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Viertes Buch.

*

 

Erstes Kapitel.

In allen diesen Tagen meldeten sich bei dem Königsboten, folgend dessen Aufforderungen, gar viele Sachsen der Umgegend, die schwere Klagen wider den Grafen zu Esesfeld, den Abtvikar, den Fronboten anmeldeten.

Mit steigendem Grimm nahm der Alte die schlichten, treuherzig vorgebrachten Reden entgegen und ließ sich von dem Seniskalk die Namen und die Hauptstücke der Beschwerden aufzeichnen; er selbst schrieb auch manchmal, aber meist warf er dann bald den Schreibgriffel ungeduldig zur Seite. »Es will nicht mehr! Wohl hab' ich nachts Täfelchen und Stift unter dem Kopfkissen und in wachen Stunden üb' ich die schwere Hand. Allein die Buchstaben sehen aus wie derbe Schwerthiebe! Hab' allzuviel den Schwertgriff, allzuwenig die Rohrfeder geführt. Mein Herr Vater – Gott mach' ihn recht selig in seinem Himmel! – hätte doch eifriger dafür sorgen sollen. Aber der nahm mich gleich in den Vaskonenkrieg mit, statt mich schreiben lehren zu lassen.« »Ihr mögt wohl besser ins Lager gepaßt haben mit Eurem Heißzorn und Ungestüm als in die Klosterschule zu Saint Denis,« » lachte der Seniskalk. »Und es ist doch wohl besser so fürs Reich der Franken. Übrigens, Ihr sorgt ja jetzt so eifrig an den andern für Lesen und Schreiben, daß alle Buben zwischen acht und achtzehn Jahren vom Ebro bis zur Drave auf Euch schelten. Das ist das einzige, was sie an Euch auszusetzen haben.« »

Oft kam es vor, daß die durch den Druck des Grafen Eingeschüchterten den Kaiserboten baten, ihre Namen dem Grafen gar nicht zu nennen, so sehr fürchteten sie ihn: »Denn, o Herr – Ihr kommt und gehet wieder: aber der böse Graf, der bleibt. Und furchtbar wird er sich an denen rächen, die wider ihn geklagt.« Aber der Alte schüttelte das silberweiße Haupt. »Der wird euch nicht mehr lange schaden, mein' ich. Wenn der Kaiser erfährt, wie der Bösewicht gehaust, wird er ihn absetzen. Und wird wieder einmal recht bitter, bitter beklagen, daß er den Menschen, denen er seine Getreuen anvertraut, nicht in das Herz schauen kann.«

Häufig begehrten – aus gleicher Besorgnis – die Beschwerdeführer, den Königsboten allein sprechen zu dürfen, oder in Gegenwart nur des Seniskalk. So geschah es auch heute.

Es war schon ziemlich dunkel; feuchte, schwere Nebel stiegen aus dem nahen Wald. Ein junger Sachse, schlank gewachsen, hoch, kam an den Hof geritten, sprang ab und warf den Zügel locker über einen Pfahl des Zaunes. –

Die Krieger bewunderten das schöne Roß edelster Zucht: »Es ist dänischer Schlag,« sagte der alte Welanding, der mit einer Kienfackel hinzutrat; »aber auch bei den Dänen trifft man selten so treffliche Renner. Trägt es keine Hausmarke? Ja doch,« und er leuchtete mit dem Kienbrand näher: »hier, von der Mähne verhüllt. Es ist die Rune Giba, G. Wie mag der Eigner heißen?«

Aber der Reiter war, den Speer über der Schulter, schon in den Hausflur getreten; hier stieß er auf den Seniskalk. »Ich muß den Kaiserboten sprechen, sogleich.« – »Geht nur da hinein, in der Halle da drinnen sitzt er, am Tisch.« – »Allein muß ich ihn sprechen.«

»Auch du – ein Mann wie eine junge Tanne! – fürchtest dich vor diesem Grafen? Nun, er ist allein. Ich gehe mit dir, ich bin sein Schreiber.« – »Allein, sagt' ich.« Der Seniskalk warf einen prüfenden Blick auf den Jüngling. »Lehne deinen Speer hier an die Wand. – So! Und gib mir – du trägst ihn doch wohl, wie ihr Sachsen alle, unter dem Mantel – deinen Skramasachs.«

Willig gehorchte der Fremde; er gab ihm selbst den Speer in die rechte Hand, schlug den Mantel zurück, löste das Kurzschwert aus dem Wehrgehänge und gab es ihm in die linke. Nun öffnete ihm Audulf die Hallentür und der Fremde trat ein; der Seniskalk blieb in dem Gange nahe der offenen Haustüre stehen.

