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Quod patimur non est poena, militia est.
                        Minucius Felix

 

Smyrna, am 19. März 1825.

»Klage nicht, daß ich dir wenig aus Smyrna sehreibe, denn hier bringe ich ja die Noten in Ordnung, die ich während der Fahrt zur See oder auf den einzelnen Ausflügen, oft unter sehr ungünstigen Umständen, machte.

Außer dem trefflichen Hause Lee, das seit länger als einem Jahrhundert hier besteht, habe ich viele andere kennen gelernt, französische, holländische, amerikanische, englische Kaufleute. Alle beeifern sich, den Fremden artig zu empfangen; wenn er sie nicht so findet, so ist es gewiß nur seine Schuld.

Die Mädchen aus diesen Häusern, von levantinischen Müttern geboren, 8 sind von ausgezeichneter Schönheit. Sie haben drei Reize: schwarze, reiche und glänzende Haare, und das reinste Weiß und Rot zur Gesichtsfarbe. Da ist eine Marianne Fonton hier, die man als Musterbild der Schönheit auf den Altar stellen könnte; eine Theophanie Eskalon, deren Blick durch keinen übertroffen wird; eine Helena Mathas, von wunderbarem Adel in Gestalt und Antlitz; eine Elise Werry, schön wie Diana, die Jägerin. Der Umgang hat wenig Härten, da es keinen Unterschied der Stände, kein Jagen nach Rang und Amt und fast keine Schranken, als diejenigen der Sitten gibt. Freier kann man sicherlich nirgendwo leben, als hier, wo es, für den fränkischen Bewohner, keine Abgaben, keine Polizei, keine Konskription, keine Zensur, überhaupt 9 keine Last oder Form gibt, die ihn bedrückt.«

Das steht in den Berichten eines österreichischen Diplomaten, des Grafen Prokesch-Osten; das Exemplar, das sich im »Deutschen Archäologischen Institut« zu Athen befindet, aus dem ich diese Zeilen wiedergebe, trägt folgende, mit Bleistift, von unbekannter Hand geschriebene Randbemerkungen: bei Marianne Fonton, … jung. Bei Theophanie Eskalon, … ebenfalls jung; bei Helena Mathas, … 1890 als Madame Abbot; bei Elise Werry, … 1876 als Mrs. Hunson.

Aus den unveröffentlichten Papieren eines italienischen Arztes, Pierviviano Zecchini, der sich, während der Freiheitskriege, in Griechenland aufgehalten hat, entnehme ich nun einige Nachrichten über die Französin 10 Marianne Fonton. Es sind bloß Aufzeichnungen, die jedoch zusammengestellt, ein abenteuerliches Leben sehen lassen. So beginnen wir denn mit der Erzählung einer historischen Begebenheit, die sich während des griechischen Freiheitskampfes vor hundert Jahren abgespielt hat.

 

Der berühmte Kämpfer für seines Vaterlandes Freiheit, Theodor Kolokotronis, und seine ferne Blutsverwandte und geliebte Freundin, die Seeheldin Bobolina, die Griechenland drei eigene Schiffe, die sie auch selbst, bei der Belagerung von Nauplia, befohlen hatte, stellen konnte, befanden sich in Geldnot. Es scheint, daß zu einem bestimmten Augenblick, die ganze Sache um Hellas vom Gold abhing. 11

Auf einer der herrlichen Inseln des Archipelagus, waren Kolokotronis und die Bobolina in heftigen Streit geraten: beide warfen einander wütend und vorwurfsvoll Gier und Verrat vor; eine ganze Nacht hat das Gezänk gedauert, doch am Morgen versöhnten sich die alten Kriegsgefährten. Menschliche Leidenschaft hatte sie nochmals überwältigt, Berauschung dann die politischen Meinungsverschiedenheiten verscheucht.

In Gesellschaft der Bobolina befand sich zu jener Zeit die blutjunge Marianne aus Smyrna. »Du mußt deine Schönheit für Glauben und Recht opfern – ein englischer Schatzgräber lebt hier, wird ein vergrabenes Erbstück unserer Ahnen entdecken, das sollst du Kolokotronis zur Verfügung stellen!« herrschte die berühmte Frau 12 das Mädchen, das mit ihr unter einem Dach gewohnt hat, an. Marianne hatte die Nacht schlaflos verbracht, denn, obwohl sie im gut gebauten Haus nur wenige Silben im Wortwechsel verstehen konnte, so war sie doch Zeugin des für sie bloß verwirrenden Auftrittes gewesen. »Ja!« antwortete sie ihrer Gebieterin und Freundin. Der Bobolina gelang es sogar, der Jungfrau einen feierlichen Eid abzunehmen, daß sie, auf Geheiß, Seele und Leib für das Vaterland hingeben würde.

Sich selbst überlassen, fing aber Marianne an zu weinen und nervös zu beten. Sie war, obschon Tochter einer Rechtgläubigen, doch eines französischen Vaters, Katholikin. Noch am selben Tag bestürmte sie den Priester ihrer Kirche auf der Insel 13 einiger Römlinge, von ihr die Beichte zu hören. Er hielt das Kind für nutzlos aufgeregt und vertröstete es auf einige Tage, doch am nächsten Tag schon hat er Mariannes Flehen nachgegeben. In der Nacht, die dazwischen lag, hatte sich Folgendes ereignet: Am Abend war die Bobolina bei Marianne in schwarzer Seide erschienen und hatte dem Mädchen befohlen, seine schönste Volkstracht anzuziehen. Die Heldin war beim Ankleiden mit Weisungen und eigener Hand behilflich gewesen. Marianne vermochte es nur, folgsam und schwach zu lächeln. Ein weißes Tuch, das Haar und Stirne birgt, das sie fast zur Nonne machte, wurde ihr mit festen Fingern auf Haut und Flechten gedrückt. Das engangeschlossene, lange Leibchen, aus dem die Brust sich hervordrängte, hatte die 14 Bobolina durch ein Seidenhemd züchtig geborgen und dann mit einem Knöpfchen am Hals geschlossen. Darauf wurde ihr der dunkelgrüne, breitfaltige Rundrock, dessen dunkelroter Saum zwischen Knie und Knöchel spielt und die feinen, glänzend weißen und gebauschten Beinkleider zeigt, die um die Knöchel gegürtet sind, angezogen; der zarte Fuß schlüpfte sodann, in seinen reinlichen Strümpfchen, in gelbe Pantöffelchen. (Die Beschreibung der Tracht entnehme ich den Aufzeichnungen des österreichischen Gesandten.)

Nachdem die Bobolina ihre junge Gefährtin zu vaterländischen Abenteuern mit Genugtuung gemustert hatte, nahm sie ihre Hand, führte sie in ihr eigenes Zimmer; kurz darauf trat Arthur Grew, ein Archäologe, 15 den Leake, Lord Byrons Freund, nach Griechenland mitgenommen hatte, ein. »Die Jungfrau soll dir gehören, doch zuerst bediene dich der Unschuld ihrer Seele, um den Schatz heben zu können, wie du es selbst verlangt und mir geschworen hast!« murmelte die Heldin, dem Engländer entgegeneilend, damit Marianne ihre Worte nicht verstehen könnte.

Arthurs schwarze Augen funkelten der Frau zu, dann blitzten sie auf das Mädchen los. Doch er ließ sich voll Beherrschtheit vorstellen und lobte bloß allgemein die Tapferkeit, Hingebung an eine hohe Sache beim griechischen Weibe. Marianne fand sofort Wohlgefallen an Arthur; er sprach mit Begeisterung für Freiheit und Unabhängigkeit der Völker. Immer wieder berief er sich auf seinen 16 Reisegenossen, den Dichter des Childe Harold.

»Wir brauchen keine Gesänge,« sagte plötzlich die Bobolina, »keine Schwärmerei für die Ahnen, ich selbst, dem Blut nach Albanerin, fordere das Recht der Geknechteten: Taten für Lebende, die unterdrückt werden! Byrons Gold hat Hilfe gegeben, schafft noch anderes!« Grew schmunzelte, blickte auf Marianne, und sagte: »Durch die Jungfrau kannst du es haben! Gut, daß mein Vater den Schatz nicht gehoben hat. Am Öffnen heidnischer Gräber mußte er zu Grunde gehen, gegen eine unschuldige Seele aber vermögen die Geister der Beigesetzten nichts: Marianne Fonton, werdet Ihr die Tapferkeit aufbringen, allein zu Beerdigten unter den Boden zu steigen, um ihnen ihren Schatz nach 17 zweitausend Jahren zu entreißen?« Marianne jauchzte beherzt auf: »Das vermag ich fürs Vaterland!«

Am nächsten Tag begab sie sich zur Beichte. »Kein Grab, auch nicht das eines Heiden darfst du schänden!« lautete das Verbot des katholischen Priesters. »Demetrios Kalergis, obschon ein Geistlicher der fremden Kirche, ein Diener des Papstes, bist du kein Grieche?« bestand die Französin auf dem Recht, dem Land ihrer Mutter zu dienen. »Gestatte mir, den Schatz aus der Unterwelt zu holen, damit ich der Christenheit, deiner Heimat förderlich sein könne!« »Niemals!« hat der Priester geantwortet. »Einer reinen Sache darf man nicht durch Entweihung huldigen; bewahre deine Seele vor Schaden, überlaß das Werk der Befreiung unseres Heldenstammes 18 den Männern!« »Also hat die Bobolina recht, ihr Katholiken versteht unsern Kampf nicht, ihr seit Rom botmäßig, das Heil von Hellas geht euch wenig an!« ereiferte sich das Mädchen. »Die Bobolina ist mutig, doch als Weib verwerflich, keine Jungfrau von Orleans, nicht einmal eine heidnische Amazone; sie frönt ihren Leidenschaften, soll auch zu Kuppelei neigen; reiße dich von ihr los, oder du läufst Gefahr, dein Seelenheil zu verlieren!« drohte nun der Priester. »Schwöre mir, bei Gott und seinen Heiligen, daß du dich ins Abenteuer mit dem Schatz nicht einläßt, sonst erhältst du keine Absolution.« »Das darf ich nicht!« rief das Mädchen und eilte davon.

Die Bobolina empfing Marianne besonders gravitätisch: »Nachrichten 19 aus Nauplia sind angekommen; die mit Blut bezahlte Freiheit ist abermals gefährdet; wir haben wenig Kredit, Marianne es eilt, tu deine Pflicht!« Sie umarmte das schöne Mädchen, blickte ihr mit brillantnen Blicken in die perlenden Augen.

»Ich bin entschlossen, Bobolina!« sagte Marianne am Halse der Heldin hängend. »Kannst du dabei sein, in deiner Obhut fühle ich Geborgenheit. Du bist gut, darum ließ mich der Vater, auf Mutters warmes Wünschen endlich zu dir, um mit dir ziehen zu können. Ich folge gern; sag, Bobolina, werde ich die Eltern wiedersehen?«

»Sei kein Kind! Verrichte, was dir aufgetragen wird!« Die Bobolina war ernst geworden, blickte streng: »Es ist die größte Ehre für einen Mann dem Vaterland sein Leben zu lassen; 20 das fordert niemand von dir, obschon es des Weibes Ehrgeiz sein müßte, in Aufopferung dem andern Geschlecht nicht nachzustehen. Übrigens habe ich mit der Angelegenheit nichts zu schaffen; Grew und du, ihr werdet den Schatz heben, du ihn mir bringen, Grew ihn verkaufen – bald darauf geht der Krieg wieder los. Du hast versprochen, dich Grew dankbar zu erweisen. Sollte ich fallen, so magst du zu deinen Leuten nach Smyrna heimkehren, nicht früher!«

»Bobolina, du bist also nicht gut?« stammelte Marianne.

Grew trat ein. Er war schlank, für einen Engländer auffallend brünett, seine Haare schillerten pechschwarz, die Augen blitzten voll dunkler Unheimlichkeit. Er mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein, machte 21 schlangenhafte, fast wilde Bewegungen mit den Armen, doch als er zu sprechen anfing, wurde er ruhig, fast salbungsvoll: »Hochverehrte Frauen, das große Werk zur Hebung des hellenischen Ahnenschatzes soll beginnen! Heute ist Montag. Von morgen an beginne ich zweimal sieben Tage zu fasten. Enthaltsam lebe ich seit Jahren. Meditieren will ich, mich ins Wesen des Heiles mit tiefer Inbrunst versenken. Sind die beiden Wochen vorbei, so kann ich am Dienstag, dem vortrefflichsten Tag zum Zaubern, mit der Jungfrau die Tat ausführen. Drei Wesen werden beteiligt sein: Marianne Fonton, Arthur Grew und die edle Hündin Artemis, die ich davor behüte, daß sie belegt werde. An dem Dienstag soll Rache genommen werden am Türken, denn an einem Dienstag, 22 Griechenlands Unglückstag, an dem kein östlicher Christ etwas Wichtiges unternimmt, ist Konstantinopel in der Barbaren Hände gefallen. Am bestimmten Dienstag wird Neumond sein. Bobolina, kleide für die Nacht diese Jungfrau in blendend weiße Seidenwäsche, bereite die Ausstattung wie für eine Braut vor, vermumme dann die Weißgehüllte mit schwarzem Sammet. Das Gewand sei einfach, die Wäsche schlicht, doch beides von bestem Stoff. Marianne Fonton seid Ihr bereit, kraft Eurer Unschuld die guten Geister der Vorfahren zu beschwören, damit sie dem Hellenen das Gold aus dem Boden reichen, daß er unabhängig werde vom Fremdling?«

Die Bobolina fiel ein: »Gold ist Widerstand, Geld Angriff!« Und das 23 Mädchen hat: »Ja!« gesagt. »Auch Ihr Marianne Fonton mögt fasten, lang zu Eurem Gott beten, ihn durch Flehen festhalten, in nichts von den Gesetzen Moses, den Geboten der Kirche abweichen!« setzte hastig der Engländer hinzu; dann wurde das Mädchen von der Bobolina entlassen. Sie hatte noch mit Grew über Staatsgeschäfte, die Marianne nichts angehen sollten, zu verhandeln.

