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III

Intrigen und Betrachtungen

Je größer die Individualität eines Künstlers ist, desto größerem Mißverständnis ist er von Seiten des Publikums ausgesetzt. Der Kampf ums Dasein zwingt den Künstler, sein Bestes zu bringen, und so ist der Wettlauf auf das Äußerste angespannt. Um ihn herum mögen seine Kollegen, selbst seine Freunde hinsinken, wenn er nur als Stärkster obsiegt. Solange bei diesem Kampfe nur die Stärke des Siegers ausschlaggebend wird, wird niemand zu bedauern sein, denn es ist das Schicksal des Schwächeren, dem Starken zu unterliegen. Aber die Konkurrenz braucht leider oft gewundene Wege: Neid und Mißgunst werden mit allen Mittelchen angewendet, um den Gegner rücksichtslos zu Fall zu bringen. Es ist bekannt, daß unter den Künstlern aller Systeme die größten Machenschaften im Schwange sind und die größten Intrigen gesponnen werden. Dieses Strebertum wird von der Welt streng verurteilt – verurteilt, wenn der Ränkesüchtige sich verspekuliert hat. Dagegen wird er bewundert, wenn er im Kampfe Sieger bleibt und seine Gegner überwunden hat.

»Enthaltet Euch aller Kunstpolitik!« ruft man uns zu. Wer aber im Leben ehrgeizig ist und eine Rolle spielen will: –Halt! Da liegt bereits der Hase im Pfeffer. Wer hat dir als strebsamen Künstler geraten, eine Rolle spielen zu wollen? Mit aller Kraft ringe nach dem Höchsten, meinetwegen drücke deine Nebenbuhler rücksichtslos kraft deiner größeren Stärke an die Wand, daß sie nicht mehr jappen können, aber niemals um kleinliche Eitelkeiten, wie du sagst, z. B. »eine Rolle spielen wollen«, damit du unter hohlen Affen der größte Afferich wirst.

In dieser Rubrik, welche ich als Streberei bezeichne, gibt es auch noch eine Spielart, welche ich mit Leisetreter bezeichnen möchte. Sie trüben kein Wässerchen und scheinheilig lispeln sie, daß sie um nichts in der Welt jemand wehe tun möchten.

Ist es die Wahrheit dieser Blutleeren, so sind sie keine Künstler, denn bei diesen herrscht Temperament und impulsive Leidenschaft vor. Ist es aber Lüge, so ist sie die allerniedrigste Streberei, auf das Äußerste talentlos und in jeder Beziehung unkünstlerisch. Wenn dieser Mensch aber talentlos und unkünstlerisch ist, kann er doch niemals unter Künstlern vorwärts kommen? sagst du kopfschüttelnd. Dennoch is es so. In den höchsten Stellen sind diese Impotenten zu finden und spielen eine desto größere Rolle, je talentloser sie sind. Es soll weiter nichts bedeuten, als daß ich in dieser Schrift meine Erfahrungen zum Besten geben will, und da man nicht viel bedeutet, so ist das Intrigenspiel, was ich beobachten konnte, auch nicht bedeutend. Die größten und berühmtesten Künstler haben das Intrigenspiel allereifrigst betrieben. Man möge nur bei Vasari nachlesen oder im Benvenuto Cellini. Am berühmtesten sind wohl die Ränke, welche Bramante und Raffael gegen Michel Angelo in Szene setzten; es handelte sich dabei um nichts Geringeres, als die Malereien Michel Angelo's in der Sixtinischen Kapelle zu vereiteln. Vielfach sind grade unter den Künstlern der Renaissance das Gegeneinander und Füreinander sehr im Schwange. Ich will aber aus meiner Jugendzeit anfangen und schildern, was ich alles beobachtet und was ich alles erlebt habe. Ich hatte zufällig in der kleinen Akademie zu Königsberg genügend Gelegenheit, den Kampf ums Dasein bei den Lehrern untereinander zu erleben.

Unter den Lehrern war einer, welcher Otto Günther hieß. Er war zu der Zeit berufen worden, als ich ebenfalls meinen Kursus in der Akademie antrat. Der ehemalige Direktor Rosenfelder brauchte einen Nachfolger. So munkelte man, daß er an Stelle des verstorbenen Direktors kommen sollte. Deshalb hatte seine Stellung schon von vornherein einen Riß, weil schon genug Geschicklichkeit dazu gehörte, diesen Argwohn zu zerstreuen. Heydeck, der Schwiegersohn des Direktors Rosenfelder, hielt sich lediglich schon aus diesem Grunde zu seinem Nachfolger berufen. Da er bereits die Malschule als Lehrer an sich gebracht hatte, mußte er ihm jetzt die Korrektur der Modellklasse räumen. Das machte schon böses Blut, und bei der ostpreußischen Dickköpfigkeit und dem nationalen Charakter des Nachtragens war ein Gegner, wie Heydeck es war, absolut nicht zu unterschätzen. Er wartete ruhig ab, bis die Stellung des Neulings auch bei den anderen Kollegen ins Wanken kam. Einstweilen war grade er dem jetzigen stellvertretenden Direktor Max Schmidt, welcher ebenfalls wie Professor Otto Günther aus Weimar gekommen war, eitel Liebe und Freundschaft. Günther hier, und Schmidt da! nannten sie beide sich untereinander, und ich glaube, daß sie sich gegenseitig das ›süße Du‹ angetragen hatten. Das dauerte aber nicht lange. Der Argwohn auf den Direktorposten blieb latent, und bald sorgte die Fama für weitere Gerüchte, daß die Schüler der Landschaftsmalerei, z. B. also die Schule des Max Schmidt, durch Günther für die Figurenmalerei herübergezogen werden sollten. In dürren Worten wollte er die Mehrzahl der Schüler für sich gewinnen.

So wurde bald die Stellung der beiden Freunde arg erschüttert, und durch manche andere Zwischenträgereien wurde die Stellung Günthers noch unhaltbarer. Er war auch nicht von der festesten Gesundheit, und man munkelte schadenfroh, er litte an Verfolgungswahnsinn. Wenigstens sagte mir mein Freund Kohnert, und das machte bald die Runde in der Akademie, Günther wäre plötzlich ohne anzuklopfen in sein Atelier getreten und hätte ihn zur Rede gestellt, warum er über ihn so laut geschimpft hätte, daß man es deutlich in seinem Atelier hören konnte. Der Fall ist nie aufgeklärt worden; ob beide die Schuld daran hatten? Jedenfalls schwor Kohnert hoch und heilig, daß ihm nichts von Schimpfereien bewußt gewesen war. Für mich war Günther ein ausgezeichneter Lehrer und was noch mehr wert war: Er war mir ein väterlicher Freund. Geistvoll und sprühend zog er mich, den schwerfälligen und argwöhnischen Jüngling, zu sich heran. Auch kneipte er oft mit uns und zwang uns, daß wir bei unserem Trinken aus Hochachtung und ihm, dem Lehrer, zu Liebe, ein gewisses anständiges Betragen einhalten mußten.

Günther überredete uns – es mochte etwa im Juli 1878 gewesen sein – eine Studienreise nach Thüringen zu machen. Wir taten uns vier Akademiker zusammen und schnorrten uns die Fahrt vierter Klasse zusammen. Die Fahrt ging zum ersten Male nach Berlin und gar noch über Berlin. In Weimar holte uns Günther von der Bahn ab und spielte, da er doch Weimaraner war, den geschicktesten Führer, welchen wir nur haben konnten. Später sollten wir dann in Herges, ein von Malern besuchtes Dörfchen, einquartiert werden, und zwar bei dem dicken Emil. Der Pensionspreis war 2,25 Mark mit Kaffee nachmittags. Einstweilen blieben wir noch einige Tage in Weimar.

