Felix Dahn
Odhins Rache - Friggas Ja - Die Finnin
Felix Dahn

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Odhins Rache

Kann Liebe verraten?
Liebe kann nicht verraten

 

Meiner lieben Schwester
Constanze von Bomhard

 

I.

Still, wie träumend in trauerschwerem Schweigen, lag Gladhsheim, Odhins Haus, das doch von der Freude den Namen führt, in Asgardh. Kein Laut drang hierher von dem ehernen Schall der Waffenspiele der Einheriar, von dem fröhlichen Lärm ihres Gelages in Walhall: denn ein Wald von hochwipfeligen, dunkelblättrigen Eschen trennte von jenen weiten Räumen der Kampfübung und der Feste des Gottes einsame Heimstätte.

Auf dem dreieckigen Giebel oberhalb der hohen Eingangsthüre saß, in wacher Spähe, sein Adler. Auf der obersten der zwölf Stufen von schwarzem Gestein, die zu dem Eingang emporführten, lagen, lang ausgestreckt, die spitzen, klugen Köpfe auf die Vorderpfoten gedrückt, im Halbschlaf, seine beiden Wölfe; nur manchmal schlugen sie blinzelnd ein Auge auf, scholl aus dem Eschicht der Ruf eines Vogels an ihr Ohr. Aber das war selten. Alles still: wie in Träumen, in Harren, in Sehnen versunken. –

In der Ferne, tief unten auf der Erde, neigte nach dem langen Sommertag die Sonne allmählich dem Versinken zu.

In der Halle, deren eichengetäfelte Wände als einziger Schmuck mannigfaltige Waffen bedeckten, war das Feuer auf dem breiten Steinherd in der Mitte des Hintergrundes, stark herabgebrannt, dem Erlöschen nah: nur zwei dicke Ulmen-Wurzelknorren glimmten noch fort: ein schmaler Streifen weißgelben Rauches zog daraus kreiselnd nach oben und suchte in den Luken des Dachgebälkes zögernd den Ausgang.

Zur Rechten des Herdes erhob sich, auf einigen Holzstufen erhöht, der Hochsitz des Saals; der Rücken ward von der Querwand desselben gebildet; die Querbank und die beiden rechtwinkelig von derselben auslaufenden Seitenbänke überdeckten kostbare Felle, die Jagdbeute des Hausherrn; die zierlich geschnitzte Brüstung und die Geländer zu beiden Seiten der Stufen trugen eingeritzte Runen.

In der rechten Ecke der Querbank lehnte Odhin, in Sinnen und Träumen versunken; er hatte den Ellbogen auf das breite Geländer gestützt und ruhte das mächtige Haupt auf der offnen Hand; er trug nur das enganliegende dunkelblaue Wams; Mantel und Hut hingen an der Wand, daneben lehnte der Speer; in der andern Ecke der Halle stand die hohe Harfe mit dem silberweißen Schwanenbug: aber gar viele Saiten waren gesprungen; wirr hingen sie herab.

Leise knisterten die Kohlen auf dem Herd.


II.

So ganz verloren in seine Träume war der Einsame, – er gewahrte es nicht, daß durch die freilich nur ein weniges und gar sacht geöffnete Thür eine schlanke Gestalt in die dämmerdunkle Halle glitt: hatte er doch die Augen – beide Augen: denn damals war noch der Gang zu den Nornen nicht geschehen – geschlossen in seinem Sinnen und Brüten.

Weder der kluge Adler noch die Wölfe, die wachen Hüter, hatten die Annäherung des Besuches gemeldet: der Vogel drückte die goldfarbigen Augen ein wenig zu, nachdem er schon von weitem die Kommende erkannt; und die treuen Wölfe witterten bei dem nahenden Schritt nur kurz dem Wind entgegen: – dann senkten sie gleich wieder die leicht erhobenen Köpfe.

Unvermerkt trat die junge Frau in dem weißen Untergewand und braunen Mantel mit schwarzer Kopfhülle hinter den Sinnenden. Sie sah ihm recht ähnlich mit den dunkeln, klugen, eindringlich blickenden Augen unter starken Brauen, und mit dem feingeschnitten kleinen Mund: aber ihr prachtvoll reiches Haar flutete tief schwarz, nicht braun; und sie zählte gar viele Winter weniger. Sie reckte sich nun ein wenig auf den Zehen, hob die beiden Hände über die Wandlehne der Bank und legte sie zärtlich auf seine beiden Augen: »Wer ist's?« Lieblich klang die leise Frage.

Sanft langte er hinauf, schob ihre Hände, diese festhaltend, zur Seite, und richtete einen liebevollen Blick empor in ihr schmales Antlitz: »nur meine Schwester,« sprach er, »zaubert also mit der Stimme.«

Sie glitt nun hinter der Bank hervor und setzte sich neben ihn. Ernsthaft, prüfend, ruhte ihr Blick auf dem gewaltigen Antlitz. Nach einer Weile begann sie, über seine nervige, magere Rechte streichend, die dem Fange des Adlers glich: »Sonst suchtest du mich; nunmehr muß ich dich suchen, soll ich dich sehen. Ist das wohlgethan?«

»Es ist wohlgethan.« – »Weshalb?« – »Weil nichts Erfreuliches an mir zu sehen ist.« – »Soll ich nur deine Freude teilen dürfen?« – »Ja. Laß mir allein . . . das andere.« – »Was ist dies andere? Es ängstet mich, quält mich . . . Seit Wochen schon währt das Unheimliche: ich meine, seit du aus Norge zurückkamst.«

Ein müdes, wehmütiges Lächeln zog um den bärtigen Mund: es ließ ihm gut. »Du hast scharfe Augen, Schwesterlein.«

»Nur ein Schwesterherz. – Jawohl! Es ist so! Vor dem Aufbruch zu jener einsamen Wanderfahrt . . ., wie hell, wie freudig hattest du noch am Abend zuvor die Harfe geschlagen, – hier, für mich und meinen lieben Mann allein. Und nun! Wie verwaist, wie verwahrlost steht sie dort in der Ecke! Keinen Ton mehr vernahmen wir!«

Er warf einen kurzen Blick auf die wirren gesprungenen Saiten. »Ich! . . . Singen? . . . Ich werde die Harfe verschenken . . . Willst du sie? Singe dazu das Glück deiner Seele: deine Liebe!«

Die junge Frau erschrak; mit hastiger Bewegung wandte sie das Gesicht so gegen ihn, daß sie ihm voll in die Augen sehen konnte. Allein er hatte sie halb zugedrückt, wie er pflog, wann er sann oder Schmerzen verbarg.

»Wer soll,« rief sie, »an diese Saiten rühren? – Odhin ohne seine Harfe! Soll aller Wohlklang verstummen in Asgardh? – Bruder, wie krank muß deine Seele sein! – Was quält dich? Wohl weiß ich: schwer lastet auf dir die Sorge um das All, um Götter und Menschen und alle guten Wesen. Allein du darfst dich nicht darüber in trauriges Träumen verlieren. Die Riesen dräuen wieder! Heimdall berichtet von der Brücke her, kecke Haufen von ihnen wagen sich abermals nahe heran: – wohl auf Spähe. Kommen sie nun plötzlich mit Macht . . .« – »So werden sie mich bereit finden, sie mit dem Speer zu empfangen, wie immer. Ich meine, Schwesterlein, an der Kampfespflicht ließ ich's noch niemals fehlen.« – »Du! All dein Leben ist Kampf. Aber solch Grübeln und Grämen, solch Sinnen und Seufzen und Sehnen, . . . es zehrt an der Kraft.«

»Sie wird noch reichen, denk ich.« – Und er lupfte leise den Speerarm. – »Und jene Ahnungen von einem unhemmbar heraufdämmernden Verderben? Sie sind nicht düsterer denn sonst. Laß kommen, was mag: wir werden's abwehren wie Männer. Und ist es nicht mehr abzuwehren, – fallen wie Männer. Es ist nicht das . . .« – »So ist es ein anderes! – Es ist also doch ein Ding, das dich verschattet! O Bruder, großer Bruder! Nein, schiebe mich nicht mit der Hand hinweg von deiner Brust, nicht mit einer Ausflucht hinweg von deinem Vertrauen. Gedenke, o gedenke der Mutter! Weißt du nicht mehr, wie sie sprach, kurz bevor sie, die lang schon Sieche, starb? Denn die Riesentochter mußte hinab nach Hel! Denkst du nicht mehr des letzten Abends, da wir beide die Wankende hinausführten aus der Halle in den warmen Sommerabend? Nicht zwölf Winter zählte ich: doch merksam war mir die Seele: über meine Jahre hinaus verstand, erriet ich der lieben Mutter Gedanken. Du führtest sie, hebend, unter dem rechten Arm: ihre Linke ruhte, gestützt, auf meinem Haupte. Die Sonne versank in grauen Wolken: ein langer, schmaler, mattroter Streif war alles, was von ihr übrig geblieben, wehmütige Sehnsucht erregend. Die Schwarzamsel sang ihr nach vom höchsten Eschenwipfel. Uns beiden war so weh um die Mutter! Die aber hielt plötzlich an im müden Schreiten und, die Hand aus meinem Haare lösend, wies sie schweigend zur Seite des Waldpfads: »Schaut hin,« sprach sie sanft, »sehet ihr nichts? Dort sprießt aus dem urstarken dunkeln Felsgestein am Wege eine zarte, duftige, weiße Blüte. Versteht ihr es nicht? Nur der starke Fels hält und schützt die Allzuzarte, nur die Zarte schmückt den allzu starren, farblos Düsteren. So sind Bruder und Schwester: so seid ihr beiden: so sollt ihr sein immerdar. Gelobt es mir in diese Hand: er dein Schutz, du sein Schmuck: er deine Kraft, du seine Milde.« – Wir drückten die durchsichtigen, blassen Finger – wie bebten sie! – und . . .« – »Und ich hab's gehalten! Ich habe dich geliebt, klein Schwesterlein, wie ich weder Mann geliebt habe noch . . . noch Weib. Und habe dich gehegt an meiner Brust, bis ich dich dem in die Arme legen konnte, dem Wackeren, den du mehr, – und ganz anders! – lieben solltest als mich. Warum also mich mahnen? Ich hielt mein Wort.« – »Auch ich, Bruder: so weit du es mich halten ließest – durch dein Vertrauen. Und wenige, wähn' ich, deiner stolzen, kühnen, ja auch deiner düsteren Gedanken hast du vor mir verschlossen bis . . . bis vor kurzem. Und oft gelang mir's, die böse Falte hinwegzuglätten von deiner hohen Stirn. Aber . . .« – »Nicht immer, meinst du? Mag wohl sein. Denn ein Mann, der ein Mann ist, behält das Bitterste für sich, meine Wara.«

»Mein Gatte, glaub' ich, birgt nichts vor mir.« – »Forseti, der Treffliche! – Ja, Kind, der Gott des Rechts, immer nur gradaus schreitend, ohne Seitenblick, hat nicht die Sorge um das Geschick der Welt zu tragen. Und außerdem . . .« – »Du stockst?« – »Nun ja,« lächelte er traurig, »es ist doch wohl ein Unterschied, mein' ich. Du bist sein Weib, nicht seine Schwester nur. – Nein, zucke nicht zusammen: das sollte kein Vorwurf sein: es ist doch nun nicht anders. – Ja, hätt' ich ein Weib . . . – Alles vertraute ich der Geliebten!« – er sprach's ganz leise für sich hin – »Wie einsam bin ich doch! König von Asgardh heiß' ich und Haupt der Asen und Herrscher der Welt. Neid, ich weiß es, tragen mir viele. Nie versiegt im Goldhorn mir der Wein, den Ehrensitz in Walhall nehm' ich ein, mein Speer fliegt niemals irr', meine Harfe tönt heller als alle Harfen, Weisheit erfrug ich, tiefere, höhere als alle Weisen, als Allvater ehren mich alle guten Wesen, vom lichten Asen bis zum dunkeln Zwerg; – – ach! und ich bin einsam! Rastlos wälz' ich mein Haupt auf dem heißen Kissen, schlummerlos, aber sehnsuchtsvoll!« Er brach ab, schweratmend; hoch hob sich ihm die breite Brust; er drückte die geballte Faust darauf, daß es schmerzte.

Betrübt strich nun die Schwester mit der weichen Hand über die fest geschlossenen Finger, wie um sie – und seinen Schmerz – zu lösen. »Und warum? Warum bist du einsam, mein Bruder? Längst ist es aller Götter Wunsch, dich vermählt zu sehen. Aber am innigsten wünscht dir's die Schwester, seit sie . . .« – sie zögerte, in holder Scham errötend – »seit Wara weiß, wie Eheliebe beglückt. – Und welche Göttin – und wäre es die stolzeste, höchste, wär's Freia selbst, der Walküren rotlockige, stürmende Führerin, . . . welches, Weib in allen neun Welten weist Odhin ab, wenn Odhin wirbt? Du weißt das sehr wohl, Übermütiger! Und dennoch unvermählt! Warum?« – »Thöricht gefragt, du vielklug Schwesterlein. Weil ich noch in allen neun Welten keine gefunden hatte!« – »Hatte!« rief sie, rasch aufspringend und mit beiden Händen sein Haupt umschließend. »Also jetzt aber hast du sie gefunden! Heil dir! Und auch ihr! Und uns allen!« – »Oder wehe mir! – Und ihr! – – Und uns allen!« flüsterte er, ihr unvernehmbar, in den wirren Bart.

Sie aber fuhr fort in freudiger Erregung: »Oh ich ahnte es fast! Oder nein: ich wünschte es nur so innig! Ah, wie will ich sie lieb haben, die Selige, die dich beseligen darf! Wer ist sie? Wo ist sie? Weshalb zögerst du . . .? Das also war's? Ein Weib?« – »Ein Weib!« nickte er traurig. – »Aber ich verstehe nicht . . . dieser Schmerz? Sie weiß, daß du sie liebst?« – »Ich glaube wohl.« – »Dann liebt sie auch dich! Es kann nicht anders sein!« – »Ich glaube, sie liebt mich.« – »Nun wahrlich, so begreife ich nicht . . .! Welcher Vater, welcher Muntwalt weigert das Ja, wenn Odhin wirbt? Und zuletzt – wäre sie des grimmigsten Riesen Tochter – wer trotzt Odhins Speer? Oder wen kann nicht – ohne Kampf – Odhin in seines dunkeln Mantels Falten entführen nach Asgardhs unerreichbaren Höhen? Bruder, unhemmbarer, stürmischer, – nur allzu stürmischer sonst! – ich fasse es nicht! Du liebst, – du wirst geliebt und du – Odhin! – sitzest hier thatlos und verzehrst dich in krankem Sehnen?«

»Und verzehre mich thatlos in krankem Sehnen!« wiederholte er, grimmig mit dem Haupte nickend. – »Unbegreiflich! – Was hindert dich, wo du willst? – Und wo ist sie? In Asgardh oder in Alfheim? In Midhgardh oder in Riesenheim? Und wer . . .?« – »Still,« sprach Odhin, sich aufrichtend. »Man kommt. Es ist der Schritt – Forsetis.« – »Ja, meines lieben Mannes!« rief sie. »O vertraue dich ihm! Oder laß mich's ihm sagen. Sein Rat ist immer gut und . . .« Aber sie erschrak. Der Bruder, der stets nur zarte Worte für sie gehabt hatte, er herrschte sie an – zum erstenmal im Leben: »Schweig! – – Bei meinem Zorn!«


III.

