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Vorwort

Lovis Corinth begann seine Erinnerungen aufzuschreiben, als unser Sohn Thomas zwei Jahre alt war. »Der kleine Junge«, sagte Corinth zu mir, »ruft mir die eigene Kindheit zurück.« Von da ab sah ich ihn am Schreibtisch.

Corinth liebte seine Heimat und vergaß sie nie. In seinem Atelier in Berlin hing ein Erntekranz. Als wir jung verheiratet waren, erzählte er mir, daß es der letzte Erntekranz sei, den er von daheim habe. Er nahm ihn mit sich, als er nach München übersiedelte, und er nahm ihn nochmals mit sich, Jahre später, als er nach Berlin zog.

Im Atelier in Berlin stand auch eine große dunkle hölzerne Kaffeemühle. Das war die Kaffeemühle seiner Mutter gewesen. Auch dieses Symbol vom heimatlichen Leben hatte er stets bei allem Wechsel der Städte mit sich genommen.

Der alt-ehrwürdige Schreibtisch mit der Roll-Lade, der dem Vater gehört hatte, der zog auch mit ihm mit. An diesem Schreibtisch schrieb Corinth seine Erinnerungen.

So gern und soviel erzählte mir Corinth ›von zuhause‹. Er machte mich so vertraut mit seiner Jugendzeit, daß es mir erschien, als hätte ich ihn damals schon gekannt. Dabei lernte ich ihn erst kennen, als er 45 Jahre alt war. Als er, wie er scherzend sagte ›mein Herr Lehrer‹ wurde und ich sein ›Fräulein Schülerin‹. Das war zur Zeit, als er in Berlin seine Privat-Malschule eröffnete.

Nicht genügte es ihm, mir von der Heimat zu erzählen. Er wollte sie mir zeigen.

Wir reisten, jung verheiratet, nach Königsberg, ans Kurische Haff und schließlich zu seinem Geburtsort Tapiau.

Wir standen vor seinem Geburtshause. Er zeigte mir im ersten Stock ein Fenster. »Dort war mein Zimmer, und da vom Fenster heraus habe ich als Junge mein erstes Bild gemalt. Ein kleines Aquarell.«

Ich wollte gern hineingehn, das Haus und speziell sein Stübchen zu besichtigen. Jedoch er hielt mich zurück. »Da wohnen jetzt fremde Leute, besser Du siehst es von außen.«

All die Kindheitserinnerungen waren ihm gegenwärtig geblieben. Von den reichlich urwüchsigen Scherzen, die er gemeinsam mit den andern kleinen Bauernjungen getrieben hatte, erzählte er mir lachend. Es blieb das alles so frisch in ihm erhalten, daß es mir 60 Jahre später gelang – in den letzten Tagen seines Lebens –, ihn daran zu erinnern, und ein schwaches Lächeln überlief die ernsten Züge.

Als unser Sohn Thomas 19 Jahre alt war, nahm Corinth ihn mit nach Ostpreußen, im Jahre 1924. Corinth war nach Königsberg zum Kant-Jubiläum und zu seiner eigenen Kollektivausstellung eingeladen. Er wollte dem Sohn die Heimat zeigen. Auch hinaus zum Kirchhof nahm er ihn, um ihm die Gräber der Eltern zu zeigen.

Lovis Corinth liebte seinen Vater abgöttisch. In unserem Wohnzimmer in Berlin mußte stets ein Porträt seines Vaters, welches er gemalt hatte, gegenüber seinem breiten Ledersessel hängen. »Es vergeht kein Tag«, sagte er oft zu mir, »da ich nicht an den Vater denke.« Und sein Blick weilte stets auf dem Porträt.

Doch ebenfalls seine Mutter, die starb als er 13 Jahre alt war, was er in seinen Erinnerungen besonders ergreifend schildert, hielt er hoch in Ehren.

Unsere Tochter ›Mine‹ erhielt ihren Namen im Gedenken seiner Mutter Wilhelmine. Von der Tochter Mine malte Corinth ein Kinderporträt, welches mit zu den Hauptwerken seines Schaffens gezählt wird und unter dem Titel ›Mädchen mit Zöpfen‹ geführt wird.

Obwohl mir, wie ich schon sagte, durch Corinths Erzählen seine Kinderzeit und Jugendjahre vertraut waren, so war mir dennoch das Manuskript im ganzen Zusammenhang unbekannt geblieben. Erst als ich nach Corinths Tode den Schreibtisch ordnete, fand ich es. Seine Worte auf der ersten Seite, in welcher Art und Weise er seine Biographie redigiert zu haben wünschte, waren mein Leitmotiv. Ich tat es in pietätvoller Liebe. Ebenfalls wählte ich das Bildmaterial und stellte es dem Buche folgend zusammen.

Corinth sprach mit unverkennbarem ostpreußischem Dialekt und lachte herzlichst, wenn ich, die Berlinerin, ihn damit neckte und ebenfalls versuchte, ostpreußisch zu sprechen.

Wir lachten wohl gern, jedoch im Grunde war sein Wesen ernst. Seine Heimaterde gab ihm Melancholie und Schwerblütigkeit. Aber sie gab ihm auch eine gewaltige Kraft, sein Lebenswerk auszuführen, das hohe Ziel zu erreichen, welches er seinen Gaben gesetzt hatte: daß aus dem kleinen ostpreußischen Gerbermeisterssohn ein großer deutscher Maler werde. Auch strotzende Sinneskraft gab ihm die Heimaterde. In seinen mittleren Lebensjahren malte er sich gern als Ritter, oder als ›Gröhlender Bacchant‹ oder ein blühendes Weib im Arm und den Becher mit funkelndem Wein zu den Lippen führend.

Da nun hier die zweite Auflage seiner Erinnerungen vorliegt, wird, dreißig Jahre später, eine neue Generation in den Seiten seines Buches blättern.

Ich glaube, heute wie damals, als das Buch erschien, wird der Leser erschüttert sein von der Treue der Bekenntnisse. Heiteres und Herzeleid, Gefahren, Sehnsüchte und Hoffnungen, berichtet mit der Fähigkeit zu gestalten, strömen dem Leser zu. Getragen von der Liebe zur Heimat, zeichnet Corinth in diesen Erinnerungen die Anfänge seines Lebens nach, die alle Vorbereitungen waren für sein großes Werk als Maler.

Lovis Corinth starb in Zandvoort in Holland am 17. Juni 1925. Er war, 67 Jahre alt, nach Holland gereist, um noch einmal die Werke von Rembrandt und Franz Hals zu sehen.

Charlotte Berend-Corinth

New York, Oktober 1953


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