Felix Dahn
Ebroin
Felix Dahn

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Drittes Buch.

I.

Einige Wochen darauf wandelten die beiden Gefangenen in tiefem Gespräch in dem großen Garten, der sich an der Rückseite des Klosters hinzog. Das rauhe Herbstwetter war sonnigen Tagen gewichen: um die Mittagsstunde flogen Bienen und Falter, aus der Erstarrung durch die freundliche Wärme in das Leben zurückgerufen, auf die letzten noch blühenden Blumen: Astern und Herbstzeitlosen.

»Und so hat also,« begann Leodegar, an einer Biegung der säuberlich mit gelbem Sand bestreuten Gartenwege Halt machend, »jener boshafte Bube das Gegenteil von dem erreicht, was seine arge, giftige Absicht war: er wollte jedem von uns die Gefangenschaft noch bitterer vergällen durch die engste Gesellung mit dem andern: und was hat er erzielt? Unter den alten Freunden, die kurze Feindschaft – auf beiden Seiten verschuldet! – entzweit hatte, hat er die frühere Eintracht wiederhergestellt. – Verweile, Freund: da droht eine Biene zu ertrinken in dem Becken des Springbrunnens. – Ich kann kein Tier leiden sehn.« Und der Bischof kniete nieder und hob nicht ohne Mühe mit seiner einen Hand die halbtote Imme auf einen sonnenbeschienenen Grashalm. »Nun wirst du dich rasch erholen, Geschöpflein,« lächelte er, aufstehend.

Ebroin hatte ihm aufmerksam zugesehen, mit verwunderten Augen. Nun schritten sie weiter. »Hierher, in die Sonne. Nicht, Freund?« fragte der Priester. »Nicht allzurasch, nicht allzuoft,« grollte Ebroin, die Brauen furchend – tiefe Falten hatten sich ihm in der Gefangenschaft senkrecht zwischen die Augen gegraben – »das Wort Freundschaft über die glatte Zunge gleiten lassen. Entweih' es nicht! Soweit sind wir nicht und kommen nie mehr dahin! Es fehlt . . .« – »Was fehlt dir denn noch immer? Die Geschichte meines Sturzes hab' ich dir – ohne jede Verschweigung! – erzählt: habe auch eingeräumt, daß ich nicht ohne Schuld dabei bin. Ach ja, wohl allzueifrig hab' ich vor meinem Geheimschreiber, diesem nur zu fingerfertigen Ravennaten, den Wunsch ausgesprochen, Hektors – des Armen, auf der Heerstraße liegt er erschlagen! – Streitsache gewinnen, das feindselige Testament unschädlich machen zu können. Da hat er denn, uns beide täuschend, zu jener Fälschung gegriffen. Ach, es war von je mein Fehler, daß ich meinen Freunden zu rücksichtslos diente.« – »Wohl eher, daß du deinen Feinden zu rücksichtslos an die Gurgel griffst. Aber ich will verdammt sein, hier zu verrotten, mach ich's in Zukunft nicht ebenso.«

Und so gefährlich blitzte sein graues Auge, daß der Bischof fast ängstlich auf ihn sah. »Aber,« fuhr Ebroin fort, »nachdem du auf der Flucht gefangen warst, doch von Räubern: – wie kam es, daß du in die Hände des Königs . . .?« – »Der elende Merowing ließ sich wirklich auf Verhandlungen, auf einen Tauschhandel ein mit den Mördern und Mordbrennern und Aufrührern, die Hektor erschlagen und mich gefangen hatten. Er schickte ihnen soviel Solidi, als sie für mich verlangten, entgegen. Und dann? Nun, du weißt ja, wie's in solchen Fällen gemacht wird am Hof. Erst rief man ein sogenanntes Konzil zusammen: – von allen Bischöfen, die mich haßten, fürchteten, beneideten: – Praejectus hatte den Vorsitz! – die entsetzten mich des Bistums. Dann traten dieselben Bischöfe mit einem Dutzend Seniores zusammen – das nannte man ein Hofgericht: – sie verurteilten mich – wie dich – zum Tode und der hochherzige König begnadigte mich zu lebenslänglicher Einsperrung – mit dir zusammen. Und da bin ich nun, ein Opfer der knabenhaften Laune.« – »Was du dem Merowing gefehlt, hast du nicht mir gefehlt. Aber all' deine Wortkünste können mich doch wahrlich nie vergessen machen, daß du es warst, der mich hierher gebracht hat. Und in welcher Weise, mit welchen Mitteln, mit welchen Schändlichkeiten!«

Wieder blieb der Bischof stehen und legte die Hand auf Ebroins Schulter: »Mit scharfen Mitteln, – ich geb' es zu: – aber in offenem Kampf und nicht mit Brechung, – unter Wahrung unserer Vereinbarung. Erinnere dich! Nach jener Verhandlung mit den Austrasiern haben wir beschlossen, beide als Verbündete danach zu trachten, daß der Merowing zu Paris auch wieder über Austrasien herrsche: dies, unser gemeinsames Ziel hab' ich nie aus den Augen verloren, es mit dir, wie du, angestrebt.« – »Das ist wahr! Jedoch . . .«

»Deine andern Pläne aber, die du mir enthüllt, die Kirche und den Adel einzudämmen, auf deren Kosten die kleinen Leute zu heben: – nun, ich meine, du hast jetzt erfahren, was die wert sind! – die hab' ich nie gebilligt, vielmehr offen verworfen. Und wie du nun, – gesteh's: mit gröbstem Rechtsbruch, mit wilder Gewalt! – Bischöfe und Seniores durch die Bauernlümmel zu deinem Willen zwingen wolltest, da hab' ich das bekämpft mit allen Mitteln – scharf, – aber ohne Treubruch und Vertrauensbruch. Hättest du mir jenen Raubmord anvertraut, – nie hätt' ich ihn verraten! Ich erfuhr ihn ohne deinen Willen! So durft' ich ihn verwerten! Es war ein Kampf zwischen uns nicht nur um die Macht, – nein: um das Heil des Staates, wie es jeder versteht. Darfst du mich schelten, weil ich's anders verstehe und weil ich gesiegt?« Aber Ebroin entgegnete grimmig: »Glatt und glimpflich weißt du's zu wenden. Und dennoch: ich sage dir, hätte ich, als sie dich neulich nachts in meine Zelle brachten, ein Schwert zur Hand gehabt, – ich hätte dich beim ersten Anblick erschlagen.« »Wahrscheinlich,« meinte der Bedrohte, achselzuckend. »Den Wehrlosen, den Krüppel! Es wäre dein dritter Mord gewesen.« »Schweig von Mord, sag' ich dir,« schrie Ebroin wild. »Es ist nur der Jähzorn, der unbändige, der mich vom Knaben an reitet wie der Nachtmar. Noch hab' ich mit Vorbedacht keinen getötet. Aber mir ist, ich könnte leicht dahin kommen. Die Rache, der erneute Kampf um die Macht . . .« – »Hier aber, in diesen Mauern, wirst du weder zu Rache noch zu Kampf noch zu Macht gelangen. Und deshalb wiederhole ich meinen Vorschlag: Freundschaft . . .« – »Nie mehr im Leben! Ich hasse dich, ich verachte dich!« – »Nun, dann nicht Freundschaft, aber Bündnis, Bündnis zu gemeinsamem Zweck.«

»Wie damals!« lachte Ebroin bitter. »Und in Fesseln ließest du den Verbündeten schlagen.« – »Nein, nicht den Verbündeten: – den unbändigen Bekämpfer all' meiner Strebungen. Jetzt aber müssen wir beide vor allem entrinnen aus dem Käfig, in den uns dieser Lotterbube gesteckt hat, und, sind wir frei, ihm die Macht nehmen, das Reich vollends zu verderben. Dann müssen wir den Glanz Neuster-Burgunds wiederherstellen und Austrasien zurückgewinnen. Willst du das oder willst du's nicht?« – »Du weißt sehr gut, daß ich's will. Und wie ich des Satans Hilfe nicht verschmähen würde um Freiheit, Rache und des Staates Heil, – so schlag' ich auch deine Hilfe nicht aus, so wenig ich dir jemals wieder traue, dir und deinen falschen Augen.« Da richtete Leodegar diese Augen voll auf ihn und sprach: »So möge sie mir der Henker ausreißen, breche ich dir jemals den neu geschlossenen Bund. Gott hat's gehört! – Also wir streben die Freiheit an mit allen Mitteln . . .« – »Auch mit dem Blut unserer Wächter? Gut. Aber nicht Romarichs: der war mir wie ein Vater! Bietet sich einem von uns die Möglichkeit der Flucht, – er flieht nicht allein, nur mit dem andern: er läßt nie den Genossen in diesen Mauern zurück.« »Gewiß,« nickte Leodegar. »In Freiheit und Macht gelangt, enthält sich jeder jedes Schrittes der Gewalt gegen die Gesippen, die Getreuen, die Angehörigen des andern: er schützt sie wie die eigenen.« – »Selbstverständlich.« – »Keiner trachtet nach der alleinigen Herrschaft, dem andern wird er die volle Gleichmacht wahren.«

»Sicherlich.« – »Gemeinsam wird von uns beiden Neuster-Burgund aus dem lodernden Verderben gerettet, gemeinsam Austrasien zurückerkämpft. Das sollst du mir alles beschwören.« – »Ich beschwöre es.« Und er reckte sofort die Hand hoch in die Luft.

