guter und weiser Herr, emporzuschauen alle Zeit als zu einem Helfer in der Not. Und so bin ich hinausgeeilt aus meinem Witwengemach, wie ich von fern Euch kommen sah des Weges und stehe hier vor der Türe meines Hauses, eine alte, kummervolle Frau, und greife Euren Mantel und lasse Euch nicht, bis Ihr mir habt geholfen in meinem großen Leid!« Und sie glitt langsam vor ihm nieder auf beide Kniee und haschte sein weites Obergewand mit ihrer magern Hand und küßte demütig dessen Saum.

»Steht auf, alte Frau,« mahnte der Kellermeister, sie aufrichtend, »wir mögen das nicht leiden. Sagt kurz, was oder wer Euch quält.«

»Es ist,« sprach sie, sich erhebend, aber den Saum nicht aus der Hand lassend, »Isaak, mein Sohn, mein einzig Kind. Was oder wer sonst könnte mich auch quälen auf der Welt? Hab' ich doch auf Erden nichts als ihn. Und ach! ihn hab' ich nicht mehr, seit ... Nun, seit er die Taufe nahm zu Mainz.« Der Bischof furchte die Brauen: »Daran, Jüdin, tat er recht. Aber er wußte wohl, weshalb er nicht von mir das Sakrament erbat, sondern zu Mainz, wo Herr Erzbischof Willigis nicht so viel von ihm weiß wie wir leider hier von ihm wissen. Ich hätte ihm zur Bedingung gemacht – vorher – ein Gelübde, daß er nun auch innerlich den Christen anziehe und von sich werfe seinen jüdischen Wucher und Geiz.« »Jüdischer Wucher und Geiz!« stöhnte die alte Frau und ein so schmerzlicher, vorwurfsreicher Blick der dunkeln Rehaugen traf Herrn Heinrich, daß er leicht errötete und rasch einfiel: »Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Euer Gatte – Manasse – hat in der großen Kornnot aus seinen Speichern die verhungernden Christen in allen Städten und Dörfern am Main gespeist von Staffelstein bis Mainz. Er war ein Wohltäter der Armen: – Gott möge ihm die Strafe seiner Verstocktheit mildern, Sankt Burchhard und Sankt Kilian mögen für ihn bitten, wie ich, deren unwürdiger Nachfolger, es dankbaren Herzens gar oft tue. Aber Euer Sohn ist ein ...« – »Herr, er ist krank, glaubet mir. Er ist besessen von übeln Geistern! Wir haben ja zu eigen soviel Güter der Erde, – der Herr hatte gesegnet meines Manasse Redlichkeit und Fleiß! – daß wir wahrlich nicht sorgen müßten um unsre Lebsucht. Aber – es ist wahr – er ist so ... sparsam, mein armer Isaak, daß er sich nicht gönnet eine Neige Weines am Sabbat des Herrn!« »Und Euch, scheint's,« schalt Supfo zornig, die hagere Gestalt musternd, »Euch, seiner alten Mutter, auch an den andern Tagen keinen Bissen Fleisch.« – »Vollends aber seit ein paar Tagen ist er ganz krank im Gehirn und wirr in seinen sonst so klugen, scharfen Gedanken. Denn er ist gar scharf, mein geliebter Isaak.« »Wir wissen's!« bestätigte der Kellerer. »Allzuscharf! Möchte seine Seele nicht sehen! Muß voller Scharten sein!« – »Seit wann, arme Frau?« forschte der Bischof voll Mitgefühls. Ihn jammerte um die leidende Mutter und es ergriff ihn, über das ehrwürdige, schöne Gesicht langsam zwei große Tränen rinnen zu sehen. – »Seit das Gerede überhand nimmt unter den Burgensen hier und seinen Geschäftskunden in andern Städten, die Welt werde demnächst untergehen. Das hat ihm ganz verstört die Gedanken. Er kann nicht mehr schlafen seitdem. Und immerfort, in der eifrigsten Arbeit, im Rechnen sogar oder wann er wiegt auf feiner Wage die Goldmünzen des Herrn Kaisers – wobei ihn sonst nichts störte, ja nicht einmal Blitzschlag ins Haus des Nachbars Hesso: er wog ruhig fort. Jetzt spricht er dabei mit sich selbst wirre Worte und unterbricht sich und rechnet falsch – der Isaak! – und stiert vor sich hin und stöhnt: ›wenn's wahr ist, bin ich ein Narr gewesen vom Knaben an und Narretei war all' mein Tun, mein Raffen, Listen, Geizen! Wenn's wahr ist – wüßt' ich's nur! – noch heute werd' ich ein Schlemmer, ein Fresser, ein Säufer wie diese ... ‹« »Diese Deutschen, sagte er wohl,« ergänzte scharfsinnig, aber grimmig, der Kellerer. – »›Ein Spieler werd' ich, ein Kleidertor, und halte mir Jagdrosse und Eberhunde und Reiherfalken und ... andres! Ob's wahr ist!‹ stöhnt er dann wieder und rauft sich Haar und Bart, ›ob's wahr ist?‹ – So quält er mich, – aber was liegt an mir! – so quält er sich selbst, meines Manasse Sohn, er quält sich Nacht und Tag mit Grübeln. Jetzt ist er fortgeritten gen Frankfurt, einzuheimsen den Gewinn von einem großen, großen Geschäft, das er hat gemacht in Goldkörnern, Silberbarren und edlem Gestein! Aber, o wehe wehe geschrien! Es hat ihn nicht gefreut das reiche Geschäft! Und wie er mir vorrechnet den Gewinn, verrechnet er sich wieder! Zu seinem Schaden verrechnet er sich, der Isaak! Das war noch nie! Wie muß er sein ungesund! Und warum verrechnet er sich? Weil er mitten drin immer wieder stutzt und fragt: ›ob's wahr ist? Ob's wohl wahr ist?‹ Und als er steigen will auf das Pferd zu reiten nach dem Gewinn, steigt er daneben statt in den Bügel, weil er gen Himmel schaut und fragt: ›ob's wohl wahr ist?‹ Und er findet und findet nicht Ruhe, bis er's weiß, so oder so. Ich bin eine unweise Frau, ich kann's ihm nicht sagen. Und es kann ja sein, daß es geht zu Ende: denn oft hat es gelesen Manasse aus den Rollen, daß die Welt wird einmal vergehen und Elias wiederkommen im feurigen Wagen. Aber Ihr, Herr Bischof, guter Mann und weiser, Ihr kennet die Schriften, Ihr wisset viel. So sagt nur ja oder nein, daß ich beruhige meinen wirren Sohn, wann er wird wiederkommen, und beschwichte sein fiebernd Gehirn!«

Und wieder wollte sich die Weinende vor ihm niederwerfen. Er hielt sie fest am Arm und sprach: »Frau, Ihr tut mir leid in der Seele! Ihr: – merkt! – nicht Euer Sohn, den auch die letzten Dinge der Menschheit nur schwanken lassen zwischen dem alten sündhaften Wucher oder neuem sündhaften Sinnentaumel! Pfui über den Juden und schade um das vergeudete Taufwasser! – Höret denn, gute Frau, – Ihr wäret würdig christlicher Gemeinschaft! – Ich selbst habe davon keine Wissenschaft. Allein ich habe das Haupt der Christenheit befragt: bald muß der Bescheid eintreffen. Dann werd' ich ihn allem Volke dieser Stadt, dieses Bistums, verkünden. Bis dahin aber sagt Euerm Sohn: ›der Herr Christus hat nicht Freude an denen, die da nehmen die Taufe, aber nicht lassen vom Wucher. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: man kann nicht Gott dienen und dem Mammon‹. Das hat der Herr schon Eurem Volke offenbart: – aber mit dieser Offenbarung hat er von allen seinen Worten den wenigsten Glauben gefunden in Israel. Ihr jedoch, gute Sarah, Euch rate ich: nehmet die Taufe. An Euch werden die Heiligen Freude erleben! Mag das Gericht nun nahe sein oder fern: rettet Euere unsterbliche Seele!« Und er löste mit sanfter Gewalt sein Gewand aus der Hand der Greisin, die es immer noch festgehalten hatte, und schritt hinweg von ihr mit gütigem Nicken des Kopfes.

Die alte Frau sah ihm lange nach. Dann sprach sie, kopfschüttelnd und mit der Hand über die Augen wischend: »Ich glaube es nicht, daß wir Kinder Israel verdammt sind. Wäre es aber so: – lieber mit Manasse in der Hölle, als mit Isaak im Himmel der Christen. Ich will beten für uns und für die Christen – für den armen Isaak und für den guten Bischof – zum Gott meiner Väter!«

Und sie schritt langsam zurück in den Hof.

*

 

V.

Von dem Hofe des Kaufmanns hinweg übernahm zunächst Herr Heinrich die Führung des Rundganges. Er wollte nach dem Stand der neuen Bauten sehen in der Vorstadt vor dem Südtor »auf dem Sande«, die er als sein eigenstes wohltätiges Werk betrieb; vor allem den großen Bau des Klosters und der Kirche – nur diese war bereits vollendet – die er dort den Apostelfürsten Sankt Peter, Sankt Paul und dem frühest berufenen Blutzeugen: Sankt Stephan, zu Ehren gestiftet hatte.

Schwer fiel es dem Bauherrn aufs Herz, als er sich jenseit des Tores der Baustätte näherte, von der her sonst, weithin vernehmbar, der fröhliche Klang des Beilschlags, der Reihengesang der Arbeiter, der Befehlsruf der Werkmeister ihn begrüßte, daß statt dessen eine Grabesstille waltete.

In die Luft hinauf stiegen die hohen Gerüste: – aber sie waren leer, verlassen; sie schienen zu trauern; die halbfertigen Holzwände sahen wie vom Feinde zerstört aus. Nur ein einsamer Mann schlich, die Verödung betrachtend, über den leeren Bauplatz; als er den Bischof von weitem erkannte, wollte er hinter einem großen Bretterhaufen verschwinden. Aber Herr Heinrich hatte ihn erkannt und rief ihn an: »Hallo! Haltet an, Hesso! Was lauft Ihr vor Eurem Bauherrn davon, Werkmeister?«

Der Angerufene, eine starke stattliche Männergestalt mit treuen Augen in dem gebräunten Gesicht, machte Halt, zog ehrerbietig, aber mißmutig den kurzrandigen Filzhut und erwiderte trübselig: »Werkmeister ohne Werk: – Bauherr ohne Bau.« Verstimmt und verdüstert entgegnete der Bischof: »Nun – eine kurze Unterbrechung! Wird soviel nicht schaden! Bald dürft Ihr wieder hauen und hämmern lassen hier, Meister Hesso.« Der Mann zuckte die breiten Achseln. »Schade! Wir waren so gut im Zuge. Die Arbeiter willig und geschickt. Nun haben sich die besten schon verlaufen. Und der Bau des neuen Münsters zu Sankt Johannis Ehren und des Stiftes in der Nordvorstadt, der Hochvorstadt, des Siechenhauses und des Waisenhauses und der Schule! Alles unterbrochen! Warum? Weil kein Geld in der Kammer sei, log der verfluchte Welsche. Aber am gleichen Tage hatte er Speere, Sturmhauben, Brünnen für die bischöflichen Dienstmannen gekauft und bar bezahlt bei dem Waffenschmied Gericho im Eisenhof! Als er nun mit seinen Lügen hier auf das Gerüst trat und die Arbeiter ablohnte und fortwies, – gern hätt' ich ihn im Namen und zu Ehren der Heiligen Petrus, Paulus und Stephanus herabgeworfen von den Balken.« – »Geduld! sag' ich Euch. Ihr müßt warten.«

» Ich kann warten. Aber die Waisen, die Schulknaben in dem feuchten Loch am Main und die Siechen, die nun auf den Gassen im Stroh liegen? Die können nicht warten, Herr Bischof. Jedoch Speere und Brünnen für die bischöflichen Dienstmannen: – das eilte wohl! Uns bedroht ringsum kein Feind weit und breit!« »Hört doch auf,« mahnte Supfo. »Ihr seht – Ihr sagt da ...« – »Ich sehe, der Herr Bischof zürnt, aber ich sage die Wahrheit! Und das Schlimmste ist – die Armen!« »Wieso?« grollte Herr Heinrich. »Ihr Teil ward nicht angetastet.« – »Nein, aber durch die plötzliche Einstellung all' dieser – sechs – großen Bauten haben doch recht viele Brot und Lohn verloren. Wohl waren viele Bauleute Unfreie des Stifts – allein gar mancher kleine Freie fand doch auch bei der Arbeit Lohn und Brot für Weib und Kind. Die hungern nun! Sind aus der Stadt gelaufen, rotten sich zusammen im Gau, stehlen und rauben.« »Wie Wetter Gottes fahr' ich unter sie,« rief Herr Heinrich. »Ich will sie! Wenn der Graf des Waldsassengaus schläft ...« – »Er schläft nicht, der wackere Herr Gerwalt, aber er ist fern, in Welschland. Wißt Ihr das nicht, Herr Bischof?« »Die Bauten werden bald wieder aufgenommen, sagt das den Leuten. Und den Gauräubern sollen meine Ritter Hellmuth und Fulko den fehlenden Herrn Grafen mehr als ersetzen, das gelob' ich.« Unmutig schritt er davon, ziellos, weiter gen Süden.

