Anna Croissant-Rust
Arche Noah
Anna Croissant-Rust

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Der Ammenikel

»Ammenikel« hieß er freilich nicht im Taufregister, zu dem er sonst, durch den Beruf seiner Mutter, der Hebamme, in fortlaufenden Beziehungen stand, aber ganz St. Gilbert nannte ihn nur »Ammenikel«.

Saß er zum Beispiel mit seiner Mutter vor der Haustüre – des Abends nach des Tages Mühen! – so grüßten alle Leute freundlich: »Aa! gu'n Owend, Frau Eisenhut!« und reservierter: »Gu'n Owend, Ammenikel!« Es fiel keinem ein zu sagen: »Gu'n Owend, Herr Eisenhut!«

Von Rechts wegen hieß er Nikolaus Eisenhut, und war der eheliche Sohn der Witwe Eisenhut, der allzeit tätigen, einzigen Hebamme des Städtchens. Sein Vater, der Tagdieb, war früh gestorben; er hatte ihm keinen Pfennig Geld, aber verschiedene »genialische« Eigenschaften vererbt, nebst seinem Namen: »Ammenikel«.

Der Selige hatte es zu seinen Lebzeiten zu keinem anderen Namen gebracht, und auch der Sohn 82 konnte sich nicht rühmen, anders als abhängig vom Titel seiner Mutter genannt zu werden.

Und doch war Nikolaus Eisenhut ein Unikum. Nicht nur, weil er der einzige Sohn der Witwe Eisenhut war, der einzigen Hebamme des kleinen Ortes, er war auch sonst einzig in seiner Art.

Der Ammenikel hatte zwar keinen ausgesprochen bürgerlichen Beruf, aber eine Weltanschauung, was man den andern St. Gilbertern, den Doktor, den Bürgermeister, den Apotheker nicht ausgenommen, nicht nachsagen konnte, ja unter welchem schweren Mangel sogar noch viele illustre Persönlichkeiten in den benachbarten Städten litten, für welche es wohl nicht nur angebracht, sondern auch sehr ersprießlich gewesen wäre, sich ohne weiteres die eine oder andere ausgesprochene anzuschaffen. Wenigstens dachte und sagte der Ammenikel so. Denn er war stolz auf die seine, und sie war weder kleinlich, noch spießig und von keinerlei Vorurteilen getrübt.

Ins Halb-Profane übersetzt, lautete sie etwa so: »Ich bin gescheiter als du, sei der Dinge gewärtig, die ich an dir verübe. Ich bin stärker als du, also hab ich das Recht für mich. Du sollst das nicht besitzen, was mir besser paßt, besser schmeckt, besser behagt. Ich suche es mir zu 83 nehmen. Du magst dich wehren, du magst widerstreben, es ist dein Recht. Mein Recht ist es dennoch, zu handeln.«

Nicht, daß er etwa seine Weltanschauung proklamiert hätte! Gott bewahre! Er praktizierte sie nur, ohne sich auszusprechen, im richtigen Instinkt, daß seinen Mitbürgern das Verständnis und wohl auch der nötige Intellekt dafür abging.

Er fuhr nicht gerade schlecht bei seinem eigenartigen Beruf und bei seiner Weltanschauung.

Von der Mutter Eisenhut seiner Ueberlegenheit halber bewundert und als einziger von Kindsbeinen an verhätschelt, fand er in ihrem Hause das beste Erdreich, um auf seine Art gedeihen zu können. Er war der Gebieter, er war der Herr.

Wohnung und Kost, wenn der Beruf sie nicht fern hielt, erhielt er von Madame Eisenhut, für seine übrigen Bedürfnisse sorgte seine Lebensanschauung. Der Ammenikel war seiner Veranlagung und seinem ganzen Wesen nach zum Grandseigneur geboren. In sozusagen »vulgärerem« Maße hatte sein Vater diese Anlagen besessen, bei Ammenikel Sohn aber waren sie verfeinert, sublimer ausgebildet.

Seine Hände waren weiß, rein und wohlgepflegt, und der Traum seiner Jünglings- und 84 Männerjahre war, einen Siegelring an diesen weißen, wohlgepflegten Fingern zu sehen.

Sein Haar war lang gehalten, stets durch Pomade gebändigt und hob sich in einem kühnen Schopfe über der hohen Stirne. Er war schlank, fast zu schlank, und hielt sich etwas nach vorne. Immer trug er – soweit es angängig und nicht geradezu absurd war – einen langen dunklen Bratenrock, und würdig und gesetzt, wie er durch das Nest ging, stand ihm an der Stirne geschrieben, freilich von fast allen ignoriert, daß er geboren war, seinen Neigungen zu leben. Der Neigung, still und behaglich zu liegen und zu meditieren dabei, der Neigung, überlegen in der Schenke zu sitzen, ein gutes Glas Wein vor sich, lächelnd zuzuhören, und wenn die Minderwertigen sprachen, nur hie und da ein paar Goldkörnchen einzustreuen, der Neigung zum Herumflanieren, und die Welt zu genießen, wozu vor allem die genaue Inspektion der benachbarten großen Höfe gehörte, der Neigung zu herablassenden Reden, die er an die »Kleinbauern« und sogar an übelbeleumundete Individuen hielt, die ihn besonders anzogen, oder, von ausdrucksvollen Gesten begleitet, an die »Mädcher« richtete.

»Die Mädcher« taten scheinbar sehr geehrt – er kannte das schon, – zierten sich, getrauten sich nicht zu antworten, aber wenn er davonstelzte, 85 kicherten sie. »Die Gänse«, hatte er noch allemal gedacht und die Achseln gezuckt. Fiel ihm ja gar nicht ein, sich etwa darüber zu ärgern! Bewunderung hatte er genug und nicht von der Mutter allein, Bewunderung und Würdigung auch bei den Besuchen, die dankbare »Kundinnen«, besonders aus fremden Gemeinden, der Mutter Eisenhut abstatteten, und denen der feine Herr im Bratenrocke und mit den weißen Händen stets großen Eindruck machte.

Der Beruf der Mama, im Städtchen nur »die Eisenhut'n« geheißen, war etwas, worüber der Ammenikel gern die Nase rümpfte. Notwendig – ja, nützlich – ja, lukrativ – ja, jawohl, aber – – »ecklig, ecklig« . . . »vulgär«. Er ironisierte die Mama gern, wenn sie mit ihrem allbekannten Körbchen zur Ausübung ihres Berufes auszog.

»Hoscht die Feuerspritz dabei? Mein Kumpliment an de Storch, er soll fleißig sein, damit wir, die wir von ihm abhängen, unser gutes Auskommen haben. Aber er soll e bißche reeller sein und nicht zwee und drei uff einmal bringen, das schmälert unsern Profit, schau nur darauf.«

»Ach, liewer Himmel! Nikel!« gluckste die alte würdige Dame und kicherte und gluckste wieder, »ich kann's doch nit ändere, doch nit verschiebe, 86 ich kann doch nit eins fürs nächscht Jahr reserviere!«

»Is die Frag! es is noch nit bewiese,« sagte mit Weisheitsfalten der Nikel, »aber geh, geh mit Gott, du Helferin der Menschheit!«

»Adies Nikel! und sorg e bißche for e Abendesse,« mahnte die Mutter Eisenhut.

Sie hatte es stets noch als große Aufmerksamkeit empfunden, wenn sie, von ihren strapaziösen Gängen nach Hause kommend, ein Hühnchen im »Backöfche« brozeln hörte, oder ein paar feine »Aeppelcher« zum Kompott gerichtet, fein zierlich mit Gelee verziert, auf dem Tische fand. Auch Häslein waren nicht zu verachten, die der Nikel mit »Kappes« als Gemüse fein zu bereiten verstund, und die er dampfend auftrug, sowie sie nur ihren umfangreichen Körper in dem großen Lehnstuhl untergebracht hatte. Das waren gewiß zarte Aufmerksamkeiten des Sohnes, und Dinge, die ihr das Leben lebenswert machten. Oh, wie oft dachte sie noch vor dem Einschlafen mit warmer Dankbarkeit an ihr inniges Zusammenleben und freute sich des satten Magens, der warmen Stube und des guten Sohnes. –

So weit wäre alles prächtig gewesen für die alte Eisenhut'n und den Nikel. Die St. Gilberter gaben der wackeren Eisenhut'n, die doch zu diesem Zwecke da war, ehelich und unehelich zu verdienen 87 genug, so daß sie, den Nikel mitgerechnet, behäbig und zufrieden leben konnte.