Zu jener Zeit war Weimar das steckengebliebene, ich möchte fast sagen das mumifizierte, verkapselte Gehäuse seiner größten Berühmtheiten. Es gab z. B. Leute, welche noch mit Goethe, Schiller oder Herder und Wieland gesprochen hatten, und man sah noch ehrfürchtig einem älteren Herrn nach, wie er über die Straße stieg, und man raunte dem Fremden ehrfürchtig zu: »ein Enkel Goethes«. Liszt und Wagner, welche die späteren Berühmtheiten waren, blieben den Thüringern schon weniger interessant.

Günther suchte natürlich dadurch, daß er mit sechs großen, forschen und jungen Leuten als seine Schüler in dem kleinen Nest herumzog, sich selbst in das gehörige Licht zu stellen. Für uns blieb aber der Atelierbesuch, wo wir damals berühmte Künstler kennen lernten, von ungeheurem Interesse und Vorteil. Bis heute ist mir der Besuch bei Preller und den andern stets in angenehmer Erinnerung geblieben.

Preller war der älteste und berühmteste Künstler, am berühmtesten war er durch seine Odyssee-Bilder geworden. Auf der Ober-Tertia hatten wir einem abgehenden Lehrer eine solche Mappe zu Erinnerung geschenkt. Als wir in sein Atelier eintraten, sah der kleine bärtige Herr zu uns herauf und konnte nicht genug seine Verwunderung ausdrücken, als er der Reihe nach die eintretenden jungen Riesen bewunderte, und als zufällig gerade der zuletzt eingetretene auch der körperlich größte war, war er geradezu baff und meinte, so was hätte er doch noch nicht gesehen. Er war sächsisch freundlich und unterhielt uns als gewandter Gesellschafter, dem schon Goethe ein Stipendium verschafft hatte, auf das Beste, fragte nach unsrer Absicht in der Kunst und allem, was sonst bei Antrittsvisiten üblich ist. Nächst Preller kamen wir zu Brendel, dem Direktor der Kunstschule. Günther zog sich vor diesem Besuch die Handschuhe an, als Zeichen, daß es hier wohl formeller zugehen würde. Er hatte in Arbeit einen Pferdemarkt - das war nun Wasser auf unsere ostpreußischen Mühlen. Wir wurden lebhaft und sprachen vom Pferdemarkt in Wehlau und manches andre. Brendel war ein stiller und fischäugiger Herr von sehr konventionellem Benehmen. Soche Berühmtheiten hatten wir im Leben noch nicht gesehen und ebenfalls nicht solche Prunkräume als Ateliers. Dann besuchten wir das Genie jener Weimarer Zeit, den Landschaftsmaler Buchholz. Er lebte still, melancholisch und zurückgezogen. In seinem Atelier standen viele Bilder kleinen Formats, welche grade zu jener Zeit von der Kritik so gelobt wurden. Die Kritiker nannten die Bildchen so sinnig ›die Natur im Morgenkleid‹. Es ist merkwürdig, wie viele neue Bilder bereits über die Welt ›gestürmt‹ sind, und doch wirkt das Neueste und Umstürzlerischeste nach einer Zeit von Jahren bereits harmlos und gar nicht stürmerisch. Nur Bahn bricht sich das wirklich Gute, und auch nur das Gute ist das Bleibende.

Wir kletterten dann zu einem Olaf Winkler in das Atelier. Der hatte nichts Geringeres gemalt als ›die Erde von den Kratern des Mondes aus gesehen‹. Er hatte mehrere Fassungen dieses Bildes: rund und in quadratischem Format, immer mit rotem Sammetrahmen. Der Künstler selbst schwärmte von diesen originellen Bildern. Er zweifelte gar nicht, daß er mit einem Schlage damit berühmt werden würde, und ich glaubte ihm dieses gern, denn mir imponierten diese Bilder kolossal. Tempi passati!

Unser Lehrer Günther führte uns eines Tages zu seinem liebsten Freunde Weichberger. Er war bei uns bereits sehr geschätzt durch seine Bucheninterieurs. Als wir in seine Wohnung eintraten, bot sich uns ein Familienidyll schönster Art dar. Ein starker, lustiger, rotlockiger Mann schwang ebensolchen nackten Jungen in dem Zimmer herum, und die Mutter, eine schöne üppige Frau, sah bewundernd und lachend zu dem ›Familienglück‹ empor. Wir wurden sehr schnell sehr befreundet und Weichberger ließ es sich nicht nehmen, seinen liebsten Freund und dessen Schüler den ganzen Tag überall hin zu begleiten, wo es für Maler etwas Interessantes zu sehen gab. Bei dem Niederschreiben des idyllischen Heims muß ich von einst auf heute gedenken: Vor einigen Jahren fuhren wir auch von Berlin nach Weimar, um den Künstlerbund zu gründen. Wir kneipten abends in der alten Hufschmiede, welche zum Künstlerklub arrangiert war, sehr animiert und sehr eifrig. Mit dem alten Landschafter Hagen kam ich ins Schwatzen, und wir erzählten einander eifrig von den vergangenen Zeiten, welche wir beide in Weimar durchlebt hatten. Er sagte mir, daß Weichberger ebenfalls hier wäre und, wenn es angängig wäre, würde er uns sehr gern miteinander bekannt machen. Nach einiger Zeit, als bereits dieses Gespräch fast vergessen und Hagen verschwunden war, trat er wieder ein mit einem ganz alten, gebückten, weißhaarigen Herrn, der geführt wurde von einem fetten, gleichgültig drein schauenden jüngeren Menschen. Hagen stellte mir die beiden vor als ›Weichberger und Sohn‹. Überrascht war ich, was oft die Zeit für einen Wechsel anrichten kann. Endlich mußten wir uns aber von Weimar losreißen, denn wir sollten nach Herges reisen, und Günther wollte auch fort zu seiner Familie nach Liebenstein. Teils zu Fuß, teils per Bahn zogen wir nach Herges. In den Dörfern tummelten sich die Bauern auf den Kegelbahnen. Wie wir bis jetzt nur auf Bildern gesehen hatten, trugen die Männer Pelzhauben, Kniehosen mit Strümpfen und langen weißen Röcken. Die Mädchen Kopftücher, Mieder mit vielen silbernen Knöpfen und kurzen Röcken. Ich dachte nie, daß es in der Natur so etwas Lustiges und Schönes geben könnte. In unsrer Heimat, in Ostpreußen, bewegten sich die Menschen schwerfällig und ernsthaft, ganz abgesehen von dem malerischen Kostüm, das bei uns ganz alltagsgewöhnlich aussah.

Über den Hügeln lag silbriger sommerlicher Dunst und die junge Saat sprießte in der heiteren Sonnenwärme fruchtbar empor in den verschiedensten Farben. Die Felder drehten sich bei der Schnelligkeit des Zügl's im Kreise herum. Wie eine Kutscherweste, sagte unser Anführer und Ältester Max Pentel, welcher als Lieblingsschüler Günthers auch bei uns eine große Autorität ausübte. Der Himmel hing uns buchstäblich voller Geigen. Endlich waren wir da, nachdem wir die letzte Strecke wieder zu Fuß querfeldein einschlagen mußten. Der dicke Emil war uns entgegen gekommen, er stellte sich als ein äußerst jovialer junger Wirt dar, der mit seiner Mutter und jungen Schwester zusammen die Wirtschaft führte.

Als wir angelangt waren, stellte der dicke Emil der Reihe nach sein ganzes Gesinde vor, seine Mutter, seine Schwester, die übrigens bildschön war, und einen jüngeren Mann, welcher ein bekannterer Maler aus Weimar war und wohl mehr auf der Seite zur Schwester gehörte. Freiersleben war sein Name. Er mochte Anfang dreißiger sein, für uns galt er als ein älterer Herr, der Pietät verlangte und Hochachtung uns jungen Bengeln gegenüber beanspruchte. Mit Günther war er von früher noch befreundet. Er gehörte zu jenen interessanten Künstlererscheinungen, wie sie in den Romanen vorkamen. Etwas münchnerisch angehaucht, mit ›einsamen Augen‹, verschlossenen Antlitzes, kurz und gut, wie sie Paul Heyse im ›Paradies‹ schildert.