»Nichts für ungut, Herr Bischof!« rief ihm der Werkmeister nach. »Aber nehmt sie bald wieder auf, Eure Bauwerke: sind gott- und menschengefällig.« »Gott und Menschen gefällig,« wiederholte der Enteilende bei sich. »Jawohl ... Zweifellos. Und das Werk, dem ich diese Bauten geopfert, wird den Menschen nicht gefallen. Und Gott? –«

Erregt hastete er weiter, immer gerade aus nach Süden. Der treue Supfo hatte mit seinen klugen Augen schon bei den ersten Worten des Baumeisters das Gewölk gesehen, das aufstieg auf der hohen Stirne Herrn Heinrichs. »Auch hinter diesem Unheil steckt,« brummte er, »– wie hinter allem! – Berengar. Ich muß den Herrn auf andre Gedanken bringen. – Ei sieh da!« rief er. »Was verschwindet da so fluchteilig, links, hinter dem Buschwerk, vor dem Graben? Ich meine, ich kenne sie, diese fliegenden Zöpfe mit den roten Bändern! Da könntet Ihr schon wieder ein gutes Werk tun, Herr Bischof Heinzelein!« – »War der Bursche, der nach dem Maine zu davonstob, nicht Gericho, ehedem meines Hellmuth Waffenträger, jetzt Waffenschmied in dem Eisenhof?« – »Jawohl! Und das hübsche runde Kind, das da entsprang, das war die braune Rosbertha, die Tochter des Bezzo, der da ein Gärtlein hat und eine kleine Verzapfung östlich vom Südtor.« – »Hm! Was taten die beiden da drüben?« – »Ei, was werden sie groß getan haben? Dort ist ja der Ziehbrunnen des Wolfilo. Gericho hat wohl dem zarten Kind geholfen, den schweren Eimer heraufzuwinden.« »Du mußt deinen Bischof nicht anlügen, Supfilo,« lächelte Herr Heinrich. »Zumal ich als junger Knab' zu Rothenburg auch wohl einmal hinter einem Ziehbrunnen stand. Der Eimer wartete schon ganz ruhig auf dem Brunnenrand. Aber der Bursche stand immer noch bei ihr hinter der Brunnenmauer. Recht nah stand er. Und hielt sie, glaub' ich, an der Hand.«

»Nun ja, soll er das arme Kind etwa in den Brunnen stürzen lassen?« Herr Heinrich mußte doch wieder lachen. »Und welch' gut Werk hätte ich hier zu tun? Das Mägdlein verwarnen, den Burschen schelten –?« – »Bewahre! Hilft so wenig wie bei Arn!« – »Und dem Vater Bezzo die Augen auftun.« – »Ja freilich! Aber nicht darüber, daß die beiden jungen Leute sich gern haben, – so dumm, das nicht zu sehen, ist der Bezzo auch nicht! – sondern darüber, daß es sündhaft ist, das frische junge Blut, statt es dem hübschen tapfern Gericho zu geben, dem alten Stedilo zu verkuppeln, dem reichen Büttner, nur weil er fromm und reich ist, der Dicke. Er hat nämlich nicht eine tatfreudige Frömmigkeit an sich, sondern eine feige, sozusagen eine muffige! Und nicht eine liebliche Rundlichkeit hat er: wie ... nun wie sie Sankt Urban seinen Lieblingen gewährt, sondern sozusagen: eine aufgedunsene, eine Wanstigkeit. Ihr solltet ... –« – »Supfilo, ich bin nicht junger Minne Feind und Verfolger. Nein, mich freut's, wenn treue junge Liebe siegt, – wenn solche wirklich lebt, außer in Fulkos Liedern! Aber du kannst doch wirklich deinem Bischof nicht das gute Werk auflegen, junge Maide wider väterliche Muntschaft aufzustacheln!« – »Das wäre hier gar nicht mehr nötig. Nur ein wenig – stützen. Aber ich vertraue, der Alte lernt noch rechtzeitig frisches Mark und feiges Fett unterscheiden.« – – »Er sah schon wieder recht ernst darein,« sagte er nach einem raschen Blick der hellen runden Augen zu sich selbst. »Ich darf ihn nicht ins Grübeln versinken lassen –« Er spähte ziemlich ratlos umher: da fiel sein Blick auf einen Schwirreflug von weißen Tauben, die jetzt, bei stärker einbrechender Dämmerung des Brachmondtages, aus den nahen Feldern nach ihrer Heimstätte flüchteten. Die lag in dem spitzen, hochragenden Giebel eines alten braunen, vielfach mit Moos geflickten Strohdaches: rechts, westlich von der großen Straße, die damals schon wie heute auf dem östlichen Mainufer flußaufwärts nach Süden führte. Dort fielen sie ein: blendend blitzte dabei in den letzten Sonnenstrahlen ihr helles Gefieder. –

»Dorthin!« dachte der Treue. »Frau Ute! Und Wartold mit seinen Blumen! Das wird ihm gut tun. Und sie – das liebe, schlimme Kind! Und ein wenig Ärger über den andern? – Ei was, wird ihm auch gut tun, so ein gesunder streitbarer Ärger. – Und im geheimen mag er den Alten doch ganz gut leiden – noch aus der alten, das heißt der jungen, fröhlichen Zeit.« Er begann nun: »Ihr solltet doch wieder einmal einsprechen da, – da vorn mein' ich, wo die Tauben einfielen, bei der alten Mutter Ute. Trägt ihr hartes Los so fromm! Aber manchmal ein wenig Trost tut ihr doch recht wohl.« – »Ja! – Und ein paar Worte Christentums können nicht schaden in dem alten Hirtenhaus. Dem Heidenhaus! Ist die letzte Trutzburg der halb vergessenen Unholde, an welche die Leute hierzulande glaubten, bevor Sankt Kilian sie erleuchtete. Wohl, laß uns in Rados Haus gehen. Dort braucht's wirklich Seelsorge!« »Wenn der Alte still hält dazu,« dachte Supfo. Aber er sagte es nicht.

*

 

VI.

Rüstig ausschreitend hatten beide bald das Pfahlbürgerhüttlein erreicht.

Der starke Wolfshund vor dem Zaun schlug an, wie sie sich von Osten her dem kleinen Nebenpförtlein näherten: gleich darauf stob eilfertig zu dem großen Hoftor ein Reiter hinaus und verschwand alsbald gen Süden im Staube der Straße. Herr Heinrich schaute ihm merksam nach: er hielt die Hand vor die Augen: denn die jetzt wagrecht einfallenden Strahlen der Sonne blendeten ungeachtet des Schattenhutes; er sah nur den Mantel des Reiters noch flattern. »Ich meine fast, das war – auf seinem braunen Hengst – mein Junker Hellmuth. Was hat der hier zu suchen?« Der Kellerer machte sein ahnungslosestes Gesicht: – der Frager sah ihm nämlich scharf in die Augen. »Nun? Du weißt doch sonst gar viel von ihm – steckst immer mit ihm zusammen und mit dem lustigen Provenzalen.« »Das macht: der steckt gern bei meinem Lauterwein,« schmunzelte Supfo. »Aber Junker Hellmuth ... Kaum trinkt er noch! Und lachen hab' ich ihn schon seit unser lieben Frauen Verkündigung nicht mehr hören.« »Was sucht der hier?« wiederholte Herr Heinrich, nachdenklich. »Schon einmal traf ich ihn hier um die Wege. – Heda, halt, Rado!« rief er dem Hirten im grauen Wolfsmantel zu, der des nahenden Bischofs offenbar ansichtig geworden und gleichwohl beflissen war, durch eine schmale Lücke im Zaun zu entweichen. Er pfiff seinem großen Hund und enteilte gar hastig. »Komm, Giero!« rief er alsdann, diesem über den zottigen Kopf streichend, wie das Tier auf der Straße in mächtigen Sätzen neben ihm her sprang, »wir gehn zu Walde, zur alten Esche ... zu unserm wahren Herrn! Seit der Held von Rothenburg ein Geschorener geworden! ...«

Der Bischof schüttelte das Haupt: »er entläuft dem Hirten seiner Seele! In der Schlacht entlief er nie. Damals folgte er mir blind.« »Und würde Euch auch heute gerne folgen in die Schlacht: – viel leichter denn in den Beichtstuhl!« meinte der Runde und schloß das Zaunpförtlein hinter dem Bischof.

Gegenüber der Verwahrlosung und Unreinlichkeit, in welcher die Häuser der geringeren Leute fast ausnahmslos lagen, berührte in diesem bescheidenen Höflein das Auge gar wohltätig die Reinlichkeit und Wohlgepflegtheit des ganzen Anwesens. Die Wiesenfläche vor dem Wohnhäuschen war durchschnitten von säuberlich mit rotem Sand bestreuten Wegen: daneben zeigten sich in dem Gras ausgeschnitten – regelmäßig mit der Schnur gezogen – bald längliche, bald kreisrunde Beete, in welchen Blumen, oft auch nicht deutscher Heimat, glänzten und dufteten, während an dem gen Mittag gekehrten Holzzaun Spalierbäume von Edelfrüchten, sorgfältig aufgebunden und liebevoll gewartet, nebeneinander in Reih' und Glied standen.

Wohlgefällig wies Herr Heinrich seinen Begleiter darauf hin: »Welcher Fleiß! Welche Reinlichkeit! Leider selten bei unsern Gauleuten!« »Ja, ja,« nickte der Kellermeister. »Auch ganz leidlichen Wein züchtet der alte Wartold ... für einen Laien in der edeln Winzerei. Ein ungleich Brüderpaar. Der Gärtner gerade so sanft, friedlich, fromm ...« – »Als Rado der Jäger – denn er jagt, fürcht' ich, mehr die Wölfe als er die Schafe hütet! – wild und rauh und unfromm. Muß einmal den Archidiakon über ihn schicken. Der ist schärfer als ich. Mich erweicht immer das Gedenken an die alte Zeit. Aber Berengar mag ihn ...« – »Laßt den beiseite, lieber Herr. Der treibt die Leute leichter aus der Kirche denn hinein.«

*

 

VII.

Wie sie unter solchem Gespräch auf dem mittleren Sandweg gegen die Türe der Wohnhütte vorschritten, hüpfte ihnen etwas entgegen mit wehendem Gezöpf, gefolgt von einem desgleichen hüpfenden Hündlein, das gar lustig bellte und mit dem struppigen Schweif wedelte. »Kind,« lächelte der Bischof, und strich über das wirre Haar der Kleinen, während sie ihm ehrfürchtig die Hand küßte, »weißt du's wohl? ›Das schlimme Kind‹ nennen sie dich – alle.« – »Aber sie haben mich doch gern – alle, hochheiliger Herr.« – »Mir ist, du bist nicht schlimm. – Und ein Kind ist sie auch nicht mehr,« sprach er zu sich selber. »Sollte vielleicht Junker Hellmuth ...? Doch nein! Den traf doch wohl ein andrer Pfeil! – Aber immerhin, laß sehen. Mein fröhlich Vögelein,« begann er wieder zu ihr, »hab' dich lange nicht gesehen. Hast du keinen Wunsch?« »Doch, lieber – hochlieber – nein – hochheiliger Herr Bischof. Doch!« sprach sie und senkte das blonde Köpflein. »Urgroßmutter befahl mir, Euren stärksten Segen zu erbitten gegen ... gegen meinen argen Mutwillen, wie sie's nennt.« »Herr Heinrich, spart Müh' und Segen!« lachte der Kellerer, der Kleinen in die volle Wange kneifend, »der den Mutwillen auszutreiben, – dazu brauchte es stärkern Exorzismus als sogar der gelehrte Herr Papst Sylvester kennt. Was meinst du selber, Hexlein?« »Daß Ihr recht habt, kluger Herr Supfo,« antwortete sie ganz betrübt und kleinlaut. »Seht, es ist ein Kreuz und ein Elend mit mir. Mein Mutwille, wie sie's alle heißen – der ist gerade wie – wie meines – Gott! wo ist er denn jetzt schon wieder hin? – wie meines Schnufilos Fell vom Schnauzbart bis zum Zagel. Immer und immer kämm' und bürst' ich ihn glatt und Schnuf verspricht auch, er solle nun glatt bleiben: – und er schüttelt sich und 's ist alles beim alten und zottel-rauh-zottig, zum Fürchten! Heiliger Kilian,« seufzte sie, »ich weiß nicht, was in mir steckt. Aber es läßt mich nicht! Ich muß!« – »Nun, was mußt du denn, Kleine?« – »Lachen muß ich! In einem fort lachen! Vom Aufstehn an, wann der Knecht so tölpisch daher tappt mit den Wassereimern bis zur Vesper, wann die Zicklein so närrisch gesprungen kommen von der Weide. Möchte oft gern ernsthaft sein, – werde soviel gescholten! Aber es läßt mich nicht! Seh immer an allen Sachen und Tieren und Menschen was zum Lachen!« »So? Zum Beispiel auch an mir?« forschte der Bischof. »Ei freilich!« lachte sie. So geschwind kam die Antwort aus den kirschroten Lippen, daß Herr und Diener mitlachen mußten. »Was? Daß Ihr Euren Abendgang mit dem Kugelmännlein da machen müßt, armer heiliger Herr, und stünd' Euch so gut zu Arm und Antlitz ein stattlich Ehgemahl. – Aber o weh, das – ich seh's an Euren Augen! – das ist mehr zum Weinen als zum Lachen.« »Wein und Kinder sagen die Wahrheit,« seufzte der Kellerer. – »Also den Segen für mich ... Herr Süpfelin hat recht! – er ist doch wohl vergeudet – den möcht' ich umtauschen statt für mich – für einen andern.« »So? Und für wen?« forschte der Bischof ernst. »Etwa für Ritter Hellmuth, der soeben mit Euch sprach?« »Der?« lachte sie. »Mit mir? Behüte! Kein Wort. Sieht mich gar nicht. Nur mit Ohm Rado raunt er immer heimlich. – Aber den Segen möchte ich haben für den, der mir – nach den Gesippen – aber gleich nach ihnen! der Liebste ist auf der ganzen Welt. Seht Ihr. Da kommt er. Dort links!«

Argwöhnisch, wenig erfreut drehte sich der Seelsorger um und spähte scharf nach links. »Seht, meines Herzens Schnufilo! – O gnadenreiche Jungfrau, wie schaut er wieder aus! – Voll Schmutz, und blutend am Mündlein. – Jetzt hat er schon wieder gerauft mit des Nachbars großem Kater! Meint Ihr, Herr Bischof, er läßt es? Nein! O den segnet mir. Er hat soviele Verfolger und Unterdrücker unter den Bürgerschweinen und Bürgerhunden und den Beißkatern. Er kommt oft heim, zerzaust und zerrissen und blutend, wie die heiligen Märtyrer im Sankt Burchhard drüben in der Kapelle auf dem scheußlichen, greulichen, heiligen Bild! Ich bitt' Euch um Euern kräftigsten Hundesegen. Ist er doch mein herzallerliebster Schatz!« schloß sie seufzend.