In der Halle an einem mächtigen Tische saß der Sendbote nahe dem lodernden Herdfeuer. Dies verbreitete viel mehr Licht als die kleine Silberlampe, die auf dem Tische stand; aber das Feuer gab unsteten Schein, meist schwach fortglimmend, nur selten einmal hell aufflackernd. Der Alte hatte den Eintretenden nicht beachtet. Er saß über den Tisch gebeugt, das mächtige Haupt auf die linke Hand gestützt, während die Rechte dicht vor die Augen eine breite Pergamenturkunde hielt, die das Antlitz völlig verdeckte; der lange, schöne, silberweiße Bart floß nieder auf den Tisch.

Der Fremde blieb an der Türe stehen, richtete zuerst das Auge auf den Mann und warf dann einen raschen Blick über den halbdunkeln Raum. Er suchte etwas; endlich bemerkte er die mannshohe Fensterluke, die, fast bis auf den Boden reichend, durch einen Holzladen von innen geschlossen war. Nun trat er schnell ein paar Schritte näher, auf die linke Seite des Alten: der ward erst jetzt des Eingetretenen gewahr; ohne von der Urkunde aufzublicken, sagte er: »Was gibt's, Audulf?« Noch einen Schritt näher, um die Ecke des Tisches herum, trat der Fremde, die geballte Faust im Brustlatz; seitwärts knisterte das Herdfetter; er bog den Kopf vor, um hinter der Urkunde das Gesicht des ruhig Lesenden zu sehen: da loderte die Flamme prasselnd hoch auf, hell beleuchtend Antlitz und Gestalt des Alten, der sich nun, aufblickend, voll dem Jüngling zuwandte.

»Kaiser Karl!« schrie der und taumelte zurück, wie vom Blitzstrahl geblendet: er brach ins Knie: beide geöffnete Hände wie zur Abwehr ausstreckend: da klirrte etwas auf den Boden. Der Kaiser erhob sich ruhig, zu seiner vollen Größe sich aufrichtend.

Im selben Augenblick war der Fremde aufgesprungen und, den Fensterladen aufstoßend, in das Dunkel hinaus verschwunden. Gleich darauf stand er im Hof neben seinem Roß, riß den Zügel von dem Zaunpfahl, schwang sich in den Sattel und schoß wie ein Pfeil davon in den Nebel, in die Nacht – in den Wald. Nur die paar Krieger, die in der Nähe des Hoftores standen, hatten ihn wie einen Schatten vom Hause her auftauchen und verschwinden gesehen.

*

 

Zweites Kapitel.

Am nächsten Morgen ritten Graf Hardrad und der Abtvikar mit wenigen Reisigen von Burg Esesfeld auf der großen Straße, die nach Süden führte. Jener mahnte den Gefährten, schärfer auszutraben. »Mich verzehrt die Ungeduld,« rief er, »die Sorge. Wie mag es ausgefallen sein? Der Sachse könnte schon zurück sein, mein' ich, wär' er entkommen. Er ritt ein herrlich Tier aus König Göttriks Roßgarten. Es litt mich nicht mehr in der Burg.« »Da seht!« erwiderte der Abtvikar. »Dort sprengt ein Reiter heran –: nie sah ich solch ein Jagen.« – »Er ist's! Er ist's! Es ist gelungen!« Und den Begleitern winkend, zu halten, ritten Graf und Priester in Hast vorwärts. »Aber Volkhelm! Bei allen Heiligen! Wie siehst du aus!« Das keuchende Tier war mit weißem Schaum bespritzt. Der Reiter hatte in dem rasenden Ritt die Sturmhaube verloren, seinen Mantel hatten die Buschzweige zerrissen, wild und wirr flatterte sein langes Gelock, er war bleich, sein Blick starr vor Entsetzen.