»Nein, nein, Bischof. So leicht geht dir das nicht hin. Mich bindet mein schlichtes Wort wie euch der Eid bei eurem Gott. Aber auch den Eid muß man dir, Treuloser, noch schwerer brechbar machen . . . wohlan, du sollst mir schwören bei den dir heiligsten Dingen . . .« – »Beim Reich der Franken!« – »Bah, bah! Was gilt dir das? Nein, bei den Reliquien der dir heiligsten Heiligen.« Unwillig stockte im Schreiten Leodegars Fuß. Verdrießlich meinte er: »Wozu das?« – »Ich sagte es doch! So weltklug du bist, – die Furcht vor den Heiligen, das heißt vor der Hölle . . .« – »Nenne sie nicht! Es ist ein furchtbar Wort!« Und er schauderte. »Siehst du, wie du erbebst? Diese Furcht vor der Hölle ist dir doch von Kindheit an in den tiefsten, innersten Winkel deiner Seele hineingepredigt worden. Und wenn irgend etwas im Himmel und auf Erden, scheuest du solche heilige Knochen, Haare und Gewande. Der gute Abt hat deren gar viele von den allerschönsten: – darauf sollst du mir eiden.«


II.

Und also geschah's.

Am folgenden Tag trafen in der Krypta der Klosterbasilika die beiden nun wieder verbündeten Feinde zusammen. Waren die katakombenhaften Untergewölbe selbst größerer Kirchen unheimlich düster, so steigerte sich der Eindruck in den so viel engeren Raumverhältnissen des kleinen Gebäudes: in ein Grab glaubte man auf der schmalen Steintreppe hinabzusteigen.

Der Altar mit seinen drei Stufen füllte den größten Teil des Vierecks aus: die beiden qualmenden Pechfackeln an den Seiten verbreiteten mehr Dunst als Licht. Auf dem Altar, dessen Mittelstück ein Mosaik bildete, den guten Hirten mit dem Lamm darstellend, stand, fast dessen ganze Fläche bedeckend, ein Reliquienschrein: ein länglicher Sarkophag aus schwarzem Marmor, mit silbernen Schließstangen und reichem Goldgespäng verwahrt zugleich und geschmückt: ein kostbares Geschenk des Stifters, Sankt Columbas, kostbarer freilich noch nach dem Glauben der Zeit durch seinen wunderwirkenden Inhalt seltenster Überbleibsel.

Daß das neue Bündnis auch gegen den schlimmen Königsknaben eine scharfe Spitze richtete, sollte dessen treuer Unterthan, der Abt, nicht erfahren: Ebroin setzte daher eine Urkunde auf über all' die vereinbarten Dinge, die beide unterschrieben, und die nun bei dem Schwur auf den Reliquienschrein gelegt ward.

Zur bestimmten Stunde trafen der Abt und Ebroin in der Krypta ein. Sie fanden Leodegar bereits in brünstigem Gebet auf dem Altare knieend, mit beiden Armen über den Schrein hingestreckt, dessen Deckel er bei dem Eintritt der beiden gerade mit Küssen bedeckte. »Du siehst, wie ernst er es nimmt,« flüsterte der fromme Romarich. »Dein Mißtrauen thut ihm unrecht. Ich freue mich, daß ihr euch so feierlich wieder im Sinne Christi versöhnt.« Aber Ebroin schüttelte das Haupt und sprach laut zu dem Bischof, der sich nun erhoben hatte: »Höre also, Leodegar: du wirst nun beschwören, was wir vertragen und in diesem Pergament unterschrieben haben:« – damit rollte er es auseinander und spreitete es über den goldstrotzenden Deckel des Schreins – »du wirst mir schwören bei den dir heiligen Überbleibseln, die in dieser Truhe liegen, und deren Verzeichnis dir der Abt nun verlesen wird.«

Da nahm Romarich einen langen Papyrusstreifen aus einem in die Wand eingelassenen Schranke, küßte ihn ehrfurchtsvoll und hob an zu lesen: »In diesem von Papst Bonifacius dem Vierten Sankt Columba und von ihm dem Heiligtum überwiesenen teuren Schrein, dessen Innenholz aus Cedern des Libanon geschnitzt ist, werden verwahrt als kostbarstes Eigen dieses Klosters und dem Schutze des Höchsten empfohlen: ein Nagel von dem Kreuze des Herrn Christus, ein Glied von den Ketten des Apostels Petrus, der kleine Finger der rechten Hand des Apostels Lukas, der Gürtel der Märtyrerin Sancta Afra zu Augsburg, ein Nagelschnitzel des großen Lehrers Athanasius, ein Eckzahn des heiligen Martin von Tours, eine Rohrfeder Sankt Augustins, ein Splitter aus dem Bischofstab von Sankt Avitus, und ein Streifen aus dem Schleier der heiligen Königin Chlotilde: zuletzt aber haben wir auch eine silberfarbene Locke aus dem Haar unseres heiligen Stifters, des großen Columba, darauf gelegt, der selig unter den Seligen auf uns herniederschaut.«

»Wohlan,« fuhr Ebroin fort, zu Leodegar gewendet, »nun erhebe die Hand und sprich mir nach: ›Alles, was ich in dieser Vertragsurkunde Ebroin, Ebromuths Sohn, versprochen, schwöre ich hiermit, treulich zu erfüllen: sonst treffe mich der Fluch, der da lautet . . .‹ bitte, frommer Abt, verlies ihn: – du hast ihn ja ausgesucht unter den vielen alten Formeln.«

Und Romarich zog einen Zettel aus dem Kuttengürtel und las, und seine Stimme erbebte vor Grauen: »Und verletze ich, was ich nun beschworen habe, auch nur im kleinsten Stücke, so soll Wahnsinn toben in meinem Gehirn, meine Augen soll mir ausreißen der Henker und sie hinwerfen zum Fraße der Raben, vertrocknen soll mir die Kehle, wie dem, der in der Wüste verschmachtet, mein Herz verzehre ein fressendes Feuer, meine Beine treffe die Lähmung, mein Todesröcheln soll währen sieben Tage und sieben Nächte, meine Seele aber, für die Christus nicht soll gestorben sein, soll der Teufel Ahitofel entführen, sowie sie aus des Sterbenden Munde fährt mit dem letzten Hauch, und im tiefsten Pfuhl der Hölle soll sie ewig die Qualen erleiden der Verdammten.«

Ein leises Frösteln rieselte – kaum merkbar – durch des Bischofs Glieder bei den letzten Worten. »Ich will . . .« stammelte er.

»Halt! Noch nicht. Solltest du vielleicht hoffen, – denn viele von euch leben dieses schnöden Wahns! – durch Gold und Gaben die Strafe der himmlischen Zeugen deines Schwures ablösen zu können, . . .« Leodegar senkte rasch die langen Wimpern vor dem bohrenden Blick des andern. »So nenn' ich dir einen Rächer, dem kaufst du seine Rache nicht ab: der heißt Ebroin, Ebromuths Sohn.« So laut rief er dies, daß die Wände und Wölbungen des sonst so stillen Gemachs erdröhnten und beide Hörer erschraken. »Ich sage dir: brichst du auch diesmal mir die Treue und deinen Eid nur im kleinsten, so werd' ich dich töten, grausam, unter Qualen töten, wo immer ich dich greife. Ich schwör's bei meines Vaters Blut: – so wahr ich den gerächt habe vor deinen Augen.« – »Ebroin,« mahnte der Abt. »Du tobest und schäumest wie . . .« – »Ein Eber! Ja! So haben sie schon den Knaben genannt! Hütet euch vor seinen Waffen! – Schwöre jetzt, Bischof!« Und befehlend wies er auf den Schrein, der, von der Urkunde bedeckt, auf dem Altare stand.

Leodegar kniete nieder, legte die Hand auf Pergament und Schrein und sprach laut und fest: – er hatte seine Erregung offenbar bemeistert: »Ich schwöre den Schwur, wie ihn Ebroin gestabt hat, und werde ihn halten, so wahr dieser Schrein die Heiligtümer birgt, die der fromme Abt verlesen.«

»So! – Nun ist er gebunden, falls Furcht vor Himmel, Hölle – und mir ihn irgend binden mag!« rief Ebroin. »Jetzt steh auf. Und komm' mit hinauf. Ich kann sie nicht mehr atmen, die modernde Grabesluft.«

»Sogleich!« entgegnete Leodegar. »Ich folge euch auf dem Fuße. Verstatte nur, daß ich – nach diesem furchtbaren Eide – mich beruhige im Gebet.«

Und wieder sank er auf den Altar. Die beiden hörten ihn laut beten, wie sie die feuchten Marmorstufen hinanschritten.


III.

Zwei Monate – die letzten des Jahres – waren ins Land gegangen seit jenem Eid in der Krypta. Eintönig, inhaltlos waren sie verlaufen in dem stillen Kloster; Ebroin verzehrte sich immer schärfer in Ungeduld, in fiebernder Sehnsucht nach Freiheit.

Viel ruhiger schien der Bischof sein Los zu tragen.

Nachrichten aus der Welt, dem Hofe, gelangten selten und spärlich in diese Einsamkeit; doch verlautete, der Aufstand der »kleinen Leute« sei noch immer nicht unterdrückt. Der König werde immer verhaßter, auch seinen eignen Großen, da er wiederholt Feldherren, die sich hatten von den Empörern schlagen lassen, mit dem Tode bestraft hatte. Grimmig seufzte Ebroin bei solchen Berichten: »Und ich? – Ich sitze hier müßig unter den Mönchen!«

Einige Tage nach Eintreffen der letzten dieser Berichte fehlte Leodegar bei dem Frühmahl. Bei der Hora war er noch zugegen gewesen: von der Kapelle aus hatte ihn der Abt die Treppe hinabschreiten sehen, die zu seiner und Ebroins Zelle führte; freilich zweigte diese in einer schmalen Nebenstiege nach dem Garten ab. Als man in diesem suchte, fand man bald in dem tiefen und weichen Schnee die Spuren seiner Sandalen eingedrückt: sie führten an eine Ecke der hohen Mauer; oben, von der Zinne derselben, hing eine schwanke Strickleiter herab. Ebroin, der, voll heiß auflodernden Argwohns, die Spurfolge geführt hatte, kletterte rasch hinauf: – oben angelangt brach er in einen wilden Schrei aus: »Entflohen! Allein! Ohne mich!«

»Was siehst du? Sprich!« rief der Abt hinauf.

