Felix Dahn
Odhins Rache - Friggas Ja - Die Finnin
Felix Dahn

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Die Finnin

 
Meiner lieben Freundin
Frau Malwine Twiß in Utrecht
zu eigen
 

I.

Weltverloren, fast jeden Tag im Jahre von Nebeln verdeckt, lag ein kleines Eiland in dem Busen, in den die Ostsee gen Norden verläuft.

Es trug keinen Namen. Denn wann der Sturm Fischer in die Nähe verschlug, trachteten sie gar rasch, weit abzukommen: so gefürchtet waren die Klippen ringsum; bei allen Winden raste dort die Brandung, den weißen Gischt sprühend über die schwarzen Zacken und spitzen Nadeln von Granit.

Ganz unbewohnt zwar schien die Insel nicht: man sah von der Fernsee her zuweilen dort Rauch aufsteigen.

Aber Menschen, so hieß es, hausten da nicht, nur böse Geister. Die mochten ja auch nicht fehlen dort: die allem Leben feindliche Öde konnte ihnen wohl taugen: lag der schmale, lang von Nord nach Süd gezogne Streif dieser sandigen Dünen doch ganz einsam, weitab von den Finnleuten im Aufgang und noch ferner von den Küsten von Svea-rike im Niedergang.

Und doch wohnten auch Menschen hinter jenem dunklen Geklipp.

Denn an dem Abend eines düsteren Herbsttages lag auf dem weißen Sande des Weststrandes ein junges Geschöpf: ein Weib: das bewiesen die langen Haare, die ihr schlicht, steif und straff auf den Rücken hingen: schwarz waren sie, aber unschön schwarz, mit einem Anflug von grünlichem Grau, dunkeln Binsen vergleichbar. Nichts andres bezeugte das Geschlecht: die Brust war flach wie eines Mannes; da blühte kein Reiz weiblicher Anmut in dem breiten, tief dunkelhäutigen, eckigen Gesicht, mit der stumpfen, eingedrückten Nase, den stark vortretenden Knochen der magern Wangen, mit den langgestreckten Kinnbacken und den kleinen schiefgeschlitzten Augen: – dieser Augen Farbe und Ausdruck freilich war wunderschön weich und seelenvoll; aber der Hals hob sich nicht genug aus den zu hoch gereckten Schultern, die ärmlichen Hüften waren auch für solche Jugend allzu schmal. Die ganze Gewandung, die sie trug, war ein Hemd, aus drei Seehundfellen ungeschickt mit Fischgräten aneinander genadelt; an des Gürtels Statt schnürte ein zusammengedrehter Zweig der zähen Strandweide das abgeschabte mittelste Hautstück fest: – die Haarseite trug sie nach innen gekehrt.

Das junge Geschöpf lag, auf der Brust, langausgestreckt, auf dem äußersten Streifen des Strandes, das Kinn in die beiden offnen Hände versenkt, die Ellbogen tief in dem lockeren Sande vergraben.

Sie schaute gen Westen, wo die Sonne versank in glutroten Windwolken. Denn wilder Weststurm hatte gewütet den ganzen Tag über: erst gegen Abend hatte das grimme Brausen in den Lüften sich beschwichtet. Aber die See! Noch stundenlang tobte sie nach. Kleine Fische, von der Gewalt der Wellen bis hierher mitgerissen zwischen Klippengürtel und Strand, konnten in dem kreiselnden Gewoge nicht vorwärts, noch zurück.

Deshalb fegte eine große, grauschwingige Möwe schrill kreischend dicht über das regungslose Mädchen und stieß nach der Beute in den weißen Schaum der Brandung: zuweilen spritzte der, vom Winde abgerissen auf dem Kamm der breit heranrollenden Woge, bis über Haar und Rücken der Liegenden hin.

Allerlei spülten die Fluten ans Land: loßgerißnen Seetang, Quallen, Muscheln: oft schlugen die zerbrochen, scharfkantig, ihr in das Gesicht, das Blut sickerte aus der dunkelbraunen Wange: sie spürte es nicht; sie rührte sich nicht.

Da rollte zwischen Seegras und allerlei kleinem Getier etwas Blinkendes heran auf dem feuchten Sand: aufprallend an einen Stein gab es hellen Klang: rasch, wie ein Raubtier, schlug die Ruhende die magre Rechte – wie eine Pranke – darauf und erhaschte das Ding so sicher, wie die Möwe den Fisch: sie hob es in die Höhe, daß die Sonne darauf schien.

Da glitzerte es. Es war ein kleiner Panzerring von Erz; ein Zeichen, das sie nie gesehen, war darein gehämmert. Wohlgefällig betrachtete das Mädchen das geringfügige Stück: sie hielt es immer wieder in die Sonnenstrahlen: sie freute sich, wie es so blinkte.

»Von den Göttern!« flüsterte sie dann ehrfürchtig. »Ja dorten, im fernen Westen, woher Wind und Welle heute kamen, und wo der schöne Sonnengott zu schlafen geht: – da wohnen sie, die Götter. Und ihre Söhne. Und alles Herrliche.

Die Mutter hat's oft erzählt. Ach wie schön muß es dort sein! Alles! Das Geschmeide, das Gewand, das Gewaffen! Frauen wandeln dort mit Haaren, licht wie die Sonne, mit Augen, hell wie der Himmel, mit einer Haut, weiß wie der Schaum des Meeres. Und die hohen Männer: so hoch sollen sie ragen wie unsere Birke, sagte die Mutter. Und über die Erde schreiten sie stolzen Ganges mit dem Schritte des Herrn: und wessen sie gelüstet, das nehmen sie sich mit den unwiderstehlichen Armen. Und Schmuck und Gerät in Menge haben sie aus diesem – wie soll ich doch sagen? – aus solchem Stein, wie dies da. Aber es ist nicht Stein: denn sie schmelzen's im Feuer und biegen es dann, wie sie wollen. So zwingen sie alles zu ihrem Willen: auch die Steine, sagte die Mutter. Sie hatte aus ihrer Gefangenschaft dort bei den götterentsprossenen Männern ein Stück mitgebracht von solchem geschmolznen Gestein: es war ein Stück der Kette, mit welcher sie die Erbeutete gefesselt hatten: aber sie liebte es. »Erz«, mein' ich, nannte sie's in der Sprache der Göttersöhne. Und jeden Abend vor dem Einschlafen hat sie es geküßt. Und ich: – ich küsse dies. Denn von den Göttern kommt es mir zu. Aber – verstecken! Sorgfältig! So! Unter den Weidengürtel! Denn fänd' es der Ohm, – er schlüge mich hart und riß es mir weg und würf' es zurück in die See.« – –


II.

Und sie streckte sich wieder lang aus und sah hinaus in das Meer so spähend, so scharf aus den tief dunkelbraunen sehnsuchtvollen Augen, bis sie schmerzten, geblendet von dem zitternden Licht auf den Wellen, so oft die Sonne plötzlich aus dem hastig ziehenden grauen Gewölk hervortrat.

»Ob denn nie etwas kommt? Gar niemals? Ob es denn nie anders wird hier? Der Ohm – das Ren – der Fischfang mit dem Netz – der Lachsstich mit dem Speer – die lachende Stillsee – der Sturm – der kurze Sommer – der Herbstnebel – der lange, lange Winter in der niederen Hütte – die Thranlampe – der Schlitten – endlich die Möwen – der kurze Sommer – wieder der Ohm – das Ren – der Fischfang – wieder der Nebel – immer wieder. Immer wieder! – Ob denn nie ein Zeichen, ein Gruß, eine Botschaft kommt von den Göttern und Göttersöhnen, bei denen die Mutter gefangen war? ›Eine sel'ge Gefangenschaft‹ sagte sie oft, lächelnden Mundes. Mir ist, es muß doch etwas viel Schöneres, Helleres, Strahlenderes, Gewaltigeres geben, als hier in der traurigen Öde. Aber fern, unerreichlich fern! Dort – im milderen Westen – dort, wo die Sonne zu Golde geht.«

Und träumerisch sah sie wieder hinaus auf das Meer.

Nichts entging ihr da draußen: jedes Kleinste, was sich abhob von der unendlichen Fläche, nahm sie wahr: den kaum aus dem Wellenthal emporschnellenden Fisch, ein Stücklein Holz, dunkler als die blaugrüne Flut, darin es triftete, den Kopf des Delphins, den der nur ein wenig aus dem Wasser in die Luft reckte: – alles.

Wie hätte sie nicht alsbald ein großes Treibstück entdecken sollen, ein langes, schwarzbraunes, das nun weit draußen vor dem Klippengürtel auftauchte, aber von dem Westwind rasch näher und näher herangebracht wurde. Es war ein Balken oder ein Brett – das erkannte ihr geübtes Auge bald – wie sie nicht selten nach argem Sturm von gescheitertem Schiff die brandende Woge daher trug: ein langes, dunkles Brett. Aber an dem hinteren Ende, das tiefer in das Wasser hing, war ein anderes befestigt, ein Helleres, Weißes . . . –

Das Mädchen richtete sich ein wenig auf: langsam, wie in der Ruhe ihre Bewegungen waren: und den Kopf reckte sie höher und den Oberleib, auf die beiden Ellbogen gelehnt, ähnlich dem Seehund, der sich auf die Vorderflossen stützt, eh' er sich vorwälzt im Sande.

Näher, immer näher trieb das Brett: denn jetzt schwamm es seitlings – der Quere nach – und der Stoß jeder Welle, der es traf, schob es ein gut Stück weiter.

Nun fegte ein heftiger Windstoß wieder einmal die langgestreckten Wolken von der versinkenden Sonne fort: grell fielen ihre Strahlen auf den Meeresstreifen vor den Klippen: hell beleuchtet zeigte sich dem scharf spähenden Auge der Balken auf der Höhe einer weißkammigen, breit heranrollenden Welle schwimmend: da stieß sie einen gellenden Schrei aus, dem Ruf eines erregten Tieres vergleichbar, und, jäh auffahrend von dem feuchten Sande, warf sie sich mit gewaltigem Sprung in die tobende Brandung, die wütend an den Granitklippen zur Rechten und zur Linken sich brach und überschlug: nur ein schmaler Wasserstreif, etwa von Mannsbreite, führte – wie eine Engpforte – zwischen den Felsen hindurch hinaus in die freie See, von wannen das Brett nun pfeilgeschwind heranschoß.


III.

Es ging auf Tod und Leben.

Denn ein Menschenleib, den die tobende See in das sägescharfe Gezack dieser wasserzernagten Klippenkämme zur Rechten oder zur Linken schleuderte, – zerschnitten ward er wie Halme von der Sichel. Mit Entsetzen – aber nicht um ihretwillen! – sah die kühne Schwimmerin einen andern Balken, den die Brandung herantrieb in die Felszähne rechts vor ihr, in splitternde Scheite zerspellt und zerschlissen: aber – sie erkannte es mit ihren scharfen Augen durch die Wellen hindurchblickend – das war nicht jenes Brett, um welches sie ringen wollte mit der wütenden See.

Fast unmöglich schien es, daß ein Mensch, ein zartes Mädchen, gegen solche Brandung überhaupt ankämpfen konnte. Aber das junge Geschöpf, langsam, unbeholfen auf dem Lande, – verwandelt schien es, sobald es die See umrauschte.

Wie ein Fisch floß die Kleine dahin: sicher, furchtlos, ja mühelos, wie es schien, mit den magern, aber sehnigen Armen, den lang vorgestreckten, die entgegenrollenden Fluten zerteilend, das schmale Köpflein stets gerade hoch genug über dem Wasser, um das angestrebte Ziel sicher zu erschauen: und schlug ihr auch die Sturzwelle zerstäubend hoch über dem braunen Nacken zusammen, sie in einem Sprühschauer von weißem Gischt begrabend, – im Augenblick darauf schwebte sie schon wieder, emporgetaucht, wie die schwimmende Möwe, auf dem hohen Rücken der nächsten Woge.

So hatte sie rasch ihr Ziel erreicht: die höchste der schwarzen Steilklippen zur Linken der schmalen Einfahrt: sie umschlang die dünne Felsspitze mit dem linken Arm und spähte scharf aus nach rechts: gerade noch recht war sie gekommen: denn schon trieb das Brett, das sie an Land bergen wollte, heran und zwar, wie sie gefürchtet, immer noch seitlings, so daß es unmöglich durch die enge Öffnung hätte hindurchgleiten können: die nächste Vollwelle mußte es, der Quere nach, gegen die Zahnklippen schleudern und zerschellen:

Da – schon war es heran! – ließ das Mädchen die Klippe fahren, warf wieder die Brust dem rasenden Meer entgegen, erhaschte das Brett an dem einen Schmalende, riß es mit aller Kraft nach rechts herum, daß es nun der Länge nach vor der Mündung des Eingangs schwamm und jetzt, in der Linken es in dieser Lage mit sich ziehend, mit der Rechten und mit den Beinen schwimmend mit aller Kraft des Leibes, riß sie die Last rasch zwischen den beiden Eingangsklippen hindurch in das Strandwasser, wo ein paar nachfolgende Wellen die Schwimmerin und das nachgeschleppte Brett alsbald von selbst auf den Sand warfen.

Hier sprang das Mädchen flugs auf, zerrte den Balken vollends aus dem Bereich der nachrauschenden Wasser und richtete das schwerere Langende an dem Dünenhügel in die Höhe: das schwerere: denn hier, auf diesem Teil des weit über Mannslänge ragenden Brettes war, mit Schiffstauen vielfach umschnürt, festgebunden eines Jünglings Leib – oder Leiche.

Schön war der Jüngling: schön sein Leib, den nur die zerhackte Ringbrünne um die Brust und darunter der Schuppenrock bis an die Kniee bedeckten: schön war das goldiggelbe, lang auf die Schultern flutende Haar, schön das edle, todesbleiche Antlitz. Nur ganz kurz, bis sie all' diese Herrlichkeit in sich gesogen, ruhten die Augen des Mädchens auf der regungslosen Gestalt.

»Es ist, wie ich gedacht,« hauchte sie: »Einer von ihnen, . . . ein Gott, ach,« schrie sie in grellem Weh, – »ein toter Gott! Doch nein – nein – er soll nicht tot sein: – er soll leben.« Und sie kauerte sich nun dicht neben den stillen Mann und richtete mit der Linken das herabhängende Haupt höher empor an dem flaumbartigen Kinn und, die schmale Rechte durch die Risse der zerhaunen Brünne zwängend, rieb sie eifrig, eifrig die Stelle, wo sie sein Herz suchte. »Da pocht es noch leise!« rief sie frohlockend. »Da wogt es. Ganz matt zwar: – aber es schlägt noch. Er lebt. Er lebt!« Und laut aufjubelnd verdoppelte sie ihre Mühung. Da schlug der Erwachende, tief stöhnend, die Augen auf: gleich schloß er sie wieder.

