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III.

Und ward da alsbald sowie die Riesen Freia und den Hammer aus der Berghöhle, wo sie beide verwahrt gehalten, hervorgeholt und den Göttern übergeben, ein großes Doppelfest gehalten zu Freias Befreiung und Miölnirs Heimholung in Thrudhwang, Thors Halle: denn dorthin hatte dieser alle Asen und Asinnen geladen, der Wirthe freigebigster und freudigster.

Aber schon nach dem ersten Meth-Horn stand Odhin auf von dem Ehrensitz und ging hinaus in die Nacht.

Baldur, der zu seiner Rechten saß und selten den Blick von dem Vater wandte, wann er nicht in Nanna's leuchtend Antlitz schaute, hatte wohl bemerkt, daß mitten im Lärm des Gelages und in der lauten Lust der Andern Allvaters Stirn jene leise Falte zusammenzog, welche immer sie furchte, wann er schwer dachte. Er dachte aber selten Leichtes seit die Mannesjahre über ihn gewachsen. Desto herzgewinnender aber war es, wenn dann, selten einmal, der reife gesättigte Gedanke die lange, reiche Erfahrung und überlegene Einsicht ein Lächeln zauberte über den Mund, dessen Schönheit der dichte Bart nicht völlig barg: und wenn ein Strahl von Siegesfreude, wie ein Sonnenblick aus dunklem schwerverhangnem Gewölk, leuchtete aus den meer-grauen Augen: denn damals hatte er noch nicht das rechte Auge eingebüßt: sagen werde ich am rechten Ort, für wen und um was er es später geopfert.

Nicht fern von der Halle Thors ragte ein Hügel, einsam, von Föhren bestanden, mit Steintrümmern überstreut.

Dort sah Baldur, aus der Hausthür in's Freie tretend, – der Mond brach gerade durch zerrissen flatternd Gewölk – den Vater auf hochragendem Felsen sitzen, den Speer über die Schulter gelehnt: lang und gewaltig warf das bleiche Licht den großen Schatten auf den Hügel.

Leicht war und leise des jungen Gottes Schritt, der von rückwärts nahte: aber Odhin errieth ihn, ahnender Seele.

»Du bist es, mein Liebling unter meinen Söhnen und allen Göttern. Lieber theilst du als der Genossen laute Lust des Vaters einsame Sorge. Setze dich zu mir. Habe Dank, mein Sohn.«

»Dank?« lächelte dieser und legte das schöne Haupt auf die Schulter des Vaters. »Meiner Liebe zu dir folge ich. Ich thue wie ich muß.«

»So thun wir Alle. Auch Blume muß blühen und Natter schleichen und beißen. Aber wir loben und lieben die Blume und wir hassen und zertreten den Giftwurm, weil ihn seine Art zu beißen zwingt. Wir lieben was lieblich – wir hassen was häßlich.«

Da sprach Baldur bedenklich: »du hast heute gethan, wie Loki rieth, mein Bruder«.

»Nicht nenne ihn Bruder!«

»Du bist sein Vater wie meiner.«

»Ich gäbe meinen Schildarm darum, wäre er nicht.«

»Wenig von dir ging auf ihn über.«

»Nur die Wildheit, die in der Jugend in mir tobte.«

»Wildheit? Das herrliche Brausen, das noch jetzt dich dahinreißt, wann du zur Wintersonnenwende dahinfährst an deines Geleites Spitze und die Holzfrauen jagst im Walde und vor dem Hauch deines Mundes die dicksten Stämme splittern! Oder wann du die Walküren anführst in die Mordschlacht der Männer! Von wem kam Loki der Haß und der Trotz?«

»Von seiner Mutter! – Nicht immer, mein Liebling, war ich reif und weise wie heute. Reich fluthende Wogen brausten in mir, oft widerstreitende. Ein mächtig Harfenspiel unzähliger Saiten war ausgespannt in meiner Brust – bald ließ ein Weib die silberne hell, bald ein andres die dunkle tief dröhnend erklingen – bald lockte Gunlödh, bald der Alfinnen eine mich an. Du freue dich, mein sanfter Sohn! Vom Knaben an hat nur das Eine Bild dir die Seele gefüllt.«

