James Fenimore Cooper
Der Pfadfinder
James Fenimore Cooper

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Obgleich der Soldat im Getümmel der Schlacht die Gefahr und selbst den Tod mit Gleichmut betrachtet, so bringt doch, wenn sich der Hingang der Seele verzögert und Augenblicke der Ruhe und Betrachtung eintreten, der Wechsel gewöhnlich ernstere Gedanken, Reue über die Vergangenheit, Zweifel und Ahnungen über die Zukunft mit sich. Mancher ist schon mit dem Ausdruck des Heldenmuts auf seinen Lippen heimgegangen, während sein Herz schwer und trostlos war; denn wie verschieden auch unsere Glaubensbekenntnisse sein mögen: Ob unser Hoffen auf der Vermittlung Christi, auf den Verheißungen Mohammeds oder auf irgendeiner andern ausgebildeten Allegorie des Ostens beruhe – es gibt nur eine allen Menschen gemeinsame Überzeugung, daß nämlich der Tod nur eine Übergangsstufe von diesem zu einem höheren Leben sei. Sergeant Dunham war ein tapferer Mann; aber er stand im Begriff, einem Lande entgegenzugehen, in dem ihm Entschlossenheit nichts nützen konnte; und da er sich immer mehr und mehr von der Erde losgerissen fühlte, so nahmen seine Gedanken und Betrachtungen die für seine Lage passende Richtung, denn wenn es wahr ist, daß der Tod alles gleich macht, so ist nichts wahrer, als daß er alle zu denselben Ansichten von der Eitelkeit des Lebens zurückführt.

Pfadfinder war zwar ein Mann von sonderbaren und eigentümlichen Gewohnheiten und Meinungen, aber auch zugleich nachdenksam und geneigt, alles um sich mit einem gewissen Anstrich von Philosophie und Ernst zu betrachten. Die Szene im Blockhaus erweckte daher in ihm nicht gerade neue Gefühle. Anders war es jedoch mit Cap. Rauh, eigensinnig, absprechend und heftig, war der alte Seemann wenig gewöhnt, selbst auf den Tod mit jenem Ernst zu blicken, den die Wichtigkeit eines solchen Augenblicks fordert: Und ungeachtet all dessen, was vorgegangen, und trotz der Achtung, die er gegen seinen Schwager hegte, trat er jetzt an des Mannes Sterbebette mit einem großen Teil jener stumpfen Gleichgültigkeit, die die Frucht des langen Aufenthalts in einer Schule war, die, obgleich sie viele Lehren der erhabensten Wahrheit gibt, im allgemeinen ihre Mahnungen an Schüler verschwendet, die nur wenig geneigt sind, daraus Nutzen zu ziehen.

Den ersten Beweis, daß er nicht ganz in die feierliche Stimmung paßte, die dieser Moment bei den übrigen hervorbrachte, gab Cap dadurch, daß er eine Erzählung der Ereignisse begann, die den Tod Muirs und Pfeilspitzes herbeigeführt hatten.

»Beide lichteten ihre Anker in aller Eile, Bruder Dunham«, schloß er, »und du hast den Trost, daß andere dir auf deiner großen Reise vorausgegangen sind, und noch obendrein solche, bei denen du keinen besonderen Grund hast, sie zu lieben, was mir in deiner Lage viel Vergnügen gewähren würde. Meister Pfadfinder, meine Mutter sagte mir immer, daß man den Geist eines Sterbenden nicht niederbeugen, sondern durch alle geeigneten und klugen Mittel aufrichten müsse; und diese Neuigkeiten werden dem armen Mann eine große Erleichterung verschaffen, wenn er anders gegen diese Wilden fühlt wie ich.«

Bei diesen Nachrichten erhob sich June und schlich sich mit lautlosem Tritt aus dem Blockhaus. Dunham horchte mit leerem, starrem Blick, denn das Leben löste allmählich so viele seiner Bande, daß er Pfeilspitze ganz vergessen hatte und sich nicht mehr um Muir bekümmerte. Nur nach Eau-douce fragte er mit schwacher Stimme. Dieser trat auf die an ihn ergangene Aufforderung heran. Der Sergeant blickte ihn mit Wohlwollen an, und der Ausdruck seines Auges bewies, daß er das Unrecht bereue, das er dem jungen Mann in Gedanken zugefügt hatte. Mabel kniete an seiner Seite und drückte bald seine feuchte Hand an ihre Stirne, bald benetzte sie die trockenen Lippen ihres Vaters.