»Hast du den Teufel von Angesicht gesehen?« – »Nein! Aber Kaiser Karl!« – »Du bist toll geworden!« – »Du rasest.« – »Nein! Ich hab' ihn gesehen, wie ich euch hier sehe, mit diesen Augen.« – »Wann?« – »Gestern abend.« – »Wo?« – »Zu Welandsfleth. Er ist der Königsbote, den sie Graf Francio nennen.« »Unmöglich!« rief der Graf. Aber der Abt ward aschfahl. »Es ist recht gut möglich. Er liebt solches Umherziehen unter falschem Namen.« – »Du hast dich geirrt!« – »Ich sag' euch: Nein! Ich habe den Kaiser früher gesehen – nur einmal. Aber wer vergißt dies Antlitz – dies Auge! Mir war, als er mich ansah, zwei blaue Strahlen schossen daraus blendend hervor in meine Augen. Ich mußte sie schließen. Ich stürzte aufs Knie.« »Feigling!« schrie Petrus außer sich. »Du fandest ihn – du konntest ihn treffen – und du tatst es nicht?« Ganz entsetzt erwiderte der Sachse: »Wie? Den Kaiser Karl ermorden? Wissentlich – den Kaiser Karl? O du verruchter Priester! Schon seine Boten töten – es ward mir schwer! – Aber ich mußte doch dem Dänen die Treue halten, die ich dem Franken gebrochen. Jedoch den Kaiser Karl ermorden? Das kann kein Mensch auf Erden! Die Giftnatter, mein' ich, die auf der Erde kreucht, das scheußliche Getier des Teufels –: es bebte zurück vor diesemAntlitz! – Ich wollte euch warnen, aber nur, weil mein Weg hier vorbeiführt.« – »Dein Weg? Wohin? Du mußt den andern Königsboten treffen!« » »Der ist doch nicht abermals der Kaiser,« meinte der Abt. »Ich hebe nie wieder zum Morde die Hand.« Und er spornte das Roß. »Wohin willst du?« – »Du kannst fragen? Zu König Göttrik, meinem Herrn! Ihm melden die ungeheure Nachricht: Kaiser Karl steht an seines Reiches Tor. Der Däne ist verloren!« Und er schoß davon, gen Norden, sonder Abschied. –

