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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Gawein jagte zur Hilfe herbei.

Doch gleichzeitig wurde sein Blick durch die Prinzessin auf dem Zelter gefesselt.

Sie ritt in wildestem Galopp inmitten ihrer Barone dem Gwinebant entgegen, als wolle auch sie, Ysabel, die Schöne, ihm Hilfe bringen.

Und Gawein war über die Maßen entsetzt, als er seine Liebste in so großer Gefahr sah.

Denn viele Nordcumberländer, die sich noch nicht zur Flucht entschließen konnten, sammelten sich, sobald sie die Prinzessin auf dem Schlachtfeld gewahrten, und wollten sie umzingeln.

Die Barone verteidigten die königliche Jungfrau, allein sie waren ratlos ob des Leichtsinns der Ysabel …

Da tauchte Gawein in ihrer Mitte auf.

Und es währte kaum mehr denn zwei, drei Augenblicke, so stürzte er sich in den Knäuel der drei kämpfenden Ritter und Pferde. Er hieb dem einen Nordcumberländer den Kopf ab, der weit weg flog, wie ein wertloser Ball …

Und dem andern stieß er seinen Speer quer durch den Leib …

Doch zu gleicher Zeit empfing er von dem tödlich Getroffenen selber einen Stich dicht unter dem Herzen zwischen die Maschen seines Panzerhemdes.

Er empfand einen heftigen Schmerz, und das Blut floß aus seiner Seite heraus wie aus der Wunde unseres lieben Herrn, die der Speer des Longinus ihm am Kreuze schlug …

Doch trotz allem schwang Gawein sich von seinem Roß und befreite Gwinebant und riß ihn empor und sah, daß sein Gefährte blutete.

Gwinebants Helm war zerspalten und der warme Lebensstrom floß daran herunter. Jedoch er hatte noch nicht die Besinnung verloren und stand nun inmitten der Barone von Endi.

Allein Gawein warf sich hastig auf Gringolet – mehrere Nordcumberländer eilten herbei …

Wenngleich bereits dort drüben von Lancelot Viktoria gerufen ward, so schien hier aus aller Verwirrung den Nordcumberländern noch neue Hoffnung und Erwartung zu erblühen. Sogar Clarioen, der König, hatte in seiner Flucht innegehalten und rief laut, daß dem, der ihm die Prinzessin zuführte, die Hälfte seines Königreiches zufallen solle. Und ringsum war gleich von neuem heftigster Kampf entbrannt.

Alle Ritter der Tafelrunde eilten zu Hilfe herbei, und Gawein, der von den Baronen von Endi umringt wurde, rief jenen zu, daß sie den wunden Gwinebant, dem die Sinne schwanden, ihm aufs Knie heben sollten.

Die Barone setzten Gwinebant auf des Gawein rechtes Knie, und der warf seinen jetzt völlig besinnungslosen Gefährten quer vor sich über den Sattel.

Allein Ysabel war mit einem Schmerzensschrei von ihrem Pferde geglitten und hinzugeeilt; für nichts anderes hatte sie mehr Augen als für Gwinebant, den sie sterbend wähnte.

O sie war so weiß und zerbrechlich wie eine Blume, die inmitten so vieler gezückter Schwerter, hochgerichteter und gekreuzter Speere sogleich zertreten werden konnte.

Sobald sie sich die vier, fünf Schritte genähert hatte, die sie noch von Gwinebant und Gawein trennten, zog Gawein sie empor auf sein linkes Knie, über dem Gwinebants Haupt lag.

»Ysabel!« rief er, »nimm Gwinebants Kopf in deinen Schoß.«

Und zu gleicher Zeit umschlang er die Prinzessin stützend mit seinem linken Arm, während er den Schild in seiner ganzen Länge vor sie und Gwinebant hielt. Und das Schwert hatte er hoch erhoben in der rechten Faust.

Geschah dies alles nicht viel schneller, als es sich von Troubadouren oder Minstrels singen und sagen läßt?

»Nach Camelot!« rief Gawein den Baronen zu, die wieder aufgestiegen waren, und es entspann sich ein heftiger Kampf zwischen ihnen und ihren Schildknappen und den Nordcumberländern auf der andern Seite.

Die Barone und die herbeigeeilten acht Ritter der Tafelrunde umringten Gawein, um ihn zu schützen, während er quer durch das Gewühl nach Camelot trabte.

