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Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Die Grenze zwischen den Dänengauen und den zum Frankenreich gehörigen Nordsachsen – nördlich der Elbe – bildete zu Anfang des neunten Jahrhunderts so ziemlich der von Osten nach Westen ziehende Lauf der Eider; wenigstens war die Mark nördlich der Eider ein bestrittener Boden; die Dänen behaupteten sich hier in gar manchen Strichen; erst allmählich gelang es, sie über die Schlei zurückzudrängen.

Das Land weitum dort war damals noch meist von Urwald bedeckt oder von schilfigem Ursumpf. Selten waren die Rodungen; auf brauner Heide ragte dann der einsame Hof; viele Stunden hatte man zu gehen bis zu der nächsten Siedelung.

An dem linken, dem südlichen Ufer der Eider erhob sich ein solches Gehöft da, wo eine Furt das sächsische, das Südufer erreichte.

Nicht ein Stein war zu dem Bau verwendet: ganz aus rohen Stämmen war er gefügt; das mächtige, fast bis zur Erde herabreichende, teils graue, teils bräunlichgrüne Dach bestand aus tiefen Schichten von Schilf und von Moos; an der dem Fluß abgekehrten Stirnseite kreuzten sich die beiden obersten Schrägbalken: in zwei kunstlos geschnitzte Pferdeköpfe liefen sie aus. Das Wohnhaus und der daran gebaute Stall lagen wie versteckt hinter einer Gruppe von uralten, hochwipfligen Eichen. Umhegt und umfriedet waren das Haus und der etwa fünfzig Schritt im Geviert messende Anger von der fast manneshohen Hofwehre aus starkem Pfahlwerk.

In den hölzernen Trog rechts vor der Haustüre goß aus gehöhltem Baumstamm ein Quell fast lautlos sein klares Wasser. Auf allen drei Seiten, nur nicht nach dem Flusse zu, war der Hofzaun auf Pfeilschußweite von dichtem Wald umgeben. Zwischen Wald und Hofwehre lagen ein paar schmale Felder Ackerlandes: Spelt und Hafer nickten mit wehenden Halmen im sommerlichen Abendwind. Denn es sank der Tag.

Da schritt aus den Bäumen westlich vom Hof auf die Lichtung heraus ein stattlicher, hochgewachsener Mann in schlichtem braunen Mantel. Er trug keine Kopfbedeckung: das dunkelblonde dichte Haar, der Vollbart prangte in kurzgekräuseltem Gelock. Auf der Schulter lag ihm die Waldaxt: er kam von der Arbeit.

Wie er in den schmalen Pfad einbog, der durch das Haferfeld führte, blieb er stehen. Er warf einen langen, sinnenden Blick auf das Gehöft, das im Abendlichte vor ihm lag. Die Sonne grüßte es noch einmal, bevor sie hinter die hohen Wipfel des Waldes tauchte: das alte Moosdach leuchtete in warmem Goldbraun; ein feines Wölkchen weißen Rauches stieg aus der Luke oberhalb des Herdes: es war eine friedliche, fast feierliche Schau. – Der Mann fuhr mit der Linken über die Stirn, sein ruhiges, graues Auge glänzte nun rasch auf: »Nein,« sagte er, »Herr Graf. Mein Haus bleibt mein.«

Mit weit ausgreifenden Schritten hatte er das Haferfeld durchmessen. Als er die Türe der Hofwehre öffnete, erscholl starkes, aber freudiges Gebell, und mit hohem Satz sprang an dem Herrn empor ein mächtiger grauer Wolfshund, beide Vorderpranken wider seine Brust stemmend. »Hofwart, du treuer,« sprach der Mann, sich losmachend und das breite Haupt des edlen Tieres streichelnd. »Hast wacker gewacht? Wo bleibt die Frau?« Der Hund hatte verstanden. Schnell wandte er sich und lief gegen das Haus mit rufendem Bellen. Aber er brauchte sie nicht zu holen, die Frau.

Schon stand sie auf der Schwelle der offenen Türe: voll fiel der Strahlenguß der sinkenden Sonne auf die feine Gestalt: Sie hielt die linke Hand, umgewandt, oberhalb der Augen, der Blendung zu wehren; in der Rechten trug sie, zur Erde gesenkt, die flachsumflochtene Spindel, das hellblonde, lichte Haar, vom Strahl der Abendsonne übergoldet, leuchtete: so stand sie da, umrahmt von den tief dunkelbraunen Eichenpfosten ihrer Haustür, ein wunderschönes, ein edles Bild.

Dem steten, reifen Manne schlug das Herz vor Liebe, vor Stolz. Schon hielt er vor seinem Weibe: – die Axt ließ er aber doch nicht in der Hast zu Boden gleiten: bedachtsam schlug er sie ein in den Brunnentrog. – Nun zog er der schönen jungen Frau beide Arme nach rechts und nach links auseinander an ihren Händen, ließ diese fallen und drückte die Erglühende innig an die breite Brust. Sie schwiegen beide und hielten sich umfangen in langem, langem Kuß. – –

Sie schloß die Augen mit den goldbraunen Wimpern. Endlich machte sie sich los und schlug die Augen wieder auf, die sanft hellblauen. Der scheue, wie erstaunte Aufschlag dieses Auges hatte einen unwiderstehlichen, weil gar so keuschen Reiz und dann konnte das matte, sonst fast allzu kühle Blau auch wohl lebhaft, ja feurig leuchten. »Du erstickst mich, Mann! Hast mich denn noch immer so lieb? Nach vierzehn Jahren!«

Er erwiderte nicht mit Worten, nur mit einem Blick. »Und die Kinder? Wo ... –?«

Da waren sie schon. Hofwart hatte sie geholt. Laut bellend sprang er voran aus der Haustür, manchmal sich wendend, bis aus dem Gang ein Knabe und dicht dahinter ein Mädchen hüpften: »Der Vater!« schrie der Kleine laut auf und sprang ungestüm an des Ankömmlings Hals.

»Willkommen daheim, Vater,« lächelte, freudestrahlenden Auges, die Schwester und umschloß die mächtige Rechte mit ihren beiden zarten Händen. Sie mochte dreizehn, der Bruder zwölf Jahre zählen. Sie zerrten ihn an die Bank, welche die Stirnseite des Hauses umgab: sie zogen an ihm, bis er sich darauf niederließ. Gleich saßen sie auf seinen Knieen.

Der Knabe trug als ganze Gewandung nur ein eng anliegendes braunes Widdervlies, das die Arme und vom Knie ab die Beine unbedeckt ließ; er ging barfuß; den breiten Gürtel aus ungegerbtem Leder schloß eine eherne Spange; das Mädchen, dessen schlichtes Haar von allerhellstem, fast weißem Gelb, auf den Wirbel mit einem blauen Wollband von der Mutter zierlich zusammengeschnürt war, schmückte ein weißes Linnengewand, das vom Hals bis an die Knöchel reichte; den Gürtel aus blauem Tuch hatte die Mutter mit roten Fäden durchwirkt, ebenso den blauen Halssaum und die blauen Ärmelöffnungen des Gewandes; die Füßlein staken in Lederschuhen, die hübsche, sorglich gesäumte Lederriemen festigten oberhalb der feinen Knöchel.

Die Frau stand vor den dreien. Sie erlabte sich des Anblicks. Die Spindel in der Rechten hatte Ruhe: ihr mildes Auge strahlte, langsam strich sie das frei flutende, sanft wellige Haar mit der linken Hand aus der Schläfe hinter das zierlich gerundete Ohr.

Wie sie so da stand, umflossen von dem einfachen, langfaltigen, lichtblauen Wollgewand, das um die Hüften der handbreite Gürtel zusammenhielt, – das weiße, aber nicht glänzende, sondern mattweiße Antlitz von tiefstem Stolz auf den Gatten, von freudigem Mutterglück verklärt, – die nicht allzu hohe, aber durchaus ebenmäßige Gestalt, schlank, fein, und doch von jener weichen, echt fraulichen Rundung des jungen Busens, war sie vollendet schön.

»Väter, ich habe getroffen! Mit deinem Bogen!« rief der Knabe, »das Wiesel im Lauf!« – »Solang bist du fort gewesen, Vater!« klagte die Kleine, sich zärtlich anschmiegend und mit den weichen Händen in seinen vollen Kinnbart langend. »Mehr Tage als ich Finger habe! Jetzt bleibst du aber doch recht lang bei uns?«

»Recht lange, Lindmuth.«

»Ist die Arbeit im Neubruch zu Ende getan?« fragte die Frau; sie ließ den Blick nicht von seinem Antlitz. – »Der Bifang ist fertig und die Rodung. Nur noch ein paar Eichenknorren sind auszukesseln. Das kann Heimo allein. Mich zog's nach Haus!« – Er reichte seinem Weib die Hand über die Köpfe der Kinder hinüber. Sie drückte sie und ging dann ins Haus.

»Wann kommt Heimo?« fragte der Knabe. »Er versprach, mir was mitzubringen.« »Seine Fußwunde,« forschte eifrig die Kleine – »heilt sie?« – »Langsam. Eberzahn –« »Und Hirschgeweih quetschen breite Wunde,« fiel der Junge ein. »Und für den Vater,« sprach Lindmuth, »empfing er die Wunde!« »Ich war dabei! – Das heißt: ich sah es – von dem Baum herab!« – verbesserte der Bruder, ehrlich. »Die wütige Bache griff die Männer beim Waldschwenden an: ich kletterte gar hurtig auf die Tanne! Des Vaters Speer zerknickte in ihrem Schulterschild, sie rannte den Waffenlosen mit dem Gewehre an: da sprang Heimo dazwischen und gab ihr mit dem Sachs den Fang ins Genick. Aber sein Fuß war schwer gehauen.« »Er hinkt fortan. Wird er immer hinken müssen?« fragte Lindmuth. – »Ei, dafür hat ihn der Vater freigelassen. Lieber lahm und frei, als heil und Knecht.« »Recht, Volkbert,« sprach der Vater – er sah sehr ernst dabei aus – und strich ihm über das krause Gelock.

Die Frau trat mit einem irdenen Krug und einem Holzbecher aus dem Haus, unter dem linken Arm einen Laib Roggenbrot. – Sie hatte des Gatten Blick gut bemerkt. Sie schenkte die schäumende Milch aus dem hohen Krug in den flachen, schalenähnlichen Becher und bot ihm diesen dar; er trank in tiefen Zügen. »Da ist auch Brot;« sie gab es ihm; er nahm das Messer, den Sachs, aus dem Gürtel und schnitt ab. Sie wandte das Auge nicht von ihm. »Wart ihr beiden immer allein im Wald?« fragte sie sehr ruhig; denn eine wunderbare, wohltätige vornehme Ruhe eignete dieser blonden Frau: und doch verriet manchmal der aufblitzende Blick: – es war nicht Kälte, war Verhaltenheit.

»Immer, Muthgard. – Fast immer!« – »Hat der Graf nicht gejagt?« »Der böse Graf,« flüsterte das Mädchen ängstlich, an den Vater sich schmiegend. »Auf den möcht' ich schießen, nicht auf Wiesel,« rief Volkbert und ballte die Faust. Der Vater hatte geschwiegen auf die Frage der Frau. Jetzt gab er dem Knaben einen festen Schlag auf den Krauskopf. »Volkbert! Du loser Bube! Der Graf waltet an des Herrn Kaisers Statt. Darüber denke nach. Aus meinen Augen!«

Schamrot, zögernd, schlich der Knabe in das Haus. Die Kleine sprang eilfertig von des Vaters Schoß und lief ihm nach. »Wohin?« fragte er. – »Ihn trösten!« Sie verschwand im Hause mit einem mitleidvollen und doch heileren, trostgewissen Lächeln.

Die Gatten waren nun allein.

*

 

Zweites Kapitel.

Langsam ließ sich die Frau – all' ihre Bewegungen hatten etwas Getragenes, fast Feierliches – neben ihm nieder auf die Holzbank; sie schob Krug und Becher zur Seite und sagte, das klare Antlitz voll ihm zugewandt: »Graf Hardrad war im Wald. Ich hörte seine Hunde. Was hat er von dir gewollt?« Der Mann furchte die Stirn. »Das alte Begehren. – Und ein neues dazu,« lachte er bitter. »Er wollte mir die Rodung wehren. Es sei königlicher Wald und sein Lehen. Schweigend wies ich mit der Hand auf die Markeiche, in die, nach Beschluß der Märker, meine Hausmarke geritzt ist.«

»Und was gabst du ihm zur Antwort auf das – andre, – das alte Begehren?« – »Nichts. Ich schlug nur grimmig in den Baum vor mir. – Die Späne flogen ihm ins Gesicht. Er fluchte laut und ritt davon.« Da legte die Frau den vollen weißen Arm um des Mannes Hals und sah ihm scharf in die Augen: »Und das, Volkfried, muß ich dir alles abfragen – Wort für Wort?« – »Du weißt, ich habe nicht viele Worte.« »Du besorgst,« sprach sie aufstehend und sich hoch aufrichtend, »mich zu ängstigen, sagst du mir des bösen Grafen arges Trachten, das nimmer ruht, seinen Haß gegen dich. Sei getrost: du kannst mir alles sagen. Ich fürchte mich nicht. Ich habe dich.«

»Und ich habe das Recht. Was kann auch der schärfste Richter gegen das Recht? Nichts. Drum trachtet er schon lange, mich ins Unrecht zu setzen. Er reizt mich, wo er kann. Aber der fränkische Edelherr kennt sie nicht, die Art der Sachsen: stet und still, stolz und stark. Er kann reizen, solang er will. Ich glaube,« lachte er grimmig vor sich hin, »ich kann gar nicht zornig werden.« – »O, Volkfried! Du bist wie das Meer. Wenn du losbrichst ...!« »Das hast du doch nie erlebt. Oder ... Nur einmal ...! – Als der freche Händler –« er sprang plötzlich auf: sein sonst so ruhiges Auge sprühte blaue Blitze, das Haar auf seiner Stirne hob sich – »dir an die Wange rührte.« »Rühren wollte,« lächelte sie, sehr anmutvoll –: und nun war zu sehen, wie lieblich diese stolzen, strengen Züge werden konnten, wann sie zärtlich, wann sie freudig, wann sie ein ganz klein wenig schelmisch erweichten. »Er kam nicht weit mit seinem schlimmen Trachten! Als er, der wenige Mann, die schmutzige Hand nur gegen mich emporreckte, da hast du ihn gewürgt bis er umfiel – für tot. Zum Glück war er nicht ganz tot: sonst ließ Herr Karl dich hängen.«

Sie suchte laut zu lachen. Aber es gelang ihr schlecht. Und in tiefstem Ernst, – der Scherz war ihr rasch vergangen – das Antlitz wendend – sprach sie zu sich selbst: »Nie, niemals darf er ahnen ... das andre.«

Da schlug der Hund an und sprang in mächtigen Sätzen gegen den Eingang der Hofwehre. Ein Mann ward dort sichtbar: sein Speer und seine eherne Sturmhaube ragten über die Pfähle. Nun wollte er eintreten durch die schmale Gattertür. Aber der Hund stellte ihn: wütend scholl das Gebell, dazwischen durch der Scheltruf, bald der Hilfschrei des Mannes. Volkfried war schon zur Stelle: er rief den Hund ab; jedoch er trat nun selbst in die Pforte, den Einschritt wehrend.

»Hund von einem Hund! Hätte mich schier zerfleischt,« schrie der Fremde, ein stämmiger Mann, das Gesicht von südlicher Sonne gebräunt. »So empfängt man des Herrn Grafen, des Herrn Kaisers Boten?«

»Der Hund kennt Feind von Freund des Hauses,« sprach die Frau. »Gib Raum! Laß mich ins Haus,« rief der Fremde Volkfried zu, der schweigend den Eingang füllte. »In des vollfreien Sachsen Hof tritt der Fronbote nicht. Über die Hofwehre hin, durch das Gegatter, meldet er seinen Auftrag.« »Ungastlich Volk, diese Sachsen,« schalt der Fronbote. »Kaum versteh ich ihr Gelispel. O, wär' ich daheim im warmen Seinetal geblieben.« »Wir haben dich nicht gerufen, wir Sachsen,« sagte die Frau. »Was bringst du?« fragte Volkfried. »Eine Ladung. Nach sieben Nächten ist ein geboten Ding am Grafenstein – –« »Schon wieder?« rief Volkfried, er blieb ganz ruhig: aber er ward bleich. Die Frau sah das und erschrak. »Erst vor vierzehn Nächten entbot mich der Graf. Ich kann nicht schon wieder fort. Die ganze Ernte wartet! Und die Wasserarbeit unten am Deich! Stopf' ich den Deich nicht, ersäuft mir beim nächsten Hochwasser all' mein Vieh auf dem Eideranger. Schon wieder Haus und Hof verlassen! Die Wirtschaft geht zugrunde! Ich kann nicht!« »So bleib' aus,« höhnte der Fronbote, »und zahle den Königsbann. Sechzig Goldgulden. Ist nicht viel für einen vollfreien Sachsen. In Geld habt ihr's wohl nicht. Aber der Hof ist mehr wert. Komm ich aber dann, um die verfallene Strafschuld euch zu pfänden, dann müßt ihr mich wohl einlassen.«

Volkfried schwieg; doch er atmete schwer; der Hund knurrte grimmig gegen den Fremden. »Verkaufe mir diese Bestie; ich drang schon oft in euch darum.« Statt der Antwort strich Volkfried über des schönen Tieres Kopf. »Nicht? Dann pfänd' ich den zuerst. Also: richtig geladen bist du. Bleibst du aus, nehme ich euch Haus und Habe.«

»Schon wieder ein geboten Ding!« wiederholte der Sachse. »Den Königsbann bezahlen? Das kann ich nicht! Und wieder zum Ding, – das kann ich auch nicht. Wer hilft mir?«

»Kaiser Karl. Er hat dir schon geholfen,« sprach da eine feine Stimme, die hinter dem Fronboten aus der Erde zu kommen schien. Betroffen wandte sich der, die Gatten traten einen Schritt vor: »Bruder Fidus, Ihr seid's?« riefen beide. Es war ein gar kleines, leibarmes Männlein; das ziegenhärene Gewand festigte ein Strick um die magern Hüften, einen Kreuzstab hielt die dürre Hand, recht traurig war das faltenreiche, müde Gesicht: aber die kleinen Augen blickten klug.