Aber zu ihrem seligen Entzücken hatte sie der Blick getroffen: »Zwei blaue Strahlen,« rief sie. »Er lebt. Er lebt!«


IV.

»Aber nicht mehr lang!« grollte eine heisere Stimme von ihrem Rücken, von der Düne her, und über ihre nackte Schulter hin spürte sie eine kalte Schneide vorstoßen gegen den Hals des Fremdlings: gerade noch abwehrend fuhr ihre Schulter in die Höhe: ihr Blut, nicht das des Bedrohten rötete die Waffe: es war eine Harpune zum Stechen der Lachse: scharf war der Widerhaken der Feuersteinspitze. »Ohm! Was willst du thun?«

»Ihn speeren!« scholl es zurück, und der Alte schlug den zerschlissenen Mantel von Renntierfellen zurück und hob nochmal den Speer zum Stoß; wirr flog sein struppiges weißes Haar im Winde, wie er sich zielend vorbeugte.

»Morden!« schrie das Mädchen und deckte ihren Schützling mit dem Leibe. – »Austilgen! Die Göttersöhne austilgen: – es ist der Finnleute höchste Pflicht. Sie verschwinden oder wir von der Erde. Laß mich . . .!« – »Zurück! Er ist mein, nicht dein! Was wir Finnleute bergen aus tobender See mit verzweifelter Wagung des Lebens, – ich habe das Brett und den darauf durch das Klippenloch gerissen . . .« – »Ich sah's von der Düne mit Grausen!« – »Das ist zu eigen der bergenden Hand: – sei's Kleid, sei's Gerät, sei's Tier oder Mensch. Mein ist er, der Bleiche: mein eigen wie alles, was ich greife aus der See, sei's Fisch oder Seehund oder das leuchtende Meergold. Mein Strandgut ward er: und ich behalt' ihn lebend oder tot.«

»So behalt ihn denn. Du bist im Recht. Und dein Recht: – es wird dich verderben. Verloren der Finne, der den Blondmann erschaut und speert ihn nicht zur Stunde. Behalt' ihn, und geh zu Grunde. – Aber . . . vielleicht . . . doch noch . . . ein andermal!«

Sie vernahm diese letzten Worte nicht mehr deutlich: der Wind trug sie landeinwärts; denn der Alte humpelte davon über den Kamm der Düne hin; er lahmte auf dem linken Bein; so stützte er sich auf die Speerstange; er schüttelte grollend das Haupt; wie eine Mähne flog das wirre Haar um ihn her.


V.

Sowie er den Rücken gewandt, beugte sich das Mädchen wieder ungestüm über den leise Atmenden; in seinem Wehrgurt stak ein breites Dolchmesser; sie gewahrte es, zog es heraus und durchschnitt damit sorgfältig das Tau, das ihn in mehrfacher Umschnürung fest an die Schiffsplanke band: freier hob sich ihm nun die Brust: ihr Auge hing so bang, aber doch entzückt, ja wie verzückt an seinem Antlitz.

Nach ein paar tieferen Atemzügen schlug er abermals die hellen Augen auf: und diesmal schloß er sie nicht gleich wieder: er sah dicht über sich gebeugt das Weib mit dem dunkeln, triefenden Haar, mit dem triefenden Gewand: . . . »Wo bin ich?« hauchte er leise vor sich hin. »Ertrunken! Bei Ran – dem übeln Meerweib. Ja . . . das ist sie. Wie häßlich! Wie grauenvoll! Lieber gar nichts mehr sehn!« Und in Abscheu senkte er wieder die langen Wimpern. Er hatte kaum die Lippen bewegt: so waren ihr die Worte entgangen.

Sie rüttelte ihn nun sanft am Arm und sagte – in seiner, in der Nordmänner, Sprache: »Gerettet bist du, Fremdling! Bitte, bitte: nicht wieder einschlafen! Du mußt essen und trinken! Du verschmachtest mir sonst!« So lieblich weich, so einschmeichelnd tönte die flehende Stimme, – er blickte auf und richtete sich ein wenig empor: »Nein,« sprach er nun langsam, sie beruhigter betrachtend, »nein, du bist keine Unholdin. Du meinst es gut mit mir.« – »Ich meine es gut mit dir,« wiederholte sie demütig und in die dunkelbraunen schönen Augen trat ein feuchter Glanz. »Komm! Herab von dem nassen Brett. Hier! Der Sand da oben ist trocken.« Und sie schob ihn sacht in die Höhe.

Heiß durchrieselte es sie, wie sie ihn so an beiden Armen fassen mußte. Gluten schossen ihr in die hagern, braungelben Wangen; er sah es nicht.

»Blut?« rief sie plötzlich erschrocken. »Blut auf dem Brett da unten! Du bist verwundet?« – »Es ist nichts. Hier. Unter dem Knie. Nur geritzt. Doch . . . woher bin ich gekommen?« forschte er nun, sich besinnend und umherschauend. – »Dorther!« Sie deutete mit dem Finger auf die schmale Öffnung in dem Klippengürtel, über welchen gerade wieder die Brandung in wütendem Toben den weißen Gischt strandwärts schleuderte. Er schauderte zusammen. »Ja. Ich gedenke! Das letzte, was ich sah, auf den Wellen treibend, das waren, über die Wogenkämme ragend, jene schwarzen Zacken. An denen zerschellst du! dachte ich noch: dann vergingen mir die Sinne. Wer . . . wer hat mich daran vorbeigeholt?« – »Ich.« – »Wo ist dein Boot?« Sie lachte. Das stand ihr gut: die kleinen weißen, zierlich gereihten Zähne glänzten. »Ich und die Möwe: – wir fuhren zusammen. Ich schwamm.« – »Du . . .? Weib, dein Leben hast du . . .! Warum hast du das gethan?« – »Warum? Ich sah auf dem Brette treiben einen weißen Leib – einen Menschen – in der Sonne leuchtete sein helles Haar . . . Ich mußte den Lebenden retten oder – den Toten bergen. Und« . . . sie zögerte . . . »und ich ahnte schon lange, du würdest kommen.«

Staunend sah er sie an: »Du redest – eine Finnin bist du doch? – du redest meine Sprache? Wer hat sie dich gelehrt?« – »Die Mutter. Sie war lange gefangen bei euch. Sie liebte euch stark. Auch eure Sprache. An den langen, langen Winterabenden, beim Flicken der Netze, unter dem Glimmen der Thranlampe, hat sie mich eure Rede reden gelehrt. Es war ihre größte Freude. Und erst die meine! Sie wünschte mir so heiß, einen von euch zu sehen. Seither hab' ich geharrt. Und nun hat dich die Welle mir gebracht, dich, mein Angespül der See! Danke dir, Welle! danke dir, Westwind! Und wie heißest du, Fremdling?« – »Harald.« – »Wie schön das klingt!« hauchte sie. – »Und du?« – »Ughlu.« – »Wie garstig,« dachte der Jüngling; »gleich dem Glucksen des Wassers?« fragte er kopfschüttelnd.

Aber es reute ihn sofort des raschen Wortes: die braunen Augen schauten schmerzlich zu ihm auf. – »Ich kann nichts dafür,« sagte sie entschuldigend. »Aber wie böse von mir! Da schwatz' ich und starre dich an wie der Seehund den Mond und versäume, dich zu laben! Ich hole . . . du kannst noch nicht gehen . . .«

»O doch!« rief Harald und wollte aufspringen. Aber seine Kniee versagten: er sank wieder auf den Sand der Düne. – »Siehst du, mein Pflegling? Noch mußt du dir von Ughlu helfen lassen. O bliebst du mir immer so hilflos.« – »Weh diesem Wunsch, Weib!« – Er rief das laut, drohend: und die blauen Augen sprühten Blitze des Zorns. – Sie erschrak! die Farbe wich aus ihrem Gesicht: demütig kreuzte sie die nackten Arme über den Brüsten: »O vergieb. – Zürne mir nicht! Das wäre – der Tod. – Geduld! – Nur kurze Geduld! – Ich eile in die Hütte: . . . gleich bin ich zurück mit Speise und Trank. Ich fliege.« – Und pfeilgeschwind stob sie dahin – die Düne hinauf – dem Innern des Eilands zu, von wo ein paar Birken herüberschauten.

Tief atmend sah ihr der Jüngling nach: »Gut, daß sie fort ist . . . Mich ekelt des Weibes . . . Pfui, Harald, wie undankbar! Bin's doch sonst nicht . . . Aber der das Leben danken?«


VI.

Jedoch der Fremdling sollte der Finnin nicht nur um jener todeskühnen That willen das Leben zu danken haben: ohne ihre unermüdliche Fürsorge wäre er auch in den kommenden Tagen noch gar oft erlegen.

Moin, der Alte, versagte ihm die Aufnahme in seine Hütte, den einzigen Wohnraum des Eilands: er teilte ihn – ungeschieden – mit der Nichte. Er gab keinen Grund an. Und Ughlu, die für ihren Schützling alles andere ungestüm forderte und durchsetzte, wagte diesmal keine zweite Bitte: sie errötete und schwieg. »Komm,« sagte sie dann, »komm, o Harald. Ich werde dir eine Lagerstätte schaffen.«

Und sie zog ihn an der Hand fort von der Schwelle der Hütte gegen die Küste hin, wo am Strande eine zweite, nähere Reihe von steilen Granitklippen die Dünen schützte vor der Brandung.

Sie ergriff ein zerbrochenes, schaufelähnliches altes Steuerruder und grub gar behend und geschickt eine lange Vertiefung in die Landseite der Düne: – diese gewährte Schutz gegen den scharfen Seewind. Haralds Hilfe – staunend sah er zu – wies sie zurück: »deine Kräfte langen noch nicht so weit. Und nicht du sollst dich mühen, wo meine Hände ausreichen.«

Über die ausgehöhlte Vertiefung spreitete sie eine Art Dach aus getrocknetem Schilf und aus steifem Strandhafer, wie eine Matte zusammengeflochten. – Mit leisem Schauder sah der Fremdling, während sie fortsprang, ein paar Felle zu holen, in die elende Sandgrube; – er schüttelte schweigend das lange Gelock.

Gleich war sie wieder zur Stelle: noch ein paar Schläge mit der Fläche der Ruderschaufel, den lockern, immer wieder herabrieselnden Sand zu festigen; nun wischte sie mit den Knöcheln der Linken den starken Schweiß von der niedrigen Stirn, warf die Schaufel aus der Rechten und leckte an der Innenseite dieser Hand.

»Was thust du da?« forschte er unwillig. »Was hast du?«

»Nichts,« lachte sie, ihn mit strahlenden Augen anblickend, »ein Paar Blutblasen, die schmerzen ein wenig. Aber dafür, schau nur hinein, das ist nun deine Herberge: – gar wohnlich ist sie geworden. Ganz ausstrecken kannst du dich darin – so wunderbar lang du gewachsen bist. – Ah weh!« Noch einmal leckte sie die wunde Hand.

Da ergriff er diese und drückte sie – schonend – leise: schon wieder schämte er sich seines Undanks.

Als er nach dem kargen Nachtmahl von getrockneten Fischen und Renntierkäse diesen Abend einschlief und die Felle fester über sich zog, sprach er: »nun, es währt ja nicht lang. Sobald ich wieder die Glieder brauchen kann, muß mir der Alte ein Boot geben, und ich suche die Freunde, die Heimat. Und auch heute schon schauen ja die gleichen Sterne da oben auf mich und auf die Meinen.«


VII.

Aber am nächsten Morgen traf sein Hoffen ein furchtbarer Schlag. Er wandte sich alsbald durch Vermittlung der Nichte an den Ohm; der hatte ihn schon tags zuvor mit finster drohendem Gesicht empfangen und kein Wort zu ihm geredet: – er verstand nur wenig von Haralds Sprache. –

Der bat nun, ihm sobald als möglich ein Fahrzeug zu leihen, die Heimat wieder suchen zu können.

Mit seltsamem, halb verhohlenem Lächeln hatte die Dolmetscherin seine Bitte dem Alten vorgetragen: der aber brach in zorniges Lachen aus, er schrie finnische Scheltworte, stampfte den gesunden Fuß auf den Lehmboden der Hütte, daß sie schütterte und wies zuletzt mit der Hand hinaus auf das Meer, auf die Küste des Eilandes.

»Komm mit,« sprach Ughlu. »Er hat recht. Sieh selbst.« – Und ohne weitere Erklärung führte sie den Ungeduldigen quer über das kleine Eiland. – Sie hatte sich geschmückt: – für ihn hatte sie ihr einzig Geschmeide angelegt, ein Erbstück von der Mutter: eine viereckige, durchlochte Zierplatte aus blankem Zinn, über der Brust an einem dünnen Streifen von Renfell aufgeschnürt getragen: mit stolzer Freude hatte sie den angespülten Ring seiner Brünne daran gebunden, nachdem sie das Erzstücklein zärtlich geküßt. Es kränkte sie ein wenig, daß er ihr nichts darüber sagte. Aber er hatte es gar nicht beachtet.

Sie geleitete ihn nun an das Südgestade der Insel: da lag, sorgfältig auf den Strand gezogen, außerhalb des Machtbereichs der Fluten und mit einem Lederriemen an eine Felsspitze festgebunden, ein elender Kahn: aus gesteiften Seehundhäuten, ohne irgend eine Zuthat von Holz, nur durch die Rippen eines vor Jahren hier einmal gestrandeten Walfisches auseinander gespannt, lang, schmal, kaum Manns breit; nur ein Mensch hatte Raum in der Mitte, wo ein rundes Loch geschnitten war in das wagrecht gespannte Renntierfell, welches das Innere des niedrigen Nachens schützen sollte vor den Wellen, die bei jedem leisesten Wind über dem kläglichen Fahrzeug zusammenschlagen mußten; fortbewegt ward das durch zwei zugleich zu führende lange Stangen mit ganz schmalen schindelähnlichen Ruderenden.

Erstaunt sah der Gast auf das traurige Gefährt: »Wo – wo sind die Boote?« fragte er. – »Das ist alles, was wir haben. Nur um das Eiland herum – bei ruhiger See – können wir fahren. Das Weitmeer kann der Kahn nicht suchen; er schlägt um bei jeder hohen Welle.« – Harald erbleichte: »All' ihr Götter!« schrie er verzweifelt. »Es kann nicht sein. Wie könnt ihr leben?« – »Vom Fischfang. Vom Strand aus; und mit dem Kahn um die Insel her; auch haben wir noch vier Renntiere: die leben kärglich vom Strandhafer und vom dürren Grase der Dünen. Und dann das Brot – aus Birkenrinde.« – »Das ist – wirklich – euer einzig Fahrzeug? Das kommt ja freilich nie nach Harjadal.« – Ughlu nickte. »Ich sagte es. Der Ohm kann dir's nicht geben, er kann's nicht einen Tag missen. Und gäb er's, – unrettbar würd's umschlagen, bevor du das nächste Land erreicht.« – »Auf Lebenszeit hier gefangen!« schrie Harald. »Lieber gleich sterben!« Und er sprang gegen die steilen Klippen vor.