Nur zu ihrem Seelsorger durfte der Bobolina Schutzbefohlene auf Besuch gehen, mit ihm gegen Abend ein Stündchen am Strand lustwandeln. Doch gerade diese Spaziergänge konnten für die Pläne der Heldin bedrohlich werden! Zweimal sprach der Priester kein Wort über die Flucht seiner Beichtenden, über die nicht erteilte Absolution; doch am dritten 24 Abend gab ihm Marianne plötzlich Gelegenheit, ihr ins Gewissen zu reden. Die Sonne ging unter, da rief die Jungfrau: »Der Schatz des Himmels verbirgt sich unter der Erde!« Demetrios Kalergis war bestürzt, doch äußerte er schlagfertig: »Ein Schatz des Himmels birgt sich bloß im reinen Herzen!« »Nicht auch dort unter den Bergen des Peloponnes, wo Männer, Christen, Schwerter hämmern, um den Ungläubigen zu vertreiben? « ereiferte sich Marianne. »Kopfsteuer muß der Mensch zahlen, um leben zu dürfen, die schönsten Knaben Hellas' jedes Dorf ausliefern, damit sie statt Christen, Getreue des Propheten werden, unser Land, ihrer Eltern Heimat, gegebenenfalls als Söldner, als Sklaven des Sultans, ausplündern, und wo sich eine Seele aufreckt, den Leib zu Boden 25 schmettern. Demetrios Kalergis ich verstehe Euch nicht, ist Rom in Eurem Hirn versponnener als Hellas wach im Herzen? Ich frage Euch als Tochter eines Franzosen?« Man kann auch tiefernst lächeln, der Priester vermochte es in diesem Augenblick: »Du wiederholst dich, deine Anklagen berühren mich wenig. Du wirst immer wieder auf unseren Promenaden das Gleiche vorbringen, ich werde aber unaufhörlich die Hirngespinnste der Bobolina und des Dritten zu nichte zu machen suchen. Man führt Böses gegen dich im Schilde. Wer ist der fremde Schatzgräber, ein Rechtgläubiger? Nein. Was mag ihn für Griechenland mehr begeistern als mich, den Griechen? Ist er überhaupt ein Christ? Ein wirklicher Engländer? Vor dreißig Jahren lebte einer seiner Landsleute 26 hier; er war flachsgelb, trieb sich mit einer Zigeunerin herum. Sie spürten mit Hunden um die Trümmer der Heidenstadt, oft bei Nacht; er, Arthur, könnte ein Sprößling des verdächtigen Paares, das ich bloß als Kind ein paarmal gesehen habe, sein. Er sieht dazu vielleicht nicht jung genug aus; Kinder leidenschaftlichen Wandervolks aber altern rasch. Glaub mir, Arthur ist etwa achtundzwanzig Jahre alt. Was haben die zu haschen geglaubt? Einen Goldschatz für Griechenlands Kriegskasse? Niemand hat damals an Aufstand und Blutvergießen gedacht. Heute beruft sich Grew auf Byrons Freundschaft: das ist Schwindel. Der Lord hätte nie mit ihm verkehrt; er war der hochmütigste seines Jahrhunderts. Wir müßten uns bei Leake erkundigen, wer dieser Archäologe 27 eigentlich ist. Glaube mir, Marianne. er will dich in seine Netze zerren, zu Fall bringen, Griechenland den Goldschatz, dir den deiner Unschuld rauben. Zauber ist Teufelswerk. Wende dich davon, sonst trifft dich die Exkommunikation.« Auf Marianne hatte des Priesters Rede Eindruck gemacht, doch die letzten Worte schienen ihr zu hart, haben sie abgestoßen. Sie wollte umkehren. Der Priester begleitete sie bis zum Haus der Heldin, verabschiedete sich herzlich, nachdem er am Heimgang kein Wort mit dem Mädchen gewechselt hatte.

»Wie alt ist Grew?« hat Marianne sofort die Bobolina gefragt. »Neunundzwanzig Jahre«, hat die berühmte Frau geantwortet. »Solltet ihr ein Paar werden, das Richtige: der Mann muß zehn Jahre älter als das Weib 28 sein.« »Ich denke nicht daran, einen Heiden, einen Zauberer zu heiraten, schlimm genug, daß ich einen Eid geleistet habe, ihm beim Heben des Schatzes behilflich zu sein; das tat ich für Griechenland, nicht für den Engländer«, erwiderte die Smyrniotin. »Das sind Einflüsterungen des Römlings, ich werde dir den Umgang mit dem Verräter des Vaterlandes, dem Feigling, verbieten!« sagte nun die Herrschsüchtige, verließ die Stube, verriegelte sie von außen. Marianne weinte, dachte der Verzweiflung anheim fallen zu müssen. Nach etwa einer Stunde vernahm sie menschliche Laute im anderen Zimmer; es mochte ein Gespräch sein, hörte sich aber wie Wispern an. Die Wände der Wohnung der Bobolina waren mit orientalischen Teppichen behängt, 29 ließen Geräusch nur schwer durch. »Machen wir einen Spaziergang bei Mondschein, komm!« Diese Worte der älteren Freundin weckten das Mädchen aus einer Art von Dämmerzustand. Wie war die Bobolina lautlos eingetreten? »Komm, hier ist es schwül, die Kühle wird dir gut tun«, sagte die Heldin nochmals.

Marianne nickte Folgsamkeit, stand auf, ging wohin ihr bestimmt werden sollte. Am Strand hat Grew gewartet. Man begrüßte sich höflich. Der Mond nahm schon seit Tagen ab, war soeben über den Bergen der Insel aufgegangen: also durfte es spät des Nachts sein. Zuerst redete keiner ein Wort, dann – auf einem Kap, wo noch die letzte Säule eines Aphroditetempels steht – hub der Engländer an: »Also um nächsten Neumond ist 30 für Hellas die entscheidende Nacht. Ich faste, bete, Mädchen, tust du es auch?«

»Ja,« sagte Marianne, »doch wir sind verschiedenen Glaubens, werden wir eine seelische Einheit schaffen? Ich bin Christin«. »Auch wir sind Christen!« fiel ihr die Bobolina ins Wort. »Nicht aufs Bekenntnis, auf die Erlösung durch Christi Blut kommt es an. Jeder Getaufte hat daran teil. Ob Rechtgläubiger, Katholikin oder Protestant; wir sind alle gewillt für das Kreuz zu kämpfen, zu sterben; neben mir ist ein Sohn in offener Seeschlacht gefallen. Gott sei dafür gelobt! Lord Byron hat sein Hab und Gut für uns hergegeben, sogar Römlinge stehen Hellas bei. Nur freie Christen sind des Heiles würdig, beten wir! Unser Vater . . .« Grew 31 hatte den Hut abgenommen, sagte aber rasch: »Nicht hier – es ist ein Heiligtum der Aphrodite!« Sein Haar sah im Mondschein schneeweiß aus, obschon es nur etwas ergraut sein mochte. Das Mädchen war ins Gebet der Bobolina nicht eingefallen, desto leichter blieb es unterbrochen. »Euere Mutter ist keine Engländerin gewesen!« wandte sich Marianne an Grew. »Eine Inderin«, gab er mit beherrschter Verlegenheit zur Antwort. »So! Ich meinte eine Zigeunerin«, äußerte die Französin. »Du meinst gar nichts, du wiederholst böses Gerede«, unterbrach die Bobolina das peinliche Gespräch. Grew aber nahm es gleich wieder auf: »Auch die Zigeuner stammen aus Indien, doch meine Mutter ist eine echte Inderin gewesen«. »Also keine Christin!« 32 murmelte Marianne. »Keine Christin«, bestätigte Grew. »Doch ich bin getauft. Übrigens glauben alle geheiligten Völker an den gleichen Gott. Wo die Christen Heiden, Muselmänner unterjocht halten, schlägt mein Herz für sie. Das Christentum ist bloß eine Richtung: es hängt ebenso von den Sternen ab, wie der Zauber durch Buddha. Jeder Glaube war einmal Sicherheit, soll Wissenschaft werden! Was Eingebung bei den Chaldäern gewesen ist, muß durch Beobachtung wieder gewonnen sein. Könnt Ihr das Italienische verstehen? Der christlichste Dichter Dante singt:

Per ovra delle rote magne
Che drizzan ciascun seme ad alcun fine
Secondo che le stelle son compagne.

Bis nun ist die Astrologie eine Theologie geblieben, in hundert Jahren birgt 33 sie kein Geheimnis mehr. Ich verbot Euch zu beten, das geschah im Sinn des Seneca, der sagt: › Expiationes et procurationes nihil aliud esse quam aegrae mentis solatia. Fata inrevocabiliter ius suum peragunt nec ulla commoventur prece‹. Vor kurzem lebte in Deutschland ein großer Philosoph, wie ich schottischer Abkunft, Immanuel Kant; auch für ihn ist das Gebet gottlos, weil es in höchste Vorsehung Eingriffe wagt. Unsere Magie werdet Ihr sagen, tut das Gleiche, doch das ist ein Irrtum; wir führen bloß aus, was die Sterne gern gewähren; ohne sie, ihre Geister zwischen uns, bleibt der Wille ohnmächtig. Der Zauberer bedient sich der Gewalten, indem er ihnen dient, der betende Christ, der opfernde Heide sucht Gott zu bestechen oder zu Mitleid zu bewegen. Unser 34 Zeitalter löst auf, es hat sich haltlos erwiesen; ewig ist das Sterngerüst. Seht, ihr Frauen, dort durch die Mondstrahlen schimmert der ermüdete Saturn, tiefer drüben, wo Griechen auf Türken dreinhauen, über dem Peloponnes, lodert Mars, hochrot trotz des Mondlichtes. Am Dienstag werden sie in Konjunktion stehen; dann heben wir den Schatz aus Grab oder verschütteter Grube. Den Weg weist uns bestimmt das Kriegsgestirn, doch leider ist uns Jupiter zuwider. Trotzdem hoffe ich . . . weil wir entschlossen sind – und auch bleiben.« Er blickte aufmerksam auf Marianne. Sie hat gesagt: »Ich werde das Geheimnis wahren, doch wählt Euch eine andre, ich erhalte keine Absolution«. Krampfhaft lachte Grew, aufrichtiger die Bobolina, sie sprach: »Bloß die Sterne sind 35 Zeugen, der Engländer mag es hören: versagst du, Marianne, so ist dein Ende nah, so folgt dir der Verräter Demetrios Kalergis in die Hölle und alle Römlinge werden vertrieben. Wähle: hier die Heldentat einer Jungfrau, sie wird deinem Christenland helfen, dort der Untergang deiner Kirche im Archipelagus, vielleicht der Christenheit im Morgenland überhaupt. Mädchen werde nicht meineidig!« Marianne fand keine Antwort. Sogar bei Mondschein konnte man ihr Erblassen bemerken. Grew machte exaltierte Bewegungen, dann rief er: »Ich bin ein Christ, weil es die Sterne genehmigen, einst verschwindet auch diese Gottgeburt unter Menschen, die sich der Nazarener nennt; sieh hier, da hat das Heiligtum einer natürlichen, drum wohl dauerhaftern Göttin 36 gestanden, der Aphrodite, der Entschleierin der Liebe; auch ihr Besitz an Menschen schrumpfte ein, ist geschwunden. Sind wir nicht ihr Eigentum geblieben? Siehst du dort die verzackten Berge, Bobolina? Dahinter liegt Trözen. Dort wagte Hippolytos, ein Jüngling, Sohn des Theseus, also Enkel des Poseidon, Gebieter im Meer von Hellas, der Göttin der Liebe zu trotzen. Sie hat ihn mittels eines Weibes, Phaedra, Tochter des Minos, ins Verderben gestürzt. Wehe dem Weib, wehe dem Mann, der ihr widersteht!« Da schrie Marianne auf: »Warum muß also ich keusch sein, um dir Kraft bei Gott zu verleihen, selbst die Hündin unberührt sein, damit du den Schatz finden kannst?« »Das versteht Ihr nicht, junges Blut!« antwortete Grew. Die Bobolina nickte 37 wie zum Einverständnis. Marianne aber sagte: »Ich traue euren Göttern nicht, ich bleibe Christin, Katholikin.« Das sind die letzten Worte gewesen, die in der Nacht von den drei Menschen miteinander gesprochen worden waren. Stumm ging man nach Hause, wortlos war das Auseinandergehn.

Am nächsten Morgen war, als die Bobolina sich herrichtete, um Grew und den Befehlshaber der Insel zu empfangen, die junge Französin ins Heim des katholischen Geistlichen geflüchtet. Der stolzen Frau Schrecken war groß – sie überlegte sich die Lage und beschloß, besonnen vorzugehen. Bloß Grew sollte davon Kunde erhalten. Als er bei ihr eingetreten war, gefragt hatte, wo das Täubchen wäre, ob es seine Zweifel niedergerungen hätte und erfahren mußte, 38 was vorgegangen war, konnte er seine Bestürztheit nicht verbergen. »Das ist der fehlende, ja sogar störende Jupiter!« äußerte er sich laut. »Doch sie kommt wieder, binnen zwei Tagen bringt der Kriegsstern die Friedenstaube in dein Haus, Weib unter Saturn!« »Daß es der Himmel so beschere!« seufzte die Bobolina. »Es scheint mir nicht geraten, das Kind dem Seelsorger zu entreißen, die Rechtgläubigen würden es mißbilligen; auch ist die Stunde der Abrechnung mit den Päpstlingen noch nicht da. Frankreich beschirmt sie, wir dürfen die Großmacht nicht reizen.« »Überdies«, ergänzte Grew der klugen Frau Anschauungen, »brauchen wir das Mädchen, bei gutem Willen; es muß die Absolution der Kirche erreichen, sonst läßt sich der Schatz nicht heben. Ist Marianne beunruhigt 39 aus ihrer Kirche gewiesen, so ist das ein Makel der Seele, die Keuschheit des Leibes könnte uns nicht nützen.« »Ich werde zum Priester gehen, die Herausgabe der Marianne Fonton fordern, durchsetzen, den Priester für unsere Sache zu gewinnen wissen«, sagte gar selbstbewußt die Bobolina. »Tue das!« zeigte sich Grew gleich einverstanden. »Der Geistliche weiß – dagegen läßt sich nichts mehr einwenden – um was es sich handelt, er kennt die Geschichte des Schatzes besser, als mir lieb sein kann; versuche ihn mit Güte auf unsere Seite zu bringen; sollte es nicht gelingen – nun so beginne anderes. Einmal gehoben, muß der Schatz geteilt werden, ein Drittel sollen die Armen bekommen, das sind die geknechteten Griechen, das zweite Drittel gehört 40 der Kirche – und sie gibt es für unsere Zwecke her, das Dritte darf man sich behalten. Bobolina, teilen wir es in drei Teile: Du, ich, der Priester, jeder habe etwas davon. Wir werden alle reich. Es ist ein mykenischer Fürstenschatz, eine große Goldbeute aus Phönikien.« – »Neulich wolltest du einen Teil der Jungfrau geben, heute dem Verräter«, setzte sich die Bobolina in Widerspruch. »Ich bin dagegen, wenn jemand Geld braucht, so ist es Kolokotronis. Er wird die Macht haben, den Schatz ungeteilt den geheiligten Zwecken zu erhalten. Doch meinetwegen, zuerst den Schatz, dann den Zank um ihn!« Die Bobolina wollte sofort aufbrechen, doch der Engländer riet ihr, den nächsten Morgen zu erwarten, das Mädchen sollte erst eine Nacht vom Hause weggeblieben sein. 41

