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Achtes Kapitel.
Im Blockhause.

Mit einem unterdrückten Jubelruf eilte sie aus ihrem Versteck hervor und in die Arme der sie liebevoll begrüßenden Tuskarorafrau.

»Blockhaus gut,« sagte diese, lächelnd die weißen Zähne zeigend, »in Blockhaus nicht verlieren Skalp.«

»Du hast recht,« antwortete Mabel schaudernd und die Augen mit der Hand bedeckend, wie um die Schreckensscenen nicht mehr zu schauen, deren Zeugin sie geworden war. »Aber wo ist mein Onkel? Was ist aus ihm geworden?«

»Nicht wissen,« versetzte die Indianerin. »Salzwasser haben Kanoe.«

»Das Boot liegt an seinem Platz, aber weder vom Lieutenant Muir noch von meinem Onkel habe ich eine Spur gesehen?«

»Nicht tot, Juni sonst wissen. Vielleicht verstecken. Rothaut auch verstecken, wenn Krieg; nicht Schande für weißen Mann.«

»Ich fürchte nur, daß ihnen keine Zeit blieb, sich zu verstecken. Der Überfall geschah so fürchterlich schnell und unerwartet!«

»Tuskarora!« antwortete Juni mit stolzem Lächeln. »Pfeilspitze großer Krieger!«

»Aber was soll nur aus mir werden, Juni?« fragte Mabel nach kurzer Pause. »Es kann nicht lange mehr dauern, dann greifen deine Leute das Blockhaus an.«

»Blockhaus gut, nicht verlieren Skalp.«

»Höre doch nur, da kommen sie schon!«

Damit eilte Mabel an eine Schießscharte. »Sie kommen!« wiederholte sie. »Vier wilde Krieger, unter ihnen auch Pfeilspitze!«

Juni nahm eins der in einem Ständer an der Wand bereitstehenden Gewehre, schob dessen Mündung durch eine Schießscharte und drückte los.

»Sieh,« sagte sie lachend, »alle rennen – verstecken. Glauben Salzwasser hier, und Quartiermeister.«

Sie hatte recht, die Wilden waren auf den unerwarteten Schuß in respektvolle Entfernung zurückgewichen.

»Gott sei gelobt!« rief Mabel, unwillkürlich in Thränen ausbrechend. »Laß mir nun ein wenig Zeit, liebe Juni, mich zu fassen und zu sammeln, damit ich, wenn meine Stunde kommt, nicht unvorbereitet aus dem Leben scheide, wie die arme Jenny, der Gott gnädig sein möge!«

Sie setzte sich auf einen der herumstehenden Kasten und Juni nahm still neben ihr Platz. Nach und nach kam Ruhe über das so tief erschütterte Mädchen, und nach einem inbrünstigen Gebet gewann sie auch wieder Hoffnung und neuen Mut.

Ein weiterer Blick durch die Schießscharten ließ sie erkennen, daß die Wilden die Hütten geplündert hatten und sich nun anschickten, mit den aufgefundenen Eßvorräten und Spirituosen ein Siegesmahl herzurichten. Die Erschlagenen waren aus dem Wege geschafft, die Waffen derselben unweit der Stätte des Festmahls auf einen Haufen gelegt.

Inzwischen war der Zeitpunkt gekommen, wo Juni zu den Ihrigen zurückkehren mußte. Sie verabschiedete sich unter vielen Liebkosungen und schlüpfte dann vorsichtig aus der Thür, die Mabel schnell hinter ihr wieder verriegelte.

Langsam verstrichen dem Mädchen die Stunden, unter Furcht und Zittern und schreckenvoller Erwartung; sie hörte das Geheul und Gekreisch der Wilden, denen der Branntwein bereits Vernunft und Vorsicht zu rauben begann, und das Blut erstarrte ihr, wenn sie daran dachte, welcher Greuelthaten diese roten Teufel unter solchen Umständen fähig waren. Gegen Mittag glaubte sie auch einen weißen Mann in der wilden Schar zu erkennen; derselbe, jedenfalls ein Franzose, schien ein Anführer derselben zu sein.