Aber es sollte nicht so bleiben. Ein schwarzer Flor senkte sich auf der fleißigen Hebamme und auf Nikels Haupt. Dieser Flor bestand allerdings in etwas sehr Konsistentem: Einer kugelrunden, forschen, molligen und nach allen neumodischen Regeln gedrillten Hebamme fiel es ein, sich in St. Gilbert, und als verdüsternde Wolke auf das Haus Eisenhut niederzulassen.

Zuerst lachte die Alte, dann ergrimmte sie, und rief ganz St. Gilbert zum Zeugen auf, daß sie allen, aber auch allen St. Gilbertern schlecht und recht, ohne all das modische Gespreize auf die Welt verholfen und halb St. Gilbert schimpfte mit. Später tat das nur ein Viertel, dann blieben nur mehr ganz wenige getreu, die keinen Nachwuchs mehr zu erwarten hatten, und auch niemanden in der Verwandtschaft wußten, der augenblicklich dazu neigte.

Die Neue triumphierte. So schnell war der Triumph ihrer Jugendlichkeit, Gründlichkeit und Reinlichkeit, daß das rote bedeutsame Lämpchen an der Eisenhut'n Haus bald wie ein Hohn wirkte, daß der Korb mit der »Feuerspritze« leer in der Ecke stand, wenn nicht jemand aus einem entfernten Dorfe kam, der von der Neuen Triumph noch nichts wußte.

88 Die Eisenhut'n war vergessen, versteinert, als Hebamme, »fossil« geworden. So schnell ging die Veränderung vor sich, daß man im Hause Eisenhut anfing zu hungern. Zwar es war nicht der gemeine Hunger, der bohrt und schneidet und weh tut, aber für Leute, die an Besseres gewohnt waren, Leute mit quasi verfeinertem Magen, waren Kartoffel und Kaffee gerade nicht das einzig Angemessene, und sogar daran fehlte es zuweilen. Da wurde Nikel in schöner Aufwallung zum Helden.

Nicht nur, daß er seine nachdenksamen Streifereien verdoppelte und seine philosophisch gewürzten Spaziergänge ausdehnte, er verstand es auch plötzlich, einen nachhaltigen und ausgiebigen Eindruck auf ein Mädchenherz zu machen, das sofort bereit war, diesen Eindruck in sichtbare und kochbare Beweise von Zuneigung umzusetzen.

Dieses Mädchen, die »verlorene Gret« genannt, hatte nie zu den kichernden »Mädcher« gehört, war auch bis dahin vom Ammenikel nie besonders beachtet worden. Schön war sie nicht und auch nicht besonders reich oder gebildet.

Die »verlorene Gret« hieß sie, weil das kleine Haus, das ihr eigen war, weit außerhalb St. Gilbert, gegen Gehingen zu, einsam und verloren in den Feldern lag. Das Haus war kein Palast, aber es gehörte ein Aeckerlein, mit 89 Kartoffeln und Kohl bepflanzt, dazu, im Hofe piekten ein paar Hühner, und wenn es dem Himmel gefiel, und die verlorene Gret genug in den Bettelranzen bekam, den sie fleißig in die umliegenden Dörfer trug, grunzte auch ein Schwein in dem verfallenen Stalle. Zwar kam das nicht oft vor und die Gret hatte es auch nicht gern, wenn fremde Ohren den seltenen Gast grunzen hörten.

Die Auserkorene erwiderte auf des Ammenikels schöne Augen nicht direkt und unmittelbar mit ihren schönen Augen, das konnte sie nicht, denn sie schielte, aber sie übersetzte ihre guten und reellen Absichten beständig in allerhand unzweideutige, greifbare Dinge, die dem Hause Eisenhut zugute kamen, Dinge, die alle in der Lothringer Bluse des Nikels verschwanden, – er trug jetzt immer dies praktische und raumgewährende Kleidungsstück.

Die Gret verdoppelte aus plötzlich erwachter Leidenschaft für den feinen Ammenikel ihre Gänge mit dem Bettelranzen und war dabei eine Zeitlang sehr glücklich und gesegnet, weil sie gar so schön jammern und bitten konnte.

Bei Ammenikels roch es nun wieder gut, wie in alten Zeiten, als Häslein schmorten und die Mutter Eisenhut »Pannekuche« buck, was ihre Spezialität war; aber Mutter Eisenhutens Herz war zu schmerzbewegt und durch die Kränkung 90 erschüttert, es hielt nicht lange mehr stand. Die alte Dame legte sich, segnete ihren Einzigen und seine Unternehmungen, zu denen sie nun auch, vorausahnend, seine Beziehungen zur verlorenen Gret rechnete, bedauerte, nicht einmal an einem Enkelkinde ihr altes Metier versuchen zu dürfen, tat deshalb einen tiefen Seufzer und verstarb.

Der Besitzer des Häuschens, das Madame Eisenhut bewohnte, rohen Gemütes und ohne Sinn für den Wert einer Persönlichkeit, setzte den Ammenikel mitsamt seinem schönen Bratenrock und der Lothringer Bluse, die er beim Auszug unter dem Rocke trug, auf die Straße.

Moralische Bedenken kannte der Ammenikel nicht. Menschen von der Größe Ammenikels haben ihre eigene Moral. Ein paar kostspieligere Vermächtnisse der Mutter, eine Korallenkette und ihre Ringe, sowie ihr schwarzes Seidenkleid im Kittel – das Mobiliar und sonstiger Hausrat war durch Verkauf zur Deckung der Begräbniskosten bestimmt – schlug er den Weg zur »verlorenen Gret« ein. Den Weg kannte er, das Haus kannte er, und die Gret kannte er erst recht.

Es wurde nicht einmal viel hin- und hergeredet und bei der Beerdigung fungierte die Gret schon als Schwiegertochter.

Der Ammenikel fühlte sich sehr als Herr und 91 Gebieter in dem neuen Haus, das sein Haus war, und die Gret, berauscht von seiner Persönlichkeit und überwältigt von dem Wert des Gatten, der ein Seidenkleid, eine Korallenkette und zwei Ringe in die Ehe brachte, war ihm halb furchtsam, halb bewundernd völlig untertan. Zwar war es ein ungewohntes Leben für sie, die Streunerin und halbe Zigeunerin, Ordnung zu halten und mit Ausdauer zu arbeiten, aber der Ammenikel wünschte es so, der Ammenikel sah streng darauf, also rackerte sie sich und plagte sie sich von früh bis spät. Im Anfang hatte es sie verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit der neue Gatte über ihre Sachen verfügte, aber die Unterwürfigkeit war ein Reiz mehr in ihrem neuen Dasein, und sie sprang vor Eifer um den Ammenikel herum wie ein Zicklein. Denn der Ammenikel brummte immer etwas, der Ammenikel war verwöhnt und ließ sich verwöhnen. Hundertmal des Tages fragte sie: »Ammenikel, (auch sie nannte ihn so) was willscht?« Und der Ammenikel ließ sich mit Würde weiter verwöhnen. Er lag auf dem Bette und genoß in vollen Zügen die ihm ungemein zusagende Atmosphäre der behaglichen Einsamkeit. Bei Mama Eisenhut wurde alle Augenblicke, sogar des Nachts (verflucht!) an der Glocke gezogen, und man kam nie in das Stadium dumpfsüßen Aufgelöstseins wie 92 hier. Auch in seinem Beruf kam man nicht zur wirklichen Ruhe, hier aber verzichtete er vorderhand ganz auf Berufliches und genoß nur.

