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Sechzehntes Kapitel.

Nachdem der Reiz der Neuheit meiner Stellung vorüber war, fing ich doch allmählich an, mein Leben recht einförmig und das Eingeschlossensein hinter den hohen Mauern bedrückend zu finden, so daß sich immer ungestümer der Wunsch in mir regte, auch einmal über den Garten hinauszudringen. Als ich jedoch meiner Gefährtin, Hüterin und Aufpasserin Begur diesen Wunsch anvertraute, versicherte sie mir sofort, der Regierungsbevollmächtigte sei ein solcher Geizhals, daß nicht einmal eine genügende Anzahl Wagen für die Damen des Hofes vorhanden wären. Daß diese Damen häufig in geschlossenen Wagen ausfuhren, um Besuche zu machen, hatte ich schon wiederholt bemerkt. »Ich will aber sehen,« fuhr Begur fort, »ob ich nicht bald einmal eine Ausfahrt für Sie möglich machen kann.«

Wie sehnte ich mich danach, aus dem Palast herauszukommen, und wäre es auch nur, um eine schmutzige Hütte oder ein Reisfeld zu sehen: irgend etwas, das nicht von einer Mauer umgeben war!

Eines Tages wagte ich mich bis zum großen Einfahrtstor heran, mit der Absicht, es zu öffnen und mir einen Gharri zu mieten. Allein die Türe war verschlossen, und als ich um den Schlüssel bat, schüttelte Begur, die mir natürlich auf den Fersen gefolgt war, nur den Kopf und lachte.

»So bin ich also eine Gefangene?« rief ich ärgerlich.

»O nein, durchaus nicht. Die Miß Sahib könnte natürlich ausgehen, wenn es sich schickte; allein sie ist jetzt ein Mitglied des Hofes und darf sich nicht zu Fuß auf der Straße sehen lassen, denn das wäre eine große Schande. Ich will jedoch mein Möglichstes tun, daß Sie bald einmal einen Wagen zur Verfügung bekommen.«

Allein immer wieder blieb es bei diesem »bald einmal«.

Die junge Rani ließ mich jetzt häufiger zu sich holen und bat mich, ihr auf der Gitarre vorzuspielen oder ihr Geschichten zu erzählen – die gleichen wie den Kindern. Ihr Lieblingsmärchen war Aschenbrödel oder der gläserne Pantoffel. Sie war aber auch wirklich in ihrem ganzen Fühlen und Denken wie ein großes Kind. Mehr und mehr nahm sie mich unter ihren besondern Schutz, vielleicht weil ihre Kinder mich gern hatten, und gelegentlich durfte ich sie sogar auf einer Spazierfahrt in ihrem Prunkwagen begleiten. Ein großer Genuß konnten diese Fahrten freilich nicht genannt werden, da man dabei nur wenig von der Umgebung zu sehen bekam und die Luft dumpfig und mit dem Geruch von Zedernöl geschwängert war. Allein ich hatte doch wenigstens das erleichternde Gefühl, »draußen« gewesen zu sein. Verschiedene Male entdeckte ich dabei Begur allein in den Bazaren, und wenn ihr Kopf auch ganz in Tücher eingewickelt war, so machte es mir doch den Eindruck, als erfreue sie sich einer größeren Freiheit als die andern.

Die junge Rani gab mir auch einmal zu verstehen, daß ich in dieser Annahme nicht unrecht hätte, und fügte hinzu: »Miß Sahib, ich will Ihnen ein großes Geheimnis anvertrauen: Begur ist mir in der Seele zuwider, aber die Rani Sundaram hält große Stücke auf sie.« Es blieb mir auch nicht verborgen, daß Begur in ihrer demütigen Art große Macht auf ihre Umgebung ausübte. Sie war anscheinend nachsichtig mit den unter ihr Stehenden und schmeichelte den Höheren, aber das ganze Leben dieser scheinbar gefälligen und bescheidenen, aber schlauen und boshaften Person gipfelte in Lug und Trug.

Mein Koch Munasawmy verstand von seinem Handwerk weit weniger als Frau Rosarios schmutziger Sawmy. Die Speisen, die er mir vorsetzte, hatten einen eigentümlich scharfen Beigeschmack, und sein Benehmen war alles, nur nicht ehrerbietig, ja manchmal konnte er sogar recht unhöflich sein. Allein ich sagte mir, daß mein Behagen von ihm abhänge, und so schluckte ich meinen Ärger tapfer hinunter. Seit einiger Zeit hatte sich indes sein Wesen vollständig umgewandelt, was einem eigentümlichen Vorkommnis zu verdanken war, das sich etwa einen Monat nach meiner Ankunft zutrug.

Ein entsetzlicher Lärm, wildes Geschrei und endloses Hin- und Herrennen in den Gängen, das sich jede Nacht wiederholte, hatten mich anfangs nicht wenig erschreckt und beunruhigt. Da jedoch meine Tür fest verschlossen war und ich mich schließlich an diesen auffallenden Lärm gewöhnt hatte, so erfreute ich mich bald wieder eines ununterbrochenen Schlafes. Eines Nachts aber wurde ich durch ein lautes Kratzen und Pochen an meiner Tür aufgeweckt, das von den flehentlichsten Bitten um Einlaß begleitet war. Ich sprang rasch aus dem Bett, denn das Jammern war wirklich herzzerreißend, und öffnete die Tür, worauf eine Frau hereingestürzt kam, die Tür hastig wieder hinter sich zumachte und verriegelte und sich mir dann atemlos zu Füßen warf. Nun zündete ich eine Lampe an und betrachtete mir meine Besucherin. Sie befand sich in einem beklagenswerten Zustand: die Kleider zerrissen, das Gesicht zerschlagen, die Hände blutig: offenbar war sie aufs grausamste mißhandelt worden.

Sie konnte vor Schrecken weder sprechen, noch meine Fragen beantworten, allein ihre großen dunkeln Augen drückten aufs beredteste ihre Angst und ihre Schmerzen aus. Dieses fremde Wesen, das jung und hübsch war, lag jetzt erschöpft wie ein verwundetes Tierchen am Boden, zuckte jedoch, ebenso wie ich, jedesmal erschrocken zusammen, so oft sich draußen eilige Fußtritte vernehmen ließen. Spielten diese seltsamen Menschen in dem Wirrsal von Gängen und Zimmern Verstecken auf Tod und Leben?

