Felix Dahn
Ueber Ludwig Steub
Felix Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wanderungen im bayerischen Gebirge

Nicht leicht hat in den letzten Jahren eine literarische Erscheinung so allgemeinen und lebhaften Beifall gefunden, wie Steubs eben besprochenes liebenswürdiges Buch vom »Bayerischen Hochland«. Der eigenthümliche Reiz desselben lag zu gleichen Theilen in seinem Inhalt wie in seiner Form. Denn diese lose, und doch gerade in ihrer Ungezwungenheit anziehende Verbindung von Landschaftsschilderungen, historischen Erinnerungen, ethnographischen Darstellungen des gegenwärtigen Treibens in Markt und Kleinstadt und des bäuerlichen Lebens in Sitte und Sage, in Tracht und Wohnung neben den häufigen Excursen auf das Gebiet literarischer und politischer Streitfragen unserer Tage, diese originelle Mischung des Inhalts war in der That ein erfreulich überraschendes Novum.

Dazu kam, daß der Gegenstand dieser Beschreibungen zur Zeit gerade auch in dem »gebildeten« oder, wie neuerlich in einem freundlichen Berliner Blatt zu lesen stand, dem »eigentlichen« Deutschland, d. h. in den schönen Gegenden nördlich vom Thüringerwald, eine beliebte Modesache geworden war. Seitdem preußische Aerzte Tölz und Reichenhall entdeckt haben, finden es die Geheimräthe, Landräthe und die Banquiers alten wie neuen Bundes sehr behaglich, sich in Bayern, diesem »Winkel politischer Finsternis«, in alljährlicher Sommerfrische etwas »auszupusten«, wie von dem Staub der Friedrichsstraße und der Linden, so von der Anstrengung, die es ihnen natürlich verursachen muß, alle Jahre elf Monate unter den Auspicien des Ministeriums Mühler (1862) an der Spitze der deutschen Intelligenz und Freiheit zu marschiren. Kurz, seit mehr als einem Lustrum sind, zwar nicht wir dummen Bayern, wir unverbesserlichen Knechte der Kirche und der Despotie, aber wohl unsere grünen Halden und blauen Bergseen, unsere stolzen Berge und unsere billigen Landwirthshäuser gerecht erfunden worden vor den Augen unserer hegemonischen Brüder an der Spree. Unter solchen Umständen mußte das Steub'sche Buch schon seinem Gegenstand nach die gewöhnlich ziemlich eng gezogenen Grenzen des Marktes süddeutscher Literatur überschreiten. Solcher Ehre war es aber besonders würdig und fähig durch seine Form: die meisterhafte Beherrschung der Sprache und ein ganz eigenartiger Humor der Darstellung bilden das geistige Band, welches die allerdings nur locker verbundenen und mannigfaltigen Elemente des Buches einheitlich zusammenschließt. Wir haben in Deutschland so wenig Ueberfluß an Humoristen, daß es wohl der Mühe lohnt, auf die Charakteristik eines der ersten unter ihnen einzugehen.

Dazu bietet auch das vorliegende Büchlein rege Veranlassung und reichen Stoff. Es ist, wie das Vorwort »dem bedrängten Lesepublikum«, welches den Fall erleben muß, daß ein Autor binnen dritthalb Jahren zwei Producte gleichen Thema's veröffentlicht, begütigend erklärt, allmählich aus dem Material erwachsen, welches der Verfasser ursprünglich zum Behuf einer vermehrten Auflage seines »Hochland« zusammengetragen, aber zuletzt zur Einschiebung in eine solche zu massenhaft erfunden hatte. So entschloß er sich denn, ein eigenes Opusculum daraus zu machen, und in erfreulicher Weise fügt sich diese Ergänzung dem vorangehenden größeren Buch an, indem es bald Seitenpfade einschlägt, welche früher nicht, ohne von den Hauptrichtungen abzulenken, hatten verfolgt werden können, bald auf seltener betretenen Steigen zu darum nicht minder reizvollen, versteckten Nebenthälern führt, bald zu schon vormals besuchten Stätten, deren Schönheiten oder Merkwürdigkeiten nicht zu erschöpfen, mit anhänglicher Liebe wiederkehrt, auf alten Fluren neue Blumen pflückend. Zuerst wandern wir mit Abstechern nach Traunstein und Adelholzen, wo unsere Schwarzen seit unvordenklichen Zeiten baden – ohne den von den andern Landeskindern gewünschten Erfolg! – nach dem Miesenbach und dem Froschsee. Die weitern Capitel schildern den ganz unvergleichlichen Chiemsee und mein erinnerungsreiches Seebruck, das Bedaium der Römer, sowie die Aufführung einer Bauerkomödie daselbst (die heilige Genoveva) und das Bad Seeon. Darauf folgen Ausflüge nach Audorf, Falkenstein und dem Petersberg, nach Bayerisch-Zell an den Spitzingsee und den Irschenberg. Von da wenden wir uns zurück nach Benedictbeuern und suchen über Starnberg und das Thal der Würm den Heimweg nach der Hauptstadt.

