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Zweites Kapitel.
Antijudaismus im Altertum.

Ernest Renan schreibt in seinem V. Bande der Geschichte Israels Seite 227 folgende bedeutende Worte: » Der Antisemitismus ist nicht eine Erfindung unserer Zeit, er war niemals brennender als im letzten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und wenn eine Erscheinung sich auf diese Art an allen Orten und zu jeder Zeit wiederholt, so verlohnt es sich gewiß der Mühe, sie zu studieren. In Alexandrien, in Antiochien, in Kleinasien, in Cyrene, in Damaskus ist der Kampf zwischen Juden und Nichtjuden ein permanenter. Die Zeit des religiösen Hasses beginnt und man kann nicht leugnen, daß diese Äußerungen des Hasses gewöhnlich von den Juden provoziert worden sind. Es war dies die fatale Konsequenz der Einführung des Absoluten in der Religion. Die Christen haben später das Übel auf die Spitze getrieben, aus anfänglich Verfolgten wurden sie Verfolger.«

Demnach setzt Renan die Entstehung des Antisemitismus in die Zeit, in welcher die Römer Herren von Palästina wurden. Vielleicht könnte man die Entstehung desselben noch weiter hinaufrücken bis zur Zeit der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft. Jedenfalls nicht früher. So lange die Reiche Israel und Juda existierten, mochten sie von ihren Nachbarn gehaßt und verabscheut werden, wie jedes andere Völklein, das letzteren im Wege stand, jedoch blos aus politischen Gründen. Einen eigentlichen Antisemitismus respektive Antijudaismus gab es aber nicht: derselbe hat sicher nicht begonnen, bevor Esra mit fünf Gehilfen in vierzig Tagen an Stelle der verbrannten alten Exemplare der heiligen Schriften aus dem Gedächtnis ein neues Exemplar hergestellt hatte.

Wenn meine verehrten Gegner mir darauf antworten, daß es von mir ungerecht ist, die für die antisemitische Theorie so fruchtbare und verwertbare Geschichte des Auszuges (oder der Vertreibung?) der Israeliten aus Aegypten nicht zu verwerten, so erlaube ich mir zu antworten, daß ich ihnen diesbezüglich Stand halten werde, wenn sie mir einmal nachweisen, daß die Thora, welche allein diesen Auszug beschreibt, zur Zeit der Richter und Könige den Juden bekannt war und mir in den Schriften der älteren Propheten Zitate aus derselben anführen; wenn sie mir ferner erklären werden, wie es möglich war, daß, als zur Zeit Salomos die Bundeslade geöffnet wurde, das Buch des Gesetzes, wie uns das erste Buch der Könige 8. Kap. 9. Vers versichert, sich in derselben nicht befand, wenn sie mir weiter explizieren, wie 350 Jahre nach Eröffnung der Lade unter Salomo der Hohepriester Hilkia zu dem Schreiber Saphan zur Zeit des Königs Josia im Jahre 623 v. Chr. sagen konnte, er habe das Gesetzbuch gefunden im Hause des Herrn, und woher Saphan und Hilkia wissen konnten, daß es jenes Gesetzbuch war und warum sie dann Alle, statt sich an Jeremias zu wenden, sich zur Prophetin Hulda begeben haben, um »mit ihr zu reden«, und aus welchem Grunde der Welt die letztere so außer sich geriet. Der Auszug aus Aegypten ist auch etwas zu rasch erfolgt, als daß ich ihn hier verwerten könnte; die Geschwindigkeit der Reise betrug nämlich ca. 100 Kilometer per Stunde und jede jüdische Frau hatte an sechzig Kinder zum Mitschleppen, was ich den geehrten Leser sich selbst aus dem Texte des Exodus auszurechnen ersuche.

Man wolle also entschuldigen, wenn ich die Geschichte des Antijudaismus erst mit dem Augenblicke beginne, an welchem uns ein Judentum fix und fertig mit der Thora oder Teilen der Thora entgegentritt, weil nur in der Thora die Geschichte vom Auszug aus Aegypten ausführlich beschrieben ist.

Erst unter der persischen Herrschaft ist die Trennung zwischen Samaritanern und Juden definitiv geworden, und da die Samaritaner vom Antisemitismus meines Wissens in Ruhe gelassen werden, so sei es gestattet, erst mit dieser Zeit zu beginnen.

Cyrus war, wie so viele große Herrscher, zum Beispiel Alexander der Große, Julius Cäsar, Karl der Große, ein Gönner der Juden, deswegen nennt ihn auch Deutero Jesaias »Gesalbten des Herrn«. Nach der Eroberung Babylons ließ er die Juden nach Palästina zurückkehren, eine Erlaubnis, von welcher Letztere auch in großem Maße Gebrauch machten. Die zurückgekehrte Kolonie war außerordentlich arm; sie hatten also offenbar in Babylonien noch nicht das Talent, sich schnell zu bereichern.

In dieser Zeit erfolgte auf Esras Befehl die schändliche Vertreibung der von den Juden angeheirateten fremden Weiber. Wahrscheinlich stammt auch die Geschichte von Abraham und Hagar aus dieser Zeit.

Unter Esra erfolgte auch die Promulgation der Thora. Hierdurch war die Bigotterie der Juden ins Leben gerufen. Der Fanatismus war geboren, die Literatur sank und Israel verfiel in einen 200jährigen Schlaf (von 400–200 v. Chr.), wie ein Mensch, der eine zu starke Dosis Opium erhalten hat. Die Thora ward für die Juden Alles; sie war, wie Renan sagt, das engste Schnürhemd, das jemals Lebendiges eingeengt hat. Philosophie, Wissenschaft, Dichtung, Alles wurde erstickt, natürlich auch der Geschäftsbetrieb und der Handelsgeist, wie überhaupt jede freie Tätigkeit. Renan bemerkt hierzu: »Der Zweck des mosaischen Gesetzes war, die Juden im Zustande eines patriarchalisch regierten Volkes zu erhalten, die Bildung großer Vermögen zu verhindern, die Entwicklung der Industrie und des Handels nach phönizischem System unmöglich zu machen. Die Juden sind erst dann reich geworden, als die Christen sie dazu gezwungen haben, und zwar dadurch, daß man ihnen untersagte, Grund und Boden zu besitzen und ihnen die Führung der Geldgeschäfte in Folge unpraktischer (christlicher) Anschauungen über das Zinsennehmen aufdrängte.«

Als Alexander der Große das Perserreich im Jahre 319 [Jan. 330. PG] stürzte, wurde Palästina nach seinem Tode (323) von Ptolemäus Lagus, dem Könige Ägyptens, erobert. In jene Zeit fällt die Gründung der jüdischen Kolonie in Alexandrien, die sich mit der Zeit zu hoher Blüte emporschwang. Palästina wurde der Schauplatz des Krieges zwischen Ägypten und Syrien. In dieselbe Zeit fällt auch der Beginn des Proselytismus.

Im Jahre 218 fiel Palästina auf kurze Zeit in den Besitz des seleukidischen Königs Antiochus III., kam jedoch bald darauf wieder zu Ägypten und fiel im Jahre 198 wieder an den seleukidischen Herrscher. Doch schon im Jahre 193 wurde Palästina wiederum ägyptische Provinz, aber nur für kurze Zeit.

Vom Jahre 175 an war die Hellenisierung des ganzen östlichen Mittelmeeres zur Tatsache geworden. Die Gebildeten aller Völker wenden sich willig der griechischen Zivilisation, Sprache und Philosophie zu, Ägypten, Phönizien, Kleinasien, Syrien, teilweise auch Karthago, Armenien und Assyrien, wurden hellenistisch und zwar gern und leicht, ja sogar mit Begeisterung; nur die Juden Palästinas mit ihrer Thora in der Hand wollten von der griechischen Zivilisation nichts hören. Justament nicht, so lautete wohl ihre Devise. Ein hartnäckiges Volk fürwahr! Sie wollten ihre semitische Sprache behalten und im Geiste ihrer Thora denken. Mit dem griechischen Kulte der Schönheit war der Kultus des menschlichen Körpers, die Bewunderung des Nackten unzertrennlich verbunden. Gerade das aber war den Juden ein Gräuel. Auch war infolge der Beschneidung der Jude immer dem Spotte des Nichtjuden ausgesetzt. So entstanden denn sogar in Jerusalem zwei Parteien; die hellenistische und die orthodoxe. Die letztere hielt starr und fest an ihrer Thora, ihrer Sprache, ihren Sitten und Gebräuchen; es waren die Chassidim, die Strenggläubigen, die Pharisäer.