Man denke – ein Haus, winzig klein, nur Stube und nur Stube, weiter nichts, fast verkrochen unter Sträuchern und wilden Bäumen, ein Haus, zu dem kein Weg führte, ein Haus, an dem niemand vorbeiging, wo keiner Einlaß begehrte!

Nur über den ruhelosen Takt der schweren Holzschuhe seiner emsigen Gret murrte er, – früher weniger, später mehr – das brachte ihn aus der Stimmung; er schickte die Gret mit ihrem alten Streunerranzen »in die Ferne«. Die junge Gattin hatte es aber stets allzu eilig, wieder zu ihm nach Hause zu kommen, sie war nicht mit dem gehörigen Ernst bei der Sache, ihre Gänge waren weder ausgedehnt noch ersprießlich. Das verdroß und langweilte ihn. So bürstete er seinen Bratenrock aus, ließ sich von der Gret sein einziges Paar Stiefel »auf Hochglanz« wichsen, und machte sich auf nach St. Gilbert.

Diese Gänge zerstreuten ihn immer und waren auch ganz günstig. Deshalb war ihm die Gret durchaus nicht gram, wenn er erst spät des Nachts zurückkam.

Stets war ihm auf dem langen und dunklen Gange etwas unter den Bratenrock gekommen, 93 und es galt als ein Hauptspaß in der Villa »verlorene Gret«, ein Hauptspaß für beide, wenn die Gret des Nachts die Dinge erraten sollte, die ihr der Ammenikel unter die Nase hielt.

»E' Hinkel?«

»Falsch.«

»E' Has?«

»Wieder falsch.«

»E' Schweinebrätche?«

»Recht! Ja, guck nur, mei' Säuche.«

Das »Säuche« galt nicht dem Braten, sondern war ein Kosewort für die Gret.

Gewiß war das alles schön, angenehm und liebreich, und beide hatten Gefallen an den St. Gilberter Gängen, aber die Frau Herrlein, die Wirtin vom grauen Bären, fing an, schiefe Mäuler zu ziehen, sobald sich der Ammenikel an ihrem Tisch zeigte, obwohl sich sehr bald eine große und heitere Gesellschaft um ihn versammelte. Die Kurzsichtige, die Bornierte, wie schlecht verstand sie sich aufs Geschäft! Sie hätte ja, hätte sie nur einen Funken Weltweisheit besessen, dem Ammenikel noch aufzahlen müssen!

Statt dessen erschrak sie in ihrem dürftigen Herzen, weil die Gesellschaft sich sehr rasch verzog, wenn's an Ammenikels Rechnung ging. Gewiß, es waren keine Leute mit vollen Taschen um 94 ihn, aber es waren ihrer viele, und sie kamen seinethalben!

Dafür hatte das engherzige Weib aber kein Verständnis und begehrte direkt von ihm; zuckte er die Achseln, so konnte sie sogar grob werden.

Der Ammenikel sah sie nur bedauernd an: »So halten Sie sich doch an die Herren, ich bringe doch die Gesellschaft! Ihrer Qualitäte halber kommen sie nit.« Der Frau Herrlein ging das aber über den Horizont, und sie hatte deshalb die schöne Gewohnheit angenommen, den Ammenikel nur zu mahnen, wenn er gelegentlich vorbeiging und Leute auf der Straße waren; etwa wenn er zum Krämer wollte, der ihn auch schon mit Augen bewillkommte, die keineswegs nach Freundlichkeit aussahen.

Besonders, wenn sich der Säbel des Gendarmen in der Nähe zeigte, grüßte die Dame Herrlein den Ammenikel ganz besonders herausfordernd höflich und flötete mit ihrer dünnen, hohen Stimme, die so liebreich klang und so viele Tücken barg, und dabei so schön mit ihrem fetten, schweren Körper kontrastierte:

»Gu'n Dag, Herr Eisenhut!«

Der Ammenikel rührte sich nicht.

»Bon soa, Herr Eisenhut!«

Der Ammenikel stelzte weiter.

»Ach, Herr Eisenhut, so höre Se doch!« 95 flötete sie dringlicher weiter und weiter, ja von der Dringlichkeit außer Atem, wurde ihr Organ immer weniger zärtlich und flötenhaft.

»Herr Eisenhut! Herr Eisenhut! Ei, so höre Se doch!«

»Ammenikel, hörschte dann nit? Die Fraa Herrlein kreischt doch allsfort! Ammenikel! Ammenikel!« schrie der Chorus der stets hilfsbereiten Jugend hinterdrein.

»Ammenikel? Nadürlich, ich heeß Ammenikel und nit Eisenhut. Richtig! Und Sie wünschen, verehrteste aller Frauen?« fragte er dann, ganz Ohr und Geneigtheit, zog seine Kappe tief und klappte die Absätze zusammen.

»Ach Gott, Herr Eisenhut, Sie haben doch noch zehn Glas Bier bei mir stehn!« sagte die Witwe Herrlein bekümmert.

»Habe ich das? So trinken Se se doch aus, Madame Herrlein, sonst werd's sauer, und Gott gesegne es Ihnen!« und schritt stolz, unter allgemeinem Gelächter weiter.

Und wieder ging's eine Weile gut. Der Ammenikel mied die Witib und war fleißig in der Umgegend zu sehen und zu hören. Er löste die Gret ab, denn sie konnte nicht mehr gut fort; der von Ammenikel so oft ironisierte Storch hatte sich gemeldet, und mit ihm kam viel Unangenehmes. Erstens der Pfarrer von St. Gilbert, 96 der in Anbetracht des nahenden Storchenbesuches es für seine Pflicht hielt, auch seinerseits die Gret zu besuchen und auf eines der heiligsten Sakramente aufmerksam zu machen, das sie scheinbar vergessen hatte; und zweitens kam der erste, böse Streit. Die Gret hatte den Pfarrer übellaunig empfangen. Was hatte denn der sich überhaupt dreinzumischen?

»Ach was! Ehr henn immer geschennt, daß ich nit bei Eem geblieb' bin, jetz' han ich Een, jetz' is es Euch aach nit recht.«

»Heiraten Gret! Heiraten!«

»Ehr henn leicht redde! Do g'höre zwee de zu.«

»Sieh Gret, du mußt ihn zu überreden suchen. Du stehst ja ganz anders da, abgesehen von der großen Sünde! Eine verheiratete Frau bist du dann in Züchten und Ehren, und das Kind hat einen Vater!«

»Hot's so aach,« sagte sie abweisend, doch das Ding stieg ihr in den Kopf.

»Eine verheiratete Frau! In Züchten und Ehren!«

Und als der Ammenikel nach Haus kam, lag sie ihm in den Ohren: »Du muscht mich heirate, ich han's 'm Parrer versproche! Sein Wort halt e honoriger Mensch!«

»Ja, steche nur Schlange!« höhnte der Nikel, 97 »bei mir macht das keinen Eindruck. Ich handle aus eigenem Antrieb, und dadruff muscht du warte. Verstande?«

Die Gret tobte und schrie, sie war ganz außer sich, denn sie hatte es sich fest in den Kopf gesetzt, in »Züchten und Ehren« seine Frau werden zu müssen.

Der Ammenikel ließ sie toben und schreien und ging ins Wirtshaus. »Das ewig Weibliche zieht uns hinab, heeßt's irgendwo; wann's kann, notabene, wann's kann, sag ich.«

Die Leute lachten über die Gret, die jetzt auf einmal partout geheiratet sein wollte, und über den Ammenikel, der partout nicht heiraten wollte.

Der Pfarrer kehrte sehr häufig bei der Gret ein.

»Schau Gret, es ist einmal ein Aergernis, und es steht geschrieben: wehe der Welt um der Aergernisse willen. Dort drüben in Gehingen ist alles protestantisch, und ich muß dich und deinen Kumpan als Aergernis an der Schwelle meiner Gemeinde sitzen haben? Gret, bedenke das!«

»Ach Gott! was redd'n Se dann so lang, Herr Parrer, ich möcht jo. Aber wann er doch nit will! Und was des Kind is – ach Gott! ach Gott! ich kann's doch aach nimmer rückgängig mach'!« heulte die Gret.