Marianne hatte gehofft, sogleich Absolution zu erhalten; der Priester aber konnte sich dazu, trotz der Jungfrau Flucht zu ihm, nicht entschließen. Er würde sie behüten, bei sich behalten, damit ihr nichts widerfahre, nötigenfalls sofort eingreifen, wenn sie erkranken sollte, doch den großen Trumpf hat er nicht aus der Hand gegeben. Vielleicht, dachte er, ist das alles eine List: Grew hat etwas mit dem Mädchen vor; solange er auf der Insel ist, traue ich keinem Menschen auf der Insel. Je mehr das Mädchen weinte, desto argwöhnischer, hartnäckiger zeigte er sich. Als die Bobolina den ganzen Tag nicht gekommen war, stieg sein Verdacht ins Phantastische. Er mußte sich beherrschen, um nicht der Herbeigeeilten Vorwürfe zu machen, gegen 42 sie Beschuldigungen vorzubringen. Am nächsten Tag erschien die Bobolina; da schmunzelte er besonders pfiffig; sie ist neugierig, ob sie die Unschuld, samt Absolution, schon nach Hause bringen kann! Die Bobolina wollte bloß das Mädchen sprechen, der Priester aber weigerte sich, ihrem Wunsch nachzugeben; Marianne sollte – so bestimmte er – überhaupt nicht erscheinen. Arg genug, daß sie von dem Besuch etwas erfahren müßte. Plötzlich verzichtete die Heldin auf die Auseinandersetzung mit der Flüchtigen und griff den Priester geradeaus an: »Demetrios Kalergis, du bist Grieche, warum hinderst du uns, das Land der Deinen zu befreien?« »Ich habe Gottes Beschlüsse durch kein Teufelswerk zu stören!« antwortete der Geistliche. »Die Seele 43 der Marianne Fonton steht im Schutz der heiligen Jungfrau; ich werde sie nicht ausliefern, damit ihr sie ins Verderben reißt. Bobolina, glaubt ihr Rechtgläubigen nicht an unsere Sache? Seid ihr keine Christen? Wozu Schändung von Heidengräbern? Frankreich oder Rußland oder sogar England werden eine Anleihe gewähren.« »Warum«, wandte die Frau ein, »sollen wir uns nicht des Goldes unserer Vorfahren bedienen? Wer sich selbst hilft, dem steht der Herr bei! Helfen uns nicht die Sänge Homers, Lieder der Sappho? Europa fördert unsere Sache, weil Plato hier zur Welt gekommen ist, Johannes auf Patmos die Offenbarung niedergeschrieben hat. Wir sind wenige, wie zur Zeit der Perserkriege, wir sind ärmer als damals, Laurions 44 Silberminen sind erschöpft, bloß Themistokles lebt unter uns: Kanaris. Doch das Gold, das Gold! Ein Welscher, in des deutschen Kaisers Diensten, Raimund Graf Montecuccoli, hat es im Glaubenskrieg erkannt: zum Kriegführen gehören drei Dinge: Geld, Geld, nochmals Geld. L'argent fait la guerre! Das ist fast alles, was ich auf französisch zu sagen weiß. Ich bin keine gebildete Frau, verstehe bloß vom Kriegshandwerk etwas, mehr als die meisten Männer hier zu Lande; bloß Theodor Kolokotronis möchte ich über mich stellen.« »Der ist dein Blutsverwandter und überdies – wehe dir Bobolina!« ist der Priester erzürnt. »Nicht auf die Größe des Vaterlandes, nicht auf seine Freiheit kommt es an – die Seelen der Hellenen sollen rein bleiben, 45 unbefleckt; dann, bloß dann, wird der Herr der Heerscharen alle Heimsuchung von ihnen, wie von den Kindern Israels, wenden!« Die Bobolina lachte auf: »Haben wir Protestanten in Griechenland? Du redest wie so einer: Demetrios, wirf die Maske ab. Du bist kein Puritaner, kein Engel in Menschengestalt, sondern ein verkappter Jesuit; gälte es die Macht von Rom, ja dann dürftest du Opfer auf Opfer zur Schlachtbank führen, Gewissen und Seelen knicken und dich daran weiden; es gälte das einzige würdige Ziel, die Macht deiner Kirche!« »Dummes Weib«, entgegnete ihr der Priester. »Wer heißt dich so abgeschmackt reden, ich bin kein Jesuit, bin dazu weder fromm noch sonst eifrig genug; doch du dienst dem Orden der 46 Freimaurer; Törin, Unfreie, eine Gesellschaft zum Umsturz der Welt gewillt und bereit, bedient sich deiner, lacht dich – es ist ein Chor über die alte und neue Welt – aus. Befreit Griechenland, wenn die Tat Gott wohlgefällig ist, doch verunreinigt weder euch, noch eure Feinde, durch schlechtes Beispiel. Der Herr ist für die Rettung der Christenheit gestorben. Rettet euch, rettet sogar die Heiden, doch erkauft keine Unabhängigkeit durch Zauber – und Alfanzereien laßt fort. Weg von mir, Versucher in Weibsgestalt! Verlasse mich auf der Stelle!« Er drängte die Bobolina zur Türe hinaus; die starke Frau ging – sie hätte in einer Balgerei nicht unterliegen müssen, doch sie konnte sich beherrschen, – aus Schlauheit.

Grew war über der Bobolina 47 Bericht keineswegs erstaunt. »Demetrios Kalergis ist ein Gegner, ich werde ihn – die Sterne bestimmen es so – überwinden!« meinte er. »Das Mädchen kommt von selbst; ein Raub könnte nicht gelingen, doch wir brauchen die Absolution. Wie die erreichen? Das ist die Frage; es kommt auf neue Versuche an. Für den schlimmsten Fall, sollte der Priester unweigerlich auf seinem Standpunkt beharren, greife ich zu einer List. Nicht gegen den Geistlichen – gegen Gott. Das Mädchen muß uns folgen!« Grew begab sich am nächsten Tag zu Demetrios Kalergis und wurde, er hatte es kaum erwartet, empfangen. »Sie sind Katholik, ich bin Protestant, wir wollen beide die Befreiung eines Landes, das sich zu Gott, zum Heiland, vermittels einer anderen Kirche, bekennt«, hat 48 der Engländer den griechischen Katholiken angeredet. »Wollen Sie mein Freund sein? es handelt sich darum, der Erde einen Schatz, der Ihr Vaterland retten kann, vor seiner Nutzlosigkeit zu bewahren; wäre es kein Frevel, ihn jetzt, in höchster Not, dort zu lassen, wo er keinem Christen helfen wird? In unserer Hand ist er geborgen, doch – wäre es nicht Gold – könnte man sagen: er modert.« »Benützen Sie Ihren Verstand, Ihr Wissen, graben Sie!« entgegnete der Priester. »Woher stammt Ihre Kenntnis, daß dort ein Schatz, daß hier auf der Insel Gold begraben liegt? Ich halte das, was so geredet wird, für Aberglauben, für Wahnwitz. Ein Mädchen ins Grausliche der Höllenmächte zu führen, ist Unfug, dem muß ich mich als Mensch, als Priester, 49 entgegenstemmen.« »Sie wissen ebenso genau wie ich, daß der Schatz vorhanden ist. Kann der Magier etwas dafür, wenn die Welt so aufgebaut ist, daß Gold die höchste Macht hier und dort besitzt, dort und hier umgiert, hartnäckig verteidigt wird? Uns kann Gold dienen, in der Geisterwelt erhält sich darum bloß das auf uns lastende Schwergewicht der Habsucht; entledigen wir die Astralwelt von ihrem Klumpen!« erwiderte der Archäologe. »Varron bei Augustinus sagt: › Se timere ne dii pereant non incursu hostili, sed civium negligentia.‹ Der Mensch ist für den Frieden der Geister verantwortlich. Wir werden, heißt es, die Engel anklagen – dafür aber von Tieren gerichtet werden.« »Das sind Anschauungen einer besiegten Gnosis, ein Gallimathias für alle christlichen 50 Kirchen, Teufelswerk, das die Heilige anruft, um uns zu blenden«, sagte ganz unbeirrt der Geistliche, »und wenn alles stimmte, so bleibt es Unrecht, eine unschuldige Seele ins Verderben zu reißen. Kein Zweck kann solche Mittel heiligen.« »Was ich beginnen und durchführen werde, ist kein böses Tun; mit reinen Seelen nur kann ich es vollführen. Ein Drittel des Erlöses gehört gesetzlich den Armen, das zweite der Kirche, das dritte teilen wir unter uns. Ist das nicht bescheiden, christlich in der Gesinnung?« hat Grew auf seinen Absichten beharrt. Der Priester aber sagte bloß: »Ich verabschiede mich von Ihnen, mit Worten des Porphirius beim heiligen Augustinus, den anzuführen, Sie die Dreistigkeit gehabt haben: › Confiteris tamen etiam spiritualem 51 animam sive theurgicis artibus et sine teletis quibus frustra discendis elaborasti, posse continentiae virtute purgari‹.«

Marianne lebte die paar Tage beim Priester in einem sehr hübschen Garten. Zwischen Lorbeergebüsch spiegelte ein kleiner, eirund eingefaßter Teich den Himmel. Goldfische schwammen darin recht faul hin und her. Sie hatten etwas vom Wesen ihres algenreichen Elementes, in dem sie zu Haus waren, angenommen. Eine hohe, breitkronige Zypresse schien die Blitze, nicht bloß vom kleinen Besitztum, sondern vom ganzen Hügel, auf dem sie alle Bäume überragte, abzuwehren. Sonst gab es im Garten bloß junge Mandel- und Pfirsichbäume, die die hohe Umfassungsmauer kaum noch überragten. Vor dem Hause blühten gerade 52 Granatäpfel, so kränklich rot, wie eines Kindes Wangen bei Fieber. In den etwas verwilderten Blumenbeeten prangten einige weiße Lilien über blühendem Unkraut; dem mückenzeugenden Wasser zu, öffneten schöne Blattpflanzen ihre Aronstab genannten Kelche. Während des Gespräches der beiden Männer, das ihrem Schicksal galt, war Marianne auf einer etwas erhöhten Veranda über der Haustür, die zugleich in den Garten führte, gestanden; ihr Zustand ist recht schicksalsergeben gewesen; etwas träumerisch veranlagt, dachte sie gerade nun – obschon recht klug von Haus aus – wenig über Dinge, die sie angingen, nach. Sie wußte sichs nicht zu erklären, warum sie Vogelgesang lieber und länger als sonst zuhörte, nachts – seitdem sie beim Aphroditetempel 53 auf Saturn, Mars und Jupiter gewiesen worden war – auf die leuchtenden Skarabäen dort oben blickte. Als Grew, ohne sie bemerkt zu haben, eigentlich hinausgewiesen, durch die Pforte schlüpfte, ist etwas in ihrem Innern, das voll Einsamkeit zu sich selbst laut gewesen war, verstummt. Ihre Blicke hingen sich an die Zypressen; sie glaubte fast, sie klammere sich mit Sehnsüchten schließlich, über die Entfernung, ganz an ihre emporweisenden Äste. Dann erschien ihr geistlicher Herr: »Heute ist's so schön windig-warm, komm Marianne, gehn wir an's Meer!« hat er sie angeredet. Zuerst verweilte sie ohne Antwort, an Ort und Stelle; dann, ohne sich eigentlich zu was besonnen zu haben, – schmiegte sie sich, um Hut und Schleier zu holen, davon. Der Priester 54 folgte, fing unterwegs kein Gespräch an. Plötzlich sah sie ihn flehentlich an und bat: »Warum bekomme ich noch keine Absolution; darf ich nicht das Abendmahl empfangen? « »Nein!« war die kurze Antwort. Beide gingen langsam die Brandung entlang. »Mein Kind,« sagte überraschenderweise der Priester nun und faßte des Mädchens Hand, »es ist zu deinem Besten, daß ich das, wonach du dich sehnst, unterlasse. Deine Seele ist in Aufregung – noch droht dir Gefahr!« »Welche? « fragte Marianne. »Die, die dir Egoisten bereiten. Das Zeug mit dem Schatz ist nicht erledigt«, antwortete er. Und sie fragte nochmals: »Wieso? Ich bleibe doch in deinem Schutz, bewege mich keinen Schritt aus dem Haus; man wird mich doch nicht entführen, und wenn ich mich weigere, kann die 55 Hebung des Goldes nicht gelingen.« »Marianne,« lächelte der Priester, »ich kann wohl den Käfig bei mir halten, doch vermag es der Seelenvogel – an den unsere Ahnen glaubten – zu entweichen; so ist es eben bei den Menschen. Freilich, Marianne, ohne deinen Willen, ohne dein Einvernehmen mit mir, der ich deine Kirche vertrete, kann der magische Vorgang sich nicht verwirklichen lassen – doch –!« – »Doch?«, fragte Marianne. »Es ist wohl alles in Ordnung, ich sehne mich nach der Absolution; als ich zu dir geflohen bin, beichtete ich, obwohl ich kein Verbrechen begangen, nicht einmal vorgehabt hatte; darfst du mir da mit Exkommunikation drohen?« »Ja, für Verbrechen die hinter uns liegen, können Reue und Verzeihen der Kirche etwas, doch wer 56 kennt seine Absichten? Im Voraus gibt man keine Absolution!« Auf diese Antwort des Priesters zitterte beinah vor Empörung der Jungfrau Stimme: »Was sollte ich vorhaben, Demetrios Kalergis? Das ist unverdient; ich kam, auf eignen Antrieb, sofort zu dir!« – »Sei ruhig Marianne,« fiel nun der Geistliche sanft und streng ein, »du weißt nicht, was du tust? Du glaubst bloß deiner Kirche zu dienen. Das ist nicht richtig; wir haben keine Fastenzeit und du –.« Das Mädchen wurde purpurrot, am liebsten wäre es auf die Kniee gesunken: »Mein Gott, wahrhaftig, ich weiß nicht was ich tue! – Heute noch esse ich Fleisch und was du sonst willst; ich dachte ich hätte aus Unpäßlichkeit bloß Obst genascht, doch ich bin gesund, wenigstens jetzt ganz, verzeihe mir! – 57 Wenn ich nun das Fasten unterbreche, so ist es ganz unmöglich, daß die Magie wirke – Grew hat mir das voll Strenge gesagt. Aber dann erfolgt die Absolution!« – Der Priester faßte des Mädchens Hand und sagte bloß: »Gutes Kind!« Dann ein paar Schritte darauf: »Vertraue mir!«