Fast unbeweglich blieb die Arme am Boden liegen. Ich deckte sie mit einem wollenen Teppich zu, brachte ihr Wasser und setzte mich neben sie, bis mir die Augen vor Schlaf zufielen.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, war sie verschwunden. Munasawmy gestand mir dann unter feierlichen Dankesversicherungen, daß es seine Tochter gewesen sei, die sich in schwerer Bedrängnis befunden habe. Er war jetzt mein einziger dienstbarer Geist, mein »Mädchen für alles«, denn die neugierig herumschnüffelnde, naschhafte Ajah hatte ich bald entlassen.

Ich befand mich jetzt drei Monate im Palast. Der kleine Radscha machte wunderbare Fortschritte und hatte seine beiden Schwestern weit überflügelt. Er war überhaupt ein lieber kleiner Kerl, der aufs drolligste die ihm sehr wohl bewußte Würde seines Standes mit der seinem Alter natürlichen Zutraulichkeit vereinigte. Es machte ihm großen Spaß, umgeben von einer berittenen Leibwache, mit seinem Onkel auszufahren und die Huldigungen seiner Untertanen entgegenzunehmen. Anderseits verschmähte er es auch durchaus nicht, sich auf meinen Schoß zu setzen, mir die Ärmchen um den Hals zu schlingen, meine Uhr zu betrachten, oder sich von den gleichalterigen kleinen Jungen erzählen zu lassen, die weit, weit fort jenseits des Kala-Pani wohnten.

Obwohl ich die Rani Gindia fast täglich sah, hatte ich doch das Glück gehabt, niemals wieder der Rani Sundaram, vor der jedermann im Palast zitterte, zu begegnen. Schon begann ich anzunehmen, daß sie ihre Privatgemächer nie verlasse. Allein ich täuschte mich. Sie fuhr sogar täglich aus und besuchte andre vornehme Hindufamilien. Auch hatte ich sie neuerdings manchmal aus der Ferne im Garten entdeckt, mich dann aber so rasch als möglich aus dem Staube gemacht.

Eines Nachmittags nun fand ich sie bei meinem Eintritt im Zimmer ihrer Schwiegertochter. Umkehren konnte ich nicht, da man eine besondre Einladung an mich hatte ergehen lassen. Sie hockte zusammengekauert mit ihrer Huka vor sich auf einem Kissen am Boden und machte mir wieder vollständig den Eindruck eines auf seinem Neste brütenden wilden Raubvogels. Aus dem Klang ihrer barschen Stimme, die bei meinem Erscheinen jedoch sofort verstummte, schloß ich, daß die alte Rani ihrer Verwandten einen Verweis gegeben hatte.

Einige Zeit blieb ich, auf eine Anrede wartend, in der Nähe der Tür stehen, allein die Rani Gindia war in Tränen gebadet und unfähig zu sprechen. Schon wollte ich mich zurückziehen, als ich sah, daß sie mir bittend ihre Hand entgegenhielt, wie wenn sie sich durch meine Gegenwart gewissermaßen beschützt fühlte. Suchend schaute ich mich deshalb nach dem Rohrstuhl, meinem gewöhnlichen Sitze, um.

»Setze dich auf den Boden!« befahl die alte Rani. »Was für eine Fürstin von Royapetta gut genug ist, kann es auch für eine Dienerin sein.« – Zu meiner Bestürzung sprach sie Englisch.

Ich machte keine Anstalt, ihrem Befehle zu gehorchen, sondern blieb stehen und sah sie ruhig an, ohne ihrem von allen so gefürchteten Blicke auszuweichen.

»Ha, du mit den stolzen Augen! Die da drüben« – sie zeigte auf ihre Schwiegertochter – »hat ganz recht: es ist auffallend, daß eine Frau deines Standes in unser Land kommt, um unser Brot zu essen.«

»Nein, Hoheit, es ist nicht auffallend, da ich mir mein Brot verdienen muß, weil ich arm bin.«

»Arm!« – Mit boshaften Blicken betrachtete sie mich. – »Und doch trat der reiche, hübsche Engländer so eifrig für deine Rechte ein und sagte, man könne sich auf dich verlassen. Bei den Göttern, die Unverschämtheit dieses Mannes kennt keine Grenzen! An unsern Hof eine junge Person zu bringen, eine Musikantin, deren Gesicht ebenso frech ist wie das seinige, und die seine Geliebte ist! Aber diese englischen Hunde wissen ja nichts von Schamgefühl!«

Einen Augenblick erstarb mir das Wort auf den Lippen, denn das Herz schlug mir bis zum Halse hinauf. Dann aber antwortete ich, meine ganze Selbstbeherrschung zusammenraffend, unerschrocken: »Ich sehe jetzt allerdings, daß es erniedrigend ist, jemand anderm als einem britischen Radscha zu dienen. Engländer werfen Fremden keine Beleidigungen ins Gesicht!«

»Schweig!« donnerte sie mich an. »Der Engländer ist dein Liebhaber, und du bist seine Spionin! Er hat dich hierhergebracht, damit du ihm lügnerische Berichte über das hinterbringst, was im Palast vor sich geht.«

»Das ist nicht wahr! Ich weiß, Gott sei Dank, überhaupt nichts von den Begebenheiten im Palaste. Ich spreche die Wahrheit, aber hier ist die Luft mit Lügen erfüllt.«

»Die Wahrheit hat tausend Augen, du aber bist falsch wie deine ganze Rasse. Am Abend des Devalifestes befandest du dich mit deinem Liebhaber im Audienzsaale. Leugne es nicht, denn ich habe gesehen, wie ihr miteinander gesprochen, geflüstert, geliebäugelt und euch die Hände gedrückt habt. Auch zwei Briefe hast du ihm gegeben.«