»Hier, vor der Mauer, sind die Eindrücke der Hufe von zwei Pferden, nein, dreien. Und die Fußtritte von Männern, schwer beschuhten neben den Sandalen des Schurken. Hier lehnte – man sieht's im Schnee! – eine Leiter: – sie ist entfernt. Er hat mich verraten! Er ist allein entflohen. Gleichviel! Ich springe nach auf Tod und Leben!«

Zu spät! Ein starker Haufe der gewaffneten Klosterknechte, die den Verschwundenen gleichzeitig vor den Mauern gesucht hatten, war zur Stelle. Er wäre in ihre gezückten Lanzen gesprungen. So stieg er die Strickleiter wieder in den Garten hinab, bebend vor Wut. Allen voran flog er in die Zelle zurück, hier unter den Sachen des Flüchtlings eine Andeutung zu finden, eine Vorbereitung des Plans. Aber nichts fand sich als in den dicken Rollen einer Psalmenübersetzung ein Rohrpfeil, wie man sich deren bediente, Nachrichten über Mauern zu schießen: daran haftete noch, halbverbrannt, ein schmaler Fetzen eines Papyrosstreifens, auf dem, trotz der Verkohlung, noch die Worte lesbar waren »Hora« . . . »Nordecke«.

»Er ist befreit worden, hat sich befreien lassen – allein! – Mich hat er nicht mitgenommen,« knirschte Ebroin. »Der erste Eidbruch! Wann hör' ich vom zweiten? O könnt' ich ihn sechsmal töten!«


IV.

Eine Woche später verbarg die aufgehende Januarsonne ein dichter Nebel, der auch die große Heerstraße zwischen dem Klosterthor und dem nahen Urwalde dicht verhüllte.

Völlig überrascht daher wurden die Klosterpförtner, die von außen mehrere Klafter Holz auf Schlitten in das weitgeöffnete Thor schoben, als auf einmal, wie die siegend empor gestiegene Sonne den Nebel zerstreute, gleichzeitig aus dem Gehölz eine stattliche Kriegerschar hervorbrach, die mit lautem Waffenruf die paar Knechte über den Haufen rannte und ohne Widerstand in den Klosterhof drang, hier hellen Hornruf erhebend.

Zu spät zur Abwehr eilten nun der Abt und einige Mönche herbei.

»Fürchtet euch nicht, fromme Brüder,« rief der glänzend gerüstete Führer. »Wir thun euch nichts zu leide. Wir suchen nur Ebroin! Gebt ihn heraus!«

»Nimmermehr! Mit meinem Leben schütz' ich ihn!« rief Romarich, beide Arme ausbreitend und so dem Gepanzerten den Zugang aus dem Hof zu der Innenthüre verwehrend.

»Ebroin!« rief der nochmal. »Wo steckst du?«

»Hier ist Ebroin,« antwortete der und sprang, einen eisernen Feuerschürhaken schwingend, die Treppe herab und – an dem Abt vorbei – in den Hof. »Und teuer wird er sein Leben verkaufen.«

Aber bei dem Anblick des Führers ließ er die ungefüge Waffe fallen: »Vanning!« rief er frohlockend, »Vanning, Vielgetreuer! Du bist's? Was bringst du?« »Die Freiheit! Und die Rache! – Komm, frommer Abt, kommt, ihr Mönche, herein ins Haus! Ins Refektorium: – Womöglich zu einem guten Schluck warmen Weines! Ritt durch die Nacht, durch Eis und Schnee war kalt.«

Alsbald saßen und lagen Krieger und Mönche, bunt durcheinander gemischt, in dem geräumigen Speisesaal des Klosters, auf dessen breiter Herdstelle gewaltige Scheite von Buchenholz ein mächtig Feuer unterhielten und eine wohlige Wärme verbreiteten.

»Ei,« sprach Vanning, den kostbaren Pokal nach einem vollen Zuge auf die lange Tafel niedersetzend, »mir scheint, ich muß ganz von vorn anfangen. Ihr wißt rein von gar nichts, hier in eurem verschneiten Bergwald. Also hört! König Childerich ist tot, ermordet!« »O des Frevels!« rief Romarich und bekreuzte sich. »Sein Thron ist leer?« forschte Ebroin eifrig.

»Ja, wie man's nimmt. Leer oder allzustark besetzt.« »Ermordet! Von wem?« fragte der Abt.

»Erschlagen vielmehr, in gerechter Blutrache. Von den Söhnen des Pfalzgrafen Bodilo! Der Merowing hatte schon lang einen Groll wider den freimütigen Mann: als er nun von den Aufständischen bei Rouen geschlagen ward, ließ ihn der böse Bube zuerst aufs Blut geißeln . . .« »Einen freien Franken!« rief Ebroin. »Und dann hinrichten. Ein paar Tage darauf, als der König jagte im Walde von Livie – zwischen Chelles und Sanit-Denis, – fielen die beiden Söhne des Getöteten über ihn her und schlugen ihn tot.« »Arme Heilige!« sprach Ebroin zu sich selbst. »Aber recht so! Blutrache für den Vater ist des Sohnes höchste Pflicht.« »Kein Schad um ihn,« meinte Vanning. »Aber wer sollte sein Nachfolger werden? Nun grenzenlose Verwirrung im Palast, in Neuster und Burgund. Alles ging und geht drunter und drüber! Zwei, drei Merowingenknaben wurden genannt, ja auch ein neu erhöhter, Dagobert, drüben in Austrasien. Ein Führer nur fehlte: . . . Ebroin! Wie viele Stimmen riefen nach dir! – der saß hier gefangen. Desgleichen Leodegar, der Giftwurm. O was habt ihr ihn losgelassen!« – »Wir doch wahrlich nicht! Er ist entflohn,« riefen die Mönche. »So? Er verbreitet, ein Engel des Herrn sei Abt Romarich erschienen und habe befohlen, ihn frei zu geben: so habe der ihn gesegnet und entlassen.« – »Auch ich, ich will ihn segnen,« sprach Ebroin und ballte die Faust. »Erst haben! Sein Bruder Gairin hat – gleich nach des Königs Tod – ein Heer gesammelt und versprochen, in wenigen Tagen den rector palatii wieder in Paris einzusetzen.« »Also Gairin hat ihn entführt!« rief Ebroin. – »Und er hielt Wort. Mächtig und prächtig herrscht der Schurke in Paris über Neuster und Burgund, seine Anhänger fürstlich belohnend, die deinen aber blutig verfolgend: Dutzende hat er hingerichtet und ihre Güter eingezogen!« »Ich komme!« sprach Ebroin, – »Ja, komm', um zu rächen: – auch das Leben deines ältesten Freundes.« – »Praejectus! Sein Silberhaar . . .?« – »Es hat die Mordboten nicht abgehalten, die der unversöhnliche Leodegar nach Clermont entsandte. Am Altare haben sie ihn erstochen.« – »Mein Schützer, mein zweiter Vater! Ich gelobe: wie meines leiblichen Vaters Blut will ich das seine rächen an dem Eidbrüchigen! Bei seinen höchsten Heiligtümern hat er mir geschworen. Du warst Zeuge, Romarich! Was sagst du dazu?« Der faßte wehklagend mit beiden Händen nach seinem grauen Haupt: »Weh! Die Reliquien sind entweiht, geschändet durch seinen Meineid.« »Aber,« fuhr Vanning fort, »doch nicht unbestritten, nicht ungeteilt ist seine Herrschaft. In Neuster haben sich andere Große aufgethan, auch in seinem eigenen Burgund folgen ihm nicht alle Grafen; der mächtige Herzog Hermengar hat sich noch nicht für ihn erklärt, der steht mit starker Macht zu Troyes. Mein Abt ist dir vielmehr als Leodegar geneigt: ›wäre Ebroin nur frei,‹ meinte er, ›dann wüßte ich, wem folgen!‹ Wohlan,« rief ich, »laß mich aus diesen Thoren und ich hole ihn heraus, den Retter von uns allen. So kam ich frei, raffte eine Handvoll Leute, alte Vasallen und Grundholden meines Hauses, zusammen – unser Stammsitz bei Meaux liegt ja nahe dem Kloster Rebais! – und da bin ich. Und bald bist du nun da, wohin du gehörst: – am Steuerruder dieses führerlosen Schiffes. Noch einen tüchtigen Trunk – Herr Abt, dein Wein ist gut! – und dann zu Roß.«

»Ja,« rief Ebroin, aufspringend. »Zu Roß! Und wehe meinen Feinden!«


V.

Es war hohe Zeit gewesen, daß der Gefangene aus dem Kloster und in schützende Bedeckung gelangt war.

Denn schon gleich nach dem Ausritt aus dem Thor in den nahen Wald traf er mit seiner Schar auf einen Reiterzug, der bei seinem Anblick rasch die Gäule herumwarf und entfloh. Ein paar Eingeholte gestanden, daß Leodegar sie entsendet habe, mit dem Auftrag, Ebroin lebend oder tot in seine Hände zu liefern.

Der Befreite warf sich mit seiner treuen Schar zunächst nach der nahen Stadt Jussey, deren Grafen er sich befreundet wußte. Hier fand er bereitwillige Aufnahme: von hier aus gewann er den Anschluß mehrerer benachbarter Gaue, wie Langres und Chaumont. Gleichwohl erwies sich seine Waffenmacht zunächst zu gering, um sofort, wie sein heißes Herz ungestüm begehrte, den Hauptstoß auszuführen, Leodegar und den König, in dessen Namen der zu herrschen vorgab, aufzusuchen, jenen zu vernichten, diesen in seine Gewalt zu bringen.

Denn Vanning hatte nicht zuviel gesagt mit den Worten, daß alles im Frankenreich drunter und drüber gehe. Von Austrasien her verlautete, daß das Land auf die Nachricht von Childerichs Tod sich von den neustrischen Merowingen wieder ganz losgesagt und den lang verschollenen Sohn Sigiberts auf den Thron zu Metz erhoben habe. Ebroin aber mußte sich bei diesem Wirrwarr vorerst in Gebiete wenden, wo er sicher war, zahlreiche Anhänger zu finden. So zog er denn gen Nordosten an die Grenze von Austrasien, um so, unabhängig von Auster wie von Neuster-Burgund, aus jener Landschaft – vorläufig! – ein viertes Teilreich zu bilden.