Der endlos lange Tag neigte sich endlich zum Abend. Die trunkenen Indianer tobten wie eine Rotte Wahnsinniger, so daß der weiße Mann es für geraten hielt, sich auf die Nachbarinsel zurückzuziehen, wo ein Zelt aufgerichtet war. Vorher hatte er jedoch Sorge getragen, das Feuer auszulöschen, damit die tolle Bande das Blockhaus nicht in Brand steckte, das den Franzosen später noch Dienste leisten sollte. Auch Pfeilspitze hatte sich auf die Seite gemacht, um in einer der Hütten ein paar Stunden Schlaf zu finden. Als daher einer der wüsten Zecher seinen Genossen den Vorschlag machte, das Blockhaus nach weiteren Fässern mit Feuerwasser zu durchsuchen, da brüllte die Schar Beifall und sogleich stürmten acht oder zehn taumelnde und kreischende Dämonen gegen die Thür desselben an. Die festen Bohlen aber rührten sich nicht; sie hätten dem Anprall einer zehnfach stärkeren Schar widerstanden. Ein Wutgeheul drang zu Mabel empor. Dann gewahrte diese, wie drei Irokesen in der Asche auf der Feuerstelle nach Funken suchten und solche auch fanden; bald war eine kleine Flamme angefacht, und während dieselbe genährt wurde, schichteten die Wilden an der Wand des Blockhauses trockenes Reisig auf. Mabel schaute diesem Treiben zu, vor Angst kaum im stande, sich zu regen. Das Reisig wurde in Brand gesetzt, schnell loderten die Flammen auf, höher und höher, bis Mabel von der Öffnung im Fußboden, durch die sie hinabgeblickt hatte, zurückweichen mußte, um nicht von dem hereinzüngelnden Feuer erfaßt zu werden. Schon fing der Rand der Öffnung, deren Klappe sie offen gelassen hatte, zu glimmen an. In der Ecke stand ein Faß voll Wasser. Zitternd füllte Mabel ein Gefäß und goß es über die brennenden Holzteile aus. Dabei fiel ihr Blick hinab auf den Reisighaufen und mit staunender Freude gewahrte sie, daß derselbe auseinander gerissen und zerstreut worden war und daß eine Freundeshand Wasser über die angekohlten Balken der Hauswand gegossen hatte.

»Wer ist da?« rief sie durch das Loch hinab. »Wen hat der gütige Gott zu meinem Beistande gesendet? Bist du es, lieber Onkel Cap?«

»Salzwasser nicht hier,« antwortete die Stimme der Tuskarorafrau. »Ontariowasser süß. Öffnen – schnell!«

Mabel eilte leichtfüßig hinab. »Juni, mein Schutzengel!« rief sie, als die Indianerin hereingeschlüpft war. Diese aber schlug unverweilt den Weg nach dem obersten Stockwerk ein und streckte sich hier auf eins der für die Soldaten bereiteten Strohlager.

»Juni müde,« sagte sie lächelnd zu Mabel, die ihr gefolgt war. »Rote Krieger schlafen – zuviel Feuerwasser. Alle schlafen – bleiches Mädchen auch schlafen – nicht fürchten; Juni hier und Blockhaus gut.«

Jetzt erst fühlte Mabel, wie erschöpft sie war; sie folgte der Aufforderung der Indianerin und bald lag sie, von deren Arm umfangen, in tiefem Schlummer. Nichts regte sich draußen, kein Laut; auf der ganzen Insel herrschte ein so tiefes Schweigen, als sei noch nie eines Menschen Fuß in diese Wildnis gedrungen. –

Die Stille hielt auch noch an, als sie am nächsten Morgen spät erwachte und an die Schießscharten trat. Kein Wilder ließ sich sehen. Sie schritt von Lugloch zu Lugloch. Plötzlich durchrieselte sie ein eisiger Schreck. Unten auf dem Platze vor dem Blockhause saßen drei rot uniformierte Gestalten im Grase, wie in ruhiger Unterhaltung begriffen – die toten Soldaten vom 55. Regiment! Mit teuflischer List hatten die Irokesen den erstarrten Leichnamen solche Stellungen gegeben, daß aus einer Entfernung von hundert Schritten ein oberflächlicher Beobachter dieselben wohl für lebende Menschen halten konnte. Die skalplosen Häupter waren mit Mützen bedeckt und alle Blutspuren beseitigt worden. Das junge Mädchen wankte zurück und bedeckte das Antlitz mit den Händen. Ein leiser Ruf Junis aber rief sie wieder an die Öffnung. Die Indianerin deutete auf eine Hütte. In der Thür derselben stand der Leichnam der Soldatenfrau, einen Besen in der Hand und mit vorgebeugtem Oberkörper, als lausche sie eifrig zu den Soldaten hinüber. Die Bänder ihrer Haube flatterten im Winde, ihr Gesicht war gewaltsam zu einem gräßlichen Lächeln verzerrt.