»Ja, es waren Briefe an meine Freunde.«

»Palastgeheimnisse enthielten sie! Und auch über mich, die Rani Sundaram, habt ihr gesprochen, und zwar nichts Gutes!«

Das war nun allerdings wahr, und ich fühlte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

»Ich wiederhole es, du bist eine boshafte Spionin!«

»Nein, das bin ich nicht, und ich verbitte mir eine solche Sprache, die ich von niemand dulde, und wäre es die Kaiserin von Indien. Ich kündige hiermit meine Stelle und werde morgen nach Madras zurückkehren ... oder besser noch heute, sogleich!«

»Bah, du albernes Bleichgesicht! Hier bist du und hier bleibst du. Du selbst hast dich mit deiner Unterschrift verpflichtet, und dein Gebieter hat sich für dich verbürgt. Dein Unterricht ist gut, die fürstlichen Kinder sprechen günstig von dir, und da du nun einmal so eine Närrin gewesen bist und dienen wolltest, so bleibst du hier und dienst weiter.«

»Nein, ich gehe fort!« wiederholte ich heftig, mein Mr. Thorold gegebenes Versprechen dadurch brechend.

»Versuche es!« lautete die höhnische Antwort.

»Ich werde mich an die Regierung wenden!« sagte ich, vor Erregung bebend.

»Versuche es!« wiederholte die alte Rani, und ihr Gesicht war die Bosheit selbst. »Ich bin die Regierung, wenigstens innerhalb des Palastes, und zwar bis zu meinem letzten Atemzuge.«

Also sprechend, richtete sich die Alte plötzlich zu ihrer ganzen Größe auf, und obwohl sie ihr Gewand nach Art der vornehmen Brahmanenfrauen des Südens um die Beine gewickelt trug, versuchte sie sich ein majestätisches Ansehen zu geben.

Ich selbst stand die ganze Zeit über mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Hände krampfhaft hinter mir verschlungen. Ein kurzer Wortwechsel in einer mir fremden Sprache entspann sich jetzt zwischen den beiden Frauen, worauf die alte Rani sich mir wieder zuwandte und mich scharf ansah. Schwer ging mein Atem, kaum daß ich meine Erregung zu bemeistern vermochte. Aber auch jetzt hielt ich ihren Blicken stand. Dabei war es mir, als habe ich irgend ein boshaftes Tier vor mir, das ich mit meinen Blicken bändigen müsse.

Endlich sagte sie: »Ich scherzte ja nur, du wilder, junger Panther! Necken wollte dich eine alte Frau. Beim Namen des Sira, was bleibt mir von meiner Herrschaft denn noch viel andres übrig als Worte?«

Hierauf schritt sie, ihre langen Umhänge noch enger um den abgemagerten Körper wickelnd, aus dem Gemach, während ich mit verschlungenen Händen und brennenden Wangen, zitternd vor Aufregung, auf meinem Platze stehen blieb.

»Ich bitte dich, laß dir die Worte der Rani Sundaram nicht zu Herzen gehen,« sagte ihre Schwiegertochter, »und ebensowenig die von Durigodana und Begur. Sie alle hassen die Engländer. Nur ärgern wollte sie dich. Dies macht ihr gerade so viel Vergnügen, als wenn sie die eingesperrten wilden Tiere in ihren Käfigen quält. Sie wünscht nicht, daß du fortgehst, nur kränken wollte sie dich. Ich aber habe dich in mein Herz geschlossen, Miß Sahib, und auch die Kinder hängen an dir. Verlaß uns nicht um einiger böser Worte willen ... Alles, was aus ihrem Munde kommt, ist böse,« fügte sie leiser hinzu, »auch alles, was sie zu den andern und selbst zu mir sagt.«

Mir fielen Mr. Thorolds Worte ein: Sie werden mit mancher Widerwärtigkeit zu kämpfen haben. Damals ließ ich es mir freilich nicht träumen, daß diese Widerwärtigkeit mit seiner Person zusammenhängen würde.

»Ein Wort noch,« flüsterte meine Gönnerin mit feuchten Augen. »Die Rani Sundaram kann den Residenten nicht leiden, da er ihr zu viel Macht nimmt. Ich weiß aber, daß seine Hände rein sind und daß er meinem Sohn mit den besten Absichten dient. Er ist ein tatkräftiger und ein gerechter Mann. Wenn du dich jedoch dazu verstehen könntest, nicht mehr mit ihm zusammenzutreffen, so wäre es für dich und ihn besser. Ich selbst denke nichts Schlimmes, in den Augen der Rani Sundaram aber gibt es außer den Göttern nur Bösewichte.«

*

Es schien, als habe der schreckliche Auftritt, dessen Zeugin die Rani Gindia gewesen war, ihr Wohlwollen für mich noch verstärkt. Bald bekam ich die angenehmen Folgen davon zu fühlen und bemerkte, daß die kleine Rani ihre persönliche Teilnahme für mich so weit betätigte, als es in ihrer Macht stand. Auch Briefe gelangten jetzt zu mir: von Mrs. Dalrymple, Frau Rosario und Mr. Evans. Selbst Linda schrieb mir. Was doch so ein matt aufflackerndes Glückssternchen nicht alles vermag! Die Kunde von meiner »glänzenden Stellung« war ihr zu Ohren gekommen, und nun wollte sie wissen, ob ihre Schwester Julia nicht vielleicht Auftrag bekommen könnte, die Damen des Palastes zu malen, auch möchte ich ihr doch einige echte Madraser Musseline und seidene Zierstoffe schicken!

Auch an Spazierfahrten fehlte es mir jetzt nicht mehr. Häufiger noch als früher forderte die Rani Gindia mich zur Begleitung auf, wenn sie in ihrem geschlossenen Staatswagen nach der Stadt fuhr. Allein diese Ausfahrten boten außer der Ehre, mich in ihrer Gesellschaft zu befinden, wirklich nicht viel Vergnügen für mich. Die Hitze, das Getöse, die von Fliegen wimmelnden Konditoreibuden, die geschmacklos aufgeputzte, sich drängende, schreiende Menge, die von Weihrauch, verwelkten Blumen, Kuhdünger und heißem Öl verpestete Luft – das alles war durchaus nicht nach meinem Geschmack. Mit fast krankhafter Begierde sehnte ich mich hinaus in die offene, freie Natur, und – endlich wurde mir auch dieser Wunsch erfüllt.