»Euer Schicksal wird über ein kurzes auch das unsrige sein, Sergeant«; sagte Pfadfinder – von dem man nicht gerade sagen konnte, daß ihn diese Szene ergriff, denn er war vorher zu oft Zeuge von der Annäherung und dem Sieg des Todes gewesen, obgleich er den Unterschied zwischen dessen Triumph in der Aufregung des Schlachtgetümmels und der Ruhe des häuslichen Kreises ganz fühlte – »und ich zweifle nicht daran, daß wir uns später wiedertreffen werden. Es ist zwar wahr, Pfeilspitze ist seinen Weg gegangen; es kann aber nimmer der Weg eines guten Indianers sein. Ihr habt ihn zum letztenmal gesehen, denn sein Pfad war nicht der Pfad eines Gerechten. Das Gegenteil zu denken, wäre gegen alle Vernunft, was auch meiner Ansicht nach bezüglich des Leutnants Muir der Fall ist. Solang Ihr lebtet, habt Ihr Eure Pflicht getan, und wenn man das von einem Mann sagen kann, so mag er zur längsten Reise mit leichtem Herzen und rüstigen Füßen aufbrechen.«

»Ich hoffe so, mein Freund; ich hab' wenigstens versucht, meine Pflicht zu tun.«

»Ja, ja«, warf Cap ein, »die gute Absicht gilt für eine halbe Schlacht; und obgleich du besser getan hättest, auf dem See draußen zu bleiben und ein Fahrzeug hereinzuschicken, um zu sehen, wie das Land liege, was allem eine ganz andere Wendung hätte geben können – so zweifelt doch niemand hier – und auch wohl niemand anderswo –, daß du in der besten Absicht handeltest, wenn ich das glauben darf, was ich von dieser Welt gesehen und von einer anderen gelesen habe.«

»Ja, es ist so; ich hab' alles in bester Absicht getan!«

»Vater! o lieber Vater!«

»Mabel ist durch diesen Schlag back gelegt worden, Meister Pfadfinder, und kann nur wenig sagen oder tun, was ihren Vater über die Untiefen bringen könnte; wir müssen deshalb um so ernstlicher an den Versuch gehen, ihm einen freundlichen Abschied zu bereiten.«

»Hast du gesprochen, Mabel?« fragte Dunham und richtete die Augen auf seine Tochter, da er bereits zu schwach war, seinen Kopf zu wenden.

»Ach Vater, verlaßt Euch nicht um Eurer Handlungen willen auf die göttliche Gnade und Erlösung, sondern vertraut allein auf die segensreiche Vermittlung unseres Heilandes!«

»Der Kaplan hat uns auch etwas Derartiges gesagt, Bruder. Das liebe Kind kann wohl recht haben.«

»Ja, ja, das ist ein Glaubenssatz, ohne Zweifel. Er wird unser Richter sein und hält das Logbuch unserer Taten, auf denen er fußen wird am letzten Gericht; dann wird er sagen, wer recht und wer unrecht gehandelt hat. Ich glaube, Mabel hat recht; aber dann darfst du unbesorgt sein, da du ohne Zweifel mit deiner Rechnung im reinen bist.«

»Ach, liebster Vater, setzt Eure ganze Hoffnung auf die Vermittlung unseres heiligen Erlösers!«

»Die Herrenhuter pflegten uns dasselbe zu sagen«, sagte Pfadfinder leise zu Cap; »verlaßt Euch darauf, Mabel hat recht.«