»Welch übler Wicht schickt Euch hierher?« zürnte der Fronbote. »Mich schicken allerwege Herr Christus und Herr Karl. Ich trage wieder das Kreuz unter die Heiden. Ich muß durch die Furt. Stehe schon lange hinter Euch, hörte jedes Wort, Golo. Und staune. Wie? Warum ängstigt Ihr diesen guten Volkfried da mit leerer Drohung?« – »Leere Drohung? Er wird's schon spüren, pfänd' ich ihn.« – »Wofür? Weil er ein geboten Ding nicht besucht? Ja, bist du denn Schöffe geworden, Volkfried?«

Golo biß die Lippe.

»Doch sicher nicht,« fuhr das Männlein fort. »So viele Hufen hast du nicht zu eigen. Und weiß der Fronbote, weiß Graf Hardrad nicht Herrn Karls Recht, das neue Recht, das gute, rettende?«

»Was meint Ihr?« rief die Frau; erleichtert atmete sie auf bei des Mönches Worten.

»Ei, schon Jahr und Tag gilt Herrn Karls Recht, daß nur die allerreichsten Grundeigner – als Schöffen – die Dinge suchen müssen, welche die Herren Grafen außer der Ordnung gebieten: die kleineren Freien aber nur dreimal im Jahr die alten hergebrachten Dinge: zur Wintersonnwend, das Maifeld und den Herbsttag.« »Seit Jahr und Tag schon, sagst du?« grollte Volkfried. »Schon bald zwei Jahre sind's, seit zu Aachen dieses Gesetz erging.« – »Und Graf Hardrad hat mich im letzten Jahr leicht zwanzigmal zum Ding entboten! Meine Wirtschaft verdarb schier darüber. Verkaufen mußt' ich sieben Rosse. – Und all' das wider Recht ...?« – Der Zorn erstickte seine Stimme. Er ballte die starke Faust.

Golo trat zur Seite. »Ich weiß davon nichts. Ich habe meinem Grafen zu gehorchen.« Er machte sich auf den Weg; doch warf er noch einen bösen Blick auf den Hof. »Hei, da ragen noch die zwei Pferdeköpfe auf dem First: die heidnischen Abzeichen, dem üblen Wichte Woden geweiht. Weißt du nicht, daß es geboten ist, sie abzusägen?« Volkfried schüttelte den Kopf.

»Das meld' ich dem Herrn Abtvikar. Da gibt es Kirchenbuße! Ist darin vielleicht auch neues Recht ergangen, du kluger Mönch?« – Er war schon in dem Haferfeld verschwunden.

*

 

Drittes Kapitel.

»Kommt in das Haus, guter Vater,« sprach die Frau und beugte das schöne Haupt freundlich zu dem Männlein nieder, ihn sanft an der Schulter hereinziehend in die Zaunpforte. »Wie dank' ich Euch für Euer rettend Wort!« »Ihr seid doch Eurer Rede gewiß?« forschte Volkfried. »Es ist so große Hilfe dem versinkenden Volk! Und wie vom Himmel herab verkündet.« »Das mag auch wohl sein,« meinte der Mönch ernsthaft. »Der Engel Gottes schwebt gar oft im Sternenschein herab zu Herrn Karl und flüstert dem Träumenden Rat.«

Die Gatten hatten den Gast nun bis an die Türe des Hauses geführt und hießen ihn eintreten.

»Nein,« wehrte er ab. »Ach nein!«

»Du bleibst bei uns,« mahnte Volkfried. »Siehe, schon ist die Sonne gesunken hinter dem Walde. Bald naht die Nacht.« »Eben deshalb, Frau,« seufzte der Kleine. »Du erreichst jenseit der Eider kein Gehöft vor acht Wegrasten. Du kannst doch nicht im Freien übernachten. Die Wölfe rennen im Eiderwald.«

»Und die Dänen streifen darin!« warnte die Frau.

»Ja und gar viele Waldgänger;« nickte der Mönch mit einem raschen Blick auf Volkfried, »verbannte Sachsen, die fliehen müssen vor dem Herrn Kaiser, weil sie ihren Treueid ihm gebrochen und dem Herrn Christus und in das Heidentum zurückgefallen sind. Ich weiß: die hassen das Mönchsgewand noch viel heißer als die Dänen, die niemals getauft wurden, wie diese Geächteten.« »Durch Zwang sind die getauft,« fiel die Frau ein, »die Armen!« »Gleichviel,« schloß Volkfried streng und herb. »Sie haben sich zwingen lassen. Wären sie doch gestorben, lieber als sich zwingen lassen! Das stand jedem frei. Nun haben sie's geschworen. Nun müssen sie's halten.« »Es ist gut, daß du so denkst,« sprach der Gast bedeutsam, »sehr gut. Denn gar nah liegt dein Gehöft dem Eiderwald: – leicht könnte einer der Ächter dein Mitleid anrufen. Und du weißt: wer einen der Gebannten hauset und herberget, den trifft ... –«

»Sei unbesorgt,« sprach Volkfried, »ich hab's geschworen.«

Die Frau schlug rasch die Augen nieder: – die feinen Nüstern zuckten: – aber niemand achtete darauf und der Mönch sagte nochmal: »Das ist sehr gut, daß du so denkst, – gut für euch alle.« »Aber die Dänen feiern dort im Wald nach wenigen Nächten das Ernteopfer,« mahnte die Frau.

»Eben deshalb,« wiederholte der Mönch; er ließ sich auf der Hausbank nieder. »Hier – draußen – solang es noch nicht Nacht, darf ich wohl ein wenig bei euch ruhen. – Ich ruhe gern bei euch. Es ist gut bei euch sein. Das heilige Sakrament der Ehe, – bei euch hat es seinen ganzen Segen entfaltet. Das seh ich so gern an – – an den andern.« Seine Stimme bebte. »Und eure Kinder – die holde Lindmuth, der kecke Volkbert, – wo sind sie?«

»Da kommen sie schon gesprungen,« sagte die Mutter. »Sie haben dich lieb.« Um die Ecke des Hauses hüpfte der Knabe: – der erste rasche Blick galt fragend dem Vater. Der sah nicht mehr zürnend aus: nun war Volkbert schon an des Mönches Seite. »Vater Fidus,« rief er, »erzähle gleich weiter! Weißt du noch? Von Karl dem Hammer war's zuletzt und von der Sarazenenschlacht.« Lindmuth aber kniete vor dem Mönch, hob beide Hände zu ihm auf und sprach: »Ich glaube an ›Einen Gott, den Vater, der da ist in dem Himmelreich, den Schöpfer Himmels und der Erden‹. Nun segne mich, Vater. Du hast es versprochen, falls ich den Spruch nicht vergäße.«

Und der Alte legte die Hände auf das blonde Haupt und sprach: »Du bist schon gesegnet, Lindmuth, denn Gott hat dir ein sanftes Herz gegeben.« Er hob das Kind auf. »Ei, Frau Muthgard, wie ähnlich sie Euch wird! Mehr von Jahr zu Jahr. Jeder Zug des Gesichts! Ganz so, aber wirklich ganz so saht Ihr aus – als ich Euch zuerst sah. Da wart Ihr etwa so alt wie jetzo Lindmuth.«

Die Frau nickte, während sie für den Gast von dem Brote schnitt. »Ja, alle sagen's. Ganz ähnlich. Das ist nun lange her. – Nehmt vorlieb mit Brot und Salz und Fisch. Es ist kein Fleisch im Hause. Der Mann war lange fort: – da gibt es kein Wildpret.« »Oho,« rief Volkbert, »traf ich nicht – beinahe! – einen Hasen?« »Warum dürft Ihr nicht übernachten unter unserm Dach?« fragte Volkfried. – »Der Herr Abtvikar hat es mir verboten, unter Dach ... – Übrigens: euer Dach! Der Fronbote hat recht: die Pferdehäupter sind verboten.« Volkfried furchte die Stirn: »Von wem? Vom Herrn Kaiser?« – »Nein. Vom Abtvikar.«

»Ich bin nicht sein Mönch! – Mein Vater hat sie selbst geschnitzt, als die alten verwittert waren. Meine Hand sägt nicht ab, was meines Vaters Hand geschnitzt.«

»Beileibe!« rief der Knabe. »Mahnen sie doch die Waltenden, wann sie vorüberschweben, der vielen Pferdeopfer, die ihnen der Hof gebracht hat, und zeigen, daß dies Haus unter dessen Schutze steht, der das Grauroß reitet durch die Wolken und aller Sachsen Urahnherr ist.« Der Mönch bekreuzigte sich: »Wer gab dir diese Deutung, Knabe?« – »Ei, Heimo.« »Mein Freigelassener,« erklärte der Hofherr. »Der kann die alten Zeiten nicht vergessen und die alten Götter.«

»Er muß,« sprach der Mönch. »Und gerade wegen dieser Deutung – müssen die Pferdeköpfe fallen auf euren Dächern.« – »Die da oben bleiben. Mein Vater, sag' ich dir, hat sie dort angebracht. Ich will sie nicht erneuen, fallen sie von selbst vermorscht herab. Aber ich zersäge sie nicht.« Der Mönch wollte erwidern: aber die Frau winkte ihm mit den Augen.

Volkfried stand auf und ging mit großen Schritten auf und nieder vor dem Hause. Der Knabe hing sich in seinen Arm und ging eifrig mit: aber er mußte hüpfen, dem Vater, dem langausschreitenden, zu folgen.

»Wann er die Stirne so furcht,« sprach die Frau, »sind alle Worte machtlos. Gebt es auf.« – »Ja, ja, so sind gar viele. Deshalb hat der Herr Kaiser einen Ausweg ...« Volkfried kam gerade wieder vorüber. Sie beugte sich zu dem Männlein nieder; er flüsterte in ihr Ohr.

»Gut,« lächelte er lieblich. »Diese Arglist will ich verantworten.«

Volkfried setzte sich wieder neben den Mönch. »Müßt Ihr wirklich fort noch vor Nacht, nehmt noch einen Trunk firnen Metes. – Wo ist der Krug?« »Gleich,« sagte die Frau. »Komm, Tochter, hilf. Doch laß: – da ist die Magd. Wlasta! – Wlasta! – hörst du nicht?«

Um die Ecke des Hauses bog eine schmächtige Gestalt, ein Mädchen; es schleppte auf den Schultern an einer Tragstange zwei Wassereimer; sie waren wohl schwer; sie ging gebückt. Da ersah sie, aufschauend mit trotzigem Blick bei dem Anruf der Frau, den heimgekehrten Hofherrn auf der Bank. Mit einem leisen Schrei schnellte sie die Stange von der Schulter, daß der Eimer halb verschüttete; blitzrasch war sie herangeflogen, aus dem roten Kopftuch flatterten lange, schwarze Strähne, sie lag vor Volkfried auf beiden Knieen, beugte den Kopf tief zur Erde und küßte die Riemen an seinem Schuhwerk.

Volkfried achtete dessen nicht. »Und warum müßt Ihr fort?« fragte er den Mönch. Er schob die Magd mit dem Fuß zur Seite; er hatte sie gar nicht gesehen. Fidus aber blickte auf das glühende, braune Gesicht des schönen Mädchens, das sich nun erhob und die wirrkrausen Haare mit beiden kleinen Händen hinter die Ohren strich; die braunschwarzen Augen waren auf Volkfried geheftet; die nackten Arme kreuzten sich über dem üppigen, heftig wogenden Busen.

»Das ist nicht Sitte unsres Volkes, sprach der Mönch verweisend. »Aber des meinen,« erwiderte das Mädchen. »So ehrt man nur Gott,« fuhr der Alte fort. »Und den Herrn.« Fidus wollte heftig entgegnen. Doch Volkfried sagte, den Hund streichelnd, der den breiten Kopf auf seine Kniee legte: »Laß sie doch! Hofwart freut sich ja auch, wenn der Herr kommt, und kost ihm den Fuß.«

Ein Blick flog aus den schwarzen Augen, – der hätte jeden erschreckt, der ihn gesehen. Aber niemand sah ihn. »Hole den Metkrug aus dem Keller,« gebot die Frau ruhig. »Und fülle die Eimer nochmal; das Wasser ist all' ausgeflossen. Wlasta verschwand im Hause.

»Wo ist die Wendin her?« »Aus dem letzten Wilzenkrieg. Die Schilfhütten der zersprengten Horde loderten rot durch die Nacht. Ich schritt an der letzten vorbei, die gerade in Lohe zusammenstürzen wollte; über der Schwelle lag auf dem Gesicht ein Weib; ich stieß daran mit dem Speer, da zuckte das. Sie lebte noch, ich riß sie empor. Jetzt brach die Hüttendecke krachend, flammend, auf die Schwelle. Ich besann mich: die Frau wollte längst eine Magd kaufen. So nahm ich die Gefangene mit und,« lachte er, »sparte den Kaufpreis.« »Ich werde sie vertauschen,« meinte die Frau. »Sie ist faul. Oder vielmehr launisch: heute honigsüß, morgen natternböse.« – »Wir brauchen ein paar Pfluggäule. Für die Wendin krieg' ich leicht vier.«

Wlasta kam zurück aus dem Hause: den schweren Metkrug auf dem Kopfe tragend, mit der Linken den Henkel fassend, hielt sie in der Rechten ein paar irdene Becher. Sie stellte alles neben den Herrn auf die Bank, leise, zierlich, in kleinen Bewegungen der feinen Glieder, und verschwand geräuschlos, wie sie gekommen, die leergelaufenen Eimer mit der Stange auf die Schultern hebend; sie hatte den Blick jetzt nicht von der Erde erhoben. Fidus sah ihr sinnend nach.

»Aber warum willst du – mußt du noch vor Nacht fort, Vater Fidus?« fragte Lindmuth. »Das – das sollte ich fast nicht erzählen. Denn es gereicht mir nicht zum Lobe!« sprach der Mönch errötend. »Aber« – und er hob das Haupt – »gerade deshalb! Sich selbst herabsetzen: das ist Christenpflicht. Allzu hohe Meinung habt ihr guten Leute von dem schwachen Fidus. Es ist wohlgetan, sie herabzudrücken. Nein, laß die Kinder nur zuhören, Frau. Sie hören nur, was sie bessern, nichts, was ihnen schaden mag. – Ich bin ein schlechter, ungetreuer, pflichtvergessener Mönch.« – Und das Haupt mit den spärlichen, grauen Haaren sank müde herab und die beiden Hände deckten die dunkeln traurigen Augen.

*

 

Viertes Kapitel.

»Wie kam es, daß Ihr Mönch geworden?« fragte die Frau. »Ihr seid doch lange Zeit weltlich gewesen, Kaufmann mein' ich ... Tuchmacher –?«

»Gewiß. In Utrecht, bei des heiligen Willibrords Kirche, steht heute noch meines Vaters kleine Werkstatt. Freigelassene und Grundholden des Heiligen waren die Vorfahren; und die Kunst, die friesischen Mäntel zu weben, zu färben, zu schneiden, vererbte sich bei uns von Geschlecht zu Geschlecht. Ich lernte beim Vater; und in der freien Zeit lernte ich wohl auch ein wenig Latein: – viel ist's nicht gewesen, aber es langt jetzt doch für die Gebete! – bei den guten Mönchen drüben im Kloster. Da – ich mach' es kurz! – Nach des Vaters Tod übernahm ich die Werkstatt und des Nachbars, des Klostergärtners, Tochter ward mein Weib.« Er hielt inne; die Stimme versagte.

»Nehmt einen Schluck Met,« mahnte die Frau. »Ihr werdet schwach.«

»Nein, ich – darf nie mehr schwach werden! Wir hatten uns lieb, von Herzen, ach so sehr!« – Er schlug ein Kreuz. – »Wir durften ja damals. Wir waren sehr glücklich miteinander. Sie war so gut, so klug, so schön! – O Gott, ich werd' es nie vergessen.« Er schlug die Hände wieder vor die Augen. »Ist sie denn tot?« fragte Lindmuth und strich sanft an den magern Fingern, durch welche Tränen drangen. »Nein, liebes Kind! Nur tot – für mich! Jahrelang beteten wir, der Himmel möge uns ein Kind gönnen: – es war das einzige, was unserm Glücke fehlte. Und der Himmel erhörte unser Gebet: – hatte ich doch dem Heiligen sechs neue Altardecken geschenkt aus bestem rot- und blaugestreiften Wollzeug. Und da die Stunde gekommen war, da sprach der Klosterarzt zu mir und zu meinem zuckenden Weib: ›Mutter und Kind müssen sterben.‹ Müssen sterben? Notwendig? schrie ich. ›Ja, notwendig. – Es sei denn,‹ fügte er fromm hinzu, ›die Heiligen tun ein Wunder. – O wie weh! O wie weh! Da warf ich mich auf die Kniee vor ihrem Lager und faßte ihre Hand. Sie war schon ganz kalt. Da schrie ich in meiner Herzensqual: ›Hilf, Sankt Willibrord, hilf! Rette mein liebes Weib! Du tust ja so viele Wunder, – tu' auch mal eins für mich. Und bleibt sie am Leben, so will ich dir fortab mein Leben weihen. Ich werde Mönch – ich werde Priester – ich will unter die Heiden fahren – nur rette sie.‹ Und kaum war das Gelübde getan, da klang an mein Ohr der Schrei eines kleinen Kindes. Und mein Weib war gerettet. Und es blieben am Leben Mutter und Mägdelein. Und wie freute sich Hercha, da sie mir das Kind zeigen konnte! Aber ich schrie laut auf vor Weh und küßte sie. Und der Arzt, der Mönch, der mein Gelübde gehört, riß mich fort von dem Lager meines Weibes und schob mich in den Klosterhof und erzählte dem Abt die nach menschlicher Kunst unmeidbare Todesgefahr: – ja, er meinte, Hercha sei schon tot gewesen – und mein Gelübde und die plötzliche Rettung, ja Auferweckung. Und alle Mönche liefen zusammen und sangen Psalmen und machten einen Aufzug durch die Stadt und meldeten das neue Wunder des Heiligen dem Bischof zu Utrecht, dem Erzbischof zu Mainz, dem Herrn König – damals hieß er noch nicht Kaiser! – in Aachen. Und für den Heiligen war das sehr gut: denn der Glaube an ihn ward noch viel stärker. Aber für mich ... –« »Nicht weinen!« bat Lindmuth. »Du sagst ja: sie lebt heute noch.« – »Kind, du sprichst wahr wie ein Engel. Aber für mich – das heißt: für den sündigen Menschen in mir – war es doch hart. Denn ich – ich habe mein Weib nicht wiedergesehen – ach! so viele Jahre lang.«

