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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Und just über der Burg bahnte sich durch die Wolken hindurch mit schwerem Flügelschlag ein riesiger Phönix seinen Weg, der seltsam in pfauenblauem Glanze wie von unzähligen Juwelen erstrahlte.

»Merlin! Merlin!« riefen Lancelot, Gwinebant und Galehot, die Ritter der Tafelrunde.

Und wirklich, Merlin war es, der in einem weiten Gleitflug auf seinem Zaubervogel herabschwebte. Surrend und heftig zitternd senkte sich der Phönix herab, um sich dann zierlich vor dem König aufzustellen, und Merlin stieg von des Vogels Rücken. Der Magier erschien nicht so sehr jung mehr – war es doch auch schon gegen Ende des Tages, da sein Jugendbad an Wirkung abgenommen hatte, und ein zweites Bad zu nehmen hatte er nicht für der Mühe wert erachtet. Er grüßte den König Assentijn, der sich nicht mehr verwunderte, als es sich mit seiner königlichen Würde vertrug, und rief jubelnd:

»Heureka! Heureka! Ich habe die drahtlose Telegraphie erfunden, und nun komme ich, meinen lieben Gawein zu erlösen!«

Jetzt lachte er laut, und währenddem schien ihm der Bart zu wachsen, schienen seine Augen Flammen zu sprühen. Mit großer Gebärde streckte er die Hand aus dem weiten Purpurmantel, als wolle er mit seinem Stab einen Zauberkreis rings um den ganzen Burgbereich ziehen. Die Linde bewegte krachend alle ihre Äste und Zweige in dem scharf wehenden Wind. Ein dichter Nebel fiel herab, alle – der König, Lancelot, Gwinebant, Ysabel, Galehot, Amadis und auch die Barone und Edelfrauen – drängten sich um Merlin und den Karren. Ein Wirbelwind erhob sich; das währte keine zwei, drei Augenblicke, dann lichtete sich der Nebel, der Wind legte sich, und schon im Untergehen strahlte die Sonne noch einmal hell auf. Von den Sonnenblumen schimmerte Ysabels Gewand weiß herüber. Sie lag halb bewußtlos in den Armen des Gwinebant, und sie beide waren schön und lieblich anzuschauen. Vor des Merlin Füßen aber zerschmolz der Karren zu einer weißen Asche, während Gawein verstört dastand und Merlin noch immer beschwörend die Hände bewegte.

»Zauberei! Zauberei!« riefen die Barone und Edelfrauen ängstlich aus und drängten sich eng aneinander.

Allein Gawein war erlöst.

Über den Burgplatz kroch eine Schildkröte.

Merlin lachte laut auf …

Er wies mit dem Finger …

»Das ist der Zwerg,« sagte er, »Ihr Burggenossen, gebet der Schildkröte den Weg frei. Sie kehrt nach Nordcumberland zurück und wird dem König Clarioen von seines Schandkarrens Schicksal Kunde bringen.«

Und Merlin lachte so laut, daß auch alle Barone und Edelfrauen lachen mußten. Die Schoßhündchen, die von den Edelfrauen so lange still und versteckt gehalten worden waren, stürzten auf die Schildkröte zu, die dahinkroch, und kläfften sie an. Ysabel aber eilte mit einem Freudenschrei auf Gawein zu und umarmte ihn.

Und dann verneigte sie sich ehrfurchtsvoll vor Merlin und rief jubelnd mit ihrer freudigen Stimme:

»Großer Merlin! Ich habe oftmals in den schönen Ritterromanen von Euch gelesen, die kluge Schreiber seit zehn Jahren aufzeichnen, und jetzt sehe ich Euch mit eigenen Augen. Ihr seid der vielberühmte Zaubermeister. Ihr habt durch Eure Kunst den Karren verbrannt, daß er zu weißer Asche ward. Seid gebenedeiet, daß Ihr meinen lieben Gawein erlöstet.«

Und sie verneigte sich tief zu mehreren Malen, dieweil sie ihre Flechten über der Brust zusammenhielt, und alle Edelfrauen taten es der Prinzessin nach.

Da rief der König drohend aus:

»Ihr Jungfrauen und Frauen, wenn ihr nicht eure Schoßhündchen …«

Er konnte nicht vollenden. Ohrenbetäubender Lärm erhob sich. Triumphgeschrei erklang aus allen Fenstern der Burg, von allen Festungswällen. Aber die Schoßhündchen kläfften noch immer laut, ohne sich um die dräuenden Worte des Königs Assentijn zu kümmern.

Da erklangen vom höchsten Turme herab laut und schmetternd die Kupferhörner der Ausschau haltenden Wächter.