»Nicht könnt' ich es anders denken. Ein einzger Klang ist meine Seele: – Nanna der Gegenklang. Aber in Allvaters Brust – ich kann es verstehen – liegt die Fülle der Töne schlummernd beschlossen: – du bist der Sturm und bist das Säuseln, du bist der Kampf und bist der Friede.«

»Ich war nur Kampf in der Jugend Gluth. Die Söhne und Töchter, die ich damals gewann –«

»Sie spiegeln die wechselnden Kräfte in dir« –

»Ja, viel widerstreitend. Und seine Mutter« –

Tief auf athmete Odhin und schwieg.

»Vergieb, bat Baldur, daß ich leidige Gedanken herauf dir beschwor.«

»Nicht du beschworst sie: aus der eigenen Brust tauchen sie immer wieder auf. Irrthum, Wahn und Schuld tilgst du nie völlig wieder aus deinem Leben. Du freilich, Schuld-Reiner, – weißt davon nicht.

Ein dunkler Stein, in den klaren See gefallen, schwimmt wohl nicht oben auf der Glätte: aber unten bleibt er im Grunde, und tiefer Wellenschlag wälzt ihn dort, das Wasser trübend, hin und her. Und auch bei hellstem Sonnenschein wirft er von Unten schwarze Schatten nach dem hellen Spiegel. Glaubst du, umsonst ist diese Stirn so furchengespalten? Einst war sie glatt wie die deine. Kampf, Zorn, Haß, Schuld, Reue, Gram um eigne Thorheit und fremde und ach – um das Weh der ganzen Welt, der Götter, Alfen und Menschen – ja auch der Riesen! – haben diese Falten getieft und Haar mir und Bart vor der Zeit bereift. Denn alles Weh der Welt – ich empfind' es mit.«

Und leise fingerte der tiefe Gott an der kleinen dreieckigen Harfe, welche neben ihm lehnte an dem Felsen.

»O mein großer Vater! – – Zwar Bragi, mein helltönender Bruder, hat die Skaldenkunst von dir geerbt oder gelernt: und gerne lausch' ich seinen freudigen Klängen, wann er von Liebe, Lenz und Siegen singt.«

»Wenig gefällt mir, unterbrach Odhin kopfschüttelnd, Bragi's Gesang. Er singt ganz hübsch – wie's den Weibern gefällt – von Scherz und Liebe: – aber er meidet ängstlich, in jenes Dunkel hinab zu leuchten, welches in der Welt und in der Herzen Tiefen ahnungsvoll, erhaben, ja selbst schreckhaft schläft. Denn nur wer das Tiefste aufrührt in der Brust, daß das Herz verzweifle, stürme, jauchze, nur der ist ein echter Sänger: fortreißen muß er dich, schicksal-nothwendig, wie die Helden der Siegesrausch, in lohende Begeisterung! Bragi ist kein großer Held – nur ein kleiner: ein großer Sänger aber ist nur ein großer Held: ein Held des Schwertes oder des Gedankens. – Ein Speerschwinger wird einst der größte aller Sänger auf Erden.«

»Darum bist du und bleibst aller Dichtung oberster Meister! Du bist der ganze Regenbogen aller Liedfarben – Bragi nur das helle Roth daraus – du bist der Taghimmel voller Sonnenstrahlen: aber auch, schöner noch und ahnungsvoller, der dunkle Nachthimmel: bald mit mildem Mondglanz und bald mit schrecklich funkelndem Nordlicht: und alle ungezählten Gestirne gehn leuchtend in dir auf und nieder. – Neulich schon, als du einsam auf der Klippe saßest am Haugar-Fjordh, vernahm ich Stücke eines neuen Gesanges, den du ersonnen: traurig klang es, unsagbar traurig: und doch so herzbezwingend schön. Wenig verstand ich – verlorene Worte – Wind und Wellen vertrugen den Schall –: Vater, sing mir das traurige Lied!«

»Noch ist's nicht vollendet. Ich singe es weiter, wie Thaten und Leiden und Weisheit mir wachsen. Doch vernimm das Gedicht, so weit es gedieh.