Freiersleben erzählte mit besonderer Vorliebe, daß er dem berühmten belgischen Professor Pauwels zu einem jungen Landsknecht auf einer ›Inquisition‹ Modell gestanden hätte. Es war ihm nichts recht, und er hackte auf allem herum und nicht zum wenigsten auf meinem verehrten Lehrer Günther. Jetzt hätte er die goldene Medaille auf der Berliner Kunstausstellung am Kupfergraben erhalten. Nun gut, ›er‹ hatte ja niedliche Genrebilder gemalt; aber was ist er gegen Böcklin: ein Zwerg gegen einen Riesen. Böcklin fing grade zu jener Zeit an, seine ersten Erfolge einzuheimsen.

Mir war es vor allen Dingen unbegreiflich, wie jemand gegen meinen geliebten Lehrer derartige Blasphemien ausstoßen konnte. Zu jener Zeit verstand ich nicht, daß Gleichaltrige immer auf einander eifersüchtig sind. Gleichsam daß dem Einen der Erfolg des Andern in die Nase stinkt. Nichts ließ er gelten, auch den alten Preller nicht. Er wäre ein Kriecher und Streber; dabei führte er eine niedrige Geschichte in seinem Verhalten gegen Liszt vor. Liszt war hauptsächlich wegen seiner vielfachen Amouren gegen die Weiber berühmt. Zwischen mir und dem ewig nörgelnden Freiersleben war eine unüberbrückbare Antipathie eingetreten.

Aber dennoch ging die Zeit in Thüringen mit all dem Neuen im Fluge fort, und gar als erst die Kirmes vor der Tür stand. Auf den Dorfplätzen wurden Tanzböden und Buden aufgebaut. Von einem Dorf zum andern tönten lustige Tanzweisen herüber. Wir klapperten alle Dörfer in der Umgegend ab und stellten uns möglichst nahe an den erhöhten Tanzpodien auf. Die Buben drehten ihre Liebsten im Tanze herum, daß die Röcke flogen, daß sie wie ein aufgespannter Regenschirm bis zum Nabel zu sehen waren. Ländlich – sittlich. Weil wir uns mit den Sitten des Landes nicht zurechtfinden konnten, alles von der komischen Seite betrachteten und hauptsächlich mir jeder Takt fehlte, mich verständig zu benehmen, setzte es oft grobe Worte von Seiten der Bevölkerung ab und noch gröbere Püffe. Von Glück kann ich sagen, daß wir nichts Gefährlicheres erfahren hatten. Aber die Einheimischen besaßen mehr Klugheit und Takt, daß sie die Gäste ihre Dummheit nicht schlimmer entgelten ließen. In den Nächten hörten wir melancholische alte Volksweisen von Buben und Mägden gesungen, die verliebt Arm in Arm nach Hause strebten.

Endlich ging dieses Vergnügen auch zu Ende und wir mußten mit schwerem Herzen an unsere Heimreise nach Ostpreußen denken. Viele Freude hatten wir erlebt, ohne zu sehr unsere Dummheit und die Unannehmlichkeit der Menschen kennen gelernt zu haben; auch das Herz blieb unberührt. In Königsberg sollte das alte Leben, wie es früher war, wieder vor sich gehen. Wir sollten eine Klasse höher steigen zu Günther, welcher die Malschule für sich durchgesetzt hatte. Die Feindschaft der Lehrer spitzte sich immer mehr zu. Bei Allem wurde das Übelwollen sämtlicher Lehrer gegen den einen Günther bekundet. Der Oberpräsident von Horn, ein beliebter alter freidenkender Beamter, sollte seinen Abschied nehmen. Zur Erinnerung verehrten ihm die Schüler und Lehrer der Akademie eine Mappe mit Handzeichnungen. So war wenigstens die Absicht, aber Günther erlaubte es seinen Schülern nicht, ein Erinnerungsblatt hineinzuzeichnen, und verweigerte es für sich ebenfalls. Ob seine Schüler wirklich noch nicht reif genug wären, um derartige Blätter zu zeichnen, wie er sagte, möge dahingestellt bleiben, aber die Lehrer freuten sich, eine Falle für ihn zu finden, weil er es auch selbst refüsiert hatte. So plump wollte er nun doch nicht sein, Günther schenkte dem Oberpräsidenten persönlich ein kleines niedliches Bildchen: ›eine Thüringerin im Kostüm, einen Brief schreibend‹. Nun hatte er doch wieder den Vogel abgeschossen, und er wurde noch die kurze Zeit bei dem Beamten sehr beliebt. Er wandte sich von jetzt ab um Urlaubsgesuche etc. direkt an den Oberpräsidenten, seinen höchsten Vorgesetzten, und infolgedessen konnten die Lehrer nichts gegen ihn tun. Als der Sturm im Glase Wasser immer mehr tobte und die ganze Angelegenheit unhaltbar wurde, spielte Günther seinen letzten Trumpf aus: Er brachte es dahin, daß die talentvollen Schüler aus Königsberg auswanderten und durch seine Verbindungen an andere Akademien sich überweisen ließen. Mich bestimmte er für München zu Defregger, Rentel und Wellner, meine intimsten Freunde, nach Weimar und Großmann nach Berlin. Viele waren es ja nicht, aber für die Kleinheit der Akademie immerhin ziemlich einschneidend. Er selbst wollte um dieselbe Zeit wie die Schüler fortgehen. Für das Sommersemester 1880 war ich nun bei Defregger untergebracht, und im Herbst hatte Defregger befürwortet, daß ich zu Loeffz übergehen sollte. Nun habe ich bereits erzählt von meinen ersten Intrigen mit einem Kollegen aus der Malschule, als sie mich in das Komitee der maskierten Kneipe wählten und dann mich wieder absetzen wollten. Wenn es auch noch so harmlos aussah, verwundete es dennoch meinen Stolz. Als man auf mich als Komiteemitglied verfiel, war ich so eitel, daß ich nicht klug genug war, es glatt abzuweisen. Ich lebte immer ablehnend und verschlossen für mich allein. Es war immerhin sonderbar, daß alle Leute auf mich verfielen, ohne daß ich ein rechtes Verständnis für derartige Organisationen noch Erfahrungen besaß. Mein Feind hatte ganz recht, als er die andern auf mich hetzte mit dem Bemerken, daß es mir gefiele, weil ich nun mit Bekannten kneipen konnte. Trotz alledem mußte ich doch nicht zu untauglich gewesen sein, wie alle sagten, die mich verulken wollten, denn ich wurde auch bald in das engere Komitee gewählt für Dekorationen und literarische Aufsätze. Es war wohl doch das alte Prinzip des Ostpreußen: Etwas in die Hand nehmen und energisch ausführen. Mit der Zeit legte sich auch dieses Mißverständnis und ich wurde nicht allein befreundet mit meinen Kollegen, sondern auch als talentvoller junger Mensch von meinem Lehrer Loeffz geachtet. Professor Loeffz war ein sonderbarer Herr, launisch und übelnehmerisch. Als ich das Jahr abgedient hatte und mich bei Loeffz in die höchste Gunst gebracht hatte, brachen plötzlich unsre Gefühle für einander gegenseitig ab und es wurde mir klar, mich jetzt auf eigene Füße zu stellen, zuerst ein Privatatelier zu nehmen und dann sobald wie möglich fort von München, womöglich nach Paris zu gehen, wohin alle Welt zu jener Zeit strömte. Ich hatte aber gern das, was nicht jedermanns Art war. Der Aufenthalt in Paris war mir schon zu allgemein und vor allen Dingen die Gehässigkeit der Franzosen auf uns Deutsche seit dem Kriege war mir zu unangenehm, als daß ich mich dieser aussetzen wollte, denn die Meisten, ließ ich mir erzählen, verleugneten ihre deutsche Abstammung, um einigermaßen dort fortkommen zu können. Ich entschloß mich deshalb nach Antwerpen zu gehen. Von Bekannten aus einer Kegelbahn erhielt ich einige Empfehlungen an einen Maler Paul Eugène Gorge, welcher ein sehr angenehmer Mensch sein sollte, und dann würde ich allmählich schon mit anderen Künstlern bekannt werden. Als ich von München nach Belgien reiste, schrieb mir mein Vater, Günther wäre in Weimar gestorben. In Königsberg sollte von seinen Schülern, welche noch dort geblieben waren, ein ehrenvoller Nachruf in die Zeitung gesetzt werden. Diese harmlose Notiz wurde von dem Lehrerkollegium strenge gerügt, Professor Schmidt tadelte vor sämtlichen Lehrern und Schülern diejenigen, welche diese Nachricht in die Zeitungen gebracht hatten. Also Haß bis zum Tode, echt Ostpreußisch! Das war das Letzte, was ich noch von der Akademie hörte.