Die auf den unteren Türmen folgten ihrem Beispiel.

Alle blickten auf den Weg …

Ein Ritter näherte sich. Es war Sagremort.

Gawein, Lancelot, Gwinebant und Galehot eilten auf ihn zu.

Sagremort stieg ab. Die Artusritter zusammen mit den Baronen und Edelfrauen und ihren unvermeidlichen Schoßhündchen führten Sagremort vor den König.

Da sprach er:

»Edler Herr und König von Endi, hehrer Assentijn! Meine fünf Gefährten Bohort, Agloval, Ywein, Hestor und Melegant liegen gefangen auf der Burg im Liebeshain, wo viele schurkische Ritter Damoicelen in Banden halten und sie zu Zeit und Unzeit mit ihrem lüsternen Werben bedrängen. Ich kam an Eurer Burg vorüber und traf meine tapferen Gefährten; dazu half mir der heilige Michael. Ach, Herr König, warum bin ich nicht mit den fünf andern gefangen genommen? Weil ich zauderte hineinzugehen, als die Damoicelen an den Fenstern erschienen, winkten und mit süßem Lächeln lockten. Ich dachte bei mir: wollen die Damoicelen wohl wirklich befreit werden, oder wollen sie das gar nicht? Das ist die Frage!«

»Sagte ich es Euch nicht?« rief Galehot.

König Assentijn griff mit beiden Händen an sein armes Haupt und seine Krone glitt zur Seite. Ein Schandkarren, fünf Ritter der Tafelrunde seine Gäste, fünf andere in einer Burg voller Schurken gefangen, und dazu noch Merlin, der Zauberer, auf einem Phönix; Clarioen von Nordcumberland, dem er seine Enkeltochter zur Ehe versprochen hatte, als alter Bösewicht und Schurke entlarvt, und überdies unzählige kläffende Schoßhündchen, die nicht zum Schweigen zu bringen waren …

»Es ist mir zu viel,« rief er, »mir schwinden die Sinne.«

Und er sank auf seinen Thron zurück. Ysabel aber umschlang sein greises Haupt mit ihren schlanken Armen und lachte …


Ein Rasttag in der Burg von Endi tat den fünf Rittern der Tafelrunde not. Sie konnten sich doch an diesem Abend nicht gleich vor der Vesper wieder auf den Weg machen! Die Pagen geleiteten die Gäste in die verschiedenen Kammern, und sie wuschen sich in goldenen Becken, trockneten sich an feinem Linnen und kleideten sich um. Es lagen ja bekanntlich stets Wams und Hosen für fahrende Ritter bereit. Lionel, der vorerst nicht zum König Clarioen zurückzukehren gedachte, hoffte, in die Ritterschaft des Königs Assentijn aufgenommen zu werden. Und auch Merlin blieb noch diese Nacht.

Und nach dem Mahl brachte Merlin Gwinebant und Ysabel vermittels einer einfachen Zauberei zusammen. Sie trafen sich diesmal nicht bei den Sonnenblumen, sondern an den dunkelrot blühenden Rosensträuchern, von denen Gawein eine Rose gebrochen hatte, nachdem er die Kerkergitter verbogen: stark duftete es dort, als unten an den Burgmauern, im Scheine des Mondes, der in der blauen Nacht weiß aufstrahlte und sein Licht über die Festungswälle goß und sich im Wasser der Gräben widerspiegelte, Gwinebant und Ysabel umherwandelten.

»Seid Ihr dessen eingedenk, Ysabel, daß Ihr mir beim letzten Turnier Euren Ärmel gabet …«

»Ich vergaß es nimmer, Gwinebant; Ihr kämpftet und siegtet zu meiner Ehre …«

»Seither dachte ich stets an Ysabel …«

»Und ich dachte seither stets an Gwinebant …«

Merlin lauschte in seinem Versteck: er war jetzt ganz alt und silbern erstrahlte sein Bart im Spiel der Mondenstrahlen …

»Mir träumte von Euch,« sagte Ysabel …

»Und mir von Euch,« sagte Gwinebant … und er lachte verwundert …

»Mir träumte, Ihr kämet in meine Kemenate und ich umarmte Euch …«

»So süße Wonne träumte auch mir; mir war, als ob Ihr in meinen Armen läget,« sprach Gwinebant verwundert.

»Träumen wir denn ganz gleich voneinander?« fragte Ysabel. »Ich hielt dich so …«

Und sie schlang ihre Arme um sein blondes Haupt und küßte ihn lange auf den Mund.