Herr Heinrich hatte die Stirn in Falten legen wollen, aber – »es ließ ihn nicht«: – er mußte lächeln, wie er der hübschen Kleinen heiligen Ernst und des wirrhaarigen Köters Liebesblick zu ihr empor aus den ringsumzottelten Augen gewahrte. »Möge er noch lange dein Herzallerliebster bleiben und du noch lange die schlimme Fullrun,« sprach er freundlich und schritt fürbaß. Supfo verweilte noch bei der Verdutzten: »einen Hundesegen, tolle runde Runel, holt man nicht beim Herrn Bischof, sondern von ... einem andern Jäger. Frage nur Rado – aber ja nicht die Urmutter!« »Behüte! Weiß schon!« lachte sie, »komm, Schnufelschatz!« und sie sprang davon in hohen Sätzen, daß Zöpflein und Röcklein flogen, bis Schnufilo sie zornig bellend daran fing und festhalten wollte. Aber sie schleifte ihn nach und lachte, daß es schallte. Der Kellerer sah ihr nach: »Und das – das! – soll der liebe Himmelsherr demnächst zu Zunder und Asche verbrennen? Er müßte sich ja schämen! Nein. Unser Herrgott hat das Herz am rechten Fleck – trotz unsereinem. Ich mag's nicht von ihm glauben!«

*

 

VIII.

Wie nun die Besucher dem Hüttlein unter dem Moosdach sich näherten, öffnete sich die niedere Tür und heraus trat eine sehr alte Frau, gestützt auf ihren auch schon betagten, aber noch vollrüstigen Enkel. Die Züge der Greisin waren immer noch schön – so friedlich waren sie! – und das silberweiße Haar stand ihr gut zu den rosigen Wangen. Diese zarte Gesichtsfarbe und das Milde in den Mienen und im ganzen Wesen hatte der Enkel von ihr geerbt.

» Dort steht der hochehrwürdige Herr Bischof, dort, zur Rechten, Großmütterlein!« mahnte der Führer, indem er den aus Mainschilf geflochtenen Flachhut, wie ihn in der heißen Zeit während der Arbeit in den Weinbergen die Winzer trugen, demütig abnahm. »Dank Euch, Herr Bischof, daß Ihr auch die Hütten der Geringen aufsucht. Ihr seid wie des lieben Herrgotts Sonne! Die grüßt und erfreut auch nicht bloß, was ihr stolz das hohe Haupt entgegenrecken mag, – auch das geringe Blümlein sucht sie segnend auf, das sich bescheiden duckt am Raine.« Der Bischof nickte ihm freundlich zu: »Ich fand schon oft, wer viel mit Blumen und Pflanzen zu tun hat, dessen Seele wird sanft und sinnig.« Er faßte jetzt die Hand der Alten: »Nun, Mutter Ute, wie steht's? Ihr tragt Euer schweres Los so lang – so lange schon! – mit echt christlicher Geduld.« – »Ach, gütiger Herr Bischof, es ist nicht schwer, wenn man nur einen recht festen Glauben hat. Und den, seht, – den hab' ich! – Und daß ich ihn habe, – das dank' ich auch – Ihm!« – »Gott dem Herrn!« »Mag wohl sein,« erwiderte die Greisin zögernd. »Will gewiß nicht nein sagen. Der Herr mag es wohl meinem armen Konrad auf die Lippen gelegt haben, bevor er starb.« – »Euer Mann! Was hat er Euch gesagt damals? Er starb, mein' ich, in derselben Nacht, da Ihr, da die Ungarn –« – »Ganz recht, Herr Bischof! Hunnen nannte man sie. Bald sind's nun siebzig Jahre.« »Siebzig Jahre blind!« seufzte der Kellerer mitleidig. »Ja, das war noch unter Bischof Dietho,« fuhr die Alte fort, immer lebhafter redend in dem Eifer der Erinnerung und wiederholt mit der Hand über ihr dichtes weißes Haar streichend. »Damals war noch Sankt Burchhards heiliger Leib nicht erhoben. Da war der Graben um die Stadt noch nicht gezogen, noch nicht einmal der Pfahlhag war ganz fertig geworden. Wir wohnten in einem Hüttlein dicht hinter dem Pfahl im Osten der Stadt am dürren Bach. Mein Mann, ein Freigelassener des Bistums, war gar geschickt, mit Axt und Stemmeisen zu bauen und zu zimmern; er war vom Knaben auf im Bischofshaus als Zimmerer verwendet worden, hatte daselbst gar frommen, frommen Sinn gewonnen und nun hatte ihm vor Jahr und Tag der Herr Bischof Dietho das Hüttlein am dürren Bache zur Leihe gegeben, damit er mich heiraten konnte: ich war Magd von Sankt Andreas, wie man damals statt Sankt Burchhard noch sagte. Ich hatte meinem Konrad gerade ein paar Nächte vorher Zwillinge gebracht: – einen Knaben und ein Mägdlein. Wir waren so glücklich! Auf einmal – in der Nacht – ein Gejohle, wie wenn der Höllenwirt tausend böse Geister losgelassen hätte! Konrad springt ans Fenster – das war offen: denn warmer Sommer war's, wie jetzt – ›Helft,‹ rief er, ›Sankt Kilian, Sankt Koloman und Sankt Tetnan!‹ – Rings Feuer! Rings Flammenschein! Des Nachbars Hütte zur Rechten brennt lichterloh! Und in dem Flammenschein Hunderte von Teufeln und Unholden, zu Roß, zu Fuß, schreiend, jauchzend, mit Äxten an die Nachbarhöfe zur Linken, auch schon an unsre Haustüre schlagend. ›Das sind die Hunnen!‹ rief mein Konrad, schloß rasch den Laden und griff nach einem Beil. Wie aus dem Abgrund aufgestiegen, so plötzlich waren sie da. Schon brannte auch unser Heim, das Strohdach und die rechte Holzwand! Aber hinaus? Wehe, wir sahen durch die Ritzen des Ladens, wie die Unholde da draußen die Weiber, die Kinder, die aus den brennenden Hütten flüchteten, griffen und in ihre Lanzen oder zurück in die Flammen warfen.

So blieben wir an dem Herd zusammengedrängt, mein Kurt das Mägdlein, ich den Knaben im Arm und beide schreiend zu Gott und den Heiligen. Da plötzlich – von oben her – ein Krach und eine Lohe über uns hin! Der Firstbalken war gerade auf uns herabgestürzt, über meine Augen ein brennender Span. Das tat weh, Herr Bischof! Noch spür' ich's, denk' ich daran. ›Kurt,‹ gellte ich in grellem Schmerz, ›wo bist du, ich sehe dich nicht.‹ ›Hier,‹ stöhnte er, ›ich sterbe, arme Ute.‹ ›Wo? Wo denn?‹ schrie ich und tastete nach ihm. Ach – ich sah ihn nicht mehr – ihn nicht und nichts mehr auf Erden. Er merkte es bald: ›Utelein,‹ sprach er, ›liebes Weib, schönes Weib‹ – so sagte er, Herr Bischof: O ich hab' mir's seither vorgesagt tausend, tausendmal! – ›das Mägdlein an meiner Brust ist tot, zerschmettert. Und ich – ich muß sterben. Aber der Knabe in deinem Arm ist ganz unversehrt. Du – glaub' ich – siehst nicht mehr ganz gut. Das ist hart! Aber sei getrost: der Himmelsherr hat's so gewollt. Und horch – es wird schon stiller draußen – die Hunnen haben sich verzogen.‹ ›Blind!‹ schrie ich. ›Blind fürs Leben? So soll ich niemals dein helles Antlitz wiedersehen?‹ ›Du vergissest, liebes Weib,‹ sprach er sanft, ›ich muß jetzt sterben. Aber dereinst, wann auch du stirbst, dann wirst du wieder sehen. Im Himmelreich da oben, bei dem milden Gott, gibt es keine Lahmen, Krüppel und Blinde: dort ist lauter Vollkommenheit; erst gestern hat's der Herr Bischof gepredigt im Dom. Also sei ganz getrost! Kommst du zu sterben, wirst du sehen, wirst du mich wiedersehen. Mit dem Mägdlein auf dem Arme schweb' ich dir aus den Wolken entgegen und hole dich ab aus der Not und der Nacht der Erde in das ewige Licht. Leb' wohl! Gewiß ist's wahr – glaub' mir – du wirst mich wiedersehen, wann du stirbst.‹ Das war sein letztes Wort.

Bald darauf gruben mich die Reisigen des Herrn Grafen und die Dienstmannen des Herrn Bischofs – die Hunnen waren hinweggestoben, nachdem sie die Häuser vor der Mauer verbrannt – aus dem noch qualmenden Schutt, mich und den unverletzten Knaben und ach! die beiden Toten. – Und nun leb' ich und zehr' ich bald siebzig Jahre von dem letzten Wort meines Konrad. Ich glaube an sein Wort wie an Gottes Wort so fest.«

Gerührt sprach der Bischof: »Gott der Herr hat dich gesegnet, arme Frau, in deinem Elend durch deinen Glauben.« »Ja, Herr, da sprecht Ihr wahr,« bestätigte ihr Enkel, sich aufrichtend: er hatte sich gebückt, die Schnecken von seinen Blumen abzulesen und auf dem Sandwege zu zertreten. »In aller Not hat sie dies Wort aufrecht erhalten. Und es ging ihr früher doch oft recht übel.« »Nicht Schuld meines braven Sohnes Konrad,« fiel die Alte eifrig ein – »und seines lieben Weibes: Gott lohnt ihnen längst schon beiden in der lichten Himmelsaue! Und auch wahrlich nicht, sobald die irgendeine Arbeit leisten konnten – meine beiden Enkel. Denn darin muß ich den Schwarzen loben wie den Blonden – so ungleich sonst sie geartet sind, die seltsamen Brüder. Auch mein Rado – ... wo ist er? ich höre ihn nicht –?« »Zu Walde gegangen, Großmutter.« »Schon wieder!« seufzte die Greisin. »Das ist sein Unsegen! Weiß Sankt Kilian, immer in den finstern, verrufenen Grafenwald! Böse Geister sollen dort hausen« – sie bekreuzte sich Stirn und Brust – »der wilde Jäger hetzt ob seinen Wipfeln und jagt die Holzweiblein darin mit lautem Huhu, Huhu. Bald als Hirt, bald als Jäger, bald als Köhler, aber immer in jenem Wald macht er sich zu schaffen. Schon vom Knaben auf! Seine Mutter – will sie sonst gewiß nicht schelten! – ist schuld daran: sie erzählte ihm viel, viel mehr vom wilden Jäger und vom bergentrückten Kaiser und von Waldschrat und Rauchries' und Drachenries' als von den lieben Heiligen. Aber was er früher im Waffendienst der Rothenburger verdiente und was er später hier im Hirtendienst der Bürger erarbeitete, – alles brachte er mir, der Schwarze wie mein Blonder – wie Ihr Vater sie nannte. Aber der Blonde ist immer gern bei mir geblieben.«

»Nun, Großmütterlein, jetzt sind wir schon lange beide grau. Und es ist doch nicht mein Verdienst, daß es mich von Kind auf mehr freute, hier im Gehöft zu bleiben, das die Bürger dem Vater als Gemeindehirten zur Erbleihe gegeben und dies Gärtlein anzulegen und meiner lieben, lieben Blumen zu pflegen und an den Zäunen des Edelobstes und der Reben.« – »Er hat eine so glückliche Hand, mein Wartold. Alles gedeiht unter seinen geschickten, geschmeidigen Fingern ...« »Der Herr hat sie ihm gesegnet, diese Hand,« sprach der Bischof, »die so getreulich die blinde Ahnin geführt hat.« »Aber auch Rados Hand!« fiel der Gärtner eifrig ein. »Wohl ist sie härter als die meine hier, aber stärker und sicherer. Er trifft den fließenden Fisch im Main! Und Bär, Luchs und Wolf, sie kennen seinen Speerwurf gut.« »Wie weiland Sarazenen, Wenden und Welsche,« nickte Herr Heinrich. »Aber die Heiligen schlecht sein Beten!« »Zürnt ihm nicht, Herr,« bat Wartold. »Lieber Gott,« raunte Supfo ungeduldig, »ich kenne einen, – einen Seelenhüter, nicht bloß Gemeindehüter – der hat die längste Zeit seines Lebens auch viel lieber den Auerhahn im Buchenwald balzen als den Pfaffen im Dom Messe singen hören.« »Und nun geht ja doch bald alles zu Ende, Gott sei Dank,« erinnerte Frau Ute. »Da gönnt ihm doch noch sein bißchen Jagen.« – »Meint Ihr, gute Frau? Noch hat sich die heilige Kirche nicht ausgesprochen über jenen Glauben.« »Herr Bischof,« fragte Wartold, sehr ernsthaft, »was meint Ihr? Gibt's im Himmelreich auch Blumen?« Herr Heinrich schwieg verdutzt einen Augenblick. »Das ... das hat mich noch kein Mensch gefragt! Und ich mich selber auch nicht! – Blumen? – Weiß nicht! – Aber ja! Doch wohl! Palmen, Palmen für die Märtyrer.« »Ach, die wachsen nicht bei uns,« klagte Wartold ganz betrübt. »Hab' sie immer nur gemalt gesehen in den Kapellen. Von denen hab' ich kein Verständnis; werde sie am Ende zu trocken halten,« schloß er nachdenksam. »Die Wipfel in Glut, die Wurzeln in Wasser taucht die Palme,« so lehrte mich der Araber, den Ihr eine Weile hier als Geisel gehalten.« »Nun, Gärtner, verzagt mir nur nicht,« lachte Herr Heinrich. »Eben fällt mir bei: auch Lilien brauchen sie da oben für die Jungfrau Maria. Und um die Stirnen der Seligen zu kränzen. Und auch Engelein sah ich zu Rom im Sankt Peter auf Goldgrund fliegen, – die trugen weiße Lilien in den Händen.« »Eia, Eia!« rief der Alte vergnügt und rieb sich die Hände in heller Freude. »Gott lohn' Euch dieses Wort, Herr Bischof! Lilien! Lilien, sagt Ihr? Nun seht: das sind ja gerade meine Lieblinge. Und ein klein wenig,« nickte er lächelnd, »ein klein wenig verstehe ich mich auf deren Pflege! Habe dafür am meisten Geschicklichkeit. – Oder Gnade von Sankt Gertraud, will ich sagen. Seht nur, frommer Herr Bischof, dort das runde Beet. Zwei neue Arten! Haben hierzulande noch nie geblüht. Die eine – die weiße – gefüllt! Und die andre – die feuerrote – noch viel süßer duftend als die weißen! Ein Freund von mir, der Klostergärtner von Herrieden, der seinen Abt auf einer Pilgerfahrt nach Rom begleiten durfte, brachte mir die Zwiebeln mit aus einer welschen Stadt: – die soll nach den Blumen benannt sein: ach diese Stadt möcht' ich wohl gesehen haben! Aber nun ist's zu spät. Seht nur, wie sie gedeihen! Und noch schönere hab' ich in dem Neubruch, den ich angelegt – weiter gegen die Stadt und den Main hin, die solltet Ihr mal sehen!« »Der Alte hat eine Liebe zu den unnützen Stingelstengeln, « brummte Supfo, »als wären's wirklich Reben vom Stein!«