Es seufzt meine Seele in unsäglichem Jammer
Um des Schmerzengeschlechts, um der Menschen Geschick.
Denn was in der Welt von wechselndem Wehe
Brandend sich bricht in jeglicher Brust –
Mitempfinden, mitdurchkämpfen,
Mitdurchklagen muß ich es Alles. –
Alles, Alles – denn geheißen
Bin ich Allvater:
Bald des besiegten bessern Mannes,
Den ein Böser bezwungen,
Bitter beißenden Seelenbrand,
Wie er grollend in Todesgram
Flucht dem grausamen Schicksal –
Bald des Liebenden tödtlich Leid,
Der in leere Luft mit den Armen langt,
Dem langsam das Leben verlodert
An nie verlöschender Sehnsucht Licht: –
Und der Wittwe Wehklage,
Der Waisen Weinen
Und der versinkenden Seele
Letzten schrillen Verzweiflungsschrei –
All dies Elend, öd und endlos,
Es empfindet's mit Allvater.
Und wie wenig wollen dawider
Ach die winzigen
Wonnen wiegen,
Die wie verwehte Rosenblätter
Wogen auf weiten, weiten Wellen,
Auf des Wehs unendlichem Ocean. –

Heftig riß der Gott, abschließend, an der Harfe –

Schrill zersprang eine Saite.

Schweigend, schmerzvoll blickte er vor sich hin.

Liebkosend schmeichelte Baldur mit leiser Hand zaghaft des Vaters Kinn.

»Hohes, heiliges Herz, – wie tiefe Trauer trägst du!«

Odhin aber sprach vor sich hin, mehr zu sich selber als zu dem ehrfurchtvoll lauschenden Sohn:

»Unendliche Zeit schon sinn' ich und grüble und frage mich selbst und alle Wesen, die ich weise wähne: wie ward die Welt? wie erwuchsen die Asen? Was ist vor dem Anfang, was ist nach dem Ende? Weßhalb muß ich wollen, wie ich will? So oft ich Hugin ausgesandt um Antwort, – er flog bis an den Rand der Welt –: flugmatt kehrte er wieder und schweigend. Er schoß hoch empor in das unendliche Dunkel der Sternennacht – betäubt, wie gelähmt, fiel er jedesmal zurück in meinen Schos. Lange muß er ruhen nach solchem Flug, eh' er die Schwingen wieder regen kann.«

»O mein Vater – daß solches Grübeln nicht dein Haupt zersprengt!«

»O mein Sohn, vorher noch könnte solches Weh mein Herz zersprengen! Mein Herz ist fest – ein Götterherz. Aber wehe den Menschen, den staubgeborenen, wenn solches Grübeln, solch antwortloses Fragen sie ergriffe: und so viel Weh in den wenigen Antworten! Arme Menschheit! Im tiefsten Seelengrund erbarmen sie mich. Jüngst wollte mich Loki gegen sie erbittern: »tilge sie aus, rieth er, die Undankbaren! Schon wagen die winzigen Wichte zu zweifeln, ob du seiest, ob Götter leben und herrschen. Ich hörte sogar einen König sagen, er glaube nicht an dich und Thor, er glaube nur an sich selbst und sein Schwert.« Ich aber sprach zu Loki: »Ich kann ihn nicht darum schelten. Gerecht war seine Sache; Reich hatte er mir um Sieg geopfert – ich wollte ihm den Sieg geben. Ich schüttelte die Runenlose in meinen Helm, das Schicksal erforschend – aber diese furchtbare Gewalt, die stumm bleibt auf alle meine Fragen, stumm gegen meinen Zorn, taub gegen meinen Vorwurf, hatte seinem Feind, dem Neiding, den Sieg zugetheilt: mein Liebling, der edle König, verlor Sieg und Reich und ging landflüchtig in's Elend.