Bedächtigen Schrittes trat der Schwager ein. Er trug das sinnende Haupt vornüber gebeugt, wie von der Schwere eines Gedankens belastet; er schien älter durch diese Haltung als er war. Allein sowie er seines jungen Weibes ansichtig ward, erhob er sich in rascher Bewegung: sein helles, blaues, sonst so ruhiges Auge leuchtete auf. Schon lag sie an seiner Brust: er schlang den linken Arm um sie; in der Rechten trug er den weißen Richterstab, gekrönt mit einer geschnitzten greifenden Hand.

Mit wehmütigem Blicke musterte Odhin das Paar: »wie glücklich sie sind in ihrer »Eheliebe«, wie sie sagte. – Beneidenswertes Wort!«

Nun hatte sich Forseti aus der Umarmung seiner Gattin gelöst; sie an der Hand führend trat er dem Hochsitz näher, ehrfurchtsvoll den Götterkönig begrüßend. Er war nicht älter als dieser, etwa vierzig Winter: stattlich ragte ihm die ebenmäßige Gestalt; das lichtbraune Haar rollte in einer langen Welle auf den weißen Mantel, der die breiten Schultern umwallte; im goldenen Gürtel trug er ein kurzes Beil und eine starke Schlinge, gedreht von zäher Weide. Sein Gang war sicher; der bartlose Mund von strengem Schnitt fest geschlossen: der Stirne hatte sich zwischen den genau im Halbrund gebogenen Brauen eine tiefe Falte eingefurcht; seine Stimme, viel heller als die des Schwagers, klang durchdringend, wie Schlag von Erz auf Erz; sein offener Blick ging frei gerad aus: es war, als sähe er dem Angesprochenen durch das Auge stracks in die Seele.

»Ich dachte es,« nickte er freundlich. »Stiehlt sich die Frau vom Mahle der Götter – von meiner Seite! –: unvermerkt, wie die Listige wähnt: aber nicht leicht täuscht man mein Auge: ich ahnte, beim lieben Bruder hab' ich sie zu suchen. – Und es war recht gethan: allzu einsam, Schwager, hältst du dich lang schon.« – »Der Gedanke liebt die Einsamkeit.« – »Und die Trauer sucht sie,« klagte Wara. »Odhin ist traurig.« – »Das will ich gern glauben, Liebe. – Was die Zukunft droht, – er weiß oder ahnt davon mehr als wir alle. Aber auch mehr als wir alle schaut er das Unheilvollste, was die Gegenwart erfüllt.«

Sie erschrak: er sah so ernst. »Du meinst . . . was nennst du das Unheilvollste?«

»Den Bruch des Rechts. Ich nenn' ihn nicht so: er ist das Unheilvollste.« Ganz schlicht kam das heraus: aber nicht nur die Frau blickte voll Ehrfurcht zu dem auf, der dieses Wort gesagt –: er war sehr schön, wie nun der edle Eifer der Überzeugung die regelmäßigen, sonst fast allzu ruhigen Züge durchleuchtete: – auch Odhin hob, ergriffen, die Brauen. Dann aber verfinsterte sich Odhins Stirn und er meinte achselzuckend: »Darüber kann man streiten.«


IV.

»Gerade darüber kann man nicht streiten,« erwiderte der Gelassene so laut, so bestimmt, daß beide staunend auf ihn sahen und Odhin nicht ohne leisen Unwillen: er war solcher Widerrede nicht gewohnt in allen neun Welten.

Jener aber sah ihm in das Gesicht und fuhr fort: »Den grübelnden Gott, den »Für-und-Wider« rühmen und schelten dich Freunde und Feinde. Und vieles magst du, meinethalben sonst alles, hinwegstreiten den andern. Ja – was schwerer – hinweggrübeln dir selbst. Mit deinen vielverschlungenen Gedanken, den geschmeidig entschlüpfenden und unabschüttelbar umschnürenden, glatten Schlangen vergleichbaren. Und mit der Allgewalt des reichtönigen Mundes, dem nie das schärfst gewählte Wort versagt, obwohl es dir nicht der Vorbedacht, – der Augenblick, die Begeisterung geflügelt auf die Lippe legt. Wie oft hab' ich dir diese Kunst beneidet, mit kühlster Berechnung flammende Glut – und nicht geheuchelte! – zu verknüpfen –: du schrecklicher Redner, der unwiderstehlich die andern überredet, weil er sich selbst, arglistig und begeistert zugleich, dahin täuscht, dahin reißt! – Aber, Odhin von Asgardh, – das Recht grübelst du dir nicht hinweg.« Ein Schweigen entstand. Wara suchte ihres Gatten Hand.

Verstimmt, hochmütig erwiderte Odhin: »Will ich gar nicht. Aber Schlimmeres, Niedrigeres giebt es als Rechtsbruch: die Feigheit, das Gemeine. Und wo wären die Götter ohne so manche Arglist Lokis?«

»Wo sie wären? – Jedenfalls ferner ihrem Untergang.« – »Wer weiß,« lachte Odhin; aber das Lachen kam nicht von Herzen; hastig sprang er auf von dem Hochsitz und stieg in die Halle hinab, in welcher er nun mit ungleichen Schritten auf und nieder ging.

Ruhig fuhr der Schwager fort: »Und gerade aus solchem Grunde kam ich her, nicht bloß, liebe Flüchtlingin, um dich zu suchen.«

»Aus welchem Grunde?« fragte Odhin und blieb kurz stehen. »Unrecht zu hindern. Oder, ist es schon geschehen, Unrecht zu strafen.« – »So hindre. Oder strafe. Es ist dein traurig Amt.« – »Es ist seine stolze Pflicht, Bruder,« mahnte Wara; sie staunte bang; denn sie sah seinen Unmut wachsen und wußte ihn nicht zu deuten. »Das ist nun seine, ist Forsetis Heldenschaft.«

»Du hast Recht, lieb Schwesterlein,« sprach Odhin freundlicher, nun wieder hin und her schreitend. »Wie oft – ja, meist – aber doch nicht, wie du wähnst, immer.« Er blieb vor ihr stehen, lächelte und strich zärtlich mit der Hand über ihr schönes, reiches Haar. – »Rede, Schwager! Was ist's für ein Unrecht? Und wo? Bei Göttern, Elben, Riesen oder Menschen?«

»Bei Menschen. In Norge.«

Odhin hielt plötzlich inne in seinem Wandelgang: nur einen Augenblick: gleich nahm er ihn wieder auf.

»Dort herrscht ein König in Alfadal. Alf ist sein Name.« – Scharf blickte ihn Odhin an: »noch nie vernahm ich Klage wider den Alten; er ist gerecht; seine Bauern loben ihn.« – »Mit allem Grund. Auch sein Sohn Alfhart, zwar heftig und voll Hastemuts . . .« – »Der?« unterbrach Odhin seltsam lächelnd. »Der wird seinen heißen harten Kopf vielleicht einmal anrennen wider – – einen noch härteren. Dann giebt's Scherben.«

»Alfhart hat noch keinen Frieden gebrochen. Allein er hat eine Schwester.« Nur ein kleines wandte der Hörer das Haupt ihm zu: gleich schritt er wieder dahin, ihm den Rücken kehrend. Forseti fuhr fort: »Die schönste Jungfrau über all Norgeland ist Alfvhit Sonnenhaar.« – »Und hat die Maid,« forschte die junge Frau – »ich hörte von ihr! – so viel Glanz durch Schuld getrübt? Es sollte nicht geschehen! Die Schönsten sollten auch die Besten sein.« – »Tröste dich, lieb Weib; noch ist sie schuldlos. So hoffe ich. Und so hofft . . . Er.« – »Wer?« Drohend dröhnte die Frage. So laut hatte Odhin gerufen, – die noch angespannten Saiten der Harfe schwirrten zitternd nach.

»Er, der mich alltäglich und allnächtig anruft um Schutz seines guten Rechts, Adhal, der Königssohn von Updal, ihr ringverlobter Bräutigam.« Odhin war bei seinem Umhergehen an die Wandstelle gelangt, wo sein Speer lehnte; der hatte wohl zu fallen gedroht: denn er griff rasch danach, mit zuckender Hand, und ballte die Faust um den Schaft. »Weshalb?« fragte eifrig Wara, die Augen fest auf den Gatten heftend. »Droht dem Bunde Gewalt? Droht der Jungfrau Raub? Rasch sollen den Brautlauf sie rüsten! Dann werden kräftiger noch als das Mädchen die Ehefrau schützen Thôr und mein Odhin.«

Sie wandte sich nun. Stolzen Blickes sah sie auf den Bruder; der schien es nicht zu bemerken; er war mit seinem Speere beschäftigt: er lehnte ihn wieder an die Wand, aber so unsanft, daß die eherne Spitze klirrte.

»Nicht Gewalt, liebes Weib. Nicht Raub bedroht die Halle. Die Alfinge und jung Adhal sind stark genug, Räubern zu wehren.« – »Was also kann . . .? Ist die Jungfrau krank? Ich will . . .« – »Du Gute, Treue! Nichts der Art, Ich sagte: des Verlobten Recht ist bedroht: die Braut: – sie selber wankt.« – »O wehe, weh!« – »Einem andern neigt sie zu, einem Frevler. Spät in der Sturmnacht kam ein Fremdling, ein Wanderer, in die Halle, den keiner kannte; aber die Hunde bellten nicht wider ihn. Wirtlich nahm ihn der greise König auf: nach dem Frühmahl wollte er scheiden. Bei dem Frühmahl ersah er schön Alfvhit und er blieb. Er gefiel nur dem Bruder nicht: sonst allen, – auch dem Bräutigam: aber am meisten der Jungfrau. Runen ritzte er ihr, Harfe schlug er, Lieder sang er, unerhörte: und unersättlich lauschte sie ihm. Nun bangt jung Adhal um die Geliebte, die, willenlos, wie, von der Schlange Blick gebannt, das Vögelein . . .« – Laut, höhnisch lachte da Odhin: »Und der eifersüchtige Knabe ruft um deswillen den Gott des Rechtes an? Hat der Fremdling ihm sein Recht gekränkt?« – »Noch nicht.« – »Dann rat' ich, der Gott des Rechtes wartet eine That ab, bevor er mich zur Rache ruft. Wer kann für Gedanken? Wer für Liebe auch?« – »O König, kenntest du die Maid! Ihresgleichen trug die Erde nie! Sie ist . . . ja schöner noch als meine Wara ist sie.« – »Das sagt viel,« meinte Odhin, der Schwester zulächelnd, »aus deinem Mund. Und zu mir gesprochen!« – »Und der ehrwürdige König! Der edle Bräutigam!«

»Genug,« spottete Odhin. »Warum lobst du nicht auch ihren Bruder, den goldgierigen, wildwütigen?« – »Und die milde Mutter! – Glücklich lebten sie alle, mehr Glück erhofften sie in wenigen Wochen, sobald die Maid dem Königssohn gefolgt. Und nun! Unablässig fleht er zu Freia und zu mir.« – »Das hörten wir bereits! Liebt ihn das Mädchen? Ja oder nein?« – »Sie liebte ihn. Jedoch . . .« – »Forseti, mein Gemahl, mag Liebe enden?« – »Nicht unsre Liebe, Wara!«

»Keine, die es ist,« rief Odhin laut. »Merkt euch mein Wort:

Liebe ist lechzendes Leid
Oder lodernde Lust,
Aber immer ewig ist die Liebe.

Daran haltet euch. Genug der ziellosen Klagen! Soll Freia, soll ich – durch Zauber etwa! – jedes Mägdleins Sinn wenden, das den nicht mehr mag, den ihr der Vater gekoren, nachdem es den gefunden, den das eigne Herz verlangt: – soll ich etwa jede solche zurückzwingen nach der Sippe Belieben? Ei, viel Müh' und Arbeit hätt' ich dann in allen neun Welten! Und wenig Dank dazu von holden Maiden! Laß doch den Bräutigam den Vater heiraten, dem er so sehr gefällt. Und den grimmen Bruder dazu. Jeder wahre seines Liebchens Liebe selbst. Schlimm genug, braucht einer dazu drei Götter: Forseti, Freia und Odhin.« Er lachte laut und schritt wieder dahin.

»Du sollst ja nur helfen, du Vielkundiger, zu erforschen, wer in Wahrheit er ist, der unheimliche Gast, der durch Runen und Sang – wohl durch Zaubergewalt! – die Jungfrau berückt. Denn der Name, den er sich giebt, ist kein Name: ist eine Hülle an des Namens Statt.«

»Wie heißt er?« forschte Wara eifrig, denn Odhin schwieg.

»Wegwalt: – Wanderer also! Jeder mag so sich nennen, der des Wegs gezogen kommt. Und er – er kommt und geht, man weiß nicht, woher und wohin. Auch was er von seiner Heimat spricht, ist dunkel, vieldeutig. Mach' rasch ein Ende, großer König, wie leicht du kannst: sende deine beiden Raben aus und . . .« – »Die spähen nur für, nicht gegen Liebende!« – »O hättest du die Schöne je geschaut mit ihrem goldgewellten Sonnenhaar und mit dem sanften scheuen Blick des blauen Auges! Du würdest eifrig jedes Weh von ihr wehren!« – »Das will ich!« – »Dann eile! Denn wisse: ihr zorngemuter Bruder hat es ausgespäht, daß sie den Fremdling heimlich trifft.« – »Was sagst du?« rief Odhin und fuhr herum.

»Im tiefsten Tannicht, im Markwald nah dem Fjord, wo er sein kleines rasches Boot im dichten Schilfe birgt.«

»Siehst du nun, lieber Mann, wie gewaltig das ihn aufstört? Ja, Odhin hilf! Warne die Bethörte!« – »Der Bruder schleicht ihr nach – heute Nacht – sobald der Mond aus dem Möwenhaff steigt. Trifft er sie, wird sie gefangen und in das Frauengemach . . . Aber wohin? Du kennst ja den Ort nicht. Höre doch zu Ende, wo . . .« – »Was willst du thun, Bruder?« fragte Wara. – »Was du gebeten: warnen!« Und bereits hatte er Mantel, Hut und Speer ergriffen: – er schritt zur Thür – nun war er schon verschwunden. – – –

Die Gatten traten, ihm folgend, auf die Schwelle hinaus: alles leer; am Himmel flog hinab nach Midhgardh ein dunkel langgestreckt Gewölk.

»Verstehst du ihn?« fragte Forseti ernst, dem Wolkenzuge nachschauend. – »Wer versteht ihn ganz? Ich wohl tiefer als andre. Diesmal versagt mir das Erraten. Aber mir ist bang, recht bang um ihn.«


V.

Heller Sonnenschein hatte den ganzen Tag den Hof König Alfs in Alfadal umflutet. Plötzlich, bald nachdem die Sonne im Meere zu Golde gegangen, sprang überraschend Südwestwind ein: nur Eine dunkle Wolke war anfangs sichtbar: diese nahte in fliegender Eile, sich immer tiefer senkend: und alsbald ergossen sich von der See her solche Regengüsse ins Land und solches Düster verbreitete sich, daß niemand daran denken mochte, das schützende Dach eines Hauses zu verlassen.

Wohl das Aufhören des rasch eingebrochenen Unwetters erhoffend lehnte an der Fensteröffnung eines Gemaches im hohen zweiten Geschoß des Königshofes eine schlanke weiße Gestalt: der Wind, draußen ungestüm, spielte hier nur sanft, wie liebkosend, mit dem blonden Haar, das in kurzgebrochenen Wellen das schmale Haupt umrieselte.