Leodegar aber war nach einigem Schwanken zu dem Entschlusse gekommen, das Kind Theuderich, den jüngsten – letzten! – Sohn Balthildens, der Mutter und dem Kloster Chelles zu entführen, um an seiner Statt zu herrschen; er weilte mit ihm in Paris. Damals schrieb ein Zeitgenoß: »Überall kriechen jetzt, unter Leodegars Herrschaft, die Bösewichter aus ihren Verstecken hervor, wie die Sonne im Frühling die giftigen Schlangen aus ihren Löchern lockt. Solche Wirren durchtoben das Reich, daß man den Antichrist erwartet, dessen Erscheinen dem Untergang der Welt vorhergeht.« Am Himmel aber stand ein Schweifstern, der den Geängsteten Wechsel der Könige, Blutbad im Volke bedeutete.

Allein Ebroin war doch noch zu schwach gegenüber den Streitkräften, die Leodegar zur Verfügung standen, zumal in Burgund, in der Umgebung seines Bischofsitzes Autun, wo die Vasallen und Grundholden des Bistums, überaus zahlreich, ihrem freigebig spendenden glanzvollen Kirchenfürsten eifrig ergeben waren.

Da ward der Majordomus von der Not, von dem Bedürfnis zu einem Schritte gedrängt, den ihm die längst gehegten Herzenswünsche und staatsmännischen Pläne ohnehin gleich warm empfahlen. Die Rettung der ärmeren Freien vor dem Versinken in Knechtschaft eines geistlichen oder weltlichen Großen, – die Erhebung der wirtschaftlich Versinkenden hatte ja dem Sohn Ebromuths all' diese Jahre her als eines seiner höchsten Ziele vorgeschwebt.

Nun erfuhr er, sobald er die Klostermauern hinter sich gelassen, daß in ganz Neuster und Burgund jene gewaltige Bewegung dieser bisher so schwer Bedrückten sich noch immer wilder gesteigert hatte. So scharf Ebroin ihre Ausschreitungen verwarf, – er mußte doch einen berechtigenden Grund der ganzen Erregung anerkennen, die sich aus den Urtiefen des Volkes mit der Unwiderstehlichkeit einer Naturkraft, einem Vulkane gleich, erhob. »Was wollen,« sagte er dem bedenklichen Vanning, »diese Armen, – freilich auf den Wegen unsinniger Zerstörung, rachewütiger Gewaltthat, – anderes erreichen, als was ich selbst durch fürsorgliche Mittel der Gesetzgebung, durch weise Maßregeln von jeher hatte erzielen wollen?« Diese schlecht gewaffneten, schlecht geführten, vereinzelten Haufen hatten gleichwohl, wie der Majordomus alsbald erfuhr, gar oft die schwachen Heerbannaufgebote der Königsgrafen überwältigt: was mußte sich mit diesen Männern, denen die Verzweiflung ihre Kräfte lieh, ausrichten lassen, faßte sie eine starke Hand zusammen, leitete sie bewährte Feldherrnschaft! In der That: mit diesen vielen Tausenden, die bis jetzt in allen Landschaften von Neuster und Burgund vereinzelt umhertobten, wußte sich Ebroin weit überlegen allem, was Leodegar an Waffenmacht aufbringen mochte.

So faßte er seinen großen, folgenreichen, schicksalschweren Entschluß: er stellte sich selbst an die Spitze dieses Aufstandes: – schon um dessen Ausufern einzudämmen – er schuf sich ein Heer aus den Empörern. Zu Jucey schon entwarf er einen Aufruf, den er, von den Mönchen zu Luxeuil in vielen hundert Exemplaren abgeschrieben, durch so viele Boten, als er beritten machen konnte, in alle Gaue von Neuster und Burgund entsendete. In flammenden Worten, mit der ganzen Wucht aufrichtigster Überzeugung und selbsterlebter Erfahrung forderte er alle Unzufriedenen, alle Bedrängten und Bedrückten, alle mit List oder Gewalt um Freiheit oder Eigentum Gebrachten, alle, die kein Recht gefunden hatten gegen Bischöfe, Äbte, Seniores, auf, sich zusammenzuthun zu einem großen Bund der »Kleinleute«: er versprach, an ihrer Spitze, mit Waffengewalt den vielverhaßten Rector Palatii, den recht eigentlichen Vertreter des Doppeldrucks der Bischöfe und des Adels, mit seinem ganzen Anhang zu stürzen, ja blutig zu bestrafen, den jungen König aus dieser Gefangenschaft zu befreien und, nach dem Sieg, auf einem großen Reichstag durch weise und milde Gesetze die Ursachen jener Herabdrückung der Kleinleute für alle Zukunft wegzuschneiden.

Dabei ermahnte er freilich zugleich, sich jeder Eigenmacht und Selbsthilfe, also jener bisher geübten Gewaltthaten zu enthalten, die er wie gemeine Verbrechen mit dem Tode bestrafen werde, vielmehr, ohne weitere Gewalt als die zur Abwehr der Angriffe der Bischöflichen erforderlich, sich auf bestimmte Sammelplätze zusammenzuziehen, die er für jede Provinz genau bezeichnete.

Als Vanning den Entwurf gelesen hatte, sprach er kopfschüttelnd: »Du, höre, das ist ein gefährlich Spiel! Die wilde Meute, die du da aufrufst, wird den Fuchs ohne Zweifel zerreißen: – ob sie aber dann sich von dem Jäger wieder an die Koppel wird legen lassen?« »Dafür laß dies Schwert sorgen!« erwiderte der Majordomus.


VI.

Und der Erfolg gab ihm – zunächst – rasch und glänzend recht.

Überall, wohin der Aufruf kam, wirkte er wie ein Blitzstrahl, der auf Brandstoff trifft: er zündete augenblicklich, unwiderstehlich, unlöschbar. Überall ward der »Bund der Kleinleute« gebildet: vielmehr, er bildete sich von selbst: die bisher verstreut umherziehenden Haufen schlossen und flossen in größeren Massen zusammen, und mit erstaunendem Gehorsam eilten sie auf die ihnen bezeichneten, mit Feldherrnkunst gewählten Sammelorte zu: so bildeten sich bald kleine Heere von Austrasien ab durch ganz Neustrien gen Nordwesten bis an die See, bei Langres, bei Châlons sur Marne, bei Laon und fern im Nordwesten bei Rouen. Diese Stadt hatten die gefürchteten Banden des Blutigels, des Brandhahns, des Reißewolfs genommen, und sie stießen hier zu Ebroin, der von Südosten aus bis hierher quer durch das ganze Land, Paris einstweilen südlich liegen lassend, gezogen war.

Wenig richteten gegen diese entfesselten elementaren Gewalten die Maßregeln aus, die Leodegar und seine Heerführer tastend, unsicher trafen: ihre dünnen Scharen konnten nirgend das offene Feld halten gegen die wie brandende Meeresflut heranwogenden Massen der rachegrimmigen Empörer: sie mußten in die festen Städte weichen und sich dort belagern lassen.

Aber selbst in Paris fühlte sich Leodegar nicht mehr sicher: denn Ebroin zog nun drohend heran. Schon stand er in Beauvais: der Bischof verlegte eilig den Hofhalt des Knaben Theuderich und die Regierung in das feste Autun, den Hauptplatz seiner Macht.

Vorher aber plante er von Paris aus noch einen Handstreich auf Meaux, das sich früh Vanning angeschlossen hatte. Ebroin erfuhr den Anschlag durch einen Späher: – auch hierin war er dem Gegner überlegen, da die ganze Landbevölkerung, auch die nicht die Waffen erhoben hatte, auf seiner Seite stand. Ganz nahe lag das Kloster Chelles: der Sohn bangte um die Mutter in jenen Mauern: vielleicht hatte es der Rector Palatii mehr auf dies Kloster als auf die Thore von Meaux abgesehen. Denn daß ihn der Eid von Luxeuil abhalten werde von den Gesippen seines Eid-Bruders, war ja nicht mehr zu erwarten. Ebroin entsandte daher rasch Vanning mit einem starken Geschwader erlesener Reiter – von seinen Heerbannmännern, – nicht Kleinleute, deren man doch nicht so sicher wie jener war – jener Strafschar entgegen zu eilen und das Kloster zu schützen.

Tiefe Trauer lag auf des Treuen Antlitz, als er nach mehreren Tagen, seinen Reitern voraus eilend, nach Beauvais zurückgekehrt, in Ebroins Zelt trat. »Du bringst ein Unglück!« schrie der aufspringend und im Ungestüm den Feldschemel umstoßend, darauf er gesessen. – »Ja, ein großes. Ich erfuhr alles durch Gefangene, die wir auf der Verfolgung machten. Ich kam zu spät. Am Tag vorher hatte Gairin das Kloster überfallen und deine Mutter gefangen – als Geisel für dich – fortgeschleppt.« – »Ah, meine Mutter! In der Gewalt dieses . . .« – »Sie ist es nicht mehr.« – »Befreit?« jubelte Ebroin. »Wo, wo ist sie? In Sicherheit?« – »Ja, in Sicherheit! Fasse dich, Ebroin: – sie ist im Himmel.« – »Tot?« schrie der Sohn auf und wankte vorwärts, den Freund an beiden Schultern fassend. »Gemordet?«

»Leodegar, zu dem sie nach Autun gebracht ward, bedrohte sie mit der Folter . . .« – »Ah, er soll nicht leben. Glied für Glied soll er mir . . .« – »Wenn sie dich nicht in einem Briefe, den er ihr vorschrieb, zur Unterwerfung auffordre: darin ward auch die Folterung der Mutter angedroht . . .«

»O zehnmal möcht' ich ihn erwürgen!« – »Die tapfre greise Frau weigerte sich, den Brief zu unterschreiben. Und um dir jede Rücksicht abzunehmen, die du für sie – sie wußte es! – hegen würdest . . .« – »O meine Mutter!« – »Beschloß sie, durch die Flucht sich jeder Gewalt zu entziehen. Glücklich war sie in der Nacht – ganz allein – bis an den reißenden Arroux gelangt. Aber hier verfehlte sie – ihre Augen waren zu schwach . . .« – »Ach ja! Die geliebten Augen!« – »Den schmalen Steg. Sie irrte lange ratlos am Ufer auf und ab. Da kam Leodegar, kamen die Verfolger mit Fackeln nachgesprengt. Endlich fand sie nun zwar die Brücke: – sie gelangte hinüber: aber Leodegar befahl . . .« – »Was? Was befahl er?« – »Seinen Bogenschützen . . . Gairin that den ersten Schuß! – Sie fiel, von Pfeilen durchbohrt.« – »Sie hat sich geopfert für mich! O Mutter, Mutter! Treu bis zum Tod! Aber Geduld! Du sollst fürchterlich gerächt werden. Wir brechen auf, sofort. Laß die Trompeten durch das Lager schmettern! Auf! Nach Autun!«


VII.