98 »Ja, eben drum! eben! eben! rief der Pfarrer in schönem Eifer. »Dränge den Ammenikel, sei beredt! Halt ihm seine Pflicht vor Augen, drohe ihm! Du mußt klug sein wie die Schlangen und sanft wie die Tauben!«

»Ja! not haagt er mich!« beharrte störrisch die Gret.

»Er haut dich?« fragte der Pfarrer überrascht und dachte an des Nikels schöne, weiße, wohlgepflegte Hände.

»Schuun!«

»Mit einem Prügel?«

Die Gret nickte: »Unn er hot e Pischdol aach!«

Weil sich draußen etwas rührte, hielt der tapfere Seelenhirte, der bei der Gret alles versucht hatte, was menschenmöglich war, es für das beste, rasch zu verschwinden und ferner das Paar, das Aergernis gab, seinem Schicksal zu überlassen! Denn er war ein kluger Mann und ein Mann des Friedens.

Als die verlorene Gret schimpfend und Nikels Geburtstag mit all seinen Konsequenzen verfluchend, in den Wehen lag, weigerte sich derselbe Nikel, Gegenstand ihrer Wut, wie er vordem Gegenstand ihrer heißen Liebe gewesen, hartnäckig, ihr die »neue Amm« zu holen.

Was? Ein Weib, das seiner Mutter das Leben gekostet?

99 Er hatte allezeit seine Mutter in Ehren gehalten und war stets ein guter Sohn gewesen, außerdem war er auch ein Mann von Grundsätzen.

»Ich müßt kein Ehr' im Leib han, wann ich des Weib hole ging, das meine Mutter in den Sarg gebracht hat. Wann's sein muß, mach ich den weite Weg uff Gehinge. Aber steh uff und mach mir Kaffee, es ist weit uff Gehinge.«

»Gehinge is protestantisch und dein Kaffee mach d'r selwer,« schrie die Gret; nein, sie tobte, sie tat in ihren Schmerzen wie ein wildes Tier, daß der Nikel erschreckt und fast von Furcht erfüllt vor diesem tobenden, wilden Weibe nach St. Gilbert floh, und, uneingedenk der Sohnespflicht, mit verstellter Stimme die »Neumodische« rief und, das Gesicht verhüllend, sie nach der Villa »verlorene Gret« wies. Die Neumodische schmunzelte in ihr Schaltuch, auf dem ganzen Wege tat sie das, aber sie sagte kein Wort, und ließ den stummen, verwickelten und vermummten Menschen neben sich hertraben. Vor dem Haus verschwand er, und so oft sie kam, nach der Gret zu sehen, war er nicht sichtbar.

Aug' in Aug' mit der Mörderin seiner Mutter? – Er hegte edlere Gefühle im Busen!

Freilich, als der Storch jedes Jahr anklopfte, bröckelte Stein um Stein von der felsenfesten 100 Mauer seines gerechten Zornes ab – mein Gott! es war doch schließlich näher, viel näher nach St. Gilbert, und gern ging er gewiß nicht, sondern stets mit Vorwürfen und unter Geschimpfe! War es denn auch nicht himmelschreiend, daß die Gret jedes Jahr ein Kind bekam, just immer um die schlechte Jahreszeit, damit er bei Wind und Schnee und Regen hinausgejagt wurde, um nach der Mörderin seiner Mutter zu fahnden?

Er holte sie zwar jetzt nicht mehr vermummt – so stumpft die Gewohnheit ab! – ging ihr auch nicht mehr aus dem Wege, sie war ein allzu häufiger Gast in der Villa Ammenikel, aber in Stunden, wo er Abrechnung mit der Gret hielt, kamen »die Amm« und ihre häufigen Besuche als einer der schwerwiegendsten Vorwürfe aufs Tapet.

Allmählich trieben sich so fünf, sechs Sprößlinge des unverehelichten Ammenikel im Haus herum, aufgewachsen, niemand wußte wie und mit was, ihr Vater schon gleich gar nicht. Ihm lagen diese Dinge nicht, wenn er nur etwas Anständiges zu essen vorfand, sobald er nach Hause kam. Doch das, was ihm die Gret vorsetzte, ward zusehends weniger und schlechter. Die Gret schwor zwar das Blaue vom Himmel herunter, daß sie alle zusammen hungerten, um sein Maul zu stopfen, und trieb ihn keifend an, endlich 101 einmal wieder an den Erwerb zu denken. Doch der Ammenikel lag lieber herum und ließ sich die Sonne in den Magen scheinen. Er fing an, dick und fett zu werden, Ebenbild der »Eisenhut'n«, aber, ganz im Gegensatz zu ihr, war es ihm viel zu unbequem, sich »strebend zu bemühen«. Nur im Winter, wenn es zu kalt in der Hütte war, weil die Gret nichts zum Heizen hatte, und die Rangen sich die Wärme durch Geraufe und Streit verschaffen mußten, ging er widerwillig fort »auf Arbeit«. Die Ausbeute war sehr gering, gar nicht seinen Anstrengungen entsprechend, was er der Gret, die ihn immer forttrieb, des langen und breiten vorsagte; dann begegneten ihm auf seinen Gängen öfter Gendarmen, auch der Pfarrer, und auf Leute dieser beiden Kategorien war er nicht gut zu sprechen.

Lieber zog er schon seinen Bratenrock an, in den er nur mit Ueberwindung seiner Faulheit kam, so eng war er ihm geworden, und wanderte nach St. Gilbert.

Die boshaften St. Gilberter sagten ihm allerdings nach, daß dieser, sein feiner Gehrock, allmählich so glänzend geworden sei, daß er ihn des Morgens ans Fenster hänge, um sich rasieren zu können. Rasiert war er allerdings immer, darauf hielt er, die Dehors wahrte er. Er liebte es, sich vollständig zu rasieren, glatt, rein und 102 glänzend ging er jeden Tag unter dem Rasiermesser hervor.

»Fein,« dachte der Ammenikel, wenn er sich so betrachtete, »wie ein Schauspieler seh ich aus, oder wie irgend so etwas, – bedeutend! Schade, daß ich hier an die Bande gekommen bin! Ich hätte Qualitäten! Und muß ersticken in der Alltäglichkeit und im Dreck. Wirklich schade.« So ging er und suchte sich Gesellschaft außerhalb der Alltäglichkeit und des Dreckes. Aber er fand sie nicht mehr.

Die St. Gilberter, die ihn früher gekannt, wurden dem Anschein nach weniger und weniger. Keiner rückte mehr an der »Kapp«, wenn er selbst noch so höflich und eifrig grüßte, auch im Heim der schönen, runden Witib Herrlein mit der flötenden Stimme fand er keine Gegenliebe mehr, und niemals einen trinkbaren Tropfen. Neigbiere, Weinreste, zu dreiviertel geleerte Flaschen erfrechte sich die schamlose Witwe vor ihn hinzustellen! Grund genug für den Ammenikel, ihr die Freundschaft zu kündigen.

»Ich schäme mich für Sie, Madame Herrlein! Pfui Tausend! Was für eine Lebensart! Sie haben keine Estime für etwas Besseres!« Doch Madame blieb ungerührt, ja sie wurde höhnisch und grob: »Geb norr Geld her,« sagte sie – ›per du‹ sprach sie! – und durchaus nicht im 103 Flötenton, »not kannscht hock', so lang de willscht, meinetwege bis de blau werscht.«

Der Ammenikel zog es aus Gründen vor, nicht bei der Witwe Herrlein blau zu werden und seinen schwarzen Rock in ein anderes Lokal zu tragen. Freilich geriet er in eines, von dem er von vornherein wußte, daß es nicht außerhalb des Dreckes und der Alltäglichkeit war, aber es besaß eine gewisse, wenn auch nicht gerade vornehme Stille; der Ochsenwirt war verschrien seines sauren Bieres und seiner sauren Laune halber.