Wir fuhren jetzt öfter aus der Stadt hinaus zu alten Festungen, Grabmälern und Tempeln, womit die Umgebung von Royapetta im Umkreise von zwanzig Meilen förmlich übersät ist. Dann durfte auch der Landauer geöffnet werden, und hier, wo es niemand sah, gestattete Ihre Hoheit dem Winde, über ihr zartes Gesichtchen zu streichen und ihr das weiche Haar zu zerzausen. Häufiger hatte ich bei solchen Fahrten die kleinen Mädchen als Gesellschafterinnen bei mir, mit denen ich viele entzückende Ausflüge nach den wunderbarsten Ruinen machte. Einst die stolzen Herrschersitze irgend eines großen Königs, erbaut für anscheinend ewige Dauer, lagen ihre Trümmer jetzt unbeklagt, ungeehrt und unbesungen, von keiner Geschichte oder Sage umwoben, häufig sogar ohne Namen, der Vergessenheit anheimgegeben.

Eines Tages fand ich auf meinem Schreibtisch zu meiner Überraschung und Freude ein Briefchen von Mr. Thorold vor, das, wie ich mit Genugtuung bemerkte, nicht vorher geöffnet worden war.

»Verehrte Miß Ferrars!

»Seit Monaten habe ich Sie nicht gesehen. So oft ich in den Palast komme und nach Ihnen frage, heißt es jedesmal: Die Miß Sahib ist beschäftigt, oder: Sie ist jetzt außer stande, Sie zu empfangen. Hoffentlich liegt der Grund dieser fortgesetzten Abweisung weder in Ihrer Abneigung, mich zu sehen, noch, was ich schließlich ernstlich zu fürchten beginne, in einer Erkrankung Ihrerseits. Bitte, geben Sie mir nur mit ein paar Worten Nachricht. Wenn Sie die Antwort auf dieselbe Stelle legen, wo Sie dieses Briefchen gefunden haben, so wird eine zuverlässige Hand es mir zustellen.

Ihr ergebenster M. T.«

Sofort setzte ich mich hin und warf folgende Zeilen nieder:

»Geehrter Mr. Thorold!

»Besten Dank für Ihren Brief! Es geht mir gut, auch wäre ich durchaus nicht abgeneigt, Sie zu empfangen, würde mich sogar sehr über ein Wiedersehen freuen, wenn nicht dringende Gründe ein Zusammentreffen unserseits als unratsam erscheinen ließen. Hoffentlich haben Sie sich vollständig von Ihrem Malariaanfall erholt?

Ihre ergebene P. F.«

Selbst wenn dieses Briefchen in die Hände der alten Rani gelangen sollte, so wäre es von keiner Bedeutung. Nachdem ich es sorgfältig versiegelt und auf den bezeichneten Platz gelegt hatte, begab ich mich in den Garten hinunter, und als ich nach etwa einer Stunde zurückkehrte, war der Brief verschwunden.

*

Der Lieblingsausflug der beiden kleinen Ranis war eine Fahrt nach dem alten »Fort der vier Winde«, wo es eine reiche Ernte an wilden Blumen, Pfauenfedern und Stachelschweinkielen für sie einzuheimsen gab. Diesen Ort behielt ich mir deshalb als besondre Belohnung für Fleiß und gutes Betragen der beiden Mädchen vor. Das Fort lag etwa elf Meilen jenseits der Stadtmauern. Der Weg dahin führte durch mehrere uralte, unter Palmen, Tamarinden und Feigenbäumen fast vergrabene Dörfer, deren spärliche Häuser gewöhnlich um einen Tempel oder Brunnen lagen. Zwischen den Dörfern dehnte sich eine flache, bebaute Ebene aus; hin und wieder kam auch ein kleiner, binsenumsäumter See zum Vorschein, der mit roten Lotosblumen bedeckt und von Wassergeflügel bevölkert war. Das Fort und der damit zusammenhängende alte Palast krönten einen steilen Abhang, die Wälle zogen sich wohl eine Meile weit am Hügelrande hin, und trotzig aufragende Mauern wehrten von der Ebene aus den Zugang. Innerhalb dieses Bereiches war ein wildes Durcheinander von gewölbten Toren, Tempeln, Balkonen, Türmen, Höfen, Elefantenställen und mit Kaktusgebüsch überwachsenen Schwimmbädern. In die Herrschaft darüber aber teilten sich jetzt in despotischer Willkür üppigwucherndes Riedgras, Dornengestrüpp, prächtige Bäume, Ziegenherden, blaue Tauben und stolze Pfauen.

Am Fuße des Hügels verließen wir die Wagen und kletterten dann den steilen Pfad hinauf, der zu einem großen Torweg führte, in dem unsre Stimmen laut widerhallten, und von wo aus man in den inneren Hof gelangte. Auch auf mich übte dieser einsame Ort mit seinen hochragenden Mauern und verödeten Hallen, die einst der Schauplatz fröhlichen Lebens gewesen waren, eine seltsame Anziehungskraft aus. Mächtig wehrte sich dieser verlassene Palast gegen den alles zersetzenden Zahn der Zeit, und obwohl hohes Gras seine Höfe bedeckte und seine Lusthäuser Tieren als Schlupfwinkel dienten, so stand sein Mauerwerk doch noch ebenso fest als je. Hunderte von Jahren schon hatte es Sturm und Sonne getrotzt, und noch nach weiteren Jahrhunderten, wenn ich längst tot bin, wird dieser Palast wahrscheinlich noch ebenso dastehen wie heute, höchstens daß das Gras und Kaktusgestrüpp üppiger und die Bevölkerung von Schweinen und Pfauen noch zahlreicher geworden sein wird.

Wie die Jahre, ehe wir geboren,
Werden die sein, wenn wir nicht mehr sind;
Die dazwischen liegen, geh'n verloren,
Wie das Spiel der Wellen vor dem Wind.