»Wir sind verloren,« sagte Graf Hardrad dumpf, dem in der Ferne Dahinsausenden nachblickend. »Wir oder er,« sprach der Priester kalt. – »Was? Ihr wolltet –?« – »Ich will nicht. Ich muß. Ja, und ich will auch! Mit heißen Freuden will ich! Die Sendlings treffen: es gefiel mir wenig: – es lohnte nicht! Nur weil es galt, Zeit gewinnen um jeden Preis. Aber ihn selbst – den Tyrannen – das lohnt! Das tu' ich meinem Herzen zur Wonne. Hab' ich doch nichts mehr seit Jahrzehnten als diesen Haß, der, ungesättigt, hungerte. Nun freu' dich, Haß, jetzt wirst du endlich satt. Ha, der Stolze, der Undankbare! Der auf meine Ehre trat wie auf einen Wurm! Nein, Sachse: die Natter heißt, wenn sie getreten wird! Auch einen Kaiser!« – »Was hat er Euch getan? Sagt's endlich! Man flüstert: zu Pavia ...« – »Ich war Priester in dem belagerten Pavia. Viele Monde lag er vor der Stadt, durch Hunger wollte er sie bezwingen. Aber die Langobarden hielten standhaft aus. Da riß ihm die Geduld. Er ordnete sein Heer zum Sturm: viele tausend Franken wären dabei gefallen. Er wußte nicht, daß wir an diesem Tag das letzte Pferd geschlachtet, das letzte Mehl verteilt hatten. Ich schrieb ihm das heimlich und bedang mir zum Lohn ein Bistum aus. Er hieß die zum Sturm schon aufgestellten Scharen auseinandergehen. Am Tage drauf fiel Pavia ohne Schwertschlag. Er zog ein im Triumph, mit unversehrtem Herr. Er ließ mich in die Königsburg laden. Da stand er inmitten seiner Paladine. Sowie ich gemeldet ward, drehte er mir – o ich zahl's ihm endlich heim! – den Rücken und sprach laut vor all' den Seinen und vor all' den gefangenen Herzogen der Langobarden: ›Hinaus mit dem Schurken! Ein solcher Treuverräter soll König Karls Angesicht nicht schauen. Den Tod hat er verdient an seinem König Desiderius. Sein Verrat hat zwar vieler Franken tapferes Blut erspart. So mag er sein elend Leben behalten. Und auch die Priesterwürde ist ja unaustilgbar. Aber ich will ihn niemals sehen. Hinaus mit ihm!‹ Ich stürzte nieder im Gefühl unertragbarer Schmach. Aber die ärgste Schmach, die sollte nun erst kommen. Wie ich da lag auf meinem Angesicht, – da gingen die gefangenen Langobarden, die Herzoge, die Grafen, die Gastalden an mir vorbei und jeder – jeder – jeder gab mir einen Fußtritt. Und er, der Tyrann, er stand dabei und ließ es geschehn. O einen Dolchstoß ihm für jeden Tritt! Seither hat er mich von Bischof zu Bischof, von Kloster zu Kloster umhergeschickt, stets auf die schlimmsten Strafposten in allen seinen Reichen. Jetzt führt ihn sein böser Engel hierher – ohne seine erzgepanzerten Paladine, – ohne Heer – fast allein. Jetzt soll er fallen durch des Zertretenen Rache.« – »Den Kaiser morden? Es ist doch arg.« – »So geht hin und stellt Euch vor ihm! Um zehnfach leichtere Taten als Ihr – als wir beide! – getan – hat er schon Hunderte gehängt! Geht hin, bringt ihm Euren Hals, ein Sohn der alten Thüringherzoge! Ei, wie Ihr da zuckt! Ein Fürst wolltet Ihr sein, wie Eure Ahnen waren, Fehde führen, Kriege, wie ein König im kleinen: und am dürren Baume wird er Euch baumeln lassen, der Tyrann, den letzten Sproß der stolzen, götterentstammten Hermanfriede, wie er den letzten Agilolfingen ins Kloster gesteckt hat. Nicht wahr, das freut Euch wenig? Ihr habt keine Wahl –: er oder wir! Also er! Was ist's denn so Großes! Hat doch sein eigner Sohn – jener Bastard – nach des Vaters Leben getrachtet!« – »Aber wie wollt Ihr –?« – »Das laßt meine Sorge sein. Wegen der beiden Sendboten hab' ich meine Gedanken nicht bemüht. Aber Kaiser Karl töten, – das ist der Mühe wert. Ich hab' auch schon meinen Plan. Doch zähl' ich im Notfall auf Euren starken Arm!« – »Getrost! Ich ward noch nie im Schwerterkampf besiegt und meine Hiebe hat noch kein Mann abgewehrt.« – »Wohlan denn! Wenn nicht wirklich eine Legion von Engeln niederschwebt, ihn zu schützen, so soll er nicht entrinnen. Folgt mir! Zurück in die Burg!«

*

 

Drittes Kapitel.

Auf der Heide bei Sliesthorp, heute Schleswig, wogte, klirrte, blitzte und glänzte reich bewegtes kriegerisches Leben. König Göttrik hatte dorthin die Aufgebote der nächst gelegenen Bauernschaften einberufen.

In der Ferne, in der Schleibucht, sah man die blutroten Wimpel an den hohen Masten seiner stolzen Drachenschiffe flattern. Seine Gefolgschaft, eine nur kleine, aber trefflich berittene, trefflich gewaffnete Schar flog hinter ihm über die fast schneefreie Heide. Zu vielen Tausenden waren die freien jütischen und dänischen Bauern eingetroffen, mit Speer und Schild, mit dem Eibenbogen und dem armslangen, des Ziels nie fehlenden, schwanfederbeflügelten Pfeil.

Der größte Teil der Bauern war gelagert in dem Weiler Revik, südlich der Feste Sliesthorp. Diese Scharen hatte der König noch nicht gemustert: sie stammten aus dem äußersten Norden seines Reiches; diese Jüten galten für besonders kriegerisch, aber auch für besonders trotzig und freiheitsstolz.

Bevor er dorthin, auch sie zu mustern, aufbrach, versammelte der König vor den Toren von Sliesthorp nochmal alle seine Jarle, seine Gefolgschaft, »die Königsknaben«, und die dort zusammengeströmten Krieger, auch seine beiden Neffen, Hemming und Hankwin, die für Freunde der Franken galten. Sie hatten vor Jahren den großen Kaiser zu Aachen in seinem Palast aufgesucht: und mit der größten Ehrfurcht vor seinem erhabenen Wesen, mit offen erklärter Scheu vor seiner unüberwindlichen Waffenmacht waren sie zurückgekehrt; oft und oft hatten sie sich bemüht, den Oheim zu Frieden und Freundschaft mit dem gewaltigen Karl zu bereden; aber der Nordmann schüttelte dann die roten Königslocken, schalt sie furchtsam und schlug ans Schwert mit dem schwergoldnen, dem drachenköpfigen Griff.