Volkfried warf einen Blick auf seine Frau. »Ist hart,« sagte er. »Aber Wort muß man wahren, Heiligen wie Menschen.«

»Ja, ja, gewiß. Ich hielt es ja auch! Ich ...! – Gegenüber dem Klosterhof lag unser Hausgärtlein. Wann ich nun das Schreiben lernte, bald die Heiligenleben abschrieb, hörte ich meines Weibes süße, holde, liebe Stimme, wie die Mutter das Kind in Schlaf sang: – wie heiß das Herz mir entbrannte, – ich sah nicht hinüber in meinen eigenen Garten! Noch hatte ich geheime Hoffnung, loszukommen von dem Gelübde. Sie hatte – armes, junges Ding! – die Zustimmung nicht geben wollen, daß ich Mönch würde. Sie durfte nach dem Recht, auch nach der Kirche Recht, widersprechen. Dann war ich frei. Aber die Mönche! Nun, sie hatten ja recht! – Weiß der Herr: ich will nicht murren! – Die stellten ihr Tag und Nacht vor, welch scheußliche Sünde sie tue durch ihre Weigerung, wie undankbar sie sei. Das Kind müsse sterben, das der Heilige ihr gegeben nur unter der Voraussetzung meines Gelübdes: werde das nicht gehalten, werde der Heilige nehmen, – und sie hatten ja recht! – was man ihm abgelistet. Und ob sie sich nicht schäme, so sündhaft ihren Mann in den eigenen Armen behalten, der Kirche ihn weigern zu wollen? Das sei des Fleisches, der Eva Erbsünde in ihr: der Dämon Venus stecke in ihrem Leibe! Mein süßes, junges Weib – von zwanzig Jahren – und ein Dämon in ihrem holden Leib! – Aber sie hatten ja doch recht, die Mönche, und auch Hercha sah es ein. Sie ließ mich nur noch fragen, ob ich denn wirklich das grausame Gelübde getan? Ich schrieb auf ein Blatt: ja. Da schickte sie mir am andern Tage das abgeschnittene nußbraune Haar! Sie war Religiose geworden. Denn am selben Tag, – da sie sich noch immer trotzig geweigert hatte, war unser Mädchen plötzlich gestorben. Sie hatte nun nichts mehr zu tun in der Welt; die Mönche aber sagten mir, – und sie hatten ja recht! – der Tod des Kindes sei des Heiligen Strafe für mein und meines Weibes Versuch, mein Gelübde nicht zu halten. Da ward ich Mönch – am gleichen Tage noch. Und neben den üblichen Gelübden nahmen sie mir noch das besondere ab – weil sie meiner Schwäche – ach, mit Grund! mißtrauten – niemals im Leben – bei schwerster Strafe im Himmel und auf Erden – wieder die ›Religiose‹ aufzusuchen oder, träfe ich sie zufällig, sie anzuschauen oder anzusprechen. Ich gelobte alles, was sie mir vorsagten. Denn ich dachte in meinem Sinn: ›das Herz tut mir so weh – es kann ja nicht sein, daß ich am Leben bleibe. Bald bin ich tot vor Gram.‹ Allein man stirbt, so scheint es, nicht vor Gram, wenn man fünfundzwanzig Jahre alt ist und gesund wie ein Lachs im Rhein. Gelacht hab' ich nicht mehr seit jenem Tag und gefreut hat mich nichts mehr auf Erden: aber gestorben bin ich nicht. So sind zehn Jahre vergangen und zwanzig und dreißig. Ich bin gealtert vor der Zeit: bin doch noch nicht sechzig und bin doch schon so müde! Und so bergesalt fühl' ich mich! – Von Hercha hörte ich nie mehr, ob sie lebe oder tot sei. Mich schickten die wechselnden Äbte – schon viele habe ich begraben helfen! – mit allerlei Aufträgen weit umher; bis über die Alpen bin ich gekommen, und durch ganz Francien; gar oft nach Aachen zu dem Herrn Kaiser! Der will mir wohl, der gewaltige Karl! Weiß wahrlich nicht, warum. Vielleicht hat er Mitleid mit mir. Auch unter die Heiden hier in Sachsenland bin ich oft gefahren, mit dem Abt von Fulda, Herrn Sturm aus Bayerland: das war ein wackrer Herr! Aber der ist nun auch lange tot! – Der hatte doch – bei aller Frömmigkeit – ein menschlich Herz im Leibe behalten. Jedoch mein jetziger Herr!« – Er seufzte tief. »Vergib mir, Gott im Himmel! Ich darf ihn nicht schelten! – Er hat ja recht.«

»Du meinst den finstern Langobarden, den Petrus!« fragte Volkfried. – »Er ist nur streng, nicht ungerecht gegen mich!« – »Man sagt, er hat einst seinen eigenen, den Langobardenkönig, in Paviastadt verraten?« – »Ich weiß das nicht! Nur ist es wohl eine Art Verbannung, daß man ihn aus Utrecht fortgeschickt hat – hierher: an die allerletzte Kapelle, an des Reiches äußerste Nordmark.« »Wo hat er seinen Sitz?« fragte Volkbert. »In der neuen Burg, die der Herr Kaiser erst vor kurzem an dem Flusse Stör erbaut hat.«

»Jawohl! zu Esesfeld,« bestätigte Volkfried. »Die Feste soll das trotzige Werk des Dänenkönigs Göttrik noch übertrotzen, das der Heide angelegt hat, um sein Reich vom Ostarsalt zu sperren bis an das Nordmeer, an Eider und Treene hin: das ›Dänenwerk‹, wie sie es hochmütig heißen.«

»Wohl! Eben dorthin sind ein paar Mönche unsres Klosters gesandt worden, unter Petrus als Vikar des Abts, der Besatzung dort die Sakramente zu spenden und wohl auch den heidnischen Dänen und Wende in der Nähe das Kreuz zu predigen.«

»Das ist wohl eine Art Strafort?« fragte die Frau gespannt, »auch für die Laien dort!« – »Mag wohl sein.« »Wie kommst aber du dann dorthin, lieber Mönch?« fragte Lindmuth. »Du bist doch –« – »Nicht zur Strafe geschickt. Ich bat um die Entsendung.« »Warum?« forschte die Frau. – »Weil – weil: – es ist recht sündhaft von mir – nach dreißig Jahren!« »Schweig davon, tut es dir so weh,« mahnte Lindmuth. – »Nein! Es setzt mich herab – drum will ich's sagen. – In Utrecht daheim, im Kloster, in der Zelle, von der ich auf unser altes Häuslein schaue – da – ach, da kann ich die Erinnerung gar nicht los werden! Und die Sehnsucht, die sündhafte.« »Sündhafte! Treue ist's!« meinte die Frau. – »Ach nein: Sünde! – Und um dem Bilde Herchas zu entrinnen – stets seh' ich sie dort zwischen den Blumen, den Lilien des schmalen Gärtleins wandeln! – floh ich bis hierher, bis an die Dänenwildnis. Und hier, ach, ach! – Nun, hört es nur zu Ende! Es muß sein! – Vorig Jahr hat der Herr Kaiser wieder, wie ihr wißt, viele Tausende von Sachsen ausgewurzelt aus der Heimat, ganze Geschlechter, mit Weibern und Kindern, sie fortführend nach Francien und überall hin verstreuend über sein weites Reich, die Weiber und Kinder gar oft in Klöster gebracht. Bei der weiten Fahrt geschah nun oft allerlei Ungebühr der fränkischen Krieger gegen die Weiber, die sie zu geleiten hatten.«

»Und um dem zu steuern,« fiel die Frau ein, »hat der Herr Kaiser – sehr hat mir das von ihm gefallen! – Nonnen eingeschifft in Friesland und hat sie die Elbe zu Berg fahren lassen, die Sachsenweiber abzuholen und in fraulichen Geleit zu Schiffe fortzuführen.«

Der Mönch nickte. »Ja; und ich hatte mit ein paar andern Mönchen die Frauen begleitet bis an das nahe Bardenfleth, den Flecken an der Elbe, wo die Schiffe der Nonnen auf unsern Zug warteten. Und oh! Wie ich die letzte der meinem Schutz befohlenen Sachsenfrauen auf schwankem Brett auf das hochbordige Friesenschiff geleite – wohl vierzigmal hätt' ich den Weg mit den früheren zurückgelegt – da schallt vom Schiffe her ein Schrei: und auf das Brett, mir entgegen, wankt eine Frau in grauem Schleier über dem schwarzen Gewand. ›Waltger!‹ ruft sie, ›mein Waltger!‹ So hieß ich nämlich bevor – solang ich glücklich war, das heißt – Gott verzeih mir dies Wort! – glücklich nur in weltlicher Freude. Und nun wieder diesen Namen – so viele, viele Jahre hatte ich ihn nicht mehr gehört! Und auch die Stimme! Sie weckte alles wieder auf, was nur begraben, aber nicht erstorben war in mir. Ich erkannte sie, meine Hercha! Ich werd' es nicht leugnen. Und« – er schlug ein Kreuz – »obgleich ich sie gut erkannt hatte – merkt! ich beschönige nicht meine Sünde! – und obwohl ich recht wohl hätte umkehren können und ihr enteilen: – ach, ich tat es nicht! Ich sah nicht weg, ich verhüllte nicht das Haupt, ich enteilte nicht! Sondern fest sah ich ihr in das liebe, schöne, ach so früh vom Gram gealterte Gesicht und auf das weißgraue Haar, das unter dem Schleier hervorquoll, – meine beiden Arme breitete ich aus und entgegen sprang ich ihr! ›O mein Weib, mein geliebtes Weib!‹ rief ich und schloß sie fest in die Arme und drückte sie ans Herz und küßte sie auf den Mund; und heiße, bittre Tränen liefen uns beiden über die alten Wangen.«

Die Frau drückte leise des Gatten Hand, die auf der Bank sich zur Faust ballte; er wollte die Rührung in sich erdrücken. Und aus des Mönches Augen rannen langsam zwei große, große Tränen: er ließ das Haupt auf die Brust sinken und schwieg. Der Hund legte den breiten Kopf auf seine beiden Knies und sah zu ihm auf. Die Kinder waren traurig, sie wußten nicht recht, warum. –

»Der arme, gute Fidus, was sollte er tun?« flüsterte Lindmuth schüchtern dem Bruder zu. »Ich hätte sie bei der Hand genommen und wäre flugs mit ihr auf und davon gesprungen.« – »Aber Bruder! Und sein Treuwort?«

»Wie kann doch nur eine Sünde,« fuhr der Mönch nun nach einem Seufzer fort, »so selig machen im Herzen! Noch jetzt, wenn ich daran denke, wird's mir selig weh und selig wohl da tief drinnen in der Brust.« »Sünde!« rief Volkfried. »Die acht' ich gering.« – »Da tust du sehr unrecht. Große Sünde war es! – Nun, die Strafe blieb nicht aus. Kaum hatt' ich die Frau umfangen – noch hatt' ich sie nicht fragen können, wo sie und wie sie gelebt all' diese Jahre? – da riß mich an der Schulter eine harte Faust zurück. ›Elender, Eidbrüchiger!‹ scholl es. Ich kannte die Stimme, brauchte gar nicht in das zornige Antlitz zu sehen. Ich sank ins Knie: nicht vor Schreck, nicht aus Furcht vor dem Abtvikar: aus Reue vor Gott dem Herrn, aus Scham. Einen lange gezogenen, aber leisen Weheruf, – wie ein ersticktes Wimmern – hört' ich noch. ›Leb wohl, leb wohl, mein Waltger!‹ klang es von dem Schiffe her. Da hatte mich der Vikar schon aufgerissen von den Knieen und herabgezerrt von dem Brett. Er übergab mich zwei Brüdern zur Bewachung, die sollten mich binden. Aber sie weinten – sie hatten alles mit angesehen – und sie wußten, ich würde nicht entlaufen. In Esesfeld legte mir der Abtvikar die Buße auf. Sie ist nicht gar schwer. Ich habe Schlimmeres verdient.« »Was mußt du leiden? Oder tun?« fragte die Frau mitleidig. – »Er hat mir Stillschweigen auferlegt. – Die Nacht sinkt rasch! Lebt wohl, ihr Guten! Du hilfst mir wohl ein wenig, Volkfried: nur bis in die Mitte der Furt –: dann find' ich schon.«

»Das Wasser steht zu hoch. Ich trage dich hinüber. – Aber du gehst – im Eiderwald – in den Tod.« – »Mag wohl sein! Jeder Schritt unsres Lebens geht in den Tod. Und das ist das Beste an meiner Buße, daß sie rascher ... –« Die Frau stand auf. »Sage ... der Abtvikar, – weshalb will er deinen Tod?« – »Ich könnte sagen: ich weiß es nicht. Aber das wäre gelogen.« »Was hast du ihm zuleide getan? Was kannst du ihm schaden?« – »Ihm und seinen Freunden, dem Grafen Hardrad und dem Vizegrafen Fortunat, bin ich im Wege, weil ich in allen Dingen des Herrn Kaisers Willen und Gebot vollführet wissen will. Und weil ich viel kenne von den Gesetzen und Kapitularien in geistlichen und weltlichen Dingen, die der Herr Kaiser hat ausgehen lassen zur Schonung und Erleichterung der Keinen Leute im Volke, da ich gar oft zu Aachen weilte, zur Zeit der Reichstage und der Synoden, und der Herr Kaiser häufig Auskunft von mir verlangt über die Dinge in Friesland und in Sachsenland und die Bedrückungen durch Graf und Abt. Und ich verschweige und vertusche kein Unrecht vor dem Herrn Kaiser. So mögen sie denn wohl wünschen, daß dieser Mund bald verstumme.«

»Wie mag doch der Himmelsherr solchen Frevel dulden? Schläft er?« rief da sehr laut der junge Volkbert. Er war schon lange zornig und sein Gesicht war rot.

»Daran magst du lernen, du Wildfang,« sprach der Mönch sanft und strich dem Knaben über das krause, braungelbe Gelock, »daß der Himmelsherr, der niemals schläft« – hier gab er ihm einen ganz leichten Backenstreich – »das merke dir! – den Seinigen alles zum Besten kehrt. Denn schau: die drei Mächtigen zu Esesfeld, die mich ja wohl in den Tod mögen schicken wollen, die wähnen mir dadurch ein Übel anzutun. Und siehe: sie bereiten mir Gutes. Denn von allen Dingen auf Erden ersehne ich nichts so heiß als den Tod.« Und er drückte der Frau die Hand und schritt rasch dem Flusse zu. Volkfried folgte ihm. Die Frau zog leise die beiden Kinder an sich.

»Weißt du, Mutter,« sagte der Knabe, »der Alte kann nicht lassen von seiner Frau, die Nonne ward. Er hat sie noch immer lieb.« »Ist das nun Sünde?« fragte Lindmuth. »Vielleicht,« antwortete die Frau. »Ich kann es nicht entscheiden. Denn es ist doch – Treue.« »Aber es ist doch recht traurig für ihn,« meinte Volkbert. »Es wär' ihm besser, könnt' er von ihr lassen.« »Nein,« sprach die Frau, »denn dann hätte er sie nicht geliebt.« »Mutter,« forschte Lindmuth, »des Vaters Bruder ist doch auch ein Waldgänger?« Die Frau furchte die Brauen: »Wer hat dir das gesagt?« – »Heimo. – Der Oheim hat doch auch den Treueid gebrochen dem Herrn Kaiser?« »Ja,« antwortete die Frau traurig, »leider.« – »Aber ich darf doch, wann ich das Nachtgebet spreche, auch für ihn beten? Es muß so hart leben sein im Wildwald – unter den Wölfen.« – »Ja, bete nur für ihn wie für ... nun, du weißt für wen!« »Für Herrn Richwalt,« sprach die Kleine ernsthaft.

»Und für deine Mutter, daß Gott ihr ... uns allen ... alle Schuld vergebe!« Sie seufzte schwer, stand auf und ging mit beiden Kindern in das Haus.

 

In triefenden Gewändern kam Volkfried zurück; er zog sie aus und schlüpfte in das Fell eines gewaltigen Wisent; die Frau spreitete die Kleider aus in der Nähe des Herdfeuers, das auch die Nacht über fortglimmte.

Die Kinder schliefen schon in dem Holzverschlage hinter der Halle; in demselben Raum, nur durch ein Segeltuch geschieden, stand der breite, starke, nur wenig vom Boden erhöhte Eichenschragen, auf welchem die Gatten ruhten. Zahlreiche gegerbte Felle machten das Lager weich und warm. Bald war Volkfried entschlummert: er hatte den Tag über streng gearbeitet. Die Frau fand keinen Schlaf; bange Sorgen hielten ihr Herz wach.

Da bellte der Hund draußen an der Hofwehre laut, anhaltend. Volkfried sprach im Traum: »Laß ihn nicht ein, Hofwart! O Bruder, Bruder, wie Hab' ich dich geliebt! – Von Kind auf! – Den Vater hab' ich dir ersetzt. Aber dich aufnehmen? – Nein! Herr Karl hat's verboten. Was brachst du den Eid? Niemals ...! Fort von meinem Zaun! Ach, armer Bruder!«

Die Frau hatte sich nun ganz aufgerichtet. Sie sah auf ihres Mannes edles Gesicht. Das Herdfeuer – es war nur in halber Manneshöhe durch den Verschlag ausgeschlossen – warf einen matten, ungewissen Schein herüber; seine Lippen zuckten vor Weh.

»Wie er ihn lieb hat! Fast wie die eigenen Kinder! Und doch! – Wenn er es wüßte! Gott, vergib mir!«

*

 

Fünftes Kapitel.

Am andern Tage ward es früh schon drückend heiß: weiße Donnerwolken, dicht geballt, stiegen auf; es mußte ein schweres Gewitter kommen. Und es kam.

Volkfried war weit vom Hof gegangen, nach seiner Roßweide zu sehen, die nahe dem Flusse lag; den Knaben hatte er nicht mitgenommen des drohenden Unwetters wegen; er war allein.