Ich hatte an Günther einen Studienkopf einer alten Frau geschickt, damit er meine Fortschritte konstatieren könnte. Mit dem Empfang der Studie teilten mir seine Angehörigen seine schwere Krankheit mit. Die Malerei behielten sie einstweilen da; in der Unruhe war es wohl natürlich. Aber nach dreißig Jahren tauchte sie wieder auf, und ich hörte von ihr, daß sie für mehrere tausend Mark verkauft wäre. Wenn ich früher selbst dafür fünfzig oder gar hundert erhalten hätte, so wäre ich vielleicht dem Größenwahn verfallen. Aber so verhinderte ein gutes Geschick, in diese Lage zu kommen, denn kein Mensch wollte überhaupt nur einen Pfennig für meine Malereien ausgeben.

In München hatte ich in der Augusta-Straße ein Erstlingsbild gemalt, ›der schwarze Plan‹ betitelt: Verbrecher, welche in einem Bodenraum mit obligaten Sonnenstreifen die Köpfe zusammensteckten. Dabei war ein großer Bernhardinerhund. Die Kritik verhöhnte mich wegen des Titels, so daß ich das Bild in ›ein Komplott‹ umtaufte. Während ich nach Antwerpen fuhr, schickte ich dieses Bild nach London zu einer Ausstellung, welche mich ›persönlich‹ eingeladen hatte. Nun schrieb man mir aus München, daß ich für dieses Bild eine bronzene Medaille erhalten hätte. Trotzdem ich noch so viel herumgeschrieben hatte, konnte mir niemand die tatsächliche Bestätigung über die Prämiierung geben. Mein Vater war im Sommer nach Antwerpen gekommen mich zu besuchen. Von dieser ewigen Ungewißheit wurden wir gegenseitig so nervös, daß wir mehr Schaden als Vergnügen von diesem mystischen Erfolg hatten.

Drei Monate hatte ich nun schon in Antwerpen geweilt, dazu noch den letzten Monat mit meinem Vater, und es gefiel mir immer weniger. Die wenigen Bekannten, welche ich durch Gorge erworben hatte, waren zwar liebenswürdig, aber sie sprachen nicht meinem Charakter zu, und in erster Linie wird es wohl daran gelegen haben, daß sie eine andre Nation waren; der echte Ostpreuße kann sich eben nicht mit Fremden zusammentun. Gorge z. B. fand ich so liebenswürdig und rein von Charakter, daß ich bis heute mit ihm befreundet bin. Wenn nicht heute der greuliche Weltkrieg unserm Verkehr ein Ende gemacht hätte, so würde er noch heute dauern. Ich ging nun auf gut Glück nach Paris. Es war mir gleichgültig, wie hoch mich die Franzosen einschätzen würden, nur heraus aus diesem langweiligen Nest. Oktober des Jahres 1884 traf ich in Paris ein und trat in die berühmte Akademie Julien ein. Dieses Institut war von einem geschickten Spekulanten gegründet und er verdiente wohl durch das vielfache Zusammenströmen der Ausländer sehr viel Geld.

Meine Lehrer waren Bougereau und Tony Robert Fleury. Sie wechselten jeden Monat ab. Namentlich Amerikaner und Engländer waren das Hauptkontingent und natürlich auch genug Franzosen, welche schon recht chauvinistisch sein konnten, aber während dieser drei Jahre, die ich dort blieb, mich ziemlich in Ruhe ließen.

Interessant war es bei der Eröffnung des Salon, da die Lehrer zu den einflußreichsten von Paris gehörten. Es korrigierten noch außer diesen beiden in anderen Ateliers Levèvre und Boulanger – so hatte das Institut einen großen Einfluß. Sie protegierten ohne Frage ihre Schüler, denn der Schüler gab im Sekretariat die Nummer seines Einlieferungsscheines an, wonach die Lehrer wußten, wieviele und was die Schüler eingeliefert hatten. Ferner war es auch wichtig für die médaille d'honneur. Da jeder Franzose, welcher einmal ausgestellt hat, das Recht hatte, seine Stimme für die médaille d'honneur zu geben, so waren die Lehrer auch eo ipso angewiesen, möglichst viele Stimmen unter ihren französischen Schülern zu werben. Im ganzen war das liebenswürdige Benehmen den Franzosen angeboren, namentlich wenn jeder Schüler die Bedeutung des Honorars mächtig steigerte. Der Leser hat hoffentlich nicht vergessen, daß mein erstes Bild ›Ein Komplott‹ in London die fragliche bronzene Medaille erhalten haben sollte. Nun wollte ich es im Salon ausstellen und ließ es an die Spedition Michel & Veinchel dirigieren. Darauf bat ich meinen Lehrer Bougereau, welcher mich besonders leiden mochte, das Bild anzusehen. Er sagte es mir zu und vergrößerte noch seine Liebenswürdigkeit, indem er mir sagte, daß wir beide das Bild beim Spediteur ansehen wollten. Ich war an dem bestimmten Tage bereits früh auf und konnte so das einsame Paris in der Morgenfrühe studieren. Ich war natürlich bereits da, als die Spedition noch vollständig geschlossen war, um ja nicht die Zeit zu versäumen. Als wir die Kiste aufmachen ließen, prangte uns bereits ein breites Schild entgegen mit der Aufschrift Bronz Medal. Also wirklich hatte ich die Auszeichnung erhalten. Bougereau, welchen ich noch schüchtern fragte, ob das Bild angenommen würde, gab eine unbestimmte Antwort: je crois oui, possible. Also trotz der Medaille, welche mir entgegenleuchtete! Nun kamen neue Befürchtungen: wenn es refüsiert wird, dann nützt mir ja doch die Auszeichnung nichts. Um aber dieses Schwanken zu beendigen, sei mitgeteilt, daß das Bild zwar auf einen miserablen Platz kam, aber immerhin aufgenommen war. Niemand war glücklicher wie ich. Einen Trost erblickte ich für meine Kunst in der Zukunft, in welcher sich schon alles zum Besten kehren würde.

