Anna Croissant-Rust
Winkelquartett
Anna Croissant-Rust

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277 Das Rosinchen ließ sich an dem bestimmten feierlichen Tage nicht sehen.

Der alte Mahn empfing. Sehr leutselig, sehr aufgeräumt, in einem altmodischen Bratenrocke mit langen Schößen, der verdächtig grün aussah. Das ganze Haus war geschmückt, am Treppenaufgang standen zwei große Lorbeerbäume, ein riesiges Willkommen prangte über der Türe der guten Stube; zwar die weißen Ueberzüge hatte man nicht entfernt, auch der Kronleuchter steckte noch in seinem Gazebeutel, so wußte man, daß das eigentliche Fest in der Wohnstube begangen werden sollte, Stätte der Verlegenheit der Line und des Fritzl. Die Line war zugleich beengt durch die Gegenwart eben dieses Fritzl, der kein Wort an sie richtete, und auf der äußersten Stuhlkante saß, wie einer, der jeden Augenblick fortlaufen will, und durch die schwermütigen und dabei anklagenden Blicke, die der Maxl auf ihr ruhen ließ.

Der Fritzl trug seinen schwarzen Anzug, Marke Mahn, und hielt seinen Zylinder 278 krampfhaft in beiden Händen. Weiße Handschuhe hatte er sich auch gekauft und suchte nun ängstlich die geplatzten Nähte zu verbergen. Seine weiße Kravatte saß schief, und er schwitzte unaufhörlich.

Der Alte war zutraulich mit ihm wie noch nie, klopfte ihm auf die Achsel und meinte händereibend:

»Ich bin ausgesöhnt mit Ihne, heut sind Se mir von Herze willkomme, und lasse Se nur Ihr Licht leuchte, so ä Festlichkeit kommt nur hie und da im Lebe.«

Je zutraulicher der Alte wurde, desto gekrümmter und versunkener saß der Fritzl in seiner einsamen Ecke und wischte sich fortwährend die Stirne.

Dagegen gewann der Maxl über alle Maßen. Sein Bruder, der schöne Schusterbaron, hatte eine Ehre dareingesetzt, den Maxl für den heutigen Tag pickfein abzuliefern. Er trug des eleganten Bruders schwarzen Tanzgehrock-Anzug, Kragen, Kravatte und Knöpfchen, alles war tadellos, die Stiefel von feinster Arbeit – heute konnte man ihm seine adlige Abstammung glauben.

Der Fritzl, sehr erstaunt von seinem Erscheinen, sah ihn giftig von der Seite und die Line sah ihn ratlos an. In ihrem öden und zu Tode verwundeten Herzen brachte allerdings der 279 wundervolle Gehrockanzug, sowie der ganze frischrasierte Maxl einige Verwirrung hervor.

Wäre alles schön gewesen, doch das Rosinchen kam nicht! Es dufteten die Blumen aus dem Nebenzimmer, es duftete aus der Küche, es duftete der unruhvoll erwartende Bräutigam nach allen Künsten des nachbarlichen Friseurs, das Rosinchen erschien nicht. Dieses Fernbleiben der Hauptperson legte sich bald erstarrend auf die Gemüter der Gäste, es wurde kaum gesprochen, und die drei saßen wie die Bildsäulen und konnten die Augen nicht von der Türe wegbringen.

Jedoch schien das die Heiterkeit des Alten nur zu vermehren. Er kicherte fortwährend und neckte entweder die Line mit ihrer früheren Schüchternheit, oder er konnte sich nicht genug tun, dem Maxl zu versichern, wie hoch er ihn schon als kleinen Jungen geachtet und ihn daran zu erinnern, wie sie sich so oft über Politik unterhalten hätten. Ob er noch wisse, wie er den Bismarck verehrt und dabei gefürchtet hätte?

Der Maxl nickte:

»Ja, man kriegt andere Ideale und fürchtet etwas anderes,« zu welchen Bemerkungen die Line puterrot wurde.

Was er nun studiere und lese und verehre, meinte der Alte.

Nun war die Reihe rot zu werden am Maxl: 280 »Verehren?« stotterte er. »Lesen, ja. Ich – – ich hab zuerst den Karl May gekriegt vom Herrn Kaplan, hat mir aber nicht recht gefallen und – nachher den Stifter. Oh Sie, der ist schön!«

»Soso? und was noch, Herr Student?«

»Nachher hab ich mir den Möricke gekauft. Kennen Sie den?«

»Hab ich ämal gekannt ä Farbwarenfabrik, wo se is, weiß es Rosinche, möglicherweis is der Mann verwandt. Wisse Se, ich selber les ja nit, Gott bewahr' mich!«

»Oder den Hugo?« fragte der Maxl eifrig.