Manchmal, wie er über die Wiesen schritt und durch das Weidengebüsch, war ihm gewesen, er höre hinter sich einen leichten Schritt, höre durch die Zweige schlüpfen. Er sah einmal um: aber es nickten nur die Büsche, durch welche er selbst geschritten war. –

Er prüfte auf der Roßweide die Tiere, die ihn nur scheu betrachteten: es waren erbeutete, die er vor kurzem den Slawen abgenommen.

Da brach das Gewitter los mit strömendem Regen; in der Umhegung stand eine offene Heuhütte; darin suchte Volkfried Schutz; er legte sich auf das duftende Waldgras, das hier hoch, bis fast unter das Dach, gehäuft lag; es war frisch geschnitten; sehr stark duftete es, fast betäubend, aber süß, berauschend. Er schlief nicht, aber er träumte. –

Da – es war keine Täuschung! – da regte sich's leise unter dem dichten Heu an seiner Seite: – die Haufen schienen lebendig zu werden: – sie hoben sich, wölbten sich.

»Ein Waldtier,« dachte er, »dem ich die Zuflucht verstört.«

Aber größer und länger ward die Erhebung; aus dem Heu tauchte eine Menschengestalt hervor, ein paar volle Arme, ein üppiger Nacken, eine Flut von schwarzem Gelock, aus dem überall Heuhalme ragten: – aber das stand gar gut, weil phantastisch, zu dem glühenden, braunen Gesicht: und vor ihm lag auf beiden Knieen, die Arme über dem wogenden Busen gekreuzt, die Wendin; das Kopftuch hatte sie verloren, die schwarzen Haare flatterten wild nieder auf die nackten Schultern, das Hemd aus weißem Schaffell war herabgeglitten von der rechten Achsel: denn die Spange war gebrochen; verwirrt, in Scham erglühend hielt das schöne Mädchen das rauhe, zottige Fell vor die junge Brust mit der linken Hand.

Er richtete sich langsam auf, so daß er saß, und stemmte beide Fäuste verwundert in die Hüften: »Wlasta! Du hier? Was suchst du hier?«

»Dich.« – Ganz leise kam es aus den üppigen halb geöffneten kirschroten Lippen.

Er verstand sie offenbar nicht: weit öffnete er die lichtgrauen Augen.

Ein bittres Lächeln zog nun fast spöttisch um den ausdrucksvollen stets bewegten Mund: die kleinen weißen, ganz gleich gereihten Zähnlein wurden sichtbar. Aber gleich entfloh dies Lächeln wieder. »Ich schlich dir nach – all' den weiten Weg –! Ich wußte wohl, das Unwetter mußte dich hier hereintreiben. – Ich kroch voraus.«

Er sah sie immer noch höchst erstaunt an. Da trug sie es nicht mehr. Sie bäumte sich hintenüber, immer noch knieend, und schlug die rechte Hand vor die Stirn. »Ach, was hast du mich nicht verbrennen lassen in der Hütte der Mutter! Vom Rauch erstickt, war ich in meinem Versteck zusammengesunken. Ich glaubte zu sterben. Und ich wähnte, im Himmelreich, in den ewigen Blumenwiesen der Todesgöttin zu erwachen, vom goldhaarigen Lichtgott geweckt, als mich eine Lichtgestalt, ein himmlisch schöner, großer, hoher Held in seinen starken Armen aufhebt! – und der Lichtgott führt mich seinem blonden, herben Weibe zu wie eine erbeutete Kuh! – Ich will's nicht tragen! Ich will nicht. Ich verbrenne an langsamen Flammen! Küsse mich! Oder wirf mich dort in den Strom.«

Sie hatte drohend, zuletzt schreiend gesprochen: ihre schwarzen Augen funkelten zornig. Aber gleich verflog blitzschnell dies Wilde: und mit weichstem, mit flehendem Schmeichellaute hauchte sie nun, die beiden ineinander gerungenen Hände bittend gegen ihn ausstreckend: »Bitte! Bitte! Nur einmal – aus Erbarmen –: küsse mich! Wir sind hier ganz allein! Niemand soll's wissen! Ich will dann selbst springen – gleich! – in den Strom.« Und nun stürzte sie, vornübergebeugt, auf das Antlitz, die kleinen, zierlichen Hände weit vor sich hinstreckend: sie vergrub sie tief in das Heu.

Er sprach kein Wort. Er stieß nach ihr mit dem Fuß – er traf die eine Hand, – und sprang auf. Aber schon, gleichzeitig, war auch sie emporgeschnellt, wie eine sich aufbäumende Schlange. »Das? – Das? – Für all' meines Lebens innerste Glut? – Das dank ich ihr! Ihr willst du Treue halten? So hör's: du bist ihr keine Treue schuldig! Sie hat dich verraten. Sie traf – sobald du fort warst – jede Nacht, beinahe jede Nacht – an deinem Hofzaun einen fremden Mann! – Sie merkten mich nicht, wie ich im Grase herankroch ... –«

Volkfried erbleichte. »Die Unselige!« stöhnte er.

»Siehst du?« frohlockte sie. »Nichts bindet dich mehr an sie. O, wie ich diese Stunde ersehnte! Nun ich dir ihren Buhlen ... –«

Da traf er sie mit der Faust auf die Stirn. Sie stürzte schreiend vor seine Füße.

»Elende! Mein Bruder war's, der Gebannte. Das aber wisse: – zum Abschied! – denn morgen verkauf' ich dich in das nächste Nonnenkloster als Magd: – hätt' ich Frau Muthgard nie gesehen und ihres Angesichtes keusche Herrlichkeit: – die Wendin hätt' ich nie berührt. Mich reut's, daß ich dich aus den Flammen riß.«

Blitzschnell sprang sie auf mit einem gellenden Schrei. »Haß für Liebe? Für solche Liebe Verachtung? Warte, das sollt ihr büßen! – Wohlan denn: der lichte Gott stieß mich mit Füßen fort: – ich weiß den dunklen Dämon, der mich aufnimmt. Wehe dir – und wehe ihr!«

Schon war sie im Freien. Volkfried trat aus der Hütte. Da sah er sie auf dem Rücken eines der kleinen zottigen Wendengäule hangen: sie hielt sich mit der Linken an der Mähne fest, mit der Rechten, der kleinen zierlichen Rechten, schlug sie aus Leibeskräften auf des Tieres Hinterbug: sie schnalzte mit der Zunge, sie gellte ihm, sich vorhebend an seinen Hals, slawische Zischlaute ins Ohr: hurtig setzte nun der Rappe über die hohe Umzäunung des Weidegeheges und schoß sausend davon in die Heide: durcheinander gemischt flogen dahin seine schwarze Mähne und ihr schwarzes Haar.

*

 

Sechstes Kapitel.

Die Burg Esesfeld war erst im Jahre vorher angelegt worden; an dem rechten Ufer der Stör erhob sie sich auf einem ragenden Hügel, den Übergang über die Furt beherrschend und die wenigen Hütten des früher offenen Ortes überschauend, die sich verstreut an dem Flusse hinzogen.

Die Feste war vor allem im Außenbau vollendet worden, sie gegen einen Handstreich der Dänen zu schützen; die Gräben waren hinreichend ausgetieft und durch das hineingeleitete Wasser des Flusses gefüllt, der Wall der ausgegrabenen Erde hoch aufgeschüttet, gestampft und oben durch Pfahlwerk gefestigt und gekrönt. Im Innern dagegen war noch gar manches unfertig, als die kleine Besatzung, schleunig aus den nächsten friesischen und sächsischen Gauen aufgeboten, den schmalen vierkantigen Turm und die paar Wohnräume bezog; dieselben Mannschaften hatten, in den Hütten der Fischer und Bauern eingelagert, die Bauleute während ihrer Arbeit beschützt, auch selbst, je zur Hälfte sich ablösend, mit Hand angelegt.

In dem mittleren der drei Stockwerke des Wachtturmes lag die Halle, der Wohnraum des Befehlshabers; das Erdgeschoß des Turmes und seine Anbauten enthielten Stallungen für die Rosse. Die Halle zeigte an der Ostseite in dem von rauhen Feldsteinen zusammengesetzten Boden eine mannsbreite viereckige Öffnung, in welcher die vielsprossige Leiter lehnte, welche die Treppe ersetzte: durch einen breiten Quader war das Loch zu schließen. Der Turm zeigte ungefähr in Mannshöhe vom Boden vier schmale Ritzen, mehr Schießscharten als Fenster, aber genügend, den Ausblick über die ganze flache Landschaft zu gewähren; in das dritte, höchste Stockwerk unter dem Balkendach gelangte man aus dem zweiten ebenfalls nur durch eine Leiter und eine Öffnung zu dem Holzboden jenes Dachraumes.

Die Sonne neigte nach regenreichem Tag zum Untergang, aus grauem Gewölke selten hervorblickend; sie warf nur noch wenig Licht in die Turmhalle durch die schmale Mauerritze im Westen; das Gewitter hatte starke Abkühlung gebracht: ein glimmend Feuer brannte auf der Westseite, abgetrennt von dem Boden durch einen kleinen Kranz von erhöhten Steinen.

An dem runden Eichentisch saßen zwei Männer auf einer halbkreisförmigen Bank, ein dritter lag neben der Bank auf den Binsen, die den Steinestrich hochgeschichtet bedeckten. Unwirsch stieß der eine der Sitzenden auf die Tischplatte einen zinnernen Becher, den er zu Munde geführt hatte, – so heftig, daß rote Tropfen heraussprangen. »Satan saufe das saure Gesöff!« rief er, den roten Bart mit der umgekehrten Hand von der Lippe streichend.

»Der wird sich hüten, Hardrad,« lachte sein Bankgenoß. »In seiner Hölle ist's heiß: da gedeiht wohl ein besseres Gewächs.« Er zerschlug mit der Faust auf dem Tisch ein Stück Brot. »Das ist so hart, wie ein Sachsenschädel. Sticht schon in die Hand wie sticht's erst in den Gaumen! Pfui!« Er schüttelte das krause, dunkelbraune Gelock. »Und der verfluchte Rauch! Wie das in die Augen beißt!« schalt der dritte, der auf der Streu lag; er nahm den Ärmel seines schwarzen, faltigen Priestergewandes und wischte sich über die Lider mit den kohlschwarzen Wimpern. »Warum willst du auch Feuer haben mitten im Erntemond!« meinte der zweite. »Weil ich immer friere in eurem Barbarenland,« grollte der Geistliche und zog die Brauen zusammen. »Läßt man das Feuer ausgehen, wird man zu Eis und läßt man's brennen, wird man geräuchert. Und von den nassen Wänden rinnt es nieder in klatschenden Tropfen! Nicht einmal einen Teppich für Tisch, Estrich oder Mauer! Ein Hund lebt menschlicher in Italia als hier ein Bischof.« »Ei, warum seid Ihr nicht in Italia geblieben, Herr Petrus?« spottete der Krauskopf. »Das will ich dir sagen, Fortunat,« lachte Graf Hardrad. »Weil's ihm dort ebenso zu heiß ward ... –« »Wie jetzt hier zu kalt!« schloß der andre.

Der Priester biß die schmale Lippe.

»Nun,« fuhr Fortunat fort, mit Wohlgefallen sein zierlich mit Silber gesticktes hellblaues Gewand betrachtend, »der Hochwürdige ist wohl ebensowenig ganz freiwillig hier in diesem Sumpfloch wie – wie meines Bruders Bruder. Allein du, großmächtiger Hardrad! Von deinen argen Streichen hat der Herr Kaiser, so allwissend er sich wähnt, doch noch nichts erfahren. Weshalb du hier aushältst ...« – »Schlage mich der rote Donner, bleib' ich länger als ich's nötig habe. Dann werf' ich diesem Schulmeister unter der Kaiserkrone sein Grafenamt vor die Füße und lebe, wo's mich und wie's mich freut.« »Das könntet Ihr doch jetzt schon,« meinte der Abtvikar. »Ja, wenn ich leben wollte, leben könnte wie so ein Welscher! Wie Ihr, der den Tag über an einer Kuchenrinde kaut und mehr Tinte verbraucht als Wein! Ich aber! Ich brauche Wälder und Felder, darin zu jagen, viele hundert Rosse, täglich ein andres müde zu hetzen, Dörfer voll knirschender Bauern, sie zu treten, edle Hunde, den Bär zu stellen, kostbare Falken, den Reiher zu beizen, ja, ich brauche Scharen von Gewaffneten, die nur meinem Winke folgen, mein Recht durchzusetzen ... –« »Oder auch dein Unrecht,« lachte Fortunat. »Ich brauche einen ganzen Gau als mein Erbeigen, einen fast gleichmächtigen Nachbarn, Fehde mit ihm zu führen! –« – »Das hat aber der Herr Kaiser verboten!« – »Bah, der ist fern und sein Reich ist groß und er kann nicht überall zugleich sein.« – »Das ist das einzige, was es möglich macht, in seinem Reich zu leben. Sonst wär's halb Schulstube –« – »Halb Kloster, –« – »Halb Kriegslager, –« »Halb Kerker,« grollte der Priester.

»Das sind viele Hälften,« lachte Fortunat. »Und weshalb, Hardrad, brauchst du das alles?« – »Weshalb? Dumme Frage! Weil's meine Ahnen gebraucht haben von jeher. Waren Herzöge in Thüringland, lange bevor die Ahnen Herrn Karls Hausmeier hießen. Und die Ahnen haben's auf mich vererbt.« »Das heißt,« spottete Fortunat, »den Hang dazu, nicht die Mittel.« »Auch die Mittel hatte ich,« zürnte Hardrad und schlug auf den Tisch, daß die Becher klirrten. »Bis dieser ... –« – »Tu dir keinen Zwang an! Ich habe ihn schon so viel gescholten vor deinen Ohren, daß ich dich nicht verschwätzen werde. Und dieser schwarzhaarige, gelbgallige Welsche da, – der schimpft zwar nicht laut wie wir, aber er haßt ihn schweigend und – giftig.« Der Priester drückte die dunklen Augen zusammen. »Ich hatte Macht und Mittel genug,« fuhr Hardrad fort, »wie ein Fürst zu leben, wie ein Herzog, bis dieser ...« – »Ja! Er nahm dir alle Benefizien und von dem Erbgut die Hälfte ... –« »Warum?« fragte der Abtvikar. »Weil ich, nach gutem altem Recht der Thüringe, dem Nachbar Fehde angesagt.« – »Ja, ja. Du hast ihm dabei das Haus verbrannt, den Sohn und zwölf Knechte erschlagen und alles Gold und Silber geraubt. Herr Karl hatte aber längst den Fehdegang verboten.«

»Und noch als Gnade mußte ich's hinnehmen, daß er mir die Hälfte des Allods beließ und mir diese Grafschaft übertrug, die schlechteste, ärmste, gottverhaßteste in seinem ganzen Reich. Nun warte! Wehe diesen Sachsen, denen er mich zum Grafen bestellt hat! Es wäre ihnen besser, der Höllenwirt wäre ihr Graf.« – »Sie sind, glaub' ich, alle dieser deiner Meinung!« – »Und sobald ich so viel Land und Gold aus ihnen herausgepreßt habe, daß ich wieder leben kann wie's meiner Sippe ziemt – fort aus diesem großen Gefängnis, darin Herr Karl mit Schlüsseln und Ketten rasselt.« – »Aber wohin?« – »O, gleichviel! – Zu den Dänen!« »Sind Heiden,« meinte der Vikar. »Sie fragen nicht nach dem Glauben, nur nach der Kraft. Das Land, das ich hier zusammengebracht, mache ich all' zu Gold, zu Waffen, zu Reisigen. Mit offenen Armen nimmt mich König Göttrik auf jenseit des Danevirks. Aber nicht mit leeren Händen, nicht ein Flüchtling, nicht bittend: – spendend will ich kommen. Geh mit, Fortunat!« – »Vielleicht! Vielleicht auch nicht. Weißbusige Weiber – das ist wohl wahr! – leben in Nordmannia. Aber vielleicht läßt mich doch Herr Karl zurück in meine Heimat Aquitania, in das schöne Land zwischen Loire und Garonne. Dort scheint die Sonne gütevoller. Und feuriger stießt das Blut der Frauen ... –« – »Daß du nichts andres im Sinne hast als Weiber!« – »Ja, sie sind all' mein Glück! – Und all' mein Unglück! – Sind sie doch auch schuld, daß ich hier eure angenehme Gesellschaft genieße.« »Wie das!« fragte der Langobarde. – »Nun ja! – Gewöhnlich brauche ich keine andre Überredung bei ihnen, als mir der reiche Gott in meinem glatten Gesicht, meinem glatten Wuchs und meiner glatten Zunge gegeben hat.« »Heuchler und Schmeichler, – du betrügst sie alle!« schalt der Graf. »Nein! Da tust du mir unrecht. Schreiend unrecht! Mir gefällt immer eine am besten. Und das sag' ich ihr. Und da sie mir wirklich am besten gefällt, sag' ich ihr's sehr lebhaft und überzeugend, erfolgreich. Heilige Genoveva –!« »Laß die Heiligen aus dem Spiel,« grollte der Vikar. – »Nun denn: Frau Venus!« – »Was weißt du von der?« – »O bitte! An der Klosterschule zu Tours lasen wir, auf Herrn Karls und auf Alkuins Befehl, Ovidius! – Lateinische Verse sollten wir dabei lernen: – aber Liebschaften lernten wir. Bei Sankt Venus also! Jede hält sich doch im Herzen für die Schönste. Sagt es ihr nun obendrein ein Mann, – der's selber glaubt in dieser Stunde, – wie soll sie's nicht erst recht glauben? Kam bis vor kurzem ganz glücklich vorwärts bei allen! Da will es das Unglück, daß zwei Schwestern gleich schön sind. Das wäre nun bloß ein doppelt Glück gewesen. Aber sie waren auch beide – und das eben war das Unglück! – gleich tugendhaft. Beiden mußte ich daher den verfluchten Goldring an einen ihrer weißen Finger stecken. Was tut man aber nicht den lieben Narren zuliebe! So heiratete ich die eine zu Tours, die andre – zwei Monate später – zu Toulouse. Keine wußte von der andern; Faustus hieß ich zu Tours und Fortunatus zu Toulouse. Die eine gab mir der Bruder, die andre der Oheim, der Bischof zu Tours. Sie hätten es noch lange nicht herausgebracht. Denn meine Villen, wo ich jedes der Weiblein hatte, lagen weit auseinander, eine an den Pyrenäen, die andre an der Loire. Aber zu meinem Verderben hatten sie ein Bäslein, ein reizendes Ding, sag' ich euch! Das kam zu Besuch auf die Villa an der Loire. Und da das dumme Ding nicht nachgab, mußte ich mit Gewalt nachhelfen: – nur ein klein wenig! Da springt sie in den Strom! Und meine Frau – das heißt die eine, die an der Loire – erfährt es und ruft den Bruder herbei zur Rache. Und der kommt und erkennt mich als seinen andern Schwager, von den Pyrenäen her! Nun der Lärm! Der Bischof! Der Doppeloheim! Und der Doppelschwager! Was half's, daß ich den erschlug – in ehrlichem Zweikampf! – Der Bischof focht nicht: er klagte bei Herrn Karl. Und das Hofgericht verurteilte mich zum Tode wegen so vieler Verbrechen! Ein ganzes Rudel! Zwei Seiten füllten die lateinischen Namen der Vergehen! Der Herr Kaiser aber begnadigte mich zur Einbannung nördlich der Elbe!«