Ich hatte mir vorgenommen, drei Jahre zu bleiben, um alles was in Paris zu lernen war, zu lernen; vor allen Dingen hatte ich den heimlichen Ehrgeiz, mit einer Auszeichnung im Salon wieder in Deutschland einzutreffen, und vor allen Dingen wollte ich niemals, wie es die übrigen Deutschen machten, infolge einiger Monate Aufenthalt in Paris sagen können, man hätte in Paris studiert. Mein Wunsch erfüllte sich nicht ganz, denn die Auszeichnung erhielt ich nicht, vielmehr wurde die Beschickung des Salons immer schwieriger, bis ich endlich im Jahre 1887 alle Bilder refüsiert erhielt. Dieses Unglück trieb mich nach Deutschland zurück. Ich fuhr nach Königsberg zu meinem Vater. Ich malte ihn und stellte dieses Bildnis in der Berliner Kunstausstellung, welche nach dem Lehrter Bahnhof verlegt war, aus. Der Erfolg fiel nur mäßig aus, in den Kritiken wurde ich arg vermöbelt. Es reizte mich aber, einen Versuch mit Berlin zu machen. Trotzdem ich zwei Seelen in der Brust hatte, von denen mich die intensivere nach München zog, wollte ich es doch in Berlin wagen. Zu jener Zeit stand Berlin in der höchsten Blüte. Die Bevölkerung war im Aufblühen begriffen, ein großes Interesse für Kunst war zuerst in der Entwickelung. Reichgewordene Finanziers waren vielfach vorzufinden, die tatsächlich etwas für die Kunst tun wollten. Malschulen waren für strebsame tüchtige Maler, die in der Tat etwas konnten, leicht zu gründen. Deshalb zogen viele junge Künstler von München nach Berlin herüber, und wenn einer gar Ausländer war, so war sein Glück bereits gemacht. Heute kann ich dieses alles von der Vergangenheit aus konstatieren. Aber zu der Zeit als ich daselbst auftrat, war ich ein verschüchterter junger Mensch, der nebst einem aufgestapelten Ehrgeiz, etwas lernen zu wollen, wohl in keiner Beziehung Mut und Entschlossenheit besaß, in abenteuerlicher Art etwas zu riskieren. Mein Vater war vollständig derselben Meinung und deshalb zog es mich auch wieder nach München, wo ich besser auf meine Art zu leben hoffte. Ich kann meinem Geschick nicht dankbar genug sein, daß es mich vor den Gefahren des schnellen Verdienenwollens durch meinen komplizierten Charakter bewahrte. Mein Verkehr in Berlin war interessanter Art. Ich suchte mit den jüngsten Berühmtheiten wie Stauffer-Bern und auch Klinger zu verkehren. Ich besuchte Stauffer-Bern in seinem Atelier in der Klopstockstraße. Dieses Atelier imponierte mir als Raum gewaltig. Ein merkwürdiges Schicksal, daß ich späterhin dieses Atelier die größte Zeit meines Berliner Aufenthaltes bewohnen sollte, wo ich meine besten Arbeiten geschaffen habe. Da ich nun schon einmal im Prophezeien bin, so möchte ich beinahe sagen, daß ich in diesem Atelier die größte Zeit meines Berliner Aufenthaltes verlebt habe. – Vielmehr heißt es vielleicht, daß ich mein ganzes Leben in diesem Berliner Atelier verbracht habe, denn wer weiß es? – Durch meine früheren Verbindungen aus München, welche ich möglichst aufrecht erhalten hatte, wurde ich wieder bekannt mit einigen Münchnern, welche nach Berlin herübergezogen waren, und durch diese hauptsächlich, wie ich schon sagte, mit Stauffer-Bern und Max Klinger. Das Leben in Berlin schien mir in jener Zeit unerschwinglich teuer, denn ich mußte mich knapp einrichten. Aber der gesellige Verkehr war immerhin möglich aufrecht zu erhalten. Wir schoben oft Kegel miteinander und vereinten uns sogar zu dem Weihnachtsfest. Aber bei der sentimentalen Stimmung, welche uns Deutsche hauptsächlich bei diesem Feste überfällt, wurde aus der brüderlichen Feier eine feindliche Dissonanz. Stauffer-Bern geriet mit mir aneinander und zwar so, daß ich ihn niemals mehr wiedergesehen habe. Er ging bald nachher nach Florenz, wo sich dann sein tragisches Schicksal entwickelt hat. Mit Max Klinger, welcher übrigens bei dem feindlichen Weihnachtsfest nicht mehr zugegen war, traf ich dann später in der Allotria in München nach Jahren zusammen. Er erinnerte sich meiner aus Berlin nicht mehr. Diese Gedächtnisschwäche verstimmte mich sehr. Es war für mich aber eine Lehre für das Leben, mit Vergeßlichkeiten vorsichtig zu sein, denn oft genug kam es mir auch vor, daß ich von jemand an ein Zusammensein erinnert wurde und daß ich mich oft verwunderte, warum der Frager pikiert sich von mir wegwandte, wenn ich keine Erinnerung daran mehr hatte. Von Ostern 1888 ging ich wieder nach Königsberg. Ich sollte meinem Vater etwas bei der Hand sein, denn er fühlte sich nicht ganz gesund. Im September wurde ich wieder zu einer Landwehrübung eingezogen. Als ich davon zurückkehrte, fand ich meinen Vater bereits sehr krank vor. Im Januar starb er, und ich mußte mich nun als einzelner Mensch versuchen durch's Leben zu schlagen. Bei einem Todesfall sind immer vielfache geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen. So arg viel sollte ich nicht vorfinden, denn mein Vater hatte stets vorsichtig gewirtschaftet, auch war der Besitz hauptsächlich in einigen Häusern angelegt. Ich mußte mich immerhin, so viele Fähigkeiten ich dafür besaß, praktisch betätigen, doch wollte ich meine Zeit für die Kunst in keinem Falle irgendwie verkürzen. Ich mietete einstweilen ein kleines Atelier und malte so gut ich es konnte. Ein Motiv aus der Pariser Zeit spukte mir immer noch im Kopfe herum, welches mich heftig verlangte, daß ich es malen mußte: ›Ein Leichnam Christi auf rotem Ziegelfußboden‹. Ich schickte es 1890 in den Salon und erhielt dort endlich die so heiß erstrebte ›Mention horable‹. Jetzt ist das Bild in der Galerie zu Magdeburg. So hatte ich nun doch meinen Zweck, freilich einige Jahre später, glücklich erreicht. Aber vor allen Dingen ermutigte mich dieser kleine Erfolg, um meine Zelte in Königsberg abzubrechen und nach München zurückzugehen. Im Herbst 1891 traf ich in München ein. München war zu jener Zeit sehr lebhaft und die Künstler waren gleich einem schwärmenden Bienenschwarm sehr unruhig und neuerungssüchtig. In Paris war der alte Salon in Marsfeld-Salon und dem alten Salon geteilt; zwischen neuem und akademischem, jungen und alten – Meissonier – und Bouguereau – wie viele Bezeichnungen noch sein mochten. Die deutschen Künstler, welche namentlich in München das nachmachten, was Paris ihnen zeigte, imitierten bald die Revolution aus Frankreich. Der Glaspalast war offenbar die akademische Richtung mit ihrer Kneipe der Münchner Genossenschaft; für die Revolutionäre fehlte ihnen vorläufig die Organisation, aber die Kneipe hatten sie schon, ›die Allotria‹. Hier tagte Lenbach mit seinen Adjutanten. Er hatte das unangenehme Gefühl, daß seine Mitglieder hier gegen seinen Glaspalast bösartig vorgehen wollten, und deshalb donnerte er wie ein Jupiter auf alle seine Untergebenen und wehe dem, welcher gegen seinen Stachel löcken wollte. Dennoch half es ihm nichts und man gründete die ›Münchner Sezession‹, die berühmteste aller neu gegründeten Vereinigungen. An der Spitze war Piglhein, ein schwerkranker, dem Tode naher Mann. Von ihm schreibt der große Kunstforscher Muther: »seine schönsten Bilder sind die, welche er nicht gemalt hat«. Sonst war die ganze Jugend und die talentvollsten Künstler auf Seiten der Sezession. Sie organisierten, was sie konnten, und hoben sich gegenseitig in den Himmel, denn im Beweihräuchern waren die Münchner von jeher Meister gewesen. In der Wirklichkeit waren es aber nicht die Künstler, welche arbeiteten, sondern es standen doch befähigtere Menschen vor dem Wagen und sorgten, daß die Maler ihn weiter schoben. Da war vor allen Dingen der langjährige, jetzt reich gewordene Geschäftsführer des Glaspalastes an der Spitze: Paullus. Ferner der Besitzer der Zeitung, die Münchner Neuesten Nachrichten: Hirth und wohl noch mehrere, welche ich aber nicht weiter kannte. Von Malern waren Freunde von Paullus der Tiermaler Zügel und der Landschaftsmaler Dill; letzterer wurde vor allen Dingen als ein befähigter Organisator gepriesen. Ich schwamm vergnügt in diesem Strome mit, stolz darauf, daß man mich als eine Stimme mehr schätzte, ferner hatte ich aber das instinktive Gefühl, daß ich in dieser Clique weiterkommen konnte. In unserm Hauptquartier, in der Allotria, versuchte zwar immer noch Lenbach zu fluchen und zu wettern. Er fühlte seine Macht aber stark in der Minorität und als kluger Präsident, wie er stets war, wollte er sanft beibiegen, damit ihm nur nicht seine persönliche Macht verlustig ginge. Die erste Ausstellung der Sezession war von allen bisher arrangierten Ausstellungen die bei weitem schönste. Junge Talente, wie Stuck, wurden hier berühmt und über den Schellenkönig gelobt. Jedoch wurde die erste Brandbombe in das junge Unternehmen geworfen, als sie noch wähnten die Früchte abpflücken zu können. Ob die Untat mit Bewußtsein geschehen ist oder aus Leichtsinn? Obgleich ich dabei maßgebend beteiligt war, so möchte ich doch glauben, daß die Tat ohne Überlegung geschehen war. Mein Freund Otto Eckmann nämlich hatte nur mir und noch einigen Intimen den Vertrag gekündigt, weil wir von dem Vorstande nicht unsern Wünschen entsprechend behandelt worden waren. Für raffinierte Überlegung sprach zwar die Schlauheit unseres Rädelsführers. Eckmann hatte, von langer Hand vorbereitet, einen Kontrakt mit der Genossenschaft geschlossen, daß wir vom Glaspalast einen Extraraum zur Verfügung bekommen sollten und zwar, damit wir nach unserm Belieben eine Ausstellung arrangieren könnten. Da Platz genug im Glaspalast war, so fanden die Genossenschaftler vom Vorstande keine Schwierigkeit mit uns zu konferieren. Im Gegenteil, sie glaubten wegen der großen Gehässigkeit auf die Sezession noch Dank zu ernten, weil sie dem Übel mit einem Hieb den Kopf abgeschlagen hatten. Sie hatten aber nicht mit der Eifersucht ihrer Vereinigung gerechnet. »Was!« sagten sie, »die Stärkeren sollten durch ihre Gemeinheit vorzügliche Plätze bekommen und wir ehrlichen Künstler sollten gar refüsiert werden oder uns mit miserablen Plätzen begnügen? Dös gibt es fein net!« Und sie stürzten den Vorstand samt ihrem Präsidenten Stieler. Der Kontrakt wurde für nichtig erklärt, wie in der Diplomatie das auch öfters vorkommt. Wir hatten uns so zu sagen zwischen zwei Stühle gesetzt. Unsre freie Vereinigung flog auf mit Glanz. Diese Hetze mit der Genossenschaft war ja mehr komisch, aber ein sehr dickes Ende kam nach. Wir waren mit den Spitzen der Sezession sehr befreundet, wir liebten uns sehr. Gesiegt hatten sie wohl jetzt, aber mit welcher Schwierigkeit! Wenn wieder eine neue Verschwörung – und geschickter geführt – gegen die heilige Sezession eingeleitet wurde? Da mußte gegen die Verräter ein Exempel statuiert werden, wodurch jedem Neuerer die Lust danach für immer vergehen sollte. Wir wurden boykottiert, exkommuniziert. Wenn ich jetzt in die Allotria kam und mich an einen vollen Tisch setzte, so war nach einigen Minuten um mich eine Öde und Leere. Die Leute waren alle wie weggeblasen. Und so ging es auch auf den Straßen, oder wo ich sonst die Bekannten anzutreffen pflegte. Ich kann nicht sagen, daß dieses Ausgeschlossensein auf meine Gemütsart angenehm wirkte. Nun hatten wir genügend Zeit darüber nachzudenken, warum wir dieses alles eigentlich getan hatten. Ja warum? Wir waren beliebt gewesen, hatten reizende Menschen gefunden, auf die man sich sogar in der Not hätte verlassen können. Neid hatten wir gegen niemand und auch niemand gegen uns. Und doch hatten wir fast das Gemeinste begangen, was Menschen nur gegeneinander begehen konnten. Wir hatten, wie es so manches Mal ging, gedacht: So haben wir es eigentlich nicht gewollt. Jedenfalls war dieses nicht für schwache Naturen. Einige fielen von uns ab und Leute, die der Gegenpartei wertvoll waren oder Verbindungen hatten, wurden in Gnaden wieder aufgenommen, aber um uns etwa vier Mann blieb die Einöde bestehen. Wir hielten die ›freie Vereinigung‹ zwar krampfhaft aufrecht, stellten sogar in Berlin einmal mit Erfolg aus – aber es wurde natürlich niemals das, was wir uns gedacht hatten. Und doch! – man arbeitete. In dem Arbeiten lag der einzige Genuß. Da niemand bestritt, daß das Unrecht auf unserer Seite war, so blieb es doch merkwürdig, daß einige wenige auf unsere Seite traten und überhaupt darüber viel gesprochen wurde, auf welcher Seite trotzdem das Recht wäre.