Deshalb war er als Wirt nicht so wählerisch wie die Dame Herrlein, obgleich er sich auch nicht durch einen Ueberschuß an Höflichkeit auszeichnete, wie der Ammenikel sofort konstatierte.

Doch der Ochsenwirt war immer so. Wer kam, war ihm gleich, wenn man nur keine Anforderungen an ihn stellte; wenigstens waren ein paar Gäste besser als gar keine, und paßte ihm einer nicht, schmiß er ihn wortlos hinaus.

Bei Ammenikels Eintritt saßen nur zwei Gäste da, jeder an seinem Tisch, jeder vor einem Glas Schnaps, und jeder hatte »die Kapp« über die Augen gezogen. Der Ammenikel stutzte. Donnerwetter, da war er mit der Konkurrenz zusammengeraten, und noch dazu waren es quasi Nebenbuhler, der Pinkepeter und der Hasepeter, frühere 104 Courmacher seiner Frau, die sich ihretwegen entzweit hatten! Zwar die Konkurrenz machte ihm die Situation nicht unangenehm, aber für einen Mann von Geschmack und Feinfühligkeit war es nicht gerade angenehm, sich als Sieger vor die beiden Nebenbuhler hinzupflanzen.

Die zwei waren regelmäßige Gäste des Ochsenwirts. Sie waren sich zwar spinnefeind, trugen aber aus alter Gewohnheit ihre »beruflich« erworbenen Pfennige zum roten Ochsen und verzehrten dort voll Ingrimm, einer vor dem andern ausspuckend, ihr Gläslein Schnaps.

Bald war der Ammenikel der dritte im Bunde. Er saß und stierte vor sich hin wie sie, und redete kein Wort wie sie, und spie aus wie sie, wenn er hereinkam, und zog die Kappe über die Augen wie sie. Der Ochsenwirt in seiner Ecke am Ofen machte es ebenso.

Selten, daß ein anderer Gast kam, ein Hausierer vielleicht, ein Landstreicher, der Schnaps begehrte, und fröhlich hereinkam, glücklich Wärme und Gesellschaft zu finden. Er grüßte wohl heiter und setzte sich behaglich hin und wollte plaudern, bald erlag aber auch er der dumpfen Stille und dem Trübsinn und stierte vor sich hin wie die andern.

Eine Zeitlang dauerte das Intermezzo in des Ammenikels Leben fort, bis der Ammenikel an 105 ein paar Abenden nacheinander nicht zahlen konnte. Der halb betrunkene Ochsenwirt schüttelte nur den Kopf, als der Ammenikel einen zweiten Schnaps begehrte und deutete nach der Türe. Er flötete nicht und zeigte sich nicht gemein, wie Madame Herrlein, er duzte den Ammenikel nicht, wie dieses ungebildete weibliche Wesen, er machte sich nur einfach verständlich. Der Ammenikel rechnete ihm das hoch an. Er winkte ihm mit einer gewissen Huld zu und war im Begriff zu gehen, als sich der Pinkepeter räusperte. Und er räusperte sich so ausdrucksvoll, daß sich der Ammenikel sofort wieder hinsetzte und der Hasepeter mit den Augen zu blinzeln begann, denn er kannte des Pinkepeters Räuspern zu gut.

Kaum saß der Ammenikel wieder, begann der Pinkepeter auf der Bank gegen ihn hin zu rutschen, rutschte in Etappen immer näher her, immer vertraulicher wurde er; und blinzelnd, verlegen und beschämt, aber von einer unsichtbaren Macht getrieben, rutschte der Hasepeter nach.

Der Ammenikel saß, ganz seine Würde wahrend, wie aus Holz geschnitzt und tat, wie wenn ihn die ganze Geschichte nichts anginge.

Der Pinkepeter räusperte sich zum zweitenmal, diesmal aber so bedeutsam, daß ihn der Ammenikel ansehen mußte.

106 »Ammenikel hörscht?« sagte der Pinkepeter heiser.

Keine Antwort.

»Ammenikel, horch emol –«

Der Ammenikel schaut in die Luft.

Da grinst der Pinkepeter:

»Herr Eisenhut!«

»?«

»Wann Se m'r morje en Schnaps zahlen, geb ich Ihne en gute Rat.«

Herr Eisenhut zieht fragend die Augenbrauen in die Höhe.

»Du muscht die Gret heirate,« wisperte der Pinkepeter.

»Sunscht nix?« schreit der Ammenikel und springt auf.

»Norre sitze gebliew'!« (jetzt hat er Oberwasser!) »nit wege de Kinner, e Mann mit Grundsätz' fragt nix danach, aber wann du des Haus hawwe könntscht, häschde Kredit. Hoscht dadran noch nit gedenkt?«

Der Ammenikel pfeift durch die Zähne, einen langgedehnten nachdenksamen Pfiff, dann sieht er den Pinkepeter fast mit einer Abart von Respekt an: »Pinkepeter, Ehr brauchen zwar nit du zu m'r zu sage, aber Ehr hen recht, Ehr hen en Kopp, es soll Euch manches vergesse sein.«

Der Pinkepeter errötet über das Lob des Ueberlegenen, und der Hasepeter fühlte plötzlich 107 wieder ganz solidarisch mit dem alten Freund und schaut ihn stolz und scheu zugleich an, rutscht auch demütig immer näher, so nah, daß auch er den Kopf mit den andern zusammenstecken kann. Zwar der Ammenikel hält den seinen etwas höher als der Pinkepeter und der Pinkepeter den seinen etwas höher als der Hasepeter, trotzdem sitzen sie da wie Verschwörer, zum mindesten wie alte Kameraden.

Von diesem Tage an waren sie auch Kumpane, klebten stets im roten Ochsen beisammen und betrachteten jeden als Eindringling in ihr Reich, der über die Schwelle des »Ochsen« ging.

Pinkepeters Plan war wirklich eine glänzende Erleuchtung, denn von dem Augenblick an, wo Herr Nikolaus Eisenhut alias Ammenikel und Fräulein Gretchen Born alias verlorene Gret als Verlobte im Kasten hingen, stieg Ammenikels Kredit wieder.

Und er nützte ihn aus. Die Gret, außer sich vor Glück, daß sie wirklich und wahrhaftig »in Züchten und Ehren« Nikolaus Eisenhuts angetraute Gattin werden sollte, gab ihm jetzt schon die weitgehendsten Rechte.

Ach, was sie seit langem schon als überschwengliche Träume ihrer Jugend begraben hatte, stand urplötzlich vor ihr auf, fing an Gestalt anzunehmen. »In Züchten und Ehren!« 108 Unbeschadet mehrerer Liebhaber und der sieben Kinder fühlte sie sich fast wieder Jungfrau werden.

Wenn sie vor den Altar treten sollte, war sie nicht rein wie jede andere vor Gott, dem Herrn Pfarrer und den Menschen?

Wahrlich, sie hatte das Recht, den Kopf hoch zu tragen und in der Freude ihres Herzens ging sie hin und kaufte sich den dicksten Myrtenkranz, den sie auftreiben konnte.

Das Schwarzseidene, das Nikel mit in die Ehe gebracht, wurde ausgeputzt und von der Dorfschneiderin neu hergerichtet, dazu steckte sich die Braut, als der feierliche Tag nahen wollte und sie wie große Damen Generalprobe hielt, eine Tombakbrosche mit weißem Porzellanstein vor und hing sich die Korallenkette um. Es zeigte sich nun, daß Mutter Eisenhuts Kleid, trotz der Künste der Dorfschneiderin, keine glorreiche Auferstehung gefeiert hatte, so entschloß sich die Gret, einen dicken, sogenannten türkischen Schal, von ihrer Mutter stammend, darüber zu ziehen, und stand nun, Bewunderung heischend, mit dem breiten roten, von Seife und Aufregung glühenden Gesichte da. Mit aufgerissenen Augen und wortlos umringten sie ihre Sieben – eine derartig geputzte Mutter war ihnen noch nicht vorgekommen. Das raschelnde Kleid, der pompöse Schal, der dicke grasgrüne Kranz, der viele Schmuck, 109 – nein, das war etwas ganz Ueberwältigendes für sie, ein Wunder, das angestaunt werden mußte! – Nur mit einem haperte es, Mama Ammenikel hatte keine Hochzeitsschuhe, und hier wußte auch die Weisheit des Gatten keinen Rat. Das war eine schöne Geschichte! Mama Ammenikels Augen füllten sich mit Tränen, die ganze Herrlichkeit schien vor ihr zu versinken. Was half ihr der ganze Staat, wenn sie ohne Schuhe vor den Altar treten sollte? Plötzlich stieß sie einen kleinen quiekenden Schrei aus und schielte so fürchterlich, daß einem Uneingeweihteren als dem Ammenikel angst und bang hätte werden müssen, sprang davon, munter wie ein junges Füllen und verspottete meckernd den überlegenen und würdigen Gefährten.