Ughlu klammerte sich an ihn: – mit tiefem Schmerz, stumm, sah sie ihm ins Auge. »Aber nein,« beruhigte er sich. »Geduld also! Ich baue mir selbst ein Schiff. Geduld, Harald!« – »Ja Geduld!« tröstete sie; aber ein seltsamer Zug zuckte um ihre Lippen. »Aus was will er hier ein Schiff bauen?« dachte sie bei sich.


VIII.

Beruhigter, aber doch noch mit heftig klopfendem Herzen sah Harald um sich: »Nein,« rief er nun, »es ist ja nicht möglich! Wie kamt ihr hierher? Ihr seid doch nicht aus Eiern auf dem Sand hier gekrochen wie Krabben? Wie viele von euch Finnvolk wohnen noch hier?« – »Niemand mehr als wir beiden.« – »Wie kam das?« – »Traurig genug. Frage nie den Ohm danach. Es macht ihn toll vor Schmerz und Zorn: – er wirft dann mit dem Steinmesser blind um sich. Ich erzähle dir's. Komm, ich führe dich dabei um das ganze Eiland: nur so wirst du's verstehen.«

Und sie begann voranzuschreiten von Süden gen Osten, dann gen Norden sich wendend; erst zuletzt erreichten sie den Westen der Insel, wo er angespült worden war.

»Unsere Vorfahren,« begann sie, »sind – der Ohm weiß nicht, vor wieviel hundert Sommern – von Aufgang, von Suomiland, – der Heimat all' unseres Volks – auf diese kleine Insel, wie auf die viel breiteren weiter mittagwärts, herübergefahren: drei volkreiche Geschlechter auf fünf großen Booten: diese Zahlen sind eingeritzt auf den höchsten Felsen: in der Mitte des Landes: – dort, wo die vier Birken wachsen,« – »Sind die dünnen Stämme die einzigen Bäume auf der Insel?« Aber Ughlu schien diese Frage zu überhören: sie fuhr eifrig fort: »Dort, unter den Birken, ist heiliger Grund: da liegt mein Mütterlein begraben! – Lange Zeit lebten die Ahnen hier ganz gedeihlich: zahlreiche Renntiere, auch Ziegen hatten sie mitgebracht und Hunde, im Winter die Schlitten zu ziehen über das gefrorne Meer zum Fischfang unter dem Eise; und auf ihren starken Booten fuhren sie weit hinaus ins Meer zum Fischen, auf die Südinseln und auf das Festland im Aufgang und im Niedergang, zum Tauschhandel mit anderen Suomileuten. Da ging es den Menschen so gut, sagte dem Ohm noch der Großvater, daß sie fast gar keine Birkenrinde buken in das Speltbrot. Denn sie bauten Spelt auf der Insel selbst.« – »Wo? Ich sehe nirgends Ackerland?« – »Geduld. Du wirst bald begreifen! – Sieh, das hier ist unser einziger Brunnen, wo die lange weiße Stange ragt zwischen den schwarzen Felsen. Damals feierten sie Feste den Suomigöttern, denn die waren damals noch mächtig: Sorfatar, der Göttin des Seegevögels, Tuoni, dem Todesgott, dem König von Tuonêla, dem ewig düstern Reich, Ukko, dem Himmelsgott, Achti, dem Gott des Meeres und auf der Kantele, dem Saitenspiel mit fünf Saiten, spielten sie zu Opfergesängen.

Am schönsten aber – das bezeugte der Ohm – spielte und sang meine liebe Mutter. Freilich meist traurige Lieder, aber wunderbar rührende, wußte sie zu finden: – ohne Mühung des Kopfes: – sie kamen ihr von selbst. Viele ihrer Weisen hab' ich mir gemerkt. Und auch selbst manche beigefügt. – Die liebe Mutter meinte, ich hätte das von ihr geerbt, wie sie diese Platte trug und mir vererbte – siehst du? Oft weiß ich nun nicht mehr, welche von der Mutter stammen, welche von mir: sie kommen mir immer durcheinander; traurig sind auch meine.«

Sie schwieg eine Weile, nachdenklich; dann fuhr sie, sich aufraffend, fort: »Auch zu andern Suomileuten fuhren sie damals auf den breiten meervertrauten Booten. Freilich nicht gar oft: denn, wie heißt es in dem alten Lied?

»Selten kommt man nur zusammen
In den menschenöden Strecken
Unsres nebeldüstern Landes.«

Aber damals war doch manchmal Freude unter unserm Volk. Später aber . . .!«

Sie seufzte. Dann hob sie traurig wieder an: »Das ist nun alles dahin und tot. Tot sind die Sänger, tot die Harfner, ach auch unsere Götter sind tot und vergessen: – viel mehrere von ihnen, als ich noch zu nennen weiß, lebten einst: – und die einzige Harfe, die geliebte Kantele der Mutter, ist auch tot: – denn die Saiten sind gerissen und wir haben keine neuen, sie aufzuziehen.« Sie schwieg, blieb stehen und wischte eine Thräne aus den Augen.

»Du weinst? Mußt nicht weinen!«

Gleich lächelte sie wieder: »Betrübt es dich, wenn du mich traurig siehst? Dann sollst du's nie mehr schauen! Ich weine auch nicht um mich: – ich hab' es ja von Kind auf nicht besser gewußt. – Ich weine um die Mutter, die all' das verlor. Und doch auch um unsere Götter, daß sie nun alle tot sind.« – »Woher weißt du das? Viele Völker haben viele Götter, so erfragte ich auf mancher Meerfahrt. Warum sollen eure nicht mehr leben?« – Aber sie schüttelte ernst den Kopf: »Ach nein! Sie leben nicht mehr. Es ist besser, das zu denken, als daß sie leben: denn dann wären sie böse. Oder ganz ohnmächtig.« – »Wer aber soll eure Götter getötet haben?« – »Eure Götter, ihr Gewaltigen!« antwortete sie, scheu zu ihm emporblickend. »Sie mußten wohl vor diesen vergehen, wie wir vor euch. – Höre nur! Lange Zeit wohnten auch auf dem Festland im Niedergang nur Suomileute, Fischer und Jäger unseres Volkes. Aber einmal, im Sommer, als die Schiffe der Unsern zum erstenmal wieder durch das mürbe gewordene Eis brachen und die gewohnte Bucht da drüben im Westen aufsuchten, da fanden sie nicht mehr die Vettern, sondern – euch. Oder vielmehr eure Ahnen. Denn lang ist's her. Vor denen hatten die alten Herren des Landes weichen müssen gen Mitternacht . . .« – »Jawohl,« nickte Harald. »Nach Kvänland flohen sie, die übeln Finnleute, arge Viehdiebe, Zauberer und . . .« – »Nicht!« bat sie. »Nicht schelten: es sind die Meinen. Und des Landes alte Herren.« – »Gewesen. Wir aber sind die Herren jetzt!« – »Gewiß! Ihr seid's: – im Himmel und auf Erden. – Während die Unsrigen nur Steine und das Horn des Rens als Waffe und die Keule von Holz führten, schwangen die Eurigen das Schwert aus blitzendem Erz und erschrocken sahen die Ahnen zu euch auf, den Söhnen der lichten Götter, wie ihr euch nanntet, selbst lichten Göttern vergleichbar.« Sie schwieg: im Emporschauen zu ihm vergaß sie der Rede.

Er aber erwiderte: »Wohl stammen wir von den lichten Asen in Asgardh: von Odhin und Thor. Und ich und meine Sippe, wir stammen von Freir . . .« – »Dem Sonnengott,« nickte Ughlu. – »Aber das hielt sie nicht ab, das ekle, häßliche Finnengezücht, die da, bleichnasigen Zwergen gleich, in Überzahl uns um die Beine wimmeln tief unter uns, mit Raub und Diebstahl unablässig in heimtückischem, nächtlichem Überfall unsere Viehherden davonzutreiben, unsere einsam gelegenen Gehöfte auszuplündern, die Überwältigten im Schlafe zu verbrennen. Zu Land und zu Wasser kamen sie und kommen sie noch unablässig geschlichen und geschwommen, zu stehlen, zu plündern, zu morden. Aber wartet nur, ihr Nachtdiebe aus Kvänland, ich will . . .«

»Nicht, nicht! Ich bitte: wir sind ja verloren – warum uns noch schelten? – Auch meine Ahnen gerieten in Streit mit den eueren: Blut floß auf beiden Seiten: aber immer und immer siegtet ihr, wart ihr auch nur Einer gegen Sieben.« – »Gewiß,« meinte Harald und ballte die Faust. – »Zu Wasser und zu Lande ward gefochten, viele Jahre. Da – im Sommer war's – alle unsere Boote waren zum Fischfang ausgefahren, mit Männern und Weibern – da kamen ein paar euerer Drachen angerauscht: der Meerkampf begann: alle unsere Schiffe wurden in den Grund gerannt oder, erbeutet, mit vielen Gefangenen davongeführt, darunter auch meine Mutter, mein Vater ward erschlagen; verwundet, lahmend seitdem, entkam der Ohm mit Mühe auf jenem Kahne dort: er zog mich, die Verwaiste, auf.

Nach Jahren kam die Mutter zurück: ihr Herr – er war ihrer überdrüssig geworden, klagte sie – hatte sie an Suomileute vertauscht gegen einen Schild voll hellen Meergoldes und ihr neuer Herr schenkte ihr die Freiheit und führe sie hierher zurück. Sie war voll von eurer Herrlichkeit! – Viel, viel hat sie mir von euch erzählt, von euren Göttern, von euern wunderlichten, schönheitstrahlenden Frauen . . .« Sie stockte: ein langer Blick prüfte hier seine Züge: aber die blieben ruhig.

»Noch immer,« fuhr sie fort, »ging es uns leidlich, ob auch lange nicht mehr so gut wie vor jenem Kampf auf der See: denn da hatten wir so viele Männer und Frauen und alle Vollschiffe verloren bis auf zwei. Aber nun – nun kam das Verderben.« Sie schauerte zusammen. »Unter unserem Volke ward von alters starker Zauber getrieben . . .«

»Man weiß es,« grollte Harald, »Sud-Finnen, Kessel-Finnen, Zauberbolde heißt ihr.«

Sie schwieg eine Weile, das Köpflein verschüchtert sinken lassend. »Nun war da,« hob sie wieder an, »unter uns ein altes Weib, das hatte in Lappland bei den Lappen Zauber gelernt.«

»Ei,« zürnte Harald: »Wie spricht ein Spruch?«

»Zäh ist der Zauber, den der Finne fand:
Zehnmal ärger der Zauber, den da erlistet der Lappe.«

»Die überzeugte Männer und Weiber, nur ein Blutopfer könne uns retten vor euch und eueren Göttern: unsere Götter seien eingeschlafen: nur heißes Blut könne sie wecken, daß sie euere Götter, die Asen, überwänden. Und sie beschlossen, nach ihrem Rate zu thun. Ein Knabe eures Volkes, der sich im Wintereis, im Nebel, auf dem Meere verirrt und den mein Ohm gefangen hatte, – er sollte unsern Göttern geopfert werden.«

Mit Grauen hemmte Harald den Schritt: »scheusälig Volk!«

»Vergebens warnte meine Mutter: auf den Knieen beschwor sie den Ohm: ›unsere Götter‹, sagte sie, ›sind tot. Nur jener Männer Götter leben und schützen sie: reizen wir sie nicht.‹ Umsonst. In der Nacht ward an der Ostküste der Insel da drüben – jenseit der hohen Steine! – das Götterfest gefeiert; der Knabe . . .«

»Sie haben ihn geschlachtet?«

Traurig nickte das Mädchen: »und sein zuckend Herz verzehrt und euch und eure Götter mit furchtbaren Flüchen verflucht. Das war um Mitternacht. Dann gingen sie auseinander, alle in ihre Hütten. Nur unsere Hütte lag auf dem Hügelgrad des Eilandes, alle anderen dreizehn dort unten auf der Ostküste, auch alle Schiffe lagen dort vor Anker und alle Kähne. Auch die Ställe für die Renntiere und die Hunde standen dort; und dort allein lag auch alles zum Ackern taugliche Land, all unsere Speltfelder, dort rauschte ein Wäldchen von mehr als hundert Birken, da wuchsen sogar Erdbeeren! . . . Vor Sonnenaufgang war's: da erbebte unter uns die Erde: wir flogen aus dem Lager auf den Boden: ein furchtbares Brüllen des Meeres und des Landes: auf that sich der Abgrund, die Welt des Todes, unter der Ostküste und verschlang alles, was darauf lebte und stand, die Menschen, die Tiere, die Häuser, die Vorräte, die Schiffe: der schwarze Felsgrund der Insel spaltete sich, die Klippen fielen um und über die Klippen und über all' den Trümmersturz brach herein das Meer: – der Abgrund und das Meer hat das ganze Ostland der Insel verschlungen und begraben.«

»Siehst du,« schrie meine Mutter dem Oheim zu, »siehst du nun? Unsere Götter sind tot. Und ihre Götter haben die Verfluchung gerächt.« Wir drei waren die einzigen, die noch lebten auf dem Eiland, von dem das beste und bei weitem das größte Stück verloren war. Die Mutter aber siechte langsam dahin: – ein Sehnen, sagte sie, zehre an ihr. Sie starb, mit einem Kuß auf ein Stück der Kette, die sie bei euch getragen. Sie sprach und sang und spielte auf der kleinen Harfe bis die letzte Saite sprang: so unsagbar traurig sang sie, daß ich weinen mußte, weinen unaufhaltsam, unaufhörlich, ob ich's gleich oft nicht verstand: das klang so unerträglich traurig:

»Weine, weine, Volk der Suomi,
Deine Götter sind gestorben,

Alle deine Helfegötter:
Tot sind, die dich schützen konnten. –

Vor den lichten Asgardhgöttern
Fielen sie wie welke Blätter,

Die der Sturm weht von den Birken,
Ausgetilgt von Meer und Erde

Wirst du deinen Göttern folgen:
Weine, weine, Volk der Suomi.«

»Und als sie zu sterben kam, strich sie mir noch einmal über die Stirn und sprach: ›armes Kind – ausgetilgt wirst auch du! – Aber einmal – möchtest du nur einmal einen von ihnen sehen. – Dagwalt!‹ rief sie noch einmal und starb. – Dagwalt: – so hatte ihr Herr geheißen.«

»Hm,« sprach Harald vor sich hin. »Treu, wie die Hündin ihren Herrn liebt.«

»Und so kam es,« fuhr Ughlu fort, »daß ich nur an euere Götter noch glaube – an Freia zumal. Denn Frigg ist zu streng, meinte die Mutter. – Und auch an Odhin, der der Wünsche Fülle verleiht. Erst hat er mir, als glückverheißend Zeichen, diesen Ring von deiner Brünne – mit der gleichen Rune wie die andern an deinem Ring-Panzer – in die Hand gespült: – er fehlt da links: – ich sah es gleich – ich trag ihn immer hier auf der Brust: und dann hat er dich selbst mir gesendet.«

»Hart an Ran vorbei,« lachte Harald grimmig. »Wenig dank' ich ihm diesen Fahrwind.« – »So, nun haben wir das ganze Eiland durchwandert!« – »Wie trostlos öde! – Ja richtig! Da sind wir an der Stelle, wo das Meer mich angespült!« – Er sah mit Schauder in das schwarze Gezack der Granitklippen, das wieder weißer Schaum übersprühte: er faßte dankbar ihre Hand und drückte sie.