In dem letzten Abschnitt behandelt Steub die schöne Sage, welche die Geburt Karls des Großen in die Reismühle in dem poesievollen Würmthal verlegt. Es ist ein Verdienst des Verfassers, die einheimische Geschichte und Sage, für welche dermalen selbst unter den »Gebildeten« noch nicht der rechte Sinn und Eifer vorhanden, durch gefällige Darstellung populär zu machen, wie er dies in größerem Umfang in jenem Capitel des »Hochland« unternommen, welches die Sage und den Mythus in Oberbayern erörtert. So hat er auch diesmal bei dem Besuch im Kloster von Benedictbeuern die köstlichen »Carmina burana« zur Kenntniß so manchen Lesers gebracht, welcher sie in Schmellers Ausgabe von 1837 wohl niemals aufgesucht haben würde. Es sind aber diese »Carmina burana« meist lateinische Gedichte aus dem 13. Jahrhundert, welche man 1803 bei der Aufhebung des Klosters in einem alten Codex entdeckte, der unter besonderem Schlusse verwahrt und in dem Katalog der Klosterbibliothek nicht verzeichnet war. Es sind an zweihundert Lieder, die eine Hälfte ebenso schwermüthig, als die andere lebenslustig. Neben Betrachtungen über Erdenleben und Jenseits, Klagen über die Schlechtigkeit der Menschen, Trauerliedern über Saladins Siege und Aufrufen zum Kreuzzug finden sich hier Liebeslieder, welche soviel mehr an weltlichem Muthwillen, als an klösterlicher Befangenheit leiden, daß der züchtige Schmeller manche Stellen hat gar nicht abdrucken lassen. Sehr ergötzlich ist unter anderm ein Wettgespräch zweier Damen, deren die eine die Liebe des Ritters, die andere die des – Mönches erheben und sich darüber so sehr ereifern, daß schließlich nur der Gott der Liebe selbst ihren Streit schlichten kann. Und zwar erklärt derselbe, die Liebe des Mönchs als die in jedem Betracht sieghafte!

Etwa die Hälfte dieser Darstellung ist bereits in einzelnen Aufsätzen der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« veröffentlicht worden. Sonderbarer Weise hat man dem Verfasser – wie Andern – solche Wiederholung verübeln wollen. Soll ein anständiger Autor sich die Mühe einer wirklichen geistigen Production nur dafür geben, daß ein moderner Zeitungsleser zwischen Schlafen und Wachen oder zum Kaffee über seine Worte und Gedanken hinduselt, einmal darüber lacht oder sich ärgert, und dann in die Lethe damit auf ewig? Freilich, die meisten Zeitungsartikel politischer wie literarischer Natur haben keine größere Vitalität, keinen höheren Ehrgeiz und verdienen kein besseres Schicksal nach ihrem sachlichen Gehalt wie nach ihrer ästhetischen Form. Wo aber, wie bei diesen Steub'schen Aufsätzen, – abgesehen vom Inhalt, der Form die Weihe eines Kunstwerks aufgedrückt ist, da rechtfertigt sich vollständig die Aufbewahrung zu selbständiger Existenz.Auch sind sehr wesentliche Veränderungen hinzugekommen. Kein Mensch verdenkt es dem Lyriker, welcher seine Gedichte, nachdem sie in Zeitschriften einzeln erschienen, nochmals in einer Sammlung herausgiebt; warum soll für ein Kunstwerk in Prosa anderes Recht gelten?