»Recht genug, Freund Pfadfinder, in den Entfernungen, aber unrecht im Kurs. Ich fürchte, das Kind macht den Sergeanten in dem Augenblick triftig, wo wir ihn in dem besten Fahrwasser hatten.«

»Überlaßt das Mabel; sie versteht sich besser darauf als einer von uns, und in keinem Falle bringt es Schaden.«

»Ich habe das wohl früher gehört«, erwiderte endlich Dunham. »Ach, Mabel! es ist sonderbar, daß der Vater sich in einem solchen Augenblick auf sein Kind stützen muß.«

»Setzt Euer Vertrauen auf Gott, Vater; stützt Euch auf das Erbarmen seines heiligen Sohnes. Betet, Vater; bittet um seinen allmächtigen Beistand.«

»Ich bin das Beten nicht gewöhnt, Bruder. Pfadfinder – Jasper, könnt Ihr mir zu Worten helfen?«

Cap wußte kaum, was Beten heißt und konnte nichts darauf antworten. Pfadfinder betete oft, täglich, wo nicht stündlich, aber nur im Geist und in seiner einfachen Denkweise. Er war daher in dieser Not ebenso nutzlos wie der Seemann und wußte nichts zu erwidern. Jasper würde sich zwar mit Freuden bemüht haben, Berge in Bewegung zu setzen, um Mabel zu unterstützen, aber der Beistand, der hier erbeten wurde, lag nicht in seinen Kräften, und er trat beschämt zurück, wie es wohl junge, kräftige Leute zu tun pflegen, wenn man von ihnen Handlungen verlangt, bei denen sie ihre Schwäche und Abhängigkeit von einer höhern Macht bekennen müssen.

»Vater!« sagte Mabel, indem sie sich die Tränen aus den Augen wischte, »ich will mit Euch, für Euch, für mich und für uns alle beten. Selbst das Gebet des Schwächsten und Niedrigsten bleibt nicht unbeachtet.«

Es lag etwas Erhabenes, etwas unendlich Rührendes in diesem Akt kindlicher Liebe.

Dunham selbst war bald in den Gegenstand des Gebetes verloren und fühlte jene Art von Erleichterung, die ein Mensch empfindet, der unter einer übermäßig schweren Last an einem Abgrund wankt, wenn er unerwartet seine Bürde sich entnommen und diese auf den Schultern eines anderen sieht, der besser imstande ist, sie zu tragen. Cap war sowohl überrascht als von Ehrfurcht ergriffen, obgleich die Erregungen in seiner Seele weder besonders tief gingen noch lange anhielten. Er wunderte sich ein wenig über seine Gefühle und machte sich Zweifel darüber, ob sie auch so männlich und heroisch seien, wie sie sein sollten; er war jedoch von den Eindrücken der Wahrheit, der Demut, der religiösen Unterwerfung und der menschlichen Abhängigkeit zu ergriffen, um mit seinen rauhen Einwürfen dagegen anzukämpfen. Jasper kniete mit verhülltem Gesicht Mabel gegenüber und folgte ihren Worten mit dem ernstlichen Wunsch, ihre Bitten mit den seinigen zu unterstützen, wenn es schon zweifelhaft sein mochte, ob seine Gedanken nicht ebensoviel bei den sanften, lieblichen Tönen der Beterin wie bei dem Gegenstand ihres Gebets verweilten.