Ich mache ja nicht das Schicksal, – so wenig ich die Welt gemacht: ich kann nur das Schicksal erforschen – und die Welt –: so weit sie erforschbar sein wollen.

Mächtig bin ich, nicht allmächtig, weise, nicht allwissend, gut – ach, nicht allgütig! In den Schranken, die das Schicksal gesetzt, kann ich wohl allerlei schalten und walten, zaubern und wundern, aber nur gemäß dem Geschick, nicht trotz dem Geschick!

Flehentlich bat mich jüngst Frigg, deine herrliche Mutter, das Kind des besten Jarls in Gautaland, das giftige Beeren im Walde genossen, vom Tode zu retten: vor mir auf den Knieen lag des Himmels hohe Königin: an ihres Kindes Lager kniete die edle Frau des Jarls und flehte in ihres Herzens qualvoller Angst und schrie laut zu Frigg und zu mir und raufte ihr goldhelles Haar: – ich sprang vom Hochsitz ungestüm, riß die eherne Wage herab, die oberhalb unsers Herdes hängt, und wog des herrlichen Knaben Los –: Tod war sein Geschick. Und zornig schleuderte ich die grausamen Schalen von mir. Und da das arme Kind doch unrettbar Hel verfallen war, schloß ich, mit sanfter Hand über sein Haupt streichend, ihm rasch die Augen – und den Schmerz. Das durfte ich, ohnmächtiger Herrscher des Himmels!

Frigg weinte helle Thränen um den Knaben, um das herrliche Aeltern-Par. Wenig war es wahrlich für die obersten der Götter, daß wir auf die verzweifelnde Mutter tiefen Schlaf der Betäubung senken konnten, bis der kleine Hügel gewölbt war: nicht viel, daß wir nach zehn Monden der Trauernden ein andres Kind an die Brust legen dürfen.

Und jene jammervolle Frau – hat sie Frigg geflucht? Hat sie an Odhin's Dasein gezweifelt? Frommer ist der Frauen als der Männer hartes Herz! Den Hügel des Lieblings kränzte sie mit Blumen und dankte den Göttern, daß sie das Kind nicht länger leiden ließen. Und dankt Frigg für den Trost, den sie unter dem Herzen fühlt. Und dankt Odhin, daß er ihr den Gatten siegreich aus der letzten Schlacht zurückgeführt hat.

Ich verhüllte mein Haupt, als ich den Dank vernahm: – denn ich weiß es –: er muß fallen in dem nächsten Kampf.

Nie wird das Kind, das wir ihr zum Trost geschenkt, des Vaters Antlitz schauen!

Das ist unsre Macht, wir unseligen Götter! Was wir als Wohlthat erweisen wollen – wird zu neuem Weh!

Und doch noch verehren uns dankbar die Herzen der armen Sterblichen. Wahrlich, hätte ich gewußt, als ich in warmer Wallung des Herzens aus Esche und Erle die Menschen schuf nach unserm, der Asen, Bild, auf daß Midhgardh nicht leer und öde stehe, sondern belebt sei von athmenden, jauchzenden Wesen, hätte ich gewußt, zu welch' unabwendbarem Weh ich sie geschaffen: – die Esche und Erle ragten noch heute, wo ich sie gefunden am Meerstrand.

Glücklich die Bäume und glücklich die Thiere!

