Anna Croissant-Rust
Winkelquartett
Anna Croissant-Rust

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259 Als auch das Rosinchen abgeliefert war, – es ging ziemlich geschäftsmäßig dabei zu – veranlaßte der Fritzl den Kameraden, die leere Promenade auf und ab zu bummeln. Nur er redete, der Maxl blieb lange Zeit stumm.

»Muß man sich Emotion machen, wenn einem der Kopf so voll ist,« meinte der Fritzl.

»Oder das Herz,« wagte der Maxl einzuwerfen.

»Herz, was ist des?« sagte Fritzl verächtlich. »Die Sachen, worauf's da ankommt, haben mit dem Herzen nix zu tun. Ueberhaupt, das Herz ist was für die angehenden Dichter aus dem Paradies, für die sonstigen Leut kommt was ganz anderes in Betracht, verstanden? Und der Kopf gehört dazu. Sakrement, wenn die Lini die achtzigtausend hätt, kein Augenblick brauchet ich mich abzustudieren.«

»Die Line?« stotterte der Maxl.

»No, warum denn nicht? Ist sie nicht ein feines rundes gutgestelltes appetitliches Frauenzimmer? Und verliebt! Oh mein', der arme 260 Kerl! Gar nimmer helfen kann sie sich! Da wird sich einer doch nicht lang besinnen? Brauchst sie nur mit dem Finger anzurühren! – Was machst denn für Augen? Ich glaube gar, du fangst zum Zittern an? Ja, Freunderl, hat's soviel bei dir gschlagen? Schau, desselbig hab ich ja net gmerkt, soviel haben mich die zwei in Atem ghalten! Tut mir leid, tut mir recht leid, aber die Lini hat sich schon vergeben, hoffnungslos zwar im Endziel, aber vorderhand eigentlich recht ersprießlich, mit mir nämlich, weg ist sie, rein weg.« Er warf sich in die Brust. »Da ist nix mehr zu machen; siehst, gar zu viel braucht der Mensch auch nicht zu haben, es ist gesorgt, daß die Bäume nicht in den sogenannten Himmel wachsen. Dir 's Studieren, mir die Frauenzimmer, dir das Kalte, mir das Warme, so ist es grad nur gerecht verteilt und wir wollen schauen, wer bei seiner Sache am weitesten kommt. Aller Anfang ist schwer und das Ende krönt den Meister, hab ich gehört. Du bist ganz graupig geworden, Freunderl! Du hast gemeint, auf deinen Geldsack muß sich ein Weiberherzerl auch noch oben drauf plazieren. Weit gefehlt! Dazu braucht man andere Leut, und einer muß net alles haben, für dich ist das Studium schon viel zu viel. Dagegen für mich – du machst ein ungläubiges Gesicht? Mir fliegt alles zu. 261 Wetten? Geh mir nur nach, da kannst was erleben. Die Lini steht ganz gewiß noch im Park und wartet auf mich.«

Obwohl sich der Maxl wie vor den Kopf geschlagen vorkam und das Ablauern und die Schleichwege verächtlich fand, war die Versuchung doch zu groß. So sehr er den Fritzl in diesem Augenblick haßte, und so niederträchtig er ihn fand, er ging ihm doch nach, stellte sich hinter einen der dicken Lindenbäume, die gerade vor der Villa standen, und sah starr nach dem Park. Es war ganz still ringsum, sogar die Schritte Fritzls hörte man nicht auf dem vom Regen der gestrigen Nacht feuchten und weichen Boden, man sah nur seine glimmende Zigarre. Die Stille und die tiefe Dunkelheit sanken förmlich betäubend auf Maxl nieder. Er hielt den breiten Baumstamm umklammert, in seinem Kopf dröhnte es, und keine Nacht war ihm jemals so schwer und undurchdringlich erschienen. Einzelne Tropfen fielen, es war wie ein Huschen in den Büschen, ein sachtes Klopfen, das aussetzte und wieder anfing, bis es zuletzt in ein sanftes einförmiges Rauschen überging. Und durch dies leise Rauschen schnitt plötzlich ein Pfiff.

Maxl ließ den Baumstamm los und richtete sich auf. Er sah, wie sich durch die Dunkelheit etwas Weißes bewegte, immer näher kam und 262 dann Halt machte. Ein Schatten trat vor das Weiße, jetzt hörte er Stimmen, bekannte Stimmen, eine geliebte dabei, – mehr wollte er nicht sehen und mehr konnte er nicht sehen, es war zu viel für ihn. Er riß den Hut vom Kopf, denn der Schweiß brach ihm überall aus, und lief, so schnell es sein lahmes Bein erlaubte, davon, quer über Wiesen und Felder, planlos hin und her . . . Es war weit nach Mitternacht, als er in der Paradiesgaß ankam und müde und zerschlagen wie ein verprügelter Hund unter die Decke kroch.

 

 


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