Felix Dahn
Ueber Ludwig Steub
Felix Dahn

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Das bayerische Hochland

München 1860.

Es ist immer eine Freude, wenn der rechte Mann das rechte Buch schreibt. Manchmal macht sich ein guter Kopf an eine schlechte Aufgabe, manchmal ein schlechter Kopf an eine gute; beides ist gleich betrübsam. Um so erfreulicher dagegen ist es, wenn eine offenbare Lücke von dem berufensten Arbeiter ausgefüllt wird. Und das ist geschehen durch »Das bayerische Hochland. Von Ludwig Steub.« (1860). Wirklich fehlte es bisher an einem Buch, welches den Wanderer in unser schönes bayerisches Bergland als ein unterrichtender und doch nicht beschwerlicher Begleiter geführt, der zu erzählen und zu verschweigen, zu belehren und zu unterhalten gewußt hätte. Freilich hat ein gar trefflicher, zu früh verstorbener und zu wenig gekannter Mann, der wackere Joseph Lentner, schon vor vielen Jahren das ganze Bayerland topographisch und ethnographisch inventarisirt. Er vereinte mit einer lebendigen malerischen und dichterischen Phantasie eine große Findigkeit für ethnographische Eigenthümlichkeiten, einen scharfen Blick für die feinsten Charakterzüge unseres Volkes mit wohlwollendem Humor und freier Gesinnung. Viele Jahre lang bereiste er im Auftrag des damaligen Kronprinzen, jetzigen (1860) Königs Max, Ober- und Niederbayern und Schwaben, und lernte so durch unermüdlichen Eifer und durch große Geschicklichkeit im Verkehr mit allen Geschlechtern, Altersstufen und Ständen des Volkes den ganzen weiten Kreis bäuerlichen, marktlichen, kleinstädtlichen Volkslebens in Altbayern in einem Grade kennen, der vielleicht nur von unserem großen Schmeller übertroffen wurde. Leider aber entraffte ihn der Tod, ehe die umfassenden, von ihm gesammelten Materialien zur Veröffentlichung reif gearbeitet waren; doch sind dieselben nicht ganz verloren; sie bilden zum Theil die Grundlage der ethnographischen Schilderungen, welche ich in dem ersten Halbband der »Bavaria« über Oberbayern mitgetheilt habe. Vielfach erinnert nun an Lentner sein Genosse Ludwig Steub, der uns die Abschweifung von seinem Buch zu Ehren und Lob des verstorbenen Freundes gewiß gern zu gute halten wird. Steub hat nicht die reiche poetische Ader Lentners, aber er übertrifft ihn weitaus an schlagendem Witz und mehr ironischem als billigendem Humor.

Es war aber ein äußerst glücklicher Griff, daß sich derselbe zu einer topographisch-ethnographisch-historischen Schilderung unseres Hochlands entschloß. Er brachte zu dieser Arbeit die wichtigste Voraussetzung mit: eine genaue Kenntniß von Land und Leuten auf Grund ausgedehnter sprachlicher, geschichtlicher und ethnographischer Studien. Dabei ist er, was für die Wahrheit seiner Schilderung und die Richtigkeit seines Urtheils schwer in's Gewicht fällt, völlig frei von dem zweideutigen Talent vieler berühmter und nicht berühmter Ethnographen und Culturhistoriker, alles und jegliches, Sitte und Unsitte, Sinniges und Unsinniges, Gemüthliches und Rohes in dem Lande und Volk das sie schildern, ganz allerliebst und völlig in der Ordnung zu finden: für solche ethnographische Schönfärber sind die Verhandlungen unserer Schwurgerichte und die Ergebnisse unserer Criminalstatistik Quellen, die sie den »Pedanten« überlassen.

Steub kennt die Schattenseiten in unserm Volkscharakter, die dumpfe Rohheit und Selbstsucht des Bauernlebens und andere traurige Folgen der Gegenreformation des XVII. Jahrhunderts, und er verschweigt sie nicht; man hat also bei seinem Buch den seltenen Vortheil, die Leute kennen zu lernen, nicht wie sie sein sollten, sondern wie sie sind. Er theilt das ganze Gebiet seiner Schilderung in Osterland und Westerland. Das Osterland gliedert sich wieder in die Gruppen zwischen Isar und Inn, welche wir zuerst auf der Eisenbahn von München nach Kufstein durchfliegen und dann in den reizvollen Thalgebilden von Tölz, Lenggries, Schliersee, Miesbach und dem Gebiet der Loisach kennen lernen. Das Land zwischen Inn und Salzach bildet die andere Hälfte des Osterlandes. Hier führt uns die Eisenbahn von Rosenheim nach Traunstein, wir besuchen dann die Ufer und Inseln des herrlichen Chiemsees und das jetzt so viel bepilgerte »Gelobte Land« von Reichenhall und Berchtesgaden. Im Westerland zwischen Isar und Lech lockt vor allem das an die italienischen Seen erinnernde festliche Becken des Starnbergersees. Von da wandern wir nach Benedictbeuern und Mittenwald oder über Weilheim nach Partenkirchen und dem Ammergau mit seinem Passionsspiel, dessen Beschreibung kaum noch ein schreiendes Bedürfniß heißen kann. Den Schluß bilden Fürstenfeldbruck, Grafrath, Greifenberg, Andechs, Dießen, Wessobrunn, Peißenberg, Steingaden und – last not least – das romantische Hohenschwangau. Gleichsam die Ouverture zu dem Ganzen giebt eine Einleitung, welche einen Blick über die geistige und leibliche Physiognomie unsres Bergvolks und eine Schilderung von Tracht, Lebensweise, Sitte, Sage und Aberglaube des Bauernthums gewährt. Natur- und Landschaftsschilderungen wechseln in dem Buch mit historischen Bildern, die Subjektivität des Verfassers unterbricht häufig, bald mit ernsten Klängen, bald mit echtestem Humor, aber niemals störend den Verlauf der objectiven Darstellung, und es liegt hier der seltene Fall vor, daß die Kritik an einem ganzen Buch höchstens kleine Berichtigungen anzudeuten, besonders vielleicht manche Auslassungen zu beklagen, aber keine wesentliche Ausstellung zu machen wüßte. In der That ist seit langer Zeit keine literarische Erscheinung mit so übereinstimmender Freude aller Leser, der kritischen und der harmlosen, aufgenommen worden.

 


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