»Rat emol!« sagte sie schelmisch, als sie zurückgetrabt kam, und hielt dem Gatten, der sie erstaunt ob der Metamorphose anblickte, etwas Glänzendes dicht unter die Nase, das sie bis jetzt halb hinter dem Rücken verborgen gehalten. Sie war ja wie ausgewechselt! Was hatte sie denn gebracht? Herrgott ja, daran hatte er nicht gedacht! Für was waren ihm denn seinerzeit die zwei wie lackiert glänzenden Dinger unter die Bluse gerutscht?

Ganz deutlich erinnerte er sich noch an den Abend – es war in ihrer Flitterwochenzeit – 110 als er das Pärlein vor ihr Bett stellte, keusch und unberührt wie sie waren, zwei herrlich blinkende, innen amarantrote Gummischuhe, erster Import des Meister Schusters von St. Gilbert.

Fein, daß sie die wie ein Heiligtum aufgehoben hatte! Sie war doch nicht ganz ohne, und er konnte es sich nicht versagen, ihr einen Anerkennungsklaps auf den Rücken zu geben.

Ammenikel selbst holte seinen langjährigen, bösverleumdeten Bratenrock; gebürstet, gewaschen, gedünstet, mit Tinte in allen Nähten und daneben behandelt, präsentierte er sich, besonders von weitem gesehen, sehr feierlich. Der Wirt zum roten Ochsen, eingedenk der getreuen Kundschaft, hatte ihm in durchaus korrekter Weise seinen Hochzeitszylinder angeboten, sowie seine weiße Halsbinde, an Veteranenfesten anzuziehen, natürlich mit dem Wunsche, das Brautpaar bei sich zu sehen. Ammenikel dankte und versprach das, was sie als freidenkende Menschen unter Hochzeitsmahl verstanden, und was mehr in Getränken bestehen sollte, bei ihm abzuhalten. Blieb ihm nur noch übrig, den Papierkragen einzukaufen.

Nun war alles in Ordnung. Der Pinkepeter und der Hasepeter waren zu Zeugen ausersehen. Um das würdige Auftreten des Pinkepeter kümmerte sich der Bräutigam nicht, aber wie es mit dem Hasepeter werden sollte, machte ihm schwere 111 Sorgen. Die Nacht vor der Hochzeit konnte er nicht schlafen, so sehr bedrückte es ihn, ob der Hasepeter auch standesgemäß erscheinen würde, er konnte ja die ganze Würde des Tages zerstören! – Am Hochzeitsmorgen – es war ein grauer, nebliger Novembermorgen – war der Ammenikel der erste auf, und der erste im Staat. Dann weckte er die Kinder.

Man war übereingekommen, daß sich die Sprößlinge an diesem Tage in die umliegenden Dörfer zerstreuen, den Eltern ihre Existenz vergessen machen, und sie dadurch zu einem tadellosen Brautpaar stempeln sollten.

Mama Gret war etwas später im Putz und glänzte von Waschanstrengungen ärger als ihre funkelnden Galoschen.

Rechtzeitig stellten sich auch die Zeugen ein; Pinkepeter ganz Würde mit herabgezogenen Mundwinkeln und hinaufgezogenen Augenbrauen. Er war im Frack und der Ammenikel schnüffelte vergebens daran herum, um seinen Ursprung zu erraten, er roch nach nichts, als keusch nach Tuch. Zu diesem keuschen Fracke hatte er einen etwas umfangreichen Zylinder gewählt, den er lieber in der Hand behielt, als daß er ihn aufsetzte.

Der Hasepeter sah verschüchtert und ängstlich aus, störte aber die Würde des Tages keineswegs. 112 Der Bratenrock schien etwas zu weit, dafür beengte ihn die weiße Weste desto mehr. Die Hose war freilich zu lang, und auf des klugen Pinkepeters Rat unten umgeschlagen. Dennoch stürzte sie, allerdings in stets wieder gehemmten Katarakten herab, da es zur Notwendigkeit geworden, ihren jähen Fall durch verborgen angebrachte Sicherheitsnadeln zu hemmen. Einen Zylinder hatte er nicht bekommen können, dafür hatte ihm der Ochsenwirt, zwar widerstrebend, aber dennoch, seinen steifen schwarzen Filz, in St. Gilbert das »Juddehelmche« geheißen, geliehen. Das war ihm allerdings auch zu groß, genau wie dem Ammenikel des Ochsenwirts Zylinder, aber es ging, wenn man ihn nur weit genug nach rückwärts setzte. Dort stand er nun, wie ein schwerer dunkler Heiligenschein um sein blaurotes Gesicht.

Halb St. Gilbert war auf den Beinen, als der Hochzeitszug ankam. Der weite Weg durch die herbstlich nassen Felder in Wind und Nebel, hatte den Feierkleidern etwas Eintrag getan, nicht aber der Feierlichkeit des Zuges.

Voran schritt die Braut; der Myrtenkranz saß hoch und kühn, etwas nach links gerückt, die Galoschen hatten sie zwar vor nassen Füßen bewahrt, waren aber durch das lange Kleid, das die Braut mit Würde über die Felder schleifte, ihres Glanzes beraubt. Der Pinkepeter führte 113 sie an der Hand über die Kirchenschwelle, und in seinen weißbehandschuhten Fingern lagen vertrauensvoll ihre frostroten. Auf das erste Paar folgte der Ammenikel, der sich aus Würde und aus Rücksicht auf den weiten Zylinder sehr gerade hielt heute, und der Hasepeter verschüchtert und scheue Blicke nach rechts und links werfend.

Es wäre ein leidenschaftlicher Wunsch der Braut gewesen, weißgekleidete Mädchen vorangehen zu lassen und sie hatte viel und oft daran gedacht, wie sie es wohl ermöglichen könnte, ihre vier kleinen Mädchen in weiße Kleider zu stecken und vorauszuschicken, das hätte sich doch zu schön und zu ergreifend gemacht! Wenn sich einmal eine solche Feierlichkeit wirklich ereignete, sollte man diese auch wirklich feierlich begehen, meinte sie zu ihrem Bräutigam. Dieser aber belehrte sie, daß es doch nicht ganz statthaft und auch nicht ganz korrekt sei, die eigenen Kinder in diesem Fall als Ehrengeleit vorangehen zu lassen.

So mußte Gret Ammenikel ohne begleitende Ehrenjungfräulein das hl. Sakrament der Ehe empfangen.

Die Kirche war beim Eintritt des Hochzeitszuges gestopft voll. Es summte gedämpft drinnen wie in einem Bienenhaus an einem warmen Wintertag. Der grün und weiße dicke Myrtenkranz der verlorenen Gret erregte die St. Gilberter 114 aufs heftigste. – Der erste Blick des Pfarrers galt auch ihm und stolz hob die Gret den Kopf mit den pomadisierten schwarzen Zöpfen und der jungfräulichen Krone darüber.