»O Juni! Juni!« rief Mabel mit erhobenen Händen. »Das übertrifft alles, was ich je gehört, was ich je für möglich gehalten habe!«

»Tuskarora sehr klug!« sagte Juni beifällig und stolz. »Soldaten nicht mehr weh thun; Irokesen gut thun; erst Skalp nehmen, jetzt tote Männer noch nützen; hernach verbrennen.«

Aus diesen Worten ersah Mabel, welch eine Kluft sie innerlich von ihrer Freundin schied; Minuten vergingen, ehe sie dieselbe wieder anzublicken vermochte. Juni merkte jedoch davon nichts; sie richtete geschäftig ein kärgliches Frühmahl her und sprach demselben dann tüchtig zu, während Mabel keinen Bissen genießen konnte.

Während des ganzen Tages ließ kein Feind sich blicken; auch die Nacht blieb ruhig und unsere Heldin entschlief beinahe mit einem Gefühle der Sicherheit, denn schon am folgenden Tage konnte sie ihres Vaters Rückkehr erwarten.

Die frühe Morgensonne fand sie bereits an den Schießscharten. Auf dem Grase saß die schreckliche Gruppe noch wie gestern, am Wasser aber lehnte, an einen Baum gebunden, der Leichnam des vierten Mannes, eine Angelrute in der Hand. Der Wind blies frisch aus Süden und verkündete einen nahen Sturm.

»Der Aufenthalt hier wird mir unerträglich, Juni,« sagte sie zu der Freundin. »Lieber sehe ich die Feinde vor mir, als diese grausige Ausstellung der Toten.«

»Horch!« rief Juni. »Pfeilspitze kommen – und Salzwasser! Sieh!«

Das scharfe Ohr der Indianerin hatte dieselbe nicht getäuscht. Acht Indianer, darunter Pfeilspitze, führten den alten Seemann und den Quartiermeister herbei; der französische Offizier schloß sich dem Zuge an. Unmittelbar vor dem Blockhause machte die Schar Halt. Pfeilspitze redete ernstlich auf die Gefangenen ein, dann trat der Quartiermeister einen Schritt vor.

»Miß Mabel!« rief er zu den Schießscharten hinauf; »schöne Mabel, zeigt Eure holde Persönlichkeit! Habt Mitleid mit uns armen Gefangenen, denen ein grausamer Tod bevorsteht, wenn Ihr nicht unverzüglich den Siegern die Thür öffnet. Habt Erbarmen, sonst sind wir keine halbe Stunde mehr im Besitz unserer Skalpe!«

Der Ton der Stimme und die Worte des Quartiermeisters erfüllten das junge Mädchen mit Widerwillen und einem unbestimmten Mißtrauen.

»Sprich du zu mir, lieber Onkel,« rief sie hinunter. »Sage du mir, was ich thun soll!«

»Gott sei gepriesen!« antwortete der alte Seemann. »Deine liebe Stimme nimmt mir einen ganzen Ballast vom Herzen! Du lebst, Magnet, und ich fürchtete schon, du hättest das Schicksal der armen Jenny geteilt! Wie aber soll ich dir raten, Kind? Ich kann nur sagen, verwünscht sei der Tag, an dem du und ich diese verdammte Süßwasserpfütze erblickten!«

»Ich will wissen, ob dein Leben in Gefahr ist, Onkel, und ob du es für recht hältst, wenn ich die Thür aufmache.«

»Meine ehrliche Meinung, Magnet, ist die, daß jeder, der nicht in den Händen dieser Teufel und in sicherem Verschluß ist, nur ja da sitzen bleiben soll. Der Quartiermeister und ich, wir beide sind ein paar alte Burschen und der Menschheit nicht mehr viel nütze. Wenn ich an Bord eines tüchtigen Seeschiffes wäre, dann wüßte ich schon, was ich thäte; hier aber, in dieser wässerigen Wildnis, kann ich nur sagen: wenn ich hinter einem sicheren Bollwerk säße, dann müßte schon eine ganz große Portion indianischer Verschmitztheit dazu gehören, mich hervor zu locken.«