In träumendes Sinnen versunken blickte die Jungfrau über das offene Feld vor dem Hofzaun nach Süden hin, wo das dichte Tannicht des Markwaldes dunkelte; den Wald durchfloß der breite Strom, bevor er in den blauen Fjord mündete; manchmal flog eine weiße Möwe über die fernen Wipfel hin, dem Strome folgend und dann wieder stromaufwärts, hin und wieder, hin und wieder – – –

Dorthin trachtete das Denken des bleichen Mädchens; aber es schien nicht in das trennende Düster des Waldes dringen zu können, sowenig wie der Blick des zaghaften Auges; nun senkten sich die langen, goldfarbenen Wimpern; die schöne Harrende seufzte. Ihr Haupt sank wie müde, tauschwerem Blumenkelche gleich, nach vorn, die weiße Stirn ruhte an dem harten Eichenpfosten des Fensters. – –

Da schreckte sie von unten, von dem Vorhof her, ein rauher Ruf: »Nun, Schwester, schläfst du ein vor Nacht?« Sie fuhr zusammen, sie errötete jäh. »Oder was treibst du da am offenen Fenster, wo jeder Gaffer dich, solang er will, begaffen mag? Schon lange steh' ich hier, hinter der Thüre der Schmiede gedeckt. Wartest du auf den Verlobten? O nein: du mußtest es ja sehen, wie er vor geraumer Zeit schon einritt und in die Halle schritt. Oder wolltest du wieder – du stehst ja im Mantel! – aus dem Hofzaun schlüpfen – wie schon oft diese Wochen – allein – niemand weiß, wohin? Der Regensturm hielt dich wohl ab? Schade! Heute wär' ich dir – von weitem – gefolgt und wir hätten's erfahren, wo sie denn wachsen, jene wunderseltsamen Blumen, die du schon zweimal von solcher Wanderung zurückgebracht – schlau unter dem weißen Mantel verborgen – und in dein Gemach getragen hast. Ich sah dergleichen nie in unsern Landen! – Aber komm nun hinab in die Halle. Adhal harret schon lange der Braut.«

Die Belauschte trat bestürzt, verwirrt zurück; sie zog den Ledervorhang vor das Fenster – wie um den Blick des Schelters abzuwehren; dann drückte sie die beiden Hände dicht über den geschlossenen Augen vor die Stirn, tief, tief erseufzend. – –

Nach geraumer Weile raffte sie sich auf, hob den Mantel von den Schultern, schob den Gürtel über dem blauen langfaltigen Gewand zurecht, ging zögernden Schrittes aus ihrem Schlafgemach über die große Treppe hinab in das Erdgeschoß und trat aus dem Hausgang in die rechts seitwärts liegende Halle.


VI.

Sowie sie deren schweren dunkelroten Wollvorhang zurückgeschlagen hatte, und nun, in anmutvoller Haltung, über die Schwelle schwebte, sprang von seinem Sitze neben dem Hochstuhl des Königs ein schöner Jüngling in lichtem Haar lebhaft auf, eilte ihr entgegen, ergriff ihre Rechte und sah ihr ernst, eindringend in die Augen.

Allein sie senkte sogleich die Wimpern und blieb, unentschlossen, stehen: ja, sie schien leise zurückzutrachten. Traurig, mit verhaltnem Vorwurf ließ er nun den Blick auf dem edelschönen Antlitz ruhen: er schüttelte, kaum merklich, das lange Gelock.

König Alf, auf dem Hochsitz sich vorbeugend, bemerkte alles. »Komm, Töchterlein,« mahnte er freundlich, »nicht gar so abwehrend gethan! Wohl ist sie löblich, die brautliche Scheu. Doch jedwed Ding hat seine Weile und – dann – sein Ende. Nach wenigen Nächten stehst du auf der Wiese als Ziel des Brautlaufs.«

Da ward die Bleiche noch bleicher.

»Lange schon harret jung Adhal geduldig. Nun mahnt er und drängt mit Recht.«

»Nicht doch, Vater!« – lebhaft erhob er die Hand aus dem kirschroten Mantel hervor. »Nicht gegen ihren Willen dräng' ich. Wenn sie noch Aufschub wünscht, – wohl ist es schwer zu tragen! – Doch alles geschehe nach ihrer Neigung.«

»Dank!« hauchte sie. Und ein Blick – der erste! – fiel auf ihn: der war aber freundlich, ja warm. »Er – er ist so gut!« dachte sie und errötete ein wenig, wie sie sich darauf betraf, daß ihr Auge mit Wohlgefallen ruhte auf seinen jugendlichen wohlgebildeten Zügen.

»Nein, Freund Adhal!« fiel da eine herbe Stimme ein. Der Bruder hatte in hastigem Eintreten jene letzten Worte vernommen. Er warf das von Regen triefende Bärenfell, das er über Kopf und Schultern gezogen hatte, auf eine Bank neben dem Herdfeuer und strich sich das zottige dunkle Haar aus der Stirne. »Nein! Nicht also, sag' ich. Nicht stets alles nach ihrer Neigung! Du verdirbst dir in der Braut schon das Eheweib. Nach deiner Neigung alles, sobald sie in deinen Schuh getreten. Und vorher: – nach der unsern, ihrer Schwertmagen!«

»Ihr Vater ist ihr Muntwalt,« entgegnete der Bräutigam, »nicht du, Alfhart.« Und er führte das Mädchen an der Hand an die Stufen des Hochsitzes und half ihr von da aus hinaufsteigen zu dem König.

Der wandte der Tochter das ehrfurchtgebietende Antlitz, umrahmt vom schönen weißen Haar und Barte, freundlich zu, zog sie, den braunen, goldgestickten Mantel zurückschlagend, nieder zu sich auf die Bank zu seiner Rechten und streichelte ihr liebevoll die Wange; zärtlich küßte sie ihm die kosende Hand; das Gewölk wich zusehends von ihrer Stirn: innerer Friede überkam ihre Seele hier, in dem starken Friedensschutz des Hauses, neben dem treuen Vater; sie fühlte, – ohne hinzublicken – wie freudig stolz des Verlobten Augen auf ihr ruhten: »Wie lieb er mich hat,« sagte sie zu sich selbst.

Aber Alfhart grollte und schalt in den dichten Rundbart hinein. »Ja, leider hab ich der Thörin nichts zu gebieten. Ich hätte längst ein Ende gemacht dem Sich-Zieren und Sträuben, nachdem der reiche Brautschatz bedungen und richtig bezahlt war. – Auch heute wieder!« fuhr er lauter fort. »Wie lange ließ sie den Verlobten hier unten warten, derweilen sie oben in die Windwolken hinauf träumt. Das war nicht so früher. Nicht bevor . . .!« Er brach mürrisch ab und machte sich lärmend an dem Feuer zu schaffen, ein Scheit aus dem neben dem Herdstein aufgeschichteten Holzstoß in die Glut werfend, daß die Funken hoch lohend emporstoben. »Du bist erstaunlich geduldig, Schwager, solang zu warten!«

»Ich ertrage das Warten, weil ich weiß: ein Königswort steht fest. – Und fest auch« – sprach er lauter, das Auge scharf auf Alfvhit richtend, »einer edeln Jungfrau bräutliche Treue: – es komme, was da mag.«

»Auch komme, wer da mag?« rief Alfhart, sich rasch von dem Feuer umwendend nach den dreien. »Habt ihr von Zauberliedern nie gehört und von Runen der Bethörung? Ruchlose Männer, unheimliche, sagt man, schweifen unstet durch die Lande, unter dem dunkeln Mantel die Harfe, im dunkeln Herzen die böse Lust und . . .«

»Schilt nicht,« unterbrach der König, »mit kaum verhüllter Meinung unsern Gastfreund. Ich duld' es nicht. Unedles hab' ich nie an dem vermerkt.« Alfvhit sah mit einem warmen Blick des Dankes zu dem Vater hinauf.

Da rief ihren Namen eine matte, aber gar wohllautreiche, liebliche Stimme: sie drang aus dem oberen Stockwerk herab, aus dem Schlafgemach des alten Paares, in das aus der Halle eine Wendeltreppe durch eine – jetzt geöffnete – Fallthüre hinausführte.

»Die Mutter! Ich komme, liebe Mutter!«

Und eilig huschte sie hinweg, die Stufen der Treppe hinauf.


VII.

»Gut, daß sie fort ist,« grollte der Bruder, ihr unwillig nachblickend. »So kann ich freier reden. – Ich warne dich, Vater, und dich, Schwager, vor diesem geheimnisreichen Gast. Er kam, niemand weiß, von wannen? Er geht, niemand weiß, wohin? Hoch über den Bergen, sagt er, liegt seine Heimat: Windheide heiße sie. Wer war je in Windheide? Ein Skalde will er sein . . .«

»Er ist es,« sprach der Alte. – »Niemals hörte ich herrlicher harfen!« fiel Adhal bei.

»Wohl! Aber an welcher Könige Hof lebt er? Auf welches Jarls Fürsprache beruft er sich? Sprach er je von Gaben, die er empfangen, von Harfenlohn? Wies er jemals Kette oder Spange, die er geschenkt erhalten? Vom Harfen ohne Gabe lebt auch der beste Skalde nicht! Sein schlichtes Gewand, der sturmverwetterte dunkle Mantel, der regenzerweichte Schlapphut – auch bei unsern Festen legt er sie nicht ab! – sein stilles, verhaltnes, nichts verlangendes Wesen: – eitel Hochmut ist's. Er ist nicht wie wir andern, auch nicht wie andere Skalden. Das ist verdächtig! Ich mag die Männer nicht, die gar so eigen sind. Die Schwermut, die über seinen Augen träumt, – sie ist wohl Selbstzeugnis alter Schuld. Ich mag die Männer nicht, die, glauben sie sich unbelauscht, leise vor sich hin seufzen. Er ist nicht geheuer, dieser Wandergast! Und hast du, der ringverlobte Bräutigam, es nicht verspürt, – seltsam, daß ich dich mahnen muß! – wie er die grauen Augen, die bohrenden, nicht lösen kann von jenem blonden Haupt? Wie ihr nur seine kühnen, wilden, nie erhörten Weisen gelten, voll Feuer und Trauer zugleich? – Ihr Feuer reißt hin, ihre Trauer erzwingt Mitleid. Wie er bei dem Ausklang des Liedes nur nach ihrem, – nicht nach des Königs! – Beifallsblicke sucht? – Und sie! – Nun, Adhal! Hast du wirklich nichts gemerkt? War sie früher schämig deiner Werbung ausgewichen, wie der Jungfrau ziemt . . . –, sie war doch nicht unnahbar gewesen wie das Firn-Eis des höchsten Bergs in Norge. Sie liebte dich – oder sie war dazu auf bestem Wege. Und nun! Seit Er über jene Schwelle trat, seit sie ihn harfen hörte, – nun meidet sie dich, wo sie kann. Und kann sie deine Nähe nicht meiden, so meidet sie doch deinen suchenden Blick. Übles ahnt mir! Noch sage ich nicht mehr: aber ich wache! Beim Strahle Thors. Soll die Lilie von Alfadal eines wegfahrenden Klimperers werden? Wahren Vater und Bräutigam nicht das eigne Recht und des Mädchens Ehre, so . . .«

»Genug!« rief Adhal. »Ich bin nicht blinder, aber vertrauender denn du. Ich baue fest auf Alfvhit, die Wahrhaftige. Und auch von ihm, der mir wert geworden, erwarte ich nicht Arges. Zwar fühle ich längst, wie es ihn zu ihr zieht mit unsichtbaren Banden. Schelt' ich ihn drum? Wen zieht es nicht zu ihr? Den Göttern hab' ich im Gebet mein gutes Recht zum Schutz empfohlen. Allein auch auf Erden – du magst Recht haben! – soll etwas geschehen. Vielleicht kommt ein offnes Wort drohenden Schmerzen – auch für ihn! – zuvor. Sobald er wiederkehrt, stelle ich ihn. Ich frage ihn. Entweder er sagt Nein, – dann glaub' ich ihm. Oder er bejaht, daß meinem Recht wie meinem Glück Gefahr droht, – nun, dann wird das Schwert rasch zwischen uns entscheiden. Zum Holmgang, auf Tod und Leben, ruf' ich ihn.«


VIII.

Strahlend schien am andern Morgen die Sommersonne über Land und Strom und Fjord und die blaue See. Das Gewölk des vorigen Abends war verflogen.

Noch lag der reiche Tau funkelnd auf dem im Frühwind schwankenden Grase des Angers vor dem Königshof und schon wandelte Alfvhit dem Markwald zu. Eilend schritt sie den schmalen Wiesenpfad dahin – das lange weiße Gewand bis hoch über die Knöchel hebend. Nur einmal hatte sie Halt gemacht und ängstlich über die Schulter zurückgeblickt nach der Thüre der Pfahlumhegung des Gehöftes: niemand folgte ihr.

Nun flog sie dahin; Sehnsucht zog sie.

So bemerkte sie nicht, daß, bald nachdem sie umgeschaut, aus der sacht und nur wenig geöffneten Zaunpforte ein Gewaffneter schlüpfte, der ihr folgte; vorsichtig, von weitem und gar bald auf einem anderen Wege.

Denn während sie den Wiesenhang hinab stets abwärts gegen die Strommündung und den Fjord hin trachtete gen Süden, schlug er weiter landeinwärts einen Pfad ein, der gegen Südwesten ablenkte und im Bogen – vorbei an dem Hof Eirikrs, eines König Alf untergebenen Jarls – ebenfalls an die Strommündung führte, aber über bewaldete steile Felshöhen, deren Vorsprünge und Bäume ihn verborgen haben würden, hätte die Verfolgte auch diese Richtung ins Auge gefaßt.

Allein sie sah nicht mehr um: es zog sie unwiderstehlich in den Wald.

Alsbald hatte sie die ersten Eschen und Tannen erreicht: sie neigten, vom sanften Morgenwind gebeugt, wie huldigend vor ihr die hohen Häupter. Derselbe Kosewind trug ihr den Duft der Waldblumen entgegen: sie sog ihn ein mit Dank: sie wußte freilich nicht, wem danken? Aber der Duft war so süß.

Von der höchsten Esche stiegen bei ihrem Nahen zwei Raben auf: die hatten sie schon von weitem erspäht und, sich kurz waldeinwärts wendend, mit lautem Krächzen verkündet: dann, wie sie heranschritt, sie aus klugen Augen wie einverstanden betrachtet; nun setzten sie sich – langsam, gar nicht erschrocken – in Bewegung und flogen jenem steilen Felsenpfade zu. – –

Einige Schritte weiter begrüßte sie ein melodischer, ein flötender, ein feierlicher Sang: auf dem hohen Hagedornbusch an dem Waldweg saß ein schwarzer Vogel mit goldgelbem Schnabel: er wiegte sich auf dem schwanken Gabelwipfel des Strauchs und sang ihr laut und lauter entgegen: ganz zutraulich blieb er sitzen, als sie dicht an ihm vorüber schritt.

»Dank dir,« flüsterte sie dem Vogel zu, »Schwarzamsel, die du vor allen Waldsängern Odhin lieb und geheiligt bist. Guten Angang – schönen Anfang gewährst du. Mache mir Odhin geneigt, den Gott der frühen Wege – und der geheimen.«

Sie war vorüber – die Amsel sang ihr, noch lauter flötend, nach. »Wer Vögleins Wort verstünde!« seufzte sie und eilte weiter.