Dorthin war der Weg über die Ebene schon reingefegt.

Die Nordcumberländer entflohen jetzt nach allen Richtungen.

Auch Clarioen glaubte nicht wohl daran zu tun, daß er noch verweilte, da seine Ritter ihm die Ysabel doch nicht zuführten. Ganz Nordcumberland ergriff die Flucht.

Allein Gawein näherte sich im rasenden Trab auf Gringolet, den er nur noch mit dem Druck seiner Schenkel leitete und der mit seinen Hufen kaum den Boden berührte, der Burg Camelot, wo nun die erste Fallbrücke an schweren Ketten knarrend herabfiel.

Noch immer saß Gwinebant vorn auf des Gawein breitem Sattel, noch immer hielt Gawein Ysabel umschlungen auf seinem linken Knie: welcher andere Ritter der ganzen Christenheit hätte solche Tat wohl also vollbringen können?

Ysabel hielt das wunde Haupt des Gwinebant in ihrem Schoß. Die Stücke seines Helmes hatte sie weggeschleudert, und aus der klaffenden Stelle in ihres Liebsten Kopf floß das rote Blut in ihre weißen Händchen und über ihr weißes Samtgewand.

So trabte Gawein, während ihn die Barone und die acht Ritter der alten Tafelrunde umringten und einen weiten Kreis zum Schutz um ihn bildeten und König Assentijn, von seiner Leibwache umgeben, ihm folgte, über die erste Zugbrücke von Camelot.

Ein Jauchzen von den Wällen und den Zinnen der Burg grüßte ihn.

Und die Frauen auf der höchsten Turmzinne rings um Ginevra brachen in freudiges Heilrufen aus.

Gawein hemmte seinen Trab und ritt jetzt langsamer über die folgende Brücke.

Über alle die Brücken, die eine nach der andern herabgelassen wurden, ritt er, und jetzt war er auf dem Burgplatz.

Auf der Schwelle der offenen Burgpforte war König Artus erschienen, siech, von seinen Pagen gestützt.

Rings um Gawein, der noch immer mit seiner schweren doppelten Bürde zu Pferde saß, drängten sich hastig die abgestiegenen Barone und die acht Helden.

Sie hoben erst den besinnungslosen Gwinebant herab und legten ihn unter die Königslinde, auf die Stufen von des Königs Thron.

Dann halfen sie Ysabel herunter.

Und ihre Hände und ihr weißer Schoß waren rot von Blut.

Dann lüftete Gawein, der noch immer zu Pferde saß, sein Visier.

Und atmete tief.

Sie alle sahen, daß er totenbleich war.

»Gawein!« rief Ysabel, während sie ihre ganz roten Händchen erhob, »mein Gawein, den ich so sehr liebhabe, seid Ihr verwundet?«

Gawein ließ Schwert und Schild sinken und tastete nach der Stelle unter seinem Herzen, wo es durch den Panzer blutete.

Und Ysabel wußte nun, daß ihre Hände und Schoß von dem Blute beider rot waren, des Gawein und des Gwinebant.

»Gawein und Gwinebant sind beide verwundet,« riefen die Ritter dem König Artus zu.

»Doch Camelot ist entsetzt!«

»Nordcumberland ist auf der Flucht.«

Über Camelot surrte es. Der Phönix kam dahergeflogen.

»Leget Gawein und Gwinebant sogleich auf das Wunderbett,« rief Merlin noch aus den Lüften, während er sich über den Hain herabsenkte.

Indem kam Ginevra mit ihren Frauen vom Turm herabgestiegen, gewahrte Lancelot, stürzte auf ihn zu und rief:

»Lancelot, mein Lancelot! Seid Ihr wohlbehalten?«

Und sie küßte und umarmte ihn, und der sieche König Artus tat, als gewahre er es nicht.

»Bettet erst Gwinebant,« befahl leise Gawein. »Ich folge ihm langsam.«

Auf seinen Befehl hoben sogleich drei bis vier Ritter Gwinebant empor und trugen ihn auf das Wunderbett, auf dem er in einem einzigen Tage genesen sollte.

»In einem einzigen Tage, du süße Ysabel,« versicherte die Königin Ginevra und schlang ihre Arme um die Prinzessin, die sie so bewegt sah, und deren Minne sie erriet.