»Und so hielt ich dich,« gab Gwinebant zurück; er war voller Entzücken über ihren Kuß; »so umarmte ich dich …«

Und er küßte sie, und ihre Lippen ruhten aufeinander, so, wie es bisher nur im Traume gewesen war.

»Und in jeder Nacht träumte mir von dir,« sagte Ysabel.

»So auch mir von dir,« verwunderte sich lachend Gwinebant.

»Nacht um Nacht,« sprachen beide, und sie küßten sich lange …

»Du bist ein Ritter des Königs Artus,« sagte Ysabel, »doch, o Gwinebant, ich wünsche von Herzen, daß du mein Ritter wärest …«

»Hast du mich lieb, Ysabel?«

»Sehr lieb, Gwinebant.«

»Wie ich dich, Ysabel.«

»So lieb, so lieb,« sagten sie beide, und wieder küßten sie einander lange …

»Ysabel, willst du mein süßes Gemahl sein?«

»Was kommt dir in den Sinn, Gwinebant?« antwortete Ysabel leise lachend. »Ich bin eine Prinzessin von Endi, bin die Enkelin des Königs Assentijn! Und ich muß einen König ehelichen: Clarioen von Nordcumberland wird das sein!«

»Der alte Bösewicht?« entsetzte sich Gwinebant, »dem wirst du doch nicht zur Ehe folgen wollen, Ysabel?«

»Ich muß es, Gwinebant,« sagte Ysabel und küßte ihn.

Und der gab ihr den Kuß zurück, lang, lang …

»Ich muß es,« wiederholte sie. »Ich muß doch Königin werden, und es gibt keine andern Könige ringsumher, die eine Königin brauchen! Prinz Alydrisonder, der Sohn des Königs Mirakel, ist mir zu jung.«

»Zu jung, Ysabel – willst du denn einen alten Mann?«

»Ja, Gwinebant, ich will einen alten König zum Manne,« sagte Ysabel.

Da stöhnte Gwinebant vor Liebespein. Allein Ysabel scheuchte seine Qual mit ihren Küssen, und er küßte sie wieder, und so holdes Wechselspiel trieben die beiden lange …

»Und dich will ich zu meinem Ritter erküren, mein Gwinebant.«

»Wie denn, o Ysabel, die ich doch so lieb habe, so lieb?«

»So, wie die Königin Ginevra, König Artus' Weib, den Lancelot zum Ritter erkoren hat. Das weißt du ja selber, mein Gwinebant, und ich las es in Lancelots Ritterroman: süßester Freund und trauteste Freundin sind Lancelot und Ginevra. Auch wir werden so Freund und Freundin sein.«

»Ja, Ysabel, doch der alte Schelm Clarioen, der König in Nordcumberland, ist mir ein Dorn im Auge …!«

Sie küßte ihn, und er küßte sie lange …

»Und Gawein«, fuhr Ysabel fort, »will ich auch zum Ritter und zum Freunde haben …«

»Gawein auch, Ysabel?«

»Ja, Gwinebant, ich bewundere den Gawein gar sehr und ich habe ihn auch sehr lieb, er ist mein Oheim, aber er ist auch mein Ritter und mein Freund …«

»Er ist nicht dein Freund, Ysabel. Du weißt ja noch gar nicht, was ein Freund ist, süße Ysabel.«

»Ich weiß nicht, was ein Freund ist? Doch, ich weiß es sehr wohl, Gwinebant. Ich will einen alten König zum Manne haben und zwei Freunde dazu: und darum soll Clarioen mein Gemahl werden, und Gawein und auch dich, Gwinebant, will ich zu Freunden gewinnen.«

»O Ysabel, weißt du denn nicht, wie lieb ich dich habe?«

»Du sollst nicht leiden, mein Gwinebant: Clarioen wird mir nur der König sein, der mich zu seiner Königin macht. Du aber wirst mein Freund sein – und Gawein auch, weil der doch gar zu viel Trauer im Herzen hegen würde, wenn nicht auch er mein Freund sein dürfte. Zusammen mit dir.«

»Er wird aber nicht mit mir zusammen dein Freund sein wollen, Ysabel: Du weißt nicht, was ein Freund bedeutet!«

»Ich weiß es sehr wohl, was ein Freund ist, Herr Ritter! Ein König wird mein Gemahl, der mich zu seiner Königin macht, aber mein Freund ist, wer immer ritterliche Courtoisie mit mir treibt.«

Und dabei umarmte Ysabel Gwinebant und küßte ihn lange.

»O Ysabel,« seufzte Gwinebant in Wonne und Schmerz, aber auch er küßte sie lange …

Aus dem Burgsaal ertönten Fanfaren und Knabenstimmen.


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