»Warum?« meinte Petrus, vor Frost die Hände reibend. »Ihr hattet Euch den Tod doch redlich verdient!« »Gewiß,« sagte Hardrad. »Aber Fortunat führt eine rasche Klinge. Er hat Herrn Karls Sohn, König Pippin, herausgehauen aus einem ganzen Wespenschwarm von Awaren. Dessen hat der Vater gedacht.«

»Ja, ja,« lachte der Aquitanier. »Aus mir hätte was werden können, gab' es keine Weiber. – Nun, vielleicht wird hier was aus mir. Denn hier gibt es gar keine. Oder die, welche es gibt, sind so kühl wie die Eider im Winter. Neulich gar,« – sprach er ganz zornig, – »Hab' ich mir an einem Sommerabend einen Stoß vor die Brust und noch was geholt. – Ich will nie mehr küssen, zahl' ich's nicht heim!« »Wo? Bei unserm letzten Ritt?« fragte der Graf. »Die schwarze Wendin – dort an der Furt?«

»Eine Sklavin!« grollte Fortunat. »Ein schöner, schwarzbrauner Teufel! Ich packe sie plötzlich: – ich hatte ihr Schilf schneiden zugesehen: – ihre geschmeidigen Glieder reizten mich. ›Komm mit, schönes Weib,‹ rief ich ihr vom Roß herab – ›du brauchst einen schönen Mann‹ ›Es gibt nur einen Mann,‹ zischelt sie aus ihren weißen Zähnen, und mit einem Stoß vor meine Brust ist sie mir aus den Armen geglitten wie ein Aal.« – »Und du gabst das Spiel auf?« – »O nein! Ich ritt ihr nach! Sie huscht in den Pfahlzaun des nahen Gehöfts, ich springe vom Gaul, will nach durch das schmale Pförtlein: in der Pforte aber steht eine – nun, kurz gesagt: eine Göttin. Um eines Hauptes Höhe länger als ich – prachtvolle, stolze Brust – zwei Arme, schneeweiß, und rund und weich! Und eine Flut von hellblond leuchtendem Haar und –« Mir schenken dir das andre!« sagte der Graf. »Wär's mein eigen geworden, ich schenkte es keinem Gott! – Ich stehe vor ihr wie geblendet: – ich glaube wirklich, mein Knie senkte sich ein wenig in Scheu vor so viel reiner Frauenherrlichkeit. Aber gleich darauf stieg mir all' das heiße Blut, das die Traube der Garonne in sich kochen hat, in das Herz: mir schwindelte vor Verlangen und mit beiden Händen griff ich – sprach, los – nach ihren wonnevollen Schultern: – da war das nächste« – er stockte. – »Nun?« »Ha!« lachte er grimmig. »Daß ich zur Erde flog. – Aber nicht allein!« – »Mit dem Weibe?« – »O nein! Mit der stärksten Ohrfeige, von der ich je gelesen oder gehört, oder, seit mein Vater starb, gespürt. Ich sprang auf wie der Blitz. Da stand in der Türe, wo die nordische Göttin gestanden, geblitzt und gedonnert hatte, ein Hund – nun, so wie ein mäßiger Bär! – und knurrte. Die Göttin war verschwunden. Aber,« schloß er grimmig, »wir Christen haben die Pflicht, Göttinnen zu zerstören. Ich kann nicht mehr schlafen, seit ich dies weiße Weib gesehen! Und ich schwör's: – die Hölle soll mich braten, erfüll' ich's nicht: – ich sterbe oder ich zerbreche diesen keuschen Trotz in meinen Armen. So wahr mir Gott helfe und Sankt Martin von Tours! Amen.«

»Eine hübsche Art von Christentum!« lachte der Priester. »Hat der fromme Kaiser viele solcher Vizegrafen in seinem Reich?« »Das war an dem Hof bei der Eiderfurt?« forschte Hardrad. »Ja? Das ist das Weib des Sachsenhunds, der mir den Hof nicht verkaufen und nicht mein Schutzhöriger werden will. Jahrelang dring' ich in ihn, jahrelang bann' ich ihn zu Ding und Heerfahrt und Wachtdienst, bis er mürbe werde oder ausbleibe, daß ich den Königsbann von ihm einheischen oder ihn vom Hofe treiben kann. Umsonst! Jedesmal ist er gekommen: – ich fass' es nicht, daß nicht längst seine ganze Wirtschaft verdorben ist.« »Das macht die Frau,« fiel der Abtvikar ein, »die soll, fehlt der Mann, so trefflich wirtschaften. Fidus hat mir viel von dem Paar erzählt, – steckte oft dort, rühmte diese Ehe als eine Musterehe. Die Frau, meinte er, ist so wacker und klug als sie schön ist. Ist eine gar herzbrechende Geschichte, bis die beiden sich heiraten konnten. Jahrelang mußte der Mann harren: ich hab' es nicht recht verstanden. Ihr Vater wollte sie einem ganz andern geben, einem gar vornehmen Nachbar. Ich weiß nicht mehr, wie sie dann doch der viel ärmere Freier gewann.«

»Wie war das, Hardrad?« fragte Fortunat neugierig. »Weiß nichts davon,« fuhr der Graf fort. »Aber das weiß ich: jetzt, seit der verfluchte Mönch ihm das Gesetz Herrn Karls gesteckt hat – der Fronbote hat's gemeldet! – jetzt ist ihm vollends nicht mehr beizukommen. Die Hölle verschlinge Fidus.« »Der Heidenwald wird ihn wohl verschlingen,« lachte der Abtvikar. »Kommt er zurück von dem Auftrag, den ich ihm gab, so müssen die Heiligen mehr Wunder tun, als ich ihnen zutraue, für einen armen Mönch, der ihnen keine Kirche bauen kann. Der Tropf ist ein Aufpasser, ein verlängertes Ohr des Tyrannen Karl. – Übrigens, den Sachsen kann ich doch wohl fassen: wegen der dummen Pferdeköpfe, hat der Fronbote recht berichtet. Aber was liegt dir so viel an seinem Hof? Ist er so wertreich? So groß?« – »Das gerade nicht. Aber sein Land allein trennt noch die Hufen, die ich sämtlich dort mir zusammengezwungen. Und die Hauptsache: die Furt! Dort zieht der Hauptweg ins Dänenland. Sobald ich jene Uferstrecke habe, laß ich mir vom Kaiser Zollrecht, Furtrecht, Fährenrecht einräumen mit hohen Gebühren. Das kann sehr, sehr wertvoll werden! Dann verkaufe ich die ganze Landstrecke an einen Käufer, der ... der nicht knickert.« »Ich ahne!« rief Fortunat. »Der Däne gewinnt dann Eigengut in Herrn Karls Reich und offenen Eingang.« – »Aber ich fürchte, das hat nun gute Wege. Der Sachse hält sich streng ans Recht.« »Das kann man brechen!« rief Fortunat. »Ein rascher Ritt: – in einer Nacht ist's getan! – der Lümmel erschlagen: – dir der Hof – mir die herrliche blonde Herrin und – als Zugabe – die zierliche schwarze Magd!« Graf Hardrads Auge blitzte, wie gewährend; er griff ans Schwert. »Nichts da!« warnte der Priester. »Wohl ist das leicht, rasch geschehen. Aber dann kommen die Kaiserboten!«

Der Graf fuhr zusammen. »Das ist der verfluchteste Strick,« grollte er, an dem roten Bart zerrend, »den dieser Karl um freier Männer Nacken geworfen hat!« »Ja, ja, die Kaiserboten!« fuhr der Priester fort. »Je ein Bischof und ein Graf, aus himmelferner Provinz, unbekannt, unbestechbar, parteilos bei den Streitsachen der Grafschaft. Und sie rufen alle Geistlichen und alle freien Männer des Gaues zusammen und fragen sie aus über alles Unrecht, das etwa im Laufe des Jahres, Graf oder Vizegraf, oder Abt oder irgendein Amtmann verübt! – Vereidigte Rügeschöffen fragen sie besonders. Die trifft der Tod, schweigen sie. Aber sie schweigen nicht! Gar gern decken sie auf jede Gewalttat der Beamten. Und wenn nur einer von den Hunderten redet, die da erfahren müssen, daß dort, an der Eiderfurt, ein Hof ausgemordet ward; – dann wehe dir, Graf Hardrad.« »Es ist wahr,« zürnte der. »Der Sachse muß ins Unrecht. Anders geht es nicht. – Horch, was ist das? – Das Walltor wird geöffnet – ein Weib – auf einem Gaul. – Es springt ab: – es wird hierher geführt. – Du erhältst Besuch, Fortunat!«

»Da wollen wir doch lieber gehen,« meinte der Priester und erhob sich. »Ja, gehen wir,« lachte Hardrad.

»Nein! Bleibt, Herr Graf,« rief da eine weibliche Stimme, und schon ward oberhalb der Öffnung ein schwarzer Lockenkopf sichtbar – schon sprang jetzt die schlanke Gestalt von der letzten Leitersprosse nach oben – schon lag sie zu den Füßen Fortunats.

»Nimm mich, Herr,« rief sie außer sich. »Ich bin dein.« Und sie umschlang seine Kniee mit den Händen. Ihr Atem flog, ihr Busen wogte: sie zitterte am ganzen Leib. Er hob sie nicht auf: »Und der einzige Mann, der lebt?« höhnte er, sich herabbeugend.

»Zertritt ihn, wie er mich getreten hat. Du kannst es: du mußt es. Er, Volkfried der Sachse, ist ein Verräter! Er und sie – die Verhaßte! Sie pflegen in ihrem Hof einen Waldgänger, einen Verbannten!«

*

 

Siebentes Kapitel.

Am Abend darauf saßen in der Halle des Hofes »bei den Volkingen«: – so hieß das Gehöft an der Eiderfurt: seit grauer Vorzeit hatten darin die Söhne des Volko gewohnt, die zuerst den Wald hier gerodet und aus den gefällten Eichen das Haus aufgezimmert hatten – auf der Bank an dem Herdfeuer die beiden Kinder, links und rechts geschmiegt an einen Mann von etwa sechzig Jahren, der in rauhe Felle gekleidet war: das graue, aber noch dichte Haar reichte nur bis an das halbe Ohr.

Der Alte saß vornüber gebeugt und schnitzelte mit leicht gekrümmtem Messer an einem schmalen Schaft, den er gegen seine Brust und gegen den gestampften Lehmboden der Halle angestemmt hielt; rasch glitten die Späne hernieder.

Die Frau saß, ihnen gegenüber, auf einem erhöhten Stuhl, oberhalb dessen sich eine im Halbkreis geschnittene Lehne erhob; sie ließ gar emsig die flachsumwobene Spindel schnurrend auf dem Estrich tanzen; aber oft flog doch ihr Blick hinüber zu den Kindern.

Weil du nur wieder da bist, Heimo,« sagte das Mädchen und streichelte dem Alten die wetterbraune Wange. »Ich sorgte um dich! So ganz allein – auch die Nächte! – im Eichicht. Die Waldfrau soll dort wohnen.« »Die Waldfrau wohnt dort, das ist gewiß,« sprach Heimo ernsthaft, den Schaft vor sich hinhaltend und mit dem Auge prüfend. »Aber die tut mir nichts zuleide. Im Gegenteil. Die schützt meinen Schlaf.« Die Frau horchte auf: – sie wollte unterbreche»; aber sie sah, wie begierig beider Kinder Augen an des Alten Munde hingen: – und sie schwieg.

»Warum? Woher weißt du das?« fragte Volkbert eifrig. – »Weil ich nie versäume, von meinem Nachtmahl ein wenig Milch und Brotkrumen vor der Holzhütte zu sprengen und zu verstreuen. Davon naschen gar gern die Waldwichtlein in der Königin Gefolge.«

»So ist sie eine Königin, die Waldfrau?« forschte das Mädchen. »Geht sie auch unter Krone?« – »Sie braucht keine. Ihre Krone ist ihr goldig Haar –: das trägt sie siebenmal um das Haupt gezöpft. Aber ein golden Halsgeschmeide trägt sie.«

»Hast du sie denn gesehen?« meinte der Knabe.

»Muß man alles gesehen haben, was da ist? Hat der Mönch Fidus schon den Schutzengel gesehen, von dem er soviel zu sagen weiß?« Da sprach aber die Frau: »Das ist doch nicht gleich! – Du sollst den Kindern nicht so viel erzählen von den Waldwichten. – Ist das Kreuz fertig, das ich dich – zur Strafe – habe schnitzen lassen?« – »Jawohl! Steht auch schon an – seinem Ort. – So, jetzt ist der Schaft überall gleich gerundet, mein' ich. Das ist die Gabe, die ich dir mitzubringen versprach aus dem Eichenwald, – ward nur nicht ganz fertig damit. Da, Volkbert, wäg' ihn einmal. Ist er so handgefüg?« »Herrlich!« rief der Knabe, den Speer schwingend. »Und doch auch schwerer als der letzte war. Das wiegt doch!« – »Alle neun Monde etwas schwerer. Denn alle neun Monde mehrt sich die Kraft dem Mann, – bis sie wieder abnimmt! – Ich werde alt und schwach!«

»Mußt dich nicht mehr so schwer mühen, Heimo,« mahnte die Frau. »Wir wollen einen Knecht kaufen statt der entlaufenen Wendin.« »Hi!« lachte der Alte. »Weißt du, Frau, was das Beste ist an der? – Gar nichts? O doch! Eben daß sie entlaufen ist. Die war nicht geheuer! War von den Dunkelelben, mein' ich.« »Wo der Herr nur bleibt?« rief die Frau und warf einen Blick durch die halboffene Tür. »Er kann noch nicht zurück sein,« tröstete der Alte. »Wollte er doch bis an den oberen Deich. Das ist weit.« »Erzähle was, Heimo,« rief Volkbert. »Ja, erzähle, guter Heimo,« bat das Mädchen. »Aber nicht von den alten« ... die Frau hielt inne: »Göttern« hatte sie sagen wollen – »nicht von den alten Gewalten.« »Das hör' ich aber doch am liebsten,« schmollte der Knabe. »Nun, so erzähle von Herrn Karl.« »Ja, und von seiner guten, schönen Königin, Frau Hildigard,« mahnte die Kleine. »Nein! Von der Schlacht, darin du ihn selbst gesehen. Und vom Vater – und von Herzog Widukind!« – »Habt's ja schon oft gehört.« – »Du hast immer wieder was Neues zu sagen, man muß dich nur recht ausfragen! Also: wie war's? Gib acht, ob ich den Anfang noch weiß! Also: weil die Sachsen wußten, der Herr Karl weile fern jenseit der großen Berge, war Herr Widukind aus den Dänenmarken, wohin er geflüchtet, zurückgekehrt und alle Sachsen nördlich der Elbe und die südlich in Wigmodia folgten ihm wieder zum Kampf. Und sie schlugen die fränkischen Grafen in zwei Treffen und trieben sie vor sich hin an die Weser. Und auch in dem dritten Gefecht an der Weser wankten bereits die Feinde und ...« Begeistert fuhr der Alte fort: »Auf grauweißem Roß sprengte Herzog Widukind voran wie Siegvater Woden ... –« Da fiel das Mädchen ein und schlug ein Kreuz: »Ab sag' ich Woden und Donar und Sassenot und allen den Unholden, die ihre Genossen sind.«

»Recht, Lindmuth,« lobte die Mutter, »du bist ein frommes Kind ...«

»Und wir folgten, zu Fuß in dichten Haufen, Speer an Speer,« erzählte der Knabe. »Du warst aber doch noch nicht geboren!« lachte die Mutter. Er ward feuerrot: »Das ist gleich. Heimo erzählt so. Und auch Heimo war dabei. Denn auch die Knechte hatte man in solcher Volkesnot gewaffnet. Aber plötzlich sprengte aus dem Wesertann eine starke Schar von Gewaffneten, vorauf ein Gewaltiger, ganz in Eisen gehüllt, ganz eisengrau. ›Herr Karl!‹ riefen da die Franken. ›Herr Karl ist zurückgekehrt! Unser ist der Sieg!‹«

»Und viele Sachsen erschraken,« fuhr Heimo fort, »denn sie erkannten ihn. Aber nicht erschrak Herzog Widukind.« – »Und nicht der Vater ... –« – »Der Herzog zu Roß ... –« – »Der Vater zu Fuß, an seines Rosses Mähne sich haltend, und neben ihm vorbeispringend ... – »– »So drangen sie vor gegen Herrn Karl.« – »Wohl deckten ihn treulich seine Grafen und Paladine ... –« – »Aber der Herzog schlug einen und zwei und drei ... –« – »Und der Vater traf zwei zu Tode ... –«

»Und so hatten sie Herrn Karl erreicht. Der aber zagte nicht vor den zwei so starken Männern. Die Speere warfen sie, des Herzogs Wurf ging fehl, zum Staunen der Seinigen: aber Herr Karl fehlte nicht: er warf den Lindenschild Widukinds durch und durch, blutend stürzte der Held vom Roß, seine Gefolgen trugen ihn aus dem Getümmel: die Sachsen flohen ... –« – »Aber nicht der Vater! Der sprang an Herrn Karls schildlose Seite, und bevor der König das lange Schwert ziehen konnte, hatte der Vater den Sachs gezückt und holte aus zum tödlichen Stoß wider sein Antlitz« ...

Da hielt der Knabe plötzlich inne.