Ohne Rast riß der Rächer seine Scharen mit sich fort: willig, ohne Murren über die ihnen zugemuteten Gewaltmärsche folgten sie ihm: es war, als habe er all' den Tausenden sein Ungestüm, seinen Haß, seinen Racheeifer eingeflößt.

Und die zahlreichen Kleinleute wenigstens, die den weitaus stärksten Teil seiner Heeresmacht bildeten, waren nicht nur von der Kampflust beseelt, wie sie in gewöhnlichen Kriegen die Franken erfüllte: – sie brannten in der wilden Leidenschaft, in der Wut, die in Bürgerkriegen die Waffen schärft. Und es war ja nicht ein Kampf politischer Parteien um Macht und Herrschaft im Staat, – es war das verzweifelte Emporringen der Geknechteten aus wirtschaftlichem Untergang, das sich Aufbäumen gegen die gehaßten Bedrücker, die, viele Menschenalter lang in Reichtum und Genuß schwelgend, jede Willkür gegen die Schwachen geübt, jedem Laster auf deren Kosten gefrönt hatten: – nicht Waffenkampf, – blutige Vergeltung suchten diese »Knüttelträger« und »Sensenschwinger«, wie der Adel sie höhnte: an der erschlagenen Reichen Statt wollten nun sie in Müßiggang schwelgen und prassen in dem den Räubern abgejagten Raube. Diesem Ansturm, den kluge Feldherrnschaft leitete, widerstand nichts. Aber freilich: sogar dem geliebten und gefürchteten Führer gelang es oft nur mit Mühe, – oder auch gar nicht! – die von ihm entfesselten Leidenschaften von wilden Verbrechen abzuhalten. So war der Zug in geflügelter Eile bis an die Aisne und die Oise, bis in die Nähe von Compiegne gelangt.

Ebroin erkundschaftete, daß der einzige Übergang über den hier sehr reißenden Strom, die Brücke von Pont Saint Maixence, abgebrochen und das südliche Ufer von der weitaus stärksten Macht, die ihm bisher entgegengetreten war, unter Gairins Befehl besetzt war: eine leichte, den Sieg sichernde Aufgabe schien die Verteidigung der hier steil abfallenden Ufer gegen einen Angreifer, der ein so gewaltiges Hindernis, wie der Strom es bildete, erst zu nehmen, dann aus der Tiefe bergan zu stürmen und, wenn abgeschlagen, auf der Flucht in dem Strom ein breites und tiefes Grab im Rücken gähnen hatte.

Herzog Hermengar, der sich – nach einigem Zögern – Ebroin angeschlossen, zumal nachdem der aufrichtig Gottesfürchtige von dem schnöden Bruch des auf die höchsten Heiligtümer geschworenen Eides vernommen, und Vanning rieten daher, als man spät Abends sich der Brückenstelle bis auf ein Paar Stunden genähert hatte, Halt zu machen und am andern Morgen durch Streifscharen, flußabwärts und flußaufwärts, nach Furten zu suchen, um dann an unbewachten Stellen den Übergang zu bewerkstelligen.

Aber Ebroin schüttelte das Haupt, auf dessen Helmdach der eherne Eber die gewaltigen Hauer senkte: »Nicht doch! Ich gedenke Fredigundens. Ihrem Beispiel folg' ich.« Der fromme Hermengar schlug ein Kreuz: »Die üble Walandine! Folge nicht ihrer blutigen Spur!« – »Ja, sanfter Herzog ich muß. Es ist wahr: Ich sehe oft nur noch Blut vor den Augen. Dann rauscht es wie Wellen mir in den Ohren. Ich habe schon soviel vergossen: – zurück kann ich nicht mehr. Vorwärts! – Ans Ziel: – durch noch mehr Blut.« »Aber was hat Fredigundis . . .?« unterbrach Vanning, der diese düstern und blutigen Gedanken des Freundes mit Besorgnis immer häufiger wiederkehren sah und ablenken wollte. – »Die? Sie hat einmal in ähnlicher Lage gesprochen: ›wen du noch in der Nacht erschlagen kannst, erschlag' nicht erst am Morgen‹.« »Ein grauenhafter Spruch!« meinte Hermengar. »Ihr Weg ging über lauter Frevel,« warnte Vanning, – »Gewiß! Aber wohin führte er? Ans Ziel! Zum Siege! Sie starb friedlich, in ihrem Bett, als Besiegerin all' ihrer Feinde: – ihre große, edle Gegnerin, die hehre Frau Brunichildis, erlag grausamstem Geschick. Es geht nicht ohne Blut und Gewalt, Freund Vanning, will man wankende Reiche retten. Und auch nicht ohne Verbrechen, wie es scheint! Wie lange triumphierte Leodegar! Noch trotzt er uns: warum? Weil er kein Mittel, das da half, verschmähte. Wohlan, ich lerne von ihm. Übrigens heute Nacht gilt es ja nur raschere Entscheidung, kein Verbrechen. Da drüben steht der Feind in Masse geschart: lassen wir ihn uns nicht mehr entweichen! Jetzt drei Stunden Rast! Aber um Mitternacht stehen wir am Fluß! Jeder Führer, der zu spät eintrifft, – hängt. Verkündet's im Lager.«

Solch' kräftig Zureden half! Um Mitternacht standen alle seine Haufen in langer Reihe hart an dem Nordufer der Oise, bei dem stehengebliebenen ersten Joch der Brücke: die beiden Flügel seiner Aufstellung ragten links – östlich – und rechts – westlich – darüber hinaus.

Ebroin hatte sich den Befehl über das Mitteltreffen vorbehalten: er führte hier die Reiter, deren Gäule in erster Reihe schwimmen sollten. Herzog Hermengar und sein älterer Sohn Hermenfried sollten den rechten, Vanning und der jüngere Herzogssohn Hermenvech den linken Flügel befehligen.

Der Majordomus war in dem Zelte des Herzogs zugegen, als die beiden Söhne – stattliche schöne Jünglinge – mit sorglichster Liebe darüber wachten, daß der Vater auf das Sicherste gerüstet, auf das Schärfste gewaffnet sei. »Wie neid' ich dir,« sprach der jüngere zum älteren Sohn, »daß du an des Vaters Seite fechten, über sein Leben wachen darfst.« Freundlich lächelnd nickte Ebroin mit dem Haupte, dann sprach er sehr ernst: »Das gefällt mir, solche Liebe der Söhne! So hing ich an meinem armen Vater! So mag denn auch der jüngere Sohn den Vater in den Kampf begleiten. Vanning wird auch allein fertig.«


VIII.

Der meisterhaft geplante Anschlag gelang vollständig.

In tiefster Stille war der Anzug aller Scharen an dem Ufer erfolgt: keine Waffe hatte geklirrt, ja kein Pferd hatte gewiehert: – die klugen Tiere schienen zu merken, daß es sich um ein Geheimes handle. Die Frühlingsnacht war mondlos und sternenlos. Kein Lagerfeuer durfte angemacht, keine Fackel entzündet werden: schwarzes Dunkel deckte das Nordufer, das in der ganzen Ausdehnung von Weidengebüsch und – vom Wasser her – von hohem Schilf bestanden war, während drüben, im Süden, zahlreiche Fackeln und Wachtfeuer die Laubhütten des feindlichen Lagers und dessen Insassen deutlich zeigten. Kein lauter Befehlsruf ertönte: geräuschlos glitt, allen voran, Ebroins Rappe in die leise gurgelnde Flut: – ebenso folgten seine Reiter und diesen – in einigem Abstand – zuerst watend, dann schwimmend das Fußvolk. So gelangte alles an das Südufer, ohne daß die Wachen der Annäherung gewahr geworden waren.

Erst als die Pferde wieder trockenen Grund unter den Hufen fühlten, schnaubten sie laut das eingeschluckte Wasser aus: – einige wieherten: nun wurden die Feinde merksam, die Wachen riefen laut den Waffenschrei, einige rannten die Wiesenhügel hinunter, dem verdächtigen Geräusch entgegen: – sie kehrten nicht zurück! Und bevor die Überraschten oben auf dem Höhenzug sich aus ihren weit verstreuten Laubzelten geschart und gestellt hatten, waren die Reiter Ebroins auf der Gipfelfläche angelangt: ohne Mühe ritten sie die vereinzelt, noch ungeordnet, aus den Lagergassen Herbeiströmenden über den Haufen. So kam es auf Seite der Feinde gar nicht zur Bildung einer Schlachtreihe: bevor sie sich stellen mochten, waren sie überflutet und flohen nun aus dem preisgegebenen Lager landeinwärts nach Süden, in der Richtung auf Autun.