Von solchen Gedanken bewegt, saß ich auf einem der niedrigen Wälle, während die kleinen Ranis sich unter der Obhut einer Dienerin auf einem ihrer beliebten Streifzüge befanden. Als mein Blick zerstreut über die sich unter mir ausdehnende Ebene irrte, bemerkte ich drei Männer zu Pferde, die den steilen, zum großen Torweg führenden Pfad heraufritten. Eingeborene waren es nicht. Wie sie sich dann näherten und unter laut dröhnendem Pferdegetrappel aus dem hohen Einfahrtstore hervorkamen, erkannte ich in einem von ihnen Mr. Thorold. Auch er hatte mich, wie es schien, bereits gesehen; die unten haltenden Hofwagen mochten ihn auf das Zusammentreffen vorbereitet haben. Die drei Herren banden nun ihre Pferde fest und kamen auf meinen, in einer Ausbuchtung der Mauer befindlichen Sitz zu, von wo aus einst ein Geschütz die Gegend bedroht hatte.

»Miß Ferrars! Welche freudige Überraschung!« rief der Führer mir zu. »Ich glaubte, dieser weltabgeschiedene Ort werde von keinem menschlichen Wesen außer mir mehr besucht.«

»Ich bin schon häufig hier gewesen, mindestens ein halbes Dutzend mal.«

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen Doktor Flemming, unsern Bezirksarzt, vorstelle.« – Ein dicker Herr von etwa fünfzig Jahren nahm grüßend den Hut ab. – »Und dies hier ist Mr. Bellairs, mein Sekretär.« – Ein blaß aussehender Jüngling mit einer Brille verbeugte sich gleichfalls. – »Ich habe den Herrn Doktor mit ganz besondrer Absicht hierhergeführt,« fuhr Mr. Thorold fort. »Er hängt so sehr an der Präsidentschaft Madras, daß ich es für dringend geboten erachtete, ihn nun auch mit einem Teile der Landschaft bekannt zu machen, damit seine Begeisterung wenigstens einigermaßen gerechtfertigt wird.«

»Ja, ja,« rief Doktor Flemming mit einem lustigen Zwinkern seiner kleinen Augen, »nun spotten Sie wieder einmal über unsre älteste, gesegnete Präsidentschaft, die ich an die Spitze von allen dreien stelle. Jedenfalls ist sie der echteste Teil von Indien. Hier findet man noch die unversehrte einheimische Flora ...«

»Und das echte Klima mit unverfälschter Malaria!« spottete Mr. Thorold.

»Ach was, ihr Leute aus den Nordwestprovinzen bildet euch immer wunder was ein auf euer kühles Wetter, und dabei müßt ihr dort überallhin euer Bett mitnehmen! ... Sie sind gewiß noch nie oben im Norden gewesen, Miß Ferrars?« fragte der Doktor, sich an mich wendend.

»O doch, aber ich hatte keine Gelegenheit, viele Eindrücke zu sammeln, da ich mich nur drei Tage dort aufhielt.«

Erstaunt riß er die Augen auf, aber der blasse junge Mann fragte nun: »Wie gefällt Ihnen Royapetta?«

»Ziemlich gut. Und Ihnen?«

»Vortrefflich!«

»Ja, ja, es ist ihm vollständig Ernst mit seiner Behauptung,« bestätigte Mr. Thorold. »Er kennt sich in der Archäologie gut aus und bewundert unsre alten Gebäude ebensosehr wie Flemming unsre Giftpflanzen. Hier« – er deutete mit der Hand ringsum – »ist sein ergiebigstes Jagdrevier ... Sie sind wohl mit den jungen Ranis hierhergekommen, Miß Ferrars?«

»Ja, denn auch für sie ist dieser Ort ein ergiebiges Jagdrevier; reich an allerlei kleinen Schätzen. Hoffentlich haben Sie sich vollständig von der Malaria erholt?«

»O ja, ich danke. Der Ausflug in die Berge war ein sehr heilsames Rezept, das Wunder gewirkt hat.«

»Übrigens war es ein recht schlimmer Anfall,« bemerkte der Arzt. »Eine Art von Malaria, wie sie mir noch niemals vorgekommen ist.«

»Wohl auch einer der Vorzüge von Royapetta?« warf sein Patient lächelnd ein. »Doch sehen Sie nur, was für ein herrlicher Sonnenuntergang!« rief er plötzlich, worauf wir uns alle dem glühenden Westen zuwandten.

In dunklem Purpurrot hob sich die ferne Hügelkette vom leuchtenden, orangegelben Himmel ab, über den sich Streifen von wunderbarstem Rosa hinzogen, die die ganze Landschaft in rosige Glut tauchten.

»Alles rosenfarbig,« bemerkte Mr. Thorold. »Gewiß ein gutes Omen!«

»Ja, die Sonne geht unter, aber wir haben ja den Palast noch gar nicht besichtigt, und doch gibt es so ungeheuer viel Interessantes zu sehen,« sagte Mr. Bellairs.

»Gut, Dick, dann gehen Sie jetzt nur und führen Sie den Herrn Doktor herum. Ich bleibe inzwischen hier bei Miß Ferrars, mit der ich allerlei Geschäftliches zu besprechen habe.«

Während Mr. Bellairs mit dem dicken Doktor, der ihm kaum zu folgen vermochte, davoneilte, wandte sich Mr. Thorold lebhaft zu mir.