Das war » a glorious day«, wie die Engländer so einen Tag, wenn der Himmel ein Füllhorn voll Glanz und Segnungen über die Erde geschüttet zu haben scheint, nennen. Das sonst viel dunklere Meer war nun in den Himmel viel zu verliebt, wollte bloß seine helleuchtende Schönheit spiegeln, keinen größeren Prunk durch eigene Tiefe aufbringen. Da ihm dieses entzückende Blau wirklich gelingen konnte, hüpfte es in Tausenden von Wellen allerfröhlichst auf. Hunderte 58 unter ihnen sprühten sogar Schäume in die Luft und bildeten mit der Brise, die oft heftig aufkam, ganze Tanzreigen durch's große Fluten. Veilchenblau, oft purpurn schattiert, verzackte sich die leicht geschwungene Bergwand vor Trözen übers Meer um den Peloponnes, dessen ernstere Gebirge heute den köstlichen Einfall hatten, Wolkenball zu spielen. Flamingorote Segel schwebten von dort, aus vielen Buchten um Ginsterinselein, der größeren Mutter-Insel mit dem Heiligtum der schaumgeborenen Lebens- und Liebesgöttin zu. Ein wüstengelbes Kap trug seine letzte Säule in das seichtere, darum smaragdgrüne Wogewasser. Es gibt nirgends auf der Erde durch ihre Form erleichterte Berge als in Griechenlands Eiland-Welt: Naxos und Aegina ähneln sich darin 59 besonders, ragen daher durch Schönheit ihrer Umrisse, noch hoch über die lieblichen Schwestern im brandenden Archipelagus hinaus. Die Inseln lieben einander in ewig-jungen Verwandtschaftsgefühlen, ihrer Berge Zuneigungen geben Griechenland eben den friedlichen, harmonischen Charakter: Möwen, wie Vermittlerinnen freundlicher Grüße, schweben darum unaufhörlich durchs Gewoge. Auch beflügelte Boote mit Menschen beschwingen den Austausch von Zärtlichkeitsbezeugungen, die hier die Natur in jedem meisterlichen Strich ihres Schöpfers kundgibt. Der Priester verstand die Landschaft wenig; er hatte sein Wesen von ihrem Heidentum abgelenkt und ihn konnte keiner ihrer Reize ansprechen. Auch Marianne hat wohl bloß der Wärme Wonne 60 gefühlt; die Kühlung durch der Brandung Braus bekam ihr wohl, Schönheit war ihrem Wesen zu selbstredend. Wo sie ihre Seele stärker anmutete, erweckte sie Gefühle der Sehnsucht im Herzen; sie dachte an Smyrna, die üppigere Levante, ihre Eltern, die durch Politik zu Hader in Glaubenssachen gekommen waren. Sie sehnte sich besonders nach der Mutter: Griechenland, doch nicht das entlegene Frankreich, konnte bloß ihr Land, die Heimat, sein. Doch immer wieder jenes Jonien jenseits des Meeres, dort hinter oder zwischen den kahlen Inseln. Zur Bobolina hatte Marianne aufgeblickt, ihr Vater hatte sie ihr sogar auf Spetsä, wo die Heldin zu Hause war, einmal gezeigt. Auf Hydra wagte es dann das Mädchen, die berühmte Seeheldin anzusprechen, dann ist sie bei ihr 61 geblieben. Es war also wohl auch auf Wunsch der Familie so gekommen. Von der Bobolina wußte sich Marianne berauscht, ihr Ruhm mußte dem Mädchen imponieren; doch verehrte sie nun den gescheiten, verläßlichen Priester noch mehr. Aber sie hatte auch unerklärliche Empfindungen, als ob er ihr hinderlich wäre. Worin? Beim Schatzgraben wollte sie doch bestimmt nichts zu schaffen haben? es graute ihr davor, mit Geistern, mit Gespenstern, gegen die Erlaubnis der Ihren, in Fühlung zu kommen. Und die Kirche! Ihr waren diese Eingriffe in eine verriegelte Welt ein rechter Gräuel!

Marianne wollte den Geistlichen eben bitten, umkehren zu können, da sie das Meer zu sehr blendete, als sie plötzlich ein Wolkenknäuel gar 62 rasch von benachbarter Insel sich loslösen sah; es schien auch einen Blitz entladen zu haben. Offenbar, sie merkte es, hatte Kalergis das Phänomen auch gesehen – und nun folgte ein Donner. Gleich darauf zeigten sich ähnliche Wolken, und zwar von vielen Seiten: es sind Kanonenschüsse gewesen. Eine Schlacht war im Gange. Zwei Korvetten jagten im Wind, voll von Gewitter, das sie entluden, dahin. »Wohl die Ägypter!« meinte nun – endlich – der Geistliche. Er war erblaßt, Marianne plötzlich purpurrot geworden. »Ein Sieg!« jubelte sie. Sie konnte sich's nur so vorstellen. Freiheit, Unabhängigkeit, ein geeinigtes Griechenland; alle diese Vorstellungen – nun waren sie Greifbarkeiten geworden. Dort kämpfte, dort starb man, dort unterlag der Barbar. Der 63 Priester hatte Mühe, das Mädchen nach Hause zu bringen. Doch Kalaureia zu, verhallte das Donnern, aber das lag an der immer größeren Entfernung der kämpfenden, dorthin segelnden Schiffe. Die Kanonade war ja – gerade gut hörbar – viel unaufhörlicher geworden. Weil der Priester gar nicht begeistert, bloß bekümmert schien, erfaßte Marianne Haß gegen ihn.

Alle Kirchenglocken der Stadt, auch die der katholischen Kapelle, läuteten Sturm. Die von Kapodistrias angeschüttete Mole war voll von aufgeregten Menschen, sämtliche Segler, oft Barken im Hafen, hatten die Fahne mit dem Kreuz gehißt. Sie schienen, obschon ohnmächtig, bereit, hinaus zu fliegen, um dort, eines nutzlosen Opfers wegen, unterzugehen. Ein hurtiges Boot 64 erschien angerudert: wie ein Stern kam es mit blitzenden Strahlen, nach rechts, nach links daher. Es wäre angerufen worden und zwar von anderen, die auch bloß die Nachricht über's Meer gehört hätten, und auch nur von anderen! Die Ägypter, unter Ibrahim Pascha hätten die Griechen im Sund vor Trözen überrascht! Eine verlorene Inselschlacht! Morgen könnte der Muselmann Rache nehmen, auf der Insel landen. Solches verlautete. Der Schreck war ungeheuer. Frauen kamen mit ihren Säuglingen, hoben sie gen Himmel und beteten schreiend. Alle Kleinen weinten. Es schien gewiß, der Untergang mußte kommen, gleich. Marianne war ihrem Priester im Gewimmel entschlängelt. Ohne daran zu denken, hatte sie den Beschützer aufgegeben, verloren. Hellas, bloß Hellas! brannte 65 es ihr im Herzen. Plötzlich wich die Menge auseinander; dem Meer zu schritt, allein – die Fahne in den Farben des Himmels und der Schäume ihres Meeres wehen lassend, hoch haltend – die Bobolina, die Seeheldin von Nauplia, zur Mole. Sie sprach keine Worte; ihre Erscheinung hatte aber bereits Beruhigung verströmt. Einzelne jubelten, es hofften schon alle. Die Bobolina stand schwarzgewandet, mit ihrem Profil einer Riesin, mit weißester Stirn im Süden, auf dem Damm, dann bestieg sie ein Schiff. Wo sie eben aufgetaucht war, stand der Bischof nun und segnete die beherzte Frau, dann die Männer, die ihr bereitwillig folgten. Gleich einer Gestalt der Unterwelt, doch dabei faßbar wie eine Statue, weil schon mehr als menschlich, blieb die 66 Bobolina auf ihres Schiffes Heck: aufrecht und ohne ein Wort zu sagen, wies sie dann dem Schiff seine Richtung. Erstaunt, beruhigter sind die Inselleute zurückgeblieben. »Marianne Fonton!« hörte sich das Mädchen mit schöner Stimme anrufen. »Ihr haltet, Ihr gehört ja zu uns. Sagte ichs doch, der Kriegsstern wird Euch an die Stelle bringen, wo bloß Ihr dem Vaterland dienen, helfen könnt.« Wir erraten es, Grew hatte die Worte gesprochen. Mariannes Lächeln strahlte: ja! Beide begaben sich ins Haus der Bobolina. Sonne fiel gerade auf den Freundetisch. Darauf stand eine alte rhodische Schüssel, in Farben von Schnee und Frühlingsknospen, voll von rot und rundgetürmten, blutroten Kirschen. »Haha!« rief das Mädchen, »ich verstehe die Anspielung, das soll meine 67 Fastenspeise sein, gut, daß mir der Pfaffe kein Fleisch hat zuschieben können«. Grew verstand gleich, was das zu besagen hatte, warf aber ein: »Es ist Zufall, vielleicht Gunst der Sterne, Wunsch des hochroten Mars, ich bin dabei nicht mit im Spiel.«

In den Stuben der Bobolina war es angenehm zu verweilen – kein Gefühl der Angst konnte an dem Abend aufkommen. Die Herrin schwamm draußen, vielleicht im Rauch der Kanonen, als der Tag abbrannte.

Am Abend blieb Grew bei der Jungfrau, man wollte warten, ob die Bobolina – siegreich? – heimkehren würde. Um die Zeit abzukürzen, erklärte der Archäologe Marianne, was sie über Magie noch nicht gewußt hatte. In seinem Besitz befand sich ein gar altes, viel abgegriffenes Exemplar 68 vom Pseudo-Faust. »Das ist das größte Erbstück von meinem Vater«, stellte er das Buch vor dem Mädchen auf einem Lesepult der übrigens wenig belesenen berühmten Hausfrau auf. »Auch unsere Bobolina liebt dieses herrlich-schreckliche Volumen«, redete er von seinem Eigentum. »Mein Vater hat, dieser Schrift wegen, Deutsch, sogar altes Deutsch gelernt. Ich verstehe bloß die Zeichnungen«. Dann erklärte der Engländer der jungen Smyrniotin manches Wunder der Sterndeuterkunst. »Sie ist«, erzählte er, »im Altertum die Königin aller Künste und unter sämtlichen Wissenschaften gewesen. Ihr nachzuhängen erfordert Mut; für den wenig Beherzten ist es Mitleid, ihm nicht seine bestimmt schwere Lebensaufgabe zu enthüllen. Doch die Welt ist wohl 69 geborgen. Wir sind alle Krieger. Auch ihr Frauen seid Amazonen. In den Briefen des heiligen Clement werden die Gemeinden der Kirche › militia Christi‹ genannt. Die Astrologie stammt aus dem Zweistromland der Chaldäer, von dort hat sie die Lehren der Assyrer und Babylonier durch die zendischen der Perser zersetzt. Sogar Aegyptens stolze Priesterschaft konnte sich ihrer Macht durch die Wahrheit nicht verschließen. Es hat sich zweifellos in Alexandria, im Jahre 150 v. Chr. ereignet, daß die mystischen, den Pharao Nechepso und seinem Vertrauten, dem Hohepriester Petosiris, zugeschriebnen Kenntnisse über die Einflüsse der Gestirne in griechischer Sprache niedergelegt wurden. Damals stieg auch bereits in ganz Italien das Ansehn 70 der chaldäischen Sternerleuchtung des Menschen; ein Dienstbeflissener des Gottes Baal, der aus Babylon auf die Insel Kos gelangt war, hatte bereits die Neugierde der Griechen für das alte, ihnen uns zugebrachte Lehrgebäude erweckt. Im Jahre 139 hat ein römischer Praetor, zugleich mit den Juden, alle Chaldäer aus der Urbs gewiesen. Doch umsonst! Das Wissen des Ostens hatte bereits das Abendland von seiner Eindringlichkeit, im echten Sinn des Wortes, überzeugt. Zur Zeit des Pompejus erklärte ein zum Okkultismus neigender Senator Nigidius Figulus die Himmelsbeschreibung und Deutung der morgenländischen Barbaren auf lateinisch. Doch am weittragendsten wirkte damals, zur Durchsetzung der Gestirnwahrheiten, ein syrischer Philosoph, 71 Poseidonios von Apaméa, Ciceros Lehrer. Später fielen die Cäsaren oft von ihrem Heimatkult ab, um sich der neuen Erkenntnis zuzuwenden; Tiberius glaubte beispielsweise bloß an das Schicksal. Kaiser Othon war ebenfalls durchaus vom Sternglauben bestimmt worden, Krieg zu führen oder zu unterlassen. Ptolomäus, der große Kosmiker aus dem Delta, ist überzeugter Astrologe gewesen; zuerst hatte man im ganzen Imperium bloß für viel Geld sein Horoskop stellen lassen können, doch bald wimmelte es von Sklaven aus der Levante, die für wenig Entgelt, Schicksal, günstige Tage, Unglückssterne auch der Unbemittelten feststellten. Manilius, schon unter Augustus ein bekannter Sterndeuter sagt daher: › Nascentes morimur, finisque ab origine pendet. 72

Der größte Gegner der Astrologie war ein Grieche; der Denker Karneades. Doch seine Einwände sind nicht gegen das Wissen seiner Zeit aufgekommen. Auch Sectus Empiricus, der hartnäckige Zweifler, warf sich den neuen Kenntnissen aus dem Osten entgegen, doch vor allem ward die morgenländische Überzeugung von einem morgenländischen Glauben bekämpft, schließlich besiegt: vom Christentum. Doch erst heute, wo viele Menschen meinen, sie fielen von des Nazareners Wort ab, hat das Christentum in diesem, wie in manchem Sinn, gesiegt. Voltaire ist Jesus' Lehre näher als mancher Scholastiker des Mittelalters. Wir überzeugte Astrologen bekämpfen nicht Christi Wort, halten Jesus sogar für eine irdische Erfüllung himmlischer Urvorgänge, doch 73 bestehen wir darauf, daß unser Wissen, trotz des Widerwillens der Kirchlichen, geprüft, gewürdigt werde! Bloß sittlichen Zwecken dient unser schweres Handwerk, (freilich kann es auch bösartig verwendet werden), nur mit reinen Mitteln suchen wir das Ziel zu erreichen. Am Sonnabend, Marianne, wirst du, eine Jungfrau, ohne Scheu und inneren Vorwurf, nötig dabei sein, damit ein vergrabner Schatz, wenn die Sterne die Stunde angegeben haben werden, treulichen und gütigen Zwecken, zur Linderung von Leid, zugewandt sei! Meine Mutter ist das Kind einer Inderin gewesen; von ihr hat sie viel gelernt. Meine Ahnin wußte Tiefstes. Überall die gleichen Sterne, das nämliche Wissen; die ewige Wiederholung von Wirkungen aus himmlischer Ursache! 74 Sie riet mir durch der Mutter Mund – es müssen drei Wesen beim Heben eines Schatzes zugegen sein – statt zwei Menschen, die fehllos sind, ein makelloses Tier zu brauchen. Erstens, findet sich das leichter als ein Mensch, zweitens, gelingt dabei die Berührung mit der Erde besser. Tiere schleichen ihr näher, um uns Aufgeregte umher. Auch liebt es der Inder, das Tier immer wieder vorzunehmen. Dadurch wird beider Vornehmheit, die des edlen Menschen, wie die des naturhafteren Lebewesens, erhalten.