Da kam nun in der Person des Königs Antiochus Epiphanes ein Mann, der es zum ersten Male wagte, ins Wespennest hineinzustechen. Er setzte sich in den Kopf, alle seine Untertanen unter ein und dasselbe Gesetz zu bringen, das Judentum auszurotten, die Juden zu Handlungen zu zwingen, welche sie für götzendienerisch hielten. Antiochus begünstigte anfangs alle Liberalen, das heißt die hellenistischen Juden, oder, wie wir heute sagen würden, die Reformjuden, von denen viele zum heidnischen Glauben übertraten. Jerusalem wurde immer mehr hellenistisch; während einigen Jahren soll die Stadt sogar nicht einen einzigen jüdischen Einwohner gehabt haben. Ja, was das Beste ist, die hellenistische Partei stellte eine Statue des olympischen Zeus im Tempel Jahwe's auf. Es war dies die denkbar höchste Beleidigung der Jahwe-Religion. Nun verbot die Regierung auch noch die Beschneidung, die Beobachtung des Sabbaths und der übrigen jüdischen Gesetze. Alle Exemplare der Thora, deren man habhaft werden konnte, wurden verbrannt. Aus dieser Zeit berichtet uns die biblische Geschichte zahlreiche Fälle von Personen, die dem Glauben zuliebe den Märtyrertod starben. Es war die Geburtsstunde eingetreten des großen Gedankens, daß man eher Gut und Blut, Leib und Leben hinopfern muß, als dem einzig wahren Glauben zu entsagen. Damit aber wurde die alte jüdische Vorstellung, daß alle guten Taten und die Beobachtung des Gesetzes von Gott hienieden auf Erden belohnt werden, notwendigerweise zu Grabe getragen und es entstand wahrscheinlich unter persischem Einfluß die dem Judentum bisher fremde Idee von der Auferstehung des Fleisches und von einem ewigen Leben. Antiochus Epiphanes glaubte, wie so viele religiöse Verfolger, die verfolgte Religion zu vernichten; tatsächlich aber erzielte er den entgegengesetzten Erfolg. Gerade durch die Verfolgung rettete er diese Religion. Die Religionen lassen sich nicht durch das Mittel der Verfolgung vernichten; im Gegenteil, sie dient nur dazu, sie zu stärken und zu verbreiten. Die Geschichte liefert uns unzählige Beweise für die Wahrheit dieser Tatsache. Die ganze jüdische Geschichte bis auf den heutigen Tag, die blutige Verfolgung der Christen zur Zeit des römischen Kaiserreiches, sowie in vielen anderen Ländern; die schweren und grausamen Verfolgungen, die Mohammed und seine ersten Anhänger durch die Koreischiten, die Parsis durch die Mohammedaner in Persien zu erdulden hatten, mögen diese ewige Wahrheit illustrieren. Das Blut der Märtyrer ist der Same der Religionen. Eine große tiefe Wahrheit!

Die Folge der seleukidischen Verfolgung war der glorreiche Aufstand der Makkabäer. Judas Makkabäus war die Seele der Empörung. Er rettete das Judentum und die Thora, die ohne ihn verloren gewesen wären. Wer die Geschichte dieser Kriege, sowie des Kampfes der Juden gegen die Römer unter Titus und Hadrian studiert, wird, wenn er ehrlich ist, eingestehen müssen, daß die Juden eines der tapfersten Völker der Erde gewesen sind. Wenn sie nun heute diese großartige Tapferkeit eingebüßt haben, so ist dieser Verlust das Resultat einer geschichtlichen Entwickelung. Die Makkabäer hatten gesiegt, mit ihnen kam die chassidische Richtung an die Regierung. Sie regierten streng nach den Grundsätzen der Thora und waren infolgedessen von allen ihren Nachbarn auf das Äußerste verhaßt; denn alle diese Nachbarvölker standen auf Seite der Seleukiden, natürlich auch jene, welche semitische Sprachen noch sprachen oder wenigstens gesprochen hatten und welche von den Antisemiten als semitische Völker bezeichnet werden.

Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange. Die Syrier, von Lysias angeführt, besiegten im Jahre 163 das jüdische Heer der Makkabäer und stellten die syrische Herrschaft wieder her. Der Friede wurde geschlossen auf Basis der Religionsfreiheit.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß diese langwierigen blutigen Kriege keinen anderen Grund hatten, als die Religion, daß also der Antisemitismus schon in seiner Wiege den Stempel des religiösen Fanatismus an sich trug; eine Wahrheit, auf die ich meine verehrten antisemitischen Gegner ganz besonders aufmerksam zu machen mir erlaube, mit der höflichen Bitte, dies zu widerlegen, wenn sie es können.

Renan hat bei seiner Beschreibung der Verfolgung zur Zeit der Seleukidenherrschaft den wahrhaft genialen Gedanken niedergeschrieben: »Das, was der Fanatiker am meisten haßt, ist die Freiheit; es ist ihm bedeutend lieber ein Verfolgter, als ein Geduldeter zu sein, das was er will, ist das Recht, andere verfolgen zu dürfen.«

Es ist dies die notwendige Folge der monotheistischen Lehre, daß Gott nur auf eine einzige Art verehrt werden will und darf; daß alle anderen Götter, außer der Einzige, »Nichtigkeiten«, Habalim sind, wie der hebräische Ausdruck lautet, respektive Dämonen, wie die Christen diesen Ausdruck übersetzen. Vergleiche das interessante Werk »Wunder und Scheinwunder« von J. von Bonniot S. J. (Mainz 1889), worin der Beweis versucht wird, daß sämtliche Götter des Heidentums wirkliche Dämonen waren.

Außer dem Worte Nichtigkeiten hatten die Juden noch andere liebenswürdige Bezeichnungen für die Götter der Fremden, als da sind: Scheusal, Lüge, Unrecht, Nichtgott usw.

Ob man sich durch derartige Bezeichnungen der Objekte der Verehrung seiner Nachbarn beliebt macht, möge der geehrte Leser selbst beurteilen. Wenn damals mit dem Götzendienst Grausamkeit und Unzucht verbunden war, woran nicht zu zweifeln ist, so hätte genügt, diese Ausartungen zu bekämpfen.
Ist aber jeder Kult eines anderen Gottes Gotteslästerung und Teufelsdienst, so ist es selbstverständlich, daß er vernichtet und zerstört werden muß und daß es ein gottgefälliges Werk ist, an dieser Zerstörung zu arbeiten. Verliert man nun bei Ausübung dieses gottgefälligen Werkes sein Leben, so ist ewige Seligkeit und endlose Glorie der zu erwartende Lohn. Der Monotheismus, die Lehre von der ausschließlichen Seligmachung und der Sträflichkeit des Irrtums sind notwendigerweise Feinde der religiösen Freiheit und Toleranz. Ihr Gegensatz ist der Glaube, daß alle Gebete der Menschen, an was immer für ein übernatürliches Wesen gerichtet, ganz von selbst nur an eine einzige Adresse gelangen können, wie verschieden auch die Wege und Kanäle sind, die zu ihm führen – nämlich an den einzigen Gott, das Zentrum des Weltalls.

Die seleukidische Herrschaft glich in Vielem der heutigen türkischen Regierung, indem sie fast ausschließlich in den Städten wirkte und sich kaum in das Innere des Landes hinein erstreckte. Dem Hasmonäer Jonathan war es gelungen, im Jahre 143 v. Chr. den jüdischen Staat wieder autonom zu machen. Diese Regierungsform war außerordentlich intolerant und grausam, religiöse Streitigkeiten und damit verbundene Blutbäder an der Tagesordnung. Die Unzufriedenheit, Streitsucht und Intoleranz der Juden Palästinas erstreckte sich auch auf die Juden Alexandriens. Sie waren bei allen Völkern maßlos verhaßt. Schon im Jahre 110 v. Chr. warf Apollonius Molon den Juden ihre Verachtung für alle anderen Religionen, ihre Ungeselligkeit, ihren Mangel an Ehrfurcht gegen die Götter vor. Es entstand unter den Heiden eine eigene jüdische Geschichte, unter andern das große Geschichtswerk von Posidonius, in welchem der Haß der Griechen die unsinnigsten Verleumdungen gegen die Juden niederschrieb, welche von den späteren heidnischen Schriftstellern gerne geglaubt und wiederholt wurden.

Die Geschichte der Hasmonäer bis zur herodianischen Zeit ist eine ununterbrochene Reihenfolge von Intriguen und Verbrechen aller Art. Sadduzäer und Pharisäer befehdeten sich aufs Äußerste. Janeus zeichnete sich durch besondere Grausamkeit aus. Während des Bürgerkrieges im Jahre 87 belagerte er die Aufständischen in einer kleinen Stadt namens Bethome, zwang sie zur Übergabe und führte die Gefangenen nach Jerusalem. Dort ließ er 800 von ihnen kreuzigen und ließ während ihres langwierigen Todeskampfes die Weiber und Kinder der Unglücklichen in ihrer Gegenwart hinschlachten, während er gleichzeitig mit seinen Maitressen ein Festmahl gab und sich dabei an den Leiden dieser unglücklichen Opfer weidete.