»Was stockst du?« schalt die Frau. – »Es verdrießt mich jedesmal.« Auch Heimo schwieg; er schaute unwirsch ins Herdfeuer. »Es soll dich nicht verdrießen,« rief da Lindmuth. »Es ist keine Schande für den Vater, daß der Himmelsherr nur durch ein Wunder den großen Karl erretten konnte vor seinem Arm. Und daß er unsern Vater gewürdigt hat, ihn durch ein Wunder zu bekehren. Denn wie war's? Als der Vater zielte auf des Königs Antlitz, – da mußte er ihm scharf ins Auge sehen: und der Herr König, furchtlos, obwohl jeder Waffe bar, erwiderte den Blick: – und – ...«

»Und so gewaltiger Glanz,« fuhr die Frau fort, »leuchtete aus diesen Augen nieder, so verklärt war das erhabene Antlitz, daß Held Volkfried, der noch nie gezagt, niederstürzte, wo er stand, neben des Königs Roß, die Waffe fortwarf und ausrief: ›Herr Karl, mit dir ist der stärkste Gott!‹«

»Ja,« fuhr Lindmuth fort, »und nun waren die Paladine alle heran: Herr Wilhelm von Toulouse und Herr Erich von Friaul und alle, und ein kampfgrimmer Alamanne ... –« »Herr Gerold selber war's, des Königs Schwäher,« fiel der Knabe ein, »der schwang die Streitaxt über des Vaters Haupt ... –«

»Da spreitete,« fuhr Lindmuth fort, »Herr Karl vom Roß herab seinen blauen Mantel über den Vater und wehrte den vielen Waffen der Paladine und rief: ›Der Mann bleibt leben! Er ward mein: – durch Christus den Herrn.‹«

»Und als ich sah,« hob nun Heimo wieder an, »wie mein Herr Herrn Karl sich ergab, da warf auch ich den Streitkolben weg und trat an seine Seite. Und war das die letzte Schlacht, die Herzog Widukind schlug wider den Herrn Karl.«

»Denn er sprach zu seinen Gefolgen,« ergänzte das Mädchen: »›Wahrlich, nun erkenne ich, daß sein Gott stärker ist denn die unsern. Nie hab' ich meines Feindes gefehlt auf halbe Speerwurfslänge! Sein aber fehlte ich! denn als ich auf ihn zielte, ganz scharf, haarscharf, da brach plötzlich die Sinkesonne aus dem Gewölk und schien mir grell in die Augen und mir war, goldene Strahlenpfeile hoch vom Himmel her schossen mir durch die Wimpern. Und ich blinzle und warf und – fehlte. Er aber traf!‹ Und alsbald schickte der wunde Herzog Boten an Herrn Karl, wenn der ihm sicheres Geleit verspreche, wolle er zu ihm kommen in seine Pfalz und die Taufe nehmen und Herrn Karl Treue schwören. Und gern gewährte das der König. Und so geschah's gar feierlich.«

»Und mit ihm nahm auch euer Vater die Taufe,« sprach die Frau, »und tat den Eid. Und unverbrüchlich haben beide seither die Treue gehalten, Herrn Christus und Herrn Karl. Das sollten sich Geringere merken.« Heimo verzog das Gesicht. »Ja, ja, schon recht. Zumal was Herrn Karl angeht. Dem hab' ich ja geschworen, als ich freigelassen ward. Was aber den Herrn Christus angeht ...« »Du hast den Taufbund mit ihm geschlossen,« mahnte die Frau. – »Aber recht ungefragt! Ganz gröblich haben sie mich dabei angefaßt. Ja, wie sie den Herzog tauften und unsern Herr« zu Attigny – ich stand ja dabei – der unsichtbare Gesang von oben her und die vielen hundert Kerzen und der süßliche Rauchqualm aus goldenen, durchbrochenen Gefäßen, die kleine Knaben schwangen, – ganz betäubt ward einem dabei; und beinah' übel! Und war alles sehr geheimnisvoll und großfeierlich. Aber mit mir machten sie's weiland anders. Gleich nach jener Schlacht an der Weser wurden wir geringen Gefangenen zusammengetrieben an dem Ufer, wohl ein paar hundert auf einmal, von Frankenreitern und mit den Speerschäften zurecht geschoben, so recht wie eine Herde Schafe. Und dann kam ein Bischof und weihte das Uferwasser der Weser, und nun hieß es: ›vorwärts allzuhauf! Da hinein! Und untergetaucht! Als Heiden hinein, als Christen heraus. Wer sich sperrt, wird erstochen.‹ Und das Wasser, in das sie mich hineinschoben, war schon ganz blutig. Denn manche hatten's gar nicht verstanden, was die Franken da auf fränkisch, der Priester auf römisch von ihnen verlangten, andre hatten gut verstanden, aber nicht gewollt. Sie alle wurden flugs erstochen. – Und so stieg ich wieder heraus – halb mit Blut getauft und – mehr als halb –! wider Willen.«

»Du mußt's doch halten,« sagte der Knabe ernsthaft. »Hättest dich ja auch erstechen lassen können.« – »Ja, ja, so sagt der Herr; und von dem hast du's gelernt.« »Oder geerbt,« sprach stolz die Frau. »Es wird schon so sein müssen. Nur verlangt nicht, daß es mich freuen soll auch noch!«

»Aber!« verwies Lindmuth. »Du kommst doch nun in den Himmel.« »Wer weiß?« meinte der Alte. »Und wenn auch, – ich glaube kaum, daß es mir da so recht gefallen wird.« »Lästre nicht,« schalt die Frau. »Warum soll es dir dort nicht gefallen?« – »Warum? Weil es gerade wieder sein wird wie zu Aachen, wo es mir auch nicht – aber gar nicht! – gefallen hat. Gold, Weihrauchduft und Singen! Singen in fremden, leisen Sprachen, die ich nicht verstehe. Auf dem Throne der Himmelskönig mit dem langen weißen Bart, – ganz wie Herr Karl zu Aachen! – um ihn her die Erzengel und die Großheiligen, die Himmelspaladine! Und wir geringes Volk? – Ganz hinten, draußen, in den nassen Wolken. Und immer nur beten! In Walhall gab es Kampfspiel und Met und« ... –

»Horch,« rief die Frau und sprang auf. »Das ist Hofwarts Gebell.« – »Ja, er grüßt den Hof, sobald er ihn sieht vom Waldrand aus!« »Der Vater! Dem Vater entgegen.« Fort waren beide Kinder. Auch die Frau legte die Spindel nieder und schritt zur Türe hinaus in den Hofraum.

Die Sonne sank; sie hatte das Regengewölk durchbrochen; in hellem Schein lagen Anger und Wald; in die Pforte seiner Hofwehre schritt die hohe Gestalt Volkfrieds, ganz aufgerichtet: er trug schwer, der Starke, an dem Rehbock, dessen Läufe um den Jagdspeer über der Schulter zusammengeschnürt waren; die Kinder hielten ihn links und rechts an den Armen; die Frau reckte ihm beide Hände entgegen.

Auch Heimo war herangehinkt: er stand nun in der Hallentür und sah auf die Gatten. »Die mögen sich immer noch, wie am ersten Tag. Fast allzu jung für so reife Leute! Nun haben Kampf und Leid genug auszustehen gehabt, bis sie sich gewannen.« Und leiser fuhr er fort: »Frau Frigg und du, guter Donar, schütz ihnen Herd und Haus! – Wenn's recht von Herzen geht, muß ich euch anrufen, nicht die Heiligen. Der Hofherr und die Frau opfern den Heiligen in der Steinkapelle, ich opfere den alten Göttern unter der alten Esche. Wißt ihr was, Götter und Heilige? Schützt sie reihum.«

*

 

Achtes Kapitel.

Volkfried war sehr müde von dem weiten Weg im feuchten Waldgrund und von der Jagd. Bald nach dem Abendessen wies er Heimo fort, er wolle sich schlafen legen.

»Ich hörte viel Hundegebell,« sagte dieser aufstehend, »im Eiderwald. Auch Hörnerblasen.« – »Die Frankengrafen von Badenfleth jagten.« – »Auf Wölfe?« – »Nein, auf Waldgänger.« – Heimo sah scharf in seines Herrn Antlitz, aber der verzog keine Miene; der Alte seufzte und ging; er schlief in der Hütte an der Furt.

Bald schlummerte Volkfried; aber die Frau an seiner Seite fand keine Ruhe. – –

Nach ein paar Stunden schlug der Hund an, heftig, zornig, dauernd. Sie warf einen Blick auf Volkfried; der schlief ruhig. Da schlug ein verhaltener Ruf an ihr Ohr: »Muthgard, hilf!« –

Sie war schon aus dem Lager; sie warf das mächtige Wisentfell ihres Mannes um die Schultern, schob geräuschlos den Holzriegel der Halle zurück und eilte durch den Hofraum. Es war ganz finstre Nacht; nicht Mond noch Stern stand am Himmel. »Volkhelm – du bist's?« – »Ich bin's.« – »Schon wieder da! Ich hab' dir's doch verboten. Du hast versprochen, damals, es solle das letztemal sein.« – »Heut' ist's, – glaub' ich, – das letztemal! Ich bin wund! – Da – im Rücken – der Pfeil! Sie haben mich gehetzt – den ganzen Tag – mit Hunden.« – »Unseliger!« – »Laß mich hinein! Nur noch einmal am Herdfeuer liegen! Mich fröstelt. Rufe den Hund ab.« – »Du weißt: ich darf nicht. Ich tat schon mehr für dich, als mein Gewissen ertragen kann. Aber ich weiß, wie er dich liebt.« – »Er! – Der Bruder, der mich umkommen läßt! Laß mich ins Haus!« – »Niemals!«

»Gib mir zu trinken! gib mir Brot! Schneide mir den Pfeil heraus! Du kannst's so gut! Ich verende sonst im Wald, wie ein weidwunder Hirsch.«

Die Frau überlegte. »Wundenpflege? Das steht nicht unter den Verboten. Aber speisen und tränken!« – »Du hast es vorige Woche getan!« – »Das steht unter den Verboten! Ich tu's nicht mehr. Ich kann Volkfried nicht mehr in die Augen sehn. Warte hier! Nicht über die Schwelle! Ich hole ... –«

Sie wandte sich und schrie auf – Volkfried stand hinter ihr. »Mein Weib erschrickt vor mir,« sprach er sehr traurig, aber ohne Vorwurf im Ton. »Das ist hart.« – »O Volkfried! Ich tat's nur um deinetwillen.«

»Ich weiß. Aber auch um meinetwillen durftest du Herrn Karls Recht nicht brechen –! Schweig! Den Pfeil magst du ihm ausschneiden.« Sie ging. Volkhelm drängte herein: »Laß mich – ins Haus.« – »Nein.« Er schob ihn mit dem Arme von der Schwelle.

»Bruder! Bruder! Hast du vergessen, wie mich der Vater sterbend dir empfahl?« – »Ich tat das Meinige an dir.« – »Es ist wahr – wie ein Vater. Aber kannst du mich jetzt von deiner Schwelle weisen?« – »Ich muß. – Warum brachst du deinen Eid?«

Der Wunde lehnte sich ächzend an den Zaun. »Gezwungenen Eid! Sie hatten mich gefangen mit vielen andern. ›Tod oder Taufe,‹ hieß es. ›Tod oder Treueschwur.‹ Die Speerspitzen standen auf unsern nackten Leibern. Ich schwor.« – »Drum mußt du's halten. Mancher – unser Oheim Volkhard – stieß sich selber den Frankenspeer, der auf seiner Brust stand, ins Herz. Du aber? – Du schwörst Herrn Karl Treue und sobald ein paar Nachbargaue wieder losschlagen, verläßt du den Hof, den ich dir bauen half, und eilst zu den andern Eidbrechern. Gar rasch wurdet ihr zersprengt! Ich sage dir – und ein viel Weiserer und Kühnerer als ich – Herzog Widukind selbst! – hat dir's gesagt: es ist umsonst. Herr Christus ist stärker als Woden und Herr Karl ist stärker als wir. Sei treu oder stirb!«

Da schlug der Hund, der schon vorher leise geknurrt hatte, an: zornig bellend sprang er zur Pforte hinaus und um die Ecke nach dem Flusse hin: aber sofort verstummte er dort.

Jetzt kam Muthgard aus dem Hause zurück. Sie trug einen brennenden Kienspan in eiserner Stange mit je einem Öhre an jedem Ende; sie steckte das leere Öhr in einen spitzen Pfahl des Zaunes und trat zu dem wunden Mann. Die Fackel warf ihr flackernd Licht auf ihn: er sah wohl Volkfried ähnlich, aber er war etwa fünfzehn Jahre jünger, der Wuchs schlanker, schmächtiger; sein Haar war viel dunkler, fast braun; und nun war das schöngebildete Gesicht sehr hager: wilde Leidenschaften, Rachgier, Haß und Zorn und zuletzt der Mangel, das Elend hatten es vor der Zeit mit tiefen Falten durchfurcht; die Wangen lagen eingefallen, ein irres, unstetes Feuer loderte aus den dunkelgrauen Augen; Haar und Bart waren arg verwildert, Moos und Grashalme staken darin; barhäuptig, barfüßig stand er da auf den Pfahlzaun gelehnt, ein zerfetztes Wolfsfell, um die Hüften mit einem Schiffstau geknotet, sein einzig Gewand, einen Speerstumpf – die Spitze war abgehackt, – hielt er in der Faust; er zitterte vor Schmerz, er fröstelte vor Fieber.

»Da,« stöhnte er, »da rechts in den Rippen.« Sie prüfte die Stelle mit zart tastender Hand: er zuckte doch zusammen. »Das tut sehr weh,« sagte sie. »Bah!« Er biß die Zähne übereinander. – »Aber es ist nicht zum sterben. Der Pfeil wird leicht herausgehen. Er hat nur einen, nicht zwei Haken.«

»Bruder,« begann Volkhelm aufs neue, »kenntest du das elende Leben im Wald! Von Hunden gehetzt! Auf Bäumen schlafen, festgebunden mit dem Gürtel, um nicht im Schlaf herabzustürzen! Von den Waldbeeren leben und von rohen Fischen und rohem Wild, solang ich's glücklich erjagte: Feuer zu machen darf ich nicht wagen. Und jetzt erleg' ich nicht mehr Wild und Fisch: alle meine Pfeile sind seit dem letzten Gefecht verschossen; meinen Speer – siehe den Stumpf! – zerschlug mir der fränkische Reiter. Gib mir einen frischen Speer!« – »Um keinen Preis! Du hebst ihn wider Herrn Karls Heerleute.«

»O, so laß mich nur bis meine Wunde geheilt ... – Hui, das tat weh!« »Hier ist der Pfeil! Er ist heraus,« flüsterte Muthgard. »Nun linde Salbe in die Wunde! – Das tut dir gut, nicht wahr?« – »Dank, Schwägerin!«

»Bruder, ich kann's nicht glauben von dir! Du –! Die Eider krachte im Eisgang – ich war eingebrochen – du sprangst hinein in den eisigen Tod und brachtest mich heraus. Ich lag unter dem Gaul, den der Wisent durchbohrt hatte: das Untier senkte den Kopf, mich zu spießen – du packtest den Stier am Horn und rissest ihn gegen dich und erstachst ihn. Dein Leben hast du – mehr als einmal! – eingesetzt, mich zu retten – und nun stößt du mich von der Schwelle? Ich habe nirgend ein Obdach! In meinem Hof – er ist eingezogen vom Kaiser! – hausen die Franken. Ich bitte dich – laß mich nur – nicht in deinem Haus, aber in dem Erdgang darunter, dem geheimen, liegen, bis die Wunde geheilt ...«

Volkfried seufzte tief auf. »Auch dort ist mein Grund und Boden! – Mein Leben für dich lassen? Ich tät's auch heute noch. – Aber nicht die Treue.« – »Nichts, gar nichts tust du für mich?« – »Was ich kann. Der Hof hier ist alles, was ich habe: – er ist mir lieb, sehr lieb. – Ich will morgen aufbrechen, zum Kaiser, nach Aachen: ich bitte ihn, dir Gnade zu schenken. Dafür biet' ich dem Kaiser meinen Hof.« »Volkfried!« rief die Frau erschrocken. »Und wohin gehst du dann?« – »Ins Elend. Mit Weib und Kind. Das kann ich tun für dich, Bruder. Das andre nicht.«

Volkhelm fuhr auf. »Sorge nicht, Schwägerin! Das nehm' ich nicht an. Lieber verend' ich im Busch. Oder« – schrie er plötzlich wild – »ich tue was andres! – Was dich und deine Franken wenig freuen soll! Du aber, – mögest du's nie bereuen, Hartherziger, daß dir der Kaiser, der fremde Zwingherr, der vom Blut der Sachsen trieft, teurer war als der nächste Gesippe, als der eigene Bruder.« Er sprang von dem Zaun weg gegen den Wald zu, verzweifelnd.

»He, he, eile nicht so,« flüsterte es da aus dem Dunkel. Der Flüchtling hob drohend den Speerstumpf. »Ich bin's, Heimo. – Ruhig, Hofwart, nicht knurren! – Hab' alles gehört. Fast hätte der Hund mich verraten. Hätte dich fast nicht mehr eingeholt, – kann nicht so laufen mit dem lahmenden Fuß. – Sage: du kennst die Heidenesche im Südwald?« – »Den Wodensbaum? Gewiß!« – »Nun gut. Ich – ich opfere dort in den hohlen Stamm, den alten Göttern: Speck, auch Brot; fortab will ich auch gebraten Pferdefleisch da opfern. Ob's Wodens Raben holen oder – sonst wer – mir ist's gleich. Ich opferte alle sieben Nächte: fortab – alle drei.« – »Dank, treuer Heimo, Dank!« Er war verschwunden im Dunkel der Nacht und des Waldes.

*

 

Neuntes Kapitel.