Die Wirkung auf Pfadfinder war augenfällig und ergreifend; augenfällig, weil er aufrecht und gerade Mabel gegenüberstand: Und die Bewegungen seiner Gesichtszüge verrieten wie gewöhnlich das Ringen seines Inneren. Er lehnte auf seiner Büchse, und seine sehnigen Finger schienen hin und wieder den Lauf mit aller Gewalt zerdrücken zu wollen, während er ein- oder zweimal, wenn Mabels Gedanken sich in vollster Innigkeit aussprachen, seine Augen zur Decke des Gemachs erhob, als ob er erwartete, daß das gefürchtete Wesen, an das die Worte gerichtet waren, sichtbar über ihm schweben werde. Dann kehrten seine Gefühle wieder zu dem zarten Geschöpf zurück, das in heißem, aber ruhigem Gebet für einen sterbenden Vater ihre Seele ausgoß; denn Mabels Wangen waren nicht mehr bleich, sondern glühten von heiliger Begeisterung, während sich ihre blauen Augen dem Licht in einer Weise zukehrten, daß das Mädchen wie ein Bild von Guido Reni erschien. In solchen Augenblicken glänzte die ganze ehrliche und männliche Zuneigung Pfadfinders in seinen lebendigen Zügen, und der Blick, den er auf die Betende heftete, glich dem des zärtlichen Vaters gegenüber dem Kind seiner Liebe.

Sergeant Dunham legte seine kraftlose Hand auf Mabels Haupt, als sie zu beten aufhörte und ihr Gesicht in seiner Bettdecke verbarg.

»Gott segne dich, mein liebes Kind; Gott segne dich!« flüsterte er. »Du hast mir einen wahren Trost verschafft. Oh, daß auch ich beten könnte!«

»Vater! Ihr kennt das Gebet des Herrn, denn Ihr habt's ja selbst mich gelehrt, als ich noch ein Kind war.«

Auf des Sergeanten Gesicht strahlte ein Lächeln; denn er erinnerte sich, daß er wenigstens diesen Teil der elterlichen Pflicht erfüllt hatte, und die Erinnerung daran gewährte ihm in diesem Augenblick ein inniges Vergnügen. Er schwieg dann einige Minuten, und alle Anwesenden glaubten, er unterhalte sich mit seinem Schöpfer.

»Mabel, mein Kind«, sprach er endlich mit einer Stimme, die neue Lebenskraft gewonnen zu haben schien – »Mabel, ich verlasse dich jetzt. Wo ist deine Hand?«

»Hier, liebster Vater – hier sind beide – oh, nehmt beide!«

»Pfadfinder«, fuhr der Sergeant fort, und tastete nach der entgegengesetzten Seite des Bettes, wo Jasper kniete, wobei er im Mißgriff eine der Hände des jungen Mannes faßte – »nimm sie – sei ihr Vater – wie ihr's für gut findet – Gott segne dich – Gott segne euch beide!«

Niemand wollte in diesem ergreifenden Augenblick dem Sergeanten seinen Irrtum benehmen, und so starb er, einige Minuten später, Jaspers und Mabels Hände mit den seinigen bedeckend. Das Mädchen wußte nichts von diesen Vorgängen, bis ihr ein Ausruf von Cap den Tod ihres Vaters ankündigte. Als sie ihr Gesicht erhob, traf sie auf einen Blick aus Jaspers Augen und fühlte den warmen Druck seiner Hand. In diesem Augenblick war aber nur ein Gefühl in ihr vorherrschend; sie zog sich zurück, um zu weinen. Pfadfinder nahm Eau-douce am Arm und verließ mit ihm das Blockhaus.

Die zwei Freunde gingen in tiefstem Schweigen an dem Feuer vorbei, durch den Baumgang fast bis zum entgegengesetzten Ufer der Insel, wo sie anhielten. Pfadfinder ergriff das Wort.

»Es ist alles vorbei, Jasper«, sagte er; »es ist alles vorbei. Ach, der arme Sergeant Dunham hat seine Laufbahn beendet, und noch dazu durch die Hand eines giftigen Mingowurms. Nun, wir wissen nie, was auf uns wartet, und sein Los kann heut' oder morgen das Eurige oder das meinige sein.«

»Und Mabel? was soll aus Mabel werden, Pfadfinder?«

»Ihr habt die letzten Worte des sterbenden Dunham gehört; er hat mir die Obhut über sein Kind gelassen, Jasper; und das ist ein feierliches Vermächtnis, ja, es ist ein sehr feierliches Vermächtnis.«

»Ein Vermächtnis, das Euch jeder gerne abnehmen würde«, versetzte der Jüngling mit einem bitteren Lächeln.