»O, Herr Bischof,« fuhr Wartold fort und faltete die Hände, »komme ich – Unwürdiger! – doch etwa in den Himmel ... –« »Er ist dir sicher, schon wegen des vierten Gebots,« sprach die Blinde. – »Dann legt ein gutes Wort für mich ein bei Eurem Amtsbruder, Sankt Petrus – der hat ja doch wohl das Ganze des himmlischen Hauswesens unter sich, nicht? Ich meine: die Vergebung der Ämter zu Lehen! – Bittet, daß ich sein Gärtner ..., ach so, wegen der Palmen? Nun, die werd' ich mir wohl auch anlernen können! – o wenn ich nur sein Gärtnergehilfe werden darf. Ewiglich der Lilien pflegen, wie selig!« Und seine sanften blauen Augen leuchteten ganz verklärt. » Sancta simplicitas!« sprach Herr Heinrich gerührt zu sich selber. »Mir ist, diesem reinen Herzen ist der Himmel gewisser als mir.« »Soll ich einmal selig werden im Himmel – aber es eilt nicht, gar nicht!« – raunte Supfo – »reiß' ich ihm die Lilien aus und setze Leistenschößlinge!« – »Wenn nur dein wilder Bruder,« warnte Herr Heinrich, »nichts Ähnliches wünscht wie du: zwar nicht ewig gärtnern, aber ewig jagen!« »Sankt Kilian schütze ihn,« rief die Alte, »vor solch' frevelem Wort! Da müßte er ja dem wilden Jäger folgen immerdar.«

Der Bischof wandte sich zum Gehen; vorher aber zog er noch ein Geldstück aus seiner ledernen Gürteltasche, reichte es dem Alten und sprach: »Da! Nimm! Ich kaufe dir all' deine Lilien ab. Das heißt; – erschrick nur nicht! – alles soll dein eigen bleiben: Beet und Zwiebeln und Stengel und Blätter und Blüten –« »Ja, aber was – was ist denn dann die Ware, die Ihr kauft?« – »Du sollst mir nur, soviel ich davon brauche, an Sonntagen zum Schmuck des Hauptaltars des Domes liefern. Bist du's zufrieden?« – »Gewiß, Herr! Welche Ehre für meine Blumen! Meine Fullrun soll sie Euch immer, frisch geschnitten, bringen. Aber – es ist des Geldes ja viel zu viel. Und für so kurze Zeit! Wie viele Wochen wird denn die Welt noch stehen?« »Es ist zum Lachen,« schalt Supfo in sich hinein. »Sie glauben fest an die Dummheit.« – »Nun, für so lange eben gilt der Handel, als die Welt, der Dom und die Lilien noch stehen.« – »Gut, gut. Aber ...« – »Noch ein Bedenken, Alter?« – »Wenn der jüngste Tag an einem Sonntag gerade hereinbricht ...?« – »Nun, was dann?« »Dann,« rief der Greis tief erregt, »dann geht der Himmel Euerem Altare vor! Die letzten, die ich hier gezogen, die nehm' ich mit hinauf, die Stirnen der Seligen dort oben damit zu schmücken. Zumal Eine Stirne ...!« Die Stimme versagte ihm: – die blauen Augen wurden feucht. »Nun, Wartoldchen, mein Junge, nun!« tröstete die Blinde. »Mußt nicht weinen! Siehst sie ja nun bald wieder, Friedlindis, deine gute Frau! Hast sie nicht so lange entbehren müssen wie ich meinen Kurt. Sie starb, nachdem sie ihm das liebe, schlimme Kind geboren. Sind erst fünfzehn Jahre. Da tut so was noch heiß und bitter weh!« »Sind erst fünfzehn Jahre,« wiederholte Herr Heinrich tonlos, »da tut so was noch heiß und bitter weh. Ach, und er hat nur ihren Leib, nicht ihr Herz verloren!« brütete er still weiter. »Und kann der Mann ein Weibesherz verlieren, das er einmal besessen? Weh, ich bilde mir nur ein, ich hab's verloren. Sie hat kein Herz. Oder ich hab's nie besessen.«

»Was ist Euch, Herr Bischof?« fragte die Blinde. »Ihr leidet! Ich hör's! Ihr atmet so schwer.« Supfo zupfte sie am Rock, sie möge schweigen.

Aber Herr Heinrich hatte sich schon wieder emporgerafft: »Lebt wohl, ihr guten Leutchen. Bald komm' ich wieder zu euch. – Friedlich ist's bei deinen Blumen, Wartold. Ich will beten für euer Heil im Himmel. Betet ihr für meinen Frieden – auf Erden! Komm, Supfo! Nach Hause! In die Einsamkeit.« Und hastigen Schrittes eilte er aus dem Garten.

*

 

IX.

In einem dem Bischofshause benachbarten und dem Bistum gehörigen Hofe hatte schon Herrn Heinrichs Oheim und Vorgänger Edel, unter der Obhut der Frau Malwine, einer alten verwitweten Dienerin des Rothenburgschen Hauses, geborgen; der jetzige Bischof hatte sie hier belassen und Minnegard während ihres Besuches am Main bei seiner Schutzbefohlenen – ihrer Freundin – untergebracht, bis die künftige Nonne in einem Religiosenhause von frommen Schwestern am Nordtor in Empfang genommen und für den Eintritt in ein eigentliches Kloster vorbereitet werden sollte: das hatte ihr Herr Heinrich als nahe bevorstehend angekündigt.

Ziemlich trübselig daher erwartete sie an diesem Abend in der schmuckarmen Kemenate des schmalen Holzhauses den Ohm zum Nachtmahle.

Statt seiner erschien der Kellerer mit einer Absage: »Der Herr Hezilo ist von einem Rundgang ganz weich- und wehmütig nach Hause gekommen,« meldete der Treue kopfschüttelnd. »Er hat als Abendspeisung nur trocken Brot und Wasser bestellt; ich sollte es ihm in die Bücherei tragen. Das Brot bracht' ich ihm ganz gehorsam. Das Wasser aber? Ich schickte es ihm durch den Brunnenmeister und ließ ihm sagen, bischöflicher Keller führe das Gewächs nicht! O das bedeutet wieder einmal eine zu durchwachende Nacht! Er geht jetzt wieder auf und nieder, auf und nieder, und summt dazu – aber nicht ein Gebet! Die erste Zeile hab' ich erlauscht: 's ist, glaub' ich, aus einem alten Liede, das der Junker von Yvonne einmal vortrug:

›Nicht Feuer und nicht Gift im Blut –‹

aber das andre hab' ich nicht verstanden. – Vielschöne Jungfrau Minnegard,« rief er näher tretend, »ich sag' Euch: wenn das noch lange so fortgeht, dann geht's nimmer lang so fort! Er schläft nicht mehr, er ißt nicht – das, glaub' ich, hat er nie gelernt – er trinkt nicht mehr! Und wenn nun vollends auch Ihr noch uns verlaßt! Dann weicht von uns der letzte Sonnenstrahl. Über Euch und Eure Schalkheit hat er doch noch manchmal gelächelt mit seinem lieben, feinen, sonst so traurigen Mund. Wer sollte auch an Euch nicht seine helle Freude haben!«

»Ja, mein treues Supfolein,« seufzte das schöne Mädchen und trug von dem säuberlich von ihrer Hand gedeckten Tisch des Bischofs silbernen Teller und goldenen Becher hinweg und stellte sie, sich zierlich auf den Zehen reckend – »wie steht ihr alles so anmutig!« dachte Supfo dabei – auf das vorspringende Kruggesims an der lindengetäfelten Wand. »Ich weiß es wohl, – Ihr habt mich lieb gewonnen in Eurem treuen Herzen und in Euren klugen Gedanken, – soviel der Oheim und der Wein Raum darin leer gelassen haben. Bitte, gießt ein wenig Öl aus jenem Krüglein auf die Ampel – aus Byzanz, Geschenk von Frau Theophano, nicht wahr? Die hätt' ich gern gesehen. Denn ich meine immer ...! Nicht wahr, sie war arg schön?« – »Schöner vielleicht sogar als Ihr, und das heißt was! Aber nicht so anmutvoll. So mehr wie die marmornen Göttinnen in Rom.« – »Sie soll aber gar nicht von Stein gewesen sein, die üppige junge Witwe, wenigstens nicht gegen ...! – Ach, wer doch von Stein wäre! Glaubt Ihr, herzgescheiter Mensch, ich gehe gern von Euch und mit Vergnügen in das Kloster?« »Ist ein Schandfleck für alle deutsche Jugendschaft!« schrie der Dicke und ward rot im Gesicht. »Hei, wär' ich ein Junker wie wir hier zwei oder drei herumstolzieren haben: – auf dem Wege zu den Schmachtnonnen, ja noch hinter dem Klostergitter hervor würd' ich Euch retten. Für Euch selbst und für ...« – »Am Ende gar für Euch selbst? Hört, Ihr werdet ganz gefährlich in Eurem Mitleid! Ich rufe mir Aufsicht herbei – und was für gestrenge! – komm, Edel, komm heraus. Erscheine, du Heilige, und hilf mir wider die Anläufe dieses dicken Dämons. Wir armen Jungfräulein müssen wieder einmal allein zu Abend speisen.« »Die?« flüsterte Supfo. »Ja, die vertreibt mich. Denn Junker Hellmuth ist mir nah ans Herz gewachsen. So blond, so schön und so widervernünftig!« Und er verschwand.

*

 

X.

Nachdem der Ruf ohne Erfolg blieb, schlug die Braune den dunkelroten Vorhang zurück, welcher das Nebengemach zur Linken abschied.

Da erblickte sie im trüben Dämmerlicht einer Hängeampel die Freundin auf dem Betschemel knien, die schmalen, langen, weißen Hände gefaltet zu brünstigem Gebet vor einem dunkelfarbigen Kreuz; das stammte aus Jerusalem; Herr Heinrich hatte es aus Monte Cassino mit heimgebracht. Rasch erhob sich nun die Beterin, strich ihr tiefblaues langfaltiges Gewand zurecht und trat in das Vorderzimmer; mit leisem Kopfschütteln empfing sie Minnegard. »Der Bischof kommt nicht,« seufzte sie. »Und also auch nicht das junge Geleit, das er manchmal mitbringt.« »Desto besser,« erwiderte Edel, die schönen dunkeln Brauen zusammenziehend. »Du denkst nur an dich,« meinte die andre und öffnete einen in der Wand angebrachten Verschlag, Schüssel und Teller daraus hervorholend. »Vergib!« bat Edel weich. »Es war selbstisch.« Sie griff nach der Freundin Hand, sie half ihr, die Teller aufstellen. »Glaube nur, ich gönne dir von Herzen das Vergnügen, das dir der Ritter von Yvonne zu gewähren scheint. – Ich gönn' es dir, – obgleich ich es beklage.« – »Jetzt ... erst setze dich, Edel. Wir wollen unser Nachtmahl nicht versäumen! Ist doch morgen ohnehin schon wieder Fasttag! Weil an diesem Tag vor vielen hundert Jahren irgendwo ein sehr heiliger Mann – wer kann sich alle merken! – geboren oder gestorben oder ›transferiert‹ worden ist. Komm! Greif zu! Der kalte Rehbraten wird dir munden, – du wirst ihm nicht anschmecken, daß der verhaßte Fulko den Bock erlegt hat. Sage nur, weshalb du wie auf – den andern – o! ich nenne ihn nicht! – auch auf den fröhlichen Singemund deinen Groll geworfen hast!« – »Ich trage dem Ritter Fulko keinen Groll.« – »Aber er mißfällt dir?« »Doch nicht! Denn bei allem Übermut ist er ...« sie brach ab. – »Warum dann beklagst du, daß ich ›Vergnügen‹ – wie du das nanntest – an ihm finde?« – »Warum? – Weil ich fürchte, holde Törin, es ist weit mehr als Vergnügen, mehr als Scherz.« »Und wenn es ernst wäre?« erwiderte Minnegardis sehr rasch. – »O liebes Herz! Das eben fürchtete ich, – sah ich. Bedenke doch! Wie soll das enden? Du – im Kloster. Und im Herzen das Bild eines Mannes! Hast du das wohl je bedacht?« Da ward das schöne Gesicht des heiteren Mädchens plötzlich sehr ernst – der edle Ausdruck ließ ihr doch noch viel besser denn der Mutwille! – und sie antwortete nachdrücklich: »Ja, Edel, ich hab' es bedacht. Oft, lang und tief. Sieh, dieser Gedanke ist mein Halt, er ist mein Trost, er ist mein einzig Glück. Mögen sie mir ein Geschick aufnötigen, dem ich widerstrebe mit Leib und Seele: – nur den Leib doch können sie einsperren und zwingen, die Seele nicht! Und muß ich aller andern Lebensfreuden darben, nach denen ich – ach! so lechzend heiß begehre – das Eine Glück –, es ist mir ja zu gönnen, das bloße Glück der Gedanken! – können sie mir nicht rauben: das Glück, sein liebes, schönes Bild tief in der Brust zu tragen, das Glück, ihn zu lieben und – o ich weiß es! – heiß von ihm geliebt zu sein. Und Heil mir! Er ist es so voll wert, daß ich ihn liebe!«

Da schluchzte plötzlich Edel laut auf: strömende Tränen brachen aus ihren Augen, sie schlug beide Hände vor das blasse, schmale Antlitz, bog das Haupt dicht an die Stuhllehne zurück und seufzte: »Du Beneidenswerte!«