Mit Absicht betonen wir den Ausdruck »Kunstwerk« bei Steubs Schilderungen; denn ihre bleibende Bedeutung liegt in ihrer Form, welche sie von inhaltlich ähnlichen Reisebildern und ethnographischen Skizzen sehr wesentlich unterscheidet. Es ist keine leichte Aufgabe, die Eigenthümlichkeiten eines Menschen, so auch die eines literarischen Menschen, d. h. also eines Stils, so lebhaft wir sie empfinden mögen, in klaren Worten zu fixiren, und bei einem Humoristen wird das Problem wegen der Complicirtheit dieser ganzen ästhetischen Kategorie noch viel schwieriger. Es fällt uns nicht ein, es hier an dem Steub'schen »Charakterkopf«, – wie der modernste Terminus lauten würde – so im Vorübergehen lösen zu wollen. Nur die Bemerkung mag gestattet sein, daß die glänzende und eigenartige Wirkung seiner Sprache gewiß zum großen Theil in der concreten, lebendigen Sinnlichkeit seiner Ausdrucksweise liegt. Wer sich jemals mit der Geschichte der deutschen Sprache beschäftigt hat, empfindet nicht ohne Wehmuth, wie dieselbe von Jahrhundert zu Jahrhundert an Frische, Farbe und – es giebt kein anderes Wort dafür – an Sinnlichkeit abnimmt, genau um ebensoviel, als sie an geistiger Ausdrucksfeinheit, an spitzer Abstractionsfähigkeit zunimmt, ein mit der Entwickelung des Geistes nothwendig verbundener, und dessen Organ, die Sprache, wesentlich modificirender Proceß. So günstig nun diese wachsende Abstraction die Sprache für Politik, Recht, für die Wissenschaft überhaupt und ganz besonders für alle philosophische Wissenschaft geeigenschaftet hat, so nachtheilig ist diese Umgestaltung für alle unmittelbare Poesie, für Lyrik und für die beschreibende Prosa; viel frischer hat sich z. B. die englische Sprache erhalten (in ihrem germanischen Wortschatz), und hierin wurzelt ein Stück der Ueberlegenheit des englischen Romans gegenüber dem deutschen. Es ist nun interessant, in dem Stile Steubs zu verfolgen, mit welcher Sorgfalt er überall den abstracten, farblosen Ausdruck vermeidet, immer das concreteste und lebendigste Wort für seinen Gedanken sucht und dasselbe häufig in glücklichster Weise durch Wiederbelebung alter, noch lebensfähiger Formen oder auch in einer von sicherem Tact und correcter Schule geleiteten Neubildung findet. Beides, Tact und Schule, sind hierzu allerdings ganz unerläßlich, wenn man nicht in die Gesuchtheit archaistischer Manier oder gar in die Blamage unrichtiger Sprachbildung verfallen soll; sind aber jene Voraussetzungen gegeben, so wird jeder Einsichtige die günstige Wirkung und das Verdienst solchen Bestrebens anerkennen.

Was nun die besondere Natur des Humors dieses Humoristen anlangt, so hätten wir darüber wohl noch manche Betrachtung auf dem Herzen, auf deren Darlegung wir jedoch hier verzichten müssen. Nur eins wollen wir noch andeuten: der Reiz, aber leugnen wir es nicht: – auch die Gefahr dieser Art von Humor scheint in einer so starken Zumischung von Ironie zu dem eigentlichen Humor zu bestehen, daß der Charakter letzterer Kategorie dadurch manchmal alterirt wird. Es versteht sich ja, daß der Humor die Ironie nicht ausschließt, sondern voraussetzt; doch der Humorist kehrt die Ironie nicht minder gegen sich selbst als gegen die andern, er behandelt die Welt als ein Thorenreich, aber sich selbst als der Thoren Obersten. Darin liegt denn auch das Versöhnende und Wohlthuende des Humors im Gegensatz zu Satire und Ironie, und es ist kein Zweifel, daß die mächtige Wirkung von Dickens auf das Gemüth (abgesehen von der meisterhaften Verwendung der Wehmuth durch diesen Autor) vorzüglich in dieser Gutmüthigkeit seines Humors wurzelt. Wenn wir nun auch keineswegs behaupten können, daß jene Selbstironie und diese Gutmüthigkeit dem Steub'schen Humor fehle, so sind beide doch ungleich schwächer in demselben vertreten als die polemische Ironie gegen andere und der Sarkasmus; Steub steht hierin z. B. viel näher bei Thackeray denn bei Dickens. Und da nun nach löblicher nationaler Gepflogenheit ein richtiger deutscher Kritiker erst dann mit Befriedigung die Feder aus der Hand legt, wenn er seinen Autor unter eine tönende Formel rubricirt hat, so wollen wir uns jenes angenehme Gefühl, dem Leser aber die Absolution von diesem Artikel gewähren, indem wir Steub als einen sarkastischen Humoristen bezeichnen.

 


 << zurück weiter >>