Allmählich war die Morgensonne so hoch gestiegen, – schon drangen ihre Strahlen heller in den Wald: sie vergoldeten das weiche grüne Moos, das sich schwellend der Jungfrau leichtem Tritt entgegenzudrängen schien: und würziger Duft zog durch den Wald von den Tannen, deren Stämme unter dem warmen Licht rot erglänzten.

Das Mädchen holte tief Atem: der Waldesduft dehnte ihr die junge Brust: es ward ihr so ahnungsvoll, so reich und selig zu Sinn: »Der Wald ist doch das schönste Königreich! Freilich: ist Odhins Reich! Da muß er wohl herrlich sein. – Waldkönig ist Odhin. – Wie mag Odhin aussehen? Ich meine . . . Aber rascher – rascher! – Zu ihm!« Und sie beflügelte wieder den Schritt.

Nun erreichte sie das Ufer des Flusses, der sich, den Wald von Nord nach Süden durchschneidend, in den Fjord ergoß: ohne Rauschen, ohne Wellenschlag, zog der breite, starke Strom dahin, ruhig – wie die Notwendigkeit.

Hier, wo der Pfad auslief an das Ufer und eine sandige Anlände, war der Urwald ein wenig gelichtet; die Sonne erhellte freundlich die Blöße: aber sie vermochte nicht das Schilficht zu durchdringen, das dichte, schwarzgrüne, das vom Ufer an weit in den Strom reichte, über Mannes Höhe ragend und die tiefbraunen Blütenwedel ernst, ahnungsvoll wiegend.

Mitten in diesem Schilffeld war an das Ufer gezogen, von dem wogenden grünen Röhricht verdeckt, ein seltsames Fahrzeug: aus einem Eichenstamm durch Feuer und Keilschlag gehöhlt, ein Einbaum, hochbordig, schmal, mit spitz zulaufendem Vorderbug, mit breitem, schwerem Hintergransen. Der Kahn war wohl alt: vielfach zeigten die Wände Flickblöcke; Wassermoos wuchs, tief dunkelgrünes, an diesen morschen Stellen; durch die mittelste Ruderbank war eine schlanke Tanne, der man den grünen Wipfel gelassen, in den Kiel gepflöckt: ein Segel aus schwarzem Leder hing schlaff daran herab.

Auf dem hinteren Gransen, der auf den Sand gezogen war, saß ein Mann, den harrenden Blick dem Waldpfad zugekehrt.

Scharf hob sich der Umriß der Gestalt in Hut und Mantel und mit dem langen Speer über der Schulter ab von der lichten, hellblauen Luft da hinten auf dem Strom und weiter abwärts auf dem Fjord.

Noch bevor die Jungfrau sichtbar geworden – schon bei dem Ruf der beiden Raben – war der Wartende aufgesprungen: er ging ihr entgegen, wie sie nun sichtbar ward zwischen den Eschen und Eichen: sein bedächtiger Schritt hastete nicht, aber er stockte auch nie: er schwebte immer gleichmäßig dahin.

Ein rotes Eichhorn, neugierig, nach der Tierlein Art, aber auch vorsichtig und scheu, sprang vom Flusse her hinter ihm drein von Wipfel zu Wipfel, nie an die Erde rührend; leise sprang es, leicht, unhörbar.


IX.

»Wegwalt!« flüsterte das Mädchen, als sie beisammen standen. »Ich wußte wohl, – Ihr würdet hier auf mich warten. Deshalb . . . kam ich. Aber . . . es ist das letztemal.« – »Es ist das letztemal.« Er holte unter seinem Mantel weiße, seltsam duftende Blumen hervor – nur ganz wenige – und reichte sie ihr. »Wie schön! Wundern gleich! Nie sah ich ihresgleichen! Wo wachsen sie?« – »Über den Bergen. In meiner Heimat.«

Er schritt voran, dem Schiffe zu; wie willenlos folgte sie; er wies auf den breiten Bord: sie ließ sich leicht darauf nieder; er blieb dicht vor ihr stehen und beugte sich zu ihr herab, auf seinen Speer gebogen; sein Wirrbart flog im Winde.

Das Eichhorn war den Schreitenden gefolgt, hoch über die Wipfel hin; es lugte und blinzelte jetzt von einer dichtbelaubten Esche auf sie hernieder, den ganzen Leib versteckt hinter einem dicken Ast: nur der kleine Kopf mit den langbebüschelten leishörigen Ohren ragte darüber hervor.

»Es ist . . . zum allerletztenmal, daß ich hierher komme,« flüsterte sie, die Augen senkend und tief atmend. – »Ihr habt es gesagt.« – »Denn . . . wir müssen scheiden. Scheiden für immer. In wenigen Nächten . . . Sie rüsten den Brautlauf. Und dann . . . nachher! . . . Niemals will ich Euch wiedersehen, Eure Stimme nie mehr hören. Versprecht mir das!« Ängstlich, flehend schlug sie die zagenden Augen zu ihm auf.

»Warum?«

»Fraget nicht! – Ihr wißt, warum. Unrecht war alles, was ich gethan.« Und sie bedeckte die Augen mit den Händen.

»Und was habt Ihr gethan – bisher? Ihr fandet Gefallen an des Fremdlings Harfenspiel und Lied, dann auch an seinen Worten. Die andern störten Euch, störten uns. Sie blickten mit Mißtrauen. Ich bat Euch, hierher zu kommen – in den stillen Wald, – wo nicht jedes Wort gehört, gerichtet wird, wo ich freier, mächtiger harfen kann als in der engen Halle. Und du – du kamst, Königskind. O wie mich's beglückte! Ich gab dir Blumen, gab dir Lieder. Du gabst mir sanfte Blicke.«

»Ich gab Euch mehr!« hauchte sie, und senkte tief errötend das schmale blasse Gesicht.

»Ja! Noch eines gabst du mir: Mitleid! Denn als ich kam Abschied zu nehmen – für immer! – und dir – zum Abschied – sagte, ich hätte heiße Qual um dich gelitten, daß ich aber nun diesen Wunsch nach dir – den ersten und einzigen all meines Lebens! – überwunden und erstickt und erwürgt und begraben und damit alle Glückeshoffnung meiner Seele, – – da – o seliger Augenblick! – da sahst du mich ganz erschrocken an und unter Thränen sprachest du: »Leidest du? So will auch ich meinen Teil davon haben. Du sollst nicht allein leiden.« O das war so groß von dir und so selig für mich! Und es war und blieb alles, was du mir gegeben. Freilich: dies eine Wort, – es weckte ihn wieder auf, den betäubten Wunsch, den ich glücklich gemordet zu haben gewähnt. Aber er war ja nicht tot. Denn ewig ist die Liebe.«

»Und eben das ist meine schwere Schuld! Ihr errietet, daß . . . daß auch ich nicht Euer entbehren kann! Oder doch – kaum werde Euer entbehren können!« – verbesserte sie erschrocken.

Da leuchteten sie auf, die grauen Augen!

»Du hattest das nie gesagt – bis jetzt! Ich danke dir für dieses Abschiedswort; das letzte Wort war das beste.« – »Abschied?« – »Du hast ihn ja geboten!« – »Ach, muß ich denn nicht? Aber sprecht – nachher – wann – wann ich nun . . .« – »Des andern Weib geworden, willst du sagen.« – »Was werdet Ihr dann beginnen? Wohin werdet Ihr gehen?« – »Heim.« Da sank ihm das Haupt: er stützte das Kinn auf die beiden um den Speer geballten Fäuste.

So schwer, so herzerschütternd klang das Wort: sie mußte in sein Antlitz schauen; das sah zum Sterben traurig aus; es zuckte um den bärtigen Mund. »Wo ist Euer Heim?« – »Fern!« – »Wie ist es?« – »Einsam.« – »Was werdet Ihr dort beginnen?« – »Grübeln. Viel denken. Zumeist an dich. Daß du so anmutig bist. Und daß es besser wäre, du und ich und die Welt wären nie geworden. Denn ihr Wesen ist Weh. Kurz ist die Freude, ewig ist der Schmerz!« – »Aber – Eure Harfe?« – »Ich zerschlage sie. Mißklang ist alles.« – »Nicht, nicht! – Und wer wird um Euch sein?« – »Viele und – niemand! O sieh, das ist das Ärgste: die Einsamkeit! Die da drinnen, mein' ich, im Herzen. Ich kenne viele: – wer kennt mich? Wer weiß es, welche Liebesfülle hier drinnen flutet, – welch' werkeifrige Güte für alle – alle Guten: – grenzenlos! Schwere Sorgen wuchten auf mir: denn: – du magst es jetzt wissen: es ist ja alles vorbei! – ich bin nicht ein armer, wegfahrender Skalde: ich bin ein König.«

»Es überrascht mich nicht!« Sie sprach's mit leuchtenden Augen; der Stolz auf den Freund verklärte ihr Antlitz: es ließ ihr schön.

»Weit ist mein Reich und viel bedroht von starken Feinden. Tag und Nacht hab' ich zu sorgen – ich allein –: denn, glaub' es, es ist nicht geprahlt; – die um mich sind nicht ganz meinesgleichen.« Er sagte das ganz schlicht. – »Wer ist euresgleichen?« – »Du! Du allein! . . . Vergieb, ich schweige ja schon wieder! – In all' den Kämpfen sehn' ich mich so heiß, so schmerzlich, dies müde, gedankenschwere Haupt manchmal zu verruhen an einem treuen Herzen, hier aufzuatmen von Sorgen, wie sie so schwer keinen andern Herrscher drücken. Denn ach! mein Reich, so groß, so herrlich: – es ist dem sichern Untergang geweiht.«

Mit einem Schrei sprang sie auf vom Bord des Schiffs: »Und du? Und du?«

»Ich überlebe nicht die Meinen und mein Reich.« – »Du stirbst? Du willst sterben?« – »Ich muß. Und ich will.« – »So laß mich mit dir sterben! Du solltest mir nicht allein leiden: – du sollst auch nicht allein sterben. Nimm mich mit in all' dein Weh, in deine Größe und in deinen Tod.« Und flehend schlug sie die Augen, flehend hob sie beide Hände zu ihm auf. Da richtete er sich hoch empor: er warf das Haupt in den Nacken; Siegesfreude, hohe Wonne strahlte aus den bisher so schwermütigen Augen: er umschloß mit der Rechten ihre beiden Hände an den Knöcheln und zog mit sanfter Gewalt die schlanke Gestalt an seine Brust.

Nur einen Augenblick ruhte sie dort.

Dann schob er selbst sie leise zurück, sah ihr zweifelnd in die Augen und sprach ernst: »Bedenk' es wohl! Nicht ich habe dich gebeten: – du selbst! – aus freien Stücken sprachst du dies Wort. Es ist ein schweres Wort. Wirst du es tragen, wirst du's halten können?«

Sie zuckte zusammen: sie schloß unter seinem fragenden Blick die Augen: sie drückte die Linke vor die Stirn: »Oh ihr Götter der Pflicht, des Hauses und der Treue!«

»Siehst du!« sagte er traurig und ganz sanft, und ließ ihre Rechte los. »Siehst du, Kind: du kannst es nicht! – Leb' wohl!«

»Nein,« rief sie, die Hand von den Augen reißend und ihn voll anblickend, »du sollst nicht leiden um mich und nicht allein sterben! Das Weh um dich – das Erbarmen – zerreißt mir die Brust. Ich will dein Leid und will dein Schicksal teilen!«

»Du willst es wirklich? Du warst gewarnt: zum zweitenmale sprachst du das Wort! Wohlan denn, Geliebte, so folge mir: – sogleich. Dies Schiff – es segelt rasch. Bald trägt es dich in mein Reich. Komm!« Und erglühend faßte er sie an dem Arm. – »Nein, o nein!« rief sie und riß sich, leise schauernd, los. »Ich muß erst dem Vater, – ach der Mutter noch einmal ins Antlitz sehen.« Er furchte die Stirn: »es wäre jetzt so sicher! – Doch, ich dränge dich nicht. Es sei! Wann darf ich dich hier erwarten? Denn aus der Halle könnte ich dich nicht ohne Gewalt . . .« Sie schauderte nun noch stärker zusammen: »O nein! Niemals um solchen Preis! Kein Tropfen Blut um meinetwillen! – Ich will – ich werde . . . heute um Mitternacht – die Meinen sind alle zum Abendschmaus geladen in die Halle des Jarls Eirikr – dort zwischen dem Wald und unserm Hof – so kann ich leicht . . .« – »Wohlan. Mitternacht ist, wann Örwandils Stern gerade über dieser hohen Esche steht: – du siehst ihren Wipfel von deinem Gemach aus. Um Mitternacht also! Meine Braut – mein ewig Weib!«

Er schmiegte sie sanft an sich, er wollte sie küssen: aber bebend, zusammenknickend entzog sie sich: er schonte ihrer: er ließ sie aus seinem Arme gleiten.

»Ich muß nun rasch nach Hause zurück. Wenn mich nur nicht auf dem Rückweg mein Bruder . . .« – »Ja, er schlich dir nach.« – »Wehe! Weh mir.« – »Getrost. Zwei Raben, die er auf dem Felsenwege traf, hielten ihn auf. Sie stritten um einen Goldring, den der eine von ihnen im Schnabel trug: – aus einem Loch im Felsgestein hatte er ihn gezerrt. Alfhart sah das: – er suchte nach: – er fand in der Höhle noch mehr Gold und Silber, von einem alten vergrabenen Hort. Darüber vergaß er, nach der Schwester zu spähen. Er hängt am Golde. Geh' unbesorgt auf dem Wiesenweg zurück: – er gräbt noch immer in dem Gestein. Ich sah es, im Eschicht, verborgen, von weitem.« – »Dank! Auf Wiedersehen also!« – »Ja, auf ein Wiedersehen, für immerdar: – sonder Abschied: – bis ans Ende!«

Schon schwebte sie hinweg.

Der Wanderer stieg in sein Schiff: da sah er, wie ein rotes Eichhorn in raschem Rennen über das Waldmoos hin davon schoß. Er blickte ihm nach: »Loki,« nickte er leise. »Der Schleicher hat wieder einmal gelauscht. Nun wissen es bald alle Götter und Göttinnen. Desto besser! Sie können sich nicht früh genug darein finden. – Um Mitternacht!«

Noch einen heißen Blick warf er der schlanken Gestalt nach, wie sie in anmutvollem Schreiten unter den fernen Bäumen verschwand. Nun stieß er mit dem breiten Ruder den Einbaum vom Ufersand ab, schob dies in die Wiede aus zähem Weidengeflecht – in dem eingebohrten Rundloch links vom Steuergransen – und blies kräftig in das bis dahin schlaff an dem Mast herabhängende dunkle Segel: sofort füllte dies günstiger Fahrwind – Nordwind – vom Lande her und stolz rauschte das rasche Fahrzeug, mit dem spitzen Vorderbug das Wasser so leicht durchschneidend wie der Adler die Luft, hinaus durch den blauen Fjord und in das offene Meer.


X.