»Ich hab' oft gedacht, daß es nur in schlechte Hände gefallen ist. Ich bin nicht eingebildet, Jasper, und denke nicht dran, mir was drauf zugute zu tun; wenn Mabel aber geneigt ist, alle meine Unvollkommenheiten und meine Unwissenheit zu übersehen, so wär's unrecht von mir, was dagegen einzuwenden, so sehr ich auch von meiner Wertlosigkeit überzeugt sein mag.«

»Niemand wird Euch tadeln, Pfadfinder, wenn Ihr Mabel Dunham heiratet, ebensowenig wie man's Euch verargen würde, wenn Ihr einen kostbaren Edelstein trüget, den Euch ein Freund geschenkt hätte.«

»Glaubt Ihr, daß man Mabel tadeln würde, Junge? – Ich hab' auch meine Bedenken darüber gehabt, denn nicht alle Leute sind geneigt, mich mit Euern und mit Mabels Augen zu betrachten.« Jasper Eau-douce fuhr zusammen wie jemand, den ein plötzlicher, körperlicher Schmerz überfällt, doch bewahrte er seine Selbstbeherrschung. »Die Menschen sind neidisch und schlimm, besonders in den Garnisonen und ihrer Nachbarschaft. Ich wünsche bisweilen, Jasper, daß Mabel zu Euch hätte eine Neigung gewinnen können – ja ja, und daß Ihr eine Neigung zu ihr gefaßt hättet; denn es kommt mir oft vor, daß ein Bursche wie Ihr sie im Grunde doch glücklicher machen müßte, als ich es je imstande bin.«

»Reden wir nicht mehr davon, Pfadfinder«, unterbrach ihn Jasper barsch und ungeduldig – »Ihr werdet Mabels Gatte sein, und es ist nicht recht, von einem andern in dieser Eigenschaft zu sprechen. Was mich anbelangt, so will ich Caps Rat folgen und es versuchen, einen Mann aus mir zu bilden. Vielleicht kann das auf dem Salzwasser geschehen.«

»Ihr, Jasper Western? – aber warum die Seen, die Wälder und die Grenzen verlassen? Und noch dazu um der Städte, der öden Wege in den Ansiedlungen und des bißchen Unterschieds willen im Geschmack des Wassers? Haben wir denn nicht die Salzlicken, wenn Ihr Salz braucht? Und sollte nicht ein Mann mit dem zufrieden sein, was andern Geschöpfen Gottes genügt? Ich hab' auf Euch gerechnet, Jasper; ja, ich zählte auf Euch – und dachte, da nun Mabel und ich in unserer eigenen Hütte wohnen werden, daß Ihr Euch eines Tags auch versucht fühlen könntet, eine Gefährtin zu wählen, wo Ihr Euch dann in unserer Nachbarschaft niederlassen solltet. Ich hab' ein schönes Plätzchen für mich im Sinn, etwa fünfzig Meilen westlich von der Garnison, und etwa zehn Stunden seitwärts ist ein ausgezeichneter Hafen, wo Ihr mit dem Kutter in der größten Muße ein- und ausfahren könntet. Da hab' ich mir denn grade Euch und Euer Weib vorgestellt, wie Ihr von diesem Platz Besitz nehmt, während ich und Mabel uns auf dem andern niederlassen. Wir hätten eine hübsche, gesunde Jagd dabei; und wenn der Herr überhaupt irgendeines seiner Geschöpfe auf Erden zu beglücken beabsichtigt, so könnte niemand glücklicher sein als wir vier.«