Da strahlten ihre Augen.

»Nun komm zum Frühmahl: – der Oheim harrt vor der Hütte.«


IX.

Das Mädchen und der Alte – der sprach fast nie – fragten den Gast nicht um seine Herkunft, nicht, wie er auf die Insel verschlagen worden.

Aber er selbst ward bald gedrängt, es Ughlu zu berichten. Denn nach einigen Tagen brach plötzlich die Wunde unter dem Knie wieder auf; eine Schramme hatte er sie genannt und sie war rasch vernarbt. Jedoch ein stechender Schmerz durchzuckte ihn nun: er wollte ihn meistern, verbergen; er stand hastig von dem Frühmahl auf, um in seine »Sandhalle«, wie er die Höhlung lächelnd nannte, sich zurückzuziehen: aber von bitterster Pein durchzuckt stürzte er jählings zu Boden.

Der Alte stutzte: scharfen Blickes musterte er den Stöhnenden. – Schon war Ughlu an seiner Seite: – sie richtete sein Haupt empor, sie lehnte es an ihr Knie: beide zitterten, er vor Schmerz, sie – sie wußte nicht warum.

Stumm wies er auf die Wunde in der nackten Wade. Scharf sah das Mädchen hin: – plötzlich flog ein finstrer Schatte ärgsten Erschreckens über die scharfen Züge: die Ränder der Wunde sahen ganz schwarz, Eiter quoll heraus. – »Woher?« fragte sie und ihr Herz klopfte, die knospenden Brüste wogten ungestüm. »Doch kein Pfeil!«

Er biß die Zähne zusammen und nickte.

»Ein Pfeil! – Aber kein Finnenpfeil, – nicht wahr?« Die Frage kam so bang.

»Doch! von eurem Volk.« – »Mit schwarzer Flugfeder?« Das war die erste Frage, die der Alte an den Gast richtete: – er beugte sich, begierig der Antwort, vor über den Holzblock, der als Tisch diente. – »Jawohl: – er war schwarz beschwingt,« erwiderte Harald. – Ein seltsam befriedigt Grunzen brachte der Alte hervor: – ein stechender Blick: – er humpelte davon aus seiner Hütte, ganz aufgerichtet, wie siegesfroh.

»O sprich« – flehte Ughlu, mit mühsam verhaltner Sorge – »wie – wie geschah dies? Vor allem – wie lang ist es her? Ich habe dich noch nie gefragt . . .«

»Ja, es ist deine erste Frage – du – du Treue.« – Da übergoß sie glühend Rot: – es war das erste Wort des Lobes aus seinem Mund.

»Nun sollst du auch alles erfahren. Ich bin ein Königssohn.« – »Ich wußte es!« – »So? Woher? . . . Vom lichten Gott Freir stammt mir die Sippe.« – »Ich ahnte es! Eh du's gesagt.«

»Mein Vater, König Harskiöld, waltet hoch und herrlich daheim in der Königshalle!« – »Ich glaub es.« – »In Harjadal. Hell klingen dort die Harfen im Saal –« – »Ich glaub' es zu hören. Die Mutter sprach davon: – gleich des Singschwans klingendem Ton.« – »Viele Helden dienen ihm um Ehre. Auch gabenmilde ist er und gastlich. Es ist schön daheim in der Halle.« Er seufzte leise.

»Du hast Heimweh!« klagte sie. »Hatte doch meine Mutter, die speergefangne Magd, Heimweh – nach euch!« – »Manche Kriegsfahrt hatte auch ich schon glücklich gefahren. Ich schlug die Wetterdänen mit zwölf Drachen. Ein Skalde hat ein Lied darauf gemacht.« – »Kannst du es singen?« – »Ich kann wohl – aber ich mag nicht.« Er errötete leicht. »Da kam Kunde in König Harskiölds Halle, sein Schwestermann, König Hâko auf Helsingaland, sei aufgefahren in Odhins Saal: – er fiel in sieghafter Schlacht gegen die Kvänen, eure Vettern, die götterverhaßten Nord-Finnen. Nicht einen Sohn, nur eine Tochter hinterließ er . . .:« er stockte: »Haralda, die Jungfrau.« – »Das ist deine Braut!« schrillte Ughlu auf. – »Was schreist du, wie ein pfeilwund Tier?« schalt er, unwillig staunend. – »Vergieb!« Sie kreuzte die Arme über den Brüsten. – »Ich hab' sie nie gesehen. Schön soll sie sein, strahlendschön, wie eine Göttin in Asgardh.« Sein Blick schien in die Ferne zu dringen. »Fast so hoch wie ich, meinte der treue Björn – das ist mein alter Waffenmeister, der hat sie nämlich gesehen! – Milchweiß die Haut, – die Fülle des Sonnenhaares rieselt ihr bis an die Knöchel: – hoch wölbt sich ihr die stolze Brust und . . . so sagte nämlich Björn.« Er schwieg und sah wieder in die Ferne.

So merkte er nicht, wie die braunen Augen, immer weiter aufgerissen, wachend, spähend, schmerzlich auf ihm ruhten. Beide schwiegen eine Weile.

Jetzt zuckte wieder Schmerz durch den Leib des Jünglings. Aufgeschreckt aus seiner Träumerei fuhr er fort: »Nun wohl – die Witwe, Frau Harhild, des Vaters Schwester, bat, der Vater solle mich entsenden zu ihrem und zu der Tochter Schutz: aufs neue drohten die Kvänen Krieg, da König Hâko gefallen: – wimmeln sie doch in Überzahl wie übles Gewürm. – Der Vater rüstete vier Drachen: – hundertzwanzig Helme waren wir. – Wie freute ich mich auf den Kampf: – auf den Sieg: – auf . . .« – »Wie heißt sie? Sag's nochmal!« – »Haralda – es ist doch nicht schwer zu merken, mein' ich. – Aber wehe! Furchtbarer Sturm aus Westnordwest überfiel uns: – mein ›Ellidhi‹ ward von den andern Schiffen verschlagen: – auf spitzem Geklipp barst mir der Kiel: – ich sprang mit drei Genossen ins Boot: – das trieben die Wogen gegen ein Eiland im Südosten – von Finnenleuten bewohnt, wie ihr seid – man kennt euch von weitem! Denn,« lachte er, »schön seid ihr nicht.« – »Aber treu!« – »Nein: ungastlich, treulos, ehrlos und feige.« – »O, Harald!« – »Nun, ist es anders? Wohl hundert Finnleute liefen zusammen an dem Strand, gegen den uns Hilflose die Brandung warf: – uns vier Männer. Erst winkten sie uns freundlich heran mit grünen Zweigen: sobald wir auf Pfeilschußnähe vom Strande waren, holten sie hurtig aus ihren Fellmänteln die Bogen und Pfeile hervor und wie ein Geschwirr von zahllosen weißen, grauen, schwarzen Vögeln schlug das auf uns ein. Meine drei Gefährten fielen – tot. Mich traf ein Pfeil . . .« – »Mit schwarzen Schwingen?« – »Bei Freirs Schwert und Strahl, ja: ich sagt' es schon mal! Was liegt an der verfluchten Farbe? Aber ich weiß es genau: ich sah, wie ich den Bolzen herausriß, schwarze Rabenfedern. – Was hast du zu seufzen? Mit schwerer Mühe nur gelang es mir, das Boot wieder abzubringen von dem verräterischen Strand. Aber draußen, in der Weitsee, brach der Sturm mit erneuter Wut über mich herein. Die Planken des Kahnes barsten. Ich band mich mit dem Rahenseil fest an ein Brett und ließ mich treiben und die Götter . . .« – »Brachten dich zu mir,« rief Ughlu, in jauchzendes Entzücken ausbrechend. »O Heil mir. Und – ja, – auch Heil dir!« – »Auch mir?« fragte er kopfschüttelnd. »Freilich, du hast mich aus dem Wasser gerettet . . .« – »Das konnte ein anderer auch. Aber ich – ich werde dich retten aus viel tödlicherer Gefahr: – und nur ich – ich allein von allen Sterblichen! – kann's. Du zweifelst?« lächelte sie siegstrahlend. »Ja, du Gott, du sterblicher Gott: es ist so! Wisse: der schwarze Finnenpfeil trägt Gift . . .«

Harald wollte aufspringen: – aber er schrie vor Schmerz.

»Unheilbar: – allen Heilkünstlern. Fischgift. Nur in meinem Hause, von Geschlecht bewahrt zu Geschlecht, lebt die Kenntnis einer Salbe: – die allein rettet. Aber nur – denn immer wieder bricht die Wunde auf! – nur wenn ich sie immer wieder frisch bereite und dich salbe. Und so, hoher Harald, bist du Ughlus Gefangener auf Lebenszeit: – willst du leben, willst du nicht sterben unter diesen – oh, wie du zuckst! – diesen gräßlichen Schmerzen, – so mußt du hier bei Ughlu bleiben, solang du atmest.«

Da sprang der Jüngling auf trotz allen Schmerzen, – er wollte entfliehen: – jedoch überwältigt von der Pein stürzte er, laut aufschreiend, auf das Antlitz nieder. Die Sinne schwanden ihm vor Schmerz des Leibes und der Seele.


X.

Wochen und Monde vergingen. Hilflos, oft bewußtlos lag Harald in seiner Sandgrube. Der Alte hatte seiner Nichte geholfen, den Kranken aus der Hütte dorthin tragen. »Es ist besser,« hatte er gemeint, »er verendet nicht unter meinem Dache; Leichen bringen Unheil. Es ist ja doch bald aus mit ihm. Dann werf' ich ihn ins Meer, den Fischen zum Fraß.«

Aber Harald starb nicht. Unermüdlich, bei Nacht wie bei Tage, pflegte das Mädchen seiner, jeden Dienst ihm verrichtend.

Es ward nun gar kalt. Schnee drang durch die Schilfdecke. Unter all den Renntierfellen, die sie auf ihn häufte, fror ihn doch bitterlich; er zitterte vor Kälte; sie sah es: einen kurzen Kampf kämpfte sie. – Dann hüllte sie sich fester in ihr Gewand und legte sich dicht neben ihn, mit beiden Armen seine Brust umschlingend; wie glühte ihr dabei die Stirn, – wie wild pochte ihr das junge Herz!

»Was thust du?« fragte er erstaunt. »Ich wärme dich. – Still! – O bitte: dulde mich hier! du stirbst sonst!« – »Ah, das thut wohl . . . warm! Dank, Ughlu!« Und wieder versank er in wirren Fieberschlaf –. Und nun wich sie auch Nachts nicht mehr von ihrer Stelle auf seinem Lager. –

Der Alte war um diese Zeit ferne von der Insel: in den Wochen, da das seichte Meer in der Nähe des Landes sich mit dünner Eisrinde bedeckte, war der Fischfang mit dem Eisnetz am ergiebigsten: jetzt mußte der Vorrat eingesammelt werden für den langen Winter; der Fischer zog abends den Kahn auf das Eis und schlief darin unter den Renntierdecken.

Einstweilen aber hatte die Jugendkraft des Kranken gesiegt unter des Mädchens pflegender Hand: die Wunde schloß sich wieder, die Schmerzen verschwanden. Gekräftigt aufblühend, strotzend von Stärke, wandte sich Harald wieder dem Leben zu: dem Leben, das er abermals – ihr verdankte. – Zärtlich strich er eines Morgens, wie sie neben ihm lag, mit der Hand über ihr sprödes, hartes Haar. – »Meine Kleine, sprach er kosend, ich danke dir alles: – das Licht, – daß ich atmen darf, – die Erlösung von den Schmerzen – sie waren arg. – Dir dank' ich's. All' das hast du mir gegeben. Und – dich selber dazu, du heißes Geschöpf! – Du hast mich dir teuer erkauft: mit allem, was du hast und bist. Niemals will ich von dir lassen.«

Da schrie sie so laut auf vor wilder Freude, daß er erschrak. Unwillig schob er sie zur Seite, wie ein ungebärdig Haustier. Aber sie merkte es gar nicht. Frohlockend warf sie sich von neuem an seine Brust und umklammerte ihn mit beiden Armen so fest, als wolle sie ihn erwürgen und bedeckte ihm Augen, Wangen und den abgewendeten Mund mit flammenden Küssen.

Da erschauerte er durch die Glieder – vor Widerwillen.


XI.

Gegen Abend dieses Tages kehrte Moin zurück in seinem Kahn.

Wie staunte er, wie grollte er, als ihm auf dem Strande Harald, hoch aufgerichtet, stattlich und stark, entgegenschritt! Hand in Hand mit ihm ging, mit strahlenden Augen, das Mädchen; das sah darein wie verklärt: ein rosiger Schimmer des Glückes, eines seligen Geheimnisses lag auf dem magern Gesicht: die süße Lust konnte sie nicht schön machen, aber sie machte sie minder häßlich; eine wohlige Weichheit war über sie gekommen; sie schien nicht mehr so herb, so eckig.

»Nicht gestorben?« fragte Moin. Es war sein ganzer Gruß.

»Wie du siehst,« lachte Harald. – »Hei, welche Menge von Fischen in dem Nachen.« Er bückte sich gegen den Kahn hin.

Da warf der Alte einen langen, prüfenden Blick auf Ughlu: die errötete über und über; schweigend machte er sich dann an die Arbeit, seinen Fang auszuladen und aufzuschichten auf dem Strande, wo die Fische ausgelesen und in verschiedener Art gedörrt und geräuchert werden sollten; die beiden halfen ihm; er sprach kein Wort mit ihnen. Als es ganz dunkel geworden, ging er dünenaufwärts in seine Hütte, zu schlafen.

Ughlu hatte sich – ein wenig – gefürchtet vor dem Augenblick, da er vielleicht sie mahnen würde, wie sonst, ihm in den alten Schlafraum zu folgen. Aber das blieb ihr erspart.