Bald darauf schritt Odhin, von Midhgardh her aufsteigend, die Regenbogenbrücke hinan; auf der obersten Wölbung traf er Heimdall, der, Horn in Hand, scharf ausspähte nach Osten. »Gut, daß du heimkommst, König von Asgardh,« begrüßte ihn der Wächter. »Bald, mein' ich, werden sie wieder heranrasen, die langen Lümmel. Es dringt verworrener Lärm aus Riesenheim. Sie rüsten schon lange; und diesmal mit Macht.« – »Wir aber sind gerüstet immerdar, Freund Allwach,« erwiderte er, an ihm vorüberschreitend, mit Lächeln.

»Nun,« dachte der Treue, ihm nachblickend, »das war doch wieder einmal Sonnenschein auf den lange so verdüsterten Zügen.« –

Raschen, freudig bewegten Schrittes durchmaß Odhin den Eschenwald vor seiner Halle; als er näher kam, sah er auf der obersten Stufe des Anstiegs vor der Thüre Forseti stehen und Wara; sie beugten sich vor und schauten eifrig aus. »Loki war flink – nach seiner Art,« sprach er ruhig vor sich hin. »Jetzt droht mir ein Kampf – zäher, verdrießlicher als mit allen Ungetümen von Jötunheim. – Den könnten Schwager und Schwester sich sparen. – Sich und mir!« Sowie er die unterste Stufe erreicht hatte, flog die Schwester ihm entgegen, hing sich mit beiden Händen an seinen Arm und sah ihm angstvoll in die Augen. »Bruder,« rief sie, »mein Bruder, – sage, bitte, sag': es ist nicht wahr: Loki log, wie er liebt.«

»Was soll nicht wahr sein, Schwesterlein?« fragte er ruhig, eine Stufe höher mit ihr steigend. – »Das . . . das Entsetzliche! Das ganz Unmögliche!« – »Wenig ist ganz unmöglich,« meinte er und stieg höher. – »Du – du selbst! – sollst – das Recht der Ringe brechend – du selbst sollst jene Königstochter rauben wollen!« – »Nicht rauben!« – und nun stand er vor Forseti. »Freiwillig folgt mir Alfvhit und wird mein Weib.« – »Nimmermehr!« riefen beide Gatten zugleich.

Er zog, gereizt, ein wenig die Brauen in die Höhe, indem er die Thüre seiner Halle aufstieß: der Adler da oben begrüßte ihn mit freudigem Flügelschlag.

»Tretet ein. Wollt ihr nun einmal vergebliche Worte reden, so redet sie nicht da draußen: – Loki ist wohl wieder um die Wege: – scheltet mich, wo ich allein es höre.«

Sie folgten ihm: er warf die Thür ins Schloß, lehnte den Speer an die Wand, legte Hut und Mantel auf die Bank neben dem Hochsitz und sprach: »nun hebt an; ihr habt Zeit zu schelten bis . . . nah an Mitternacht.« Und wieder begann er, die Halle auf und nieder zu schreiten: fest, in festem Entschluß, waren die Lippen zusammengedrückt.

»So spricht Odhin sonst nicht zu seiner Schwester,« begann Forseti, dem Schreitenden mit den ernsten Augen folgend. »Der Klang seiner Stimme schon verkündet: er weiß, er ist im Unrecht.« – »Ich kann's nicht glauben!« rief Wara. »So wenig ich Loki glaubte. Wie zuckte mir das Herz zusammen, als der vor die beim Mahle versammelten Götter trat und frohlockte: »Freut euch, Asen und Asinnen all'! Bald nun führt der König sie euch zu, die so lang von euch für ihn ersehnte Gemahlin. Aber nicht der edeln Asinnen eine – auch – nein, Freia! – erglühe nicht vor Freude! – auch keine der wonnigen Waninnen oder der milchweißen Elbinnen: eine Menschenmaid hat er sich erkoren. – Und – höret es, und schmäht fortab nicht mehr Loki, durchbricht Er Recht und Verträge! – Odhin raubt eines andern ringbedingte Braut.« – »Ach Bruder! hättest du dieser Worte Wirkung gesehen!«

Er zuckte leicht die Achseln: »Ich kenn' ihn, der Göttinnen Dünkel. Ich werd' ihn brechen. Sie werden's lernen, der Menschentochter dienen, die meine Gemahlin.«

»Nicht doch!« entgegnete Forseti. »Nicht die Göttinnen: – die Götter zürnen am schwersten.« Er fuhr herum: »sie sollen's wagen, mir zu trotzen! Euch alle zusammen bezwing' ich.«

»Sie trotzen nicht: sie trauern. O hättest du den Gram gesehen, der über Thors, deines Treuen, sonst so frohe Züge schattete! Traurig blickte er auf den Hammer in seinem Gürtel und sprach: »nun werf ich dich, Miölnir, in die tiefste See! All-Weiher, du bist entweiht, der du die Treue festigtest und die Verträge. Die Treue war deine Stärke.«

»So wird jener Speer dort allein fortab den Riesen wehren.«

»Oh und hättest du,« klagte Wara, »erst Lokis schadenfroh Gesicht geschaut. Thor, dessen Söhne: Modi und Magni, Tyr, Freir, alle Götter drangen in ihn, mehr, alles zu sagen, den Namen, die Heimat der Jungfrau. »Nenne sie,« grollte Thor, »und mein rascher Blitz kommt dem Kühnen zuvor, mag mich sofort dann der König durchspeeren.«

Allein lachend schüttelte Loki das rote Gelock:

»Behüte! Ich verrate nicht glückliche Liebe,« und verschwunden war er. »Sein Frohlocken mag dir zeigen, wie verderblich dein Beschluß.« – »Er beeilte sich sehr,« bestätigte Forseti, »deine Schuld vor allen zu verkünden.«

»Es ist nicht das,« lächelte Odhin grimmig vor sich hin. »Du thust ihm zu viel Ehre an! ich kenne ihn besser: er wollte mich unwiderruflich binden. Die Götter sollten's wissen, sollten toben, damit ich mich schämen müßte, träte ich zurück: – aus Scheu vor ihrem Tadel, etwa gar aus Furcht: – vor Thors Hammer und Tyrs und Freirs Schwertern! – Unnötige Sorge, Schlaukopf! – Als ob ich jemals von ihr lassen könnte!«

»Also du erkennst,« forschte Forseti, »der Arge freut sich, weil dein Vorhaben . . .?« – »Zwist in Asgardh schafft und Ärgernis. Gewiß!«

»Nicht nur deshalb! Zumeist weil . . . doch davon noch nicht! Ich will dich jetzt nur erst fragen: ist es edel, ist des Gottes würdig, was du da thust? Es war wohl nicht schwer, dem Sterblichen die Maid abspenstig zu machen, wenn ein Gott, wenn der Götter größter, ihr ins Ohr raunte: »Komm! Folge mir und werde Asgardhs Königin.«

»Du irrst, Schwager!« rief der Gescholtene funkelnden Blicks. »Das ist mein Stolz und meines Herzens süßeste Freude: nicht den Gott, – den armen Wanderer gewann sie lieb: dem wehbeladenen, vom sichern Untergang bedrohten Sterblichen, wollte sie folgen. Wegwalt wird sie entführen – und erst hier – seht, ihr zagen Seelen, das ist schön! – erst hier soll sie erfahren, wes eigen sie geworden. Ist das nicht groß?«

»Ja, das ist groß,« antwortete Forseti ruhig. »Denn es ist ein großer Frevel.«

Rasch, zornig wandte sich Odhin gegen ihn. »Hüte dich! Ich warne. Mich magst du schelten, – nicht sie! Ich dulde kein Wort wider sie.« – »Auch sie ist schuldig,« fuhr der Bedrohte furchtlos fort. »Aber ruchloser ist deine That.« – »Nein, des Weibes!« rief eifrig Wara. »Nicht Odhin ist dem Vater Gehorsam, nicht Odhin dem Verlobten Treue schuldig. Und wild tobt in den Adern des Mannes das Blut. Sie aber . . .!« – »Schweig!« dröhnte da Odhins gewaltige Stimme. »Ein Wort gegen sie und niemals mehr sollst du mein Antlitz schauen.«

»So maßlos liebt er sie!« wehklagte Wara und rang die Hände. »Ja,« sprach Forseti erschüttert, »um sie will er dich verstoßen, dich, die er mehr als alle Wesen geliebt.« – »Ich schelte sie nicht: – ich beklage sie nur,« begann die Schwester mit ihrer weichen Stimme. »Denn weh um das Weib, das, fortgerissen von des Mannes Werbung wie von einem Feuerstrom, des Rechtes, der Sitte, des Hauses heilig hegende, schützende Were verließ! Sie wird verbrennen: – zugleich mit seiner Glut.« – »Thörin! – Ewig ist Odhins Liebe.« – »Sei es. – Meinst du, sie wird je – auch in deinen Armen! – vergessen können des Unrechts, das sie jenem gethan und den Eltern, die sie getäuscht?«

»Sieh auf Hilde. Sie folgte dem Geliebten, der ihr den Vater erschlagen und erschlug den Bruder dazu. Glaubst du, Hilde hat jemals bereut?«

Wara schwieg eine Weile, nachsinnend. Dann sprach sie: »Hilde! Die Walküre mit den goldfarbigen Augen deines Adlers! Wohl! . . . Aber weißt du gewiß, daß . . . jene so stark ist, so willenskühn bis in den Tod, ja bis über den Tod hinaus um deinetwillen?«

»Sie liebt mich.« – »Es giebt der Liebe manche Art. Und manche Art der Frauen.« – »Sie hat mir dann erst, als ich ihr sagte, daß ich um sie gelitten, aber überwunden habe, erklärt: nein, sie wolle auch ihr Teil an meinem Leid, sie wolle mit mir leiden.« – Die Schwester senkte nachdenklich das Haupt, mit leisem Schütteln. Plötzlich rief sie: »ich muß sie sehen.« Und augenblicks trat sie an das offne Fenster der Halle: schon war sie verschwunden.

Aber draußen schoß vom Himmel zur Erde ein kleines schwarzbraunes Vögelein: so rasch, – die Augen der Nachblickenden vermochten dem Fluge nicht zu folgen: denn schnell fliegt sie, wann es ihr eilt, die schwirrende Schwalbe.


XI.

»Wir sind allein,« begann nun feierlich Forseti. »Nun kann ich sie aussprechen, jene letzten, jene furchtbaren Gedanken, wie sie kein Weib erträgt.« – »Mein Weib Alfvhit wird auch das Furchtbarste ertragen.« – »Nie wird sie dein Weib: – nur deine Buhle.« – »Verwegener!« schrie Odhin, riß den Speer von der Wand und zückte ihn wider jenen. – »Stoß zu. Es wäre nicht das erstemal, daß ein frevler Speer das Recht durchbohrt: ist es daran gestorben? Mich magst du töten, – nicht das Recht. Mich kannst du verstummen machen, nicht die Stimme, die in dir selbst vernehmlich spricht: Odhin, du frevelst.«

Mißmutig warf er den Speer in die Ecke; nach einem kurzen Blick auf den Schwager begann er wieder die Halle zu durchschreiten.

»Du kannst nicht leugnen,« hob der andere unbeugsam, unabschüttelbar an: »das Königskind ist dem Königssohn nach Ringrecht verlobt. – Er zahlte dem Vater den Muntschatz: das Gewicht der Braut in eitel Gold.« – »Sie ist nicht schwer, die Schlanke!« höhnte der Erboste. – »Du kannst nicht leugnen: der Verlobte hat ein unantastbar Recht auf sie.« – »Aber keins in ihr.« – »Du kannst nicht leugnen: nach dem Recht der Menschen wird, wer die Braut eines andern bethört, so hart als wie wer ein Eheweib bethört, bestraft: mit dem Tode.«

»Das Recht, das Recht!« meinte Odhin achselzuckend. »Es ist bald so, bald anders.«

»Ja, das Recht ist wie der Wald: es wird, es wächst, es wandelt sich, es welkt und wieder wird es: – immer wieder.« – »Ei, anders ist das Recht bei Sachsmännern, anders bei Nordleuten, anders bei Asen, anders bei Menschen.« – »Aber immer gilt es, da wo es gilt, so wie es gilt. Und dem Bräutigam die Braut, die ringgebundne, ablocken, – das verbietet der Asen wie der Menschen Recht. Warum, wenn ihr nicht Unrecht plant, sagt ihr's denn nicht offen dem Vater? Du kannst nicht leugnen . . .«

»Nein, du kannst nicht leugnen, unerträglicher Wiederholer des Einen Gedankens, – dem Einen Klapperwort der Mühle vergleichbar! – daß ich sehr geduldig bin: gegen dein Gerede wie gegen alle die Männer da unten. Wer wollt' es mir wehren, wär' ich der Jungfrau in meinem Asenglanz und meiner Asenkraft genaht und hätte die drei, die sie mir mißgönnen, mit diesem Speer auf Einen Wurf gefällt?« – »Das wäre Niedertracht gewesen.« – »Forseti!« – »Und Odhin ist kein blindwütiger Berserker. Du suchtest die feinere Lust statt der rohen: ihre Seele vor allem. Ein Frevel, rechtlos, ruchlos bleibt es doch.« – »Das, mein' ich, hast du nun oft genug gesagt. Fällt dir nichts Neues ein?« – »Du hast noch das Alte nicht erfaßt.« – »Langweilig ist die Wiederholung. Dürftig dein Denken.«

Da richtete Forseti einen langen, warmen, bewundernden Blick auf ihn.

»O mein großer Schwager! Ich weiß es wohl: so weit Gedanken der Götter, der Menschen, aller Wesen sich dehnen, so Mannigfaltiges sie gestalten: – all' das ist dein Reich, dein Herrschgebiet. Der Geist des Skalden, der sich und die Hörer in Entzücken dahinreißt, der Geist des Weisen, der die Runen der Vorzeit deutet und die Rätsel der Zukunft enträtselt, der Geist des Feldherrn, der durch seine neu ersonnene Schlachtordnung siegt, der Geist des Helden, der in Kampfentzücken in die Speere springt, – sie alle, diese Geister, sind Strahlen aus der Sonne Odhin, all diese Reiche sind nur Gaue deiner Königschaft: Mein ist nur dies Eine: die schmale, engumhegte, blütenlose Mark des Rechts: doch heilig ist auch sie und unantastbar und unentbehrlich wie all' deine Königsgebiete: und ich werde dies mein kleines Reich schützen ohne Furcht, ohne Wanken, wie gegen jeden Verbrecher – so gegen dich.« – – –


XII.

Bevor Odhin, der ergriffen vor ihm stand, erwidern konnte, ward die Thüre leise geöffnet und Wara trat über die Schwelle.

Trauriger noch als sie gegangen, kehrte sie wieder. Doch milder war der Ausdruck ihrer Züge. »Schon zurück?« fragte Odhin. »Du hast sie gesehen? Nun, was sagst du?« – »Du hast recht, Bruder!« – »Hörst du, Schwager?« frohlockte der.