Und was war denn die Veranlassung zu dieser unerhörten Infamie? Wieder ein Skandal religiöser Natur! Als Janeus ca. 95 v. Chr. als Hoherpriester beim Laubhüttenfest pontifizierte, inszenierte das Volk, von den Pharisäern aufgestachelt, einen Riesenskandal. Gerade im Augenblicke, als Janeus die Stufen des Altars hinaufschritt, erscholl von allen Seiten der Ruf, er sei nach den Bestimmungen der Thora des Pontifikates unwürdig, weil von einem Sklaven abstammend. Zitronen fliegen dem Ehrenmann auf den Schädel. Tableau! Rauferei, Massaker, 6000 Anhänger der Pharisäer bleiben auf dem Tempelpflaster; Bürgerkrieg, dessen Hauptskandal ich eben angeführt habe. So geht es fort, bis die Römer Ordnung machen. Bei diesen ewigen Kämpfen, Kriegen und Bürgerkriegen handelte es sich immer bloß um die Bekämpfung des Hellenismus durch einen engherzigen Judaismus aus religiösen Gründen. Ganze Städte wurden vernichtet, blühende Länderstrecken zu Wüsten gemacht; die Juden wollten keinen Verkehr mit den Unbeschnittenen. Unter Alexandra herrschten die Pharisäer, und die Sadduzäer wurden aus allen Stellungen verdrängt. In was bestand aber dieser Gegensatz zwischen Pharisäern und Sadduzäern, dessen Betätigung ganz Palästina mit Blut getränkt hat und auf welchen schließlich teilweise der große Purzelbaum des jüdischen Staates zurückzuführen ist. Nun, dieser Gegensatz beruhte wieder auf Religion. Die Pharisäer sind die streng gesetzlichen, die orthodoxen Vertreter des Judentums, sie sind die Repräsentanten jenes Wesens, das Israel angenommen hat seit der Rückkehr aus Babylon, das Produkt des Werkes des Esra. Alle bedeutenden Schriftgelehrten waren Pharisäer. Sie glaubten an ein mündliches Gesetz, außer dem schriftlich Fixierten an eine Überlieferung der Väter. Aus ihrem Schoße ist der Rabbinismus und der Talmud hervorgegangen. Sie stellen die Tradition sogar höher als die Schrift, was anderswo auch vorkommen soll. »Es ist sündhafter, gegen die Verordnungen der Schriftgelehrten zu lehren, als gegen die Thora selbst« lautete einer ihrer Grundsätze. Sie glaubten an die Unvergänglichkeit der Seele, an die Auferstehung und eine Strafe im Jenseits, an Engel und Geister und an ein von Gott verhängtes und geleitetes Fatum, das jedoch die Willensfreiheit nur beschränkt, aber nicht aufhebt. In der Politik wollen die Pharisäer, daß politische Fragen nicht vom politischen, sondern vom religiösen Standpunkte aus behandelt werden! Sie waren eigentlich keine politische Partei, sie wurden nur dann »politisch«, wenn die Obrigkeit etwas von ihnen verlangte, wodurch die orthodoxe Befolgung des Gesetzes verhindert wurde; sonst war ihnen die Politik außerordentlich gleichgiltig. Aus religiösen Motiven allein hat zweimal die pharisäische Partei dem Herodes den Eid der Treue verweigert. Sie waren eine ecclesiola in ecclesia, sie nannten sich hebräisch Peruschim, aramäisch Perischin, woraus das griechische Pharisaioi entstanden ist; das bedeutet die Abgesonderten; abgesondert von aller Unreinheit, d. h. von allen Nichtjuden, von den unreinen Heiden, aber auch von allen jenen, welche die Reinheitsgesetze nicht pünktlich beobachteten, d. h. vom jüdischen Volke des Landes (Am haarez), ein Wort, das Judenfeinde häufig rundweg mit Christen (!) übersetzt haben. Sie fallen mit dem Begriffe Chassidim der Makkabäer zusammen. Die Makkabäer waren solche Chassidim (Fromme). Ihre Nachfolger blieben jedoch der Partei nicht immer treu, denn als Herrscher hatten sie die Aufgabe, zu regieren und gerade das schien ihnen nach pharisäischem System unmöglich. So kam es unter Hyrkan zum Bruch. Anfangs hatte er noch zu den Pharisäern gehalten, später wandte er sich den Sadduzäern zu; so wurden die Pharisäer Gegner der hasmonäischen Fürsten, behielten aber doch das Volk auf ihrer Seite. Sie erfreuten sich eines bedeutenden Einflusses auf alle Gemeinden, so daß alle gottesdienstlichen Handlungen sich nach ihren Anordnungen richten mußten.

Dadurch waren aber auch die Sadduzäer gezwungen, in ihrer amtlichen Tätigkeit die Wünsche der Pharisäer zu berücksichtigen, da diese sonst das Volk gegen sie aufgehetzt haben würden.

Die Sadduzäer stellten die Aristokratie, die Aufgeklärten und die Wohlhabenden vor. Ihnen gehörten die hohenpriesterlichen Familien an, sowie die vornehmen Priester; sie leiteten ihre Abstammung von Zadok ab, dessen Nachkommen seit Salomo den priesterlichen Dienst in Jerusalem versahen. Die Sadduzäer leugneten die Unsterblichkeit, sie hielten nur die heilige Schrift für verbindlich, nicht aber die Tradition, widersprachen somit der pharisäischen Lehre. Sie hatten auch verschiedene Bestimmungen hinsichtlich rein und unrein und verspotteten ihre Gegner wegen ihrer Auslegung des Reinheitsgesetzes. Die Pharisäer replizierten, indem sie jede Sadduzäerin, wenn sie die Wege ihrer Väter wandelt, für unrein erklärten. Die Sadduzäer leugneten auch die Existenz von Engeln und Geistern und behaupteten, daß Gott die Taten der Menschen nicht beeinflusse. So standen die Sadduzäer auf dem altisraelitischen Glaubensstandpunkte, der keine Auferstehung und Vergeltung im Jenseits kannte, sowie keine Engel und Dämonen im Sinne der späteren jüdischen Religion. Dazu kam noch eine weltliche, praktische Gesinnung, ja bei den Gebildeten wohl auch etwas Aufklärung, was begreiflich ist, wenn man bedenkt, daß sie die Politik leiten mußten. Die unausbleibliche Folge davon war griechische Bildung, somit wieder Aufklärung und Abschwächung des Glaubens. Nur unter Alexandra nahmen ihnen die Pharisäer das politische Heft aus den Händen. Im großen Ganzen akkomodierten sie sich aber, um das Volk nicht zu reizen, den Wünschen der Pharisäer.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß der Gegensatz zwischen Pharisäern und Sadduzäern nur in einer verschiedenen Religionsauffassung bestand. Der Sadduzäismus ist nach dem Sturze des römischen Reiches ganz von der Bildfläche verschwunden. Der Pharisäismus lebt noch heute im Talmudismus und Rabbinismus weiter. Wir sehen auch hier wieder den Triumph der Orthodoxie gegen den Liberalismus. Ganz dasselbe geschah später im Islam. Die Aufklärung im Islam unterlag vollständig in ihrem Kampfe gegen die Orthodoxie und in allen islamitischen Ländern gilt heute der Satz: »Die Offenbarung steht höher, als die Vernunft«. Bravo, nur so weiter! Bekanntlich hat die Synagoge von Montpellier den Bann ausgesprochen im Jahre 1232 gegen alle Juden, welche die Werke des größten und gelehrtesten Rabbinen Maimonides lesen würden, und vier Jahrhunderte später ist auch der große Jude Spinoza von der Synagoge in den Bann getan worden. Nicht besser ist es den arabischen Philosophen in den Ländern des Islams ergangen. Arme Aufklärung! arme Philosophie! Du darfst nicht offen auftreten, sonst hetzt dich gleich eine Meute zu Tode! Du bist nur das Erbteil einer kleinen Minorität von Menschen, die dich aber um so mehr lieben, je mehr du verfolgt wirst! Doch getrost, schließlich wirst du siegen, aber wann? das weiß Gott allein.

Eine dritte große jüdische Partei waren die Essener; selbstverständlich ebenfalls eine religiöse Gemeinschaft.