Jetzt trabte er freudig dahin auf herrlichem Rotroß inmitten seiner Jarle und Gefolgen: der graue Geier auf seinem leuchtenden Stahlhelm schien, wie lebend, die Flügel zu sträuben. Hell glitzerte die Mittagssonne vom wolkenfreien Winterhimmel auf seiner funkelnden Brünne, auf dem kleinen, mit glänzenden Steinen und vergoldeten Buckeln besetzten Rundschild.

Hinter ihm hielt sein Bannerwart die Fahne, den goldnen gestickten Geier auf rotem schmalen Feld, das in zwei lange schmale Wimpel auslief.

»Wie nun, ihr zagen Neffen?« rief er, wohlig im Sattel sich wiegend. »Ihr habt, als ihr von meinem Gelübde beim Ernteopfer vernahmt, mich flehend gebeten, den Göttern Buße zu leisten für die – Nichterfüllung, aber, so wahr mir Land und Leben lieb sei – ihn nicht zu reizen, diesen schrecklichen Karl, dem kein Mann – so sagt ihr – in die gewaltigen Kaiseraugen sehen kann, wann er zürnt. Ihr meintet, die Dänen würden mir gar nicht folgen zu einem Kampfe auf Tod und Leben zwischen beiden Reichen? Aber siehe: der Heerpfeil flog durch meine Gaue, meine Königsknaben schlugen an den Schild in jedem Heidehof von Sliesthorp bis ans Skagenhorn: und alle Heerleute kamen. Selbst die stolzen Jüten, die harten Bauern der Nordmannshage, – unbotmäßig im Frieden sind sie: doch Rotkönigs Heerruf sind sie gefolgt. Morgen brechen wir auf! Ja, morgen! Mitten im Winter, da es die Weichlinge des Südens nicht für möglich halten, fallen wir ihnen in das Land. Herr Karl ist alt geworden. Alte Männer frösteln. Er sitzt daheim zu Aachen im Warmbad und schwitzt, oder im goldnen Saal und friert. Wir wollen ihm einheizen! Seinen morschen Kaiserstuhl werfen wir in sein Hallenfeuer. Morgen reit' ich aus! Und ich wende nicht dies edle Roß, bis es über die verkohlten Firstbalken des Aachener Kaiserhauses getrabt. Euch aber, Hemming und Hankwin, bring' ich von der Reise je ein Andenken mit: Hemming Herrn Karls Kopf und Hankwin seine Krone.«

Mit diesen Worten winkte er lachend dem Bannerwart. Dieser und die Königsknaben, die Gefolgschaft, etwa zweihundert, auf herrlichen Rossen, folgten ihm. Sausend, rasselnd, blitzend, sprengte er über die Heide. Seine roten Königslocken flogen, dem Südwind entgegen, aus dem hohen Geierhelm.

Die Königsschau der kriegerischen Bauern aus den Nordgauen befriedigte vollauf Heerkönigs Herz. Zwar erstaunte ihn der finstere, trotzige, fast drohende Ausdruck auf sehr vielen Gesichtern: – kein freudiger Zuruf begrüßte ihn. Aber die Heerleute waren mit guten Waffen erschienen und so vollzählig wie noch gar nie. Er staunte über diese Pflichttreue: es waren mehr Sperre und Bogen als je, wohl über viertausend.

»Ha, ha,« lachte er übermütig seinen roten Bart streichend. »Zwang hilft! Sie haben gelernt, die trotzigen Odalbauern: Königswille ward Recht in Dänenland.«

Er hatte die Musterung nördlich und südlich des Weilers Revik auf freiem Felde vollendet. Nun ritt er von Süden her an der Spitze seiner Gefolgen wieder zurück, nach Sliesthorp zu, durch die einzige, lange schmale Straße, aus welcher das kleine Dorf bestand.