»Hugo, Porzellanmanufaktur, Hugo u. Co., is unser heutiges Service von ihm. Den kenn ich, aber den werde Se nit meine. Und was sagt der Monsieur Cloche dazu, daß der Maxl derf studiere und all die Bücher lese? Ich hoff, Sie tun das nit?! So des Lese, mein ich.«

»Der Maxl, wissen Sie, ist ein Luxusgegenstand, ich bin fürs praktische Leben und zum Gebrauch, ich hab meine Zukunft, Herr Mahn; der lebt im Größenwahn und in einer nicht existierenden Welt, was sich rächen wird, aber ich bin ein gemachter Mann! ich weiß, wo ich 'naus will, mir gehört die Welt!«

Das hatte der Fritzl halb drohend, halb herausfordernd gesprochen, die Türe, durch die doch endlich, endlich das Rosinchen erscheinen mußte, 281 ließ er aber dabei doch keinen Augenblick aus den Augen; schon hatte er sein Taschentuch zu einem kleinen harten Ballen zerknüllt vor lauter Abtrocknen und innerer Erregtheit, da ging die Türe, aber es war nur die Tante. Die Tante, die schon lange keiner mehr gesehen, die zum Mythus geworden, alt, gebückt und verrunzelt, angetan mit einem Schwarzseidenen, eine Haube mit handbreiten Spitzenrüschen auf dem Kopf, und mit bronzefarbenen Samtbändern, die zu beiden Seiten ihres ledergelben Gesichtes herabhingen. Sie knixte und winkte und trippelte gleich voran in die Wohnstube, wo ein feingedeckter Tisch im Schmuck der Blumen und des Silbers, sowie des Services Hugo u. Co., Porzellanmanufaktur, stand. Soeben setzte die alte Köchin mit einer riesenweißen Schürze eine Riesensuppenschüssel auf den Tisch, da, endlich! oh Erlösung! schwebte, nein tanzte das Rosinchen herein, ganz Chlonnenchltrählche heute, gebot mit der Hand, daß sich alles setze und lächelte holdselig; geradezu verklärt sah es aus, mit roten Bäckelchen prangte es, angetan mit einem weißen Kleide und einer breiten grünen Schärpe. Aber als der Fritzl auf den weißen Engel zuwollte, winkte es »Halt!«, rauschte krinolinenschwenkend nach rückwärts, langte mit der Hand hinter die Türe und zog mit gemachter Langsamkeit und 282 Feierlichkeit einen großen korpulenten Herrn in den »besten Jahren« vor, und hielt ihn direkt neben der Türe fest. So Hand in Hand mit ihm stehend, sprach es laut und mit Würde:

»Meine versammelten hochgeehrten, eingeladenen Herrschaften, erlauben Sie, daß ich Ihnen zu dieser Feier den mir von meinem Papa seit drei Tagen erlaubten Bräutigam, den Herrn Getreidehändler Siebenhaar Erben vorstelle. Ich gestatte Ihnen, sofort mit dem Essen zu beginnen, aber passender vorher auf das Wohl des wohllöblichen Brautpaares anzustoßen, vor allem des von mir erwählten und ich von ihm erwählten Bräutigams, was Sie nachher sogar in Champagner bestätigen können, gegeben von dem Helden des Tages. Ich fordere nun alle Anwesenden, von meinem Papa angefangen, auf, zur festlichen Bestätigung unseres Bundes ein ›Hoch‹ auf uns, das Brautpaar, auszubringen.«

Und während dünn und gepreßt, verschüchtert und matt ringsum das »Hoch« tönte, hing es sich hingerissen, mit einem kleinen »Hupf« an den Dicken, der über sein ganzes fettes, gutmütiges Gesicht lachte, daß der rote Schnurrbart unter der krummen Nase wackelte, und der seine breite, rotbehaarte und schwerberingte Hand auf den frischpräparierten Stopselzieherlocken ruhen ließ.

283 Sechs Augen hingen entgeistert und wie festgenagelt an dem so rapid aufgetauchten Bräutigam, wie wenn er, der so gar nicht einem Schemen glich, dennoch ein Schemen gewesen wäre und sich in der nächsten Sekunde zu verflüchtigen drohe.