Erschrocken sprang Minnegard auf: nie hatte sie solchen Ausbruch des Gefühls erlebt bei der so streng verhaltenen, bis zur Härte und Herbheit spröden und scheinbar so kühlen Freundin. »Edel, mein Liebling!« rief sie, kniete sich zu ihren Füßen auf das Bärenfell des Estrichs und umschlang mit beiden Armen die schmalen Hüften. »Was ist dir? O sprich! Wirf endlich dieses starre, stolze Schweigen ab! Es schmerzt ja doch dich wie – wie mich! Vertrau' dein stummes Weh meinem treuen Herzen! Sprich es aus! Es wird dir gut tun! Sieh, ich ahne ja doch so manches! Hab' ich doch wochen- und monatelang gelebt neben dir und –« »Nenn' ihn nicht!« brachte die Ringende schwer aus den halbgeschlossenen Zähnen hervor. »Hab' ich's doch mit angesehen, wie – allmählich! – sogar deines allzu stolzen Herzens Eisrinde endlich schmolz. Ist auch wahrlich kein Wunder! Ist er doch ...« – »Lob' ihn nicht! Es ist all' nicht wahr! –« Bitter, schmerzlich kam das heraus. »Ach was! Wohl ist's wahr! Er ist – leider Gottes: er war! – der freudigste junge Held ( – in Blond! – ), den man sich träumen konnte, wenn man nicht lieber von – was Braunem träumte. Wie lobte ihn der Bischof! Und auch dir gefiel sein ritterlich Wesen. Er taugte so gut zu deiner stummen, stolzen, ehernen Art. So gut zu dir – wie – – ein andrer zu meiner Weise. Und zuletzt – unnahbar wie du bist – du nahmst es an, sein edel zurückhaltend, zartes Werben!« – »Edel zurückhaltend – zartes – Werben!« Sie riß die Hände von dem Gesicht, ein funkelnder Zornblick schoß aus den grauen Augen, die Flügel der feinen Nase zuckten. »Bis auf einmal – nach jenem Stechen zu Worms! – O wie ihr daher zurückkamt! – Er vom Tage seines höchsten Ruhmes wie ein weidwund geschossener Edelhirsch. Und du – wie jene zürnende Göttin der Jagd, von der uns Fulko verdeutschte aus Meister Ovidius. Und wie hängt er noch immer an jedem Blick deines Auges, so grausam auch du mit ihm umgehst! Mich wundert, daß dich seiner nicht erbarmt. Bedenke! Wenn wirklich die nächste Sunnwend' ein Ende macht mit uns allen ...!«

Da flog ein leichtes Erbeben über Edels feine Gestalt: ihre Züge wechselten den Ausdruck: an Stelle des Zornes trat ein Etwas wie Wehmut, wie Trauer: die Kluge ersah das und fuhr eifrig fort: »Wodurch immer er deinen Zorn gereizt hat, – willst du unversöhnt mit ihm hinübergehen in die Ewigkeit?«

Edel schwieg und schlug die langen Wimpern nieder.

»Willst du, Grimm und Groll im Herzen gegen ihn, der dir so ganz ergeben, vor den ewigen Richter treten, vor Christus, der seinen Mördern selbst vergeben hat? O Edel – ich überraschte dich – nicht das erstemal! – im Gebet: wenn du denn so fromm bist: wie lehrte uns der Heiland beten? ›Gleich wie wir vergeben unsern Schuldigern.‹ Was immer du gebetet hast, – das Rechte – dies Gebet! – du hast es nicht gebetet!« – »Ich ... ich betete – wie schon so oft! ... für ihn!« – »Edel! – Wie gut du bist!« – »Nein, nein! Hoffart war mein Gebet: – ich sehe es jetzt ein! Ich fühlt' es bei deinen wahrhaft frommen Worten. Ich betete immer nur ...« – »Nun, was?« – »Gott möge ihm seine Schuld gegen mich verzeihen.« – »Und du hast beigefügt: gleich wie ich, Edel, ihm verzeihe?« Beschämt senkte Edel das Haupt auf die wogende Brust. Minnegard hob es zärtlich und gelinde, mit dem Finger unter dem Kinn, in die Höhe.

»Du schweigst, kleiner Trotzkopf?« – »Ich ... ich will nicht ..., daß ihm um meinetwillen Gott zürne und ihn strafe.« – »Aber du, du zürnst und strafest fort! Geh du dem lieben Gott mit gutem Beispiel voran! Verzeihe du zuerst.« – »Ich ... ich kann nicht ... will nicht.« – »Weil du ihn eben nicht liebst! Du kannst wohl gar nicht lieben!« Da traf sie ein blitzender Blick aus den plötzlich voll aufgeschlagenen grauen Augen: »Glaubst du?« – »Noch einmal, Edel, bedenke: wenn nun wirklich demnächst alles aus ist? – Wenn ich dessen erst sicher bin – ganz gewiß! – dann ...!« – »Nun? Was wirst du dann tun?« – »Dann ...!« Minnegard sprang heftig vom Boden auf. »Ja, siehst du, ganz genau weiß ich noch nicht, was ich dann tue. Aber einmal noch im Leben, tu' ich dann, – wozu das Herz, – dies heiße Herz! – mich treibt, unbekümmert um das Geschelte der Welt: – sie hat ja dann nicht mehr viel Zeit, zu schelten.« – »Kind – du glühst! – Was wogt in dir? Was treibt dich um?« Ohne die Frage zu beantworten, fuhr Minnegard fort, heiß erregt in der engen Kemenate auf und nieder zu schreiten; sie hob die vollen Arme in die Höhe und holte tief Atem: »Mit einer Halbheit in der Seele, mit ungestilltem Sehnen, mit unbefriedigtem Begehr: – ich weiß freilich nicht, wonach! – aber nach Liebe, nach einer süßen Wonne – mit dieser schmerzenden Leere hier in der Brust – hinübergehen in das Jenseits, wo nicht geliebt wird, nicht gefreit und nicht ... geküßt, also nie – in Ewigkeit nie! – erfahren, wie die Minne beglückt – das – das also wird dann mein Los? O wie traurig!« Sie blieb plötzlich hart vor Edel stehen. »Und du vollends! Du willst deinen Haß mit hinübertragen gegen den Mann, der dich so herzverzehrend liebt? Willst du dann vor den Richter treten und verlangen: bestrafe ihn!« – »Nein doch! Nein! Ich bete ja das Gegenteil!« – »Dann wird der Richter sprechen: Und du verzeihst nicht? Die ganze Welt ist vergangen, aber nicht dieses Mädchens Haß?« Die so Bedrängte erhob sich rasch vom Stuhle: »laß mich! Ich kann nicht anders! Laß mich ringen im Gebet mit meinem Stolz, mit mir selbst! Laß mich wieder beten!« – »Gut, Schwester, bete! Geh wieder hinein zu dem Kreuze des Allvergebers. Junker Hellmuth ist ein Ritter ohne Makel: er kann nicht Unvergebbares verbrochen haben. Auch ich werde beten: aber nicht, daß Gott ihm, daß er dir verzeihe deinen lang nachtragenden, deinen unversöhnlichen Groll.«

*

 

XI.

Zu der gleichen Stunde saß in dem Speisesaal in dem Erdgeschosse des Bischofshauses an dem runden Tisch mit der Ahornplatte Hellmuth in stummem Brüten vor dem unberührten Weinkrug; er hatte den linken Ellbogen auf den Tisch gelehnt und das blonde Haupt auf die Hand gestützt. Da trat Fulko ein und warf zorngemut das reiherbefiederte Barett auf die Bank. »Nichts ist's!« rief er unmutig. »Der Herr Bischof beliebt wieder einmal zu fasten, nicht zu Nacht zu speisen und gönnt uns die gleiche Frömmigkeit.« »Ist gelogen, mit Verlaub, Herr Ritter von Yvonne,« lachte Supfo, der eben eintrat und eine stattlich mit allerlei Kaltfleisch gefüllte Silberschüssel auftrug, sich neben den beiden Freunden niederließ und alsbald tapfrer als beide zusammen auf den Braten einhieb. »Fasten müßt ihr heute abend nur in der Minne, richtiger gesagt: im hungrigen Anschauen einer allerdings fast unerlaubt schönen Jungfrau. Daß sie letzteres noch ist, Herr Ritter, ist nicht Euer Verdienst.« »Verschafft sie mir zum Eheweib und ich erhebe Euch zu meinem Kellermeister,« rief der Provenzale und schenke sich den Zinnbecher wieder voll. »Leichter Amt wär' es als hier,« erwiderte Supfo und trank ihm zu. »Warum?« – »Nun: immer leerer Keller, weil immer durstiger Herr. – Übrigens, wo steckt Junker Blandinus? Der pflegt doch sonst häufig euer Abendgast zu sein! Wo läuft er noch so spät herum?« – »Jedenfalls hinter einem Weiberrock! Schad' um ihn.« – »Er ist nicht übel.« – »Nicht dumm und nicht feige.« – »Beides nicht!« – »Aber die verfluchte Eitelkeit!« – »Und die Verliebtheit! Nach allen Seiten hin!« – »Es ist ihm eigentlich gar nicht drum. Er meint nur, als Venetianer, als Dogensohn und schmucker Bursch – denn er ist wirklich hübsch! – müsse er überall um Minne werben. Wenn ich ihn nur einmal gehörig zum Fechten und Schlagen bringe! Dann kann noch ein Mann aus ihm werden.« – »Bis dahin – in ein, zwei Jahren – ist auch die schlimme Runel kein Kind mehr; und wer weiß, ob der Schwarzlockige dann nicht doch den graulockigen Schnufilo verdrängt in ihrem trutzigen Herzlein.« – »Bah, was schwatzen wir da von ein, zwei Jahren – und sind nur noch ein paar Wochen bis Sunnwend' und Weltend'! Sagt, schlauer Supfo, wie findet Ihr Euch ab gegenüber den Schrecken des Gerichts und Eurem Gewissen?« »Ich?« lachte der Dicke und schob ein mächtig Stück Rehbraten in den Mund. »Ich habe das beste Gewissen, das mir je bei einem Menschen vorgekommen ist.« – »Wieso?« – »Es ist so gut. So weinfromm. Besser als Euer Rapphengst, Herr Fulko, der beißt zuweilen: und mein Gewissen, – das beißt mich nie. Ich kann ihm viel bieten, bis es nur, warnend, schnappt. Aber beißen? Nie! – Und das andre ...?« – Er hob den Becher an die Nase. (»Köstlich der Ruch, dieses weißen Leisten! – ) – das andre: der Weltuntergang? – Das ist dummes Zeug!« – »Aber Supfo!« Sogar Hellmuth fuhr hier aus seiner trübsinnigen Träumerei auf und warf dem Dicken einen fragenden Blick zu. Jedoch der rümpfte unverzagt die rötliche Nase, verzog den Mund wie bei einer Weinprobe und sprach bedächtig: »da hab' ich von unserm Herrgott eine viel bessere Meinung denn ihr alle.« »Wenn's aber der Herr Papst selber sagt?« forschte Hellmuth. – »Hat er's schon gesagt? Nein! Und wenn er's sagt, –« »Nun, dann aber?« meinte Fulko. »Dann ist's doch bewiesen.« »Daß er's glaubt!« schloß Supfo und stellte den Becher nieder, daß er klirrte. »Mehr nicht. Ich glaub's mal nicht vom braven Himmelsherrn. Man glaubt auch sonst gar viel, was nie geschah und nie geschieht. Diese seine Welt sollte er selbst zerstören? Wer weiß, ob er eine neue so schön wieder zusammenbrächte! Und nun gerade heuer, da wir des Trunks der Steinrebe froh werden wollen! Heuer, da in meiner Neupflanzung auf dem Harfenhügel schon jetzt – vor Johannis – alles so wundervoll abgeblüht hat. Habt ihr alle zwei den Duft nicht verspürt vor lauter Verliebtheit? – Übrigens –« er sog und schlürfte nun langsam, verständnisinnig einen Schluck durch die gespitzten Lippen ( – »ah, ist das ein Weinlein! Viel zu gut für euch unmerksame Knaben! – ) übrigens hab' ich eine prächtige Wetterprobe für Gewitter, Erdbeben und all' dergleichen Erfreulichkeiten. Eine Prophetissa – sagt man in Welschland –, der glaub' ich mehr als sieben Päpsten.« »Ihr redet recht lästerlich, Supfo,« sprach Hellmuth verweisend. »Für Erdbeben – Ihr?« zweifelte Fulko. »Jawohl, Herr Sänger! – Meint Ihr, nur Ihr mit Eurer Laute seid in der Welt umhergekommen. Oho! Wir waren auch schon draußen! Sind mit Kaiser Otto dem Roten unter dem Rothenburger Fähnlein in Welschland auf Heldenschaft gefahren. Lagen wir da vor Napoli, der schönen Stadt. Sehr schön. Aber heiß! Und dreckig! Wir lagen vor den Toren, als Beschirmer nämlich gegen die Sarazenen. Nicht in Zelten oder Holzhütten, sondern in den Häusern der Bauern lagen wir: – sind alle von Stein vom Grund bis unters Dach. Da drüben rauchte ganz behaglich und gemütlich der Feuerberg, der Mons Vesuvius: – wir waren schon so daran gewöhnt in all' den Wochen, wie daß man den Atem sieht im Winter. Mein Hauswirt – Gaudenzio hieß der Wackere – hatte eine Katze, die liebte er mehr, beteuerte er oft, als seine gelbhäutige, schnurrbärtige Ehefrau. ›Denn warum?‹ sagte er. ›Meine Lucia kratzt nur, fängt aber keine Mäuse und verkürzt mir das Leben, während Mucia zwar gelegentlich kratzt – aber nicht mich, nur Lucia (woran sie recht tut), Mäuse fängt und mein Leben verlängert, meine schwarze Prophetissa!‹« »Wieso?« fragte Fulko. »Ja, wieso? genau meine Worte von damals! (woran man erkennen kann, was Ihr für ein kluger Knab' seid!) ›Ja,‹ sagte Gaudenzio und streichelte die Katze, die gleich schnurrte. ›Nämlich wir haben hier gar oft die landesüblichen Erdbeben. Ist weiter gar kein Vergnügen nicht, sag' ich Euch, Supfone, wenn Ihr gar nicht getrunken habt und doch wackeln müßt mit den Beinen, weil nämlich das Land unter ihnen wackelt, als habe das Land einen Rausch. Und wenn Euch das eigne Haus auf den Kopf fällt, so genau und platt, wie der Deckel auf einer Schildkröte liegt – nur, daß Ihr nicht damit davonkrabbeln könnt, sondern gar keinen Leichenstein mehr zu bestellen braucht! Nun also, kurz bevor Santo Vesuvio da drüben – Santo Januario, bitt' für uns bei ihm! – ein wenig rappelig wird über die Sünden seiner lieben Napolitaner, an die er nun doch schon seit mehr als einem Jahrtausend gewöhnt sein könnte, – aber er ist ein unberechenbarer Heiliger! – also bevor der liebe gute alte Vater da drüben – mit dem dürfen wir's noch weniger verderben als mit der heiligen Jungfrau! – auch nur ein kleines rappelig wird, wird Mucia – schon ziemlich lange vorher! – ganz rappelig, miaut, wie wenn sie ihr Fleisch durch Gesang verdienen müßte, springt bald gegen mich, bald gegen die verschlossene Haustür und ruht nicht, bis sie im Freien ist: – sie und ich auch. Nach Lucia schaut sie gar nicht um.‹ Ich begreife Eure Liebe zu dem Tier, sprach ich verständnisvoll. Nun gut: – ein paar Nächte nach dieser Unterredung weckt mich mein Gaudenzio aus dem tiefsten Schnarchschlaf: – denn der schwarzrote Amalfitaner ist gut, aber schwer! – reißt mich aus dem Strohlager und stößt mich zur Türe hinaus ins Freie. Ich wollte ihn gerade niederschlagen, da schrie er: ›Die Katze! die Katze! Mucia hat gewarnt.‹ Und kaum senk' ich den erhobenen Arm, – da taumel' ich und wanke, als hätt' ich den Amalfitaner nicht ganz verschlafen – war aber hecht-nüchtern – und auf einmal – pardauz! – lag sein ganzes Steinhaus platt auf dem Bauch, wie ein Frosch, drüber ein Lastwagen fuhr. Die Ungewarnte lag leider darunter. Am andern Morgen zog unsre Heerschar ab. Zum Abschied schenkte mir mein Wirt seine Katze. ›Denn warum?‹ sagte er treuherzig unter Tränen. ›Brauch' sie nicht mehr. Baue kein Steinhaus mehr. Und nehme – ganz gewiß! – keine Frau mehr. Denn warum? Lucia war doch so böse, wie ich keine mehr fände. Und jetzt tut es mir gleichwohl leid um sie. Nun denket erst, wie leid mir eine sanftere täte! Also wozu Katze?‹ So nahm ich Mucia mit. Auf meinem Rucksack quer durch ganz Welschland über den Brenner trug ich sie bis in die Heimat. Sie verläßt mich nie. Hört ihr sie draußen miaun? Ich komme, Schätzlein, ich komme. – Nun seht: merkte Mucia das bißchen Erbrechen von dem lumpigen Vesuvio da drunten und jedes Erdbeblein, das dort zu Lande so häufig wie bei uns das Nießen im Schnupfen, und zeigt sie – wie sie immer tut – hier jedes Gewitter an, lange bevor es vom Königswald heraufzieht! – da wird's die Prophetissa doch wohl auch merken, wenn alsbald die ganze Welt zerkrachen soll. – Ich komme schon, Liebelein! – Ich nehme sie, – an dem Vorabend – mit in einen Ort, wo – nun, wo man dem Kern der Erde näher ist als anderwärts. Bleibt sie ruhig, bleib' ich auch ruhig. Die Zeit soll uns dabei schon nicht lang werden: denn an jenem heimlichen Orte gibt's für Mucia viele Mäuse und für mich – nun, für mich gibt's da auch was. Wir sehen uns dann schon wieder, Jungherrn. Entweder in der ewigen Seligkeit oder – was ich eine Zeitlang noch vorziehe – hier in diesem Jammertal. Aber dann, Herr Fulko, dann singen wir erst recht das Lied, das mir von all' Euren Schelmenweisen zumeist gefallen hat!« – »Welches? Sind ja viele so nichtsnutzig, daß sie Euch gefallen können.« – »Ich meine das:

Nun wollen wir erst heben ein Trinken an,
Daß der Herr Gott es nicht kann fassen,
Und spricht: ›wenn der Mensch so viel trinken kann,
Mehr Wein muß ich wachsen lasse»!‹

Ich komme, Prophetin des Herrn. Ich bringe dir deinen Prophetenlohn heraus,« und er nahm ein leckres Stück Braten aus der Schüssel. »Traumselige Nacht, ihr Herren. Ihr, Fulko, küsset für mich mit!« Und er humpelte hinaus und verschwand.

*

 

XII.

»Ein guter Gesell,« lachte Fulko. – »Aber ach, meine Gesellin! Nun ist es heute abend wieder nichts! Ohne den Bischof läßt uns die Tugendverwalterin und Unschuldbeschließerin und geheime Obervestalin – wie heißt sie doch? aus Schottland stammt sie – richtig: Malwine! – dadrüben gar nicht über die Schwelle am Abend. Und wie heiß hatte ich mich gesehnt, wieder einmal in das süße, klare, holde Gesicht zu schauen! Ist ja wenig genug, weiß die heilige Aphrodite! für mein wildes Begehren. Aber als der Teufel einmal sehr durstig war, trank er Wasser. Sind wir daher doch auf das Zabelspiel gekommen. Kenne keinen Zug! Aber dabei konnten wir uns doch an den Abenden manche gute Weile einander gegenüber setzen, uns – recht nahe! – in die Augen schauen und manchmal stießen unsre Finger durch Zufall aneinander, während wir auf dem Brett die Steine rückten. Denn dergleichen mußten wir schon zuweilen tun. Jüngst trat Herr Heinrich an unsern Marbeltisch im Erker, wo wir schon drei Stunden saßen – die ganze Vesper hatten wir darüber versäumt – und sprach: ›Nun, wie steht das Spiel?‹ Heilige Eulalia von Barcelona! Wir hatten in all' der Zeit ja erst einen Zug getan. Und das lose Mädchen hatte mir, während ich ihr die Rechte drückte und ihr selig in die Augen sah, ganz verstohlen mit der Linken meinen König vom Brette genommen und in ihrem leer getrunkenen Goldbecher in Gefangenschaft gesetzt! Es war schrecklich. Lächelnd befreite ihn der Gütige, hob ihn heraus, stellte ihn auf seinen Platz und fragte: ›hoffentlich ist dies nicht noch immer das erste Spiel?‹ Er war so freundlich, mir das Lügen zu sparen: er schritt hinweg, ohne meine Antwort abzuwarten. Ein prächtig Herz! War wohl auch einmal jung und heiß. Und noch jünger war Frau Theophano ...« »Gib acht,« warnte Hellmuth. »Man hört da draußen auf dem Gang, was hier so laut gesprochen wird.« »Nun,« lachte Fulko, »das flüstert man vom Danevirke bis Salerno! War sie doch Witwe! Wär' ein schönes Paar geworden! – Aber das Zabelbrett war auch sonst so willig! Konnte meinem holden Schatz stets abends meine den Tag über gedichteten Minnelieder darunter durchschieben. Wie geschickt zog sie mit den wachsweißen langen schmalen Fingerlein die Blätter auf der andern Seite heraus! Und hui! waren sie verschwunden in ihrem lang herunterhängenden Ärmel. Jetzt müssen meine armen Reime wieder Messe hören!« – »Wie das?« – »Nun ja! Morgen früh in der Kirche halte ich sie ihr wieder vor das zierliche Näslein und sie singt daraus die lateinischen Psalmen. Ist aber gefährlich! Neulich stand der fürwitzige Venetianer hinter mir, guckte über meine und ihre Schulter, las ein paar Zeilen und fragte mich lachend, ob ich das hohe Lied Salomonis in das Deutsche übersetzt hätte? Nicht schlecht! Lache doch, Hellmuth! Oder trinke wenigstens! Tu' Bescheid. Unsrer Herrinnen Minne.« Aber Hellmuth schob kopfschüttelnd den Becher zur Seite. »Nun, willst du nicht reden, so höre wenigstens. Du hattest immer Freude an meinen Versen.« »Gewiß, Freund. Denn du kannst sagen, was ich nur fühlen und – leiden kann. Zwar schmerzt es, zu hören, welch' Glück erwiderte Minne gewähren mag: aber es ist ein Weh, das wohl tut mitten im Schmerz. Bitte, beginne.« Fulko war ein Dichter; zweimal ließ er sich nicht bitten. Er trank erst herzhaft, griff dann in den Brustlatz, holte ein paar Pergamentblättlein hervor und las:

Du hast gesiegt, du starke Liebe!
Hinweg, Besinnung und Bedacht!
Und ob sie ins Verderben triebe: –
Nimm ganz mich auf in deine Macht!

Die Vorsicht sprach: »das wird nicht frommen,«
Die Sitte sprach: »vernimm mein Wort: » – –
Da ist der Strom der Liebe kommen
Und ohne Wahl riß er mich fort.

So trage mich, du heil'ge Welle,
Und, wenn du dies Verlangen stillst, –
In Todesnacht, in Himmelshelle, –
Ich folge dir wohin du willst.

 

Die Eiche rief zum Wolkensitz:
»Ich trotze dir, du starker Blitz.«
Der aber sprach: »Du ziehst mich an!
Sieh, ob dein Trotz dir helfen kann,
Ich bin ein rascher Freiersmann: » –
Und Schlag und Glut und Wetterschein: –
In Flammen ward die Eiche sein.

Die Uferrose sprach zum Fluß:
»Du flehst umsonst um meinen Kuß: »
Der aber sprach: »Hilft denn kein Flehn,
Sollst du ein andres Werben sehn,
Jetzt, Rose, ist's um dich geschehn.«
Er stieg empor in stolzer Lust
Und riß sie fort an seine Brust.

Das ist der Liebe Prob' und Macht,
Wenn sie in echtem Mann erwacht,
Daß sie des echten Weibes Herz,
Und hüllte sich's in dreifach Erz,
Doch mit sich fortreißt sternenwärts
Und zur Geliebten siegbewußt
Und triumphierend spricht: »du mußt.«

 

Wenn aus der Erde dunklem Schoße
Zur Schönheit aufgeknospt die Rose
Und wenn sie dann in Wonnetagen,
Indes die Nachtigallen schlagen,
Ihr ganzes süßes junges Leben
Dem Kuß der Sonne hingegeben, –
Erfüllt hat auch die schönste Rose
Die schönsten ihr bestimmten Lose.

 

So sind bestimmt des Menschen Lose:
Nur höchstem Mut wird höchster Preis;
Am Abgrund blüht die Alpenrose
Und dicht beim Tod das Edelweiß!«

Er schloß ab und tat einen tiefen Trunk.

*

 

XIII.

»Das Edelweiß!« wiederholte Hellmuth. »Sechsmal würd' ich sterben, könnt' ich dadurch sie – nicht gewinnen, – ach! nur versöhnen! Danke dir, mein Fulko. Deine Verse sind –« – »Bah, Verse sind's! Nicht Küsse! Bittere Tinte und trocken Pergament! Das ist all' nichts, gar nichts! Ich halt' es nicht mehr aus! Immer bloß das verfluchte Reimen von ihrem roten Mund und heißen Kuß! Morgen – ganz in der Frühe – paß ich's ab! Wenn sie aus der Kemenate tritt – immer allein: – Malwine, die Verwalterin des Anstands, hütet alsdann die Tugend noch im Traum: und Jungfrau Edel verbetet sich immer um ein Weilchen! dann trete ich hin vor diese Minnegard und fasse sie und frage sie nicht lang und küsse sie, daß sie – nun, nicht gerade ganz erstickt, aber recht beinahe.« Da sprang Hellmuth auf, legte die Hand auf des Freundes Schulter und rief: »Nein! Um Gottes willen nicht! Tu's nicht! Wag' es nicht!« – »Warum nicht? Ich mein', ich kann es wagen!« – »Tu's nicht, mein Fulko! Willst du so elend werden wie – ach! wie mich viel, viel bescheidneres Wagnis gemacht hat?« Und er schlug die geballte Faust vor die Stirne. Der andre zog ihm mit sanfter Gewalt Arm und Hand herab: »Hellmuth, tapfrer Gesell! Sprich! Sprich's doch endlich einmal aus: was ist geschehen zu Worms? – Du weißt, ich bin getreu und verschwiegen!« – »Ich weiß es! Und darum sollst du – du allein von meiner Schuld, – meiner schweren Schuld! – erfahren!« Er seufzte tief. »Bin gespannt! – Alle Augen hier im Bischofshaus sahen nicht bloß, daß du ... auch, daß sie dir – allmählich! – gut ward. Herr Heinrich selbst sah's auch und hatte wahrlich nichts dawider! ›Ein schönes Paar und trefflich gepaart,‹ rief er mir einmal aus dem Sattel zu, als ihr auf dem Rennweg uns entgegengesprengt kamt. ›Der liebe Gott scheint sie für einander geschaffen zu haben.‹ So werdet Ihr sie nicht scheiden wollen? fragte ich rasch. › Ich? Junge Liebe scheiden? Ich doch gewiß nicht! – Es sei denn,‹ – warnte er und sah mir scharf ins Auge – ›daß zwischen Wunsch und Erfüllung steht – ein Kloster.‹ Und als der Bischof nach Worms nur euch beide mitnahm, da sagten wir: die kommen zurück mit den Ringlein am Finger. Aber wie kamt ihr zurück! Sie wie die Eisjungfrau und du wie ein in ihren Armen Erfrorner. Was ist geschehen, sprich, an jenem Tage deiner schönsten Siege?« – »Ach, ich verfluche sie. Sie haben mir all' das Unheil angerichtet. Sieh, Fulko: du weißt, eitel und eingebildet bin ich wahrhaftig nicht ...« – »Behüte! Deine Bescheidenheit ist dein größter Fehler. Könntest mir drei Viertel abgeben, – wär' uns beiden geholfen.« – »So hätt' ich auch wahrlich nie gewagt, mir einzubilden, die stolzeste der Jungfrauen werde mir, bevor ich feierlich beim Bischof um sie geworben und dessen Ja wie das ihre erhalten, das geringste Zeichen von Gunst gewähren.« »Verkehrt,« meinte Fulko und trank seinen Becher aus. »Einmal muß man doch anfangen! Weib will gewonnen sein durch Wagen.« – »Als ich nun aber in dem Lanzenstechen alle – wirklich alle! – Gegner aus dem Sattel gehoben – zuletzt auch Siboto, den zähen blonden Friesen, und den starken Richard, den Grafen zu Winklarn, – nie noch hatte ich die beiden zwingen können! – und als nun rings die Drommeten schmetternd meinen Sieg verkündeten und die Herolde mich auf dem schnaubenden Roß dreimal durch den Kampfkreis führten und alles Volk mir ›Heilô!‹ und ›Siegô!‹ zujauchzte, und der Herr Bischof mir huldvoll zunickte von seiner Altane herab an Edels Seite und als ich nun heranritt, aus ihrer weißen Hand den Preis, den dreifach gewundenen Eichenkranz mit der goldenen Schnur, mir auf das Haupt setzen zu lassen, als ich sie nun vor mir sah, schön wie nie zuvor, strahlend vor Anmut und – wie ich wähnte! – auch ein klein wenig vor stolzer Freude an mir, als sie sich über mich beugte, als ich den zarten, leisen Druck ihrer beiden lieben Hände auf meinem Haupte fühlte, – da schlug ich entzückt die Augen zu ihr auf: durch mein Herz jagte das Blut in wilden Sprüngen: – die Hitze des Kampfes tobte noch nach in meinen Adern – und all' der Lärm, der Glanz ringsum, die Freude, daß sie meinen Sieg gesehen – all' das zusammen berauschte mich! Sehnsüchtig, – aus aller Kraft der Seele! – suchte ich nach ihrem Auge, nach nur Einem Blick! –