Wie sich der Ohm die letzte Ladung Fische von ihr in dem Schilfkorb von der Schulter heben ließ, sagte er kurz, ohne sie anzublicken und ohne die Antwort abzuwarten: »du schläfst bei ihm? Schlaf wohl!« wandte ihr den Rücken und hinkte davon.


XII.

In der Nacht fuhr Harald jäh aus dem Schlaf empor. Er tastete um sich: ihr Platz an seiner Seite war leer. »Ughlu!« rief er. »Wo bist du? Ein Schrei! Ein schriller! Hörtest du nicht? Was ist? Wo ist mein Dolch?«

Schon fühlte er wieder in dem tiefen Dunkel des Weibes kosende Hand an seiner Wange. »Ruhig, mein Liebling. Nichts. Auch ich vernahm's. Ich sprang hinaus. Wohl ein Vogel, der zur Nacht über die See strich. Dein Dolch? Hier ist er. Da! Fühle den Griff. Schlafe nur wieder.«

»Aber! Wie dir das Herz schlägt! Noch nie schlug's rasch!« – »Auch ich erschrak. – Schlafe nur. Schlaf bringt dir Vollkraft.« – Und er wandte sich zur Seite.

Bald hörte sie die tiefen Atemzüge des Schlummernden. Sie weinte, aber ganz leise, das Schluchzen erstickend; in die Hände hinein weinte sie.


Am andern Morgen ging Harald den Strand entlang über das steile Geklipp, das seine Sandhöhle von dem Meere schied, auf die Hütte zu, wohin Ughlu vorausgeeilt war, das Frühmahl zu bereiten. Er wollte den Alten aufsuchen, ihm sagen, . . . da stutzte er. Er sah unmittelbar zu seinen Füßen im Meer von den Wellen gegen den Strand getrieben einen langen dunkeln Gegenstand. War es ein Baumstamm? Ein Stück von einem Wrack? Nein!

Zwei Raben stießen wiederholt darauf aus der Luft herab. Es war eine Leiche. Rasch kletterte Harald die Felsen hinab und sprang durch den tiefen Sand darauf zu. Es war der alte Mann. Grauenvoll war der Anblick.

Das fahle Gesicht schien erstarrt im Ausdruck tödlichen Hasses; die weit aufgerissenen Augen stierten den Jüngling an voll wütenden Zornes. In der geballten Rechten hielt er sein langes, spitzes Messer von Feuerstein, um die Finger der festgeschlossenen Linken aber wandten sich lange Strähne schwarzer Frauenhaare.

Harald faßte die Leiche an den Füßen und zog sie auf den mit Eisstücken bedeckten Sand. Da, wie er sich über den Toten beugte, bemerkte er über dem Herzen einen Blutflecken auf dem grauweißen Lederwams: er schlug das Fell zurück: eine tiefe Stichwunde.

Unwillkürlich riß Harald, von schwarzem Ahnen ergriffen, seinen Dolch aus dem Wehrgurt: – genau paßte die Klinge in die Wunde. Er stieß einen Schrei aus: »Mörderin! Ah scheußlich! Den eignen Ohm! – Aber still: für mich hat sie's gethan! – Das . . . wie alles! Jedoch ich kann nicht davon hören! Nicht davon reden! Nie!«

Und niederknieend zog und riß er hastig all' die Frauenhaare von den starren Fingern los und warf sie in die See; dann wusch er den Blutflecken aus dem Wams und breitete dessen Falten sorgfältig über die Wunde; nun deckte er noch das Gesicht des Toten mit ein Paar Eisstücken zum Schutze gegen die krächzend umherflatternden Raben und schritt rasch die Düne hinan auf die Hütte zu. –

Ughlu stand an dem Herd, ihm den Rücken wendend; sowie er eintrat machte sie sich eifrig mit der Schürung des Feuers zu schaffen. »Das Treibholz war noch zu naß,« sprach sie heiser, »scharf beißt sein Rauch in die Augen,« sie fuhr mit dem Rücken der linken Hand über die schwarzen Wimpern. Sie vermied es, ihn anzusehn; das war ihm lieb; denn ihm graute. Er schwieg.

»Wo der Ohm nur bleibt? Er kommt zu spät.« Da sagte Harald – er sah dabei zur offenen Thüre hinaus nach dem Strande hin: »er kommt gar nicht mehr; er ist tot, Ughlu.«

»Oh.« Aber allzuruhig war das herausgekommen; sie konnte sich nicht verstellen, konnte nicht Überraschung spielen.

»Ich fand die Leiche – hart am Ufer – im Meer; er ist wohl in der Nacht von der Strandklippe gestürzt und ertrunken. – Komm, wir müssen ihn begraben.«

»Ja, komm!« sagte sie tonlos, ohne ein Wort der Klage zu erheucheln. »Ich nehme die Schaufel – nimm du die Hacke – dort lehnt sie! – Der Strand ist fest gefroren.«

Und sie gingen hinaus, verscheuchten die lauernden Raben und scharrten die Leiche ein, außerhalb des Bereiches der Wellen.

Kein Wort sprachen sie bei der langen, mühsamen Arbeit. Der Nordwind pfiff schneidend über die See daher; es war alles grau, düster: Luft, Strand und Wasser: die winterliche Sonne drang nicht durch den Morgennebel auf der Flut.

Als die Grube zugedeckt war, nahm Ughlu sofort Schaufel und Hacke auf die Schulter, wandte sich und ging langsam landeinwärts. Harald blieb noch stehen und blickte auf die frisch aufgeworfene flache Erhöhung: »um meinetwillen,« sagte er leise. Dann folgte er dem Weibe.

»Wohin,« fragte er, als er sie eingeholt hatte, »wohin fahren die Toten eures Volkes, Ughlu?« – »Kommt darauf an,« erwiderte sie weiter schreitend, ohne aufzusehen. »Die Ertrunkenen hält Ahto fest, der Wassergott, der Wirt der Fluten, in seinen gründunkeln Hausungen.« – »Aber . . . die anders . . ., die blutig . . . gestorben sind?« – »Die . . . Messergestorbenen . . ., sagen wir. Ja . . ., die müssen in Blut schwimmen . . . bis an den Mund.« – »Ewig?« – Er fragte es mit Schaudern.

»Nein. Bis der Mord an der Mörderin . . . will sagen: an dem, der es gethan, gerächt ist. – Dann schwimmt der Mörder in Blut.« – »Für immer?« – »Ja . . . auf ewig.«

Harald zuckte zusammen. »Geh voraus in die Hütte und iß. Ich . . . ich kann nicht: . . . ich habe nicht Hunger. Ich komme – vielleicht – später. Und . . . höre, jetzt ist die Hütte ja frei: es war zu eng in der Sandhöhle: . . . du schläfst fortab in der Hütte.«

»Harald!« Das war ein Wehruf aus tiefster Seele.

»Ich will's. – Gehorche.« Sie standen nun vor der Hütte. Zögernd schritt sie über die Schwelle: – noch einmal sah sie ihm nach.

Nun schloß sie die Thüre, setzte sich auf den Boden, schlug ihre lange Lederschürze von vorn über Gesicht und Haupt und weinte, weinte sehr lange. Denn er kam nicht. –

»Wenn er es wüßte!« schluchzte sie. »Wie würd' er mich lieben! Lieben müssen! Ach, nur sein Leben, nicht das meine bedrohte der Ohm, mein Ernährer all die vielen Jahre. – Aber ich mag's ihm nicht sagen, daß ich auch das noch für ihn gethan. Schon jetzt seufzt er ja unter der Last seiner Dankespflichten gegen mich. Ich mag sie nicht mehren! Ach, ach, ich meine schon lange: er haßt mich, weil er mir so viel verdanken muß. – Arme Ughlu.«

Und sie ward ergriffen von tiefem Mitleid mit sich selbst: dann strömen dem Menschen die Thränen am reichsten.


XIII.

Lange währte der Winter. Viel zu lange für die Ungeduld Haralds, der unablässig, seit er wieder voll genesen war, mit aller Macht der Seele sich hinwegsehnte aus diesem öden Eiland, aus diesem öden Leben ohne That, ohne Ruhm, ohne Freude.

Die wenigen Stunden der Tageshelle füllte er aus mit der Jagd auf die Meervögel, auf die Tümmler und Robben. Die Fischerei mit dem Eisnetze verstand er schlecht; mit der Wurflanze erlegte er Lachse. Er trug sich mit der Hoffnung, ein seetüchtiges Boot zimmern zu können aus allerlei Treibholz, aus Brettern und Balken gescheiterter Schiffe, welche die Flut zuweilen anspülte. Denn aus den vier dünnen Birkenstämmlein – dem einzigen Baumwuchs auf dem Eiland – waren höchstens Ruderstangen zu schnitzen. Aber so eifrig er jedes verwendbare Stückchen Holz aufspeicherte, er erkannte, es werde noch unabsehbare Zeit währen, bis er aus solchen Trümmern mit dem ungefügen Steinbeil des Toten ein Fahrzeug zusammenflicken könnte, das er dann mit hölzernen Nägeln befestigen, mit Renntierfellen überziehen wollte. Der Fischerkahn Moins war, das sagte ihm die eigne Einsicht, Ughlus Worte bestätigend, ganz unfähig, die Weitsee aufzusuchen und des Jünglings ferne Heimat.

Allein bitterer als Harald litt das Weib an seiner Seite: er sehnte sich nach dem fernen Vaterland: sie – so verzehrend! – nach dem Mann, der ihr so nahe, der neben ihr lebte – und der doch – seit des Oheims Tod – ihr so unerreichbar geworden war wie die Sterne am Himmel.

Wann er schlief, schlich sie sich in seine Nähe, im Mondlicht sein schönes Antlitz zu beschauen stundenlang: – sobald er sich regte, huschte sie scheu hinweg; denn als er sie einmal beim Erwachen so neben ihm kauernd ertappt, hatte er sie heftig gescholten.

Stumm, aber mit feindlichen Blicken sah sie ihm zu, wie er höher und höher seinen Vorrat an Treibholz häufte, den er wie einen Hort von eitel Gold hütete und liebte, wie er sich abmühte an der nahezu erfolglosen Arbeit, mit der Steinaxt das Schifflein zu zimmern; er hatte es nicht gelernt, mit so schlechtem Werkzeug zu schaffen; er sah zufällig, wie sie das viel besser verstand, als es einmal galt, das Bretterdach der Hütte zu flicken. »Hilf mir doch an dem Schiffe bauen,« bat er da.

Sie sah ihn groß an: »Soll ich an meinem Sarg arbeiten?« fragte sie dagegen. – Trotzig, feindlich war sie hinweggeschritten: – es war um die Neige des kurzen Wintertages gewesen.

Als aber der Mond aus dem Meere stieg und die glutrote Scheibe durch das dunkle Nachtgewölk drang, – der Nebel verschlang die freundlichen Strahlen, und nur ein trübes Licht fiel auf das Eiland, – da schlich das einsame Weib aus der Hütte unter die vier Birken, wo ein flacher Hügel gewölbt war.

Der Kälte nicht achtend, warf sie sich mit der wogenden Brust auf den gefrorenen Boden und kratzte und hob mit den Händen die Eisrinde an einer kleinen Stelle hinweg, daß die sandige Erde sichtbar ward: in diese griff sie nun bohrend mit der Rechten: die Finger bluteten: sie merkte es nicht: – die herausgegrabene Erde streute sie sich über das wirr flutende Haar, über die halbnackten Schultern.

»Mutter,« klagte sie dann, »liebe Mutter! nur du hast mich lieb gehabt auf Erden. Und nun liegst du da unten: – wer weiß, ob du mich hörst. Gekommen ist einer von ihnen: – wie du mir gewünscht hast: – und mit ihm Elend, grenzenlos Elend. Hilf mir, hilf, Mutter, deinem Kind! Hörst du mich nicht? Und kannst du nicht aufsteigen und meinen wehen, wehen Kopf an deine Brust schmiegen, wie einst du thatest deinem erkrankten Kind – o so hilf mir wenigstens klagen. Lehre mich klagen – klagen in deinen Weisen! Ach, wie schön klang es, wann du klagtest. Deine Kantele hab ich noch« – hier holte sie die kleine dreieckige Geige unter dem Mantel hervor – »aber die Saiten fehlen. Nur leise drauf klopfen kann ich noch, wie auch du wohl thatest – zwischen dem klingenden Spiele. Ach, nur das tote Holz, der Holzklang ist mir geblieben von der lebenden Mutter und der lebenden Harfe. Wie war es doch? Wie sangst du – wann es so traurig war um uns her und das Traurigste von allem dein Herz?«

Und sie begann nun, in der Erinnerung suchend, verträumt, in abgerissenen Worten vor sich hin zu sprechen, leise zu singen: der Mutter alte Weisen und die eignen Gedanken, die ihr in dieser Stunde aufstiegen, nicht mehr unterscheidend, knieend vor dem Grabe der Mutter, das abgehärmte Gesicht emporgewandt gegen den blutroten Mond, das Holzdreieck gegen die Brust drückend mit der Linken und leise um das Schallloch her mit der Rechten fingernd und klopfend:

»Aino hieß sie, meine Mutter!
Ach, wie sanft war ihre Stimme,
Traurig, wie des Singschwans Klage,
Zieht er nächtlich durchs Gewölk.

Selten auf dem Freudenfelsen
Saß sie, auf dem Stein des Frohsangs:
Immer auf dem schwarzen Hügel,
Auf dem Stein des Klagetons.«

Wie doch pflegte sie zu singen?

»Wie im düstern Land der Suomi
Früh' der Sommer und die Sonne
Winterfrost und Nacht erliegen,
So vereis't dem Suomiherzen
Früh, ach gar so früh die Hoffnung
Und, kaum aufgekeimt, das Glück! –
Flüchtig ist der Suomi Freude,
Unabwendbar ihre Trauer,
Und gleichwie auf Adlerschwingen,
Schwarz und rasch und unaufhaltbar,
Rauscht das Unheil auf uns ein.
Traurig ist des Menschen Leben,
Wenn ihm nicht die Sonne leuchtet,
Und die Sonne ist: – das Glück.
Und das Glück, das ist die Liebe« . . .

»Weiter weiß ich die Zeilen nicht mehr.«

Und nach einigem Besinnen hob sie wieder an:

»Ach, wie dunkel sind die Tage,
Ach wie endlos lang die Nächte!
Wie ist wohl der Sinn der Frohen,
Wie dem Glücklichen zu Mut?

Ach, der Sinn der Unbeglückten,
Er ist grau, wie dort im Schilfe
Das Gefieder jener Ente,
Wie das Eis im schmutzgen Schlamme . . .