»Hört nicht auf die Rede Eures Onkels, schöne Mabel,« fiel Muir ein. »Merkt Ihr denn nicht, daß die Gefahr ihm die Gedanken verwirrt hat? Wir befinden uns in den Händen durchaus anständiger Leute, die auch Euch so behandeln werden, wie sich das gebührt.«

»Nicht Blockhaus verlassen,« raunte Juni, die neben Mabel stand, dieser zu. »Blockhaus gut, nicht kriegen Skalp.«

»Ich gedenke zu bleiben, wo ich bin, Mr. Muir,« entgegnete das junge Mädchen, »bis ich von meinem Vater höre.«

»Seid nicht thöricht, schöne Mabel!« rief der Quartiermeister zurück. »Fügt Euch den Schickungen der Vorsehung, das ist christliche Tugend!«

»Ihr scheint Euch über die Stärke dieser Befestigung zu täuschen, Mr. Muir,« versetzte das Mädchen. »Wir können uns noch verteidigen, wenn man uns dazu zwingt. Was meint Ihr zum Beispiel dazu? Schaut weiter hinauf.«

Aller Augen richteten sich auf die Schießscharten des obersten Stockwerks und gewahrten hier den Lauf einer Büchse, der sich, von Juni geführt, langsam hervorschob und auf die Untenstehenden richtete. Blitzschnell sprangen sämtliche Indianer in das Dickicht zurück. Der französische Offizier überzeugte sich davon, daß das Gewehr nicht auf ihn gerichtet war, und nahm kaltblütig eine Prise.

»Was für einen blutdürstigen Gesellen habt Ihr denn da bei Euch, schöne Mabel?« fragte Muir nicht ohne Spott.

»Wenn es nun der Pfadfinder wäre?« entgegnete das Mädchen.

»Ist der im Blockhause, dann möge er seine Stimme hören lassen, damit wir mit ihm verhandeln können. Er wird auf seine Freunde nicht feuern, am allerwenigsten auf mich.«

Allein schon der Name dieses berühmten und gefürchteten Schützen hatte hingereicht, den französischen Offizier, sonst ein Mann von eisernen Nerven, bedenklich zu machen. Er sehnte sich nicht im entferntesten danach, dem schrecklichen ›Killdeer‹, der nie fehlenden Büchse Pfadfinders, als Ziel zu dienen. Auch er zog sich jetzt in das Dickicht zurück und bewog die Gefangenen, ihm zu folgen.

Juni, die im Bodenraum Ausguck hielt, berichtete bald darauf, daß die ganze Schar der Feinde sich in einiger Entfernung zum Mahle gelagert habe und daß auch Cap und Muir den Speisen wacker zusprächen.

Wieder vergingen einige Stunden, ohne daß die Ruhe der Insel gestört wurde. Die Sonne sank, von der rückkehrenden Expedition aber war weder etwas zu sehen, noch zu hören. Schon wollte Mabel nach dem letzten Rundblick vom Dache des Blockhauses schweren Herzens wieder hinabsteigen, als ihr zögernder Blick etwas gewahrte, das ihre Pulse schneller pochen ließ. In einem der vielverschlungenen Kanäle, die man von dieser Höhe übersehen konnte, lag ein Kanoe, worin eine menschliche Gestalt sich regte. Mabel schwenkte eine kleine Flagge, die sie zur Begrüßung des Vaters bereit hielt. War der Mensch im Kanoe ein Feind, so konnte das Signal keinen Schaden anrichten; war er dagegen ein Freund, so konnte es nützen. Die Flagge wurde bemerkt, der Mann im Kanoe schwenkte antwortend sein Paddelruder, und jetzt erkannte Mabel zu ihrer unsäglichen Freude in demselben den Häuptling der Mohikaner, die Große Schlange. Nun wußte sie, daß sie nicht mehr hilflos und verlassen war, und neuen Mutes voll stieg sie in das Innere hinab. Bald aber bemächtigte sich ihrer eine andere Sorge. Was würde Juni beginnen, wenn ein den Ihrigen feindlicher Indianer in das Blockhaus kam, oder wenn sie dasselbe in Begleitung eines solchen verließ? Mit der zunehmenden Dunkelheit wuchs auch ihre Unruhe. Jeden Augenblick konnte der Mohikaner an der Thür erscheinen. Es galt daher zunächst, die Tuskarorafrau in den oberen Stockwerken zurückzuhalten.