Sie müssen, wie die Menschen –: aber sie wähnen doch nicht, frei zu sein. Sie entbehren die Wonne, von sich selber zu wissen, diese stolzeste Ebenburt mit uns Göttern, welche ich – zu allerletzt erst – den Menschen verlieh. Aber der Wolf, der das Lamm zerreißt, kennt nicht die Reue! Der Mann aber, der im Jähzorn den Freund erschlug, verflucht sich selbst um die That, die er so wenig lassen konnte wie der Wolf des Lammes Zerfleischung. Der Mann zerfleischt sich selbst mit seinen ihn verklagenden Gedanken. Er haßt sich selbst! Wohl ihm, wenn Wahnsinn ihm der Schrecken Schrecklichsten verschleiert –: den Selbst-Haß. Er kann sich tödten, ja! Aber, streckt er sich als Leiche neben den geliebten Todten, – weckt er ihn dadurch wieder auf? Selbsthaß! Du bist schrecklicher als aller Riesen Wuth! Auch Odhin hat ihn gekannt. Und hat er ihn ausgetreten in seiner Brust? Die Reue ist die Wurzel, welche immer wieder wächst, so oft Sühne sie heraus gerissen wähnte. Und doch ist sie des Wahnsinns Zwillingsschwester. Das ist des Schicksals grausamste Qual, die es in Götter und Menschen-Brust gelegt: die That ist nothwendig und die Reue nicht minder. Oder bezeugt die Reue, daß die That nicht nothwendig war? Es ist schon Wahnsinn, das zu denken. Kann geschehen, was auch nicht geschehen konnte? Konnte es werden, – mußte es nicht schon sein?

Sieh dort unten, in dem Wipfel des Baumes, die Eule, welche den schlafenden Vogel ergreift: – ein einziger Jammerschrei –: sie zerdrückt ihm das Köpfchen –: eine Nachtigal ist's – War es! –

Bragi, dem sie geweiht, hat sie nicht geschützt: – hörst du, wie sein Lachen heraus tönt aus der Halle! – Nicht viel hat sie gelitten, die Nachtsängerin! Heute fand sie die Gattin. Morgen sollte der Nestbau beginnen. Sie träumte davon. Sie kannte den Tod nicht – wie die Menschen ihn kennen.«

Odhin schwieg: aber Baldur wagte nicht, zu sprechen. Ihm waren die Worte vergangen.

Da hob Odhin wieder an. »Das war mein wohlthätigstes Werk, daß ich den armen Menschen in die Brust den sichern Trost gepflanzt habe: sie leben auch nach dem Tode.«

»Ja, Vater! Und herrlich leben ja auch in Walhall deine Einherjar.«

»Die den Bluttod gestorben. Aber die den Strohtod sterben? – auch ohne Schuld der Feigheit? Und alle Weiber? O Baldur – finster und freudlos ist Hel!«

»Wer war schon in Hel?«

Schaudernd, in leisem Frost sich schüttelnd sprach Odhin: »Niemand der lebt! Ausgenommen die Nornen. Jüngst träumte mir – ich müsse, die letzte Weisheit zu erfahren, hinab nach Hel, zu den Nornen. Ich schrie auf vor Grauen im Schlaf. Erschrocken weckte mich Frigg. Grauenhaft! Wenn dieser Traum –!«

Und abermals zog eisiges Frösteln durch des hohen Gottes innerstes Mark.

»Herrlich in Walhall herrschest du, Vater!« rief, ängstlich seine Hand fassend, Baldur.

»Wie lange, mein Liebling?«

»Ewig, mein Vater!«

»Ewig! Das Wort ist leer und dunkel wie die Nacht.«

»Es ist unendlichen Lebens voll! Den Göttern nahet nie der Tod.«

Da legte Odhin plötzlich wie beschützend beide Hände auf des Sohnes goldgelocktes Haupt: »O du mir theurer als mein Augenlicht!« –

»Vater, was ist dir?«

»Nichts! – Aber das wisse, daß ich meine Augen, beide, hingäbe nicht nur für dein Leben – nein: schon dafür, dir deine jauchzende Zuversicht zu erhalten.«

Und nun fuhr Odhin, den Speer fester ergreifend, fort: »Ewig! das ist der Runen Geheimnißvollste!