Wer will meine Grüße tragen
Treu an meiner Sehnsucht Ziel?
Wolke will sie mir nicht tragen:
Wolke muß zur Erde sinken.
Sonne will sie mir nicht tragen:
Sonne muß zu Golde gehen.
Sterne wollen sie nicht tragen:
Müssen tanzen um den Mond her;
Nie gelangt zu ihm mein Sehnen! . . .

Weiß der Schnee und weiß die Möwe,
Weiß der Schaum der Wogewelle,
Aber weißer ist mein Freund.
Goldig ist die gelbe Sonne,
Goldig ist der gelbe Ammer,
Aber goldiger und schöner
Viel ist meines Freundes Haar.

Meines Freundes? Ach, er war es!
Seine Freundschaft ist verflogen
Wie der flücht'ge Schaum des Meeres: –
Nicht mehr ruht auf mir sein Blick!

Stirb, erlösche, armes Mädchen,
Schwinde, wie dein Volk, die Suomi:
Deine Götter sind gestorben,
Deine Mutter ist begraben,
Deines Freundes Liebe tot!« . . .

»O Mutter, Mutter,« schrie sie nun wild auf, die Geige fallen lassend und sich mit beiden Armen über das Grab werfend, »wie wahr, wie wahr. Zum Drüber-Sterben! O Mutter, Mutter, zieh dein Kind zu dir hinab!« – – –


XIV.

Endlos, endlos deuchte der Winter dem thatlosen Mann. –

Aber zuletzt, nach vielen Monden, gewann auch in Finnland und auf dem Finnenmeer die Sonne den Sieg. Das Eis im Meere ward mürb und mürber: nur ein schmaler Streifen lockerer Schollen zog sich noch im Norden und Westen um das Eiland hin. Endlich brach auch dieser Gürtel und trieb in das offne Meer hinaus.

Und bald darauf trug bei tobendem Südsturm die See dem Harrenden eine große Freude, eine heiße Hoffnung zu: den stattlichen Mastbaum und den hochragenden Vordersteven eines gescheiterten Kampfschiffes. Und gerade an Holz für den Mast und für den spitzen Schiffsschnabel hatte es am bittersten gefehlt: ein leidlich Segel aus Fellen und Häuten hatte er längst zusammengeflickt.

Jubelnd vor Freude sprang Harald in die Brandung, wie er die gewaltigen Holzmassen herantreiben sah, rang die kostbaren Trümmer unter hoher Lebensgefahr den wilden Wellen ab und schleppte sie keuchend landeinwärts, wo er, hoch auf der Düne, gesichert vor dem Raub auch durch die höchste Brandung der sturmgepeitschten Wasser, seinen nun schon über Manneshöhe ragenden Vorrat gehäuft, den Hintergransen, den Kiel und die Wanten des werdenden Schiffleins nahezu vollendet und auf runden Stangen, welche die Walzen ersetzen sollten, aufgehöht hatte. Wie ein frohlockend Kind sprang er um den Holzstoß, um sein bisher geschaffenes Werk, um die eben gewonnene Errungenschaft her.

Finster blickend schaute ihm das Weib zu.


Es ward jetzt nicht erst Frühling: – gleich voller Hochsommer brach herein. Heiß brannte, stechend, die Sonne auf das baumleere, schattenlose Eiland: glühend warf das Granitgestein die Strahlen zurück. – Da stiegen eines Mittags schwarze Gewitterwolken auf im Süden: das war das beste Wetter, Lachse zu speeren. Harald fuhr alsbald in See, gen West, freilich nicht gar weit von der Insel hinweg. Alsbald brach das Gewitter los: es regnete wenig: aber rote Blitze zuckten unaufhörlich und ringsum hernieder: Harald erkannte von neuem, wie unmöglich es wäre, mit dem schmalen Kahn die offne See suchen zu wollen: nur mit schwerer Gefahr und Mühe gelang es ihm allmählich, gegen den Wind, um die Südspitze des Eilandes herum die Ostküste zu gewinnen, wo der Nachen am sichersten zu bergen war.

Als er sich dem Strande näherte, sah er auf dem Mittelrücken der Insel eine dichte schwarze Rauchwolke aufsteigen: wie eine dunkle Trauerfahne wallte und wogte das über das Eiland hin und weit über die See. Besorgt, bange Ahnung im Herzen, sprang er ans Land und lief dünenaufwärts, auf seinen Holzvorrat zu: – der und das halbfertige Schiff brannten lichterloh.

Und dabei stand regungslos Ughlu: die Fäuste in die Hüften gestemmt starrte sie in die Flammen: sie wandte sich nicht, obwohl sie seinen heranstürmenden Schritt hörte: wie er zur Stelle war, stieß sie mit dem Fuß den halbverkohlten Kiel des Schiffes noch tiefer in die Glut hinein: sie war über und über von Rauch geschwärzt.

»Unholdin!« schrie er und schob sie zur Seite, daß sie strauchelte; und er schlug sich verzweifelnd mit den Fäusten gegen die Brust und raufte sein Haar. »Weh, weh um meine Hoffnung. Da! Der Mast verkohlt! Und der Vordersteven mitten entzwei gebrannt. Und die Wanten! Und der Kiel! Weib, warum hast du nicht gerettet?« – Sie zuckte die Achseln: »Es brannte sehr schnell.« – »Das haben mir die Götter gethan! Sie zürnen mir!« klagte er. »Vor allem Thor.« – »Warum?« fragte sie rasch. – Er schwieg. »Thors, des Ehegottes Blitz,« dachte er, »strafte mich – auf Friggas Gebot. Statt eines Eheweibes vermischt mit einer . . .« Aber er schwieg. – »Belohnen deine Götter auch Treue,« fragte sie, »oder strafen sie nur Untreue?« Ohne die Antwort abzuwarten, schritt sie finster schauend hinweg.

Harald prüfte nun den Brand und die noch übrigen Scheite genau. – »Von unten nach oben hat es den Holzstoß ergriffen!« rief er jetzt zürnend. »Asathor blitzt von oben herab! Das hat mir nicht des Gottes Hand gethan!«


XV.

Wenige waren sie, die Worte, welche die beiden an diesem Abend noch wechselten. – Auch am folgenden Tage mied Harald die Hütte.

Der Wind war umgesprungen nach Südwest: die See ging noch so hoch: – in Nachwirkung des Gewittersturmes: – er konnte nicht ausfahren zu jagen oder zu fischen.

Da saß er denn den ganzen langen Sommertag am Strande; nach Westen, nach der Heimat schaute er aus: von der frühen Stunde an, da der Sonnenball von Osten her die roten Strahlen über das flache, nackte Eiland auf die Wolkenwand im Westen warf, den heißen Mittag über – das karge Mahl von getrockneten Fischen und Renntierkäse hatte er sich mitgebracht an die Küste: – Ughlu setzte es jeden Morgen schweigend vor seiner Sandgrube nieder. –

So saß er, bis die Abendschatten aus den Westwolken über die Fluten fielen und sogar schon einzelne Sterne in dem erdunkelnden Himmel aufzuleuchten begannen. Zuletzt lag er auf der Brust, die Ellbogen der nun wieder so starken Arme im Sande vergraben.

Er achtete es nicht, daß der heftige Wind ihn tiefer und tiefer mit dem Dünensand beschüttete: er stützte das Kinn auf die beiden Hände: weit flog sein lang Gelock hinter ihm im Winde: er sah hinaus in die unabsehbar vor ihm wellende See: er sah und sah und spähte mit aller Anstrengung der scharfen, hellgrauen Augen, ob er nicht die Heimatküste da drüben oder ein nahendes Fahrzeug erschaue.

Ach, wie oft schon hatte er ein dunkelgrau Gewölk da drüben im fernen Westen für ein Segel gehalten oder zu halten sich vorgetäuscht: umsonst!

Nichts sah er auch heute den ganzen langen Tag über als den mitleidlos lachenden blauen Himmel, die grelle Sonne, die glitzernde blendende Meeresfläche. Da schüttelte er das Haupt in seelenverzehrendem Weh. »Ach, nichts! Nichts! Auf immer hier gefangen bei dem verräterischen, tückischen Weibe! Lebendig begraben! In müßiger Öde! – Und da drüben in der Heimat, da hallen die Schilde von Schlagen der Schwerter, da hallen die Harfen vom Ruhme der Sieger! Und vielleicht bedarf der greise Vater der Hilfe des Sohnes! Den Frieden sollte ich ihm schützen helfen für unser Volk! Und, Frigga vergleichbar, der Herrlichen, schreitet dort goldflechtiger Jungfrauen Schöne dahin. Und ich, ich verschmachte hier, thatlos, ruhmlos, das Herz voll heißer Gier nach Kampfthat und Freude: – ich verschmachte, wie der verlechzende Fisch, den die Flut auf den Sand hat geworfen. O wär' ich zerschellt an jenem Geklipp! Haben sie mich daheim denn alle vergessen? Der Vater? Björn? Die Segelbrüder? Alle?« –

Da brach dem Starken die Kraft vor Jammer um sich selbst: – das ist ein Weh, das jeden Widerstand löst. Und er ließ die Ellbogen vor sich niedergleiten und das Haupt auf die Hände und heiße Thränen sog der durstige Sand.


Lang, lang lag er so. Zuletzt war er eingeschlafen, schluchzend wie ein Knabe. – Und die Sonne ging langsam vollends zur Rüste.

Plötzlich schlug ein lauter Ruf an sein Ohr. Von der See her war er gekommen. Er fuhr auf, er sprang empor: da gerade vor ihm, keinen Speerwurf mehr vom Lande, schoß auf ihn zu ein rasches Boot: geschickt, aalgeschmeidig flog es durch den schmalen Eingang des Felsengürtels.

Draußen jedoch, jenseit des Geklipps, wiegte sich vor Anker ein mächtig Kampfschiff mit hochaufragendem Drachenbug.

Das Boot trug nur Einen Mann. Der aber rief ihm nun zu: »Harald! Harald! Mein lieber Herr! So führte mich endlich Freir zu dir!« Und wenige Ruderschläge noch, – der Mann am Steuer bog vor Eifer das Haupt beinah bis gegen die Ruderbank – da knirschte der Kiel auf dem Sand der Küste und aus dem Fahrzeug sprang vor Ungeduld voraus ins seichte Strandwasser, den Vorderbug nachziehend, der Ferge: ein Recke in gewaltigem Bärenfell und klirrender Schuppenbrünne. Im Winde flog sein weißer Rauschebart und, unter dem ehernen Eberhelme hervor, das weiße Haar. –

»Björn!« jauchzte der Jüngling. »Harald! Mein König!« rief der Alte.

Und die zwei Männer umfaßten sich mit seliger Freude und drückten sich an die Brust. Und da weinten beide und lachten dazu durcheinander und betasteten sich und sahen sich in die Augen; und dann lachten und weinten sie wieder.

So achteten sie des Weibes nicht, das von hoch oben, von dem Kamm der Düne her, ihre Begegnung erschaut und einen Wehruf ausgestoßen hatte, wie ein gequältes Tier. Hoch mit beiden Händen in die Lüfte greifend, das Haupt in den Nacken geworfen, daß ihr schwarzes Haar ihr tief nachfloß, floh Ughlu, gerade hinausschreiend, landeinwärts.

Aber der Wind vertrug ihren Schrei. – –


XVI.

Nebeneinander saßen sie im Sande, Harald und Björn. Der Jüngling hatte seine – an Leiden so reiche, an Thatsachen so arme – Geschichte beendet. Aber doch nicht alles hatte er gesagt; er errötete wie ein Mädchen, als er auf Ughlus pflegende Hingebung zu sprechen kam. Und wie sie ihn – mit dem eigenen Leibe – gewärmt . . . das verschwieg er. Und anderes; auch wie er den Alten mit der Dolchwunde gefunden. »Aber nun« – drängte er, »nun nochmal alles: genau – von der Heimat! – Oh, ich Seliger – ich werde sie wiederschauen. Dank dir, du Treuer – dir, dir dank ich das Leben, das wahre. Nicht der Finnin: denn hier atmen: – das ist nicht Leben: – das ist ärger als der Tod. Dir – deiner Treue dank ich alles! Also mein hoher Vater – König Harskiöld starb? Und sie – ich meine . . .« – »Haralda meinst du? Muß ich's denn alles nochmal sagen?« – »Ja, alles nochmal. Es thut so wohl, da drinnen, in der Brust! – daß sie mich nicht vergessen haben! Also alle meine vier Schiffe . . .?«

»Verschollen! – Geraume Zeit nach deiner Abfahrt kam aus Helsingaland mahnende Frage, warum du säumest, zu helfen? Da erkannten wir, daß du und deine Segelbrüder von jenem furchtbaren Weststurm, der so viele Schiffe zerstört hatte, verschlagen warest. Sofort sandte dein Vater mich und viele andere aus auf allerlei Fahrzeugen, in allen Fjorden, in allen Häfen und Buchten zu suchen nach dir. Wir alle kamen zurück – ohne Nachricht. Ich ruhte nicht. Noch dreimal fuhr ich aus, die fernsten Küsten und Eilande lief ich an: durch den Sachsmänner-Sund bis zur Insel Hibernia, ja bis Thule trieb mich das Herz. Nirgends eine Spur!

Auch in die Nähe dieses schmalen Eilands kam ich einmal, das, wie treibender Tang, kaum sichtbar aus der Wasserfläche ragt; da weigerten die Ruderer weitere Fahrt: nur böse Geister, finnische, sagten sie, wohnten hinter jenen immer umbrandeten schwarzen Klippen: Menschen könnten da ihr Leben nicht fristen. So kehrte ich endlich heim.

Aber keine Stunde verrann mir des Tages und der Nacht, daß ich nicht deiner gedachte, von dir träumte. Ich und dein Vater. Der grämte sich vor Sehnsucht nach dir, seines Alters Stütze, seines Reiches einzige Hoffnung. Das Sehnen nagte an dem Leben des alten Helden.«

»Mein Vater!« – »Und als nun seine Schwester, Frau Königin Harhild und ihre Tochter . . .« – »Haralda! Ist sie recht schön? So recht arg schön?« – »So schritt Frigga in bräutlichem Glanz an Odhins Lager! – Als nun Schwester und Niftel, vertrieben aus ihrem Lande von den übeln Kvän-Finnen, . . .« – »Wart' ich werd' ihnen lohnen, hilflose Frauen bedrängen!« – »Zu uns flüchteten, Schutz und Hilfe suchend, da raufte der Greis sein weißes Haar und klagte: »Wehe! weh! Ich kann den Speer nicht mehr schwingen und meinen Harald, den Helden, hält Ran mir gefangen!«

»Nein, eine andere, die ihm heimlich die Rettung verbrennt!« grollte der Jüngling vor sich hin.