Der Pfarrer war zwar ein mutiger Mann, aber keiner von denen, die den Nichtjungfrauen die Myrtenkränze vom Kopfe reißen. Er hätte diesen Akt ganz gern vor der heiligen Handlung in der Sakristei vorgenommen, wenn ihn jemand auf diese schreiende Ungebührlichkeit aufmerksam gemacht hätte, so blieb ihm nichts übrig, als entweder den Monstrekranz oder die Nichtjungfrauschaft zu ignorieren. Er dachte an die vielen Worte, die er an die verlorene Gret um des Ammenikels willen verschwendet hatte, an die vielen demütigenden Gänge, auch an des Ammenikels weiße, gefährliche Hände – er war froh, daß dieser langjährige und hartnäckige Schandfleck an der Grenze seiner Gemeinde getilgt wurde, und – ignorierte.

Das zahlreiche und unruhvolle Auditorium erschreckte ihn und verwirrte seine Rede. Er hatte wohl sprechen wollen, daß das Brautpaar nun ein gottgefälliges Leben beginnen solle, sagte aber, daß es in seinem gottgefälligen Leben fortfahren solle und »der Herr wird euch segnen, wie er euch bisher gesegnet hat«.

»Ach nee,« dachte die Gret erschrocken, »es sin 115 so schon genung!« und flehte den eifrigen Pfarrer, die Augen überkreuz, eindringlich an.

Das verwirrte ihn wieder; dann verhaspelte er sich noch bei der Namensnennung, denn er nannte den Ammenikel »Ammenikel« anstatt Nikolaus Eisenhut und stand endlich puterrot vor dem widerspenstigen Brautpaar, das widerspenstig blieb, bis er es endlich, unter gedämpfter Heiterkeit des Publikums, glücklich an das dreimalige »Ja« herandirigiert und darüber weggelotst hatte.

Jetzt war aus dem wilden Ehepaar ein würdiges, im Hafen der Ehe legitim gelandetes geworden, fast unter heiterem Beifall der Anwesenden.

Nach der Zeremonie entwich der Pfarrer, fluchtgleich, der Ammenikel reichte seiner Neuvermählten mit einer Verbeugung, die der Ritterlichkeit nicht entbehrte und sehr auf die Zuschauer wirkte, den Arm.

Die Gret, weniger freien Gemütes, trat sich zwar mit einer Galosche auf die andere und mit beiden auf das allzu lange Brautkleid, und ward sich, erst durch einen ehelichen Rippenstoß – den ersten legitimen! – dazu aufgemuntert, ihrer Würde als Madame Eisenhut bewußt, und trabte dann, das myrtenbekränzte Haupt wie ein Zirkusgaul hebend und senkend, an des 116 Gatten Seite, nicht ganz im Schritt und Tritt, das sah jeder, doch tat sie ihr möglichstes, vorwärts zu kommen.

Außerhalb der Kirche wurden sie sofort vom Volke eng umschlossen. Besonders die Jugend zeigte ihre Sympathien und konnte nicht nah genug kommen, schrie »Bravo! bravo!« johlte vor Freude und sang:

»Unnich de Steeg,
Owich de Steeg
Halten die Bedlleut Hochzich.«

Nicht nur der Ammenikel, auch der Pinkepeter und der Hasepeter erfreuten sich großer Sympathien bei der jüngeren Generation. Freilich das, was die Alten so freudig lachen ließ, die tiefere Bedeutung des schönen, dicken, reinen Jungfernkranzes der Gret blieb ihnen verschleiert.

Umringt, umschlossen, ja fast umjubelt langten sie endlich im roten Ochsen an.

Der Ochsenwirt hatte geschmückt. Links und rechts vom Eingang stand ein sehr schlankes Tännlein, auf dem Tisch ein Strauß knallroter Dahlien und ein Harmonikaspieler, extra zum Einzug gemietet, spielte:

»Schöner grüner,
Schöner grüner Jungfernkranz.«

Es sah so festlich und feierlich aus, daß die Gret 117 Tränen in die Augen bekam; ihre Rührung nahm zu, während sie speiste, und noch mehr, während sie trank. Vor dem roten Ochsen draußen balgte sich die St. Gilberter Jugend, um durch einen Spalt der Vorhänge in den »Festsaal« schauen zu können, ja die frechsten kamen unter die Türe, und es schien dem Ammenikel einmal, als habe er den struppigen schwarzen Kopf – Erbteil der Gret – seiner ältesten Tochter erblickt. Grinsend tauchte er blitzartig auf und verschwand wieder.

Die neue Frau Ammenikel sah nichts, nur die Speisen und noch mehr die Getränke. Ihre kleinen, kreuzweis gewohnten Augen wurden immer kleiner vor Wonne, und als die Abendschatten sanken, sank auch die Gret ihrem Nachbar, dem stillen Hasepeter, schlaftrunken und selig an die Brust. Die beiden andern karteten mit dem Ochsenwirt weiter; der Hasepeter hielt ganz still und war innerlich mit den Gefühlen beschäftigt, die ihn früher für die Gret beseligt hatten.

Er war noch ledig, ihrethalben ledig geblieben, und hatte sich seine wunschlose Zärtlichkeit für die »verlorene Gret« in seine älteren Junggesellentage hinübergerettet. Jetzt wachte er sorglich über den tiefen Schlaf der Neuvermählten, und als die andern sich taumelnd erhoben und die Gret gar nicht aus Schlaf und Wonnen erwachen wollte, borgte sich der Hasepeter in 118 zärtlicher Fürsorge die einräderige Handequipage des Wirtes, bettete die ehemals und noch immer Geliebte sorgsam darauf und schob sie der ehelichen Behausung zu.

Vor dem roten Ochsen schlossen sich auf einmal, ganz überraschend, die sieben Sprößlinge an, die den ganzen Tag verbotenerweise in St. Gilbert zugebracht und so der Trauung, dem Zuge und quasi auch dem Mahle beigewohnt hatten.

Es erschien sämtlichen Sieben sehr begehrenswert zu heiraten, in die Kirche zu gehen, »schön geputzt«, im Wirtshaus zu essen und zu trinken und dann vom elegischen Hasepeter fein heimgefahren zu werden, über Stoppelfelder und Hohlwege, wobei die ungeschmierte Handequipage des Ochsenwirtes rhythmisch knarrte, der »Babe« und der Pinkepeter seltsame Lieder sangen, die ganz mit dem »Auf und Ab« der Landschaft übereinstimmten, während die Sieben wie ausgelassene Zicklein im »Hin und Her« den Hochzeitszug umspringen durften.

»Es zog eine Hochzeit den Berg hinan.«

Die nunmehr ehelichen Kinder wunderten sich, daß die Eltern in den nächsten Tagen wie immer waren, während bei ihnen das große Ereignis lange nachwirkte.

Wenn sich die Wogen auch manchmal glätteten, 119 stets hob sich wieder eine höher, schwoll an und stürzte sich brausend über sie.

»Spiel m'r wieder kopuliere,« schrie Gret, die Aelteste.

Sie war stets der Pfarrer, der Ochsenwirt und die »Mamme«, die heimgefahren wurde, in einer Person. Dem Papa Ammenikel aus dem Gesicht geschnitten, doch mit den struppigen Haaren der Gret, flink, frech und findig, hatte sie schon in zarter Jugend mit Bestimmtheit ausgesprochen: »Ich werr' Amm! Mei Großmamme war Amm, der Babe is der Ammenikel, und ich werr' aach Amm.«

»Mamme, wann wer'n Ehr dann wieder kopuliert?« frug sie alle Augenblicke und konnte es nicht begreifen, warum »die Mamme« nicht bereit war, das jeden Tag zu wiederholen, und warum sie wütend wurde, wenn man davon sprach.

Mama Ammenikel hatte nämlich ihre Erfahrung in der jungen Ehe schon für sich. Die Wonne des Myrtenkranzes und des Mahles waren für sie geschwunden. Sie pfiff darauf, verheiratet zu sein! Jawohl, Visiten machte man ihr, aber was für welche! Den Landbriefträger setzte man in Tätigkeit, aber mit welchen Briefen! Die Gret war fuchsteufelswild, das war 120 ja, wie wenn sich alles gegen sie verschworen hätte in den ersten Tagen ihrer neuen Ehewürde!

Es regnete Vorwürfe, es regnete Geschimpfe. Und die Gret ließ alles weitergehen. Sie mahnte, sie warf dem Gatten Betrug vor, sie schimpfte. Es war, als sei ein neuer Geist über sie gekommen, seit sie das gelbe Ringlein am Finger trug.