»Fürchtest du nicht, Juni,« begann Mabel, »daß die Irokesen nun, wo sie glauben, daß Pfadfinder bei uns ist, das Haus in Brand zu stecken versuchen werden?«

»Nein, nicht fürchten. Blockhaus gut, nicht kriegen Skalp.«

»Ich aber bin doch recht unruhig; thu mir den Gefallen, geh hinauf auf's Dach und schau dich um; du kannst die Absichten der Feinde besser beurteilen, als ich.«

Die Indianerin stieg die Leiter empor; kaum hatte sie das oberste Geschoß erreicht, da vernahm die unten zurückgebliebene Mabel ein leises Pochen an der Thür. Mit bebenden Händen entfernte sie die eichenen Riegel. Doch wie, wenn sie einem listigen Feinde öffnete? Es blieb ihr keine Wahl; der letzte Riegel wich, die Thür wurde aufgedrückt und ein Mann schlüpfte herein, in demselben Augenblick, als Juni die Leiter herabkam. Leise und schnell legte der Mann die Riegel wieder vor, dann wendete er sich um, und bei dem schwachen Schein der Talgkerze sahen Mabel und ihre Gefährtin den Pfadfinder vor sich stehen.

»Gott sei Lob und Dank!« rief die Tochter des Sergeanten tief aufatmend, wußte sie doch, daß das Blockhaus mit solch einem Verteidiger uneinnehmbar war. »O Pfadfinder, wo ist mein Vater?«

»Auf dem Wege hierher, munter und gesund und siegreich – wenigstens bis jetzt. Sehe ich dort im Winkel nicht das Weib des Tuskarora?«

»Ja, es ist Juni; ich verdanke ihr mein Leben, meine Rettung. Erzählt mir doch, wie ist die Expedition verlaufen?«

»Nach Wunsch, Mabel. Die Schlange hatte alles vorbereitet. Wir fingen drei Boote ab, verjagten die Franzosen und versenkten die Fahrzeuge mitsamt der Ladung, die aus Pulver und Blei bestand. Das ist ein Verlust für die Feinde. Hernach sendete der Sergeant mich und den Delawaren ab, Euch Bescheid zu bringen; er selber wird morgen früh hier sein, denke ich. Von Chingachgook trennte ich mich heute Vormittag; wir hatten verabredet, auf verschiedenen Wegen herzukommen, um zu erspähen, ob die Kanäle sicher waren. Seitdem habe ich den Häuptling nicht gesehen.«

Mabel berichtete nun, wie sie den Delawaren entdeckt und dann erwartet habe, derselbe werde ins Blockhaus kommen.

Pfadfinder schüttelte den Kopf. »Ein rechter Kundschafter wird sich niemals hinter Balken und Mauern begeben, so lange er sich draußen nützlich machen kann,« versetzte er. »Auch ich wäre nicht hier, wenn der Sergeant mir nicht die Sorge für Euch so dringend ans Herz gelegt hätte. Und es war die höchste Zeit, daß ich kam. Ich sage Euch, Mabel, es war eine bittere Stunde für mich, als ich vorhin die Insel umschlich; mußte ich doch annehmen, daß die blutigen Teufel auch Euch umgebracht hatten!«

»Wie gelang es Euch nur, herzukommen, ohne in die Hände der Feinde zu fallen?«

»Die Vorsehung, die dem Spürhunde die scharfe Nase und dem Hirsch die schnellen Beine und das leise Gehör verlieh, hat auch mich mit nützlichen Gaben bedacht,« versetzte der Jäger. »Nein, nein,« fuhr er lächelnd fort, »diese Teufeleien und Kunststücke mit toten Menschen mögen vielleicht Soldaten täuschen, Männer aber, die ihr Leben in den Wäldern zubrachten, lassen sich dadurch nicht betrügen.«

»Meint Ihr, daß mein Vater und seine Leute irregeführt werden könnten?«

»Nicht wenn ich das hindern kann, Mabel; da übrigens, wie Ihr sagt, auch die Schlange hier auf der Wacht ist, so ist es noch wahrscheinlicher, daß der Sergeant rechtzeitig gewarnt wird.«