Darum Marianne sind weder unser scheinbarer Gegner, dein Beichtvater Demetrios Kalergis, noch ich in der Seeschlacht der Bobolina; alle Wesen, Menschen, Tiere, Pflanzen gehören ins nämliche Sternenreich, das eine absolute Königin, unsere Sonne, regiert. 75 Wir finden keine Feinde. Auch was sich aufhascht, vertilgt, umfaßt, ergänzt sich im All. Einige wissen das – soeben nannte ich dir zwei – und die vermeiden den Schein. Nur für sich gibt es kein Notgedrungensein. Die Bobolina muß kämpfen, braucht den Schatz – mir liegt am Erkennen durch ihn, schon am Wege zu ihm. Könnte er, statt eingeschmolzen zu werden, eines herrlichen Museums Zierde sein! Kalergis geht Griechenlands Freiheit kaum etwas an. Wenn die Sterne – er denkt Gott – sie beschlossen haben, nun dann wird sie (die Vorsehung, besser Vorsicht, bedient sich der Bobolina, der Miaulis, ihrer Holzkästen auf See) Tatsache werden. Auch ich werde sie begrüßen, sowie am Abend Aphrodite, wenn sie aufblickt, am Morgen Aphrodite, wenn 76 sie aufgegangen ist, um den Tag zu entzünden. Vermag ich etwas, daß das so sei, daß es anders würde? Dir fallt die Gebärde auf, sie reißt fort: ich versorge meine Umgebung mit Gelassenheit. Beinahe hätte Kaiser Mark Aurel, ein Zeitgenosse des Astrologen Vettius Valens, auf diese Weise das Reich Roms beruhigt, die Menschheit zufrieden gestellt«. Marianne aber sprach: »Trotzdem haben mich Eure Blicke, wie von einem Tigertier aus dem Dschungel, angesprungen, als Ihr mich dingen wolltet. Ihr obsiegtet. Wußtet Ihr nicht, daß ich zu Eurem Werk gehörte? Wozu der Affekt, heute freilich schient Ihr mir viel sicherer, so folgt ich Euch leichter.« »Marianne,« sagte nun Grew, »mein Blut war, als ich Euch damals sah, zum erstenmal in Wallung geraten, 77 mein Inderblut, Marianne, das versagt mir die Weisheit des Einsichtigen!« »Nun schweigt!« gebot die Jungfrau. Sie fürchtete errötet zu sein. Doch das war nicht geschehen, allmählich sollte sie – bloß Arthur konnte es bemerken – blaß werden, blaß bleiben. »Mein Blut kann bloß für mein Vaterland, weil es arm und zertreten ist, in Siedehitze kommen. Ist das sträflich, verächtlich gar?« fragte sie. Er schwieg, dann sagte er bestimmt: »Leider!« Gleich darauf zog sich Marianne ins eigene Gemach zurück. ›Er tat bloß so, er ist ein Tuer; ich achte ihn, ohne ihm zu trauen‹, dachte das an Menschen viel gewohnte Mädchen.

Am nächsten Vormittag wurde die Bobolina erwartet. Grew war in ihrem Hause eingetroffen. Niemand 78 hatte noch eine Nachricht von ihr. Es hieß, ein Boot wäre Nachts eingelaufen, dann wieder abgefahren, hätte das Gerede von einem Seetreffen bestätigt. Doch wären die Griechen nach dieser Version Sieger geblieben. Gleich rief alles: »Durchs Eingreifen der Bobolina.« Übrigens wagte sich nun keines der zurückgebliebnen Fahrzeuge mehr aufs Meer; man fürchtete durch Ibrahims kreuzende Flotte aufgebracht, gekapert zu werden. »Was mag wohl Kalergis unternehmen?« fragte Grew die Smyrniotin, ganz überraschenderweise, als beide auf der Veranda, recht schweigsam, scheinbar voll Gleichgültigkeit, einen Imbiß genommen hatten. »Er scheint sich um mich nicht zu kümmern«, antwortete die Angeredete. »Er denkt sich, möge sie weiterfasten, ohne 79 Absolution kein Schatz.« Dabei blickte sie den Engländer erschreckt an; es war ihr diese peinliche Tatsache erst jetzt wieder eingefallen, mit ihren Folgen vor die Sinne getreten. Grew meinte scheinbar vorderhand nichts; er bestellte sich eine Wasserpfeife und begann sie nach morgenländischem Brauch mit akzentuierter Behaglichkeit zu rauchen. Das Mädchen war ihr Anstarren-Müssen noch nicht los, als der Gelehrte begann: »Das ist allerdings unangenehm, doch wird er den Kürzeren ziehen, falls Ihr es wollt, auf meine Absichten eingeht.« »Was soll ich tun?« fragte sie. »Nun, ihr werdet nötigenfalls den Glauben wechseln; bevor das geschehen kann, wird der Römling nachgeben.« »Ich . . .« Marianne war es bloß klar, daß sie verwirrt würde: »Ich sollte . . .?« 80 »Bestimmt!« sagte Grew, »Ihr müßt den Glauben Eurer Mutter annehmen, falls Eure Kirche es Euch verweigert, dem christlichen Vaterland zu dienen! Als Orthodoxe seid Ihr sofort mit Kirche und Gesetz im Reinen.« »Ja, aber das Gewissen?« fragte sie. »Eben das Gewissen ruft Euch zur Pflichterfüllung. Vor allem das Gesetz, es steht mit Sternenschrift am Himmel, ihm muß Genüge geleistet sein: das Firmament duldet keine Ausnahmen.« »Und das Herz?« wagte Marianne einzuwenden. »Ein gutes Herz gehorcht günstigen Sternen, ein verstocktes eisernen. Keine Güte schlägt Lücken ins Weltbegebnis.« »Also ich müßte?« fragte sie. »Weil Ihr es wollt!« war der Bescheid.

Grew war weggegangen, Marianne allein geblieben. Wie eng erging es 81 ihr im Gärtchen. Ein Glück, daß er fort ist, der Unheimliche. Soll ich orthodox werden? Ging's ihr durch den Kopf. Gegen mein Gefühl? Damit die Seele in Ungemach gerate, das äußere Gesetz in Geregeltheit vorhanden sei? Ohne Absolution aus der einzig seligmachenden Kirche austreten? Nein, welche Zumutung! Und ob der Schatz auch wirklich vorhanden ist? Was, wenn nicht? Mut, Marianne, andere sterben draußen in der Schlacht, warum nicht auch die Schwere der Gestirne erleiden? Ja, wenn es bloß Sterne wären, aber vielleicht gibt's doch einen Gott über ihnen? Die Sterne verleihen uns Anziehungskraft innerer Gesetze; doch ich zweifle, daß es so wenig sei, was uns überlassen wurde. Die Bobolina würde ich fragen, doch was ist sie, mir entrückt, bloß 82 an den Schatz denkt sie. Ich bin ihr gleichgültig. Wenn ich etwas denken gelernt habe, so ist's seit einigen Tagen. Kalergis verdanke ich dieses bißchen Erkenntnis, Grew aber . . . noch etwas mehr. Doch Kalergis hat recht, er ist der Klügere, der Rechtschaffene. Nein, wohl auch zehn bis fünfzehn Jahre älter als Grew. Ob ich Grew mehr vertraue, weil er Freund der Bobolina ist? Der andere ist mein Freund. Was ist Grew für mich? Eigentlich, was bin ich durch ihn? Hoffentlich kommt er nicht, bevor die Bobolina zurückkehrt, es sei denn, sie käme heute nicht, morgen nicht, dann nicht; mein Gott was, wenn sie nicht mehr käme – endlich, ja schon morgen, schickte ich um ihn. Nicht um Kalergis, das geht nicht, der würde mir abraten überzutreten. Aber auch mit dem Engländer geht 83 es nicht; wenn doch die Bobolina da wäre! Wie soll ich heim nach Smyrna? Ohne Grew unmöglich, doch der wird zuerst den Schatz heben wollen, auch wenn die Bobolina, die habsüchtige Frau, draußen bliebe. Dort im Meer. Tief im Meer . . . Tief und weit überm Meer ist Smyrna, meine Stadt, meine Basare, die Moscheen, die Kirchen . . . Wenn mich Grew doch nicht hindern wollte. Jetzt ist er auf den Schatz versessen, den ich ihm zu erraffen hoffe; dann wird er anders, ein guter Mann sein. Doch heute nach ihm schicken, wäre ungebührlich; wenn es die Mutter – ach die nicht, wenn es – die Bobolina erführe! Doch wünscht sie nicht so was? Lachen würde sie, die so selten lächelt. Es wird Abend, dann bin ich ganz allein.

Große Stummheit hatte sich über 84 die junge, kaum erbaute Stadt, ihren lebhaften Hafen gewälzt. Eine große Sorgenwolke, die jeder spürte, niemand sah; die Sterne flimmerten prachtvoll wie immer, erst gegen Morgen sollte es Mondschein geben. Grew bummelte allein auf und ab. Er begab sich zum Tempel der Aphrodite. Ihn ging das Geschick der Bobolina nichts an; das war gewiß. Und Griechenland: wozu den Schatz für diese Fremdheiten heben? Er wird vielleicht verkauft, gerettet, vielleicht eingeschmolzen werden. Hütet ihn nicht die Erde besser, auch ein weiteres Jahrhundert? Und dann das Mädel: der magische Vorgang wird sie, falls er gelingt, so erschüttert haben, daß sie vielleicht dadurch umkommt, später zugrunde geht! Ihr sagen, was sie erwartet? Unmöglich, sie würde dann 85 nie einwilligen, mitzutun. Doch wozu sich besinnen? Dieser Mond neigt sich seinem Ende zu: die Konjunktur Saturn-Mars ergibt sich. Ich bin gezwungen. Wäre Jupiter freundlich, so könnte ich widerstehn, müßte übrigens auch alles gut ausgehn! Doch nein, kein ›Wäre‹ ändert der Sterne Kreisungen! Wir weichen der Welt, die wir ausmachen, nicht aus, also nutzlos alle Unruhe im Blut. Marianne Fonton soll geopfert werden: das stand himmelhoch leuchtend über Smyrna, als die rote Krabbe dort ans Licht gezogen worden ist. Heute ist sie schön, nicht blendend, in Wahrheit schön, also eine Wirklichkeit. Sollte sie die Schaudernacht am Dienstag überleben, so gehört sie mir, das ist ausgemacht; wie grausam ist die Bobolina. Katholik wäre ich geworden, doch Rechtgläubiger 86 nie; kann sie nicht katholisch bleiben? Grew lachte, weil er sich als Heiratskandidat erwischt hatte. Er dachte sich stundenlang los von der Bobolina, hin zu Marianne. Der Schatz war seinen Gedankengängen überhaupt entschlüpft. Er war sich selbst zum erstenmal real vorgekommen; wie komisch sind doch seine Eltern gewesen, mit dem fortwährenden: dir wird es gelingen! Uns ist das Gold entschlüpft. Tausend goldene Kronreifen wären es gewesen. Armspangen und Ringe mit Götterbildern. Ein Wesen, wie eine geflügelte Hündin, mit kokettem Köpfchen, mit steifen Schwingen, die wirrten, surrten, wenn sie sich regten. Alles Gold, mein Sohn, lauteres Gold. Kein schuldloses Menschenkind, kein unberührtes Tier ist dabei gewesen, so gelang es nicht; 87 der Fluch der Inselgottheit aber hatte uns verbannt. Deine Mutter konnte es nicht überstehen, sie starb mir vor unserer Heimkunft nach England auf dem Schiff. Ich darf nicht hin, doch du; hier ist das Buch, nimm es: der Pseudo-Faust! Mein Vater hat mir den Dienstag, der nun sein wird, errechnet, ich nahte ihm, hatte kein Wesen gefunden, das geeignet gewesen wäre, die Schatzgrabung zu fördern; in letzter Stunde fand ich die Bobolina. Mit ihr kam Marianne. Die Zeichen trügen nicht, es wird geschehen!

Zum Morgengruß, gerade als die Sonne aufging, erscholl Kanonendonner; viele waren darüber sehr erschrocken, doch Marianne fühlte gleich, es konnten bloß Salutschüsse sein. Sie durfte, als Mädchen, das Haus nicht allein verlassen. Auch mit einer 88 Magd wäre es ungebührlich gewesen. Sie blickte, von der Veranda aus, nur hurtig angekleidet, aufs Meer. Unter Pulverdampf nahten drei Segler mit der weitsichtbaren, blauweißen, der jungen Griechenfahne, die vom Hochmast wehte. Einer mußte die Bobolina bringen. Grew stand schon auf der Mole, als Marianne vor die Tür konnte; er war noch schneller auf und fix und fertig geworden. Sie glaubte ihn ganz winzig dort erkennen zu können. Er blickte zum Haus auf dem Hügel, gewahrte aber die Smyrniotin nicht. Draußen auf See kam die Freundin, die Gebieterin, vielleicht siegreich. Das Meer, weil riesengroß, weil eine vom Geist des Windes rythmisch geraffte Verschiedenheit in sich selbst, ein im Innersten sich hetzendes feindliches Gewoge, ist das Bild der Beseeltheit. 89 Nicht auch der Sternenhimmel? Das Mädchen hatte im astrologischen Weltbild die Freiheit, die Seele – sie brauchte dafür den Ausdruck Gott – vermißt. Ja, ein Stern ist bloß Gebieter – herrischer Gesetzvollstrecker; doch der Gegner, oft Verbündeter anderer Gestirne! Verliert sich seine Macht im All zugunsten des Ganzen? Ja, und das gebiert aus sich Freiheit, Möglichkeiten zu verschiedengreifendem Handeln; der Sternhimmel spiegelt uns die Seele. Bloß in uns ist das Chaos Kosmos; klare Spieglung – nicht auch Erwachtheit? Was ist der Ozean mir zu Füßen? In seine Schlünde blicken die Feuerwelten; bloß Sonne und Mond bringen ihn in Wallung. In mir, ungeheure Seele auf der Spitze einer Mole, gibt sich – einzig im All – die Welt an sich durch Wissenschaft wieder. 90

Viele Möwen schwärmten der Bobolina voraus, ein Boot war fast unbemerkt eingelaufen; doch es kam – vielleicht von der klugen Frau gesandt – mit Nachricht. Das Gefecht schien, als die Bobolina angelangt war, bereits unentschieden beendet. Griechische Schiffe waren in Gefahr geraten, doch trauten augenscheinlich die Türken und Ägypter den Buchten nicht, glaubten sich im Sund vor Kalaureia in einer Falle, und zogen sich, nach starker Beschädigung des Gegners, fast fluchtartig, ohne Verlust, zurück auf offne See. Das Erscheinen der Bobolina mochte sie in ihren Vermutungen bestärkt haben, obschon sie doch, mit Ferngläsern bewaffnet, hätten sehen können, um was für Fahrzeuge, unbestückte Handelsschiffe nämlich, es sich handelte. Ein Angriff auf hoher 91 See, seitens der Griechin, blieb ausgeschlossen; sie fuhr dennoch durch unheimliche Gewässer, längs des Peloponnes, hatte die Ihren dabei in Gefahr gezerrt; man munkelte – auf der Suche nach Kolokotronis.