Jedenfalls weiß ich von mir selbst, daß ich nicht auf die Partei der ›Wohlgesonnenen‹ treten mochte. Ich liebte niemals als Herdenvieh mitzugehen, mit besonderer Leidenschaft schlug ich mich stets auf die Seite der Minorität und habe es nie bedauert. Denn da wir auf uns selbst gestellt waren, mußten wir viel intensiver arbeiten. Und siehe, das trug reichlich Frucht. Ausstellen konnten wir immer, wenn nicht in München, so doch in Berlin. Die Welt war groß, und die Hauptsache war die Tat. 1895 stellten Eckmann und ich im Glaspalast aus. Der erstere ›Lebensalter‹, ich eine ›Kreuzabnahme‹. Wir erhielten beide eine goldene Medaille. Außerdem wurde mein Bild ›Kreuzabnahme‹ von einem Maler zum ersten Mal in meinem Leben für 1350 Mark verkauft! Immerhin ein Zeichen, diese Auszeichnung unter wenigen zu erhalten.

Die Karnickel waren anfänglich Eckmann, Schlittgen, Exter, Strathman, Hans Olde, Behrens, Th. Th. Heine, Slevogt, Trübner und ich. Einige fielen bald ab und der Leser kann immerhin nicht abstreiten, daß die meisten Namen heute einen guten und stolzen Klang andeuten. In der Hauptsache standen Eckmann und ich bald allein. Zufällig bekamen wir bald Fühlung mit Schriftstellern – mit richtigen Dichtern. Ich hatte zwar früher einen schweizer Lyriker kennengelernt, dessen zweites Wort war: »Der Paul Heyse hier« und »Paul Heyse da«. Aber diese von jetzt waren schon von etwas anderem Kaliber: Der erste war Ruederer. Er bewohnte die Etage unter meinem Atelier. Und da er auch zu den Nörglern zählte, sympathisierten wir bald und mein Atelier klang bald von schmetterndem Dichtergezwitscher wider. Rueders Freund war zu jener Zeit – ich schreibe von 1894 ungefähr – der Dichter der ›Jugend‹ Max Halbe. Er war unter uns ein Herr ›bien arrivé‹. Ein ganz seltener Vogel, ein Genie unter uns allen war noch Frank Wedekind, dazu kam noch wie ein regelmäßiger Zugvogel im März, wenn die Münchner ihren Namenstag ›Joseph‹ feiern und der ›Zacherlbräu‹ von Salvator-Liedern ertönt: Otto Erich Hartleben, ebenfalls ein arrivierter Herr. Ihm lag sehr ernsthaft daran, die Humpen des köstlichen und schweren Salvators in ungezählter Anzahl Krüge hinter die Binde zu gießen. Seine Totenmaske sah ich im Jahre 1907 plötzlich im Atelier des Bildhauers Fritz Klimsch. Er war also auch mit ihm bekannt und wir erzählten wieder einander von seinem ›letzten Willen‹, daß er den Kopf abgeschnitten wünschte und extra verbrannt haben wollte. All diese trafen wir häufig in einer Vereinigung, die ›Nebenregierung‹, denn der Deutsche wird wohl vorläufig noch nicht ohne Vereinigung und Kneiplokal auskommen können. Uns beiden Malern war dieser Kreis vollständig neu und wir fanden ihn viel anregender, als früher mit den stumpfsinnigen Malern zusammen zu hocken. Der Interessanteste – von vielen, auch von uns angefochten, war ohne Zweifel Frank Wedekind. Uns blieb er unverstanden oder vielmehr, wir lachten uns eins und wollten vor lauter Hohn uns beinahe ausschütten. Im Café Minerva hielt einstmals Wedekind einen Leseabend über sein Theaterstück ›Sonnenspektrum‹. Wir lagen mehr auf der Erde, als daß wir gleich gesitteten Menschen auf Stühlen saßen, und kriegten Lachkrämpfe. Er deklamierte das Stück mit einem fast unheimlichen, ernsthaften Pathos, so daß man nicht recht wußte, war es seinerseits, daß er sich einen Ulk mit uns machen wollte oder war es ihm doch heiliger Ernst. Als er gar noch ein sentimentales Lied aus einem Akt zu singen anfing, waren wir vollständig aus dem Häuschen und wanden uns, schlugen mit der Faust auf den Tisch, daß Auerbachs Keller nichts dagegen war. Darauf fragte ihn Eckmann, ob er doch nicht die Karikatur zu weit getrieben hätte, und Wedekind antwortete ihm darob mit ernsthaftester Leichenbittermiene: »Mein Werk ist eine Ode an die Schönheit!« In dieser ernsthaften Pose leistete Wedekind gewaltiges.