Jedoch er hielt stand, der Stuhl krachte sogar sehr merklich unter ihm, als er sich niederließ, und die Hand, die den Suppenlöffel packte, hatte aber auch gar nichts von der vierten Dimension an sich.

Die drei Geladenen wechselten in schöner Reihenfolge mit »weiß- und rotwerden«, kontinuierlich rot blieb nur die Line, und das Rosinchen wisperte ihr zu: »Bischde rot vor Freud oder vor Aerger? Gibt's jetzt noch was, worüber du dich wunderst nach dem Erlebnis?? – Heul doch jetz nit, es glaubt dir's niemand, daß du aus Rührung heulscht –«

»Ach, Rosinchen,« lispelte stockend die Line, »wüßtest du meine Erfahrungen!! alles stürzt über mir zusammen, die Baronin, der Kaplan heute, der Fritzl, du –«

»So halt dich an die Realität!« meinte das Rosinchen, und gab der Line einen Rippenstoß nach der Seite hinzielend, wo sie die Realität verstanden haben wollte.

284 Inzwischen erhob sich der Fritzl. Er hatte noch keinen Löffel Suppe angerührt, während der Maxl und die Tante ihre Teller in einem rasenden Tempo ausgelöffelt hatten.

Er zitterte, als er an sein Glas klopfte, und war diesmal endgültig weiß geblieben, aber er sprach leidlich fest:

»Ich als Weltmann, beinahe intim mit dieser hohen Braut und häufiger Frequentierer dieses hochgeehrten Hauses, sowie Freund und Bekannter der unterschiedlichen Anwesenden, beeile mich, noch solo nachzüglich auf das Wohl des so überraschend geschmiedeten Brautpaares zu trinken. Zugleich erlaube ich mir, es ebenso ähnlich anzukündigen, indem, daß ich bitte, mich aus diesem erlauchten Kreise schnell entfernen zu müssen. Ich bin unter diesen selben Umständen genötigt, mich nach Hause zu begeben, wovon ich schon lange gebeten hätte, Gebrauch machen zu dürfen, insofern als ich dort meine eigene – Verlobung – zu feiern im Begriff stehen möchte. Ich habe beabsichtigt, mich mit der Tochter meiner zurückgekehrten Halbschwester, da sie mir und ich ihr passend geneigt bin, Fräulein Ella Wischnofsky, zu verloben, was ich imstande sein werde, indem daß ich jetzt fest im Sinn habe und die geneigten Herrschaften um meine Entlassung bitte, jedoch nicht ohne vorher noch ein 285 »Hoch« auf das Wachsen und Gedeihen der Verlobung auszubringen.«

Immer fester im Ton war er geworden und zuletzt schaute er sich im Kreise um, wie wenn er eine allgemeine Hochachtung vor seiner Bravour in allen Mienen lesen müßte.

Der Maxl und die Line schauten starr auf ihre Teller, das Rosinchen dagegen streckte ganz ungeniert und des neuen Bräutigams nicht achtend, wie ein kleines, ungezogenes Kind, dem ein Spaß nicht ganz gelungen ist, dem Redner eine lange rote Zunge über den Tisch entgegen.

Nur der alte Mahn war eitel Freude und Bewunderung:

»Bravo, Herr Glocke! Respekt. Des hawwe Se fein gemacht! Ich gratulier auch zu der schon gesegnete Verlobung mit der Nichte aus der ungarische Garnison. Sie is ä bißl leidend jetzt, hör ich, aber Sie sind ä Kavalier und werde sich an der Kleinigkeit, die Sie mit in de Kauf zu nehme hawwe nit stoße. Also ich gratulier nochämol –«

»Herr Mahn, ich danke; ich lerne Sie jetzt erst in aller Tiefe würdigen, wo ich mich in eine andere Sphäre zurückzuziehen im Begriff stehe, glorreich meine ich: »Was die Schickung schickt, ertrage, wer da ausharrt, wird gekrönt,« und mit diesem wahren Spruch empfehle ich mich 286 der erlauchten Runde, habe die Ehre!« dienerte sechsmal, vor jedem einmal, und schritt schnell und entschlossen hinaus, während ihm das Chlonnenchltrählche in den höchsten Fisteltönen nachrief: »Denken Se dran, Herr Glocke, mer hawwen prachtvolle Schwarzseidene, passend für die Frau Mama zur Hochzeit, hawwe Se gehört?«

 

 


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