Groß war die Zahl ihrer Toten: denn die grimmen Kleinleute machten keine Gefangenen: zumal Ebroin erklärt hatte, die in dem Bürgerkriege gefangenen Landsleute sollten nicht der Verknechtung unterliegen: eine Verordnung, die mit lautem Murren war vernommen worden! – so stachen denn die Bauern mit ihren breiten Messern erbarmungslos auch die Verwundeten nieder und die, welche die Waffen weggeworfen hatten. Den Majordomus überkam ein Grauen, als er im blutigroten Licht der Wachtfeuer diese Wirkung seiner so menschenfreundlich gemeinten Verfügung wahrnahm: »Viel Blut! Immer mehr!« sprach er zu Vanning, als sie, von der Verfolgung zurückgekehrt, durch das eroberte Lager ritten, neben den Haufen der Erstochenen – Abgeschlachteten! – hin. »Du hast recht: – ich habe unheimliche Bundesgenossen: Blutigel und Brandhahn, Reißewolf und Raubrabe und Frau Nachtfare – meine Helfer und Freunde! Aber ich halte sie fest in der Hand.«

Gering war der Verlust der Sieger; unter den Verwundeten waren aber die beiden Söhne Hermengars. Ebroin bemerkte es, wie er sich nach Sonnenaufgang zum Frühmahl niedersetzte: in dem reich geschmückten Zelte Gairins – der entkommen war – ließ er sich und seinen Feldherren das für den Flüchtling bestimmt Gewesene auftragen. »Ja,« sprach der Herzog freudig, beider Söhne Nacken umschlingend, »ich dank' ihnen das Leben. Mein Gaul stürzte, ich lag hilflos darunter, mehrere Feinde sprangen zu: da holten mich die beiden hervor und fingen einstweilen die mir zugedachten Hiebe auf. Sind wackre Buben.« »Ja, das sind sie,« sprach Ebroin. »Drum ernenn' ich den älteren zum Grafen von Amiens und den jüngeren zum Oberfalkenwart. Aber auf daß sie stets ein mahnend Andenken daran führen, welcher That sie solche Ehrung danken, da – nehmt!« Er griff neben seinem Sitz zur Erde, wo die kostbarsten Stücke der Waffenbeute aufgehäuft lagen. »Hier, Hermenfred, ein Schwert: – eine edle westgotische Klinge! – und da, Hermenvech, eine treffliche bretonische Streitaxt. Schwingt sie für euren Vater! Wahrlich, nicht umsonst haben unsre Ahnen die Blutrache für die Gesippen der Pflichten heiligste genannt. Daran haltet fest und laßt euch nicht beirren durch die Lehre der Bischöfe von der allverzeihenden Nächstenliebe! Schmach und Wehe dem Sohne, der seinen Vater ungesühnt liegen ließe! Ich bin gewiß, ihr würdet, wie ich an jenem Valerius gethan, das Blut eures Vaters blutig rächen. Darauf trink ich euch diesen vollen Becher zu!«


IX.

Das eine nächtliche Treffen entschied den ganzen Feldzug: die Streitmacht Gairins war zersprengt: nirgend mehr wagte sie, das offene Feld zu halten: seine Flüchtlinge warfen sich zerstreut in die festen Städte. Ebroin hielt sich mit deren Belagerung nicht auf. Ohne Rast setzte er seinen Stoß in das Innere des Landes fort. Er erfuhr, daß sich Gairin mit dem noch beisammengebliebenen Rest seines Heeres nach Autun gewendet habe, wo Leodegar die alten Befestigungen mächtig verstärkt hatte: auf diese burgundische Bischofstadt zog jetzt der Sieger, der Rächer, in eiligen Märschen.

»Ja, ja, es eilt! sag ich euch,« erwiderte er den Kleinleuten, die sich lieber in Plünderung des durchzogenen Landes verweilt hätten und jetzt schon gar oft bei seinen Befehlen murrten. »Es eilt! Denn – begreift ihr's denn nicht? – unsere ganze Jagd gilt einem gar edeln Wilde: nicht dem Giftwurm Leodegar, – der wird seiner Strafe nicht entgehen! – nein, dem Königsknaben, in dessen Namen er zu herrschen vorgiebt.« »Ah was,« schrie der schwarze Rädelsführer, den die Seinen den Reißewolf nannten – er war ein Aquitanier und hieß Gallus – »verstehe schon. Aber wozu brauchen wir überhaupt einen König? Wir sind selbst Könige!« »Oder, brauchen wir einen,« meinte der rothaarige Brandhahn, der Kelte aus Aremorica, seine blitzende Sense lupfend, »so soll Ebroin die Krone tragen. Nieder mit dem Knaben!« »Schweigt,« zürnte der Majordomus. »Wollt ihr den Bürgerkrieg verewigen? So gut wie ich, können dreißig andre nach dem Königstabe greifen. Soll der Austrasier Dagobert, der Mönch-König, da drüben in Metz, – mit vollem Recht! – die Erbschaft der Merowingen für sich verlangen dürfen? Nein: nicht um ihn zu morden – habt ihr noch nicht genug des Bluts gesehen, ihr Wölfe? – oder ihn abzusetzen muß ich ihn haben, nicht als meinen Gefangenen – nein, als meinen Herrn und König, um kraft seines Rechts zu herrschen – wie bisher Leodegar. Wohlan, noch weilt – sicher erfuhr ich's – der Knabe in Autun: – wer weiß, wohin sie ihn rasch flüchten und vor uns verstecken, lassen wir ihnen Zeit dazu?«


X.

So eilte denn der brausende Zug, das leere Paris westlich liegen lassend, gen Süd-Süd-Ost über Meaux, Troyes, Dijon, bis er im Monat Juni vor den Thoren von Autun anlangte.

Sofort umschloß Ebroin die Stadt auf allen Seiten – auch auf dem Fluß Arroux durch Wachtschiffe – so eng, daß an ein Entschlüpfen des jungen Fürsten oder seiner Bewacher nicht zu denken war. Binnen kurzer Frist hatte der kriegskundige Belagerer so zahlreiche und so mächtige Sturmwerkzeuge hergestellt, daß der Gewaltangriff demnächst erfolgen konnte. Nicht mit ungeteilter Freude doch sah Ebroin dem Augenblick entgegen, da er den Befehl zum Sturm geben sollte: am Erfolge zweifelte er nicht, aber er scheute das abermalige massenhafte Blutvergießen im Kampf und noch mehr die zügellose Mord- und Raubgier seiner ›Kleinleute‹, wann diese sich – nach dem Sieg – über die volkreiche und güterreiche Stadt ergießen würden. Trotzten sie offen seinem Verbot, so war er mit seinen Heerbannleuten kaum stark genug, sie im Zaum zu halten oder – nach dem Verbrechen – zu strafen.

So war ihm ganz willkommen, daß kurz vor dem zum Sturm ausersehenen Tage in seinem Lager ein Vermittler erschien, den er am wenigsten zurückweisen konnte: der fromme Abt Romarich. Der hatte, aufgeschreckt durch die Nachrichten von dem wilden Bürgerkrieg, die stillen Mauern seines Luxeuils verlassen und ritt nun auf seinem Eselein in die Nordgasse des lärmenden Lagers ein. Alsbald vor den Majordomus geleitet, bewirkte er bei diesem, daß er die belagerte Stadt betreten und mit den dortigen Führern der Stadt verhandeln durfte.

Das Ergebnis dieser Verhandlung war, daß eine Unterredung zwischen Ebroin und Dedo von Poitiers in dem Ostthor stattfinden solle, in welcher die Bedingungen der Übergabe der Stadt zu vertragen waren. Mit Leodegar und Gairin zu verhandeln, lehnte Ebroin rundweg ab: »die will ich nur als Gefangene und mit dem Henker wiedersehen,« hatte er drohend gesprochen.

Zur beredeten Stunde – hell glänzte der Sommersonnenschein auf die Helme und Schilde – ritt aus dem Lager ein kleiner Zug auf das in die mächtigen Steinquadern gefügte Thor und machte vor dem breiten Graben Halt: ein Hornstoß meldete ihn an: bald antwortete der Trompetenruf der Wächter oben auf der Zinne: schwerfällig drehten sich die starken, erzbeschlagenen Flügel in den Angeln: und der Bischof von Poitiers, in vollem Ornat, trat auf die Zugbrücke, die nun knarrend von oben herniederrasselte, den Graben überspannend.

Ebroin blieb unbeweglich stehen, unerachtet der weichen Handbewegung des Prälaten, die ihn einlud, auf jenen schmalen eisernen Steg der Hängebrücke zu treten. Auf die wiederholte stille Aufforderung sprach Ebroin, den Eberhelm schüttelnd: »Nein, man sieht sich vor mit eidbrüchigen Verrätern.« »Verwünscht,« murmelte Dedo. »Wer hat ihm den Anschlag . . .? Aber warte, es giebt einen Magneten, der ihn doch heran zwingt.« Er bequemte sich nun, gefolgt von einigen seiner Geistlichen, dem Majordomus entgegenzuschreiten.

»Bevor wir verhandeln,« hob er an mit seiner wohllautreichen, viel geübten Stimme – »warn' ich dich, mein Sohn . . .« – »Ich bin nicht dein Sohn, sondern Ebromuths, den dein Gesippe gemordet hat.« – »Ich warne dich, weiter zu gehn in Freveln, weiter zu waten in Blut. Quousque tandem . . .? Du bist . . .« – »Nicht gekommen, eine Predigt zu hören, sondern Eure Ergebung zu fordern.« – »Du hast dich verfehlt – ich schweige von den Geboten der Kirche! – gegen das wichtigste Gesetz des Reichs!« – »Das wäre?« – »Dieses hier: das heilige Gesetz von Autun!« antwortete der Bischof und zog aus den Falten seines Mantels ein mächtig Pergament, das er sofort entrollte und Ebroin entgegenhielt. »Erkennst du hier das Siegel des Königs? Es ist das Gesetz, das alle Glieder des Hoftags zu Autun beschworen haben: es gebietet, – von anderem zu schweigen! – daß Bischof Leodegar von Autun, solang er lebt, als Rector Palatii unbedingten Gehorsam zu fordern hat von allen Unterthanen: aber nicht nur beschworen von allen ward die Urkunde, – gesegnet, geheiligt und geweiht ward sie von vierzehn Bischöfen und – sieh her! . . . mit den heiligsten Reliquien ist sie – zum sichersten Schutz ihrer Geltung – behängt. Schau her, diese Heiligtümer! Sieben an der Zahl! Sprich, was ist auf dieses Pergament deine Antwort?« Und majestätisch trat der Bischof einen Schritt vor und hielt ihm die breite, viereckige Urkunde ausgestrafft vor Augen.