Sein ›Erdgeist‹ wurde in München zum ersten Male aufgeführt, und wer Dichter in Premieren gesehen hat, weiß, wie aufgeregt sie sind und wie diese Aufregung den Schauspielern mitgeteilt wird. Dazu spielte Wedekind noch persönlich die Hauptrolle seines Stückes. Es wurde während des Spiels wie rasend gezischt und gelacht. Wedekind ließ sich aber nicht aus seiner Ruhe bringen. Mit der gleichen Ruhe sprach er die Paradoxe aus, welchen ein ungewollter Heiterkeitserfolg auf offener Bühne folgte, wie seinerzeit die Vorlesung in unserem Café Minerva. Wenn man aber nun noch wußte, daß hinter den Kulissen ein Detektiv lauerte, um Wedekind zu verhaften, weil er des Majestätsverbrechens angeklagt war, so blieb die diabolische Dämonie rätselhaft, daß er nach Schluß des Stückes noch Zeit gewinnen konnte, im nächsten Zuge nach der Schweiz zu entwischen. Rätselhaft, daß so viele Züge, welche ich bei andern so bewundern konnte, mich nicht bei Wedekind zum Enthusiasmus hinreißen konnten. Vielleicht bin ich doch dieses eine Mal von andern beeinflußt worden und habe in das Feuer geblasen, während es von andrer Seite geschürt worden. – Immerhin möglich!

Ein anderer dämonischer Mensch war Otto Erich Hartleben. Ich habe ihn schon einmal zitiert. In der Residenzstadt hatte er eine große Anhängerschaft; sie lachten über jedes Wort, welches er aussprach, denn er war als ein witziges Luder verschrieen. Aber vor allen Dingen litt er unter einem unauslöschlichen Durscht. Wo er einen guten Tropfen witterte, war er sofort da. Deshalb kam er regelmäßig zum frischen Anstich des Salvators nach München und verband diesen Ausflug zugleich mit einer Weinreise nach Tirol, etwa zum Batzenhäusl nach Bozen, wo der Wirt ihm einen nach ihm benannten Stuhl zu eigen gegeben hatte. Da konnte denn jeder neugierige Gast deutlich lesen: »hier hat Otto Erich Hartleben gekneipt.« Wiederum ergriff er auch gern die Gelegenheit, in Berlin Stellen zu zeigen, in die sonst ein Fremder sich nicht hinfand. Wo Hartleben mit einem Gast kam, war er stets herzlichst willkommen. Er war meistens beliebt wegen seines Witzes, der aber auch hin und wieder recht unangenehm die Opfer treffen konnte. Die Kneipreise fing er gemächlich und würdig an, steigerte sich aber bis lange nach Mitternacht und hörte dann überhaupt nicht auf. So lange Lokale offenhielten, und in Berlin gab es einige dieses Charakters, kneipte er weiter und zufällig mußte er den nächsten Vormittag ein Nickerchen machen, damit ihm sein Begleiter entwischen konnte. Wenn er dann sein Haus betrat, mußte seine liebe Frau Mopchen mit allen Hausmitteln ihn wieder in eine normale Fasson bringen. Trotzdem infolge seiner Debauchen seine körperliche Verfassung schon etwas klapprig wurde, ging es ihm pekuniär besser als früher. Er verdiente viel mit oft aufgeführten Stücken und kaufte sich am Gardasee ein schönes Haus, wo er allein seine letzte Zeit zubrachte, aber nicht etwa als Abstinenzler – nein! einen guten Trunk liebte er über alle maßen – und auch mit feminina generis. –

Unter diesem Verkehr mit Schriftstellern war es also weiter nicht verwunderlich, daß ich auch hin und wieder einzelne Töne in die Leier greifen wollte, zumal ich den Trieb schon immer hatte, meine Gedanken in geschriebene Worte umzuformen. Meine Aufsätze in der Schule hatte der Lehrer unter brüllendem Gejohle der Klasse laut vorgelesen und mich mit dem ›Carlchen Miessnick‹ im Kladderadatsch verglichen. Also alle Anwartschaft auf einen gewissen Stil war gegeben. Mit aller Mühe brachte ich aber nicht viel heraus. Da besuchte mich wie gewöhnlich mein Nachbar von unten, Joseph Ruederer, und ich nahm mir den Mut, den Aufsatz, welchen ich später ›der Lederhandel‹ betitelte, laut vorzulesen. Neugierig hörte er mir zu und sagte mir, daß die Geschichte interessant wäre, wie ich wohl selbst wüßte. Er gab mir einzelne Winke, wie man arbeiten sollte, wie der Leser meistens klüger wäre, als man selbst dächte, deshalb müßten überflüssige Sachen weggelassen werden, vor allem Andeutungen geben statt langer Erklärungen und dann vielfach mit Dialogen abwechseln etc. etc. Ich hörte mit gespitzten Ohren zu und korrigierte daraufhin eifrigst meinen Aufsatz. Ich konnte schon garnicht erwarten, bis er am nächsten Tage wieder heraufkam, um seinen Unterricht fortzusetzen. Aber das war die erste und einzige Erziehung, die ich in der Kunst des Dichtens erhalten hatte. Beim Eintritt in mein Atelier schien er nicht nur keine Erinnerung mehr an die gestrige Vorlesung zu haben, vielmehr zeigte er deutlich, daß er nicht mehr daran erinnert sein wollte. Deshalb ließ ich mich aber nicht entmutigen und versuchte in meiner Art mich zu verbessern. Als ich in Berlin ansässig wurde und mich bereits in einigen Artikeln in Zeitungen gedruckt sah, erhielt ich wieder neue Gesichtspunkte. Dieser Lehrer war ein kluger Verleger. Hatte Ruederer von der Intelligenz des Lesers gesprochen, so sprach mein neuer Lehrer von der Dummheit des Lesers und des Publikums. Sein Prinzip war, man könnte nicht oft genug dem Publikum unter die Nase reiben, worauf es dem Schreiber eigentlich ankomme, und man könnte dem Leser nicht oft genug wiederholen und immer in neuer Auffassung, was der Schreiber eigentlich gedacht haben wollte. Mir war das Interessante, daß der milde Beurteiler des Publikums ein fachmännischer Schriftsteller und der andere, welcher das Publikum en canaille behandelt wissen wollte – ein Verleger war. Jedenfalls ist mir die Aufgabe des Schreibens viel schwerer gefallen als irgend etwas anderes von meinen künstlerischen Betätigungen. Ob ich es hätte bei dem lateinischen Sprichtwort bewenden lassen: »si tacuisses etc.« – ist mir gleichgültig, habe ich doch an diesen meinen Arbeiten auch meine Freude gehabt!