»Ihr vergeßt, mein Freund«, entgegnete Jasper, indem er mit erzwungenem Lächeln des Kundschafters Hand ergriff, »daß es an der vierten Person fehlt, die mir lieb und teuer sein könnte; und ich zweifle sehr, ob ich je irgend jemand so lieben kann, wie ich Euch und Mabel liebe.«

»Ich dank' Euch, Junge; ich dank' Euch von ganzem Herzen, aber was Ihr in Beziehung auf Mabel Liebe nennt, ist bloß Freundschaft und etwas ganz anderes, als was ich für sie fühle. Jetzt, statt wie früher gesund zu schlafen, träum' ich jede Nacht von Mabel Dunham, und erst in meinem letzten Schlummer kam mir es vor, ich wär' auf dem Niagara und hielte Mabel in meinen Armen, mit der ich lieber über den Fall hinunterstürzte, ehe ich von ihr lassen wollte. Die bittersten Augenblicke, die mir je vorkamen, waren die, wenn der Teufel oder vielleicht ein Mingozauberer meinen Träumen die Vorstellung beimischte, daß Mabel für mich durch irgendein unerklärliches Unglück verlorengegangen sei.«

»O Pfadfinder! wenn Euch das schon im Traum so bitter dünkt, wie muß es erst dem sein, der es in Wirklichkeit fühlt und weiß, daß alles wahr, wahr, wahr ist? So wahr, um keinen Funken Hoffnung zurückzulassen – nichts zurückzulassen als die Verzweiflung!«

Diese Worte entquollen Jasper wie die Flüssigkeit einem plötzlich geborstenen Gefäß. Sie entglitten seinen Lippen unwillkürlich, fast unbewußt, aber mit einer Wahrheit und einer Tiefe des Gefühls, daß sich ihre Aufrichtigkeit nicht bezweifeln ließ.

Pfadfinder blickte seinen Freund in wirrer Überraschung eine Minute lang an; dann tauchte ihm, ungeachtet seiner Einfachheit, ein Strahl der Wahrheit auf. Er war von Natur so zuversichtlich, so gerecht und so geneigt zu glauben, daß ihm alle seine Freunde ein gleiches Glück gönnten, wie er es ihnen wünschte, daß bis zu diesem unglücklichen Augenblick nie eine Ahnung von Jaspers Liebe zu Mabel in seiner Brust aufgetaucht war. Er war aber jetzt zu erfahren in den Regungen, die eine solche Leidenschaft bezeichnen; auch machten sich die Gefühle seines Gefährten zu heftig und zu natürlich Luft, um den braven Kundschafter länger im Zweifel zu lassen. Er fühlte sich durch diese Entdeckung aufs schmerzlichste gedemütigt. Jaspers Jugend, sein schmuckeres Äußeres und alle die Hauptwahrscheinlichkeiten, die einen solchen Freier dem Mädchen angenehmer machen mochten, traten ihm vor das Auge. Endlich aber machte die edle Geradheit seiner Seele, die ihn so sehr zu seinem Vorteil auszeichnete, ihre Rechte geltend und wurde noch unterstützt durch die männliche Bescheidenheit, mit der er sich selbst beurteilte, und durch seine gewohnte Nachgiebigkeit gegen die Rechte und Gefühle anderer, die einen Teil seines Wesens auszumachen schien. Er ergriff Jaspers Arm und führte ihn zu einem Baumstrunk, auf den er den jungen Mann mit seiner unwiderstehlichen Muskelkraft niederdrückte, und dann neben ihm seinen Sitz einnahm.

Sobald sich Jaspers innere Bewegung Luft gemacht hatte, fühlte er sich durch die Heftigkeit ihres Ausdruckes beunruhigt und beschämt. Er würde gerne alles, was er auf Erden sein nennen konnte, darum gegeben haben, hätte er die letzten drei Minuten wieder zurückrufen können; aber er war von Natur zu freimütig und zu sehr daran gewöhnt, gegen seinen Freund offen zu verfahren, um nur einen Augenblick zu versuchen, seine Gefühle zu verhehlen oder die Erklärung zu umgehen, die ihm, wie er wußte, nun abverlangt wurde. Zwar zitterte er vor den Folgen, aber er konnte es nicht über sich gewinnen, ein zweideutiges Benehmen einzuschlagen.