»Du hast recht, nennst du sie das anmutvollste Weib, das jemals schwebenden Schritts über die Menschenerde gewandelt. Auch der Göttinnen keine mag ihr den Kranz des Sieges nehmen aus dem goldgewellten Haar. Aber, ach Odhin! Ihre Augen . . .«

»Sind sie nicht schön?«

»Zaghaft sind sie, scheu ist ihr Blick. – Sie lehnte am offnen Fenster, in Sinnen versunken. Wie erschrak sie, als die Schwalbe, laut zwitschernd, dicht über ihr Haupt hinflog! Denn ich mußte doch den Aufschlag dieses verträumt gesenkten Auges sehn. O Bruder: – zerrütte nicht diesen sanften Geist! Mute nicht ihr – ihr nicht, dieser rührenden Gestalt! – den Frevelmut verbotener Liebe zu, nicht Hildes schrankenlosen Ungestüm. Sie hat ihn nicht: – sie kann ihn nie entfalten! Reißest du dieses Geschöpf, so schön, so wahrhaftig, so ganz in Pflicht und Offenheit erwachsen, zu Täuschung und Unrecht fort, heraus aus dem festen Grund, aus dem Boden stiller Pflichten, in dem allein sie, sanft und sinnig, gedeihen kann: – sie welkt dir rettungslos! – Nicht glücklich, – elend wird sie sein in deinen Armen!«

»Das laß du meine Sorge sein!«

»O nein, denn mich jammert der Holden, gerade weil sie so zart, ja schwach. Schon jetzt scheint sie mir zu leiden, hin und hergerissen in der schmerzlich schwankenden Seele. – Sieh, mit Groll im Herzen gegen die ungetreue Braut, meines Bruders Verderberin, flog ich aus: – ihr Anblick hat mich gerührt, hat den Unwillen gegen sie in herzlich Mitleid gewandelt. Höre mich, o höre mich, Bruder, zu Ende. Nachdem ich sie gesehen, – nachdem ich – widerstrebend! – sie lieben muß, jetzt flehe ich dich an, nicht nur um des Rechts, auch nicht um deinetwillen bloß – vor allem um dieser herzerweichenden Gestalt willen fleh' ich dich an –: laß ab von ihr, daß sie nicht maßlos elend wird.« – »Elend! Sie liebt mich!« – »Das eben . . . o zürne nicht! . . . das glaub' ich nicht.«

Er lachte stolz. »Ich weiß das besser, glaub' ich.« – »Weil sie dir's sagte? Hat sie's wirklich je gesagt? Siehst du, du schweigst auf diese Frage! Weil sie dir folgen will? Ich errate nicht, was sie dazu treibt – wenigstens: ich zweifle noch. Allein gewiß – mag sie's auch wähnen! – sie liebt dich nicht!«

»Und warum nicht?«

»O Bruder: könnte sie dann so zum Sterben traurig sein? Heute – wenige Stunden, bevor sie dein werden soll? Schüttle nicht das Haupt! Ja, sie ist sterbenstraurig! Ich sah es klar: ich kann durch Weibesaugen in die Seele schau'n: es hätte, mir ihren verzweifelnden Schmerz zu zeigen, gar der beiden großen Thränen nicht bedurft, die ihr langsam, langsam über die todesbleichen Wangen glitten: sie ward ihrer nicht gewahr vor uferlosem Weh.«

»Das . . . das faß' ich nicht. Doch, wie es sei: – ich kann nicht von ihr lassen.«

»Das glaub' ich, armer Odhin, seit ich sie gesehen, diese bleiche Königin der Anmut. Ein Mann, der ihre Seele sein wähnt, wird wohl nicht mehr von ihr lassen – freiwillig.« – »Und wer zwingt mich?« – »O Geduld, noch einen Augenblick! Deshalb ja, geliebter Bruder, hab' ich ein Mittel ausgesonnen – und – und gleich mitgebracht! – das alles, alles heilen wird: – ohne Schmerz und ohne Schuld.«

»Darauf: – auf solch ein Ding bin ich begierig.«

»Als ich die Blasse, Verzweifelnde so vor mir sah, sagte ich mir: »o hätte er sie nie gesehen. Er wird sie nie vergessen.« Da schoß es mir heiß durchs Herz: »wenn er aber vergessen muß? Ohne Willen? Wider Willen? Durch Zauber, durch einen erlösenden Spruch?« Und nun fiel mir ein: – ich jubelte bei dem Gedanken! – ganz nahe Alfdal, in dem Eisenberg, wohnt Göldhr, der Zwerg, der Runensprüche, Zauberlieder jeder Wirkung kennt. Oft hat er sie mir gerühmt, kam ich zu ihm, zerbrochen Geschmeide bessern zu lassen. Er bot mir dann wohl zum Tausch für Spange und Kette Lied und Spruch. Was hatte ich bisher seines Zaubers bedurft? Ich besaß den Gatten, die blühenden Kinder und meinen Stolz: den freudigen Bruder! Aber jetzt, aber heute! O wenn es geläng, den Liebesiechen zu heilen! Kein Bitten wollt ich scheuen, kein Preis sollte mir zu kostbar sein. Einen letzten Blick noch warf ich auf die Weinende, die Schwache, die der Widerstreit der Seele grausam hin- und herzerrte – und rasch trugen mich die Schwalbenflügel an die Höhle des Dunkel-Elben. Er zögerte klug, er feilschte lang: – genug: hier ist der Zauber, der so viel Unheil wendet.«

Und mit Freude, mit strahlenden Augen zog sie aus dem Gürtel ein viereckig Stück Buchenrinde, in welches einige Runenzeilen geritzt waren.

So ergreifend war diese schwesterliche Freude, – Odhin trat bewegt dicht an sie heran: mit kosender Hand strich er über die schwarzbraune Mantelkapuze, welche sie dicht über das Haupt geschlagen hatte: »Du Vielgetreue! Geizig ist der Zwerg: – teuren Preis magst du bezahlt haben müssen.«

Unter seiner Hand glitt die Mantelhülle herab auf ihre Schultern: da stießen beide Männer Rufe schmerzlichen Staunens aus: »Wara! Weib! Dein Haar . . .?« – »Schwester, was ward aus deinem schönen Schwarzhaar?«

Sie errötete: – das ließ ihr gar hold – und lächelte: aber doch feuchteten sich ein wenig die dunkeln Augen, als sie antwortete:

»Mein Haar? Oh – ich schnitt es ab. – Es war der Preis, den der Zwerg begehrte: er schämt sich schon lange des kahlen Kopfes seines Weibes.«

»Schwester! Schwester! Was hast du gethan! – Für mich gethan.« Und er schloß sie ungestüm in die Arme. – »Wenn's nur hilft!« lächelte sie unter Thränen.

Forseti aber faßte ihre Hand und sprach: »ich liebte dieses Haar – das prächtige, dunkle: – nach deinem Auge liebte ich es zumeist an dir. Aber Dank, mein Weib, daß du's geopfert: nun bleibt die Schuld erspart.« – »Und auch das Weh: – beiden!« fiel Wara eifrig ein. »Horch auf, mein Bruder, gieb scharf acht. Spricht einer der Liebenden den Spruch – leider« – und hier lächelte sie ein wenig – »leider muß eines von euch beiden selbst ihn sprechen, soll er wirken: sonst hätt' ich den Zauber sofort gebraucht, sowie meine Hand ihn ergriff! – spricht eines von euch beiden den Spruch, so wirkt er sogleich Vergessen, mag's der eine sich selbst oder dem andern oder beiden wünschen. Höre, wie es lautet!«

Und sie las:

»Ich, Odhin von Asgardh,
Vergesse ganz und gar
Dieser Liebe liebliches Leid
Und leidschwere Lust!
Auf immer und ewig
Versinke mein Sehnen,
Als ob ich Unsel'ger
Ihr Auge niemals geseh'n!
Auf immer und ewig
Vergess' ich Alfvhit von Alfdal,
Ich, Odhin von Asgardh.
So soll auch meiner vergessen
Auf immer und ewig
Alfvhit von Alfdal.«

»Da, nimm, Bruder, und sprich den Spruch und alles ist gut!«

Und sie drängte ihm das kleine Rindenstück in die Hand.

Sogleich warf er es mit raschem Schwung auf den Herd, wo noch ein paar Kohlen verglimmend glühten: sofort knisterte die Rinde und schrumpfte zusammen.

»Niemals!«

»O Bruder, was thust du!« – Sie sprang hinzu: »ach, zu spät!« – »Es war teuer erkauft, Schwager!« grollte Forseti. – »Wie konnte meine Schwester wähnen . . .? So wenig kennt sie mich? Ich will dies Weib.«


XIII.

»So willst du also freveln!« zürnte Forseti. »Ja, nachdem aufopfernde Liebe dir den Weg gewiesen, ohne Schmerz für euch beide, ohne die Qual ungestillten Sehnens für dich – durch Vergessen! – das Verbrechen zu meiden: – trotzdem beharrst du darauf? Das verdoppelt deine Schuld!« – »Schweig', ich hab's nun satt. – Mit dir bin ich fertig.« – »Doch das Recht ist nicht zu Ende mit dir.« – »Du jedoch, Schwester, kannst du's denn nicht begreifen? In steter Sorge um die Götter und die Welt verzehr' ich mich: – einsam.« – »Du hast die Herrschaft der Welt.« – »Sie ist eine Last.« – »Du hast den Ruhm höchster Heldenschaft und tiefster Weisheit.« – »Ruhm ist ein Schall.« – »Du hast der Dichtung begeisternden Trank.« – »Er weckt nur den Durst nach Liebe.« – Du hast treue Freunde.« – »Jeder von ihnen hat ein Weib: das beglückt ihn, nicht meine Freundschaft.« – »Du hast,« fiel Forseti ein, »eine Schwester, deren Liebe . . .« – »Ihrem Manne gehört, wie billig. Überall und allen bin ich der Zweite: soll ich nicht in Einem Herzen der erste sein? Muß ich euch, den glücklichen Gatten, erst noch beweisen, daß es nur Ein Glück giebt in allen neun Welten: liebend geliebt zu sein? Der ärmste Knecht, der aus harter Frohn für harten Herrn abends heimkehrt in die morsche Schilfhütte und den sein Weib dort an die Brust zieht: – seliger ist er denn der König von Asgardh, der aus gewonnener Riesenschlacht oder aus schicksalsschwerem Rate der Götter heimkehrt in die leere Öde dieser reichen Halle hier. In die entweichende Luft greif ich auf dem einsamen Lager: mein Haupt, gedankenreich oder glühend von Siegesfreude, auf keine treue Brust kann ich es betten! Was hab' ich gegrübelt, gekämpft, gesiegt mit dem Geist und dem Ger seit mehr als zwanzig Wintern, – immer für andre, nie für mich! Ist es Unrecht, will ich auch einmal glücklich sein? Nun find' ich endlich das Geschöpf, in dem – ich fühl' es! – all mein Glück beschlossen ist – und nun soll ich entsagen, weil der Vater die Tochter einem andern bestimmt hat? Warum?« – »Weil es so Recht ist,« sprach Forseti. – »Und warum – warum soll ich dem Recht gehorchen?« – »Du wie jeder: weil das Recht notwendig ist, so notwendig wie der Grundbau, der das All zusammenhält. Weil das Andere – das Rechtlose! – Wahnsinn ist, Unvernunft, Auflösung der Welt. Weil in deinem Geiste selbst ein Zwangswort zu dir spricht: »Du mußt dem Recht gehorchen!« Denn das Recht ist nicht ein fremdes Gebot, – ist deines eigenen Denkens Gesetz und Bedürfnis. Es ist dein eignes, deiner eignen Vernunft Geheiß, was dir im Recht gebietet.«

»Oh, es giebt auch unvernünftig Recht. Das Recht ist nicht das Höchste in der Welt; die Wohlfahrt der Welt steht höher.« – »Das Recht ist die Wohlfahrt der Welt.« – »Nicht immer! Es giebt auch schädlich Recht. Schon mancher König brach das Recht der Verträge, der unertragbar gewordenen, mit dem Nachbarkönig, schon manches Volk ein alt unleidlich gewordenes Recht der Königschaft: und beide thaten recht daran.«

»Nein, unrecht thaten sie beide. Wie thäten sie recht, wenn sie das Recht brechen? Unrecht thaten sie, auch wenn die Not, die kein Gebot kennt, sie fortriß oder ein werdendes, junges Recht das alte abgestorbene mit Gewalt sprengte, wie im Lenz das neu knospende Junglaub das nicht rechtzeitig abgefallene Altlaub absprengt. Aber nicht, auf daß das Neue selbstisch genieße, – auf daß der ganze Baum erhalten bleibe und gedeihe. Ja, es mag geschehen, – aber immer ist's ein Unheil! – daß Gewalt das alte eigensinnig gewordene Recht zwingt, besserem Recht zu weichen, der Teil sein Recht verwirkt um des Ganzen willen. Hier aber – wahrlich! – tobt nicht Kampf von Recht gegen Recht oder von Heil des Ganzen mit dem Recht des Teils oder der inneren Pflicht mit dem äußeren Zwang des Gesetzes: hier kämpft lediglich gegen das gute Recht die böse Lust!«

»O mein Gatte, halt' an dich. Er ergrimmt furchtbar: denn er erbleicht. Schweige!« – »Nein: jetzt ist Reden Pflicht und Schweigen Unrecht.«

»Böse Lust?« wiederholte Odhin langsam mit schwer verhaltenem Zorn. »Gut, schilt so meine Liebe. Es durchbrach dein künstlich Rechtsgeflecht schon mancher Sterbliche um seiner Liebe willen: und ich, der Gott . . .?« – »Du darfst es nicht. Gerade du nicht, Odhin. Du am wenigsten!« – »Weshalb? bin ich geringer als . . .?« – »Nein, größer als alle. Gerade darum! Und weil du klarer weißt als wir andern ahnen« – er trat nun dicht an den Heißerregten, legte ihm die Hand schwer auf die Schulter und sprach feierlicher als je zuvor: »wann und warum dereinst die Götter untergehn.«

Odhin fuhr auf: heftig schüttelte er die aufgelegte Hand ab.

»Weh, nun kommt das Letzte, das Furchtbarste!« stöhnte Wara in den Streit der Männer. – »Ich hätte dir es gern erspart, mein Weib! Du kamst zu früh zurück.«

»Ja,« rief Odhin laut, »ich weiß es. Die Schuld! – Die Schuld, sie macht die Götter dämmern und die Welt vergehn. Und ich weiß auch: solang Odhin nicht von Schuld befleckt ist, bricht das Ende nicht herein. Und ich weiß auch, diese That wird Odhins erste Schuld und eine so schwere, daß schwerere kaum gedacht werden mag ohne Mord. Und doch, – Forseti, hör' es nur, du ewig Kühler! – wüßt' ich gewiß, gleich nach dem ersten Kuß, den ich auf dieses Weibes Lippe drücken werde, geht das All in Flammen auf: – hör' es, Forseti: ich küßte ihn dennoch, diesen Kuß!«

»Das ist Wahnsinn!« rief Wara händeringend. »Hör' ihn nicht, mein Gemahl.«

»Nein, keine Beschönigung,« sprach Forseti, sich hoch aufrichtend. »Das ist nur das höchste Maß bewußten Frevels! – – Komm', mein Weib. In dieser Halle ist meines Bleibens nicht mehr. Ich habe hier gethan, was ich konnte, die Unthat zu verhindern. Jetzt beginnt mein Amt anderswo!« Und er ergriff Wara am Arm und schritt gegen die Thüre.

Aber Odhin vertrat ihm den Weg. »Wohin?« fragte er drohend. – »Zu König Alf!« – »Was thun?« – »Ihn warnen.« – »Wovor?« – »Vor Odhins Verrat!« – »Halt!« rief der mit zorniger Lache. »Warnen sollst du nicht: – nur strafen ist dein Amt.« – »Ich komme Frevel und Strafe zuvor.« – »Nein!« – »Wer wird mich hindern?« – »Ich!« rief Odhin furchtbar und er beschrieb mit dem Finger in der Luft einen Kreis dicht um das Paar; sofort sanken beide, wo sie standen, langsam nieder auf den Estrich mit geschlossenen Augen, von schwerem Schlummer befangen.