»Ich bin sehr froh, Sie hier zu treffen. Nun sagen Sie mir, bitte, vor allem, warum soll ich Sie denn nicht im Palast besuchen?«

»Weil die Rani Sundaram es nicht wünscht. Sie traut mir nicht und hält mich für Ihre Spionin.«

»Das sieht Ihrer Hoheit, der Königin der Spione, wieder recht ähnlich.«

»Ich hatte einen entsetzlichen Auftritt mit ihr.«

»Was das heißen will, weiß ich zur Genüge, denn auch ich habe, vor ihrem Purdah stehend, schon manchen heftigen Strauß mit ihr auszufechten gehabt.«

»Dann sehen Sie dabei aber doch wenigstens ihre Augen nicht.«

»Um was handelte es sich denn?«

»Es war Ihretwegen. Wenn wir halbwegs Frieden mit ihr haben wollen, so dürfen Sie mich weder besuchen, noch Briefe mit mir wechseln. Die Wände des Palastes haben tausend Augen und Ohren. So war sie zum Beispiel auch Zeuge unsrer Unterredung im Audienzsaale. Sie sah, daß ich Ihnen Briefe übergab, und behauptete, wir hätten schlecht über sie gesprochen.«

»Da hatte sie wahrhaftig recht! Aber sagen Sie mir, wie ihr dies möglich war, wenn sie nicht tatsächlich hexen kann!«

»Hoch oben laufen ja doch Galerieen um den Saal herum, von wo aus die Dienerinnen den Festlichkeiten zusehen. Dort muß sie gewesen sein.«

»Daß ich ihr so verhaßt wie Gift bin, weiß ich wohl, ist mir aber höchst gleichgültig und hindert mich nicht im geringsten an meinen Arbeiten, die einen recht günstigen Fortgang nehmen. Ich lösche Hypotheken, strecke Geld zu gemeinnützigen Zwecken vor, lasse Gerechtigkeit walten, wo und wie ich kann, und führe Verbesserungen ein. Ungeheure Schulden lasteten auf dem Staate, die Steuern betrugen mehr als die Hälfte des Einkommens und saugten das Herzblut des Volkes aus. Die Rani Sundaram aber kümmert sich nicht darum, wie viele Menschen täglich am Hungertode sterben. Mit vollen Händen wirft sie das Geld zum Fenster hinaus; ihr Ehrgeiz und ihre Verschwendungssucht kennen keine Grenze.«

»Ist es wahr, daß nächsten Monat großartige Vermählungsfeierlichkeiten stattfinden sollen?«

»Ja, in der ersten Woche des März schon sollen sie beginnen. Da werden wir dann jedenfalls wieder Gelegenheit finden, uns zu sprechen.«

»Vielleicht,« antwortete ich zweifelhaft.

»Da gibt es kein Vielleicht. Ich will schon dafür sorgen.«

»Nun werden die kleinen Ranis gleich zurückkommen und uns beisammen finden!« rief ich plötzlich ängstlich. »Was wird ihre Großmutter sagen, wenn sie davon erfährt!«

»Als ob sie das etwas anginge! Wir sind freie Menschen, und wenn ich nicht einmal das Recht hätte, mich mit meiner Landsmännin zu unterhalten, so wäre ich wirklich ein beklagenswerter Mensch. Stellen Sie sich einmal vor, wie hübsch das aussähe, wenn ich nun plötzlich Reißaus nähme und davongaloppierte, damit diese Kinder – die übrigens gerade jetzt zurückkommen – mich nicht mit ihrer Erzieherin sprechen sehen!« rief er lachend. Da ich jedoch in seine Heiterkeit nicht einstimmte, fügte er ernsthafter hinzu: »Die Angst vor der Rani Sundaram scheint Sie wirklich zu beherrschen; kein Wunder übrigens, wenn das abgeschlossene, einförmige Leben, das Sie führen, Sie Ihres frischen Mutes beraubt. Damit soll es aber anders werden. Ich verspreche Ihnen, daß Sie, soweit es irgendwie in meiner Macht steht, von nun an mehr Freiheit bekommen sollen.«

Die seidenen Höschen mit Stachelkielen gefüllt, die Arme mit Federn beladen, kamen die beiden kleinen Mädchen jetzt herbeigelaufen, indem sie in atemlosem Eifer schon von weitem eine wunderbare Geschichte von einem wilden Tiere zu erzählen begannen, das sie im Dickicht entdeckt hatten. Nachdem sie dann schüchtern noch einige lustige Fragen Mr. Thorolds beantwortet hatten, begleitete dieser uns drei bis zu unserm Wagen hinunter. Erst als die Kinder mit ihrer Beute und ich selbst glücklich im Landauer saßen, verabschiedete er sich von uns, worauf wir, vom silbernen Mondlicht geleitet, in unserm gewohnten Galopp davonfuhren.

*

Es gab verschiedene Wege, um von der Frauenabteilung in die Gärten zu gelangen. Ich wählte gewöhnlich den weiteren, der durch die Staatsgemächer führte, da ich dadurch einem ganzen Irrsal von dunklen, dumpfigen Gängen und Hunderten von neugierigen Augen entging. Als ich eines Nachmittags wieder langsam durch den Audienzsaal wanderte, blieb ich einen Augenblick vor einem hohen Spiegel stehen, für den ich – ich will es nur zugestehen – eine besondere Vorliebe hatte, da er das Bild des Hineinschauenden besonders vorteilhaft zurückwarf.

Während ich noch in den Anblick meines Konterfeis versunken war, leuchtete mir plötzlich ein zweites Gesicht aus dem Glase entgegen, und mein Herz stand einen Augenblick still, als ich Mr. Ibrahims scharf geschnittenes, olivenfarbenes Gesicht erkannte. Hastig wandte ich mich um – nein, es war keine Täuschung, leibhaftig stand er vor mir, wenn auch nicht mehr als persischer Dandy in tadellosem englischem Anzuge, sondern als indischer Höfling mit dunkelblauer Tunika, kostbarem Gürtel und einem kleidsamen roten Feß.

»Ei, Sie sind ja sehr überrascht!« sagte er in ruhigem, freundlichem Tone. »Ich strebte schon längst nach einem Zusammentreffen mit Ihnen und war überzeugt, daß es mir eines Tages gelingen müßte. Sind Sie ganz wohl und munter?«

»Ja, ich danke,« antwortete ich steif.

»Und wie gefällt es der stolzen Miß Ferrars im vergoldeten Käfig?« fragte er mit bedeutungsvoller Miene.