Ihr Empfang hätte sollen begeistert sein, doch so brachte ihn niemand, beim besten Willen, beglückt übers Herz. Glockengebimmel, ein paar Willkommrufe, eine sich rasch verlaufende Menge – das war alles. Grew begleitete die keineswegs enttäuschte, im Grunde Menschen wenig achtende Gebieterin im Inselmeer. Marianne strahlte beiden entgegen. Nach dem Mahl fragte die Bobolina: »Gibt es kein Hindernis, kann der Schatz am Dienstag gehoben werden?« Zuerst folgte Stille, dann sagte Grew: »Begeben wir uns zum orthodoxen Bischof, 92 fragen wir ihn, ob er den Übertritt des Mädchens gutheißt.« »Er muß! Das ist ein guter Einfall, Grew, deiner würdig!« Die Frau hatte sofort verstanden. Ohne Zögern ließ sie sich mit Marianne und Grew beim rechtgläubigen Kirchenfürsten anmelden. Eine Stunde später trat man im Bischofssitz ein. Der Priester trug zum Empfang ein sehr schönes, seine Würde kennzeichnendes Gewand. Mit einem Segensspruch hieß er die Ankömmlinge willkommen. Die Bobolina redete ihn darauf an: »Dieses Mädchen, Tochter eines Franken und einer Hellenin, ist katholisch getauft, nun ist in ihr der heißeste Wunsch, als geborene Griechin in den Schoß der rechtgläubigen Kirche aufgenommen zu werden, entstanden. Vollzieht, bitte, den Übertritt!« Der Bischof blickte 93 erstaunt, doch immer freundlicher die Jungfrau an: »Was hat dich, meine Tochter, dazu bewogen? Sei aufrichtig, sage es vor den Freunden. Dann komme oft zu mir, wir wollen deinen Entschluß prüfen, die Vorbereitungen zum Übertritt durchführen!« »Unmöglich!« fiel die Bobolina ein. »Das Mädchen hat nächtelang ihre Seelenstürme bei mir, in tiefster Heimlichkeit, durchgekämpft, sie ist schwach; Mittler der Heilkraft erlöst die Entschlossene sogleich!« Der Priester aber sprach: »Meine Töchter, das Mädchen, die Frau, Ihr begebt Euch in Sünde, wenn Ihr so tief getroffene Bestimmungen überstürzt; das Mädchen ist getauft, nichts bedroht das Heil, wir können umsichtig vorgehen.« Die Bobolina, zuhöchst erregt, stürzte vor dem Bischof auf die Knie: »Sofort, 94 bitte, Griechenlands Zukunft hängt davon ab!« rief sie laut. Dem Priester war alles rätselhaft. Grew fiel in die Rede, nun mußte er seine Rolle spielen: »Gestattet eine Unterredung mit dem Bischof unter vier Augen; Ihr Damen zieht Euch, falls unser Gastgeber einwilligt, zurück!« »Tut das, tut das!« sagte der Bischof mit erleichtertem Tonfall. Die Bobolina, Marianne verneigten sich und begaben sich in einen anderen Raum.

»Also, Herr Professor«, begann der Bischof, »haben Sie die Güte mir über den Vorfall die von Ihnen angetragenen Aufschlüsse zu geben!« Grew sagte: »Wer wüßte nicht auf der Insel, daß hier ein Riesenschatz verborgen liegt!« Der Bischof nickte zustimmend, lispelte dann aber vorsichtiger: »So heißt es, kann jedoch auch Gerede 95 sein«. Grew aber betonte nun: »Es ist so – ich weiß es. Mein Vater hat mir's versichert. Meine Eltern haben den Schatz gesehen, doch nicht gehoben, weil die Beteiligten damals nicht im Stande gewesen sind, den Bann zu lösen.« »Wenn der Schatz verborgen liegt, gesichtet wird, so kann er auch weggetragen werden«, wandte der Bischof ein. »In diesem Fall nicht!« antwortete Grew, »Warum weiß ich nicht bestimmt. Es können zwei Gründe vorhanden sein: Entweder ist das Grab, wo er ruht, ungeheuer stark, magisch verschlossen, so daß der Schatz bloß zu erscheinen vermochte; doch das glaube ich nicht. In hellenistischer, doch nicht in so früher, vielleicht vorhellenischer Zeit wandte man diese, von den Ägyptern erborgten Mittel an. Oder – der Schatz ist so 96 verscharrt, verschüttet, daß ihn kein Menschenauge je erblicken kann, es wäre denn, die Erde öffnete sich, des Magiers Hand zöge ihn mit höchstem Seelenaufwand ans Tageslicht; nun, das halten wir für wahrscheinlich! Die Nacht dazu ist da: Dienstag, Neumond, Konjunktur von Saturn und Mars. Eine Jungfrau, dazu bereit, beizustehen, entschlossen, zur griechischen Kirche überzutreten, hilft uns; der Schatz soll Griechenland in höchster Not gehören. Das Vaterland unterliegt, wenn kein Kriegsgeld herbeiströmt.« Der Bischof schien um viele, viele Jahre gealtert. »Das ist schwer, unentwirrbar schwer«, sagte er, »denn ihr wollt Teufelswerk vollziehen. Keine christliche Kirche gestattet das.« »Höchste Not!« warf der Engländer ein. »Wir betreiben weiße Magie. Die 97 Mittel sind einwandfrei, der Zweck steht hoch.« »Verlangt Ihr den Segen der Kirche? « horchte der Bischof auf. »Wozu dieses Geständnis, ich kann euch hindern, muß die Teilnahme der rechtgläubigen Bobolina verbieten. Weder Ihr, noch die Jungfrau steht in meiner Hut. Wozu das alles? Es gibt bloß eine schwarze Magie. Laßt den Schatz in seinem schwarzen Loch. Griechenland wird auch ohne seine Hebung frei werden!« »Wir kamen, damit der Akt, der die Heiligkeit unseres Handelns verbürgt, der Übertritt der Katholikin zur Kirche dieses Landes, das den Ungläubigen entrissen wird, rechtzeitig vollzogen werde«, sagte Grew. »Das geht nicht! So ein Entschluß beruht auf sich selbst,« antwortete der Bischof, »er darf nicht mit Unrecht verquickt werden. Heute 98 Nacht schlug ich ein Buch auf und fand, es geschah – nun seh ich es – zur Warnung, die Geschichte einer magischen Vornahme. Zu Berytos in Syrien gab es, wir wissen es alle, im fünften Jahrhundert nach unseres Herrn und Heilands Geburt, eine große Rechtsschule. Christliche Priester und Laien besprachen damals eifrig die Fragen der Astrologie und Magie. Obschon längst verdammt, suchten diese beiden Geheimlehren – sie sollten es nämlich seit Alexandrias Niedergang wieder werden – doch in die Gemüter der Bekehrten einzudringen. Der Bischof von Berytos verhielt sich wohlwollend, weil ihm vorgegaukelt wurde, die Magie wolle das Werk des Heiles fördern. Vielleicht waren einige Rechtsgelehrte auch aufrichtig; so setzte sich des Unfugs Duldung 99 leichter durch. Eines Tages ereignete sich aber gar Arges; die Schüler eines der größten Meister in der Rechtskunde, eines gewiß vordem hoch achtbaren Mannes, wollten einmal nachts einen seiner Sklaven im Zirkus erdrosseln, damit auf magischem Weg über des Unschuldigen Blut, der geliebte Lehrer die Gunst einer Frau, die ihm widerstand, erreichen könnte! Doch einer der Studenten hatte sich verplappert, die Gemeinschaft der Gemeinen wurde angeklagt: es fand sich in ihrem Besitz ein Großbuch des Zoroaster, das Hauptwerk des Hostanes, sowie der astrologische Atlas von Manetho. Die ganze Stadt war dadurch in Aufruhr versetzt worden; es zeigte sich, daß die Schüler des römischen Rechts, das Magie verwirft, sich ihr hingegeben hatten. Auf des 100 Bischofs Befehl wurden nun alle die heidnischen Teufelsbücher öffentlich verbrannt. Des Staates Obrigkeiten waren dabei anwesend, auch der Klerus. Es zeigte sich, daß die Dämonen ohnmächtig gewesen sind, diese gerechte Vollstreckung eines richtigen Urteils zu hindern.« »Das steht bei Zacharias, dem Scholiasten, in seiner Lebensbeschreibung des Severus von Antiochien«, sagte der Gelehrte. »Wir wissen, daß oft, viel zu oft, mit Magie Mißbrauch getrieben wurde. Doch was berechtigt Euch, diesen einzelnen Fall, freilich unter vielen, gegen uns anzuwenden? Die Magie gehört nicht in den Bereich der Unkundigen, Frevelhaften; hier handelt es sich um eine sittliche Tat einwandfreier Männer.« »Ich kenne Sie nicht«, antwortete der Bischof, »überdies verbietet die Kirche 101 unter allen Umständen, solches Unheil heraufzubeschwören! Das Mädchen werde ich davor bewahren.« Er hatte sich erhoben, rief laut: »Bobolina, Marianne Fonton, tretet ein!« Die Frauen erschienen. »Marianne Fonton, ich frage dich«, begann der Kirchenfürst, »hast du einem Seelsorger deines Glaubens, hast du Demetrios Kalergis deine Absicht, die katholische Kirche zu verlassen, gebeichtet?« »Nein«, antwortete das Mädchen. »Weiß er von deinem Vorhaben, den Schatz zu heben?« Auf diese Frage gab's bloß eine Aufrichtigkeit: »Ja.« »Und?« meinte nun der Bischof. »Er hat mir den Schritt verboten. Ich will deshalb Rechtgläubige werden, um meinem unglücklichen Vaterland, um der Christenheit helfen zu dürfen!« stammelte Marianne. »Das wird niemals geschehen; 102 ich begebe mich sofort zu Kalergis, ihm zu danken.« lautete des Bischofs Entscheidung. Die Bobolina stürzte auf die Knie und rief: »Ich flehe, daß der Schatz gehoben werde, alle Kriegskassen sind leer, ich habe neuen Bericht aus Nauplia.« »Von Kolokotronis!« dachte bereits der Bischof. »Nein«, sagte die Bobolina, »von überall. Noch eine Woche und wir sind verloren. Die Ägypter werden auch hier erscheinen, alle unschuldigen Christen niedermachen. Wie uns wehren? Versündigt Euch nicht, Bischof, gegen unsere heilige Sache! Ich bitte, rufe des Heilands Zeugenschaft an und drohe: wehe dem der seine Mitbürger, seine ihm anvertraute Herde in den Abgrund stürzt!« »Genug!« rief der Bischof, stand auf und zog sich zurück.

Der rechtgläubige Bischof stattete 103 tatsächlich dem katholischen Priester einen Besuch ab. Nach Klarlegung der Dinge kamen beide Geistliche überein, daß das Mädchen, und wäre es mit Gewalt, vor Schaden der Seele zu retten wäre. Der Katholik zeigte sich viel gebildeter als der Rechtgläubige. Nach seinen Darlegungen leuchtete es dem Bischof ein, daß das Christentum noch immer gegen den gleichen Feind kämpfte: den Fatalismus. Zoroaster war das Haupt der Magie gewesen. Der Sternenglaube der Chaldäer hat jede Freiheit des menschlichen Willens ausgeschlossen. In des Muselmanns Fanatismus wirkt die Bestimmtheit des Weltbaues, der ganz festgefügt zwischen den leuchtenden Sternen urgewiß sich in eigener Schwebe erlöst, nach. La Mettrie's » Homme machine« ist eine Ausgeburt 104 der gleichen Vorstellungen, doch in materialistischer Einkleidung. Hatte des Heilands Opfertod noch nicht den Determinismus überboten? Manilius hatte bereits die Magie als Macht erkannt; sie aber, samt der Astrologie, als › artes quarum haud permissa facultas‹ verworfen.

Die Priester begaben sich zum Haus der Bobolina. Es war leer. Schiffer erzählten im Hafen: »Alle drei sind abgesegelt, die Heldin hat am Steuer gesessen, der Engländer die Segel gerichtet, das Mädchen freudig wie ein Schiffsjunge mitgetan. Sonst ist niemand an Bord gesehen worden.«

Einige Stunden später kam ein Schiff an, darauf befanden sich einige Offiziere, die dringend mit der Bobolina sprechen wollten. Die englische Anleihe, hieß es, sei abgelehnt; man 105 hatte kein Geld mehr, weder für die Mannschaften, noch für Munition. Die Bobolina hatte versprochen, es aufzubringen. Wo war sie? Viele murrten: sie kann, sie will ihr Versprechen nicht halten. Ein Greis behauptete, sie hätte einen Schatz gehoben, sei wohl damit zu Kolokotronis geflohen; nun würde sie damit nach Marseille durchgehen, nie heimkehren. »Armes Griechenland,« seufzten andere, »deine Besten haben dich verlassen. Deine Heldin ist Verräterin geworden.« Kalergis hieß es, sei ein edler Mann, habe sie davon abhalten wollen, den Schatz fortzunehmen: er habe beigestanden, daß er gehoben würde. Das Mädchen, die Smyrniotin, hätte dabei eine Rolle gespielt; durch sie habe der Priester versucht, die Bobolina vor Unbesonnenheiten zu bewahren. 106 Da sie mit dem Engländer verschwand, so wäre Zeit, es einzusehen, daß der Priester aus Vaterlandsliebe, dem Archäologen die Jungfrau angeboten hätte, falls er von der Bobolina lassen wollte. Nun sei es zu spät. Der Bürgermeister begab sich zum Bischof. Weder der, noch Kalergis sagten aber ein Wort über das, was sie als Vorspiel zur Flucht überblicken konnten. Doch beide wurden bedenklich; wenn man doch ein Auge zugedrückt, das Mädchen der Sache des Griechentums geopfert hätte? Sie schlugen die ganze Nacht in Texten herum; keine Antwort fanden sie. Die Bücher schienen absichtlich zu schweigen. Eines war klar, alle drei sind Heiden gewesen: die Bobolina, der Engländer, sogar Marianne. Sie wollten sich christlicher Mächte, wie die Satanisten, bedienen, 107 um Unfug zu treiben. Im Ambrosiaster stand zu lesen, bloß das fanden die beiden Geistlichen: › Paganos elementis esse subicatos nulli dubium est‹, und an anderer Stelle: › Paganos elemente colere annibus cognitum est‹. Also keine Reue! war das Einverständnis, als die Sonne aufging.