Als er in die Mitte desselben gelangt war, sah er das Nordende der engen Gasse gefüllt, verstopft durch eine dichte Schar von Speermännern: sie standen hier Helm gedrängt an Helm. Er trabte vergnügt die Gasse entlang. Jetzt sollte wohl der bisher vermißte Königsgruß erschallen. Aber alles blieb stumm. –

Er ritt nun grad auf die Leute an. Sie rührten sich nicht. »Platz da! Gebt Raum für euren Herrn, ihr Bauernlümmel,« schrie der Bannerwart dicht hinter ihm sich vorbeugend: – denn für zwei Rosse nebeneinander bot die schmale Gaffe nicht Raum. »Ihr seid ja schon besichtigt, ihr Leute von Nordmannshag!« –

Nichts rührte und regte sich in dem Haufen.

»Platz, sag' ich, ihr Bauernhunde!« rief nun der König selbst und hob die Reitgerte zum Schlag gegen den nächsten der den Weg sperrenden Männer. Aber er erschrak und riß das Roß zurück. Denn wie auf ein Befehlswort fällten die sechs Männer, welche die enge Gasse füllten, die sechs Speere und er hörte das wohlbekannte Geräusch, wie hinter jenen sehr, sehr viele andre harte Speere schmetternd in die harten Hände der Bauern fielen.

Er sah, in den Bügeln hoch sich erhebend, vor sich ein ganzes Meer von Helmen, Sturmhauben, Filzkappen, wie sie die jütischen Bauern trugen – und blitzende Speere die Menge –: wohl tausend. Sofort witterte er Gefahr.

Er warf das Roß herum. – »Zurück!« schrie er seinen Reitern zu. »Südwärts! Hinaus aus dem verfluchten Mauseloch! Und dann um das Dorf herum!« »Geht nicht, Herr König!« scholl es ihm entgegen aus seinen hintersten Reihen. »Die Bauern sind uns von der Heide auf dem Fuße nachgefolgt in das Dorf. Hinter uns sieht Speer an Speer.« – »Quergasse?« – »Keine!« Der König biß die Lippen zusammen, wandte wieder sein Roß und sprach zu den Leuten im Norden vor ihm ziemlich ruhig: »Was wollt ihr denn, meine freien Bauern?« Und er versuchte, zu lächeln. Aber das Lächeln wollte nicht kommen. Denn er erkannte nun den Mann, gegen den er die Roßpeitsche gehoben hatte. »Freie Bauern,« sprach der langsam und strich sich bedächtig die langen Strähnen des weißen Haares aus den Augen. »Das sind wir. Nicht Bauernhunde. Und da du nun schon das gelernt, Herr König, wirst du wohl auch bald lebendig gen Nord aus dieser Gasse reiten.« »Du, Warstein Warfredsson?« – Der König erschauerte. Doch fuhr er fort: »Was willst du von mir?« – »Mein Recht. Mein Eigen. Mein Pferd. Das, auf dem du da so stolz reitest. Du hast es mir gestohlen. Steig ab, Herr König, von dem edeln Tier und gib es Warstein Warfredsson zurück.«

Statt aller Antwort schlug Göttrik einen wütigen Gertenschlag auf den Hinterbug des Pferdes, stieß ihm den Sporn tief in die Weichen und wollte den Alten zerstampfen.

Hoch stieg das herrliche Roß, stolz aufspringend mit beiden Vorderhufen in die Luft: aber sein alter Herr pfiff leise und hob ganz sacht die rechte Hand: da sank das treue Roß gehorsam vor ihm nieder auf die Kniee. Hilflos, wehrlos wie ein kleiner Knabe, kauerte der König, vornüber auf des Pferdes Hals geworfen durch die jähe Bewegung, vor dem Bauer.

»Du darfst aufstehen, Sleipnir,« sprach der Bauer und winkte dem klugen Tier, das sich langsam wieder erhob. Der König aber fand kein Wort.