Aber mit dem vielen Reden über die heutigen Dichter vergesse ich ganz, daß ich ein Maler bin und von meinen Kollegen ausgestoßen war. Ich war der einzige unter den Schlimmen, welcher hin und wieder die Allotria besuchte. Ich hoffte von der Zeit, daß Versöhnung uns blühen könnte, aber die Leute blieben härter, als ich es vermutete. Ich hätte manches drum gegeben, wenn ich die Vergangenheit hätte auslöschen können. Aber so muß man sich denn auch in diese Fügung des Himmels geben. Ich sprach bereits, wie an der künstlerischen Kraft meiner Produktion nichts schwächer geworden war. Im Gegenteil, ich fühlte ein Erstarken und ein Vorwärtskommen, dessen ich mir vollauf bewußt war und mich freute. Von der ›Kreuzabnahme‹ und dessen Erfolge sprach ich bereits. Als nächstes Bild hatte ich eine ›Salome mit dem Haupte des Johannes‹ in der Arbeit. Ich fand dieses Bild ganz gelungen und glaubte, wenn ich an die Sezession schriebe um Papiere zur Ausstellung, würde man mir diese wohl ohne weiteres schicken. Es war vergebliches Hoffen. Der Vorstand refüsierte. Nun zeigte ich das Bild meinem Freunde Walter Leistikow, der gerade in München für die Berliner Sezession agitierte. Er war enthusiasmiert davon und bat mich, das Bild der Berliner Sezession zu geben, die es mit tausend Freuden ausstellen würde, und er erwartete von diesem Bilde einen kolossalen Erfolg. Es traf so ein. Ich wurde für Berlin eine ›Kapazität‹. Schon seitdem mit der Münchner Künstlerschaft keine Versöhnung zu erzielen möglich war, hatte ich Blicke nach Berlin zur Übersiedelung hinübergeworfen. Als geborener Preuße schien es mir nur natürlich zu sein, mein Fortkommen dort zu suchen. Helfen und getreulich zur Seite stehen wollte mir Walter Leistikow. Unsere Bekanntschaft hatte sich im Laufe der Zeiten zu einer Freundschaft entwickelt. Er überredete mich mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, und versprach mir goldene Berge. Der Aufschwung Berlins, die Verbindungen mit wichtigen Persönlichkeiten versprachen, daß ihre Sezession, welche er in Verbindung mit Liebermann gegründet hatte, reüssieren mußte. Die Talente, welche in Berlin freilich noch etwas knapp waren, glaubte man durch Herüberziehen aus anderen Städten Deutschlands nach Berlin bald beglichen zu haben. Von dieser Seite konnte ich es auch nur ansehen, daß er so sehr in mich drang, nach Berlin zu gehen. Ich war für sein Werben ein Talent mehr zur Festigung der Berliner Sezession. Ich wollte aber vollständig sicher gehen und nicht das schmutzige Wasser ausgießen, bevor ich das reine hatte. Deshalb mietete ich ein provisorisches Atelier in der Lützow Straße auf ein halbes Jahr und behielt meine Münchner Wohnung noch auf weiteres.

Das nächste Bild war Perseus und Andromeda. Es wurde eines meiner schwierigsten Bilder. Projektiert war es auf die Breite von drei Metern mit Pferden und Pagen, sowie einem ganzen Drachen und Amoretten. Rechts aus den Berghöhlen treten Frauen mit Schmuckgegenständen. Da es aber mich nicht befriedigen konnte und ich an der Schwierigkeit meiner Aufgabe fast verzweifelte, schnitt ich es eines schönen Tages auf ein solches Minimum herunter, daß nur die beiden Hauptfiguren blieben, links deutete ich anstatt des Pferdes eine See an und rechts die Schnauze des Drachens und Berge ohne Figuren.

Ich war insofern nicht befriedigt, weil ich das Bild nicht in meinem ursprünglichen Entwurf beibehalten hatte, was mein Hauptprinzip war, aber allmählich befreundete ich mich doch damit und heute gilt es als eines meiner besten Bilder. In dem halben Jahr (Winter von Oktober), das ich in Berlin zubrachte, studierte ich das Wesen der Großstadt und war entschlossen, als ich im April noch einmal nach München zurückfuhr, für den Herbst endgültig meinen Wohnort nach Berlin zu verlegen. Von der Intrige gegen die Münchner Sezession mit meinem Freunde Otto Eckmann, als ich die Kreuzabnahme malte, datiert mein Aufstieg. Ich kann wohl mit Recht behaupten, daß gleich das erste Jahr in Berlin ein bedeutender Höhepunkt war. Als ich von München Abschied nahm, hinterließ ich keine Freunde, nur böse Erinnerungen. Die beiden Freunde, welche ich im Leben hatte, Otto Eckmann, welcher bereits ein Jahr früher nach Berlin gezogen war, um eine Berufung an die Kunstgewerbeschule anzunehmen, und Walter Leistikow, welchen ich bereits bei meinem früheren Aufenthalt 1887 kennengelernt hatte, hatten mich mit Ratschlägen, den Wohnsitz zu wechseln, eifrigst unterstützt und ihnen habe ich auch zu danken, daß alles pünktlichst eingetroffen ist, wie wir es verabredet hatten. Im Anfange des Jahrhunderts, von 1900 an, war Berlin nicht mehr ganz auf der nervösen Höhe, wie es in den achtzehnhundert achtziger Jahren war. Aber man konnte annehmen, daß es dafür auch stabiler bleiben würde. Größere Fortschritte und eifriges Studieren an mir selbst konstatierte ich, als ich die geplante Malschule eröffnete. Die oberflächlichen Münchner Bekannten lachten sich eins, wenn sie hörten, daß ich eine Malschule eröffnen wollte. Aber die Erfahrungen Leistikows und sein Versprechen, mir in jeder Beziehung darin zu helfen, waren viel mehr wert als die äußerlichen und nichtssagenden Bemerkungen der Münchner Bekannten. Ich fühlte den Beruf in mir, Lehrer zu sein und darin täuschte ich mich nicht. Tatsächlich habe ich bis zum Ausbruch des Weltkrieges eine sehr große Menge von Schülern und Schülerinnen ausgebildet und kann mit Recht sagen, daß ich auch eine ziemliche Anzahl herangebildet habe, welche für die zukünftigen Zeiten tüchtige Menschen zu werden versprachen. Für mich war aber die Malschule zugleich ein Arbeiten an mir selbst. Nun wurde mir auch zuerst vieles klar, was meine Lehrer mir bereits früher begreiflich machen wollten. Fortwährend Modelle um sich sehen, ist ebenfalls höchst lehrreich. Auf jeden Fall rate ich einem Künstler, seine letzte Vollendung durch Unterricht selbst zu erringen zu suchen. Ich möchte noch die Bilder, welche ich in jener Zeit gemalt hatte, anführen; vielleicht, daß sie in kommenden Jahren zu den besseren jener Zeit gezählt werden: ›Mädchen mit Stier‹, ›Der Harem‹, ›Jugend des Zeus‹ und ein Bild, auf das ich große Stücke halte, ›der Frauenräuber‹ von 1904. Ferner zahlreiche Bildnisse, welche die Kunsthallen Bremens, Hamburgs, Mannheims erworben haben. Eines macht mich aber besonders stolz: Auch in meiner Heimat fing man allmählich an, sich für mich zu rühren, so daß es von mir nicht heißen kann: »Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande«. Sowohl in Königsberg wie in meiner Geburtsstadt Tapiau traten Männer für mich ein, welche im besten Sinne auf mich als Künstler aufmerksam machten.

Ninhagen bei Doberan, 8. Juni 1917


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