Unerforscht: – aber unerforschbar? Laß uns doch weiter grübeln! Und weiter leben und –: kämpfen.

Vielleicht findet sich doch noch das Wort, welches alle Räthsel löst, der Trost, der Odhin tröstet und alle Asen und Menschen für jeden Jammer, der jetzt untröstbar scheint, der goldene Klang, in welchen, friedlich versöhnt, all die widerstreitenden Mißtöne ausklingen des unendlichen Harfenspiels der Welt. Laß uns suchen, mein Sohn, tragen und kämpfen.

Hold ist Hoffnung, aber höher als Hoffnung ist Heldenthum.«

Odhin schwieg: – ehrfürchtig zu ihm auf blickend schwieg auch der Sohn. –

In der Halle Thors schien das Fest zu Ende zu neigen.

Man hörte, wie viele Gäste die Bänke zurück schoben und sich erhoben, das Scheide-Horn, dem Wirth laut Dank rufend, zu leeren.

Die Pforte öffnete sich: Loki trat heraus: er hob seinen rothen Mantel mit beiden Händen in Hauptes Höhe: da war seine Gestalt verschwunden: aber ein Feuerstern flog glühroth durch den Nachthimmel auf die Erde: dort auffallend verschwand er versinkend; niemand weiß, wo unter der Erde Loki's Wohnungen liegen.

Leise lächelte Odhin ihm nachblickend: »Uebles rieth er, übel gesinnt. Aber mich lüstet, den Listgen zu überlisten. Wie oft schon auch diesmal wend' ich zum Guten, was zum Bösen er braute. Wie die Flamme frißt, läßt man ledig sie laufen, aber, mächtig und muthig gemeistert, wohlthätig wärmen muß und lieblich leuchten, ihrem Wunsch und Willen zuwider, –: so brauch' ich des Bösen Willen zur Wohlthat. Er wähnt, sich selbst überlassen müssen die Menschen bald sich selber verderben, auch ohne Angriff der Riesen: denn Wenige sind ihrer geworden und Feindschaft und Fehde wüthet unter den Wenigen. Aber ich habe aus geheimen Runen gelesen einen Spruch von meinen Lieblingen unter den Menschen: ich weiß: es ist auch dein wie Friggs und Thors Lieblingspar:

»Hat Harald der Held
Sich Hilde die Holde
Gewonnen zum Weibe: –
Für fernste Frühlinge
Zeugen und ziehen
Sie treffliche Töchter
Und siegende Söhne.«

»Lieblich tönt, wohllautend, das Wort, o Vater. Doch wehe dem » Wenn«, das listig drin lauert! Taugt ein Trost, der in: »Wenn!« sich wiegt?«

»Klug sprichst du, Klarer. Wagen muß wahrlich, wer auf Zukunftworte wölbt sein Werk. Aber diesmal wagte ich wenig. Die Riesen und Loki wähnen die Beiden für immer getrennt: von schwerster Gefahr umhüllt den Helden, Hilde die Holde seinem falschen Feinde verfallen. Aber nicht müssig war meine Macht gewesen. Geholfen heimlich hatt' ich – vor dem Vertrag – dem Helden: und Hugi den Hurtigen hatte ich entsendet, Botschaft zu bringen, wie bis hieher, bis heute ihr Geschick sich gestaltet. Gerade recht rauschte der Rabe zurück und meldete mir die köstliche Kunde:

»Harald der Held
Hat gefangen den Feind,
Hat ihm rettend entrissen
Hilde die Holde,
Zur Vermählung mag
Er bereiten das Brautbett!«

»Doch weh, wenn die Riesen es vorher zerreißen mit wilder Gewalt?«

Da legte Odhin sieghaft lächelnd die Linke auf des Sohnes Schulter:

»Darum hab' ich ja die Derben mit schweren Schwüren gehemmt und gehindert, Gewalt zu gebrauchen. Sie achten die Eide, die redlichen Riesen: überlistet ist Loki: nichts hemmt Harald von Hilde!