Das Judenthum zur Zeit Christi war bereits fast in allen Ländern der damals bekannten Welt zerstreut und zwar hat diese Zerstreuung begonnen mit der Deportation großer jüdischer Volksmassen durch die assyrischen und babylonischen Eroberer. Schon um 140 v. Chr. sagt die Sibylle, daß jegliches Land und jegliches Meer von Juden erfüllt ist. Um dieselbe Zeit erließ der römische Senat ein Rundschreiben zugunsten der Juden an die Könige von Ägypten, Syrien, Pergamum, Kappadokien und viele Provinzen, Städte und Inseln des Mittelmeeres. 85 v. Chr. sagt Strabo, daß die Juden bereits in jede Stadt gekommen waren, daß es keinen Ort der Welt gibt, der dieses Volk nicht aufgenommen hätte. Ähnliches sagen Josephus und Philo. In Mesopotamien, Medien und Babylonien zählten sie, wie Schürer, die größte Autorität über das Judentum zur Zeit Christi sagt, nicht nach Tausenden, sondern nach Millionen; namentlich waren sie in ganz Kleinasien und Syrien zerstreut. Philo schätzt die Zahl der ägyptischen Juden auf ca. eine Million. In den großen Städten Griechenlands fand der Apostel Paulus überall Synagogen, in Rom zählte die jüdische Gemeinde nach Tausenden. Julius Cäsar war ein großer Judenfreund; als er starb, weinten und klagten Scharen von Juden nächtelang an seinem Scheiterhaufen. Zu Neros Zeit scheint die Kaiserin Poppaea jüdische Proselytin geworden zu sein, auch scheint es, daß die Juden Roms in nahen Beziehungen zum Throne gestanden haben. In Gallien und Spanien treffen wir Juden, wenigstens in der späteren Kaiserzeit. Diese Juden waren eifrige Proselytenmacher und hatten darin bedeutende Erfolge, da schon in der letzten Zeit der Republik in Rom eine große Vorliebe für orientalische Kulte Mode geworden war. Die jüdische Religion war eine im römischen Staate anerkannte. Die Juden hatten das Recht der eigenen Vermögensverwaltung und Jurisdiktion über ihre Mitglieder. Vom Militärdienst waren sie befreit; warum? Aus einem religiösen Grunde, da sie am Sabbat keine Waffen tragen und nicht weiter als 2000 Ellen marschieren durften. Sie hatten das Privilegium, am Sabbat nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Vorübergehend wurden die Juden auch im römischen Reiche verfolgt. Tiberius verbannte im Jahre 19 n. Chr. die ganze Judenschaft aus Rom, weil ein paar Juden einer Proselytin Namens Fulvia große Summen Geldes abgeschwindelt hatten, unter dem Vorwande, dieselben seien für den Tempel in Jerusalem bestimmt.

Unter Caligula drohte der gesamten Judenschaft des römischen Reiches die größte Verfolgung, als die Juden sich weigerten, ihm göttliche Ehren zu erweisen. Zum Glück für die Juden starb Caligula, bevor es zum Ärgsten gekommen war. Seit Caligula wurde nie mehr versucht, die Juden zum Kaiserkultus zu bewegen, weil die römischen Machthaber begriffen hatten, daß es unmöglich wäre, sie dazu zu zwingen und ein derartiger Versuch nur zwecklose Hinrichtungen zur Folge haben würde.

Schon in der seleukidischen und ptolemäischen Zeit hatten viele Judengemeinden in Syrien und Ägypten das Bürgerrecht erhalten. Julius Cäsar bestätigte es ihnen ausdrücklich. Die Folge waren fortwährende Reibungen der Juden mit den Nichtjuden und warum? Bloß aus religiösen Gründen. Die Juden hatten alle Rechte wie die übrigen Bürger, wollten aber um keinen Preis den mit dem Bürgerrecht als Pflicht verbundenen Kultus der nationalen Götter mitmachen, da sie dies infolge der Bestimmungen ihrer Thora für ein entsetzliches Verbrechen hielten. Alle anderen von den Römern unterjochten Völker huldigten anstandslos den heidnischen Göttern, und kein Mensch hinderte sie, sich dabei ihren Teil zu denken, wie die Gebildeten der Zeit es ja auch taten. Eine Verneigung, eine Handvoll Weihrauch vor dem Götterbild, kein Mensch verlangte mehr. Alle Völker des Erdkreises taten dies anstandslos und machten sicherlich ihre Witze über diesen Aberglauben. Aber die Juden und später auch die Christen sagten: Nein, lieber sterben! Daß das die »Heiden« wegen des darin sich äußernden Mangels an Patriotismus auf das höchste reizen mußte, läßt sich denken. Nur dadurch sind die Juden- und Christenhetzen zu erklären. Erleben wir doch heute ganz genau dasselbe in China. Die blutigen Verfolgungen und Kriege der Chinesen gegen die Mohammedaner, die jüngsten grausamen Massakres der Christen Boxerwirren (A. d. H.). dortselbst, haben in gar nichts anderem ihren Grund, als in der Verweigerung des Kompliments vor der uralten Staatsreligion seitens der beiden monotheistischen Bekenntnisse. Würden Christen und Muslims in Kleinigkeiten nachgegeben, ihren Kratzefuß vor den »Götzen« gemacht, an religiösen Prozessionen teilgenommen, hie und da einen Heller für die Tempel und die Geistlichkeit gespendet und bei Eheschließungen nicht in schroffer Weise die Bedingung, daß alle Nachkommen in ihrer, d. h. einer anderen, als der Staatsreligion, erzogen werden müssen, gestellt haben, welcher chinesische Mandarin würde sich jemals um die zwei fremden Religionen gekümmert haben? Nicht mehr, als sie sich für den Buddhismus und den Taoismus interessieren. Hätten Juden und Christen im römischen Reiche sich tolerant und freundlich wohlwollend gegen die kindische römische Staatsreligion benommen, kein Mensch hätte sie in der Ausübung ihres Kultus gestört. Sie taten es nicht, sie bluteten und starben lieber. Und warum? Weil in der Thora steht, daß man nur an einen einzigen Gott glauben und daß »Götzendienst« ein verruchtes Verbrechen ist. Jene Märtyrer nun, die für ihren Glauben, selbst unter Martern, ihr Leben ließen, sind sicherlich nicht zu bedauern, denn sie starben mit Begeisterung, im Vorgefühl unendlicher, unmittelbar bevorstehender Seligkeit. Die schwerste Stunde des menschlichen Lebens, ihre Todesstunde, wird ihnen verklärt; es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß sie sich in einem Zustande der Ekstase befanden, in welchem physischer Schmerz überhaupt nicht empfunden wird. Diese Personen sind nicht zu bedauern, sondern im Gegenteil zu beneiden. Aber was ist von jenen zu halten, die lau im Glauben, gar kein Verlangen haben nach der Palme der Märtyrer, die unter dem Motto: »Mitgefangen, mitgehangen« zur Schlachtbank geführt werden, die nicht mehr apostasieren können, weil die Richter oder Henker ihnen die Zeit und Gelegenheit dazu nicht mehr geben; was ist zu halten vom Schmerze der unglücklichen Eltern und Verwandten dieser Märtyrer, wenn sie selbst »Ungläubige« und »Götzendiener« geblieben sind? Welche furchtbaren Leiden, welch ein Schmerz! Und wer sind jene, die solche Situationen heraufbeschworen haben? Wer hat eine Situation geschaffen, durch welche solche Massakres möglich geworden sind? Jüdische Theologen, die vor mehr als 25 Jahrhunderten die Feder geschwungen haben ...

Gerade aus religiösen Gründen, ausschließlich aus religiösen, ist die Antipathie zu erklären, die den Juden von den Völkern des Altertums immer und überall entgegengebracht wurde. Denn ihre religiösen Forderungen standen mit ihren Pflichten als Staatsbürger in grellem Widerspruche. Trotzdem haben Juden im Altertum wiederholt hervorragende Rollen im Staatsleben gespielt. Unter Ptolemäus VI und dessen Gattin Kleopatra standen sie an der Spitze der Regierung und die ägyptische Heeresmacht wurde von zwei Juden befehligt, Onias und Dositheus. Der jüdische Konvertit Tiberius Alexander hat sogar im römischen Heere die höchste Stellung eingenommen.

Aber im allgemeinen waren sie den Griechen und Römern, wie gesagt, außerordentlich antipathisch. In den hellenistischen Städten wurden sie mit Mißgunst behandelt.

Schopenhauer spricht an zwei Stellen seiner Parerga die Vermutung aus, daß die Verachtung der antiken Völker für die Juden dem Umstände zuzuschreiben ist, daß die Judenreligion, weil sie keine Unsterblichkeitslehre kannte, den »Heiden« als eine inferiore Religion vorgekommen ist. Also selbst der große Schopenhauer hält den antiken Antisemitismus für einen religiösen. Das ist wichtig, weil die Antisemiten gerne den Schopenhauer als Autorität dafür anführen, daß der Antisemitismus mit der Religion nichts zu schaffen habe. Ich ersuche aber die geehrten Gegner, den Schopenhauer wirklich zu lesen. Da werden sie entdecken, daß er die Juden fast nur ihrer Religion wegen bekämpft. Er sagt zwar, daß es ein Irrtum ist, wenn man die Juden bloß als Religionssekte betrachtet und daß die richtige Bezeichnung jüdische Nation ist, was auch zutrifft, wenn man dabei nicht vergißt, daß es die jüdische Religion war, die die Juden zu einer Nation gemacht hat. Zu bedenken ist auch, daß zur Zeit, als Schopenhauer schrieb, die großen Forschungen auf dem Gebiete der Bibelexegese (Wellhausen, Reuß usw.) noch nicht gemacht waren; auch hatten die Schädelmessungen der Anthropologen noch nicht erwiesen, daß es keine jüdische Rasse gibt. Die schweren Vorwürfe, die Schopenhauer der Judenreligion macht wegen religiösen Massakres, schonungslosem Morden und Ausrotten ganzer Völker, der Schurkerei gegen Hemor und sein Volk, des sich Schenkenlassens der Nachbarländer durch den Nationalgott, der Geschichte der Vertreibung der Hagar usw., hätte Schopenhauer nicht mit dem Judentum als solchem gemacht, hätte er damals, als er schrieb, schon wissen können, daß diese Geschichten Jahrhunderte später zu didaktischen Zwecken geschrieben worden sind und nie stattgefunden haben, wie die freie Wissenschaft behauptet.