»Wir haben getagt – dreimal – im Nordmannshagerding. Dreimal haben wir dich geladen.« – »Mich! Vor die Bauernhunde!« – »Richtig geladen in deinem Königshof: – vor das Gericht der Diebestat, wo du den Diebstahl gestohlen oder die Raubnahme geraubt.« – »Bauer!« – »Du oder deine bösen Buben, die gewaltfrechen Königsknaben. Du weißt es. Du hast es den Dieben befohlen. Oder der Deube wissenthaft genossen. Und du sitzest vor des Eigners Augen auf der Deube. Du bliebst dreimal aus. Die freien Bauern haben das Urteil gefunden: ich darf mein Eigentum wieder nehmen, wo ich es finde, wie ich es finde, wann ich es finde, wie ich es nehmen mag, mit Güte oder Gewalt. All' diese meine treuen Nachbarn sind gekommen ihr Urteil aufrecht zu halten, zu vollstrecken. Dreitausend Urteiler machen heut' ihr Urteil wahr. Den Raubdieb darf ich zwingen durch Gewalt oder List; er muß von der Deube, er bleibe dabei lebend oder tot. König Göttrik! Ich will nur mein Recht, ich will nicht das Tier, obwohl ich es sehr liebe. König Göttrik! Ich bin dein treuer Bauer. Ich nahm Eibenbogen und Schwanenpfeil auf dein Gebot und will für dich fechten und für dich sterben wie jeder meiner Nachbarn. Aber vorher: gib mir mein Recht und mein Roß. Ober bitte mich hier laut – dreimal! – beim Ernteopfer kamst du noch mit einemmal der Bitte davon! – vor deinen frechen Königsknaben und vor meinen guten Nachbarn: dann schenk' ich dir das Roß!« – »Niemals!« »König, sieh dich vor!« rief der Alte. Er lehnte den Speer an die Brust und nahm rasch einen Pfeil aus dem Gürtel und den Langbogen von der Schulter. »Weigerst du mir mein Recht, so hol' ich mir's. Brichst du das Volksrecht, zerbrichst du selbst dein Königsrecht.« – »Was, elender Bauer? Königswille ist Landrecht!« – »Ist das dein letztes Wort?« – »Ja! Mein letztes.« – »Dann ist's dein allerletztes!«

Und Göttrik riß das goldgriffige Schwert aus der Scheide und spornte wieder den Hengst. Aber sausend flog von der Sehne der schwanfederbeflügelte Pfeil, flog dem König, dicht oberhalb der Brünne, durch den Hals und hinten im Nacken heraus. Raffelnd stürzte er rücklings aus dem Sattel: – die grauweiße Schwanenfeder des Geschosses ward ganz rotgetränkt von seinem Blut. –

Der Bauer griff das Roß am Zügel und zog es zu sich herüber: – freudig wiehernd folgte das edle Tier.

»Mord! Mord! Der König ermordet!« schrien die Königsknaben. Die Vordersten rissen entsetzt die Rosse zurück. »Nein! In Notwehr getötet,« rief der alte Bauer. »Reitet frei hindurch, wenn ihr wollt.« »Nein!« rief der Bannerwart. »Der königliche Gefolgsherr gefallen von einem Bauernpfeil! Schmach über den Gefolgen, der ihn nicht rächte! Rache, Rache, Königsrache!« »Rache! Rache! Königsrache!« wiederholten die stolzen Reiter und brausend sprengten sie nach vorwärts in die dichten Haufen der Bauern. Schrecklich war der Kampf, aber nicht sehr lang. In der engen Gasse konnten allerhöchstens zwei Reiter nebeneinander ansprengen in den dichten Wald der langen vorgestreckten Speere. Jeder fiel. Meist zuerst das Roß durch Speeresstoß, dann der Retter durch das Langmesser der kaltwütigen Bauern.

Mancher der Königsknaben hatte früher Gewalt geübt an Habe, an Weibern und Töchtern der freien Männer unter des rechtbrecherischen Königs Schutz und Begünstigung. Grimmig kam nun über sie die Rache – die grimmste, die es gibt auf Erden: die Rache des germanischen Bauers.

Im Anfang des ungleichen Kampfs kam der Anprall der herrlichen Rosse, der Vorzug der ausgesuchten Trutz- und Schutzwaffen den Reitern zu statten. Aber nur ganz kurze Weile. Zweimal, dreimal überrannten sie in zwei-, dreimaligem Anreiten die vordersten Reihen der Bauern. Allein sowie an beiden Enden der Dorfgasse – denn gleich, sobald das Gefecht vorn im Norden begonnen, hatten die Königsgefolgen auf der Südseite kehrtmachen und sich der Angreifer vom Rücken her erwehren müssen – die gefallenen Rosse und Männer sich hochgehäuft hatten, das Ansprengen unmöglich machend, waren die Reiter rettungslos verloren.