Fröhlich bewegt sprang Baldur auf:

»Heil, herrlicher Herrscher! Sieh, es neigt sich die Nacht: schon schimmert im Osten das freudige Frühroth: es grüßen dich Großen, bevor sie erbleichen, mit Neigen dich nochmal alle Gestirne. »Siegvater!« so singt man dich rühmend mit Recht. Ewig wirst du der Weiseste sein.«

Auch Odhin erhob sich: und zog, den dunkeln Mantel zurückschlagend, tief in die breite gewaltige Brust, den kühlen Hauch des beginnenden Morgens: »Gesiegt ist für diesmal, mein seliger Sohn. Aber ich träume traurige Träume.

Was künftig kommt, – ist keinem verkündet. Mich zehrt die seufzende Sorge. Sie will nicht weichen! Nicht versprach der Spruch ewiges Alter. Vergeblich forsch' ich, vergeblich frag' ich: »Ist Weh oder Wonne als Ende von Allem den Göttern gegönnt? Was wird noch aus Walhall? Was wird aus der Welt?«

*

Schwer fällt mir nun auf das Herz die Sorge, ob ich dies Schreibwerk fort führen soll.

Denn nun, da ich so weit geschrieben, erkenne ich erst: kunstloser Mann soll von Kunst lassen.

Ungeschult und ungeschickt habe ich angefangen nicht am Anfang, sondern mit der Mitte.

Jetzt muß ich erst erzählen Alles, was geschehen war vor jener Zwiesprach zwischen Göttern und Riesen, mit der ich anhub.

Und wohl ist das schlecht gefügt: und die Skalden würden mich schelten, wenn sie dieses verworrene Gewebe der Rede sähen. Aber ich bin ja kein Skalde: und ich schreibe, ohne Skalden Kunst, nur für dich, mein lieber Sohn.

Du aber wirst nicht danach fragen, ob die Schale kunstvoll gegossen, sondern ob der Trank würzig sei, der die Schale füllt.

Und ich hörte diese Sagen auch nicht der Reihe nach, sondern bald dies, bald jenes Stück, wie es in den Hallen der Könige und Jarle verlangt wurde von meinem Vater.

Und wie sie mir nun nach einander in die Gedanken treten, so schreib' ich sie nieder – Kunst ist nicht dabei.

Auch schreib' ich gern, wo sie mir noch einfallen, die Liedstäbe: obzwar sie dann wieder gar nicht taugen zu der schlichten Rede.

Denn noch klingt mir im Ohr und in der Seele des lieben Vaters Wohllaut volle Stimme, wie sie bei den Stäben erklang –: dann kann ich sie nicht auslöschen in schlichter Rede, nicht sie schweigen heißen.

Als ich in Sachsland fuhr in jungen Jahren, kam ich in ein Kloster: da nahm uns der Abt in Sold für viele Monate, mich und meine Segelbrüder, obzwar wir Heiden waren, ihm zu helfen gegen seinen Nachbar, einen Markgrafen.

Und blieben wir da Herbst und Winter; und las uns da der Abt an den langen Abenden vor der Wintersonnenwende aus einem lateinischen Buch, übertragend in Sachsensprache, die wir meist verstanden, schöne Heldenthaten vor: von einem frommen Helden, der, landflüchtig aus verbrannter Königsburg entwichen, in fremden Landen umherfuhr mit seinem jungen Knaben, eine neue Stadt zu gründen. Das war Alles so kunstvoll aneinandergereiht wie eine Perlenschnur: und wunderhafter Reiz schwebte um jene Runen und holde lächelnde Schönheit.

Und war da auch viel Rede von Heidengöttern und Heidengöttinnen, welche unter einander haderten und für und wider die Menschenhelden stritten.

Aber dort ist Alles ganz anders als bei den Walhallgöttern.