Die Bobolina war mit ihren Freunden auf die unferne kleine Insel Augystri geflohen. Dort kannte sie einen Priester, der ihr in allen Dingen folgte. Sie befahl sofort den Übertritt der Marianne zu vollführen. Wie konnte das geschehen, der Priester wußte es nicht! Niemals war ihm das vorgekommen; er hatte noch keine Seele für sein Bekenntnis übernommen. Bücher zum Nachschlagen gab es auch nicht. Also mußte Marianne nochmals getauft werden. Sie trat in ein großes Becken, 108 Bobolina und Grew waren die Paten. Eine zweite Taufe ward vollzogen. Alle drei fühlten das Unrecht, die Plumpheit ihres Beginnens. Stundenlang betete Marianne in ihrer Kammer, sie brach in Weinkrämpfe aus, wollte die Bobolina nicht mehr ansehn. Am nächsten Tag, es war Dienstag, ging sie mit Grew den Strand entlang: »Arthur,« sagte das Mädchen plötzlich, »ist es wirklich nötig, das wir den Schatz heben – ich hasse die Bobolina, doch wenn Ihr es wollt, so ergebe ich mich. Wäre es nicht besser, wir bestiegen das Schiff, es ist das einzige hier, und suchten das Weite. Ihr bringt mich nach Smyrna. Bis zum Hafen drüben finden wir uns durch, rudernd, segelnd, dann gibt man uns Mannschaft mit: der Bischof hat dort die Macht. Grew 109 ich bin unverschämt, doch von Euch hoffe ich Rettung, schützt mich, ich vertraue Eurer Güte«. Arthur umschlang Marianne: »Du hast recht, wir lieben uns, was soll uns der Schatz für die Bobolina, für Kolokotronis, fliehen wir, nur fort!« Das Schiff schien sich bei leichtem Wind bereits zu schaukeln. Es ging rasch, wie der Entschluß. Nach zwei Stunden war die Hafenstadt erreicht. Am Hafen standen alle Menschen; man hatte das Schiff, das mit der Bobolina ausgefahren war, gesichtet; nun war es ohne sie angekommen. Dafür hatte die Korvette Kolokotronis vor drei Stunden in der Reede ihre Anker niederrasseln lassen. Er, der Feldherr, war da, das Gold zu fordern. Der Bischof, der katholische Priester standen schon unter Bewachung. Was 110 sollte Marianne und Grew erwarten? Sie erwogen zuerst, ob es nicht besser wäre, nach Kalaureia, anderswohin zu segeln. Doch umsonst wäre der Versuch gewesen; man hatte sie bereits gesehen, schnellere, bessere Schiffe mußten sie rasch einholen.

Der Empfang der Flüchtlinge ist unwirsch gewesen. Wo ist die Bobolina? Wo habt ihr sie gelassen? Grew erklärte, sie habe nicht fortwollen, sei drüben geblieben, habe ihn mit dem Mädchen gesandt, die Nachricht zu bringen. Einen Grund ihres Wegbleibens erfand er aber nicht. So wurde das Paar in Gewahrsam gehalten. Es war so windstill geworden, daß man zwei Ruderboote nach der Heldin aussandte. In drei Stunden konnte man mit ihr zurück sein. Die Bobolina war entsetzt gewesen, als 111 sie der beiden Flucht bemerkt hatte; nun aber fühlte sie sich abermals siegessicher, besonders, da sie wußte, Kolokotronis sei mit Soldaten eingetroffen. Wir zwingen die Schelme, den Schatz zu heben; es geht für sie auf Leben und Tod! Auf halber Fahrt heim wurde das Boot plötzlich von einer Böe weit aus der Richtung verschlagen. Ein großer Sturm zog auf. Zur Rettung liefen nun sofort viele Schiffe aus. Vier Menschen aber hofften, die Bobolina möge nicht mehr, oder zu spät heimkehren! Jeder der beiden Priester fühlte sich glücklich, dankte heiß dem Herrn, daß Marianne mit Grew geflohen war, nichts mehr von der Magie wissen wollte. Immer höher kamen die Wellen heran; wie wütende Hunde mit geiferndem Maul fletschten sie brandend über 112 die Uferblöcke. Jedes dieser Ungewitterwesen zerschellte, der Menschen Können aber brachte die Heldin immer näher. Doch der Sturm ließ nicht nach; woher war alles das Gewölk emporgestiegen? Hatten sich Gräber, Gruben der Erde aufgetan? Riesige Goldschlangen überblitzten den Himmel. Man wußte nicht, ist es noch Tag oder Nacht. Die Bobolina stand wieder am Steuer; die Einfahrt schien unmöglich. Um nicht zu zerschellen, riet man ihr, einen anderen Hafen zu erreichen. Doch sie wollte, durfte nicht: Griechenlands Gold stand auf dem Spiel. Erschlafft flehten die Rudernden zu ihr. Sie gab nicht nach. Dem Sturm gradaus entgegen, mußte angekämpft werden. Die Heldin bestand darauf. Auf der Mole wurde gebetet, der Bischof geholt, er sollte, 113 er müßte für die Gefährdeten um Hilfe flehen. Er tat es. »Dein Wille geschehe!« sprach er vor der Menge mit besonderer Inbrunst. Grew, von Marianne getrennt, fühlte nun die Wucht des Geschickes. Die Sterne also doch! Saturn und Mars sind mächtiger als Jupiter, der uns fehlt, der uns daher hat abtrünnig werden lassen. Er war entschlossen, falls die Bobolina lebend ankäme, den Schatz zu heben. Um neun Uhr abends erreichte das Schiff mit der berühmten Frau den Hafen. Kolokotronis erwartete sie, küßte ihr die Hand, ging mit ihr ins Haus. Kurz nur beriet man sich, kam zum Ergebnis: Der Bischof, der katholische Priester bleiben unter Bewachung in der Stadt, Grew, Marianne, werden gezwungen den Schatz zu heben. »Feigling!« rief die Bobolina Grew 114 ins Gesicht, als er ihr vorgeführt wurde. Er antwortete: »Ich stehe zu Diensten, nicht du, Bobolina, die Sterne haben gesiegt.« Marianne weigerte sich nicht: »Was du willst, Arthur, geschehe –.« Sie betete inbrünstig, war dann entschlossen, ihrem Freund zu folgen.

Noch wütete der Sturm. Das ist eine rastlose Neumondnacht gewesen: Ungewöhnlich in Griechenland, zur guten Jahreszeit.

Grew wußte, wo er um Mitternacht seine Beschwörung machen wollte, alles war vorbereitet, doch der Sturm, der Regen konnten stören. So wurden Segel mitgenommen und an einem wenig entfernten Kreuzweg, den der Vater genau beschrieben hatte, über schnell eingerammte Pflöcke gespannt. Soldaten waren dabei behilflich, 115 wurden dann sofort zurück befohlen. Der Exorzismus konnte an einem Kreuzweg, Friedhof oder verrufenen Ort stattfinden. Sehr beliebt waren Henkerplätze, Orte, wo ein Selbstmord stattgefunden hatte. Nun, einen solchen hatte, vor etwa zehn Jahren, an der vorbestimmten Stelle, ein unglücklich Verliebter verübt. So viele astrale Geladenheit konnte vielleicht den fehlenden Jupiter ersetzen! Bloß Grew, Marianne durften während der Prozedur – sie konnte nur um Mitternacht stattfinden – zugegen sein. Jeder hatte ganz neue, weiße Wäsche, für die die Bobolina wohl gesorgt hatte, an. Die Kleider waren, wie vorgeschrieben steht, ebenfalls noch nie getragen worden und aus bestem, schwarzen Wollstoff verfertigt. Die Hündin, an einer Leine von Grew 116 geführt, war ganz weiß, bloß die Schnauze pechschwarz. Kurz vor Mitternacht setzte das arge Wetter aus, die Bobolina, Kolokotronis entfernten sich. Nun zündete Grew ein Feuer an, schürte es, durch Hinzufügen von Bilsenkraut, Stechapfel, getrocknetem Hanf. Dabei loderte es so auf, daß das Segeltuch anbrannte; wäre es nicht äußerlich naß gewesen, so hätte es wie Zunder in Flammen aufgehen müssen, wodurch die Stadt auf das Feuer aufmerksam geworden wäre. Freilich hätten die Bobolina und die Ihren eine Störung der Beschwörung verhindert. Immerhin fing der eine Pfosten an zu brennen. Das nun eigentlich unnötige Zelt gegen Sturm und Guß brach zusammen, und traf die Hündin; sie hat schrecklich gewinselt und ist dann tot dagelegen. 117 Erschreckt sahen sich Grew und Marianne an: also mißlungen! In diesem Augenblick aber rissen die Wolken derart an zwei Stellen auseinander, daß Saturn an der einen, Mars an der anderen, genau sichtbar geworden waren. Da fielen sich die beiden in die Arme, Marianne rief beherzt: also wir zwei werden genügen! Grew hatte eine Grube gegraben gehabt, nun schlachtete er über ihr ein bereits in einem Busch verborgenes schwarzes, kaum geborenes Böcklein und fing sein Blut im Erdspalt auf, dann entnahm er einer Riesenrolle ein sehr großes Stück Pergament. Es war darauf ein Kreis, im Durchmesser von 1·5 m, mit geweihter Tinte, von ihm selbst aufgezeichnet worden. Die dazu nötige Adlerfeder hatte ihm der Vater vermacht gehabt. Nun stellte 118 sich der Magier in des Kreises Mitte, um die viel geheimnisvolles Zeug eingezeichnet stand.

Zuerst wandte er sich nach Osten und sprach ganz klar, doch sehr leise: »Amorule, Tancha, Latisten«; darauf gen Norden: »Rabur Toneha, Latisten«; dann gen Westen: »Escha, Alodia«; nun unter sich, dem Nadir zu: »Alpha et Omega«; schließlich gen Süden, etwas deutlicher: »Oriston«; jetzt zum Zenith: »Adonay!« Das Gebet begann: » Clementissime pater mi coelestis, misere mei, licet peccatoris, clarifica me in hodierno die. Licet indigno pro filio tuo tuae potentiae bracchium contra hos spiritus pertinacissimos, ut ego, te volente factus tuorum divinorum operum contemplator possim illustrari omni sapientia et semper glorificare et adorare numen tuum. Suppliciter 119 te exoro et invoco ut tuo iudicio hi spiritus quos invoco convicti et constricti veniant vocati et dant vera responsa, de quibus eos interrogavero: denique et deserunt nobis et quae per me vel nos praecipientur eis non nocentes alicui creaturae, non laedentes non frementes nec me, sociosque meos vel aliam creaturam laedentes et neminem terrentes: sed petitionibus meis in omnibus quae praecipiam eis sint oboedientes. Amen.«

Schon während des letzten Drittels dieser Beschwörungsformel, hatten sich aus dem Blut des Opfertieres, das durch Grews Manipulationen in eine Grube abgeflossen war, leichte Purpurdämpfe entwickelt. Der Zauber wirkte also rasch; nun, zu des Magiers letzten Worten des exorzistischen Gebetes, schleierte Purpurrauch stark auf. Der 120 Meister über die Geister mußte also sofort eine zweite Formel wirken lassen und fing die sogenannte Beschwörung der Vier an, mit mächtiger Stimme herzusagen:

» Caput mortuum, imperet tibi Dominus per vivum et devotum Serpentem. Cherub, imperet tibi, Dominus per Adam – Jotchavah! Aquila errans imperet tibi Dominus per alas Tauri! Serpens, imperet tibi Dominus Tetragrammaton per Angelum et Leonem!

Michael, Gabriel, Raphael, Amael!
Fluat ubor per Spiritum Eloim!
Manant terrae per Adam – Jotchavah!
Fiat Firmamentum per Jahuvehu – Zebaoth!
Fiat Judicum per ignem in virtute Michael!
                            Amen.
«

Zwischen den Blutschleiern über der Grube erschien nun schattenhaft eine 121 breitschultrige Gestalt. Grew starrte sie an, vermochte sich an ihren übermenschlichen Umfang zu gewöhnen, Marianne aber fiel noch früher ihr Stierkopf auf und sie zitterte vor Entsetzen, schrie aber nicht auf. »Marbuel heiße ich« – Marianne hörte die Worte auf griechisch, Grew bloß auf englisch – sprach es aus dem Dämpfegewinde mit sehr tiefem Baß. »Ihr habt mich gerufen« – auch dies hörte jeder bloß in seiner Sprache, Grew dachte, Marianne verstünde es darum nicht – ging es fort. »Zwanzig Schritte östlich von hier grabe! Drei Kieselsteine liegen darüber, vier Meter tief. Ein Drittel des Schatzes den Armen, ein Drittel der Kirche, ein Drittel behalte!« Die Dämpfe vergingen bei des Dämons letzten Worten; er ward genau sichtbar, lenkte Grew und das 122 zutiefst erschütterte Mädchen in der von ihm angegebenen Richtung, immer den Stierkopf den Menschen zugewandt; also entschwebte er, von sich aus, mit dem Rücken vorwärts und verschwand über der bezeichneten Stelle. Plötzlich wars ganz einsam. Grew entnahm Mariannens Händen Weihwasser und besprengte den Boden, dann sprach er nochmals das zweite Beschwörungsgebet, die Aufrufung der Vier: » Caput mortuum, imperet tibi« usf.