Immer mehr zusammengedrängt, mußten sie stehen und fallen, wo sie standen. Über die toten und wunden Rosse hinweg stiegen und schlichen, geräuschlos, die vom Blut, vom Sieg berauschten Bauern, das lange Messer in der Hand, das sie von unten nach oben den edeln Rossen in den Bauch, den Reitern unter der Brünne in die Weichen stießen.

Da gab es kein Erbarmen!

Wie das Feuer, das ein trocken Schindeldach von Nord und von Süd zugleich erfaßt, gierig weiter frißt: – man meint, mit dem bewußten Streben der Flammen, zusammenzuschlagen in der Mitte, – Schindel um Schindel ergreift und die einzelne rasch überwältigt: – immer kleiner wird der Zwischenraum, der die zusammentrachtenden Lohen trennt, bis sie sich erreichen und wie in siegfrohlockend triumphierendem Glutschwall hoch emporschlagen, – so arbeiteten sich die schrecklichen Bauern von Nord und von Süd einander in die Hände. Einen sausenden Schwerthieb nach rechts, einen zweiten nach links, das war alles, was der stolze Reiter leisten konnte: – oft stürzte er schon nach dem ersten Hieb nach der einen Seite, vom Dolche des andern Feindes getroffen. Das letzte Häuflein sprang von den Rossen, stellte sich in der Mitte der Gasse Rücken an Rücken und focht zu Fuß weiter bis zum Ende.

Das ließ nicht lang auf sich warten.

Zwar den Angriff der Bauern auf der Straße wehrten sie jetzt, zu Fuß, mit ihren festen Schilden dicht aneinander gedrängt, besser ab, als früher jeder einzeln auf dem rettungslos niedergestochenen Gaul.

Aber die Pfeile! Die fürchterlichen unhörbar heranfliegenden unmeidbaren Lose des Todes! Die Bauern drangen in alle Häuser der Dorfgasse links und rechts: von den Dächern herab, aus den Fensterluken, unter den Pfahlzäunen hervor zielten sie langsam, kühl, bedächtig, mit nordgermanischer Ruhe. – Keiner der armslangen Pfeile verfehlte seines Ziels. Sie mieden Sturmhaube, Schild und Brünne: in die Stirn, in die Augen, in den Mund, in die Kehle, in die Weichen, unterhalb des Wehrgehänges, flogen scharf schwirrend die schrecklichen Geschosse, grauweißen Vögeln mit ehernen Schnäbeln vergleichbar.

Lautlos sank einer nach dem andern der abgestiegenen Reiter, einer nach dem andern. Endlich auch der allerletzte von den zweihundert. Und erst mit ihm sank auch die Königsfahne. Zwar der Bannerwart lag schon lange tot. Gleich der allererste nach dem König war er gefallen: – nachdem er, seinen Herrn rächend, dem alten Warstein die Speerspitze der Fahnenstange in den linken Arm gestoßen, hatte ihm der Bauer, zurückspringend, den langen Pfeil mitten zwischen die Augen geschossen. Aber dem Fallenden hatte ein Genosse die Fahne aus der Hand genommen: und so war sie gewandert von Hand zu Hand, von Mann zu Mann – bis in des letzten müde Faust.

»Sind sie noch nicht alle hin?« fragte Warstein hervortretend. »Mein Köcher und zehn entliehene meiner Nachbarn sind leer.« – »Doch! – Keiner rührt sich mehr. Da liegt das Banner. Wie es durchbohrt ist von Pfeilen!« »Ja, aber es reicht doch noch; ich blute stark,« sprach der Alte, riß den letzten Fetzen von dem Schaft und wand ihn sich um den linken Arm. –

»Der Frankenkrieg ist nun wohl aus, bevor er anfing?« – »Ich glaube: ja!« – »Herr Karl mag von Glück sagen. Und alles – all' dies Blut – um dein Pferd!« – »Nein, Erich Erichson: um das Recht. – Leb wohl!« Und er zog den Rothengst hinter einem Holzzaun hervor und schwang sich darauf. »Wohin?« – »Zu Herrn Karl. Ich werde sein Untertan – und meinetwegen! – auch des Herrn Christus. Unter ihm kommt der Bauer zu seinem Gaul, ohne so harte Müh', wie ich sie heute hatte.«


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