Ich wich jedoch der Frage durch eine Gegenfrage aus. »Wie sind denn Sie in den Palast hereingekommen?«

»O, ich bin kein Fremder für die Rani Sundaram oder für ihren Bruder Durigodana. Wir sind sogar gute Freunde und haben schon manches Geschäft miteinander abgeschlossen. Diesmal bin ich nun wegen der Hochzeitsjuwelen hier, und deshalb habe ich auch meinen Wohnort bis auf weiteres nach Royapetta verlegt.«

Ton und Haltung waren tadellos höflich, ja bescheiden, so daß ich schon zu hoffen begann, er habe unsre letzte, ziemlich stürmische Unterredung vergessen. Allein er war so klug, daß er mir diesen Gedanken schon wieder vom Gesicht las, als stehe er mit Buchstaben darauf geschrieben.

»Miß Ferrars,« sagte er plötzlich unvermittelt, »wollen Sie die große Güte haben, mir meine Tollkühnheit von damals zu vergeben und mich mit Ihrer Freundschaft zu beehren?«

Da ich es nicht wagen durfte, mir diesen schlauen Mann zum Feinde zu machen, besonders nicht an einem Ort, wo ich so wenige Freunde hatte, so antwortete ich: »Ja, Mr. Ibrahim, ich bin ganz bereit, das Vergangene vergangen sein zu lassen.«

»Gestatten Sie mir, Ihnen auch noch zu versichern, daß meine Gefühle für Sie sich niemals ändern werden: die Sehnsucht der Motte nach dem Lichte, die heute und immer dieselbe bleibt. Mehr will ich nicht sagen,« fügte er mit einer tiefen Verbeugung hinzu.

»Die Hochzeitsjuwelen sind gewiß sehr schön,« begann ich ablenkend, indem ich mich dem zum inneren Hofe und in den Garten führenden Ausgang zuwandte.

»Ja, sicherlich die schönsten von ganz Asien, und ich will nur wünschen, daß die Familie sich zum Ankauf entschließt. Leider muß ich aber stark daran zweifeln. Ich habe nämlich die berühmten Jasraperlen zu verkaufen, die schon in den alten Gesängen und in der Geschichte mehrerer Dynastieen erwähnt werden. Sie sind uralt, von der Größe eines Drosseleies, dabei fehler- und fleckenlos. Ihr Besitz würde die Familie auf die höchste Rangstufe erheben.«

»Und doch will man sie nicht kaufen?« rief ich erstaunt.

»Man feilscht um den Preis, oder vielmehr Ihr Freund, der Resident, sträubt sich mit aller Macht gegen die hohe Ausgabe. Aber der Reichtum dieser Familie ist ja fabelhaft.«

»Welchen Wert haben aber diese Schätze, wenn sie unberührt in der Toscha-Khana liegen?«

»Das weiß ich wohl,« unterbrach er mich ungeduldig, »aber das Land ist fruchtbar. Seit Jahren gab es keine Mißernten mehr, und die Steuern werfen Geld die Menge ab. Bunsi-Lall und noch verschiedene andre Makler sind bereit, das Geld vorzustrecken, und die alte Rani brennt darauf, die Kleinodien zu kaufen, trotz dem hohen Preise: zwanzig Lakhs Rupien.«

»Hundertfünfzigtausend Pfund!«

»Ja, für vierzig Perlen. Solche Perlen sind aber auch einzig in der Welt, und zudem sind Perlen jetzt sehr in der Mode. In zehn Jahren werden sie vielleicht noch mehr wert sein. Ein russischer Großfürst besitzt eine Perle, die allein einen Wert von sechzehntausend Pfund darstellt.«

»Hundertfünfzigtausend Pfund für ein paar kleine Muschelausschwitzungen, die ich mit der Hand zudecken könnte!«

»Sie sind ihren Preis wert. Warten Sie einmal, ich werde sie Ihnen zeigen. Alle Frauen haben ja Freude an Perlen.«

Dabei griff er in die Brusttasche seines Samtrocks und zog eine längliche, reich ziselierte silberne Kassette hervor, die er behutsam öffnete. Darin lagen auf blauem Samt die Jasraperlen. Sie waren in der Tat ungewöhnlich groß, von tadelloser Form und wundervollem Glanze. Während ich sie noch bewundernd betrachtete, griff er rasch danach und schlang sie um mein Handgelenk.

»So, nun können Sie sagen, daß Sie die Jasraperlen getragen haben!« rief er jubelnd. »Und sie würden Ihnen gar wohl stehen! Dürfte ich sie Ihnen doch schenken!«

»Ich danke,« erwiderte ich mit einem Schauder, indem ich sie abstreifte; »mir würde davor grauen. Perlen bringen Unglück; man sagt, sie bedeuten Tränen ... vierzig Tränen!«

»Allerdings hat schon manche Frau Tränen darüber vergossen, weil sie der Perlen nicht habhaft werden konnte. Überall an den Höfen sind sie schon angeboten worden, aber der Preis war immer zu hoch.«

»Gehören sie Ihnen?« fragte ich gleichgültig.

»O nein, ich verkaufe sie nur im Auftrag. Das ist mein Beruf ... Die Rani Sundaram ist gar gerieben,« fuhr er fort, »und so bin ich überzeugt, daß sie schließlich doch noch Mittel und Wege findet, den Kauf zu ermöglichen.«

»Haben Sie Rosarios kürzlich gesehen?«

»Nein, wozu sollte ich jetzt noch zu ihnen gehen?« antwortete er mit Nachdruck.

Da es mein Bestreben war, den Verkehr mit Ibrahim auf dem Fuße einer oberflächlichen Bekanntschaft zu erhalten, so wagte ich diese Frage nicht weiter zu erörtern. Er aber fuhr fort: »Ich wundere mich, daß Sie es im Palaste aushalten. Zu denken, daß Sie jetzt schon vier Monate hier sind!«

»Warum wundert Sie das?« – Wir waren mittlerweile auf den zum Garten führenden Hof hinausgetreten, wo wir jetzt langsam auf und ab gingen.