»Und von Gram verzehrt siechte er hin: vor sechzig Nächten haben wir ihm den Brandhaufen geschichtet. Aber die übermütigen Kvänen, pochend auf ihre Überzahl, . . .« – »Ja, wie die schwarzen Ameisen wimmeln sie!« – »Von dem eroberten Helsingaland gen Süden vordringend bis an unsere Nordmark, drohen nun deinem verwaisten Reiche den Krieg: Schatzung verlangen sie von uns . . .«

»Ich will die Schatzung auf ihre Helme schmettern!«

»Tausend Rinder und dreihundert Rosse. Und sind sie nicht geleistet bis zum Fall der Blätter, so wollen sie nicht Weib, nicht Kind bei uns verschonen.«

Da sprang Harald auf: »Ich komme!«

»Da rüstete ich nochmal meinen Drachen, dich zu suchen. Nur du kannst retten. Und ich eidete bei der Abfahrt allen Landgöttern: ›ich komme mit Harald wieder, oder gar nicht mehr‹. Und ich suchte Strand auf, Strand ab. Ganz gegen meinen Willen warf mich der Gewittersturm – Odhin, der Wegweiser zur See wie zu Land, hat ihn als Glückswind gesendet! – hierher an dieses Gestade. Ich hätte dich hier nie gesucht. Nun hab' ich dich, König Harald von Harjadal, nun komm, rette und räche.«

»Ich komme!« wiederholte der Held freudig und hob die geballten Fäuste empor.

»Dein Volk harret dein in Sehnsucht: – komm, spring ins Boot – dein Volk und Haralda.« Da zuckte der Jüngling heftig zusammen und wandte das Haupt zurück, der Düne zu.

»Was hast du?« – »Nichts! Ich folge sogleich. Ich hole nur –« – »Was?« – »Sie.« – »Wen?« – »Nun, sie – Ughlu – die Finnin.« – »Bist du von Sinnen? Das ekle Fischgeschöpf, – das üble Zauberweib?« – »Still! Ich danke ihr das Leben – dreifach. – Und danke ihr mehr! – Siehst du? – Da taucht sie auf. Dort, auf dem Kamm der Düne.« – »Das? Das ist ja eine schwarze Seebärin. Das ist kein Menschenweib!« – »Nicht doch, Björn. Folge mir: es ist die Zeit. Sie winkt zum Nachtmahl. Komm in die Hütte. Dort sag' ich ihr, daß sie sich rüste, mir zu folgen.« Und er schritt die Düne hinan.

»Verhext ist er,« brummte der Alte und stapfte, widerwillig, gelehnt auf seinen Speer, den Sand hinauf. »Verzaubert durch finnischen Zauber!«


XVII.

Mit feindlichen Blicken maßen sich Gast und Wirtin an der Schwelle des niedrigen Gezimmers: Björn grüßte nicht, sie drückte die Lippen fest zusammen.

Harald in seiner Freude beachtete es nicht. »Ughlu!« rief er. – »Nein, laß! Ich kann jetzt an Speise nicht rühren! Bald – auf dem Schiffe – labt mich ja wieder Thors Gabe: das edle, das heilige Brot. – Ughlu, freue dich, endlich erlöst! Endlich! Rasch! Mache dich fertig. Wir fahren nach Harjadal, in die Heimat! Komm nur gleich, wie du gehst und stehst: hast ja nicht viel mitzunehmen an Schätzen,« lachte er.

Aber das Lachen verging ihm, als er den Ausdruck ihrer Züge sah: das war tödlicher, versteinter Haß. »So? – Du gehst also?« Mehr brachte sie nicht hervor.

»Ja doch! – Eile! Eile dich! Mein Vater starb vor Sehnsucht nach mir. Mein alter Waffenmeister – der Vieltreue! – hat mich endlich gefunden: sein Boot liegt am Westgestad. Der Feind bedroht mein Volk. Ich fliege zu . . .«

»Haralda,« gellte sie, wandte sich zu dem alten Hünen, der unwillig, staunend, auf sie herabsah und fragte mit heiser rauhem Ton: »sie ist dort? nicht?« – »Jawohl,« erwiderte der, sich noch höher aufrichtend in seinem riesigen Bärenfell: »sie ist dort, die schönste Jungfrau unter der Sonne: bald sein Weib!« – »Ich bin sein Weib!«

Björn zuckte die breiten Achseln: »Wardst es wohl in jenem Sandloch, wohin kein Strahl des Lichtes drang, dich zu zeigen? Als der Sieche, der Willenlose, seiner Sinne nicht mächtig war? Seine Buhle wardst du in seinem Fieberwahn, nicht sein Weib. Wo ist der Muntwalt, der deine Hand vergab?« – »Tot, Erstochen . . . von mir . . . um Ihn zu retten!« – »Mörderin! Vom Blut der eignen Sippe befleckt! Scheusal!« rief Björn und trat schaudernd einen Schritt zurück.

Harald erbleichte. »Mußtest du's sagen? . . . Ich wußt' es.« – »Wie? Du wußtest es? Wußtest, daß ich auch das für dich gethan? Und hast mich dennoch von dir gestoßen wie ein ekles Tier?«

»Gerade deshalb . . . deshalb zumeist. Mir graut vor dir.« – Da lachte sie schrill: »Hört es, ihr, seine Götter! Ihm graut vor mir. Vor seiner Retterin! Vor seiner treuen Ughlu –«

»Höre, Weib,« rief Björn, »ich liebe – seit mehr als zwanzig Jahren – diesen Knaben da mehr als alles, was da lebt auf Erden. Aber lieber wüßt' ich ihn tot auf dem Grunde der See, als in deinen Armen, Finnweib. Ja, und ich will's auch nicht glauben, daß er – Freirs Enkel! – dich an seine Brust genommen, auch nur für einen Augenblick . . .«

»Frag ihn doch!« lachte sie.

»Ohne scheußlichen Zauber! Vermischt sich der Adler mit der Kröte? Man weiß, welch' allbezwingende Tränke ihr braut, ihr götterverhaßtes Geschlecht!« – »Ja,« sprach sie mit einem furchtbaren Blick auf Harald – »zum Beispiel: allbezwingende Heilsalbe für Wunden mit Pfeilgift.« – Aber Björn fuhr grimmig fort: »Behext hast du den Schönen in deiner eklen Liebesgier. Aber wahrlich: wagst du es wirklich, ihm zu folgen: ich schwör's bei Asathor, der solch unrein Gezücht zerschmettert: Anklage erhebe ich gegen dich im Volksding von Harjadal: du wärest nicht das erste Zauberweib, das wir, samt ihrem Sud, im Sack ersäuft in der See.«

»Getrost, Ughlu! Ich schütze dich, komm! Zu Schiff!« – »Geh. – Ich bleibe,« sprach sie tonlos und trat weit von ihm zurück in das Innere der Hütte. – »Was fällt dir ein?« – »Das Rechte,« rief Björn. »Wie? Willst du wirklich, dies Geschöpf an der Hand, in die Königshalle treten von Harjadal? Besudeln durch sie den Hochsitz deiner toten Mutter? Soll Haralda, die Reine, Eine Luft atmen mit dieser Zauberdirne, die dich zur Buhlschaft verführt hat in dunklem Erdloch? Laß sie hier, wohin sie gehört. Sie fühlt es selbst!« – »Unmöglich! Ganz allein . . .?« – »Ich brauche keinen Menschen mehr auf Erden.«

»Unsinn! – Folgst du mir nicht, so trag' ich dich ins Boot.« Und er schritt auf sie zu. »Zurück! Rühr' mich nicht an. Ich zerbeiße dir die Kehle.« Und sie fletschte die Zähne.

»Siehst du jetzt die Seebärin?« lachte Björn breit und laut. »Und das – das! – wolltest du mitnehmen zu . . .« – »Zu ihr!« sprach Ughlu eisig. – »Nein, du hast recht, Alter: sie und ich . . . wir können nicht atmen nebeneinander.«

»Komm, Ughlu! In Güte! Oder ich greife dich und trage dich auf Deck.«

»Sobald das Schiff in See, spring' ich hinein. Laß mich, sag' ich. Geh! Umarme die Goldhaarige: – küsse ihren weißen Hals. Die Stunde kommt, da du meiner gedenkst. Du – und: Sie! Fort mit dir, Fremdling. Diese Hütte ist mein: hinaus mit euch beiden!«

»Komm, Harald, sie hat recht! Komm, komm!« Und er zerrte den Zögernden über die Schwelle. – »Ughlu – du willst es so? Leb wohl!« Und nochmal sich wendend rief er: »Hab' Dank! Sag auch mir: ›leb wohl‹.«

Aber sie stand vor der Thür, stumm, hoch aufgerichtet, den rechten Arm emporgereckt gegen den dunkelnden Himmel, die Faust drohend geballt.


Bald darauf schoß das Boot von dem Strand auf das Drachenschiff zu, das draußen vor dem Klippengürtel vor Anker lag. Hoch ging noch immer die See. Die Brandung schlug donnernd gegen das schwarze Gezack. Harald drehte, am Steuer sitzend, der Küste den Rücken zu.

So sah nur der Alte, der, das Gesicht der Insel zugewandt, die beiden Ruder führte, wie das Weib in atemloser Hast, flatternden Haares, die Düne herabrannte, sich, sowie es den Strand erreicht, in die wildschäumende Flut warf und nun mit äußerster Anstrengung dem rasch enteilenden Boote nachschwamm. Das schoß jetzt pfeilgeschwind davon: denn der Alte ruderte mit verdoppelter Macht.

Und der Lärm der tosenden See übertönte ihre Stimme, wie sie, das Gesicht hoch aus den Wellen hebend, flehte: »Harald! Harald! Halt! O halt! Nimm mich mit. Laß mich . . . nur wie deinen Hund . . . zu deinen Füßen . . . Nein! Nur neben deinem Hause . . . Harald! Erbarmen! Nimm mich doch mit!«

Aber donnernd rauschte die Brandung über sie dahin: die Kräfte verließen sie: eine mitleidige Woge faßte sie seitlings und rollte sie weit landeinwärts auf den Sand.

Da erscholl von dem Deck des Drachenschiffes herab freudiges Rufen: die Männer von Harjadal hatten in dem Boot ihren jungen König erkannt.


XVIII.

Und Jahre waren vergangen.

Harald, von den Seinen in der Heimat mit Jubel empfangen und zum König gekoren, war sogleich ausgezogen wider die übermütigen Nordfinnen, die Kvänen: zu Wasser und zu Lande hatte er sie geschlagen, ihrem Fürsten Sampsa Pellerwoinen, dem gefürchteten Messerwerfer und Zauberer, hatte er mit Einem Streiche Kronhelm und Schädel gespalten, alle Gaue König Hâkos in Helsingaland von den schlimmen Feinden zurückgewonnen für die Witwe, Frau Harhild. Dann hatte er gar bald den Brautlauf gehalten um schön Haralda und diese als seine Königin auf den Hochsitz geführt in die Halle seiner Väter.

Und die Skalden, die alle Lande durchziehen, sagten und sangen, nirgend und nie hätten sie ein Paar gesehen, so schön und dabei so ganz zusammengehörig, wie Harald und Haralda. Standen sie nebeneinander, so war die Hochragende kaum um des kleinen Fingers Breite kürzer als ihr Gemahl; und kaum merklich war noch lichter als das seine ihr Goldhaar, das ihr, gelöst, in kleinwelligem Geriesel bis an die Knöchel flutete.

Auch die gefürchteten Wikinger, dänische und norwegische Seeräuber, die lange diese Lande heimgesucht hatten, scheuchte Harald so kräftig von seinen Küsten, daß sich kein Raubsegel mehr in die Nähe wagte.

Aber nicht nur das Schwert schwang er gewaltig und sieghaft, der junge Herrscher von Harjadal: – auch den Königsstab führte er weise, gerecht und milde. Er schützte überall die kleinen Freibauern gegen Druck und Übermut der Vornehmen. Er schirmte das Landrecht, und König Haralds Königsfrieden wagte auch der trotzigste Jarl nicht zu brechen. Wann er seinen Schild aufgehangen hatte an hohem Speer, staunte alles Volk, wie trefflich er das Ding hegte. Die Skalden sangen und sagten, man könne goldene Armringe auf die Heerstraße legen in Harjadal und sicher sein, sie nach Jahr und Tag unberührt wiederzufinden: so ehrfürchtig scheute man König Haralds Recht und Banngebot.

Und als die junge Königin ihrem Gemahl das erste Kind – einen starken Knaben – geboren hatte, da erblühte sie noch viel schöner als zuvor. Und als bei dem Fest der Namengebung um Mitternacht die Gäste die Halle geräumt und die Schlafsäle aufgesucht hatten, da schritten die beiden Gatten Hand in Hand von der Schildwiege hinweg, traten vor das Thor der Königsburg hinaus an den Fjord, der hier in das Meer rauschte, und blickten empor zu den schweigend leuchtenden Sternen. Und Harald sprach, den Arm um sein herrliches Weib schlingend: »Schaut her, all' ihr Sterne! Noch nie, seit ihr herunterblickt auf die Menschen-Erde, habt ihr solch selig Glück gesehen, wie meines.«


XIX.

Aber noch vor Hahnenkraht fuhr der junge Gatte aus süßem Traum empor mit schrillem Schmerzensschrei: aufgebrochen war die Wunde am Fuß. Am nächsten Tage schon konnte er sich nicht mehr von dem Lager erheben: bald troffen schwarzes Blut, gelber Eiter reichlich aus der Wade: grimmige Schmerzen, wie von glühenden Pfeilen, schossen durch sein Gebein. Da ward der Jammer groß.

Machtlos blieb der Königin treue unermüdliche Pflege. Ratlos standen die Heilkundigen aller Gaue um das Schmerzenlager des Siechen.

Die Sorge, die schlummerlosen Nächte zehrten an Haralda. »Die Blüte deiner Wangen welkt dahin – um meinetwillen!« klagte er, zärtlich über das bleiche Antlitz streichend mit der Hand.

Schwächer und schwächer ward der Kranke: das Fieber schüttelte den abgemagerten Leib.