»Jasper«, begann Pfadfinder in einem so feierlichen Ton, daß jeder Nerv seines Zuhörers bebte, »das kam sehr unverhofft. Ihr hegt zartere Gefühle für Mabel, als ich dachte, und wenn mich nicht ein Mißgriff meiner Eitelkeit und Einbildung grausam getäuscht hat, so bedaure ich Euch, Junge, von ganzer Seele. Ja, ich weiß – glaub' ich –, wie der zu beklagen ist, der sein Herz an ein Wesen wie Mabel gesetzt hat, ohne hoffen zu dürfen, daß sie ihn mit denselben Augen betrachte, wie er sie betrachtet. Diese Sache muß sich aufklären, bis keine Wolke mehr zwischen uns steht, wie die Delawaren sagen.«

»Was bedarf es da einer Aufklärung, Pfadfinder? Ich liebe Mabel Dunham, und Mabel Dunham liebt mich nicht; sie will lieber Euch zum Gatten haben, und das klügste, was ich tun kann, ist, fort und auf das Salzwasser zu gehen und zu versuchen, Euch beide zu vergessen.«

»Mich zu vergessen, Jasper? – das wär' eine Strafe, die ich nicht verdiene. Aber woher wißt Ihr, daß Mabel mich lieber hat? Wie wißt Ihr das, Junge? – Mir scheint das ja ganz unmöglich!«

»Wird sie nicht Euer Weib werden? Und würde Mabel einen Mann heiraten, den sie nicht liebt?«

»Der Sergeant hat ihr hart zugesetzt – ja, so ist's; und einem gehorsamen Kinde mag es wohl schwer werden, den Wünschen eines sterbenden Vaters zu widerstehen. Habt Ihr Mabel je gesagt, daß Ihr sie liebt, daß Ihr solche Gefühle gegen sie hegt?«

»Nie, Pfadfinder! Wie könnt' ich Euch ein solches Unrecht zufügen?«

»Ich glaub' Euch, Junge; ja, ich glaub' Euch und glaub' auch, daß Ihr imstande wärt, spurlos zu verschwinden und aufs Salzwasser zu gehen. Aber das ist nicht gerade nötig. Mabel soll alles erfahren und ihren eigenen Weg haben; ja, das soll sie, und wenn mir das Herz bei dem Versuch bräche. Ihr habt ihr also nie ein Wort davon gesagt, Jasper?«

»Nichts von Belang, nichts Bestimmtes. Aber doch muß ich meine ganze Torheit eingestehen, Pfadfinder, wie es meine Pflicht gegen einen so edlen Freund ist, und dann wird alles zu Ende sein. Ihr wißt, wie sich junge Leute verstehen oder zu verstehen glauben, ohne sich gerade offen auszusprechen, und wie sie auf hunderterlei Weise gegenseitig ihre Gedanken kennenlernen oder kennenzulernen glauben.«

»Nein, Jasper, das weiß ich nicht«, antwortete der Kundschafter treuherzig; denn, die Wahrheit zu sagen, seine Huldigungen hatten nie auf jene süße und köstliche Ermutigung getroffen, die das stumme Merkmal der zur Liebe fortschreitenden Zuneigung ist.