Die Eroberung Jerusalems durch Pompejus führte wieder zu einem furchtbaren Blutbad, wobei der Umstand merkwürdig ist, daß die jüdischen Priester, welche gerade mit dem Opfern beschäftigt waren, sich durch das Eindringen der römischen Soldaten nicht im Geringsten stören ließen und mitten in Ausübung ihres Berufes niedergestochen wurden. Hiermit hatte die Freiheit des jüdischen Volkes, die ungefähr 80 Jahre bestanden hatte, ein Ende. Palästina kam unter die Oberaufsicht des römischen Statthalters von Syrien, wurde jedoch nach einigen Jahren davon getrennt und erhielt eigene Prokuratoren.

Im Jahre 47 wurde Hyrkan zum Ethnarchen der Juden und Antipater zum Prokurator von Judäa ernannt und zwar infolge der Verfügung Julius Cäsars, welcher den Juden im Jahre 45 durch einen Senatsbeschluß mehrere Privilegien verlieh. Im Jahre 40 erfolgte der Einfall der Parther in Jerusalem, welches sie trotz ihrer Freundschaft mit Antigonus, des Sohnes des Aristobulus, dessen Anspruch auf den Thron Julius Cäsar ignoriert hatte, gründlich plünderten. Antigonus war König und Hoherpriester durch die Gnade der Parther. Derselbe ließ dem Hyrkan, um ihn für den Hohenpriesterdienst untauglich zu machen, die Ohren abschneiden. Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange.

Mittlerweile war Herodes der Große auf den Schauplatz getreten, und es war ihm gelungen, den Antonius und selbst den Oktavian dazu zu veranlassen, ihn in feierlicher Senatssitzung zum König von Judäa erklären zu lassen.

Drei Jahre nach seiner Ernennung gelang es ihm, den Widerstand des Antigonus, welch Letzterer dann auf Befehl des Antonius hingerichtet wurde, niederzuwerfen. Hiermit hatte die Herrschaft der Hasmonäer ein Ende und das Zeitalter der Herodianer begonnen. Herodes war König von Judäa, jedoch unter der Oberherrschaft der Römer, als Rex socius. Das jüdische Volk haßte ihn fürchterlich, da er als Idumäer nur ein halber Jude war, wegen seiner treuen Freundschaft und Anhänglichkeit gegen Rom und seiner Vorliebe für hellenistische Kultur. Es waren die Pharisäer, welche ihm aus diesen religiösen Gründen gleich bei seinem Regierungsantritte die größten Schwierigkeiten bereiteten. Es gelang Herodes jedoch bald, durch Massenhinrichtungen diese orthodoxe Partei zum Schweigen zu bringen. Konzessionen mußte er ihnen aber dennoch machen. So ließ er seine Münzen ohne Menschenbildnis prägen, das eigentliche Tempelhaus nur von Priestern bauen und betrat persönlich nie den inneren Tempelraum. Auf keinem der Gebäude Jerusalems ließ er Bilder anbringen.

Als sich einst im Volke das Gerücht verbreitet hatte, daß die im Tempel aufgehängten kaiserlichen Siegestrophäen mit Waffen bekleidete Statuen seien und darob Unruhen entstanden, ließ Herodes in Gegenwart der angesehensten Männer diese Trophäen herabnehmen und entkleiden und zeigte ihnen zu ihrer Beruhigung die leeren Holzgerüste. Schließlich ließ er jedoch zum Spotte einen Adler am Tempeltore anbringen, was den Haß der Pharisäer, trotz der vielen erteilten Konzessionen wieder aufstachelte. Diese Tat, sowie die Begünstigungen, welche Herodes den hellenistisch gesinnten Juden erwies und seine Mißachtung des Synedriums führten zu einer Verschwörung, die jedoch bald niedergeworfen wurde. Als Herodes erkrankte und sich die Nachricht verbreitete, seine Krankheit sei unheilbar, wiegelten zwei rechtgläubige Rabbiner das Volk auf, in Befolgung des zweiten Gebotes Gottes, den so anstößigen Adler vom Tempeltore herunterzureißen. Unter ungeheurem Spektakel wurde dieses gottgefällige Werk vollbracht; aber der alte Löwe Herodes war noch nicht ganz tot; er ließ die Rädelsführer lebendig verbrennen! Kaum war er gestorben, und Archelaus – sein Sohn – Nachfolger geworden, entstand ein Aufruhr in Jerusalem, da die pharisäische Partei die Hinrichtung der beiden Rabbiner rächen wollte. Die Juden schickten sogar eine Gesandtschaft nach Rom, um zu bitten, daß fortan kein Herodianer mehr die Herrschaft über Palästina erhalte. Kaiser Augustus ließ sich dadurch jedoch nicht beeinflussen. Herodes der Große starb im Jahre 4 v.Chr. und es wurde sein Reich in drei Gebiete geteilt. Das eine erhielt Philippus, der bis 4 n.Chr. regierte, das andere Antipas – 4 v.Chr. bis 39 n.Chr., das dritte Archelaus, welcher das eigentliche Judäa bekam, das jedoch schon im Jahre 6 n.Chr. unter die römische Prokuratur kam. Vom Jahre 4 v.Chr. bis 39 n.Chr. regierte Herodes Antipas als Tetrarch von Galiläa und Peräa.

Mit der Regierung über die Juden hatten die Römer ihre liebe Not. So entgegenkommend dieselben auch gegen jene waren, die Juden verlangten immer mehr und mehr Konzessionen, die jedoch der allgemeinen Ordnung wegen schwer zu erteilen waren. In allen Provinzen des römischen Reiches wurde der Kaiserkultus von der Bevölkerung gefordert und auch anstandslos geleistet. Nur die Juden waren davon dispensiert (ausgenommen zur Zeit des Kaisers Caligula).

Die im jüdischen Lande hergestellten Kupfermünzen trugen zur Zeit der römischen Herrschaft kein menschliches Bild; eine den Juden gemachte Konzession, weil sich die Darstellung menschlicher Bilder mit ihrer Religion nicht vertrug. Die römischen Truppen pflegten in Jerusalem ohne die Feldzeichen mit den kaiserlichen Bildern einzuziehen, ebenfalls aus Rücksicht für die jüdische Religion. Als Pilatus einst diese Sitte abschaffen wollte, drohte ein Aufstand auszubrechen, so daß er sich endlich genötigt sah, die Kaiserbilder wieder zu entfernen. Pilatus versuchte Gewalt anzuwenden, ließ Haufen von Juden in der Rennbahn, wohin er sie beschieden hatte, nachdem sie ihn fünf Tage lang mit Klagen bestürmt, von seinen Soldaten umringen und hoffte mit Gewalt seinen Willen durchzusetzen. Die Juden jedoch entblößten ihren Hals und erklärten, lieber sterben zu wollen als in einen solchen Frevel einzuwilligen. Da Pilatus es nicht auf ein Blutbad ankommen lassen wollte, gab er nach und entfernte die Kaiserbilder. Ein ähnliches Ereignis trat ein, als er die Schätze des Tempels zum Baue einer nützlichen Wasserleitung verwenden wollte, deren Bau Pilatus übrigens trotz ihres Widerstandes durchführte. Ebenso setzte das jüdische Volk durch, daß die Weiheschilde, auf welchen bloß der Name und nicht einmal das Bild des Kaisers aufgeschrieben war und welche Pilatus in Jerusalem aufgehängt hatte, entfernt wurden.

Die große Judenverfolgung in Alexandrien im Jahre 38 n. Chr. hatte ebenfalls nur religiöse Motive. Als Caligula befohlen hatte, daß seine Statue im Tempel von Jerusalem aufgestellt werden sollte, gerieten die Juden außer sich und es wäre damals schon zu blutigen Aufständen in Palästina gekommen, wenn nicht der Statthalter von Syrien, Petronius, die Anfertigung der Statue in verständiger Weise verzögert hätte und Caligula rechtzeitig gestorben wäre.