»Dies,« schrie Ebroin, riß blitzschnell seines Vaters Schwert heraus und zerhieb das Pergament mit einem sausenden Streich in zwei Hälften, die der Bischof laut aufschreiend fallen ließ. »Sacrilegium! Sacrilegium!« rief er: und seine Geistlichen wiederholten kreischend den Ruf.

»Null ist und nichtig,« sprach Ebroin, das Schwert einsteckend, »der der Krone abgezwungene Fetzen. Ja, lest sie nur auf und küßt sie, die Urkunde! Erlistet ist sie und erzwungen! Hab' ich sie je beschworen? Und Ihr, wie könnt Ihr noch von Eiden reden, ohne vor Scham in die Erde zu sinken? Dein Neffe, der greise Frauen mordet, hat geschworen bei den allerheiligsten Reliquien und . . .«

»Vergebung,« scholl da eine wohlbekannte Stimme aus dem Hintergrunde und, halb verdeckt von den Geistlichen, ward jenseit der Zugbrücke sichtbar die Gestalt Leodegars. »Du hier? Du sollst nicht lebend . . .!« schrie Ebroin außer sich und wollte auf die Brücke und über sie vorstürzen. Aber Vanning sprang neben ihn, umfaßte ihn mit beiden Armen und hielt ihn mit Gewalt fest: »Halt! Noch ein Schritt und sie schnellen dich mit der Brücke in die Höhe: – schau, die Knechte dort oben faßten schon die Seilwinden.« »Auch das scheitert,« grollte Dedo finster. »Hostis habet muros, ruit alta a culmine Troja!« Leodegar aber rief: »Du thust mir unrecht mit diesem Vorwurf.« Da sprach Romarich, lebhaft bewegt an Ebroins Seite tretend, drohend hob er den Zeigefinger der Rechten: »Wie, du entarteter Sohn der Kirche, hast du nicht bei all' jenen Heiligen und Heiligtümern . . .?« »Ich schwur,« unterbrach Leodegar, »gar viele Dinge, so wahr der Schrein jene Heiligtümer berge. Wohlan: er barg sie nicht.« – »Ruchloser Lügner! Ich habe sie selbst hineingelegt.« – »Wohl: aber ich habe sie alle säuberlich wieder herausgenommen und unter dem Altarteppich geborgen, bevor Ihr die Krypta betratet. Allein sorge nicht, wo sie verblieben: als ihr hinauf gestiegen, legte ich sie alle wieder sorgfältig hinein: – nicht eines fehlt dir, o Romarich. – Mich aber band jener Eid nicht.«

Da brachen viele unter den Geistlichen um ihn her in laute Rufe des Unwillens, des Abscheus aus: die Krieger Ebroins aber hoben wildschreiend die Waffen und waren kaum abzuhalten, auf die Brücke zu stürmen.

»Hört ihr's?« sprach Ebroin, nachdem der Lärm sich gelegt, »das ist der Wert der Heiligtümer und der Eide dieser Priester! – Genug der Worte, des Hohns! Hört mich: in drei Stunden ergiebt sich die Stadt mit dem König und allen, die sonst darinnen sind, in meine Hand . . . Wenn nicht, erstürm' ich sie und gebe Stadt und alles Leben darinnen meinen Kleinleuten preis. Nun wählt.«


XI.

Geraume Zeit vor Ablauf der vorgestreckten Frist thaten sich die festen Thore der alten Keltenstadt auf und psallierende Mönche und Priester in großer Zahl, zu langem Zuge gereiht, schickten sich an, ins Freie zu schreiten. Aber noch innerhalb der Thorschwellen wurden sie angehalten. Der Sieger besorgte, in solcher Verkleidung möchte mancher der Führer entwischen. Vielmehr befahl er, daß niemand die Stadt verlassen dürfe, bis er es verstatte.

In geschlossenem Zuge, nur von seinen Heerbannmännern umgeben – die blutgierigen Kleinleute wurden, zu ihrem lauten Schelten, vor den Thoren aufgestellt – zog Ebroin auf den weiten Platz vor dem Bischofhaus, das Leodegar so kunstsinnig und verschwenderisch neu gebaut und ausgeschmückt hatte. – Hier war auf der obersten Stufe ein hoher Thron errichtet: darauf saß ein schöner, blasser Knabe, zu beiden Seiten von einem Priester und von dem Grafen der Stadt gehalten, daß er nicht falle: – denn das rasch emporgezimmerte Gerüst von dünnen Latten, mit Purpur verhangen, wankte und wackelte unter den ehernen Schritten der die Stufen hinaufdrängenden Heermänner. Nun eilte auch Ebroin raschen Ganges hinan, ließ sich vor dem verschüchterten Kinde auf beide Kniee nieder und legte die gefalteten Hände in die des Knaben, die dieser offen auf seinem purpurbemantelten Schose hielt. »Ich huldige dir, mein König Theuderich, du Sohn Balthildens, meiner hohen Herrin, deren Züge du trägst. Ich schwöre dir Treue als dein Unterthan: ich will dich, dein Reich, dein Recht, deine Wohlfahrt wider alle Feinde schirmen, schützen und fördern, wie ich schon gethan habe all' diese Zeit, als du noch böser Menschen Gefangener warst. Du aber nimm mich nun an als den Majordomus deines Palastes.«

»Gern thu' ich das,« sprach das Kind mit weicher, wohllautender Stimme, das engelhafte Haupt vorwärts neigend, daß seine langen lichten Locken auf den gebeugten Eberhelm wallten. »Ich kenne dich ja von meiner frohen Zeit zu Paris her. Du gefällst mir viel besser als der schwarze Bischof und sein grober Bruder. Und die liebe Mutter hat mir oft gesagt, als ich noch bei ihr im Kloster spielen durfte, bevor mich die garstigen Leute von ihren Knieen hinweg auf den Thron risse: ›Ebroin‹, – hat sie gesagt – ›ist der zweitbeste der Männer‹ . . .« »Und der erstbeste?« fragte der in Flüsterton, hastig aufspringend, mit weit geöffneten Augen, »Das sagte sie nie. Sie meinte gewiß den Vater.« Ebroin nickte befriedigt: er stellte sich nun dem Thron zur Rechten und, auf sein langes Schwert gestützt, rief er dem da unten sich drängenden Volke zugewendet: »Nun rat' ich in Güte, ihr Bürger von Autun, liefert die Führer der Empörung aus, alle! Sonst laß ich meine Kleinleute in eure Häuser: die finden sie dort gewiß: aber auch noch viel anderes.« »Der Drohung bedurfte es nicht,« sprach da eine demutvolle Stimme von dem nun sich öffnenden Thore des Bischofshauses her und siehe, im langen härenen Bußgewand, barhäuptig und barfüßig, die Hände in Fesseln geschlagen, schritten auf den Thron zu Leodegar, Dedo, Gairin und zwölf Bischöfe, – darunter Berachar von Le Mans und Agnebert von Saintes – und weltliche Große. Sie warfen sich vor dem Thron auf die Kniee und Leodegar begann: »Blutvergießen, Brand und Raub fern zu halten von dieser guten Stadt, die ich solang in Glück und Frieden geleitet, habe ich dem Herrn König geraten, die Forderungen des Majordomus zu erfüllen. Nachdem ich all' mein Vermögen den Heiligen geschenkt, werfe ich mich hier mit meinem Bruder, meinem Ohm und meinen Freunden zu den Füßen des Herrn Königs nieder und bitte um Gnade für mich und alle diese hier, falls wir – wider Wissen und Willen! – in irgend einem Stücke uns verfehlt haben sollten.«

Unschlüssig, verlegen sah der Knabe im Purpur bald auf Leodegar, bald auf Ebroin: er wollte die kleine Hand dem Knieenden herabreichen.

Aber rasch trat Ebroin dazwischen und rief: »Halt! Gnade? Gnade giebt es nur nach gefälltem Urteil. Die Strafe muß ausgesprochen sein: – dann mag der König sie erlassen oder mildern oder vollstrecken lassen. Ergreift sie, alle fünfzehn, meine Lanzenträger, und führt sie in die Kerker: – getrennt, einzeln. Stellt je zwei Wachen vor jede Kerkerthür: entwischt einer, sterben die zwei Wachen. Ich scheue die Heiligen: sie verstehn sich allzugut auf Riegel und Schlösser! Die Verbrechen sind zu Ende: nun beginnt das Strafgericht.«


XII.

Das Strafgericht ward ein Blutgericht.

Nachdem ein Konzil von vielen neustrischen und burgundischen Bischöfen die neu angeschuldigten Bischöfe ihrer geistlichen Würden entsetzt und Leodegars frühere Absetzung bestätigt hatte, verurteilte sie und ihre weltlichen Mitschuldigen das Pfalzgericht – unter dem Vorsitz Ebroins – wegen ›infidelitas‹ gegen den König sämtlich zum Tode und zur Einziehung ihrer Güter: bei Leodegar und Gairin ward auch wegen Ermordung des Bischofs Praejectus und der geraubten Äbtissin von Chelles die Todesstrafe ausgesprochen. Die etwaige Begnadigung oder andernfalls die Art der Vollstreckung der Strafe ward dem Ermessen »des Königs« überlassen.