»Eine kurze Geduld!« lachte er grimmig vor sich hin. »Man ruhet unverstört in Odhins Halle. Und es wird – wähn ich – nicht das letztemal bleiben, daß das Recht – auf kleine Frist! – die Augen schließen muß vor stärkerem Willen. Ist die Hochzeit vollzogen, mag der Schwager die Augen aufschlagen und ihr Heil wünschen, meiner Gemahlin, seiner Königin!«


XIV.

Schon war es dunkel geworden und ahnungsvoll sahen die Sterne nieder auf die Erde. – – –

In dem Schlafraum des alten Paares in König Alfs Hofe glomm ein mattes Licht: ein Kienspan brannte in der Öse der ehernen Wandleuchte. Von dem Pfühle her kam ein schweres Atmen, wie Kranke atmen. Sonst alles still. Der Ledervorhang vor dem Fenster, das von dem turmhohen zweiten Stockwerk in das Freie vor dem Hofraum blickte, schwankte im Nachtwind leise hin und her. Still, ganz ruhig lag das Krankenzimmer.

Da ward die einzige Thüre, die auf den Gang und zu der Haustreppe führte, behutsam geöffnet und sacht geschlossen; ein leichter Schritt schwebte über die Schwelle.

Aber so leise das geschah, – die alte Frau auf dem Lager richtete doch den Kopf ein wenig in die Höhe und sprach: »Alfvhit, mein Liebling! Mein Augenstern! Wie lieb, daß du noch einmal kommst!« – »Noch einmal!« wiederholte tonlos das Mädchen; es zitterte stark. – »So spät pflegst du sonst nicht nach der Mutter zu sehen. Trieb dich heute die Liebe noch einmal zu mir?« – »Einmal noch!« – Unhörbar sprach es die Tochter zu sich selbst und ließ sich auf beide Kniee vor dem Lager der Mutter nieder.

»Es geht mir ganz leidlich,« fuhr diese fort; mit den beiden magern Händen tastete sie nach dem blonden Haupt: nachdem sie es gefunden, streichelte sie zärtlich das seidenweiche Haar und das schöne Rund des Kopfes. »Die Ruhe im Hause thut mir gut: ich hörte den Vater unten aus dem Hofthor gehen. Und deinen Verlobten. Wie gut kenne ich die Stimmen, ja ihre Schritte schon! Nur Alfhart ist noch nicht fort zum Fest.« – »Doch, Mutter: ich finde ihn nirgends im Hause.« – »Weshalb schläfst du noch nicht? Es muß schon spät sein.« – »Ich . . . ich wollte . . . noch einmal! – Deine liebe Hand, Mutter!« Und sie küßte ihr beide Hände mit Inbrunst. – »Kind, Kind! Wie deine Wange glüht! Und das – was da auf meine Rechte glitt, – – das war ja eine Thräne. Kind, was fehlt dir?« Sie versuchte, sich aufzurichten, sank aber auf das Kissen zurück.

»Nichts! Es ist nichts!«

»Alfvhit, du darfst mich nie hintergehen. Sieh, andere Mütter täuschen, die mit ihren eignen Augen wachen können über ihre Töchter, – es ist auch nicht gut. Aber wie unedel wär' es, die blind gewordene Mutter betrügen! Willst du, listig und herzlos, Vorteil ziehen aus meinem Unglück? O dann wär ich vor Jahren besser als erblindet, – gestorben!« – »Ich habe dir noch nie gelogen, Mutter.« – »Nein, bei Odhin, du könntest es gar nicht, du, mein wahrhaftig Töchterlein, Alfvhit mit den klaren Augen. Ich will auch nicht weiter fragen. Kann mir's ja denken! Thränen sind's des Schmerzes, du mein zärtlich Kind, weil du nun sobald schon von mir scheiden sollst: – wohl auf immer, so sagst du dir im geheimen.«

»Mutter!«

»Nicht war, ich hab's erraten?« Und sie küßte sie auf die Stirne. – »Ja . . . du hast . . . erraten.« – »Nun, dann tröste dich nur, Liebling. Du scheidest nicht von mir.«

»Doch, o doch! – Was meinst du damit?«

»Sieh, dein Verlobter, der wahrhaft Edle – denn das ist er – nicht? Du zögerst? Wie? Der Gute, verdient er nicht jede Lieb' und Treue?« – »Ja . . . er ist edel. Er verdient . . . Treue!« – »Wohl ihm, deshalb, daß er dich gewonnen! – Nun höre: er hat, der Gütige . . . er sah wohl meinen Schmerz! Denn freilich: ich glaube nicht, daß ich den Abschied von dir überleben könnte . . .« – »O Mutter! Mutter!« – »Höre doch nur: du quälst dich umsonst! Wie tobend dein Herz schlägt! – Adhal . . . von freien Stücken – nie hätt' ich ihn darum gebeten! – erbot sich, mit seinem jungen Weibe hier zu bleiben, in dem Hofe dort neben uns zu wohnen, bis . . . bis etwa sein Vater gestorben und er den Königsstab aufnehmen müsse . . . Der Gute: er weiß, lange bevor sein Vater stirbt, der rüstige Held, – lange bevor erlöschen meine schwindenden Tage. Das wollte er mich nur nicht fühlen lassen. So darf ich dich denn an meiner Seite behalten bis an mein Ende, o du, an der Erloschenen Statt, mein Augenstern!« – »Weh! Weh über mich!« – »Wie? – Ich verstand wohl nicht . . .! O ja, es ist gut, mein süßer Trost, daß du mir bleibst. Denn, wie gesagt, wie sollt' ich leben ohne dich? Wie sollt' ich noch atmen, wenn nach der durchwachten Nacht der Schmerzen – hier! am Herzen! – nicht deine Liebe, deine reine Lippe mir den ersten Kuß legt auf die heiße Stirn, – ein Tautropfen auf die halb versengte Blume? Wie sollte ich die langen, langen Stunden des Tages durch leiden, spricht nicht deine holde Stimme zu mir? Und wenn ich nun, wie der kundige Arzt, der Finne, versprach, wenn ich nun wirklich in ein paar Wochen diesen Pfühl der Qualen verlassen, wieder wandeln kann wie glückliche Menschen, – wie sollte die Blinde schreiten ohne dich, die altgewohnte traute Stütze? Nicht der Männer rauhe Hand, nur diese weichen Finger verstehen mich richtig zu leiten und doch so zart! Oh ich fürchtete mich zu Tode – ohne dich: bei jedem Schritte würd' ich straucheln, stürzen! Du, du allein bist der blinden Mutter Stab und ihr holdes Augenlicht.« – »Mutter . . . laß ab . . . du weißt nicht, was du redest!« – »Doch, geliebte Tochter. Ich weiß, daß du der Glanz, der Segen, der Trost bist und die Wonne meines Alters. Und nun darf ich dich behalten bis ans Ende; und es ist des lieben Kindes treue Hand, die mir die letzten Liebesdienste thut.« – »Es ist nicht zu ertragen!« sprach die verzweifelt Ringende zu sich selbst. – »Ja, hört es, Odhin und Forseti und all' ihr Götter da oben! Hört einer Mutter Dank und Segen! O häuft alles Heil auf des besten Kindes Haupt, das noch nie im Leben der Mutter, des Vaters Unmut erregt hat. Walten in eurem Ratschluß Recht und Gerechtigkeit, so muß euer Lohn überschwänglich dies reine Herz beglücken. Nein, reiße dich nicht los! Hör' es zu Ende, der Mutter Gebet! Ihr wißt es wohl kaum, ihr fern Thronenden, welch' Kleinod ich an ihr besitze. Doch meine Seele weiß es. Aufopfernd und gehorsam, wahrhaftig und untrügend wie der Sonnenschein und getreu, getreu bis in den Tod . . .!«

»Nein, Mutter! Nein! Nein! Nein!« schrie da die Tochter überwältigt. »Es ist ja alles nicht wahr! Schwertstöße sind die grausamen, die rührenden Worte in mein falsches Herz! Mutter, o Mutter, vergieb mir!«

Und sie warf sich verzweifelt, sinnlos vor Weh, über das Pfühl und barg das Antlitz unter strömenden Thränen, in wildem Schluchzen an der Mutter Brust.

»Alfvhit! Kind! Was . . . was bedeutet das?«

Da knarrte unten auf der Wendeltreppe, die aus der Halle durch die offene Fallthür in das Gemach führte, ein Schritt; eine Waffe stieß klirrend an. Alfvhit in ihrer Verzweiflung hörte es nicht; nur die Blinde stutzte.

Allein die Tochter kam jeder Frage zuvor: »Was das bedeutet?« rief sie, sich jäh aufrichtend und mit beiden Händen in ihr losgegangen Haar fahrend. »Das bedeutet, daß dein Kind untreu, falsch, dich, den Vater – ihn – euch alle betrogen hat! Nein, nein: nur betrügen wollte. Denn – und mag er drüber sterben! – ich kann, ich kann, ich kann es nicht!« – »Was, . . . was kannst du nicht? Du tötest mich mit diesen Rätselworten!« – »Ich kann nicht mit ihm fliehen. Ich . . . ich Unselige! – wollte heute Nacht – um Mitternacht – im Markwald wartet er meiner am Fjord! . . . Er – er zog mich so seltsam an: – er war so anders als alle. Und mich erbarmte sein! – Ich wollte fliehen . . . mit Wegwalt dem Skalden! – Aber ich kann es nicht!«

»Nein, du kannst es nicht!« schrie da eine wilde Stimme und von der Wendeltreppe her sprang Alfhart in das Gemach. »Ich sorge dafür, daß du nicht kannst.«

Aufschrieen Tochter und Mutter.

Er aber warf die Fallthüre zu, verschloß sie, steckte den Schlüssel in den Gürtel, warf einen beruhigten Blick von dem Fenster in die turmhohe Tiefe da unten, stürmte zur Gangthüre hinaus, schloß auch diese ab, steckte den Schlüssel zu sich und eilte in raschen Sprüngen die Treppe hinunter und hinaus ins Freie.


XV.

Fern im Markwald war es still und einsam, feierlich still.

Der Vollmond trat zuweilen hinter dem ziehenden, rötlichen, leichten Gewölk hervor: Örwandils Stern stand über dem Wipfel der hohen Esche. Nichts vernahm man an der Landestelle des Stromes als das leise Ziehen und Gurgeln des Wassers und das geheimnisvolle Flüstern des hohen, dichten Schilfs. Sonst alles still: die tausend Stimmen, die den Wald am Tage beleben, sie waren alle verstummt.

Nur von ganz hoch oben – wie aus dem Himmel – drang ein schwermutvoller Ton und an den hellen Wolken huschte ein dunkler Schatte vorbei: der Singschwan war's, der mit eintönig trauervollem Laut gen Süden strich. Sonst alles still.

Aus dem Schilficht auf das Ufer gezogen stand Odhins Einbaum: ganz leise, wie kosend, gingen die letzten dem Ufer nächsten Wellen in immer gleichen Zwischenräumen gegen den Kiel. Schwarz fielen die Schatten des hohen Mastes, des langen Speeres und der dunkeln Mannesgestalt im weiten Mantel auf den weißen Ufersand, der hell, wie Silber, im Licht des Mondes glänzte. Der Schiffer saß auf dem hinteren Gransen, der dem Lande zugekehrt war: er kehrte dem Mond, der strahlend über dem Fjord stand, den Rücken, das Gesicht dem Waldweg zugewandt. Er spähte so angestrengt, daß ihn die Augen schmerzten; die Linke drückte er auf die Brust.

»Springe nicht, hochklopfend Herz! Fasse dich, halte dich, Odhin. Nicht ihr blindlings entgegeneilen, wie du gierig verlangst. Hier ist der Ort, dies die Zeit! Nicht aus Ungeduld wie ein thörichter Knabe vom Stelldichein weichen, ihr entgegenlaufen: und sie – verfehlen. Denn der Wege sind zwei. Hier ausharren! Die Zeit ist da: – ja fast vorüber: schon steht der Stern jenseit des Baumes, nun muß sie gleich hier sein! Geduld! Geduld noch ein kleines. Dann wird dir, du verlodernd Herz, die Vergeltung, der Trost für alles: – auch für die verlorene Schwester. Der Lohn für . . . für dein Verbrechen!« Da erschauerte er leise; doch trotzig begann er wieder: »Ja, hört es nur, ihr streng blickenden Sterne: ja, zum Verbrecher will ich werden um sie! Horch: – verscheucht flog dort die Eule auf von dem Waldweg. Da: – ein eilend nahender Schritt! Sie ist es! Nun – ihr entgegen!«

Er sprang auf von dem Gransen und stürmte mit starken Schritten auf den schmalen Waldpfad zu, der im Schatten der hohen Bäume lag, während die Gestalt des Mannes auf der Waldblöße im hellsten Licht des Mondes stand. Nahe schon war er der Einmündung in den Waldessaum: da machte er rasch Halt; drei Stimmen erschollen durcheinander: »Seht! Da ist er! Gerade noch recht holte ich euch ein vor dem Festhause. Werft beide mit. Stirb, elender Dieb!«

»Das ist Alfhart,« sagte Odhin eisig zu sich selbst. – »Du falscher Gast,« rief der König. – »Oh ungetreuer Mann,« rief Adhal. Drei Speere flogen zugleich; zwei trafen: den schildlosen linken Arm durchbohrte der eine, der andere streifte den rechten Schenkel.

Ruhig stand Odhin; er spähte scharf: das Mädchen war nirgend zu sehen. »Soll ich sie töten, alle drei? Warum? Sie sind ja im Recht. Und sie ist ihnen gewogen, – allen dreien! Ihre Flucht mißlang. Wohlan, so hol' ich sie morgen.« Rasch wie Blitze schossen diese Gedanken durch sein Haupt; es eilte: denn jene sprangen nun gegen ihn heran.

Da wandte er sich und – floh. »Zum erstenmal, seit ich denke,« sprach er grimmig.

Schon hatte er das Schiff erreicht, schon sprang er hinein, die Verfolger hatten ihn nicht eingeholt: – er stieß ab: – das Schiff schwamm. Da hörte er gellend rufen: »Wegwalt! Wegwalt!« Er wandte sich. Er erkannte die Stimme, obwohl sie in Verzweiflung schrillte. Er ruderte wieder näher zu Land.

Da flog Alfvhit aus dem Wald ins Freie.

»Wie entkam sie?« grollte Alfhart. »Nur durchs Fenster! Ein Todessprung! Doch scheint sie unverletzt.« – »Rette dich, Wegwalt! Vergieb mir: – ich konnte nicht anders! Ich – ich selbst habe dich verraten. Aber dies . . . dies hab' ich nicht gewollt.« Und ohnmächtig stürzte sie auf das Antlitz nieder. Der Verlobte eilte zu ihr zurück, ihr beizustehen. Der Vater warf noch einen Speer gegen Odhin, der regungslos vor dem Maste stand: – wie versteint! – Die Spitze krachte, seinen Bart streifend, in den Mast: er achtete es nicht.

»Sie – sie selbst – Alfvhit selbst! – hat mich verraten!« Tonlos sprach er's vor sich hin: er konnte nicht mehr denken.