Gawein, dem seine Gefährten kaum beigestanden, hatte sich aus dem Sattel gleiten lassen.

Wie bleich war er, und wie rot von Blut troff sein Panzerhemd, wiewohl er so hoch aufgerichtet dastand, als sei ihm nichts geschehen.

»Gawein!« rief Keye, der possierlich hinkend daherkam. »Ihr seid verwundet. Und ihr da, ihr Ritter, sehet ihr es denn nicht? Herr König, sehet denn auch Ihr es nicht, daß Gawein verwundet ist?«

Der König Assentijn mit seiner Leibwache war hereingeritten.

»Sehet ihr es denn alle nicht?« rief Keye immer wieder, »daß Gawein verwundet ist, viel schwerer als Gwinebant? Leget ihn sogleich dem zur Seite auf das Wunderbett, sonst rinnet sein Leben aus seinem Leibe dahin.«

Die Gefährten meinten einen Augenblick, daß Keye wie immer seinen Spott treibe.

Allein er spottete nicht.

Und Merlin sah von dem Hain aus – und er entsetzte sich darob –, daß Gawein, so hochaufgerichtet er auch dastand, doch so bleich war und bereits dem Tode nahe … Und daß für ihn das Wunderbett nicht mehr vonnöten war.

Gawein hatte indessen, neben seinem Rosse stehend, der tiefen Satteltasche einen viereckigen Gegenstand entnommen, der mit einem langen, weißen Stoffstreifen umwickelt war.

Die beiden Könige begrüßten einander. Ginevra verneigte sich vor Assentijn, und während alle Könige und Fürsten, Ritter und Barone sich sehr bewegt um Gawein drängten, schritt Gawein selber auf seinen Herrn, den König Artus, zu, der auf dem Thronsessel unter der Linde Platz genommen hatte.

Und Gawein kniete auf der Stufe nieder.

Und er sprach mit fester Stimme, die aus weiter Ferne zu tönen schien:

»Mein viellieber Herr, mein Oheim, mein hoher König von Logres! Ich, Euer Ritter Gawein, den Ihr an Eurer Tafelrunde duldetet, an der wir allzeit glaubten, daß es noch Wunder gäbe und daß auch bei uns eines Tages wiederum eines geschehen würde, so wie wir auch allzeit an Abenteuer glaubten, wie es fahrenden Rittern geziemet: ich bringe Euch hier dies schwebende Schachbrett. Ich fand es und ich fing es für Euch ein und ich umwickelte es mit dem Ärmel Ysabels, der Schönen, die ich liebe. Mit dem Schachbrett, mein König, führe ich Ysabel nach Camelot so wie ich vor Zeiten eine andere Ysabel – weh mir Armen! – und ein schwebendes Schachbrett nach Camelot führte. Damals war es so … jetzt ist es anders: jetzt ist es vielleicht ein schöneres und größeres Wunder und ein glänzenderes Abenteuer, denn mit Ysabel und mit dem Schachbrett brachte ich auch noch meinen Gefährten Gwinebant, und ihn durfte ich vom Tode erretten.«

Und Gawein gab dem König Artus das Schachbrett, das er aus dem Ärmel gewickelt hatte, in die Hände.

Da empfanden die Gefährten, wie lieb sie alle Gawein hatten, und wie hehr und herrlich er sei, der so fest an Wunder glaubte!

Und an Abenteuer, daran sie alle nicht mehr gar so fest glaubten!

Doch zugleich empfanden sie eine seltsame Reue.

Und wußten doch eigentlich alle nicht warum …

Merlin aber, der sich gleichfalls der Reue in seinem Menschenherzen bewußt ward, wußte, während er von fern aus dem Hain zuschaute, sehr wohl, warum sie alle einander ansahen mit Blicken, die noch nicht ganz begriffen.

Es wird alles so, wie es werden muß, dachte Merlin, um sich zu entschuldigen, – auch ohne mich, auch ohne daß ich schwebende Schachbretter sende, waltet die Schickung.

König Artus hatte mit vor Glück zitternden Händen aus den Händen des knienden Gawein das Schachbrett empfangen. Die goldenen und silbernen Figuren standen mitten im Spiel auf dem Edelsteinfeld genau so, wie sie gestanden hatten, als das Schachbrett davongeschwebt war …


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