Von Unterwürfigkeit oder gar von Anbetung dem Ammenikel gegenüber keine Spur! Sie keifte am Tage und keifte des Nachts, wenn er heimkam, über seine vielen heimlichen Ausgaben, sie machte ihm das Leben sauer, wie nur irgendeine böse Sieben dem Manne das Leben sauer machen kann.

Der Ammenikel als überlegener Mann, achtete ihrer nicht, aber die Sache gefiel ihm nicht sonderlich, und er suchte so oft als möglich den ehelichen Reden zu entgehen. Es stimmte ihn herab. Aber auch der Ochsenwirt, bei dem er Ruhe suchte, stimmte ihn herab. Seit das Mahl bezahlt, aber die folgenden Schnäpse unbezahlt blieben, ließ er es an der nötigen freundschaftlichen Innigkeit ganz und gar fehlen und eines Tages fand ein recht ordinärer Mahnbrief den Weg in die Villa Ammenikel. Später fand ihn, den Weg nämlich, auch der »Huissier«.

Früh kam er nicht, aber die ganze Familie lag noch im Bett. Es wäre auch Ueberfluß gewesen, 121 an diesem eiskalten und windigen Tag aufzustehen, wo kein Holz und keine Kohlen im Hause waren.

Die Gret, in hellem Schrecken heulend, schlug gleich Lärm und schrie wie eine Verrückte, ganz nach Art dummer, ungebildeter Weiber und wollte sofort aus dem Bett springen. Der Ammenikel dagegen, ganz Herr der Situation, korrekt wie immer, bedeutete ihr sofort zu schweigen und ins Bett zurückzukriechen.

»Du hoscht e Lebensart! Das paßt sich doch nit! Ich mach die Honneurs!« Und, im Hemd, seinen Bratenrock übergeworfen, zähneklappernd und blau vor Kälte, empfing er den Gerichtsvollzieher vollständig »fair« mit einem kleinen Scherz: »Wer früh aufsteht, sein Geld verzehrt«, und als sich der Mann, welcher der unter ihrer Bettdecke verkrochenen Gret so viel Respekt einflößte, in dem einzigen Zimmer der Villa umsah, deutete der Hausherr auf die Betten mit Frau und Kindern: »Hier, bitte, meine liegenden Güter.«

Die Betten und deren Inhalt, Madame und Sprößlinge miteinbegriffen, ließ man ihm natürlich, aber das armselige Mobiliar, das Schwarzseidene, der Myrtenkranz (wobei die Gret Tränen vergoß!), die Ringe wanderten fort und in den kahlen Wänden gab es fortan Tag 122 für Tag Zank und nichts zu essen, so lange, bis sich der Ammenikel besann, daß er früher einen Beruf gehabt und ihn sogar genial ausgefüllt hatte.

Also begann er zu Grets Befriedigung sein altes Leben wieder, aber scheinbar ohne die alten Chancen. Es tut niemals gut, seine Karriere zu unterbrechen, auch nicht den Leuten aus den Augen und aus den Mäulern zu kommen. Es gelang ihm keine Arbeit, man schaute ihn scheel an, oder, was noch schlimmer war, man schaute ihm auf die Finger – die Kameraden, der Pinkepeter voran, verachteten ihn ja förmlich, daß er nicht mehr auf der früheren Höhe seiner Leistungsfähigkeit stand – sein Ruf war dahin, Pinkepeters Stern im Steigen! Das wirkte so stark auf ihn zurück, daß er allen Glauben an sich verlor. Dick und fett und schwer beweglich, wie er nun geworden war, konnte er sich aus der seelischen Depression nicht mehr mit dem früheren »Elan« retten.

Kam er nach Hause, so knurrte er Madame an: »Du hoscht meine Tatkraft gebroche, du hoscht mich herabgewürdigt, du bischt schuld, daß ich meine Laufbahn so unwürdig beschließe muß, denn ich muß sie beschließe, weißt du auch, was das für einen Mann von den Talenten, wie ich sie habe, heißt? Noin, du hoscht koine Ahnung, du hoscht nicht die Spur einer Idee des 123 Verständnisses! Warum hot mich das Schicksal auch an dich gewiese!«

Wirklich, Madame Ammenikel, née verlorene Gret, bewies keinerlei »Spur einer Idee des Verständnisses« für die Sachlage und bezeigte nicht einmal mehr die allergeringste Unterwürfigkeit. Wozu denn? Der Ammenikel war – so wie er geworden – ihresgleichen, noch mehr, sie war ihm überlegen. Was war denn noch an ihm? Er ließ sich ja Tag für Tag von ihr beschimpfen, er antwortete nicht einmal mehr darauf!

»Wer faulenzt dann, hen?« schrie sie ihn an. »Wer setzt dann Kinner uff die Welt und loßt se verhungere? Wer hot dann mei Gut verpraßt, hen? hen? – du Lump! du Schmarotzer, geh fort und kumm nimmi heem, verreck drauße!«

Der Ammenikel ließ alles mit vornehmer und gelassener Würde über sich ergehen, ohne ein Wort zu erwidern.

Wurde es ihm aber gar zu bunt, so nahm er die Kapp vom Nagel, wickelte einen wollenen Schal um den Hals, der die Stelle eines Mantels vertreten mußte, denn ein eiskalter Ostwind pfiff über den hartgefrorenen Schnee, und ohne die Frau auch nur zu grüßen, ohne sich um die Brut zu kümmern, die zähneklappernd in den Betten hockte, weil sie keine Kleider hatte, ging er. An einem Tage aber hatten sie ihn »beim 124 Schlafittche«, der Ammenikel hatte sich erwischen lassen.

»Des überlebt er nit,« sagte weinerlich der Hasepeter.

Der Pinkepeter lachte aus vollem Halse.

»Du Esel! Den hätten se nit gekriecht, wann er nit gewollt hätt'. Was is 'm übriggeblieb'!? Er is doch fertig!«

Bei der Einlieferung ins »Kittche« hatte der Ammenikel noch einen großen Moment, den letzten. »Ich ziehe in die Verbannung, nicht siegreich in eine große, standesgemäße Verbannung, – Ort erleuchteter Geister – nur in das gemeine Kittche. Sorgt für das Weib, sie ist es zwar nicht wert, aber – sie war mein ehelich Weib, und wann ist ein Weib überhaupt etwas wert? – Meinen Samen mögt ihr verstreuen, ich vermache ihn euch, großdenkende Bürger, sonst kann ich nichts für euch tun, aber rettet die Art.«

Die Leute lachten und nickten, und der Ammenikel schritt stolz über die Schwelle des nicht standesgemäßen Kittchens.

»Auch das ist Bestimmung,« sagte er.

Sein »ehelich Weib« wurde aus der Villa geholt und ins Armenhaus gesteckt, wo es ihr wohlgefiel.

Seine Kinder – sein Samen – wurden fast nackt, wie sie waren, an milde Herzen verteilt, 125 ganz wie es der Ammenikel gewünscht und befohlen hatte.

Er selbst, dem Ende seines Lebens nicht mehr gewachsen, blieb für die St. Gilberter in den Mauern des »Kittches« verschollen, bis er eines Tages erhängt aufgefunden wurde; vielleicht, erfüllt von alter schmerzlicher Sehnsucht nach Freiheit, von ungestilltem Drang nach Taten, war er, als der Lenz wieder um die Mauern wehte, wo er den Winter über wenigstens trocken und warm gesessen, verzweifelt.

»Nit schad vor'n,« meinte kalt Madame, als man ihr die Nachricht überbrachte, »er war doch vor nix meh, norre früher hätt' er's mache solle.«

»Schad vor'n!« sagte der Hasepeter, die Augen voll Tränen und eine grauenhafte Perspektive eröffnete sich ihm.

Nur der Pinkepeter pfiff sich eins, jetzt gehörte ihm die Welt, jetzt gehörte ihm St. Gilbert! 126

 


 


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