Die Gatten gingen schweigend in das Haus zurück. Die Frau leuchtete mit dem Kienspan in sein Gesicht: er wandte sich ab. »O Gott!« rief sie: »Schilt mich, schlage mich! Aber nicht dieses stumme Weh –! Es stößt mir das Herz ab.« »Laß gut sein,« sagte er traurig. »Ich muß es nur erst lernen, daß du Heimlichkeit hast vor mir.« – »Ich tat's ja nur ... –« – »Aus Liebe zu mir. – Aber es war doch schweres Unrecht. – Es wird uns alle verderben.«

»Warum? Kein Mensch weiß darum.« – »Die Wendin.« – Woher weiß die ... –?«

»Sie hat dich bei mir verklagt. Sie hat dich mit ihm flüstern gehört. So hat sie wohl auch gesehen, daß du ihn speistest und tränktest!« – »Du hast sie aus dem Feuer gerissen! Wie könnte sie gegen dich ...?« Er zuckte die Achsel». »Und wenn's auch niemand sonst wüßte ... ich weiß es nun!«

Da schrie sie grell auf, ließ die Kienfackel fallen, daß sie erlosch, und griff mit beiden Händen nach seinen beiden Wangen. »Volkfried – magst du mich nicht mehr? Verwirfst du mich?« – »Wie könnt' ich dich nicht mehr lieb haben – so lange ich dies Herz in der Brust trage?« Er sprach ganz sanft, aber sehr traurig. »Allein es geht mir nicht aus dem Sinne, daß ...« Er stockte. – »Was, Volkfried, o was?« – »Es peinigt mich, seit mir's die Elende gesagt hat! Ich konnte mich deiner, – der Kinder nicht mehr freuen seitdem! Ich meine, ich ... Nein! ich will nichts übereilen! Ich muß es – langsam! – ganz durchdenken. Ich will – gewiß! – nichts darin rasch tun! – Aber – ich fürchte – es – muß – sein.« – »Was? Was? Ich vergehe vor Angst bei deinen stockenden Worten! Was sinnest du?« -»Der Kaiser – muß es wissen!« stieß er nun rasch heraus. – »Du – du selbst – willst mich ... anzeigen?« – »Ich sorge: die Treue verlangtes.« – »Volkfried –!« – »Ich weiß, daß es ausdrücklich unter den Verboten steht – ›speisen und tränken!‹ – Es ward so verlesen dem Grafending. – Und ich hab' es dir auch gesagt? Oder« – und ganz freudig fragte er nun: »hab' ich dir dies Eine gerade vielleicht nicht gesagt? – Nur das vom ›hausen und hofen und herbergen und waffnen‹ – aber dies Eine nicht? O sag: nein!« Sie senkte den Kopf. Sie weinte leise. »Du hast mir's gesagt!«

»Das ist hart. – Aber ich weiß nicht mehr, welche Strafe dafür gedroht ist. Ich achtete nicht darauf! Wie könnt' ich denken, daß mein Weib ...« – »O Volkfried!« – »Auch saß ja damals, wie das verkündet ward, der Bruder noch ganz ruhig in seinem Hofe; hab' ich dir – damals – auch die Strafe gesagt?« – »Nein! Nur die für das Hausen und Hofen ...« »Darauf steht der Tod!« Er erbebte: sein starker Leib zitterte heftig. – »Vielleicht ist doch das Speisen und Tränken gelinder bedroht.« »Ich fürchte mich nicht, zu sterben,« sprach sie fest. »Nur dich verlassen – so früh! – und die Kinder! – Und das Ärgste daran ist –: » »Die Schande!« – »Die Schande!« Beide Gatten sprachen das Wort zugleich.

»Wenn dir die Treue gebeut,« fuhr sie fort, »es anzusagen, so tu's gleich – morgen. Sonst zehrt es dir an der Ehre. Du mußt es dann tun.« »Ja,« sagte er ganz ruhig, »dann muß es sein. Jedoch – ich – seh's noch nicht klar. Die Liebe sagt: nein, die Treue sagt: ja. – Aber es ist noch was in mir – ich weiß nicht, was es ist – das spricht auch und sagt: ›Nein! Das Ansagen wäre nur eine Wildheit des Stolzes.‹« – »Wäre nur Fidus da, der gute Mönch! Der wüßte Rat!« – »Freilich, du mußt es beichten. Aber der Mönch, – der kann mir das nicht entscheiden! Die Kirchenbuße, ja: die wird er dir auflegen –! Aber dann – ich mein', ich hör' ihn schon! – dann sagt er: ›damit ist's abgetan‹. Aber für mich ist's damit nicht abgetan. Herrn Christus ward damit sein Recht, nicht Herrn Karl. ›Das ist eitel Stolz, – sündhafter Mannesstolz‹ – wird der Mönch sagen. Aber das eben ist's: ein Mönch ist kein Mann! In der Heidenzeit hielt man so trotzig auf die Ehre der Treue! Soll das nun nicht mehr gelten? – Ich glaube doch: ich muß!«

Sie richtete sich hoch auf: »Dir jeden Zweifel zu sparen« – sie sprach es ganz gelassen – »tu' ich's selbst. Morgen ... –« – »Ich verbiete dir's! Du hast gar nicht zu sprechen. Ich, dein Muntwalt, spreche vor Gericht für dich, und – muß es sein – gegen dich! Aber erst muß ich's ruhig, – gar langsam – durch und zu Ende denken. In der Hast folgen wir beide nur dem Drange der hochgemuten Herzen – auch in das Unnötige, Unsinnige hinein.« –

Demütig schwieg sie und lehnte das schöne Haupt an seine Schulter.

»Und – wenn es sein muß – wem – wem willst du's ansagen?«

»O Schmach und Elend! Dem Grafen ...! Ihm müßte ich's ansagen. Den hat uns der Herr Kaiser gesetzt, ihn selbst zu vertreten. Aber dieser Graf! Mein Todfeind! Der jahrelang mich gequält – gegen Herrn Karls Recht! Wer bürgt mir, daß er mir nicht wieder falsches Recht, – Unrecht – spricht? Deine Strafe – aus Bosheit – erhöht wider das Recht? Ich kann ihm nicht mehr trauen! Das kann Herr Karl nicht verlangen! – Aber halt: da ist der andre, der Vizegraf! Der hat freundlichere Weise, – der hat mich noch nicht belogen. – Wenn ich Herrn Fortunatus dich, deine Sache überwiese ...?« »Nein,« fuhr sie auf. »Lieber springe ich in die Eider. Jetzt gleich –!« Sie riß sich los von ihm.

»Oho! – Halt!« – Er griff sie am Arm: »du zitterst ja am ganzen Leibe! Ist's vor Furcht?« – »Nein!« – »Was kann's dann sein –? Ah, –! Ich hörte sagen: er ist arg verbuhlt. Hat er gewagt ...? – Ja, ja, es kann nichts andres sei«! Der Bube! – Er soll nicht mehr leben!« Er schrie, daß der Hund bellte, wie seinem Herrn im Zorn zu helfen. Was, ... was hat er gewagt?« – »Er griff nach mir ... – .«

Volkfried stöhnte: »Und auch das hast du mir nicht gesagt!« – »Wozu? Ich half mir selbst. Ich schlug ihn ins Gesicht, daß er umfiel: dort – in der Türe – lag er. Ich hätt's nie gesagt. Wozu dich ergrimmen? Aber mich – meine Strafe – dem anheimgeben –!« – »Ich schlag' ihn tot, sobald ich ihn sehe.« – »Volkfried! Dann mußt du sterben, wie – vielleicht – ich.« Er hielt hart atmend inne. Plötzlich rief er laut: »Es hilft nur Eins! Es kann nur Einer helfen.« – »Wer?« – »Herr Karl! Sein Recht hast du gebrochen, nicht dieser elenden Grafen. Wir müssen zu Herrn Karl.« – »Das ist ein weiter, ein harter Weg!« – »Wir müssen. Er ist der höchste, der rechte Richter. Herrn Karls Recht soll über uns ergehen.«

*

 

Zehntes Kapitel.

Der folgende Tag war trüb, stürmisch, regnicht; dichte graue Wolken lagen über Wald und Strom; der Rauch des Herdfeuers ward vom Winde niedergedrückt, vermochte nicht, aus den Dachluken abzuziehen.

Die Gatten saßen um Sonnenuntergang in der Halle beisammen, schweigsam. Beide, zumal Volkfried, machten niemals viel Worte; auch was sie am tiefsten bewegte, ward nicht voll ausgesprochen. So hatten sie auch die Vorgänge der verwichenen Nacht und die schwere Sorge ihrer Herzen nicht weiter beredet. Aber jeder der beiden traf, ohne Verabredung, für sich allein handelnd, Vorbereitungen zu der bevorstehenden weiten Reise. Die Frau räumte in dem Haus umher. Der Mann holte aus dem Stall einen mächtigen Rucksack, füllte ihn mit Brot, mit etwas Salz, mit geräucherten Fischen, mit getrocknetem Fleisch. Dann stellte und legte er auf dem Estrich in der Halle des Hofes Speere, Schwerter, Streitäxte, Schilde zusammen, vor dem Aufbruch die besten daraus zu wählen.

Der Knabe mahnte, es sei wohl bald Zeit, das Nachtmahl einzunehmen. »Ich warte nur auf Heimo,« sagte die Frau. »Er brennt Kohlen im Südwald.« »Da kommt er,« rief Lindmuth, aus der Türe blickend. »Was hat er nur? Ganz eilfertig kommt er gehumpelt.« Atemlos schleppte sich der Alte über die Schwelle: »Flieht!« rief er. »Sie kommen!«

Ruhig stand Volkfried auf: »Wer kommt?«

»Der Graf! Und der Vizegraf! Und eine ganze Schar! Ich sah sie reiten im Walde. – Sie bogen von der Heerstraße ab – hierher!«

Muthgard erbleichte: sie heftete die Augen auf ihren Mann. – Der schritt gegen die Türe. »Nicht doch, Herr! Lieber Herr!« rief Heimo, sich ihm entgegenwerfend. »Flieht! – Durch den Erdgang! Ihr und die Frau! Ich bleibe hier im Hof mit den Kindern bis ... –« Volkfried schob ihn schweigend beiseite.

»Herr! Glaubt! Es sind zu viele! Wir können nicht Widerstand leisten.« Da griff Volkfried rasch unter die gehäuften Waffen: eine mächtige, eine langgeschaftete Streitaxt schwang er auf die Schulter und schritt ohne Hast, ganz langsam, hoch aufgerichtet, über die Schwelle seines Hauses. Heimo raffte ein Schwert auf und folgte ihm eilig; aber schon vor ihm war der Knabe, seinen neuen Wurfspeer schwingend, hinausgehüpft. Muthgard folgte, die Kleine an der Hand führend.

Als Volkfried die Pforte des Pfahlzauns erreicht hatte, sprengten die Reiter aus dem Wald auf die Blöße. Neben dem Haferfeld führte ein breiter Fahrweg, den die zwei Reisigen an der Spitze einschlugen. Aber der nun folgende Reiter – Volkfried erkannte den Grafen – spornte sein Pferd rechts ab: mitten in das Haferfeld hinein setzte der Rappe, alle die übrigen Gäule folgten ihm nach und trabten scharf auf den Hof zu, die Ernte zerstampfend.

»Auch das soll Herr Karl erfahren,« knirschte der Sachse; er öffnete die Zaunpforte und trat in dieselbe, den schmalen Gang ganz ausfüllend. Der Hund stand knurrend hinter seinem Herrn.

Die Reiter stutzten, wie sie den Hofherrn erkannten; sie hielten die Rosse an. Der Graf sprach mit zweien seiner Begleiter; auf einen Wink sprangen sie ab; nur ein Weib, das in der Schar ritt, blieb im Sattel; zwei der Reisigen hielten bei dem Weib und bei den ledigen Gäulen; die andern, etwa ein Dutzend Gewaffnete und ein Waffenloser, im schwarzen Priesterkleid, gingen auf die Zaunpforte zu. Der Geistliche trat vor. »Gleich der erste Blick auf dies Haus zeigt eine Sünde,« rief er laut. »Die heidnischen Pferdeköpfe am First! Ich klage, Herr Graf! Die Synode hat sie verboten.« »Und ich hab' es dem Sachsen ausdrücklich gesagt,« sprach der Fronbote und schwang drohend einen Eibenbogen. »Gut,« sprach der Graf, »das gibt einen weiteren Bußefall.« »Nein, Herr,« rief da Heimo, auf den Zaun kletternd und nach dem Dache weisend. »Mitnichten! In der Mitte – zwischen den beiden heiligen Roßhäuptern! – steckt ein Kreuz. Seht nur recht scharf hin! Gar groß ist es freilich nicht!« lachte er pfiffig, »aber das schützt uns vor Strafe. Fidus hat es uns gelehrt.«

Volkfried wandte sich rasch und sah hinauf; er entdeckte selbst jetzt erst das Kreuz, so klein hatte es Heimo geschnitzt.

»Ist das so?« fragte der Graf, und als der Abtvikar schweigend die schwarzen Brauen furchte, fuhr er fort: »Gleichviel! Wo Leben, Eigen und Ehre verwirkt sind, kommt's auf das Geringe nicht an. – Sachse, gib den Waldgänger heraus, den du hausest und hofest.« Volkfried schwieg. »Hörst du nicht?« rief der Graf, näher tretend. »In des Herrn Kaisers Namen! Du bist verklagt ...« – »Von wem?« – »Dort! – von ...« – »Von meiner entsprungenen Unfreien, einer Wendin. Ihr Wort ist kein Wort.« –«Gib ihn heraus, den du verborgen. Dein Bruder ist's.« – »Mein Bruder ist nicht in dem Hof.« – »So war er drin.« – »Niemals, seit er geächtet ist.«

»Dein Weib,« rief da der Vizegraf vortretend, »hat nachts mit ihm geflüstert, hier, am Zaun. Du hast es selbst gesagt. Da hinter dir steht sie ja, die Vielschöne! Sie soll's leugnen! Dann lügt sie, die stolze Frau!«

Wie Volkfried Fortunat erkannte, ward er ganz blaß; unmerklich den andern zuckte die Faust an der Streitaxt, er gab ihm keine Antwort.

»Und wenn!« rief Heimo vom Zaune herab. »Es ist nicht verboten mit Verbannten zu sprechen.«

Volkfried pochte das Herz: nun mußte die Vorhaltung des Speisens und Tränkens folgen, falls die Wendin auch dies gesehen: aber jene Nächte waren ganz finster gewesen –: vielleicht hatte sie das nicht wahrgenommen? – – – Es war eine lange, bange Weile.

»Ach was,« rief endlich der Graf ungeduldig. »Sie lügen alle. Was verlieren wir hier die Zeit? Ich gehe hinein und hole mir den Flüchtling.« Er trat näher; die Männer hinter ihm machten Miene, ihm zu folgen. Volkfried atmete auf: – sie wußten von nichts! »Halt,« rief er nun überlaut; sie fuhren zusammen. »Das dürft ihr nicht. Ich bin ein freier Sachse, unbescholten an meiner Ehre. Ihr dürft nur bei handhafter Tat über meine Hofwehre dringen.« – »Was schert mich euer Sachsenrecht!« – »Herr Karl hat es uns eidlich bestätigt. Hier leg' ich mein Schwert auf meines Hofes Schwelle –« er zog den Sachs aus dem Gürtel und warf ihn vor seine Füße nieder – »ich rufe Herrn Karls Gericht an.« Hardrad lachte: »Herr Karl ist weit! Es heißt: im Land Hispania. Du bist längst verfault, bevor der von dir hört. Laß mich ein oder –«: er griff ans Schwert. Laut bellend sprang der Hund aus der Pforte und fuhr gegen ihn: – erschrocken wich der Graf.

»Zurück, Hofwart!« befahl Volkfried, »hierher!« Augenblicklich gehorchte das Tier und lief hinter den Zaun zurück.

»Was? Den verfluchten Hund auf des Herrn Kaisers Grafen hetzen?« schrie der Fronbote. »Warte, Bestie!« Er griff an den Köcher, den er auf dem Rücken trug, öffnete die Deckelklappe und zog einen schwarzgeflügelten Pfeil heraus. »Ihr habt's alle gesehen! Das war Friedbruch.« »Nein, Golo,« sprach da vortretend einer der Krieger, ein breitschultriger Mann, dessen schlichtes, flachsblondes Haar, nur an den Schläfen etwas grau, aus der Sturmhaube quoll, mit langer, gerader, schön gebildeter Nase und goldbraunen Augen. »Vielmehr hat der Mann den Hund gleich abgerufen.« »Wer bist du, selbst Hund?« schrie der Graf und wandte sich zornig gegen den Sprecher. – »Hülsung bin ich, Hülsos Sohn, ein freier Sachse. Für das Schimpfwort klag' ich dich, Graf, beim nächsten Königsboten.« »Ha ha,« lachte Hardrad, »es war noch nie einer in diesem Gau.« »Und kommt auch keiner in diese Mark,« meinte Fortunat.

Aber der Sachse fuhr fort: »Und recht hat der Mann, in allem, was er sprach. Ihr dürft nicht Gewalt brauchen. Zumal auch schon die Sonne zu Rüste gegangen dort hinter den Eschen im Wald. Ihr brecht den Hausfrieden, dringt ihr, ohne handhafte Tat und sonder Sonnenschein auf euren Helmen, in einen Sachsenhof!«

Der Graf wollte heftig erwidern; aber der Priester winkte ihm, den Finger leise hebend. »Du bist wohl Volkfrieds Gesippe, Hülsung?« fragte er schlau. »Nein! Ich wußte und weiß nichts von ihm. Ich bin kein Nordelbinger, ich bin ein Westfale: auf roter Erde, am Habichtsbeck bei Mimisgerneford, liegt der Hülshof, unser altes Erbe.« »Nun,« lächelte der Priester, »dann redest du eben nur von Westfalenrecht.« – »Nein, Herr, darin ist das Recht gleich aller Sachsen. Und Hülsung, der Hülsunge Sohn, hilft nicht mit dabei, Sachsenrecht zu brechen. Geschieht dem Hofherrn dort Gewalt, klag' ich's Herrn Karl.«

Der Graf riß mit einem Fluch das Schwert aus der Scheide und schwang es gegen den Kühnen. Petrus rührte leise an seinen Arm. »Geh, Hülsung,« sprach er dann, »der Graf entbindet dich für heute des Dienstes; steig auf dein Roß dort und reite zurück nach Esesfeld. – Sei doch nicht so unklug,« flüsterte er Hardrad zu. »Wir schicken ihn morgen ab mit dem Auftrag, nach Fidus zu suchen.« –

Der Sachse warf den Speer auf die Schulter und ging, zögernd, zurück zu den Pferden; aber er stieg nicht auf und ritt nicht davon.