Der neue Kaiser Claudius schenkte unmittelbar nach seinem Regierungsantritte dem Herodes Agrippa außer jenen Gebieten, welche er bereits erhalten hatte, auch noch Judäa und Samaria, so daß ganz Palästina, in dem Umfange, den es unter Herodes dem Großen gehabt, wieder in der Hand eines Herodianers vereinigt war. Derselbe befolgte die Politik, die einst auch die Alexandra's gewesen war, der Partei der Pharisäer nach Tunlichkeit entgegenzukommen. Er hielt sich streng an die Satzungen des Judenthums, weswegen ihn auch der Talmud über den grünen Klee lobt. Als einst in der phönizischen Stadt Dora junge Leute eine Bildsäule des Kaisers in der jüdischen Synagoge aufgestellt hatten, erwirkte er vom Statthalter von Syrien deren Bestrafung für diesen entsetzlichen Greuel. Als sich seine Tochter Drusila mit Epiphanes – dem Sohne des Königs Antiochus von Kommagene verlobte –, mußte dieser versprechen, sich beschneiden zu lassen. So erlebte denn dieser schlaue Patron den Triumph, daß das Volk ihm, als er im Jahre 41 am Laubhüttenfest aus der Thora die Worte vorlas: »Du sollst keinen Fremdling als König über dich setzen, der nicht dein Bruder ist« und er bei dieser Gelegenheit in Krokodilstränen ausbrach, begeistert zurief: »Sei unbekümmert, Agrippa, du bist unser Bruder.«

Nach Agrippas Tode kam die Herrschaft der römischen Prokuratoren vom Jahre 44–66 n.Chr. Schon der erste Prokurator Cuspius Fadus erlebte einen Skandal mit dem Volke, weil er das Verlangen ausgedrückt hatte, daß das hohepriesterliche Prachtgewand wieder unter römischen Verschluß gebracht werde; ferner hatte er den Aufstand, den ein religiöser Schwärmer Namens Theudas, der sich als Prophet ausgab und zum heiligen Krieg gegen Rom aufstachelte, hervorgerufen hatte, niederzuwerfen. Der dritte Prokurator Cumanus hatte wieder einen Aufstand zu bekämpfen, weil ein römischer Soldat der Truppenabteilung, welche der Sicherheit wegen immer im Tempelvorhof aufgestellt war, beim Passahfeste durch eine unanständige Gebärde die Juden beleidigt hatte. Dieser Skandal soll nach Josephus Angabe 20 000 Menschen das Leben gekostet haben. Zur selbigen Zeit zerriß ein römischer Soldat eine Thorarolle unter Spott- und Hohnreden. Um weiteren Unruhen zu entgehen, ließ Cumanus auf Drängen der Juden den Soldaten hinrichten. Weitere blutige Unruhen entstanden infolge der in einem samaritanischen Dorfe erfolgten Ermordung zweier zum Jerusalemer Feste pilgernder galiläischer Juden. Der nächste Prokurator war Felix, welcher zum großen Ärgernis der orthodoxen Juden die schöne jüdische Königin Drusila heiratete. Die Erbitterung wurde noch gesteigert, als unter dem nächsten Prokurator Festus die Gleichstellung der Juden und Syrier in Cäsarea aufgehoben und die Hellenen für die Herren der Stadt erklärt wurden.

Agrippa II., welcher ein kleines Königreich am Libanon, sowie die Aufsicht über den Tempel in Jerusalem und das Recht, die Hohenpriester zu ernennen, erhalten hatte, pflegte, so oft er sich in Jerusalem aufhielt, im Palaste der Hasmonäer zu wohnen und ließ sich dort einen kleinen Turm bauen, von wo aus er den Tempel überblicken und in freien Stunden den Gottesdienst in demselben beobachten konnte. Dies brachte die frommen Priester, die das höchst unanständig fanden, in Wut und sie errichteten eine hohe Mauer, die ihm die Aussicht versperrte. Agrippa wandte sich an seinen Freund, den Prokurator Festus um Hilfe, welcher ihm auch beistehen wollte. Die Juden sandten jedoch eine Deputation nach Rom zur Kaiserin Poppäa und erreichten durch ihre Vermittelung, daß die Mauer stehen gelassen wurde.

Im Jahre 66 brach die große ewig denkwürdige Revolution aus; natürlich war die Veranlassung wieder eine religiöse. Es hatte nämlich der Prokurator Florus dem Tempelschatze 17 Talente entnommen. Es entstand ein großer Tumult wegen dieses Sakrilegiums und um den Prokurator zu verhöhnen, sammelten einige Juden in kleinen Körbchen öffentlich milde Gaben für den armen Florus.

Kurze Zeit darauf wurde auf Betreiben des Sohnes des Hohenpriester Ananias das tägliche Tempelopfer für den Kaiser eingestellt, wodurch also der offene Abfall von den Römern erklärt war. Das Ende ist bekannt. Jerusalem wurde belagert, der Tempel verbrannt, obwohl Titus alles getan haben soll, das herrliche Gebäude zu retten. Es ist sehr bemerkenswert, daß Titus eine Versöhnung herbeiführen wollte und zwar aus Liebe zu seiner jüdischen Geliebten Berenice. Titus wurde erst grausam, als er sah, daß die Juden jedwede friedlichen Verhandlungen abwiesen. Er ließ täglich 500 Juden im Angesichte der Stadt unter raffinierten Martern kreuzigen, was die Wut der Belagerten nur steigerte. Die Hungersnot, die Verzweiflung, der Wahnsinn wüteten in Jerusalem, das fortan einem Käfig wilder Tiere glich. Hätten sich dieselben rechtzeitig ergeben, so wäre unendliches Weh dem Volke erspart geblieben; doch diese Fanatiker wollten von einem Nachgeben nichts wissen, da sie den Tempel für unzerstörbar hielten. Die Mehrzahl glaubte, die Stadt befinde sich unter einem speziellen Schutze Gottes und es sei daher unmöglich, sie einzunehmen. Närrische Propheten liefen umher und verkündeten ein unmittelbar bevorstehendes rettendes Wunder. Das Gottvertrauen der Belagerten war so felsenfest, daß viele, denen die Flucht möglich gewesen wäre, bloß deswegen blieben, um das rettende Wunder Gottes zu schauen.

Es war am 8. August 70, als es den Römern gelang, Feuer an den Toren des Tempels zu legen. Als die Juden die Flammen sahen, konnten sie anfangs ihren Augen nicht trauen, denn in ihrer Verblendung hatten sie geglaubt, der Tempel sei gegen Alles gefeit. Ein furchtbares Wutgeschrei, ein Strom wilder Flüche durchhallte die Lüfte, als die Flammen zu züngeln anfingen. Am 10. August fand ein neuer Kampf statt. Eine Truppenabteilung war zurückgelassen worden, um zu verhüten, daß neuerdings Feuer gelegt werde, das noch glimmende Feuer zu überwachen und das Weiterverbreiten zu hindern. Auf diese Abteilung stürzten sich die Juden und es entstand wieder ein fürchterlicher Kampf. Die Juden flohen gegen den Tempelhof, die Römer ihnen nach. Die Wut der römischen Soldaten hatte ebenfalls den Siedepunkt erreicht; einer von ihnen ergriff eine Fackel, ließ sich von einem seiner Kameraden in die Höhe heben und warf dieselbe durch ein Fenster in den Tempel hinein. Flammen und Rauch wurden sichtbar. In diesem Augenblicke schlief Titus unter seinem Zelte, als man ihm die Nachricht brachte, der Tempel brenne. Da entstand, nach dem Berichte Josephus, ein förmlicher Kampf zwischen Titus und seinen Soldaten. Titus befiehlt durch Stimme und Gebärde, das Feuer augenblicklich zu löschen, aber bei diesem Tumulte hörte ihn niemand mehr. Er wird mitgerissen durch den Strom seiner Soldaten, die in den Tempel hineindringen. Noch hatten die Flammen das Allerheiligste nicht erreicht und Titus konnte dasselbe noch mit eigenen Augen sehen. Er befiehlt, das Innere zu räumen und dem Centurio Liberalis, einen jeden niederzumachen, der sich seinem Befehle widersetzen würde. Tumultuarisch verlassen die römischen Soldaten den Tempel. Zu spät! Ein römischer Soldat hatte bereits das Innere angezündet; von allen Seiten lodern Flammen empor, in diesem Rauche konnte niemand mehr Stand halten. Titus zog sich zurück. Jerusalem und der heilige Tempel waren bald nur mehr rauchende Trümmer! ....