Es lief doch ein Schauer des Grauens durch die Reihen der in Krieg und Frieden an viel Blut gewöhnten Palatine dieses Reiches, als Ebroin an dem drei Tage darauf gehaltenen Hoftage neben den leeren Thron trat und, nach Vorführung der Gefangenen, mit eherner Stimme verkündete: »Der Herr König hat – auf meinen Rat! – allen Verurteilten seine Gnade versagt. Die weltlichen Seniores werden gehängt: nur Gairin, der Frauenmörder, wird – nach altem Frankenrecht – gesteinigt. Die ehemaligen Bischöfe werden – in Ehrung ihrer früheren Würden – nicht gehängt, sondern geköpft: aber Leodegar, der bei dem Lichte seiner Augen einen Meineid schwur, sollen vor der Hinrichtung an dem Grabmal der gemordeten Äbtissin von Chelles, das ihr dort, wo sie starb, an dem Ufer des Arroux errichtet ward, die falschen Augen ausgestochen werden.« –

Ein greller Aufschrei – Leodegar stürzte rücklings nieder.

»Das geschieht: den Verbrechern zu gerechter Strafe, den andern zu wirksamer Mahnung. Denn – bei meinem Schwert! – ich schaffe diesem Reich der Franken wieder Einheit, Friede, Glanz und Größe und müßt' ich bis ans Knie im Blute waten seiner Feinde.«

Alle vernahmen die grause Entscheidung in tiefem Schweigen: in frommer, auch wohl reuiger Ergebung. Nur Bischof Dedo sprach mit lauter Stimme: »Bah, was ist's weiter? Wir haben heiteren Geistes gelebt, laßt uns heiteren Geistes – eleganter! – sterben: das Leben war lang, der Tod wird kurz sein. Die alten Römer hatten recht: ›facilis descensus Averni!‹ Wir haben viel von ihrem Blut geerbt: laßt uns ein wenig auch von ihrem Geist bewähren.«


XIII.

Der Kerker Leodegars lag tief unter der Erde, tiefer noch als der Kanal des Arroux, der, hier durch die Stadt geleitet, das unheimliche Gurgeln und Rauschen seiner Wellen durch die dicken Mauern dringen ließ.

Viele hohe Stufen führten von dem Erdgeschoß der Hochburg in den immer feuchten Quadergang, auf den die Tropfen vom niedern, drückenden Gewölbe her langsam, aber unablässig, eintönig niederschlugen. Hier waltete Tag und Nacht das gleiche Grabesdunkel: kein Strahl des Sonnenlichtes drang je hierher. Jetzt war in die Öse der eisernen Zellenpforte ein Kienspan gezwängt, dessen düster rotes Licht stets zu erlöschen drohte in der feuchten Moderluft.

Zwei Speerleute hielten Wache vor der Pforte; die Lanzen auf der Schulter gingen sie, einander kreuzend, in dem langen Gange, der an die Treppe führte, auf und nieder. Als hoch über ihren Häuptern die eiserne Fallthür rasselnd aufgehoben ward, die den Zugang zu der Steintreppe verdeckte, machten beide Halt und spähten scharf nach oben! »Aufgepaßt, Benniko, Bennos Sohn, da kommt was.« – »Oder wer! Aber weit kommt er nicht, Freund Beling, ist's ein unrichtiger.« – »Ja, es gilt unser Leben, mahnte Graf Vanning, wenn der Bösewicht entspringt!« – »Nun, ein Mensch, ein sterblicher, dringt nicht durch unsre Lanzen.« – »Und durch die verschlossene Thür.« – »Aber etwa ein Unhold? Der schwarze Priester soll viel schwarzen Zauber wissen, Geister bannen . . .« – »Bah, den Geist möcht' ich sehen, den hier dieser Speer nicht abhält.« – »Da tastet sich's langsam die Stufen herab.« – »Es ist nur Ein Schritt. – Halt. Wer naht?« – »Ein Priester des Herrn.« – »Wohin?« – »In den Kerker. Zu Leodegar.« – »Wer schickt dich?« – »Der Majordomus. Hier sein Siegelring als Wahrzeichen.« – »Ja, das war verabredet, Benniko. Aber der Ring allein . . .« – »Führt dich nicht hinein. Du brauchst noch . . .« – »Den Schlüssel zu dem Kettenschloß, den Ebroin abzog.« – »Und an seinem Wehrgurt trägt.« »Hier ist er,« sprach der Besucher. – »Wohl! Schließ auf.«

Und ein Mann in Mönchsgewand glitt an den beiden vorbei und öffnete – nach einiger Mühung – das Schloß der Kette, welche die Pforte von außen kreuzweis überspannte. Nun holten Benniko und Beling je einen Schlüssel aus ihrer Brünne hervor und schlossen zwei Schlösser auf, welche die Thüre an die rechte Mauerseite festigten: der Mönch trat über die Schwelle; sogleich wurden beide Schlösser wieder von außen gesperrt.

»Wer bist du?« rief eine bebende, von Angst erstickte Stimme dem Eintretenden entgegen, dessen Umrisse einen Augenblick, von dem Kienspan draußen durch die halbgeöffnete Pforte her beleuchtet, sichtbar geworden. »Und was bringst du? Die Freiheit? Oder den Tod? Oder – o weh, o! – die spitzen Eisen in die Augen? Wer bist du?« – »Romarich.« »O, also die Freiheit,« jauchzte der Gefangene. »Du versprachst mir . . .«

»Ich that alles, was ich konnte. Vergeblich! Fasse dich, Leodegar, schließ ab mit dem Himmel: du mußt sterben.« – »Aber ich will doch nicht! Ich will nicht! . . . Und die Blendung? Meine Augen . . .?« – »Nichts hab' ich erreicht, Ebroin wies mich ab: ›ich habs geschworen,‹ sprach er. ›Und ich – ich halte meine Schwüre!‹« – »Grausamer, kommst du nur, das mir zu verkünden?« – »O nein, ich komme, mein armer, tief gefallner Sohn, deine Seele aufzurichten, dich vorzubereiten auf den letzten Gang, den Todesgang. Viele deiner Sünden, deiner Frevelthaten kenn' ich . . .« »Aber lang' nicht alle,« meinte der Gefangene: und es klang wie Hohn. – »Wohl, es mögen viele und schwere sein. Aber die Barmherzigkeit Gottes ist unendlich. Wenn du dich vor ihm demütigst . . .« »Ich mag nicht! Ich kann's nicht! Laß du das Jenseit nur meine Sorge sein. Rette mir das Leben, die Augen! Das allein hat Wert für mich. Hörst du?« und er faßte an seiner Kutte und riß heftig daran, »Schaff' mich hinaus aus diesem Grabe in Licht und Leben. Ich will noch lange leben, . . . will . . .! Wie war es doch, was mir Ohm Dedo verheißen? Herrschen, glänzen, genießen! Hörst du? Ich will nicht sterben!« schrie er, daß das Gewölbe wiederhallte. – »Unseliger! Laß doch von diesem nichtigen Begehr nach dem vergänglichen irdischen Dasein. Versöhne den Himmel, beichte mir . . .« »Nein!« rief der zornig. »Laß das, befehl' ich. Den Himmel hab' ich mir längst gesichert.« – »Wodurch?« – »Durch ungezählte Gaben an die Heiligen. Sieh, deshalb hab' ich ihnen – vor der Gefangenschaft, für alle Fälle! – mein ganzes Vermögen . . . Sie müßten schmählich undankbar sein, ließen sie mich im Stich.«

»Wahnsinniger! Darauf baust du deine Hoffnung, ja deinen Trotz? Deshalb verschmähst du meinen Zuspruch? So wisse denn: Gott läßt sich nicht spotten und die Heiligen lassen sich nicht bestechen. Alles, was du zu solchem Zweck gethan, geschenkt, geopfert, ist nichtig.« »Weh mir, sprächst du wahr!« schrie Leodegar und fuhr erbebend zurück. »Gott will ein reuig Herz, keine Opfer. Bereue!«

»Ah, ah,« stöhnte der Verzagende. »Ich . . . ich wollte ja gern . . ., aber ich kann nicht. Ja, daß mich meine Thaten hierher – in den Tod! – geführt, . . . das thut mir freilich leid.« »Das ist nicht Reue! Zerknirscht vor Gott mußt du rufen: ›wehe, weh über meine Sünde‹.« – »Wehe, weh . . . mir, mir! – – Ich kann's nicht. Es wäre Lüge, also wieder Sünde: und Gott – er ist ja allwissend! – würde es ja doch gleich merken! Ich kann nicht bereuen. Aber höre nur, was alles ich der Kirche geschenkt . . . viele Centner sind's an Gold allein und Silber und ganze große Landgüter und . . .« – »Schweig davon! Du lästerst, wenn du Gott erkaufen willst. Bereue oder ich verlasse dich.« Und er klopfte an die eiserne Pforte: die Wächter draußen drehten die Schlösser auf, »So verlasse mich! Ich fluche dir und deinem ohnmächtigen Trost: – ich fluche der Lehre, die mich bethört hat, daß ich meine Schätze vergeudete, statt sie zu genießen. Ich fluche der Welt, in der ein dummer Stein mich zum Krüppel schlug und zum Schleicher machte, mich, – der ich ein Held war oder werden wollte, wie jener eherne Ebroin! Ich fluche Gott, der jenen Stein nicht hemmte, der diese Welt so geschaffen . . . – hörst du? Ich fluche Gott, der mich verkrüppelte: er – er allein ist der Thäter meiner Thaten! Ich fluche Gott!« »Macht auf, macht auf!« rief der Mönch in schauderndem Entsetzen und hastete durch die rasch aufgerissene Thür hinaus.

»Ja, hör's nur,« schrie der Gefangene, mit der Faust an die Eisenpforte donnernd, »ich fluche deinem Gott der Liebe, dieser Lüge, und ich verfluche dich und mich selbst. Ah! Die Hölle? Ewig? Ewig in Qualen? Verzweiflung! Verzweiflung! Das ist schon die Hölle!« Und er brach stöhnend auf der Schwelle zusammen.



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