Da wandte sich auch der König seiner Tochter zu. Aber grimmig watete Alfhart in das Schilf: »Steh! Flieh nicht! Kämpfe!«

»Sie – sie selbst – hat mich verraten! Er wich nicht vom Fleck, auf seinen Speer gelehnt; der Strom trieb ihn dem Fjord zu: er achtete nicht darauf.

»Steh!« schrie der Wütige. »Komm heraus aufs Land und kämpfe, wenn du einen Tropfen Mannesmut im Leibe hast. Ha, er flieht! – – Ehrloser Feigling!«

Da zuckte es durch den Mann im dunkeln Mantel, er lupfte leise den niemals fehlenden Speer; aber gleich darauf warf er ihn nieder in das Schiff. »Sie hat mich verraten. Es ist alles gleich, was noch gedacht, gesagt wird und gethan.«

Das Blut floß reich aus dem Arm. Und er glitt, noch immer die Augen starr auf die weiße Gestalt gerichtet, welche die beiden Männer nun aufhoben, nach rückwärts nieder auf die Ruderbank: die Sinne vergingen ihm: rasch glitt sein Kahn den Fluß hinab, dem Fjorde zu.


XVI.

Die Sterne bleichten: im Osten dämmerte es fahl: ein kühler, scharfer Luftzug ging durch die Wipfel der hohen Eschen um Odhins Saal.

Da kam des Wegs nach Gladhsheim ein müder Mann.

Den langen Speer schleifte er in der Rechten nach, mit dem Schaftende auf dem Boden. Der linke Arm hing schlaff herab unter dem Mantel; manchmal sickerte noch ein Tropfen Blut zur Erde; das rechte Bein ließ ebenfalls zuweilen eine rote Spur auf dem Boden zurück; er merkte es nicht; den Schlapphut hatte er tief in die Stirne gezogen; langsam stieg er die Stufen vor der Hallenthür hinan.

Da sprangen ihm, freudig bellend, die beiden Wölfe entgegen. Plötzlich hielten sie an: sie witterten in die Luft: nun schossen sie aufs neue auf ihn zu, schoben schnüffelnd links und rechts die spitzen Köpfe unter den Mantel und eifrig begannen sie, hoch an ihm hinaufspringend, ihm die Wunden in Arm und Bein zu lecken.

Er strich über ihre Köpfe hin. »Ihr seid treu,« sagte er, »seid doch nur Wölfe!«

Eingetreten in die Halle, legte er Speer, Hut und Mantel ab. Er ließ nun den Blick traurig auf den Gatten ruhen, die, Seite an Seite geschmiegt, friedlich schlummerten. Dann beschrieb er mit dem Finger einen Kreis in der Luft: – diesmal in umgekehrter Richtung beginnend; die beiden schlugen die Augen auf, nachsinnend sahen sie umher: – nun, da sie Odhin erblickten, kam ihnen die Erinnerung an alles. – Aber sie zürnten nicht, sie erschraken: so müde, so zum sterben wehvoll sah er aus. Wara bemerkte die Blutspuren: »Du bist wund, Bruder?«

»Laß nur. Die Wölfe leckten das schon beinahe heil, – Vergieb mir, Schwager, vergieb auch du mir, Schwester, Vielgetreue. Es ist vorbei. Sei zufrieden, Forseti. Das Recht ward nicht gebrochen. Der Frevler, der es brechen wollte, – er ist gestraft: vor der That. Und – zur Genüge! Wie das kam? Nun, sie . . . sie hat sich anders besonnen. – Du hattest scharf gesehn, klug Schwesterlein: sie ist . . . nun, eben nicht Hilde. Jetzt geht! Laßt mich allein! So kann's nicht enden. Es muß etwas geschehn. Aber was: – welch genügend fürchterliche Rache? – – – das kann nur ich selber finden. Geht! Und nochmal: verzeiht mir die kurze Gefangenschaft, und du, Schwester, dein liebes Haar. Glaubt nur, ihr seid genug gerächt und ich bin genug gestraft, – mehr als genug!«

Ohne Groll, ohne Vorwurf, aber voll Trauer sah Forseti auf ihn und sprach: »Ich warnte treu! Bereust du nun?« Odhin warf das Haupt zurück: »Bereuen? Daß es mißlang, bereu' ich: nicht, daß ich's wollte! Ich thät's nochmal!«

Da wandte sich Forseti und schüttelte das Haupt. Mit sanfter Gewalt schob Odhin beide zur Thüre hinaus: auch Wara, wie mitleidig, wie bittend ihr Blick an ihm hing. »Nein. Allein!«


XVII.

Er schob hinter ihnen den breiten ehernen Stangenriegel an der Thüre vor, warf sich müde in den Hochsitz, stützte den rechten Arm auf die vorspringende Lehne, ruhte das schwere Haupt auf der offnen Hand und begann:

»Nun, Odhin von Asgardh, den sie den Grübler schelten, nun gilt es, zu grübeln! Jetzt ergrüble dir selbst alle Möglichkeiten: – und aus ihnen dann – die Notwendigkeit.

Was kann geschehen?

Sterben? An den Streifwunden? Nein. Schon die Wölfe haben sie fast geheilt: – was fehlt, das heilt die Wut der ersten Schlacht.

Thor die Herrschaft der Welt lassen? In das Schwert rennen? Nach Nastrand, in der Selbstmörder Strafort, den Eisfluß, der Schlangen, Leichen und Dolche wälzt? Und warum: weil ein Weib dich verraten?

Nein, Odhin von Asgardh! Hat sie dich denn verraten? Ja, ja, oh ja! Thöricht Herz, wolle sie nicht entschuldigen!

Kamen nicht statt ihrer drei Speerwürfe zum Stelldichein? Und hat nicht sie selbst es gesagt? Der ganzen Welt hätt' ich es nicht geglaubt. Ihr muß ich es wohl glauben! Zwar: meine Mordung wollte sie nicht: »dies nicht!« Sie wagte das Leben, mich zu warnen. Was also hat sie gethan? Beschlossen, von mir zu lassen. Und das hat sie irgend einer Freundin – der Mutter? dem Vater? – vertraut. Ist das Verrat?

Ja, Odhin, so gut wie dein Wille Verbrechen wollte. Verrat aber heischt: – Rache!«

Er sprang auf und stieg die Stufen herab.

»Ah, dieser Gedanke scheucht die Müde, frischt die Kraft. Ja, Rache! Denk' es doch noch mal durch: ans Stelldichein genarrt, – den Speeren von drei Männern preisgegeben, – zweimal verwundet von den Speeren und – ah, viel tiefer noch in der Seele! – durch das Schimpfwort jenes dumpfen Hassers. Unerhörte Schmach! Die ganze Schuld der That hab' ich auf mich geladen vor Menschen und Göttern, vor Schwager und Schwester und – ach das Bitterste! – vor mir selbst. Die Schmach, die Last, die Schuld liegt auf mir: der Genuß, die Frucht des Frevels blieb versagt. Schuldig bin ich geworden, – glücklich nicht!

Du flohest, Odhin, »ehrloser Feigling!« Alle Götter werden's erfahren: keinem tapfern Mann kannst du mehr das entehrte Antlitz zeigen, du sühnest denn die Schmach.

Und all' das dank ich ihrem Wankelmut, ihrer Schwäche, ihrer maßlosen Schwäche!

Also Rache! Also töte die drei, verbrenne den Hof und sie, die dir nicht freiwillig folgen wollte . . . O wie abscheulich, Odhin! Warum? Rache für Verrat ist doch sonst nicht unschön: warum hier? Was für Verrat? Liebesverrat: – der schmählichste von allen! Liebesverrat? Ist's wahr? Kann Liebe verraten? Liebe kann nicht verraten! Sie hat dich verraten, weil eben sie dich nicht geliebt. Sie hat's doch aber gesagt? Nein! Niemals!

Aber sie hat danach gehandelt! Sie hat dich doch getäuscht! Ja, weil sie sich selbst getäuscht hat. –

Was also ist geschehen? Ein Weib, das dich zu lieben wähnt, verspricht, dir zu folgen. Es erkennt den Wahn: – es bereut: – es kehrt zurück zu allem, was sie, wie sie nun einmal ist, nie hätte lassen sollen: zu Recht und Pflicht und – ach! – zu ihrer wahren Liebe.

Ist das Verrat? Nein: ich bin der Verräter des Gastrechts: den Verräter verraten, ist nicht Verrat, ist ja recht und löblich gethan. Ist das Bruch der Treue? Nein: Heimkehr zur Treue ist's. Also: – heil mir, daß ich es ausfand! – schuldlos ist sie vor Göttern und Menschen! –

Daß sie dir dabei das Herz in der Brust in blutige, in zuckende Fetzen zerriß, – das ist doch nicht ihre Schuld, sondern die deine: was schaust du anderer Leute Bräuten in die Augen, bis sie sich verwirren! Die Strafe also dem, der allein schuldig ist: – und das, Odhin, bist du. Elend bist du freilich: aber das ist dir recht: das eben ist dein Recht, wie des Diebes Recht der Galgen.«

Mit großen Schritten durchmaß er den Saal.

»Schuldlos ist sie! Schuldlos!« wiederholte er. »O heil, daß ich's fand! Ohne Makel darf sie mir vor Augen stehen, die liebliche Gestalt!« Seine Kraft war wunderbar gehoben: sein Herz schlug mächtig: eine seltsame Begeisterung durchglühte ihn. »Aber,« mahnte er sich: »es muß doch was geschehn! So sah ich ein. Rache nicht. Was also sonst? Heilung! Heilung: – wem? Mir? Ich – ich will nicht geheilt sein von diesem Weh und dieser Liebe. Aber ihr! Soll sie da unten bei den Ihren leben und – um meinetwillen – leiden? Nimmermehr, kann ich es hindern! Zwar die andern, die werden gut – und klug! – genug sein, sie nicht an mich zu mahnen und an das Vergangene. Aber sie selbst!«

Da trat es wie ein feuchter Schimmer in die grauen Augen und seine Stimme bebte, wie er fortfuhr.

»Sie selbst könnte doch vielleicht manchmal, – wann leise der Abend heraufzieht und die sehnsuchtvolle Dämmerstunde, da sie einst meinem Wort, meinem Liede gelauscht, – sie könnte doch – vielleicht! – mit Schmerz, – nicht ohne Vorwurf, wie thöricht er sei! – Wegwalts, des armen Skalden, gedenken, dem sie so maßlos weh gethan.

Nein! Nein! Das soll nicht sein! In Frieden, im Einklang, im Wohlklang aller Saiten ihrer Seele soll die Anmutvolle leben mit den Ihren, beglückt wie beglückend. Aber wie? Wie ist das zu erreichen? Noch einmal Zwiesprach mit ihr tauschen, – ihr sagen, daß ich ihr vergeben? Nein! Das würde sie nur aufs neue an mich binden. Vergessen soll sie ja. Aber wie das? Wie?« – –

Träumend, brütend, ratlos sah er vor sich nieder.

Da fiel sein Blick auf den nun feuerlosen Herd . . . – Plötzlich rief er laut: »Ah, ich hab's! Ich hab's!« Und er bückte sich und riß aus der kalten Asche ein Stück Buchenrinde, blies darauf und blickte scharf: »Fast alles verbrannt! Aber hier, – die Anfangsstäbe, die sind noch lesbar. Nun denke nach, Odhin, spann' es an, dein Haupt, an Sprüchen reich und stark an Gedächtnis. Wie war es doch? – Ja, so, so! Und so will ich's; höre das, Schicksal und Zaubergewalt dieser Runen: so will ich's: das sei Odhins Rache! –

Und er sprach, feierlich, beschwörend:

»Alfvhit von Alfdal!
Vergiß ganz und gar
Dieser Liebe liebliches Leid
Und leidschwere Lust!
Auf immer und ewig
Versinke dein Sehnen,
Als ob mich Unselgen
Dein Auge niemals gesehen:
Auf immer und ewig vergiß,
Alfvhit von Alfdal,
Wegwalt, den wehvollen Mann,
Odhin von Asgardh: –
Vergiß ihn, Alfvhit von Alfdal.«

Schwer nur, tief atmend und ringend, zwang der Starke die Worte sich ab: er stöhnte: und als er zuletzt nochmal den geliebten Namen gesprochen, – da schlug er beide Hände vor die Stirne und stürzte, vom Weh bewältigt, vor dem Hochsitz nieder auf das Antlitz.


Lang, lang lag er so.

Plötzlich scholl von der Himmelsbrücke her laut schmetternder Schall; ein Hornruf war's. Der Liegende fuhr auf: er lehnte sich auf den Ellbogen und lauschte. Nochmal. Und nochmal!

Da sprang er auf: »Die Riesen! Sie kommen mir gerade recht.«

Schon pochte es mächtig an die Thüre seiner Halle; eine dröhnende Stimme rief: »Auf, König von Asgardh! Auf! Führ' uns zum Kampfe! Die Feinde nahen.«

»Es ist Thor. Er soll heute mit mir zufrieden sein! »Ich komme!« rief er hinaus und waffnete sich rasch.

Und alsbald trat er vor die Thüre seiner Halle, die breite Brust bedeckt von der goldgeschmückten Brünne, den gewölbten Schild an dem noch bitter schmerzenden Arm, den Speer in der Rechten, das Schwert im Wehrgurt und auf dem Haupte den Schreckenshelm mit den vorwärts gesträubten Schwingen des Adlers.

»Vorwärts!« gebot er mit ehernem Feldherrnruf den vor den Stufen sich scharenden Göttern, Walküren und Einheriar: »Thor mit den Asen in der Mitte, Tyr zur Linken mit den Einheriar, Freir mit den Wanen zur Rechten: aber im Rücken faß' ich sie selbst mit den Walküren. Vorwärts! Auf den Feind! Weh euch, Jötune, Odhin hat euch alle!«

Und ward da der größte Sieg erfochten über Riesenheim, dessen je die Götter gedachten.

Keines Bezwungenen schonte, wie er doch sonst pflegte, Odhin diesmal: »Odhins Zorntag« nannten die Asen den Tag. – –

Als er heimkehrte von der Verfolgung, mied er das lärmende Siegesfest in Walhall und schritt zu seiner einsamen Halle.

Da stand vor der Thüre Wara.

»Bruder,« sagte sie mit weichem, zitterndem Ton, »mein großer Bruder! Ich ahnte alles. Der Zauberspruch! Ich flog hinunter: wie aus schwerer Betäubung, wie aus Fieberwahn erwacht, liegt sie, auf der Mutter Brust gebeugt. Ihre Rechte ruht – willig! – in seiner Hand. Sie hat vergessen.«

Er nickte kurz: »Und übers Jahr wiegt sie an der Brust seinen Sohn. Und es ist ja gut so. Denn es ist Recht.« Er wandte aber das Antlitz ab.

»Jedoch du – mein Bruder – willst nicht auch du . . .? Der Spruch, – er hilft auch dir. Du solltest . . .«

Sie vermochte nicht zu vollenden: denn er hatte ihr jetzt die Augen zugekehrt: – ein furchtbar, ein versteintes Angesicht, ein Angesicht, ein Antlitz ohne Wunsch und Hoffen: »Ich?« Nur das eine Wort sprach er: erschüttert senkte sie das Haupt.

Stumm ging er an ihr vorbei in die Halle; er schob von innen den Riegel vor.

Scheu, zögernd, seufzend schritt sie die Stufen hinab.

Und niemand hat Odhin seitdem lächeln sehn. – – –

 


 


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