Die römischen Soldaten metzelten alles nieder, was in ihre Hände fiel. Im Jahre 71 feierte Titus seinen berühmten Triumph in Rom. Hinter dem Wagen des Triumphators wurden die Rollen der Thora getragen, »der großen Schuldigen« am ganzen Unheil, wie Renan sich ausdrückt. Sie allein hatte die Juden zu dem gemacht, was sie geworden waren; sie allein jene Mauer errichtet, die Israel von allen anderen Völkern trennte, sie allein die Abneigung der Griechen und Römer gegen die Juden verschuldet, sie allein die Juden aufgestachelt, der toleranten Regierung, den unbeschnittenen Heiden bei jeder Gegenteil Prügel vor die Füße zu werfen. Die Unabhängigkeit der jüdischen Nation war bald dahin. Jerusalem wurde dem Erdboden gleichgemacht, ein bedeutender Teil der Bevölkerung niedergemetzelt und in die Sklaverei geführt. Unter Trajan versuchten die Juden nochmals mehrere Aufstände; der größte jedoch fand unter Hadrian in den Jahren 132 bis 135 statt. Die Veranlassung war natürlich wiederum eine religiöse. Hadrian hatte an Stelle des zerstörten Jerusalems eine neue Stadt erbauen lassen, die Aelia Capitolina hieß und befohlen, daß an der Stelle, wo der jüdische Tempel gestanden, ein heidnischer Tempel des Jupiter errichtet werde. Auch soll er ein Verbot der Beschneidung erlassen haben. Der Führer des furchtbaren Aufstandes, der infolge der tiefsten Verletzung des religiösen Gefühles der Juden nun ausbrach, hieß Barcochba. Derselbe gab sich für den erwarteten Messias aus. Da die Christen ihn als solchen nicht anerkennen wollten, wütete er auf das Grausamste gegen dieselben. Der Aufstand wurde von den Römern unterdrückt, wobei ganz Judäa zur Wüste gemacht, 50 Festungen, 985 Dörfer zerstört wurden und über eine halbe Million Juden gefallen sein soll. Ein großer Teil der Bevölkerung wurde als Sklaven verkauft. Jerusalem wurde nun in eine römische Kolonie unter dem Namen Aelia Capitolina verwandelt, sämtliche Juden vertrieben und heidnische Kolonisten angesiedelt. Am südlichen Stadttor wurde das Bild eines Schweines angebracht, an der Stelle, wo der jüdische Tempel gestanden, ein Tempel Jupiters errichtet, in welchem eine Statue Hadrians gestanden haben soll; an der Stelle, wo das Grab Christi gewesen, wurde ein Tempel der Venus errichtet. Jerusalem war eine heidnische Stadt geworden. Zur Zeit der Regierung Antoninus Pius versuchten die Juden wieder einen Aufstand infolge des noch bestehenden Verbotes der Beschneidung. Die Römer hatten nur die Wahl, diesen religiösen Brauch entweder zu gestatten, oder das ganze Volk zu vernichten. Sie wählten klugerweise das erstere, indem sie die Ausübung desselben wieder erlaubten. Die Urteile der griechischen und römischen Literatur über die Juden sind, wie gesagt, sehr absprechend und zeugen von großer Verachtung gegen dieses Volk. Die Gebildeten erblickten in der jüdischen Religion einen barbarischen Aberglauben. Man verbreitete über die Juden, sowie über ihre Geschichte die lächerlichsten und boshaftesten Fabeln, zum Teil aus Unwissenheit. So erklärte man den Ursprung des Namens Judäi vom Berge Ida in Kreta und behauptete, daß sie von dort herstammen; gewisse Zeremonien beim Laubhüttenfest gaben zu der Vermutung Anlaß, daß sie den Bacchus anbeten. Tacitus nennt ihren Kultus absurd und ekelhaft. Die boshaftesten Verleumdungen stammten aus Alexandrien, wo Manetho über den Auszug der Juden aus Ägypten einen förmlichen Roman zusammengeschrieben hatte. Nach ihm hätte ein ägyptischer König eine Anzahl Aussätziger des Landes verwiesen. An die Spitze derselben stellte sich Moses, ein ägyptischer Priester aus Heliopolis, dessen eigentlicher Name Osarsiph war, bewog sie zum Abfall von den ägyptischen Göttern und ließ sie eine neue, von ihm erfundene Religion annehmen. Unter seiner Führung hätten sie dann Jerusalem samt Umgebung in Besitz genommen. Der Grund, warum die Juden einem Eselskopf die göttliche Ehre erweisen, wird aus der angeblichen Tatsache abgeleitet, daß eine Herde wilder Esel ihnen in der Wüste den Weg zu Wasserquellen kundgemacht habe. Das Verbot, Schweinefleisch zu essen, sei darin begründet, daß diese Tiere der Krätze ausgesetzt seien, also gerade jener Krankheit, wegen welcher die Juden aus Ägypten vertrieben worden waren. Die ungesäuerten Brode seien ein Beweis für den von ihnen beim Auszug begangenen Getreidediebstahl; die Feier des Sabbats ihrer Liebe zum Faulenzen. Es waren ganz besonders vier Dinge, durch welche die Juden die beliebteste Zielscheibe des Spottes der damaligen gebildeten Welt wurden: 1. die Beschneidung, 2. die Strenge ihrer Sabbatfeier, 3. die Enthaltung von Schweinefleisch und 4. die bildlose Gottesverehrung.

Ich möchte meine verehrten antisemitischen Gegner besonders darauf aufmerksam machen, daß diese vier Punkte ausschließlich dem Gebiete der Religion angehören und daß sich in der ganzen lateinischen und griechischen judenfeindlichen Literatur keine Beschuldigung, kein Witz befindet, der sich auf das Wuchern, auf das Aussagen Andersgläubiger, oder auf unredliche Geldgebarung bezieht. Dieser Haß und Spott des Altertums trifft somit Gesetze und Einrichtungen jener Religion, welche auch die Christen und die Mohammedaner bis zur Zeit Christi für die einzig wahre halten.

Was aber die griechisch-römische Welt am heftigsten gegen die Juden aufbrachte, war die strenge Scheidewand, welche diese zwischen sich und der nichtjüdischen Welt errichteten, was sie bloß darum taten, weil ihr Gesetz sie dazu verpflichtete. Die römische Weltmonarchie und die hellenistische Kultur hatten die römische und griechische Welt im hohen Grade nivelliert und die völkertrennenden Schranken niedergerissen. – Nur die Juden allein wollten sich nicht assimilieren und kamen somit in den Verdacht, alle Nichtjuden zu hassen. Tacitus beschuldigt sie des Hasses gegen alle Menschen. Juvenal beschuldigt sie, daß sie nur Glaubensgenossen den Weg zeigen und nur Beschnittene zur gesuchten Quelle führen. In Alexandrien wurde geglaubt, daß die Juden einen Eid leisteten, keinem Fremden wohlgesinnt zu sein. Tacitus sagt, daß die jüdischen Proselyten zuerst lernen die Götter verachten, dem Vaterlande absagen, Eltern, Kinder, Geschwister geringschätzen, mit einem Worte, das Hauptgefühl, welches die Juden in der damaligen Welt hervorriefen, war das der tiefsten Verachtung; es war dies folglich ausschließlich eine Wirkung ihrer Religion.

Da ist es denn auffallend, daß es möglich war, daß sich diese verachtete Religion im römischen Reiche dennoch so sehr ausgebreitet hat. Der merkwürdige Erfolg der jüdischen Propaganda ist darauf zurückzuführen, daß der Glaube an die einheimischen Götter bei den Gebildeten jener Zeit längst geschwunden, während der starre Monotheismus und der reine Gottesbegriff des Judentums vielen Gebildeten sympathisch war. Ferner zielte die jüdische Religion auf ein sittlicheres und frommeres Leben in viel höherem Maße, als die einheimischen Religionen, was jedenfalls anziehend auf die Besten der Zeit gewirkt haben muß. Endlich führte die Mode der Zeit nach der Aufnahme der geheimen Kulte des Orients. In Griechenland hatte diese Mode schon im fünften Jahrhundert vor Christus begonnen und seit dem dritten Jahrhundert finden wir die Vorliebe zum phrygischen Kulte des Sabazius in Griechenland allgemein verbreitet: In Rom tritt diese Vorliebe schon seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. auf, im Jahre 43 v. Chr. war von den Triumviren selbst ein Tempel des Serapis und der Isis erbaut worden. Der persische Kult des Mithras war fast in allen Provinzen des römischen Reiches verbreitet.

Die jüdische Propaganda wurde auch sehr eifrig betrieben. Christus sagt nach Matthäus Kap. 23, 15 den Pharisäern, daß sie Meer und Festland durchstreichen, um einen einzigen Proselyten zu machen. Von diesen Proselyten wurde übrigens nicht viel verlangt. Wie wir aus Philo entnehmen, war bei den hellenistischen Juden die Abstammung von Abraham Nebensache, die Reinheit des Gottesbegriffes die Hauptsache. Es gab sogar Heiden, die, obwohl sie der heidnischen Religion treu blieben, dennoch einige Satzungen des Judentums beobachteten. Nicht einmal die Beschneidung wurde von allen Proselyten verlangt, das sibyllinische Orakel verlangt außer der Verehrung Gottes, statt der Beschneidung bloß ein Reinigungsbad.