Allein beharrlich, eigensinnig, trotzig – ach! oder war es süße jungfräuliche Scham? – hielt sie die langen, langen, die feierlichen Wimpern gesenkt. Ich flehte leise: ›Edel! Einen Blick – nur Einen,‹ hauchte ich. – Umsonst! – Da ergriff mich Stolz, Trotz, heiße Wut: – ich wollte mir den Blick erzwingen, wie ich mir den Sieg erzwungen. Mit der Rechten griff ich – kein Mensch konnte es gewahren, der dichte Kranz und ihr vorflutend Haar verbargen völlig meine Hand – ganz leis an ihr Kinn und hob es mit Gewalt empor: ›Einen Blick!‹ wiederholte ich dringend! –« – »Nun? Da sah sie auf?« – »Ach ja! Da sah sie auf! Da erhielt ich einen Blick, aber welchen Blick! Wie blaues Feuer blitzte mir Zorn, Haß, Empörung, Verachtung entgegen aus den sonst so sanften Augen. – Sie bog sich zurück, soweit sie irgend konnte, ach! mir war, zwei scharfe Pfeile flogen durch mein Herz! Ich wankte im Sattel: – in Verzweiflung sprengte ich aus der Stechbahn: – draußen glitt ich besinnungslos vom Gaul! ›'s ist die Hitze die schwere Rüstung‹, hieß es. Ach wär' ich nicht mehr aufgewacht! – Seitdem hab' ich sie verloren für Zeit und Ewigkeit. Nie – ich kenne dieses Herz von Diamant! – niemals verzeiht ihr gekränkter Mädchenstolz.« Und er brach zusammen auf der Bank und stützte die Stirn auf die Hand. »Hm! Armer Freund!« sprach Fulko nach einer Weile. »So hat sie dich denn wirklich nie geliebt? – Denn liebt ein Weib, – ein echtes Weib – und ich will das dieser herben Edel nicht bestreiten, – so verzeiht es, unter Tränen, ja im Zorne lächelnd, der Kühnheit des Geliebten. Und was ist es denn, was du gewagt? Gar nichts! – Nein, Hellmuth,« – er sprang auf – »dein Geschick kann mich nicht warnen. Nein! Geht wirklich demnächst die Welt zugrunde, dann ...! Bei einem Kuß laß ich's dann nicht bewenden. Dann, schöne Minnegardis, wirst du mein, magst du darüber grollen oder nicht. Liebst du mich aber – wie ich's hoffe! – mitten im Grolle wirst du verzeih'n und – selig sein in diesen Armen. – Komm, Hellmuth, laß uns schlafen. Es wird spät.«

Der Blonde erhob sich nun ebenfalls. »Ich schlafe nicht. – Auch ich habe mir ausgesonnen – bin nur über eins dabei nicht aufgeklärt! – wie ich die letzte Stunde dieser Welt verbringen, wie ich sterben werde. Nicht so süß umarmt wie du und nicht so weich gebettet: – aber auch nicht übel umarmt und auch nicht übel gebettet: – hart, jedoch herrlich. Allein vorher muß ich noch manches erkunden. – Schlaf wohl! Ich reite aus!« – »So spät! Wohin? Zu wem?« »Zu wem?« lächelte Hellmuth grimmig. »Nicht zu einem Liebchen. Vielleicht – zum wilden Jäger!«

Und klirrend in seinen Waffen schritt er hinaus.

*

 

XIV.

Angesehene Leute fanden in jenen Zeiten auf ihren Reisen fast immer Unterkunft bei Gastfreunden; auf dem flachen Land in Burgen der Ritter oder in Höfen der bäuerlichen Landsassen, in Klöstern oder in den – freilich noch seltenen – Städten in den Häusern der Burgensen. Die schmutzigen Herbergen in den Dörfern und Städten aufzusuchen und darin zu nächtigen, vermied man gern: es ging gar unsauber, wüst und lärmend darin her. Häßlich und unbehaglich sah es denn auch aus in einem solchen Leuthaus des Nordgaues südlich der Eger nahe der Mark der böhmischen Berunzanen. In der großen Schenkstube lag auf den löcherigen Dielen schmutzig Schilf; und nicht nur von ehrlichem Ruße waren die Wände aus ungehobeltem Kiefernholz so dunkelfarbig geworden; ein paar rote Flecken in dem Schmutz des Bodens verrieten verdächtige Ähnlichkeit mit der Farbe des Blutes.

Um den viereckigen Schenktisch – dessen Platte ein mittendurch zersprungener Schieferstein bildete, sie ruhte auf vier geschrägten Balken – saßen auf niedrigen Schemeln, rohen Eichstrünken, zwei Männer in eifrigem, oft im Flüsterton geführtem Gespräch. Die lange nicht mehr gesäuberte, hohe, schmale enghalsige Zinnkanne und zwei Becher aus leichtem Tannenholz enthielten ein gelblich braunes, säuerlich riechendes Getränk; nur einer der Gäste sprach ihm zu: der andre – in geistlicher Tracht – schob mit widerwilliger Handbewegung seinen Becher so weit von sich hinweg, daß der Geruch des Nasses ihm nicht mehr in die Nase steigen möchte. »Ihr trinket gar nix, Archidiakon?« fragte der eifrige Zecher in einem Deutsch, dem slawische Zischlaute einen seltsamen Anklang liehen. »Verbietet's ein Gelübde? Oder Eures Magens Eigenart?« »Mein Gaumen gebietet mir und meines Wesens Eigenart, nur Wein, – guten Wein – zu trinken, nicht dies Gärgebräu, das zu einer gewissen Ähnlichkeit mit kahnigem Traubensaft verdorben ist und das diese deutschen Barbaren Bier nennen.« »O, ist nix schlecht,« meinte der andre und füllte sich den Becher aufs neue. Obwohl es ein warmer Sommerabend war, bestand seine Tracht aus Pelz: sein enganliegendes, bis an die nackten Kniee reichendes Wams war aus vielen hunderten von schwarzen Maulwurfsfellen zusammengenäht; um die Hüften hielt es ihm ein breiter Dolchgurt aus mattem schwarzem Leber zusammen: die Waden steckten in Strümpfen aus dem gleichen schwarzen Rauhwerk: die Schuhe wurden ersetzt durch strohgeflochtene Sohlen und ein Kreuzgeschnür von dunkeln Riemen. Die sammetschwarzen und sammetweichen, jeder Biegung der geschmeidigen Glieder sich eng anschmiegenden Fellchen sahen aus wie die angewachsene Haut selbst des Wenden und gaben ihm bei seinen weichen, katzengleichen Bewegungen Ähnlichkeit mit einem schwarzen Panther.

Aus dem dunkelbraunen Gesicht über den häßlich vorstehenden breiten Backenknochen zu beiden Seiten der aufgestülpten Nase funkelten ein Paar tiefschwarze, aber feurige Augen; der Bart war glatt abgeschoren, ausgenommen zwei sehr lange schmale Stränge des Schnurrbarts, welche ihm rechts und links vom Munde hingen: er strich und drehte daran unablässig mit der Linken. Auf dem schwarzen, kleingekrausten Haar saß ihm schief, aber kecklich, eine hohe viereckige Mütze aus dem gleichen schwarzen Fell, von dem ein paar schwarzweiße Elsterfedern grell abstachen; die rechte Hand fuhr ihm öfter an den Horngriff des langen krummen Säbels als für die Gemütlichkeit der Unterhaltung ersprießlich war: gereinigt war alles, was er am Leibe trug, niemals worden und der Leib selbst recht selten. »Ist ganz gut hinunterschütten,« wiederholte er, den Becher niedersetzend und sich den triefenden Schnauzbart mit der Rückseite der Hand wischend. – »Ja, Ihr seid nicht verwöhnt, Herr Berunzane. Weder in Trank noch in Speise. Wahrscheinlich habt Ihr all' die armen Schermäuslein auch verspeist, denen Ihr die weichen Wämslein abgestreift.« – »Aber gewiß! Leckerer Braten! Besser sogar noch als Engerlinge! Sind wir nix so reich, wir armen Brüderlein, wie diese Deutschen.« – »Wißt Ihr auch warum, mein Fürst?« – »O ja. Weil nix arbeiten, wie die Bauerntölpel. Deutschen ist Hand gewachsen zum Pflugziehen, uns, zu nehmen, was Deutscher erarbeitet hat.« – »Ja, ja, Eure Leute treiben's arg mit Stehlen im Nordgau. Deshalb will ja Euch und Eure Haufen weder Ritter noch Freibauer noch Abt aufnehmen in Burg, Hof oder Kloster. Deshalb muß ich heute in diesem übelstinkenden Bretterverschlag mit Euch sitzen, Fürst Zwentibold, Spithinieffs edler Sproß!« – Der Fürst der Maulwürfe zuckte die Achseln: »Ich hab' Euch nix gesucht, Ihr mich. Und was wir zu verhandeln hatten, brauchte weder Laie noch Pfaff zu hören.« – »Wir sind nun doch einig – in allen Stücken?« – »Ganz einig. Der Handel gilt: ›Blut gegen Gold‹. – Nur eines wurmt mich noch.« – »Und das wäre, wackrer Held?« – »Daß Ihr mir nur die Hälfte des Geldes ausgezahlt habt.« – »Die andre nach dem Sieg.« – »Das will sagen: Ihr traut mir nix. Aber ich soll Euch trauen. Und seht, Herr Archipfaff, das ist zu viel verlangt.« – »Herr Wende!« – »Nun ja! Schaut, ich und meine lieben Wölflein, – wir sind hier fremd im Land. Daß wir – gegen gutes Gold! – gern gegen die verhaßten Deutschen losschlagen, daß wir gerne dazu helfen, wenn deutscher Bischof gegen deutschen König kämpft und Königsgraf, – das! – beim großen Zrnbog! – das mag man füglich von uns glauben. Wer aber bürgt uns, daß Ihr Euch nicht wieder vertragt mit den andern Deutschen? Wer bürgt für die Zähe Eures Hasses? Ihr seid ...« – »Kein Deutscher!« – »Wohl, wohl. Weiß! Seid Lombarde! Aber Kaiser Otto ist auch Euer Landesherr. Wie Deutschland gehöret ihm Lamparten!« Da erschrak der Wende: denn der sonst so kühle Priester schlug plötzlich mit der Faust auf die Schieferplatte, daß die Becher aufhüpften: und tödlicher Haß sprühte aus den dunkeln Augen unter den starken Brauen, als er mit einer vom Zorn halb erstickten Stimme hervorstieß: »Ja, leider! Fluch ihm dafür! Fluch und Verderben allen Deutschen.« »Beim schwarzen Zrnbog!« rief der Slawe, zurückprallend auf seinen Schemel. »Welche Wut! Woher?« »Woher? Warum? Weil ...! Wohlan: Ihr sollt' es wissen! Ihr müßt sogar darum wissen, sollt Ihr das eine – das letzte – verstehen, was wie noch nicht beredet haben und was mir doch das Wichtigste von allem.« Mißtrauisch fuhr der Häuptling an den Schwertgriff und warf die dicken wulstigen Lippen auf: »Nix einen Finger rühr' ich über das Versprochene hinaus für das wenige Geld, den Bettelsold. Ein Knicker ist er, euer Bischof von Würzburg.« »Es ist nicht viel,« gab der Priester zu: »Nicht meine Schuld! Der Weichmütige wollte nicht einmal diesen Betrag – ›einstwellen nur!‹ – seinen frommen Bauten entziehen. Säße ich auf dem reichen Stuhl des reichen Würzburg, – Euer Lohn sollte ...! Aber Ihr fragt, woher mein Haß gegen diesen Kaiserknaben, gegen alles, was Deutsch? O der Haß ist trefflich begründet. Ihr wißt nicht, wen Ihr vor Euch habt, tapferer Häuptling.« – »Den Archidiakon von Würzburg,« sagte dieser, offenbar ohne sehr hohe Meinung von einem solchen Wesen. – »Gott sei's geklagt! Aber in des Priesters Adern fließt königliches Blut.« – »Das wäre!« staunte der Wende und riß die Augen auf. »Und ging' es nach Recht und Gerechtigkeit, so säße ich in diesem Augenblick statt in dieser schmutzigen deutschen Herberge auf dem goldenen Throne zu Pavia und dies Haupt trüge, statt der Tonsur, die Königskrone des Lombardenreichs.« – »Ihr seid .. – »Ich bin der Sohn Berengars, des letzten rechtmäßigen Königs von Italia, und der einzige Erbe seines Rechts und seiner Krone. Mein armer Vater! Überwunden und gefangen von jenem schrecklichen eisernen Otto, verbannt für immer aus unsrer schönen Heimat starb er – hier in der Nähe – zu Bamberg. Anmaßer, Gewaltherren, Thronräuber, Tyrannen sind alle Ottonen wie jener erste, der meinem Vater das Zepter aus der Hand riß.« – »Aber,« wandte der Slawe ein, »in Welschland sagte man mir, die Welschen selbst haben jenen ersten Otto ins Land gerufen, damit er endlich Ordnung und Ruhe ...« »Tyrannen sind sie!« schrie der Lombarde, ohne auf die Worte zu achten. »Auch mich, ein Knäblein damals, hat der fremde Zwingherr mit meinen Eltern über die Alpen geschickt in dies Land voll Eis und Nebel und nach des Vaters Tod zu Würzburg erziehen lassen.« – »Das war unvorsichtig, sehr! Bei uns zu Land erdrosselt man die Knaben besiegter Fürsten.« – »Teuflisch grausam war es! Denn in einem Kloster – zum Priester! – ward ich erzogen. Der Welt, den Waffen sollte ich für immer entrückt, unschädlich sollte ich gemacht werden. Ein Pfaffe kann Italien nicht befreien vom Joche der Barbaren! Und doch ist die Lust an weltlicher Macht, die Gier, zu herrschen, ja – und ich fühl's! – auch die Gabe, zu herrschen, Land und Leute zu regieren, staatsmännische Pläne zu schmieden mit des Vaters Herrscherblut auf mich vererbt. Statt dessen – was bin ich?« – »Nun, wie sich soeben zeigt, auch in weltlichen Dingen nix ohne Gewalt: – die rechte Hand eines deutschen Kirchenfürsten ...« – »Verschling' ihn der Abgrund der Hölle!« schrie der Lombarde. – »Hui, welch' heißer Haß! Und dennoch dient Ihr ihm so eifrig? – Wie soll ich das verstehen?« – »Ihr müßt's verstehen lernen! Hört weiter! Als ich zum Jüngling, zum Manne herangewachsen war und den Frevel begriff, den diese Deutschen an meinem Vaterland, an meinem Vater, an mir begangen, da knirschte ich in das Gebiß, mit dem sie mich wehrlos gemacht hatten. Tag und Nacht sann ich darauf, es abzustreifen. Aber tief verbarg ich Haß und Groll und Hoffnungen! So gut gelang mir die Verstellung, daß ich das vollste Vertrauen der häufig wechselnden Bischöfe in der Mainstadt gewann. Bald ward ich ihr Apokrisiar, Vorstand, ihres gesamten Urkundenwesens: diesseit der Alpen lebt kein zweiter, der dies Schrifttum so fein versteht. So konnte es geschehen – daß ... O ich hatte jahrelang nur gehofft, als Flüchtling über die Alpen zu entkommen, um dort ganz Italia zur Freiheit aufzurufen, mein Königsrecht mit dem Schwerte zu verfechten. Und nun geschah das Wunderbare, daß mich Bischof Poppo – der zweite dieses Namens – selbst mit sich nahm auf einer Romfahrt. Wie erglühte mein Blut! Wie pochte mein Herz, als ich jenseit der Berge zuerst lombardischen Boden betrat, mein Erbgut! Wir weilten viele Monate in Pavia, in Mailand: Zeit übergenug für einen Kopf wie ich, einen Aufstand vorzubereiten. Und, – bei meines Vaters Grab! – ich war nicht müßig. Aber Schmach und Verderben! Was mußte ich erleben?« – Und er verstummte vor Ingrimm, warf beide Arme auf den Tisch und legte das Gesicht darauf. – »Nun? Was ist? Nix traurig werden!« – »Was antworteten sie mir? Sie, meine Landsleute, meine Stammesgenossen, ging's nach dem Rechte – meine Untertanen! ›Nie – solange wir zurückdenken mögen und unsre Jahrbücher berichten – nie seit den Tagen des großen Carolus, hat solch weise, friedliche, und doch starke. Recht schirmende Herrschaft gewaltet in unserm Heimatland von Verona bis Benevent und Napoli, wie unter diesen rotbärtigen Ottonen. Das Land ist glücklich und zufrieden – laß es so!‹ – Und da ich nicht abstand, zu schüren, zur Freiheit aufzumahnen, da drohten sie, – meine eignen Vettern in Pavia! – mich dem deutschen Zwingherrn anzuzeigen! Ah Schmach und Weh! Vernichtet war da, zertreten für immerdar all' mein Hoffen, des Vaters Krone mir wieder zu erkämpfen, diese knechtischen Seelen zu entflammen. Ich eilte nun nach Deutschland, nach Würzburg zurück. In der entarteten Heimat Macht und Herrschaft zu gewinnen, – ich hatte es erfahren! – war unmöglich. Allein ich wußte längst, ich sah es täglich vor Augen an Köln, und Mainz, ja auch an Würzburg, wie im deutschen Reiche Männer von Geistesschärfe und Willenskraft – lange nicht soviel davon eignete ihnen wie dem Königssohne von Italien! – von ihren Bischofssitzen aus den Staat leiteten – den deutschen und den italischen dazu. König von Italien konnte ich nicht werden, aber Kanzler des Deutschen Reichs wie der Kölner, – wie schon so mancher Bischof das ward. Und einstweilen war es auch nicht übel, als Bischof von Würzburg zu walten! Unablässig war ich daher bemüht, die Gerechtsame dieses Bischofs zu erweitern, durch erbetene Verleihungen des Königs, durch Geltendmachung alter, vergessener Ansprüche, die oft nur durch meine Gelehrsamkeit – oder ›Findigkeit!‹ – aus Urkunden, die ich erst wieder entdeckte, zu erweisen waren. Sie staunten über mich, die blöden Toren, Bischof und Domherren! Sie lobten, sie lohnten meinen unermüdbaren Eifer für Sankt Burchhards Recht, wie sie es nannten. Diese deutschen Tölpel! Als ob ich mich für den ersten lange toten oder auch für den jetzigen lebendigen Bischof zu Würzburg also mühte! Nein: für den nächsten Bischof: und der sollte heißen: Berengar!«