Noch während des Hersagens seines lateinischen Anrufs, gewahrte er, wie er's voraus gewußt hatte, das Auftauchen von Irrlichtern, die so rasch hin und her flogen, daß sich Grew zuerst in einem Netz, bald sogar in einem schillernden Lichtgewebe vorkam; die Steine, die Stelle, alles 123 schwankte vor seinen blinzelnden Augen. »Immer unbeirrt!« sagte er zu sich selber. »Bleibe beherzt, die Lichter wollen den Schatz verteidigen, dich ablenken.« So griff er denn entschlossen zum Spaten – vier Meter! – Doch die Erde gab rasch nach, es schien, daß sie selbst locker werden wollte. Nur war bald das Lichtergeschwirr so dicht geworden, daß er Marianne nicht mehr mit den Blicken erreichen konnte. Grabend rief, sang es um sie; und der Boden hob sich, hob sich. Schollen hüpften auf und davon; wo war die Jungfrau? Endlich vernahm er ihr Wimmern: »Grew, laß den Schatz, rette mich!« Er aber schaufelte, stieß hinab ins Erdreich, schaufelte nochmals, grub immer tiefer, wie von Gespensterhand unterstützt, weil von einem Geist gelenkt. »Noch 124 bin ich da, hinter den Lichtern, doch ich kann mich nicht fassen, Arthur, halte mich!« hörte er noch die Stimme, und grub, schürfte dennoch. Marianne war nun wohl bewußtlos, doch sie ächzte, stöhnte, Grew stand schon tief unten in einer Grube, die er im Handumdrehen ausgeschaufelt hatte. Wie in einer Versenkung war er verschwunden; Mars loderte hoch über ihm. Dann war es still, unheimlich; die Lichter entflimmerten, es war als zerknisterten um ihn die Glastgeflechte und etwas schrie, wie ein Neugeborenes: der Schatz. Grew sah die Goldmengen; Kronen, Reifen, Spangen und eine mit Edelsteinen besetzte Figur; er griff danach und es schrie aus dem alten Metall, wie ein Kind, das zur Welt kommt. Blut strömte über den Fund; aus dem Gold selbst quoll es blutig, über des 125 Gräbers Hand, schwarzes Gewand. Die Hebung war gelungen. Grew glaubte seine Besinnung wiedergewonnen zu haben; er guckte aus dem Loch empor zu Marianne. Sah nichts, außer Mars und andere Sterne. Es war mäuschenstill. Er lugte noch einige Sekunden, vielleicht erschreckt, so tief in eine Grube geraten zu sein. Der Schatz schimmerte ganz sacht. » Φύλακες, φυλάττετε!« («Wachen, wacht!«) klang es durch die Nacht. Dieses Rufen kannte Grew genau. Auf der Insel, unweit von der Stelle, wo er sich befinden mußte, steht Griechenlands Zuchthaus. Die Wachen rufen sich von der Feste Zinnen alle Viertelstunden zu, was soeben wieder ertönt war. Wie eine Antwort – hört er, beim Emporklimmen mit einer Krone, nochmals: » Φύλακες, φυλάττετε!« Ob es 126 Marianne auch vernehmen konnte? Nur das fiel ihm ein; da fühlte er, wie eine Hand ihn am Hals gepackt hatte, würgte. Ihm schwanden die Sinne.

Die Bobolina und Kolokotronis gingen im Wohnzimmer der Heldin recht aufgeregt, doch wenig redend auf und nieder. Plötzlich vernahmen beide ein leises Klirren aus der Richtung eines der noch wegen des Sturmes verschlossnen Fenster. Sie blickten in die Richtung und sahen von dort etwas Blendendes auf ein Marmortischchen fallen. Was konnte das sein? Ein uralter Ring aus lauterem Gold, auf ihm purpurte wie ein Rubin ein frischer, weil warmer Blutstropfen. Beide waren erschrocken. Kolokotronis riß das Fenster auf. » Φύλακες, φυλάττετε!« hörten beide durch die Nacht schallen. 127 Es war, Kolokotronis stellte die Stunde fest: ein Viertel vor Eins.

»Der Schatz ist gehoben!« sagte der Feldherr. »Und bedroht!« ergänzte die Heldin. Sie stürmten dem Kreuzweg zu: die Bobolina hatte, trotz der Aufgebrachtheit, nicht versäumt, eine Laterne mitzunehmen. Bevor sie an Ort und Stelle waren, hörten sie nochmals den Wächterruf über dem Zuchthaus. Also mußte es ein Uhr sein. Am Kreuzweg fanden sie das rasch aufgerichtete, schnell entzündete und zusammengekrachte Zelt mit dem Segel, gleich dann die erschlagene Hündin. Wo war der Schatz? Wo seine Gräber? Es blieb alles dunkel und stumm. Plötzlich winkte die Bobolina ihrem Gefährten: »Dort hör ich was.« Es war ein Wimmern der Smyrniotin. Sofort eilten die zwei dahin. Das 128 Mädchen lag allein da, ausgestreckt, atmete beklommen. Das Gesicht war durch ganz winzige Brandwunden, nicht so groß wie Insektenstiche, verunstaltet. Wo blieb Grew, der Schatz vor allem? Kolokotronis hatte die Laterne aus der Bobolina Hand genommen: »Hier ist der Stollen!« war sofort sein Erfolg. Er war sehr tief, kaum zugänglich. Unten lag auf dem Bauch, wohl überm Schatz? – der Engländer blutbefleckt im schwarzen Anzug. »Grew!« rief ihn der Krieger an, »Grew!« Keine Antwort. Die Bobolina war hinzugeeilt. Er mußte tot oder wenigstens bewußtlos sein. Mit Mühe gelangte Kolokotronis in die Grube, die Bobolina reichte ihm an einem Stock die Laterne in die Grube. Grew rührte sich nicht. Kolokotronis schob ihn beiseite, kein Schatz, er 129 drehte ihn um, auch nichts. Auch Wegscharren der Erde mit Fuß, dann Spaten, blieb ergebnislos. »Gestohlen!«, berichtete er der Frau, die in höchster Spannung oben lauerte. Beiden war es klar: das Gold ist zum Vorschein gekommen, gehoben worden; wer konnte den Mord begangen, den Schatz mitgenommen haben? Es blieb nichts übrig, als, zur Vermeidung von Aufsehen, sofort Soldaten mit Bahren für den Ermordeten und die Besinnungslose aus der Kaserne zu holen. Nach einer halben Stunde war man wieder an Ort und Stelle. Nichts mochte sich unterdessen ereignet haben. Man brachte Marianne und Grews Leiche unbemerkt in Bobolinas Haus.

Die Ausfahrt jedes Schiffes von der Insel wurde aufs strengste beobachtet. Tag und Nacht kreuzten Schiffe, um 130 der Räuber mit dem Schatz habhaft zu werden, um die Häfen. Übrigens wurde festgestellt, daß der Türkengefahr wegen, außer im Haupthafen, kein Segler, nicht einmal ein Boot, vorhanden waren . . . Also konnte das Gold wohl bloß auf der Insel verborgen geblieben sein. Grew wurde, nach Untersuchung der Leiche – er muß erdrosselt worden sein, war dabei aber natürlicherweise durch den blutenden Schatz überaus blutbefleckt, ohne eine Wunde am Körper gehabt zu haben – im geheimen beerdigt.

Nach einigen Tagen fing Marianne an, mit glasigen Augen in der Bobolina Anwesenheit zu reden. Die Sätze waren nicht ganz klar, doch es ergab sich folgender phantastischer Bericht: »Sie haben den Schatz zurückgetragen. Die Zigeunerin und den 131 Vater habe ich in Ketten gesehn. Sie haben sie geschlagen und geschleppt. Aber Könige waren es, Kronen trugen sie, voraus strebte ein Mann mit goldenen Locken, riesengroß, Blitze hielt er in der Rechten. Die andern aber sind kleiner gewesen, lächelten zufrieden über ihren prachtvollen, wiedergefundenen Schmuck.« Dann schwieg das Mädchen abermals; einige Tage darauf sprach sie nochmals beinahe das Gleiche, doch viel verworrener. Sie wurde in ein Krankenhaus gebracht, doch ergab sich keine Besserung. Schließlich wurde vereinbart, sie sollte nach Smyrna überführt werden, was auch geschehen ist. Einige Monate später hieß es auf der Insel, Marianne Fonton wäre im Elternhaus gestorben.

Etwa ein halbes Jahr nach diesem 132 unerklärt gebliebenen Ereignis, traf Leake auf der Insel ein. Er kümmerte sich sehr eifrig um die Angelegenheit seines so geheimnisvoll umgekommenen Freundes Grew. Die Grube war noch offen geblieben; Leake grub dort nach, fand tatsächlich einige goldene Gliederchen eines zerrissenen mykenischen Halsbandes; bei genauer Untersuchung ergaben sich darauf geringe Spuren ganz vertrockneten Blutes. Also Grew war bestimmt an der Fundstätte umgekommen. Wie sich aber die Vorgänge dort erklären? Niemand vermochte es. Alle Nachforschungen, Untersuchungen in der Sache mußten unterbleiben; keine Anzeichen gab es; keine Folgerung war irgendwie berechtigt. Ganz alte Leute wurden vernommen, ob sie von früher her etwas 133 über die Schatzgräber, vermutlich Grews Eltern, wüßten. Nicht mehr, als die Sage, ein Engländer mit einer Zigeunerin habe sich zwischen den Gräbern herumgetrieben! War aus den Bauernschädeln herauszubringen gewesen. Leake soll schließlich eine griechische Dame aus Nauplia, die für hellsichtig galt, gebeten haben, auf die Insel zu kommen, um dem Geheimnis nachzuspüren. Sie ist auch erschienen, hat im Haus der Bobolina gewohnt, die bald nach dem Vorfall abgereist war, ohne sich weiter besonders um die Geschichte bekümmert zu haben. Sie ist vernünftig genug gewesen, um einzusehen, daß der Schatz verloren war, Kolokotronis, der ihr riet, in der Angelegenheit nichts mehr zu unternehmen, recht zu geben. Übrigens sollte sie bald die Freude erleben, daß die oft 134 versprochene, immer wieder abgelehnte Anleihe doch zustande kam, wodurch Griechenland den Krieg, auch ohne den Schatz, weiterführen konnte.

Bei den Versuchen ergab sich lange nichts. Die Dame mußte oft zur Stätte des geheimnisvollen Ereignisses geführt werden, bis sie irgend etwas schauen konnte. Sie sprach bloß von Blut, von Gold, von Reifen, die sie klar sehe; endlich an einem Dienstag, um Mitternacht hatte sie bei etwas Mondschein, ein deutlicheres Gesicht. Ein Zug von verhüllten schleierhaften Figuren, die hinter einer wetterleuchtenden Wolke einherzogen, war ihr damals erschienen. Sie nickten ihr zu, wiesen sie in eine Richtung, in der sie dann aber nur noch einige Schritte weitergingen, um plötzlich abzuschwenken und wie Nebel zu 135 verschwinden. Die angegebene Direktion ging schnurstracks aufs Meer los, die aber, in der die Gestalten verschwunden waren, führte in die mykenische Gräberstadt. Dort muß der Schatz nun sein, sagte Leake, wenn alles das kein bloßes Hirngespinst ist; die Geister möchten, wieder im Besitz ihres Eigentums, die Aufmerksamkeit aller Eindringlinge in ihr Reich des Schweigens von der Fährte wegtäuschen. Für den Gelehrten schien es zweifellos zu sein, daß Grew durch unterirdische Kraft ermordet, Marianne ihren schrecklichen Eindrücken erlegen war. Übrigens hatte er sich vorher niemals mit Geisterseherei abgegeben. Da die Hellsichtige wieder abreisen wollte, ließ er die Angelegenheit auf sich beruhen. Sein Erlebnis, den Schatz betreffend, soll er aufgezeichnet, einem 136 Archäologischen Institut in England zugesandt haben. Da Leake die Insel darauf bald verlassen haben muß, ist kaum anzunehmen, daß er sich noch um Auffindung des Goldes bemüht habe.

 

Vor einigen Jahrzehnten ist der Schatz der Insel, wohl der, von dem wir hier erzählten, gehoben worden. Nur fand sich keine solche Unmenge Goldes, wie angenommen, gehofft worden war. Es ist immerhin ein besonders künstlerisch und wissenschaftlich sehr wertvoller Fund gewesen. Er muß aus einem mykenischen Königsgrab für viele Familienmitglieder stammen. Sagen wir es gleich, derjenige, der ihn ausgehoben hat, 137 vermochte es, das Gold auf eine andere Insel zu bringen, wo es ein berühmter Archäologe (er lebt noch, wir kennen ihn, wollen ihn daher nicht nennen), aus eigenen Mitteln, erwarb, um es einem der berühmtesten Museen der Welt zur Verfügung zu stellen. Dort kann man also den Schatz der Insel sehen und bewundern! Wir trachteten, während eines längeren Aufenthaltes auf der Insel – ich war bei einigen Archäologen dort zu Gast – etwas über die dritte Hebung des Schatzes herauszubringen, doch kamen wir dabei nur spärlich zu Ergebnissen. Wir wissen davon weniger als von der ersten Unternehmung in diesem Sinn, die im achtzehnten Jahrhundert, wohl von Arthur Grews Vater und der Halb-Inderin oder Zigeunerin, seiner Mutter, mag versucht worden 138 sein. Immerhin steht manches Bemerkenswerte auch darüber fest. Fast jeder dort kennt die Tatsachen, doch bloß wir wagten es, uns dazu einen Reim zu schmieden. Der Engländer, der den Schatz wirklich ans Licht gebracht hat, ist dann, nachdem ihm die Hebung geglückt war, viele Jahre fort von Griechenland geblieben. Vor etwa zwanzig Jahren aber ist er zurückgekehrt, hat auch dann, so heißt es, die Insel nicht mehr verlassen. Er ist unbedingt ein großer Sonderling. Im Hause, das er kaum jemals, und wenn, zu ganz unbestimmten Stunden, verläßt, empfängt er, auch heutigen Tags, niemanden. Eine steinalte Griechin besorgt ihm den Haushalt, spricht nie über ihren Herrn, weigert sich, wenn befragt, irgendwie Auskunft zu geben. Wenn es wahr ist, daß ihn ein Bann an die Insel 139 fesselt, so scheint es auch wahrscheinlich, daß ihn einer davon abhält, die Gräberstadt zu betreten; jedenfalls soll er, allen Bitten anderer Archäologen, die Neulinge auf der Insel gewesen sind, widerstanden haben, sie dort herumzuführen. Ferner ist bekannt, daß ihm der Grund und Boden gehört, den er, vor Auffindung des Schatzes, zu verhältnismäßig hohem Preis erstanden hatte. (Alles das ist laut Kataster des Hauptortes festzustellen). Auch wohnte der Engländer damals oft in einem Zelte, das er sich selbst aufschlug, wenn ihm der Zeitpunkt dafür geeignet zu sein schien. Einmal fing er an, ein Haus zu bauen; es geriet aber nicht hoch. Während die Mauern emporzusteigen begannen, scheint ihm der Schatz anheim, wenn nicht gar in die künftige Behausung 140 hineingefallen zu sein! Als wir die Stelle besuchten, fanden wir auch, der Erzählung gemäß, ein etwa meterhohes Mauerwerk, um ein Pentagramm mit einem daranstoßenden Kreis, wohl die Grundmauer für ein Türmchen, errichtet. Von dieser Form hatte uns niemand etwas gesagt, daher waren wir sehr erstaunt. Ja, erst diese eigenartige Tatsache hat uns dazu bewegt, überhaupt in der Schatzangelegenheit etwas Sonderbares zu wittern. So forschte denn auch jeder, auf seine Art nach; das was sich dann für uns alle herausstellen konnte, ist nun in dieser Erzählung zu Papier gebracht worden.

Nur Vermutungen, können wir über alles, was da geschehen sein mag, hegen. Wir überlassen es aber den Lesern, sie sich selbst aufzutürmen. 141 Gerade weil es mir eine Lösung der Frage zu geben scheint, wäre es umsonst, schade, hier noch etwas beizufügen.

Athen, im Herbst 1924.

 


 


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