»Weil,« (er sah sich scheu um und senkte dann die Stimme zu leisem Flüstertone) »weil hier nichts Ihr eigen ist, weder Ihre Zeit, noch Ihre persönlichen Angelegenheiten, weder Ihre Seele, noch Ihr Leben. Sie sind wahrhaftig ein mutiges Mädchen, daß Sie hier zu bleiben wagen.«

»Warum sollte ich denn nicht bleiben?«

»Schönheit ist eine verhängnisvolle Gabe. Sie würden eine reizende Katzenpfote abgeben. Die alte Rani bedient sich oft seltsamer Werkzeuge.«

»Ich habe keine Angst, daß sie sich meiner bedienen könnte,« entgegnete ich, während er, das silberne Kästchen noch in der Hand haltend, langsam neben mir her über den Hof ging. »Niemand wagt es, mir ein Haar zu krümmen, denn ich stehe als britische Untertanin unter dem Schutze des Residenten.«

»Gewiß, Sie sind britische Untertanin, allein wie mancher britische Untertan ist schon an Cholera oder an Fieber gestorben oder spurlos verschwunden.«

»Es ist aber jetzt keine Cholera in der Stadt!«

»Nein, aber Gifte gibt es. Wie leicht kann einem der Cholerakeim mit dem Essen beigebracht werden. Auch gefährliche Schnakenstiche gibt es, deren Urheber Menschen sind. Ich bin genau bewandert in der Giftmischerei der Eingeborenen und interessiere mich als Chemiker dafür; auch habe ich eingehend ihre Gegengifte studiert.«

»Ich bitte Sie, wer könnte wohl ein Interesse daran haben, mich zu vergiften?«

»Das ist allerdings wahr, denn Sie stehen hier niemand im Wege. Wäre dies aber der Fall, so würde ich keine Rupie für die Sicherheit Ihres Lebens geben.«

»Ach was, Mr. Ibrahim, Sie wollen mich mit Ihren Reden nur ins Bockshorn jagen!«

»Ich sage dies alles nur, um Sie zu warnen. Glauben Sie, ich kennte das Treiben der Eingeborenen nicht? Hier mitten im Hofe, fern von lauschenden Ohren kann ich es Ihnen ja sagen: die Rani Sundaram ist schlau und listig, dabei grausam und unbarmherzig. Kein Mittel ist ihr zu schlecht, wenn es gilt, ihre Zwecke zu erreichen: ein Menschenleben gilt ihr nicht mehr als Ihnen eine Stecknadel. Sie war es, die den Glanz des Hofes wieder gehoben ...«

»Und dadurch das Land in Schulden gestürzt hat,« vollendete ich.

»Wo Holz gehauen wird, da fallen Späne.«

»Und was soll aus dem armen Volke werden?«

»Ja, das Volk ist arm, entsetzlich arm. Mancher schon« (er hielt inne und seine Augen funkelten) »ist am Hungertode gestorben. Dieser alte Palast könnte gar seltsame Dinge berichten aus den Zeiten, ehe ihr Engländer euern Fuß auf diesen Boden gesetzt habt. So wird erzählt, ein mächtiger Radscha von Chingleput sei einmal aufgefordert worden, die Schatzkammer zu besichtigen. Kaum habe er jedoch die Schwelle überschritten, so sei die Tür hinter ihm zugefallen und er sei im Dunkeln dem Hungertode preisgegeben worden. Das ist freilich lange her, und auch jene Zeiten, wo man in dem kleinen verödeten Tempel dort oben auf dem Hügel über der Stadt Hunderte von Gefangenen den Göttern Yama und Kali als Opfer darbrachte, sind längst vorüber, doch treiben Hexenmeister, Schwarzkünstler und Zauberer noch immer ihr Wesen im Lande.«

»Sie machen ja eine schreckliche Beschreibung, Mr. Ibrahim, allein ich glaube weder an Hexen, noch Zauberkünste und irgend etwas Derartiges.«

»Nun ja, ich wollte Sie nur warnen. Wenn es auf mich ankäme, so blieben Sie nicht in diesem Palaste, denn ich fürchte, etwas Böses ist im Werk, auch ...«

»Nun, was weiter?« fragte ich eifrig.

»Nein,« (er schüttelte den Kopf) »ich will mir nicht wieder Ihren Zorn zuziehen. Gestatten Sie mir nur eine Frage: sehen Sie den Residenten häufig?«

»Nein, ich habe ihn nur zweimal gesprochen.«

»So ist er also nicht Ihr Freund, nur ...«

In diesem Augenblick ließen sich Sporengeklirr und kräftige Schritte auf dem Marmorboden vernehmen; jemand kam in den Hof. Es war Mr. Thorold mit der Reitpeitsche in der Hand und einer Papierrolle unter dem Arm. Unwillkürlich warf er einen Blick in den Audienzsaal, und als er sich dann abwandte, blieb er wie angewurzelt stehen – ja, seine Augen täuschten ihn nicht: er sah den Juwelenhändler Ibrahim und Miß Ferrars in eifrigem Gespräche nebeneinander hinwandeln!

Als ich seinen ernsten hoheitsvollen und überraschten Blick auffing, war ich tatsächlich einen Augenblick lang versucht, davonzulaufen und die beiden einander selbst zu überlassen. Wie groß und gebieterisch erschien er mir, als er jetzt auf uns zugeschritten kam und seinen Strohhut abnahm, wie vornehm im Vergleich zu dem weibischen, aalglatten Ibrahim!

»Das nenne ich eine Überraschung! Hier habe ich Sie ja noch nie gesehen, Miß Ferrars.«

»Ich war auf dem Wege in den Garten, als ich Mr. Ibrahim begegnete ...« – Ibrahim grinste und verbeugte sich tief. – »Ich lernte ihn bei Frau Rosario kennen.«

»Auch Ibrahim und ich sind einander nicht ganz fremd,« antwortete Mr. Thorold mit einem leichten Nicken. »Haben wir uns nicht einmal in Bombay getroffen?«

Ein eigentümlicher Ausdruck in Mr. Thorolds Augen und eine gewisse Verlegenheit in Ibrahims Wesen gaben mir das peinliche Gefühl, als sei meine Anwesenheit hier unerwünscht.

»Ich muß nun aber wirklich gehen,« sagte ich deshalb, »sonst werde ich heute ganz um meinen Spaziergang kommen.«

Und mit einer hastigen Verbeugung eilte ich davon, die beiden sich selbst überlassend.


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