»Allzulang lassen wir uns hinhalten,« rief Hardrad. »Mir nach!« Er trat auf die Pforte zu. »Haltet an!« rief Volkfried, die Streitaxt leise lupfend. »Den ersten, der meines Hofes Frieden bricht, schlag' ich tot! Ich rufe das Kreuz des Herrn Christi da droben zum Zeugnis an: – ich stehe hier in echter Not: – ich schütze Recht wider Gewalt.« »Und ich erschlage den zweiten,« rief Heimo vom Zaune rechts von Volkfried. »Und ich den dritten,« rief der Knabe, hinter dem Vater sich reckend.

»Ha,« lachte Fortunat, das Schwert ziehend, »mich wundert nur, daß die schöne Frau nicht auch mit schreit. Komm, Golo, holen wir die weiße Rebellin heraus. Dann mag er – allein! – drin bleiben, im sichern Schutze seines Hausfriedens. Aber, ich meine, dann kommt er ihr schon nach und heraus! Mir das Weib, dem Grafen den Hof ... –«

»Und mir der Hund,« lachte der Fronbote, warf Bogen und Pfeil zur Erde und zog das Schwert.

Beide sprangen vor und kletterten nebeneinander an dem Pfahlwerk des Zaunes zur Linken von Volkfried hinan. Fortunat war ihm zunächst: er sah dessen begehrende Augen seines Weibes Gestalt verschlingen. Nun schwang der Aquitanier behend, das Schwert in der Rechten, die Klinge gezückt, sich gegen einen Angriff zu decken, das eine Bein über den Zaun. Da sprang Volkfried gegen ihn mit der Streitaxt. Wohl hob der Geschmeidige flink das Schwert: aber ebenso leicht hätte er einen Blitzstrahl auffangen mögen, wie diesen furchtbaren Streich: die Schwertklinge zersprang wie Glas: das Helmdach barst: laut aufschreiend, mit zerschmettertem Schädel, flog er nach außen; Gehirn und Blut bespritzte Golo, der ebenfalls herabstürzte, unversehrt, vor eitel Entsetzen. Hardrad lief an des Freundes Seite, kniete nieder, richtete den blutenden Rumpf empor.

»Tot?« rief er. »Erschlagen! Und um das Weib! – Wart! In Schmach soll sie vergehen!«

»Jetzt flieht, Herr! Rettet Euch,« mahnte Heimo.

Volkfried, der schon wieder in der Zaunpforte stand, schüttelte schweigend das Haupt. »So rettet doch die Frau! Vor Schande! Vor ...« Das begriff Volkfried. Er winkte seinem Weib und sprang in raschen Sätzen, die Kinder mit sich fortreißend, durch den Hofraum in die Haustür.

Muthgard und Heimo folgten, auch der Hund; die Menschen kamen glücklich hinein: aber der Hund schrie auf, als er eben durch die nur ein wenig geöffnete Türe folgen wollte: ein schwarzbeflügelter Pfeil stak in seinen Rippen: wimmernd kroch er in den Hausgang. Heimo warf die Türe hinter ihm zu und schob den mächtigen Balkenriegel vor.

»Nehmt von den Waffen, was ihr könnt,« rief Volkfried, mehrere Speere aufraffend, den Seinen zu. »Und Mundvorrat! – In den großen Sack! – So! – Mir nach! – Heimo, – ich lasse die Steinplatte offen – du folgst sogleich.« – »Jawohl, eilt nur! – Horch! Schon donnern sie an die Tür! Da könnt ihr lange klopfen! – Die Türe ist fest: ich hab' sie selbst gezimmert.«

Volkfried mit den Seinen war verschwunden. Heimo guckte durch eine Ritze des Wandgebälks hinaus. »Ja, lauft nur herum und sucht! Der gute Hof hat keinen andern Eingang. Nur noch hinten das Stalltor. Das ist noch stärker als diese Tür. Nun mag ich folgen.« Er lief, wie vor ihm Volkfried, durch die Halle in die Schlafkammer. Aus dieser Halle führte eine Türe in den angebauten Stall: derselbe war zur Sommerzeit nicht von Vieh bestanden: nur Gras und Heu war darin hoch gehäuft von dem Lehmboden bis unter das Dach. An einer Stelle war das Heu soeben zur Seite geschoben, eine mächtige Quaderplatte aufgehoben und auf das Heu, zur Seite geworfen: ein schwarz gähnendes Loch im Erdboden ward hier sichtbar, breit genug, einen Erwachsenen – zur Not – durchzulassen. Schon hatte Heimo den einen Fuß in die Öffnung gesenkt: nun wälzte er den Quaderstein heran, um ihn dann von unten, so gut es gehen würde, ganz einzufügen –: schon wollte er das zweite, das lahme Bein nachziehen und sich auf die erste Stufe hinabgleiten lassen, eine Kellertreppe schien steil abwärts zu führen –: da schlug von der Vordertüre her an sein Ohr ein hell krachend Geräusch, wie von splitternden Balken; zugleich zog schwelender Rauch und scharfer Brandgeruch, vom Südwind in die Fugen des Gebälkes geführt, durch die offene Stalltür herein; rasch schwang er sich wieder aus der Öffnung auf den Boden des Stalles.

»O weh,« sagte er zu sich selbst. »Das geht rasch! Allzu rasch. Woher haben sie so schnell Feuer gehabt. Was klingt da und klirrt?« Er lugte vorsichtig durch eine Ritze im Gebälk des Stalles: »Golo! Stahl und Stein! Er schlägt Feuer! Auch hier! Sie schieben Feuer, brennende Späne zwischen die Fugen! Und horch! Da vorn kracht's immer übler. – Hm, Heimo? Was tun? – Flieh' auch ich durch den Erdgang? – Den Quader bring' ich wohl zurecht: – aber Heu und Gras kann ich dann nicht mehr darauf häufen. Stürmen sie aus der leeren Halle in den Stall, so entdecken sie sofort den Stein, den verdächtigen, entblößt vom Gras. Sie dringen nach! Ach! – es ist zu früh! Sie holen uns ein, bevor wir ...! Nicht nur mich: – sind sie ihnen durch den Gang auf der unverfehlbaren Spur – auch die andern! Es ist zu wenig Zwischenzeit! Dagegen: wenn ich –? Ja, das rettet sie!«

*

 

Elftes Kapitel.

Und nun wälzte er den Quader über das Loch und bemühte sich emsig – immer heller krachten vorn die Balken, immer ärger schwelten die Rinden des Eichenholzes, das zwar, dank dem letzten Regen, nur schwer Feuer fing, aber dafür atemerstickend qualmte – unbeirrt mühte er sich, Massen von Gras und Heu gerade über dem verräterischen Stein zu häufen. Er lockerte dann, daneben knieend, wieder die hohen Schichten klüglich mit den Fingern, leicht zupfend: so daß die gefährliche Stelle ganz unverdächtig, ganz unberührt von Menschenhand und Menschenfuß aussah. Nun warf er einen zufriedenen Blick auf seine listige Arbeit: sie war ihm vortrefflich gelungen! – Ein Lächeln zog um die harten Lippen: »So! Will sehen, ob sie das herausbringen? – Werd's aber wohl nicht sehen!« – Er seufzte kurz. »Nun, sei's. Treuer Knecht läßt den Herrn nicht ungefolgt in den Tod schreiten, daß ihm nicht Hels Eisentor auf die Ferse schlage. Ob ich Volkfried nachfolge in den Tod oder hineinspringe für ihn, damit er an dem Tode vorbeischlüpft – und die Frau an der äußersten Schmach! – das ist wohl dasselbe.«

Während dieser Worte hatte er den Stall verlassen und war in die Halle zurückgeschritten. Er schloß nun die Türe, die in den Stall führte. »Hier, nicht nahe dem Erdloch, sollen sie mich finden. Die Türe in den Stall würde sie doch nicht aufhalten. Hier sollen sie suchen, staunen und nichts finden als – Heimo. – Nun, nun! Hübsch sanft anklopfen! Heimo findet ihr zu Hause! Und ein paar Hiebe!« er nahm von dem Waffenvorrat auf dem Boden einen starken Lindenschild, mit Büffelleder überzogen, und streifte ihn an den linken Arm, stülpte eine eherne Sturmhaube auf den grauen Kopf und griff so viele Speere, als er in beiden Händen fassen konnte: – es waren drei neben dem Schildriem –: so trat er dicht unter die Halltüre.

Diese bestand aus zwei mächtigen, breiten und sehr dicken Platten von Eichenholz: in Eichenbalken waren sie oben und unten eingelassen. Ihren stärksten Widerhalt hatten sie in halber Höhe, wo ein Querbalken sie verband und wo überdies, oberhalb dieses Balkens, der Querriegel, das heißt ein zweiter Eichenbalken, fast so dick wie ein Mannesschenkel, an der Angelseite der Türe in das Hausgebälk selbst eingelassen, an der Schloßseite derselben, wo sie öffnete, in eine gewaltige Eisenfuge eingeworfen war. Diese alten Sachsenhöfe, erbaut zur Zeit, da noch unbeschränkter Fehdegang waltete, waren kleine Festen, Holzburgen, auf Verteidigung schon des Hofraums, dann auch des Hauses weislich eingerichtet. So hatte die feste Türe geraume Zeit widerstanden, ebenso die Stalltüre, an welcher nicht so viele Angreifer arbeiteten.

»Verflucht!« rief vor der Vordertüre der Graf. »Hätten wir nur mehr Streitäxte mitgebracht! Wer dachte, daß sie sich belagern lassen! Mit Messer und Speer ist nichts zu machen gegen diese Sachseneichen. Sind wie von Stein! Da! Bricht mir die dritte Speerspitze. Gib mir mal die Doppelaxt, Golo. So! Hier, wo es schon hell brennt! Da bricht's! Jetzt – hinein.«

Die obere Platte, lange schon von Brand vermorscht und durch viele Schläge gesplittert, brach jetzt, krachend, nach innen: wenigstens der größte Teil ihres Mittelstückes: nur noch oben und von beiden Seiten blieben einige scharfgesplitterte Zacken stehen.

Heimos grauhaarig Haupt ward draußen nun voll sichtbar. Ein wildes Jauchzen begrüßte ihn; Speere und Pfeile flogen gegen ihn, aber der gute Schild und die eherne Haube fingen alles auf.

Auch Hülsung stand vor der Hütte: es hatte ihn nicht bei den Pferden gelassen: er lehnte auf seinen Speer und schüttelte das Haupt langsam: »Es ist der Knecht!« »Er ist des Todes!« schrie Golo, den Bogen wieder spannend. »Noch nicht!« antwortete Heimo grimmig. »Das schickt dir Hofwart.« Sein erster Wurfspeer flog: in die linke Schulter getroffen, schrie der Fronbote laut auf vor Schmerz. »Drauf! Alle zugleich!« befahl Hardrad und schlug, hoch sich reckend, mit der Streitaxt gegen Heimos Haupt: der Schlag ward wohl abgewehrt mit dem Speerschaft: aber dieser selbst ward glatt durchhauen: der zweite Speer war verloren. – Und in dem Schilde staken schon so viele Wurflanzen und Pfeile, daß er ihn nur mit Anstrengung noch halten konnte; den letzten Speer durfte er nicht zum Wurf verwenden: – er konnte nicht hoffen, zu dem Waffenvorrat in der Halle zurück und wieder an die einstweilen leer gelassene Türe vorspringen zu können.

Ein wohlgezielter Speer – Hardrad selbst hatte ihn geworfen – hatte ihm die Helmhaube vom Kopf gerissen. Doch unverzagt und erfolgreich wehrte er durch scharfe, kurze Speerstöße noch eine Weile die Feinde ab: war er doch bis an die Brust durch die untere Türplatte und die Balken geschützt, die immer noch standhielten. Nur der Brandqualm der ringsum glimmenden Balken ward sehr lästig: denn der Südwind trieb den vollen Rauch herein.

»Aber einstweilen,« dachte er, »haben sie guten Vorsprung; es wird auch schon ganz dunkel.« Diesen festen Trost im Sinne, sah er ruhig sein Blut von der Wange her in den langen Graubart rinnen: ein Pfeil hatte leicht sein Gesicht gestreift: – er hatte es gar nicht bemerkt.

Draußen trat ein Stillstand des Anpralls ein.

Hardrad hatte einen leichten Speerstoß durch den Schildrand in den linken Arm erhalten und ließ sich von Petrus die Wunde besehen. »Es ist nur eine Schramme. – Aber warte, Knecht! Gleich fährst du zur Hölle!« drohte Petrus.

Heimo hatte nicht bemerk, was ihm drohte. Der Priester hatte Golo, dessen rechter Arm unversehrt war, einen leisen Wink gegeben: nach oben, nach dem Dache, hatte er gedeutet. Von den beiden Seiten des Hauses, unwahrnehmbar für Heimo, waren Golo und drei Reisige auf das Dach geklettert.

»Zur Hölle?« wiederholte Heimo: denn er hatte es gut verstanden. – Er überlegte. »Nein! In die Christenhölle mag ich nicht. Aber auch nicht in den Christenhimmel,« sagte er ganz bedächtig. »Nein! – Und doch! – Wenn ich jetzt hier sterbe, – so, wie ich sterbe: – für meinen Herrn! Am Ende – getauft bin ich ja! – am Ende fahr' ich geradenwegs zu den verhaßten Heiligen? – Ich mag nicht!« rief er laut und zornig. »Ich will zu Donar fahren, der treue Knechte aufnimmt, der Knechte treuer Gott in Thrudwang. – Die Taufe? Die gilt nicht! Ich rief zu Donar, während sie mich unterduckten. Und ich habe insgeheim seither oft und oft geopfert. Hör's, du Priester, und hört, ihr Heiligen da oben: ich sage ab Gott Vater, Gott Sohn und Gott dem Geiste und allen den Heiligen, die ihre Genossen sind. Ich glaube an Wodan und Sassenot und an Donar. Und zu dem will ich fahren.«

Es war sein letztes Wort.

Die auf dem Dache hatten, auf dem Bauche kriechend, die Dachluke gerade über seinem Haupte jetzt erreicht. Golo und einer der andern faßten einen mächtigen Dachbalken, den sie aus dem Gefüge gehoben: sie zielten scharf auf des Ahnungslosen Haupt: sie zählten: eins: zwei: drei! Und nun stießen sie mit aller Kraft den Balken senkrecht auf seinen Wirbel. Lautlos fiel er, vornüber, auf die glimmende Tür; er war augenblicklich tot.

Wildes Geschrei begrüßte das Ende des ungleichen Kampfes. Einer der Reisigen zwängte sich über die Leiche hinweg durch die zertrümmerte Platte in die Halle, riß von innen die Riegel weg und stieß die Tür auf.

»Halt!« schrie Hardrad. »Schlagt ihn nicht tot, den Mörder Fortunats. Fangt ihn lebend! Ich will ihn so lang foltern, bis ihm die Augen aus den Höhlen springen!« Er eilte über die Schwelle. Die andern folgten. Groß war ihr Staunen, als sie die Räume leer fanden. Sie durchsuchten alles in Halle, Schlafgemach und Stall, sie durchwühlten das Heu, sie durchstachen die Grashaufen nach allen Richtungen mit ihren Lanzen, sie rissen die Stalltür auf, sie suchten nach Spuren, nach Fußtritten außerhalb des Hofes, – obwohl Hardrad es für unmöglich erklärte, daß eine Seele unvermerkt aus dem sofort nach Fortunats Fall umstellten Haus hätte entrinnen können. Sie fanden nichts.

»Löscht! Löscht eilig!« befahl Hardrad unmutig, das Schwert in die Scheide stoßend. »Der Hof wird mein! Das heißt: er wird eingezogen, aber ich kaufe ihn dem Krongut ab.« Die Reisigen verließen die Halle, von außen dem Brande zu wehren. Da huschte über die Schwelle ein leichter Schritt. »Du, Wlasta!« sprach Hardrad finster: »Unglücksweib! Deine Botschaft kostet Fortunat das Leben! Sahst du ihn liegen?« Sie nickte gleichgültig. »Habt Ihr ihn? – Und das Weib?« Sie sah sich ringsum. »Er – der Tote – hatte mir versprochen, das Weib solle – zuletzt! – meine Magd werden. Das müßt Ihr halten. Wo ist sie?« Ihre schwarzen Augen funkelten feindselig. »Verschwunden! Wie der Mörder. – Es ist unerklärlich!«

»Nein,« sagte der Priester, »nicht unerklärlich. Die Leute waren wohl noch halbe Heiden: sie haben die Dämonen angerufen, sie zu entrücken.« »Ah bah! Alle vier? Samt dem Hunde?« rief da Golo, die Schulter reibend, – die Wunde schmerzte sehr. »Das glaub' ich nicht! Viel eher mein' ich – in diesen Sachsenhöfen sind gar häufig unterirdische Keller, Höhlen, lange Gänge, die irgendwo im tiefsten Walde münden. Ich werde danach suchen, bis ich so was gefunden, dann haben wir die richtige Spur. – Aber jetzt – schafft mir Pflege für meine Schulter! – Der elende Knecht!« Er gab dem toten Heimo einen Fußtritt. Dann fiel er um. Die Krieger trugen Golo hin zu den Rossen.

Hülsung trat zu dem Grafen. »Ist es dir ernst mit deinem Auftrag?« Hardrad nickte finster. »Gut! Dann gehe ich gleich von hier aus; hier ist die Furt, die über die Eider in den Dänenwald führt.« »Gehe mit Gott, mein Sohn,« sprach der Priester, und zu Hardrad flüsterte er: »Nie kommt er zurück.«

Nun brach der ganze Zug auf und kehrte, den toten Fortunat und den wunden Golo mit sich führend, nach Esesfeld zurück. Als aber die Sterne aufstiegen, da flammte neben dem Volkingenhof eine rote Lohe zu ihnen empor.

Hülsung hatte den toten Heimo auf seinem Schild – den Speer hielt noch die starre Hand umschlossen – auf einen von den Kriegern gehäuften Stoß von halbverbrannten Balken gelegt und diese noch leise glimmenden aufs neue entfacht. Neben diesem Scheiterhaufen saß der Sachse, den Speer über der Schulter, und hielt dem Stammgenossen die Leichenwacht. »Denn,« sagte er zu sich selber, »ob bei Herrn Christus oder bei Herrn Donar –: der Mann ist jetzt im Reiche der Getreuen.«


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