Als König Izades sich zum Judentum bekehren wollte, riet ihm ein Jude Namens Ananias von der Beschneidung ab, indem er bemerkte, daß er auch ohne Beschneidung Gott dienen und selig werden könne. Die Beschneidung verpflichtete natürlich zur Haltung des gesamten jüdischen Gesetzes. So sehen wir, daß sich überall, wo es jüdische Gemeinden in der Diaspora gab, ihnen ein Anhang gottesfürchtiger Heiden anschloß. Dieselben befolgten die jüdische Gottesverehrung, sowie einige wenige Satzungen des Judentums, waren jedoch nicht beschnitten. Hierdurch unterschieden sie sich von den eigentlichen Proselyten, welche infolge der Beschneidung zur Beobachtung des gesamten jüdischen Gesetzes verpflichtet waren.

Hiermit ist, glaube ich, der Beweis geliefert, daß die Juden in ihrem Verhalten zu den Völkern der antiken Welt niemals durch andere Rücksichten geleitet worden sind, als durch religiöse, und daß der Haß und die Abneigung, deren sie sich bei Griechen und Römern erfreuten, ausschließlich die Folge war ihres ihnen durch ihre Religion gebotenen Verhaltens zu den Nichtjuden.

Intoleranz, Fanatismus und dazu die Lehre von ihrer Auserwählung und von einem künftigen Messias, der alle Völker unter das Szepter eines Sprößlings vom Stamme David bringen würde, das ist der Kern der Geschichte der Juden seit der babylonischen Gefangenschaft; das sind die Momente, die zum Untergang des jüdischen Staates geführt haben.

Nun höre ich wohl was die Antisemiten darauf antworten werden. Sie können entgegenhalten, daß eben diese Intoleranz, dieser Fanatismus, diese Exklusivität zum Wesen des Judentums gehört, daß gerade das hier Beschriebene ein Beweis ist von ihrer Schlechtigkeit und Inferiorität, daß es gerade diese Dogmen und Lehren, dieses Verhalten zu den Nichtjuden ist, für welches das ganze Volk verantwortlich gemacht werden soll und Verabscheuung verdient. Nun, die Antisemiten hätten Recht, wenn es nicht nachweisbar wäre, daß diese Eigenschaften und dieser Größenwahn, diese stolzen Dogmen mit ihrer Intoleranz von der Auserwählung des Volkes, Strafbarkeit des Irrtums, ausschließlichen Seligmachung, Messias, erst dem neueren Judentum und nicht dem Glauben des Israels der vorprophetischen Zeit angehören, daß diese Lehren, Sitten, Gebräuche, Ideen und Dogmen dem Volke Israel verhältnismäßig spät eingeimpft worden sind. So behauptet nämlich die neueste Bibelkritik.

Israels Gott hat einen Eigennamen Jahwe. Er war anfangs bloß der Nationalgott Israels; er ist einer neben anderen Göttern nämlich neben den Göttern der fremden Völker. Der Gegensatz von Gott im alten Israel waren die Götter der Fremden, deren Existenz als Götter vollkommen anerkannt war und die nicht für Götzen oder Nichtgötter, Nichtigkeiten oder gar Dämonen gehalten wurden. Die Existenz des Kemosch als wirklicher Gott der Moabiter, des Baal als wirklicher Gott der Sydonier, des Baal Zebub als wirklicher Gott Ekrons wurde von niemandem bezweifelt. Jene Götter haben ihren Völkern ihre Länder gegeben und beschützen sie. Dies war die altisraelitische Auffassung, wie aus dem Buche der Richter 11. Kapitel erhellt. Der alte Israelite war ein theoretischer Polytheist, der gar nicht daran zweifelte, daß sogar er selbst im fremden Lande unter dem Einfluß der Götter jenes Landes steht, die dort mehr Einfluß haben, als sein eigener Nationalgott und daher Verehrung von ihm beanspruchen können. Man vergleiche das zweite Buch der Könige Kapitel drei, wo der Autor die Niederlage, welche die Juden im Kriege gegen den Moabiterkönig Mescha erleiden, aus dem Zorn des Landesgottes Kemosch erklärt. Man vergleiche auch den Vorwurf Davids gegen Saul: »Er zwinge ihn, indem er ihn aus Israel vertreibe, andern Göttern zu dienen« und seine Bitte, »es möge sein Blut nicht fern von Gottes Antlitz zur Erde fallen.« Salomo gestattete seiner moabitischen Gattin, ihren Gott Kemosch zu verehren. Elias, der blutdürstige Verfolger der Baal-Religion in Israel, lebte in Sarepta im Hause einer Anhängerin der Baal-Religion und ißt von ihren Speisen, und Naeman nimmt sich Erde aus dem Lande Israel mit, um in seinem Lande Jahwe dienen zu können. Salomo selbst gestattete seinen zahlreichen heidnischen Frauen nicht bloß ihre Nationalgötter zu verehren, sondern nahm in liebenswürdiger Weise sogar an deren Verehrung Teil. In der ganzen langen Zeit der Richter und Könige finden wir sehr wenige Beispiele von eigentlichem Fanatismus oder Intoleranz. Die grauenhaften Vernichtungen ganzer Völker auf göttlichen Befehl mit dem ausgesprochenen Zwecke, den Götzendienst zu vernichten, damit Israel nicht davon angesteckt werde, sind Erzählungen aus viel späterer Zeit und zum Zwecke niedergeschrieben, um den Juden den Abscheu vor dem Götzendienste einzutrichtern. Über Israels Kultur in vorprophetischer Zeit vergleiche das siebente Buch des ersten Bandes der Geschichte des Volkes Israel von Dr. Bernhard Stade.

Nach dem Gesagten ist es somit unrichtig, sich die Juden gleich von Anbeginn ihres Auftretens in der Geschichte an als fanatische Zeloten vorzustellen.

Der Antisemitismus hat begonnen, als die Thora und die Propheten niedergeschrieben waren; er existierte nicht zur Zeit der Richter und Könige. Auch weiß die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte vor und der ersten Jahrhunderte n. Chr. von keinem Antisemitismus der Griechen und Römer gegen irgend welche andere, sogenannte semitische Völker, d. h. semitische Sprachen redende Nationen, von denen mehrere im römischen Reiche existieren mußten und tatsächlich existierten, was auch sehr begreiflich ist, da alle Völker des römischen Reiches im Hellenismus aufgegangen und in der römischen Weltmonarchie zerschmolzen waren. Also gab es in der griechischen und römischen Welt überhaupt gar keinen Antisemitismus, sondern nur einen Antijudaismus, der selbst wieder mit der angeblichen jüdischen Rasse gar nichts, mit der jüdischen Religion dagegen alles zu tun hatte, was sonnenklar daraus folgt, daß sich die römische und griechische Antipathie gegen die Juden auch auf die nach Tausenden zählenden jüdischen Proselyten nichtjüdischer Abstammung erstreckte. Ich empfehle jenen Antisemiten, welche sich für die Stellung der Juden in der antiken Welt interessieren, das 374 Seiten starke Werk, welches Theodor Reinach unter dem Titel »Textes d'auteurs grecs et romains relatifs au Judaïsme« in Paris im Jahre 1895 veröffentlicht hat, gründlich zu studieren. Dort werden sie alle Texte der römischen und griechischen Schriftsteller, welche sich auf das Judentum beziehen, zusammengestellt finden. Sehr viele sind von gehässiger Natur. Die geehrten Leser dieses Werkes dürften dann wohl nie mehr versuchen, die bekannte Behauptung aufzustellen: »Die Juden waren den Römern und Griechen ebenso zuwider, wie uns Modernen; ihre Religion war den Römern und Griechen gleichgültig und doch herrschte damals überall ein heftiger Antisemitismus; also ist der Antisemitismus keine religiöse Frage und kann nichts Anderes sein, als eine Rassenfrage.« Die gründliche Falschheit dieser Behauptung habe ich in diesem Kapitel, wie ich überzeugt bin, zur Evidenz nachgewiesen. Der Trugschluß der obigen antisemitischen Behauptung liegt darin, daß sie irrtümlich voraussetzt, daß zum Entstehen des Phänomens des Antisemitismus, wenn er eine religiöse Frage sein soll, ein religiöses Bewußtsein und ein religiöses Empfinden desjenigen notwendig ist, der antisemitisch affiziert wird. Gerade diese Voraussetzung ist aber falsch. Es kann die antisemitische Antipathie auch entstehen blos in Folge von Eigenschaften und Taten des sogenannten Semiten; und wenn diese Eigenschaften und Taten in der Religion desjenigen wurzeln, der die antisemitische Antipathie hervorruft, so ist der Antisemitismus eine religiöse Erscheinung auch dann, wenn jener, der diese Antipathie empfindet, selbst ganz religionslos ist, ja des Ursprunges seiner Antipathie und des Grundes, aus welchem diese entspringt, sich gar nicht einmal bewußt wird. So belehrt uns denn die Geschichte des Antisemitismus im Altertum, daß derselbe durchaus auf Religion beruhte und auf nichts anderem.


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