Nur wann sie ihren Knaben säugte, verließ Haralda ihre Stelle an des Gatten Pfühl. Dann trat Björn, der Alte, für sie ein. Und der grimme Recke mühte sich in der Pflege wie ein zartes Weib. Eines Tages, in dem Dämmer der Frühe, raunte der Treue leise in seinen langen weißen Rauschebart: »Oh, ihr Götter! Auch du Freir! Wie ohnmächtig müßt ihr sein, daß ihr nicht helfen könnt! Schämt euch! Ach, ist denn kein Wesen im Himmel und auf Erden, und in allen neun Welten, das ihm helfen kann?«

Da erschrak er: der Kranke, der mit geschlossenen Augen vor ihm lag, hatte nicht geschlummert: »Doch, Björn!« brachte er mit schwacher Stimme hervor. Nun hob er das Haupt von dem Eiderdaunenkissen, – wie schwer ward ihm das! – schaute rings in dem Gemach umher und, nachdem er sich überzeugt, daß er mit dem Alten allein war, fuhr er fort: »Ein Wesen lebt: . . . das . . . kann mich retten.«

Mit leuchtendem Blick sprang Björn auf: »Wer?« – »Sie.« – »Wer? Wer?« – »Ughlu!« – »Die? Weh und Fluch über sie!« – »Nein: Heil und Dank! – Hast du vergessen . . .? Hab' ich dir's nicht erzählt? Nur sie kann die Salbe . . . immer frisch bereitet muß sie sein . . .! Ihre Salbe hilft. Wenn jemand hinsegelte . . . vielleicht du . . .«

»Ich bringe sie! Lebendig oder tot!« Ungestüm wandte sich der Hüne zur Thüre. »Halt, Halt!« rief der Sieche mit aller Kraft der Stimme, die er aufzubringen vermochte.

Björn blieb zögernd stehen.

»Hierher! . . . An meine Seite . . . ganz dicht! . . . Soll durch mich noch mehr Unheil kommen über die Unselige? . . . Häufe nicht noch schwerere Schuld gegen sie auf mich! – Hier – lege die Hand auf mein Herz und schwöre: dein König befiehlt: ›keine Gewalt gegen Leben, Leib, Freiheit der Finnin‹: schwöre!«

»Ich schwöre,« sprach der Alte grollend. – »Wie matt sein Herz schlägt! Ich eile!«


XX.

Viele Tage vergingen dem Kranken und schlummerlose Nächte.

Allzuviele, däuchte ihm; denn er fühlte, wie die Kräfte ihm rasch und rascher schmolzen; seufzend meinte er, Björn könnte doch lange schon zurück sein. Und schmerzlicher noch harrend sah Haralda immer wieder aus nach der Mündung des Fjords in die See von dem turmähnlichen Hochgemach an der Südecke der Königsburg: müden Schrittes, gebeugt von tödlichem Weh, wankte sie nach solch vergeblicher Ausschau die vielen steilen Stufen herab; doch bevor sie den Vorhang des Schlafgemaches zurückschlug und eintrat, richtete sie das schöne Haupt stolz auf und versuchte ein mattes Lächeln.

»Noch nicht, mein Harald,« sprach sie eines Tages an sein Lager zurückkehrend. »Aber nun gewiß bald. Nach allem, was du mir von . . . von jenem Weibe gesagt, hat sie dich doch geliebt: . . . nach ihrer dumpfen Art, freilich: . . . Wie etwa die junge Bärin, die du gefunden, aufgezogen und gezähmt und die dir nun nachlief auf Schritt und Tritt und dir so gern die Hände leckte . . .«

»Ja, bis sie einmal eifersüchtig ward, da ich ihrer nicht achtete und dich liebkoste: erwürgt hätte sie mich mit ihren umarmenden Pranken, schlug nicht – gerade noch zu rechter Zeit – Björn sie tot. Nein! du Süße, du Herrliche! Ich hab' es aufgegeben. Sie kommen zu spät. Laß es gut sein! Alles muß ja einmal enden. Freilich: . . . nur gar so kurz hat's gewährt, das berauschende Glück an deiner Seite. Und jetzt sterben – in der Volllust der Sommerzeit – das grüne Laub der Eschen wogt im lauen Wind – die Schwalben schwirren lebensselig am Fenster vorbei: . . . Ach, nur Ein Jahr noch länger – ein gesundes! – – Aber es kann uns doch nie wieder entrissen werden: wir hatten uns, wir waren selig. Das ist ewig. – O laß mich noch einmal die müden, die brennenden Augen weiden an deiner ganzen Schöne: . . . zum Abschied! Leb wohl, du goldwellig Haar: – nur noch einmal laß dich streicheln, du liebes Geriesel! Und ihr weißen, weichen, wonnigen Arme! Du liebe, zarte, treue Hand! Und die sanften Augen voll Himmelsbläue: ihr sollt der letzte Lichtstrahl sein, den ich gierig sauge: dann – Hel . . . und die ew'ge Nacht!«

»Nein, Geliebter, du sollst, du darfst mir nicht sterben! Du mußt . . . Horch! was war das? Des Burgwächters Ruf vom Turm herab! Zwei Hornstöße! Ein dritter! Dies Zeichen ward zwischen uns beredet. Björns Drache ist gelandet!« Sie eilte an den Fensterbogen. »Sieh, schon reitet vom Fjord der Strandwart herauf das Gestade. Wie rast sein Rappe den Dünenhügel hinan! Und hinter sich trägt er im Sattel . . .«

»Wen? Sie? Sie? Ughlu?« Der Kranke stützte sich müheschwer auf den Ellbogen und beugte das Haupt vor nach dem Fenster.

»Ich kann's noch nicht erkennen: sein Mantel verdeckt die zweite Gestalt. Jetzt . . ., jetzt seh' ich . . .« – »Ughlu! Die Retterin! Ah, Dank, Freir und all' ihr Götter!« – »Nein! Es ist ein Mann . . . sie springen ab: . . ., es ist Björn.« – »Allein? Ohne sie? Ach, wie gern hätt' ich doch noch gelebt!« Und wehevoll stöhnend sank er zurück und barg das Haupt in den Kissen.


»Björn!« rief die Königin und flog dem Eintretenden entgegen. »Du kommst allein?«

»Ja.« – »Ist sie . . . ist . . . das Geschöpf tot?« – »Nein.« – »Sie lebt! – Warum kam sie nicht?« – »Weil sie nicht wollte.« – »Sie wollte nicht?« rief die Königin außer sich. »Was sagte sie?« – »Sie sagte: Laß doch Haralda, sein Ehgemahl, ihn heilen.« – »Ah, das Scheusal!« rief sie und die sanften blauen Augen sprühten Blitze. »Warum hast du sie nicht hergeschleppt mit Gewalt?« – »Er hat's verboten. Auch erschlagen durft' ich das Untier nicht: – leider! Ich hab's geschworen: . . . auf sein Herz. Oh Herr, mein teurer Herr!« Und der Riese brach an dem Bett zusammen. – »Ich hole sie,« rief Haralda, das Haupt in den Nacken werfend. »Ich habe nichts geschworen! Zu Schiff!« – »Es ist zu spät! . . . Sieh her! . . . Bleibe bei ihm und hilf ihm sterben!«


XXI.

Wenige Tage darauf stand vor der Königsburg dicht an der Meeresküste der gewaltige Holzstoß aufgeschichtet für König Haralds Leichenbrand. Der Sonnenball, der langsam gegen die See hinabsank, schoß goldene Strahlen darauf.

Trauernd hatten die Gefolgen den toten Helden in allen seinen Waffen auf seinem Schild aus dem Burgthor getragen und auf die oberste Schicht des Holzstoßes gelegt: Kränze von duftenden Kräutern – denn es war vor Sommersonnenwende – und zumal Gewinde von heiligem Gedörn, das den traurigen Toten zu eigen geweiht, waren um die langen Eichenscheite geflochten.

Der Tod hatte die Spuren der Schmerzen getilgt aus dem edlen Gesicht: friedlich, wie verklärt, war das schöne Antlitz zu schauen: der Abendwind spielte liebkosend – wie zum Abschied – in dem lichten Haar, das in langen Wellen aus dem off'nen Adlerhelm auf die gepanzerten Schultern flutete.

Zu seiner Rechten, hochaufgerichtet, in schwarzem Schleier und grauem Gewand, stand die junge Königswitwe, ihren Knaben auf dem Arm: sie starrte auf den Toten, ohne Thränen: – sie hatte keine mehr. »Schau ihn an, Harmuth, mein Sohn,« sprach sie, »das war dein Vater. Werde herrlich wie er.« Das Kind streckte beide Händchen aus nach dem Glanze der Königswaffen, die im Licht der Abendsonne funkelten wie eitel Gold und Feuer.

Sie selbst, die Sonne, schien mit diesen Strahlen plötzlich den Holzstoß entzündet zu haben.

Aber es war Björn gewesen, der, zur Linken stehend, die Fackel in die trocknen Späne unter dem Schilde stieß. Sofort hoch auf flammte die Lohe.

Und alsbald legte sich der weiße Rauch der auserlesenen Hölzer und Gedörne, rasch verhüllend, über die Leiche wie ein weißes Bahrtuch und zog dann, von dem Hauche des Seewinds getragen, in einer hohen Wolke über das schweigende, das verwaiste Königshaus dahin.

Da erscholl, feierlich, ergreifend in der trauervollen Stille, helltöniger Harfenklang: ein Wanderskalde, der oft gastliche Aufnahme gefunden bei dem liedfrohen König, griff in die Saiten und hob zu singen an: und die Männer umher wiederholten im Rundgesang die letzten Zeilen:

»Harald, hoher Held,
    Dir folgt der Deinigen Dank!
Die Feinde fälltest du,
    Falsche Finnen,
Mit geschwungenem Schwert.
    Die Freunde erfreutest du,
Freirs freudiger Sproß,
    Mit mildem Mut.
Recht richtetest du,
    Festigtest Frieden.
Hohl, o Herr, hieltst du die Hand
    Und offen entgegen den Armen,
Nicht kargend kehrtest die Knöchel
    Der Faust du den Fremdlingen zu.
Gabengütig, ein Gebegern,
    Warst du wegfährtigem Wandrer.
Ach, jäh, in jauchzender Jugend,
    Wie der blühende Baldur,
Erbleichtest du bald.
    Doch es dauert dir der Dank
Und reicher Ruhm, rauschend
    Weithin über die Welt.
Und an deinem hohen Hügel,
    Held Harald,
Wird weinend weilen
Und sinnend und seufzend
    Sitzen die Sehnsucht.«


Da, während aller Augen dem Scheiterhaufen zugewandt waren und alle Hörer dem Totengesang, der Haralds-Drapa, lauschten, kreischte von dem nahen Gestade her ein schriller, gellender Schrei.

Die der Küste Nächsten in dem äußersten Halbkreis der Trauernden sahen, sich wendend, ein winziges, ein elendes Fahrzeug, das kaum fingerbreit über den Wasserspiegel ragte, anschießen auf den feuchten Sand des Fjords. Heraus sprang, die dünnen Ruderstangen fallen lassend, ein Weib.

Atemlos lief das sofort hügelaufwärts auf den flammenden Holzstoß zu: sie rannte, daß ihr langes, schwarzes Wirrhaar weit hinter ihr nachflatterte; die Rechte streckte sie vor, die Reihen der Männer, welche sie nun erreicht hatte, zu zerteilen; die Linke drückte einen Thonkrug an die Brust.

»Laßt mich durch! Laßt mich zu ihm! Hier . . . hier ist die Salbe. Ich rette ihn!«

Staunend wich das Volk zur Seite.

Schon stand sie vor dem Brandhaufen.

Ein Windstoß von der See her teilte das weiße Qualmgewölk: voll sichtbar ward einen Augenblick der Tote. »Ah! zu spät!« schrie das Weib. Wie blitzgetroffen stürzte es auf das Antlitz nieder; krachend zerbrach der irdene Krug.

»Ughlu!« grollte Björn, trat herzu und stieß mit dem Fuß an ihr Knie. »Ich glaube, das Neidweib ist tot.« »Das ist . . .? Das ist . . . das Geschöpf?« sprach die Königin von weitem. »Wie kam sie her?« staunte der Alte, wandte sich und sah nach dem Fjorde hin. »Bei Freir und allen Göttern! Auf ihrer Nußschale! Das Unmögliche – sie hat's gewagt. Sie ist tot,« wiederholte er, sich bückend. »Werft das Meerweib zurück ins Meer.« – »Nein!« schrie Ughlu aufschnellend, »noch nicht tot. Ich muß sehen . . . sie sehen . . . Wo ist . . .?« Nun traf ihr umhersuchender Blick Haralda: »Das? . . . Nein! Das ist kein irdisch Weib! Das ist – so beschrieb sie der Skalde der Mutter – Frigga die Göttin. O Königin von Asgardh, stiegst du nieder, ihn hinaufzuholen? Ach weck' ihn auf – nur auf Einen Augenblick . . . Dann heil' ich ihn.« Und sie warf sich wieder zur Erde und rutschte auf den Knieen, beide Hände flehend vorgestreckt, auf Haralda zu.

Diese aber wich zurück vor ihr, von Abscheu erfaßt, die Rechte wie zur Abwehr erhoben.

»Rühr' sie nicht an, Sudhexe!« rief Björn, sie an der Schulter emporreißend. »Nicht an den Saum ihres Gewandes! Denn das ist Haralda, seine Königin.« – »O wie schön!« hauchte die Finnin, mit offnem Munde sie anstaunend. »Verfluchte Zauberdirne!« zürnte der Alte. »Versagen dir jetzt deine Künste vor so viel Herrlichkeit und so viel Weh? Hinweg mit dir! Du wolltest ihn ja sterben wissen! Du sollst dich nicht weiden an dem Anblick deines Sieges. Fort! Oder unsere Hunde sollen dich zerreißen. Hier ist deine Stelle nicht, Mörderin!« – »Du hast recht,« wimmerte sie kläglich, »ich habe ihn gemordet: denn ich konnte ihn retten! Ja, ich habe ihn in diese Flammen gestürzt. Wohlan: ich teile sie. Harald, Harald, vergieb mir! Ich komme.« Und den Kopf in den Nacken werfend, beide Arme starr gen Himmel gereckt, warf sie sich in hohem Sprung in die Gluten, die, rot aufprasselnd, über ihr zusammenschlugen. Ein Schrei des Staunens, des Entsetzens fuhr aus aller Mund.

»O die Beneidenswerte!« rief Haralda hinzueilend. »Dürft' ich ihr folgen!«

»Nein, Frau Königin von Harjadal,« sprach Björn fest, dicht an sie herantretend, »das darfst du nicht. Du und ich – wir müssen diesen Knaben da heranziehen zu einem Helden, – seiner wert.«

Mit sanfter Gewalt löste er das Kind von ihrem Busen und zeigte es hocherhebend mit beiden Händen dem Volke.

»Schaut her, ihr Männer von Harjadal! Seht eures toten Königs Erben! Wollt ihr mir helfen, dieses Kind beschützen, bis es herangewachsen ist, euch zu schützen mit dem Schild seines Rechts und dem Schwert seiner Kraft? Wollt ihr das?«

»Das wollen wir!« antworteten die Männer und schlugen klirrend die Waffen zusammen. »Heil Harmodhr Haraldsohn, dem König von Harjadal!«

»Hörst du?« sprach Björn, ihr den Säugling zurückreichend. »So muß es sein! Nicht sterben aus wilder Verzweiflung, leben aus heil'ger Pflicht, leben für dein Kind, – das nur ist deiner würdig. Denn das, o Königin, ist Weibesheldentum.«

 


 


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