»Nein, Jasper, ich weiß nichts von alledem. Mabel hat mich immer freundlich behandelt und sagte mir, was sie zu sagen hatte, auf die unumwundenste Weise.«

»Ihr hattet aber die Wonne, sie sagen zu hören, daß sie Euch liebe, Pfadfinder?«

»Ei nein, Jasper; nicht gerade mit Worten, sie hat mir sogar gesagt, daß wir uns nie heiraten könnten, nie heiraten sollten; daß sie nicht gut genug für mich sei, obgleich sie versicherte, daß sie mich achte und ehre. Dann sagte mir aber der Sergeant, dies sei die gewöhnliche Weise junger und schüchterner Mädchen: Ihre Mutter hab' es zu ihrer Zeit ebenso gemacht und ebenso gesprochen, und ich müsse mich begnügen, wenn sie nur überhaupt einwillige, mich zu heiraten. Ich habe daraus nun geschlossen, daß alles in Ordnung sei.«

Ungeachtet seiner Freundschaft für den glücklichen Freier und trotz der aufrichtigsten Wünsche für sein Wohl, fühlte Jasper bei diesen Worten sein Herz in überschwenglicher Wonne klopfen. Nicht als ob er in diesem Umstand hätte eine Hoffnung für sich auftauchen sehen; es war nur das eifersüchtige Verlangen einer unbegrenzten Liebe, die sich bei der Kunde entzückt fühlte, daß kein anderes Ohr die süßen Geständnisse gehört habe, die dem einen versagt blieben.

»Erzählt mir mehr von dieser Weise, ohne Zunge zu sprechen«, fuhr der Pfadfinder fort, dessen Gesichtszüge ernster wurden und der nun seinen Gefährten mit dem Ton eines Mannes fragte, der einer unangenehmen Antwort entgegensieht. »Ich kann mich mit Chingachgook auf eine solche Art unterhalten und hab' es auch mit seinem Sohne Uncas getan, ehe er gefallen; ich wußte aber nicht, daß junge Mädchen auch in dieser Kunst bewandert sind, und von Mabel Dunham versah ich mich's am allerwenigsten.«

»Es ist nichts, Pfadfinder. Ich meine nur einen Blick, ein Lächeln, einen Wink mit dem Auge, das Zittern eines Armes oder einer Hand, wenn mich das Mädchen gelegentlich berührte; und weil ich schwach genug gewesen bin, selbst zu zittern, wenn mich ihr Atem traf oder mich ihre Kleider streiften, so führten mich meine törichten Gedanken irre. Ich hab' mich nie offen gegen Mabel ausgesprochen; und jetzt würd' es mir nichts mehr nützen, da nun doch alle Hoffnung vorbei ist.«

»Jasper«, erwiderte Pfadfinder einfach, aber mit einer Würde, die für den Augenblick alle weiteren Bemerkungen abschnitt, »wir wollen über des Sergeanten Leichenbegängnis und über unsere Abreise von der Insel sprechen. Wenn hierüber die nötigen Verfügungen getroffen sind, werden wir hinlänglich Zeit haben, noch ein Wort über des Sergeanten Tochter zu reden. Die Sache bedarf einer reiflichen Erwägung, denn der Vater hat mir die Obhut über sein Kind hinterlassen.«

Jasper war froh, von diesem Gegenstand abzukommen, und die Freunde trennten sich, um den ihrer Stellung und ihrem Beruf angemessenen Obliegenheiten nachzukommen.

Am Nachmittag wurden die Toten beerdigt. Das Grab des Sergeanten befand sich im Mittelpunkt des Baumganges unter dem Schatten einer hohen Rüster. Mabel weinte bitterlich während der Bestattung und fand in ihren Tränen Erleichterung für ihr bekümmertes Herz. Die Nacht verging ruhig; ebenso der ganze folgende Tag, denn Jasper erklärte, daß der Wind viel zu heftig sei, um sich auf den See wagen zu können. Dieser Umstand hielt auch den Kapitän Sanglier zurück, der die Insel erst am Morgen des dritten Tages nach Dunhams Tod verließ, da das Wetter milder und der Wind günstiger wurden. Ehe er abreiste, nahm er zum letztenmal von dem Pfadfinder in der Weise eines Mannes Abschied, der sich in der Gesellschaft eines ausgezeichneten Charakters befunden zu haben glaubt. Beide schieden unter Beweisen gegenseitiger Achtung, während jeder fühlte, daß ihm der andere ein Rätsel sei.


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