»Ah, verstehe jetzt. Versteh! Nix dumm!« nickte der Fürst, kratzte sich eindringlich, – aber vergeblich am Kopf und trank.

»Drei Bischöfe – Poppo, Hugo und Bernward – hatte ich, höher und höher steigend in geistlichen Würden, erlebt. Nun hatte ich allen Grund, anzunehmen, – mein Amt als Archidiakon, als Apokrisiar, meine von allen laut anerkannten Verdienste um das Bistum gaben mir ein Recht dazu – bei der nächsten Erledigung des Stuhls könne keinen andern die Wahl treffen als mich. Ich zählte schon so fest darauf, daß ich – vielleicht unvorsichtig! aber wie hatte ich mich jahrzehntelang zusammengehalten! – den Stolz, das Gefühl des geborenen Herrschers, der Überlegenheit fühlen oder doch erraten, ahnen ließ – kurz, Bischof Bernward verfiel in seinen letzten Zeiten in Mißtrauen, wirkte bei dem Kaiser, bei den Domherren gegen mich und als er starb, der alte Rothenburger, da folgte ihm nicht ich, sondern sein Neffe Heinrich!« – »Ja, der Rothenburger,« knirschte Zwentibold und griff ans Schwert. »Der arge Wolf des Waldes fresse seine Seele! Was hat er uns früher viele Brüderlein erschlagen.« – »Dieser höchst ungeistliche Graf, der erst vor ein paar Jahren – plötzlich – der Welt entsagt hatte! Dieser Weltling schnappte mir mein schwer verdientes Bistum weg! Bei meines Vaters Grab! Er soll's nicht lang mehr tragen.«

Zwentibold lehnte sich zurück, blinzelte dem Priester zu und wölbte die dicken Lippen zu einem gelinden, aber ausdrucksvollen Pfeifen: »Ahi! Aho! Fange an zu begreifen!« – »Das geht – scheint's – langsam, Fürst, bei Berunzanen wie bei Deutschen. Meintet Ihr wirklich bisher; für eines andern Macht müht sich der Königssohn Italiens so emsig ab, feilscht um die Hilfe Eurer wilden Horde, begibt sich in hohe Fährlichkeit? Denn Reichsverrat ist was wir treiben: – ich, mit Wollust, in klarem Bewußtsein; – der ehrenfeste Bischof unbewußt, aber doch mit mahnendem Gewissen. Das Leben kann mir's kosten: – im Gefecht oder – nach der Niederlage; – am Galgen. Denn Graf Gerwalt versteht keinen Scherz.« »Mich wundert doch,« sprach der Wende, kopfschüttelnd, »daß es der Rothenburger tut. Er focht so treu für dieses Reich.« – »Gerade so treu ficht er jetzt für seines Bistums Recht. Aber Ihr habt nicht unrecht. Ich hätte ihn nicht so weit getrieben ohne einen glücklichen Zufall. Der Graf, dem er den Gau zunächst abkämpfen muß, dieser Graf Gerwalt, – er haßt ihn tödlich.« – »Warum?« – »Weiß nicht. Man flüstert in der Stadt, der Graf habe ihn ausgestochen in der Gunst der schönen Kaiserwitwe. Ich entdeckte diesen Haß, als – erst ganz vor kurzem – Gerwalt, bisher Graf des Deutzgaues gegenüber Köln, den Waldsassengau mit Würzburg erhielt. Der Rothenburger wurde glutrot vor Zorn bei der Nachricht. Erst seit es gegen Gerwalt fechten heißt, will er – im Notfall – fechten. Im Notfall! wie er meint: denn erst will er den Spruch des Reichstags abwarten: – nur falls dieser sein sonnenklares Recht nicht anerkennt ...« »Kann nix solang warten,« grollte der Slawe. »Gewiß nicht! Deshalb hab' ich, statt Euch erst Wartegeld zu zahlen, gleich fest mit Euch abgeschlossen. Wann brecht Ihr auf?«

»Sobald mein frischer Zuzug eingetroffen aus Tethin: zweihundert Lanzen!« – »Gut! Seid Ihr einmal – in seinem Namen – eingebrochen in den Gau, kann er nicht mehr zurück. Er darf nicht mehr Zeit haben, zu bereuen. Deshalb wollen wir auch gleich wegziehen von hier und unsre Spur verbergen, damit mich seine etwaigen Boten nicht finden und abrufen können. Denn es gelang mir doch nur dadurch ihn fortzureißen, daß ich dem verhaßten Grafen Droh- und Hohnworte in den Mund legte, die dieser nie gesprochen! Ich erfand sie – jenem Gerücht angepaßt! Das half! Wie der Stier aufs rote Tuch stürmte der plumpe Deutsche daraufhin los. Aber nun merkt auf. Jetzt kommt die Hauptsache. Der Rothenburger –« er stand auf, trat vor die halb offene Tür in das Freie und überzeugte sich, daß dort niemand das Ohr an die dünne Bretterwand lehnte. Dann kam er zurück, warf einen Blick in die anstoßende Küche, sah, daß diese völlig leer war, trat nun dicht an seinen Verbündeten heran und flüsterte diesem in das Ohr: »Der Bischof darf seinen Sieg nicht überleben.« »Aha,« nickte der Slawe. »Meint Ihr, ich will noch jahrelang in seinem Dienst, als sein Knecht, zusehen, wie er mit den von Kaiser Karl verliehenen Rechten den Gau beherrscht, den er mir verdankt? O nein! Ohne Zweifel werde ich zu seinem Nachfolger gewählt: – er selbst hat im voraus, falls er stürbe, die Stimmen des Kapitels für mich gewonnen: – so möge denn sein eigener Wunsch geschehen: – aber bald.« – »Jedoch wie soll ...?« – »Merkt auf! Er wird nicht fehlen in dem Gefecht! Er läßt sich's nicht nehmen, selbst den Überfall der Burg – denn die vor allem müssen wir nehmen! zu leiten.« – »Ich führe meine Wölflein selbst,« erwiderte der Häuptling schroff. »Und nicht schlecht, glaubt mir. Hab' was gelernt im Dienst der Byzantiner! Nix so tölpelig bloß dreinschlagen wie diese Deutschen!«

»Schon gut. Aber der Rothenburger kämpft jedenfalls mit. Nun wohl! Nach dem Sieg – den soll er uns noch erkämpfen helfen! – fliegt nicht ein Pfeil oft irr im Gefecht? Auf der Verfolgung der Fliehenden? Kann ihn nicht ein Geschoß – falsch gezielt – von Euren eigenen Leuten treffen?« Zwentibold sprang auf: »Oder ein geworfenes Messer! Sind vergiftet. Ein Hautritz – muß sterben. Fehle nie meinen Mann. Es gilt! Aber dann ...« – »Das Doppelte!« – »Nix genug.« – »Wie, Unersättlicher? Ich bringe – auch als Bischof – nicht mehr auf.« – »Nix mehr an Geld. Erst das Doppelte. Dann – andres. Ist wilder, lustiger! Vorerst: meine Wölflein müßt Ihr auch in die Tore hineinlassen.« – »Er will's zwar nicht. Aber der Überfall der Burg – der Kriegsmann in ihm wird's einsehen – gelingt am sichersten so. Ihr sollt hinein!« – »Hui wohl! Dann – liegt er erst tot – nix zahm die Hand hinhalten, wie Bettler um Geschenklein – dann –« Die Augen des Slawen funkelten, wie die des Raubtieres, das zum Sprunge niederduckt. »Nun, was dann?« »Plündern!« stieß Zwentibold hervor mit schnalzender Zunge. »Nur zwölf Stunden! Mit Brand und Blut und – nix zu vergessen! – die Weiblein küssen, – ohne kirchlichen Segen. Ihr wißt, wir brauchen den nix,« höhnte er, »sind nix getauft!« – »Das muß ich doch ...« – »Erst überlegen? Nix! Herr Bischof Berengar muß!« Seine Faust fuhr an den Schwertgriff. »Oho! Es gibt der Söldner noch mehr.« »Wohl,« lachte der Häuptling, daß seine weißen Zähne blitzten. »Aber Zwentibold, Spithinieffs Sohn, kennt jetzt des Herrn Archidiakons Geheimnisse.« »Was wollt Ihr damit sagen?« fragte der Lombarde, scheinbar ruhig, aber er ward ganz bleich unter seiner gelben Haut.

»Ihr seid nix so dumm, das nicht zu erraten! Entweder Ihr tut nach meinem Willen oder ich fange an, Geschichtlein zu erzählen. Dankbare Hörer, gut zahlende, werd' ich finden: den Herrn Kaiser, den Grafen Gerwalt und – nicht zum mindesten – den Bischof Heinrich.« Er sprang auf. Berengar tat desgleichen und reichte ihm die Hand. »Es sei! Ich gönn' es diesen Deutschen!«


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