Das ist dort nur wie ein heitres Spiel: und wenn sie noch so laut gegeneinander schelten – man erräth doch, daß sie sich alle wieder versöhnen und in seliges Lachen löst sich hell der Himmlischen Hader, das klar erklingt durch die goldenen Säle.

Wenn ich nun hier schreibe von Odhin, muß ich immer denken wie dies so ganz anders ist.

Nicht hold, nicht lächelnd: stolz und traurig: traurig, um des Edeln Untergang unten auf Erden und oben in Asgardh: unendlich traurig! Kein heitres Spiel: bitterer Ernst, grausamer, ist es hier, mit Tod und Schicksal und Verderben.

Und nicht Lächeln, – eisiges Grauen überkommt mich, wie ich es schreibe.

Aber mir ist dies Grauen lieber als jenes Lächeln: es ist das selige Grauen, das den Helden berauscht in seiner letzten Schlacht, bevor er stirbt –: im Siege. Schaurig: und doch schön, weil auch der Untergang so stark und stolz getragen wird. Jenes Wort von Odhin tönt mir immer durch die Seele: »hold ist die Hoffnung, höher das Heldenthum.«

Wenn das Alles nicht so traurig wäre – und nicht so gefährlich dazu! – ich würde mir die Mühe des Schreibens erleichtern und deine holde Tochter, mein lieber Sohn, meinen Herzensliebling Gydha, Gydha mit den leuchtenden, goldenen Augen, die Schreibkunst lehren – denn sie hat ja schon den zwölften Winter vollendet –: und dann könnte sie mit ihren kleinen, weißen, geschickten Fingern schreiben, was ich ihr vorspräche.

Aber sie soll nicht – oder doch noch nicht – wissen von den alten Göttern.

Ihre Mutter, die nun sieben Jahre unter dem Hügel liegt, blüht wieder auf in dem Kinde mit dem goldenen Haar und den goldenen Augen.

Schweigen würde sie freilich: sie schwatzt nicht.

Still und sinnig ist ihre Art.

Aber ich will nicht das junge Herz mit so schweren Gedanken belasten und nicht sie verlocken zu den alten Göttern.

Denn wahr ist es wohl, was der Bischof besorgt: es ruht ein starker Zauber, der zu den alten Göttern zwingend zieht, in diesen Sagen.

Ich selber, während ich dies schreibe, denke immer weniger an die Heiligen, immer heißer an Walhall.

Das soll nicht kommen über das Kind: Zwiespalt und Zweifel nicht zerre die Zarte zwischen den Engeln und Odhin.

Schwebet, ihr beschwingten Scharen, die der Himmelsgott ausschickt, seiner Lieblinge Leben zu leiten, schwebt, ihr Engel, den Lichtalfen ähnlich, schützend und schirmend um das holde Haupt!

Kein Sperling, rühmt das breite Buch, fällt vom Dache, kein Haar von unserm Haupte ohne des Himmelgottes Willen.

So schütze, Himmelsherr, dies unschuldige, schön Kind!

Ich liebe es mehr als das Licht meiner Augen.

Laß sie nicht entgelten – denn ein zorniger, eifersüchtiger Gott sollst du sein, der die Sünde der Väter rächt bis in's siebente Glied – laß sie nicht leiden, wenn dein Zorn gegen mich entzündet ist, weil mein Herz hangt an den alten Göttern. –

Einen noch acht' ich treu und vertrausam, der mich abzulösen in dem schweren Schreibwerk dürfte dienen: Knut, meines Vaters Knecht.

Lang trotzte er der Taufe: ich mußte ihn zwingen.

Er haßt die Mönche und ... Aber ehe ich dessen alte steife Knochen die Kunst lehrte, Runen zu ritzen, – ehe lehrte ich einen alten Eisbär Messe singen.

Ich allein will's vollenden. –

Und so will ich denn nun erzählen, was geschehen war vor der Zwiesprach der Götter und der Riesen.


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