»Könnten wir nicht dem Vater in Eurem Kanoe entgegenfahren, Pfadfinder?«

»Dazu möchte ich nicht raten, denn ich weiß nicht, auf welchem der zwanzig Kanäle der Sergeant herankommt; die Schlange aber windet sich durch alle, verlaßt Euch darauf. Mein Rat ist, wir bleiben hier. Das Holz dieser Wände ist noch grün und kann nicht leicht in Brand gesetzt werden, und so getraue ich mich wohl, das Blockhaus gegen einen ganzen Indianerstamm zu halten. Auch sind wir von hier aus im stande, Euren Vater durch Schüsse beizeiten zu warnen, und sollte er die Mingos angreifen, was ihm wohl zuzutrauen ist, dann ist der Besitz dieses festen Platzes von größter Wichtigkeit. Übrigens möchte ich doch wissen, auf welche Weise die Franzosen diese Station entdeckt haben; ich fürchte, daß das nur durch Verräterei möglich gewesen ist.«

»Jasper Western aber ist der Verräter nicht!« rief das Mädchen mit Wärme.

»Nein, Kind, der ist's nicht; für Jaspers Ehrlichkeit stehe ich mit meinem Skalp ein und, wenn's sein muß, auch mit meiner Büchse.«

Mabel dankte dem Jäger mit einem innigen Blick. »Was beginnen wir mit Juni?« fragte sie dann.

»Ich dachte bereits daran, sie irgendwo einzusperren,« antwortete Pfadfinder.

»Damit würdet Ihr mir weh thun,« entgegnete Mabel, »denn ich schulde ihr den größten Dank. Auch glaube ich, daß sie mir viel zu sehr zugethan ist, um mich in Gefahr zu bringen.«

»Ihr kennt die Rasse nicht, Mabel. Sie gehört freilich nicht zum Stamme der Mingos, doch hat sie genug mit den Schelmen verkehrt und sicherlich manche Tücke von ihnen gelernt ... Horch! Was ist das?«

»Ich höre rudern – das muß ein Boot sein!« rief Mabel.

Pfadfinder eilte die Leiter hinauf und trat an eine Schießscharte, Mabel folgte ihm. Es war finster draußen, trotzdem gewahrten sie bald zwei Boote auf dem Kanal, die soeben, etwa fünfzig Schritte entfernt, am Ufer anlegten. Im nächsten Augenblick erschallten drei kräftige Hurras, den Insassen des Blockhauses keinen Zweifel über das Wer und Woher der Ankömmlinge lassend. Pfadfinder sprang hinab und riß die Riegel von der Thür; da krachte draußen eine Gewehrsalve und zugleich erscholl aus dem umliegenden Dickicht das indianische Kriegsgeheul.

Die Thür war offen und Pfadfinder und Mabel eilten hinaus. Alles war wieder still, nur von den Booten her glaubte der lauschende Jäger ein Stöhnen zu vernehmen; das Rauschen des Windes in den Bäumen aber konnte auch eine Täuschung zulassen. Mabel machte Miene, zum Ufer zu laufen, der Jäger aber hielt sie am Arm fest.

»Ihr rennt in den gewissen Tod,« sagte er leise, »ohne dadurch jemand zu nützen. Wir müssen ins Blockhaus zurück.«

Während er noch sprach, entdeckte sein schnelles Auge eine Anzahl dunkler Gestalten, die sich gebückt heranschlichen, augenscheinlich in der Absicht, sie von dem Blockhaus abzuschneiden. Ohne sich zu besinnen, nahm er Mabel wie ein kleines Kind unter den Arm und sprang mit ihr in langen Sätzen der Thür zu, die Verfolger unmittelbar hinter sich. Er erreichte den Eingang und schlug die schwere Thür gerade in dem Augenblick zu, als sich die Wilden mit aller Kraft dagegen warfen. Ein Riegel lag jedoch bereits davor und im Nu folgten die andern. Sie waren geborgen.

Mabel stieg die Leiter empor, während Pfadfinder den Raum untersuchte und feststellte, daß kein Feind sich eingeschlichen hatte. Juni war entflohen, das Blockhaus beherbergte jetzt nur das Mädchen und ihn selber. Er begab sich zu Mabel in das obere Geschoß, das den eigentlichen Wohnraum bildete, setzte sich nieder und untersuchte das Pulver in der Pfanne seiner langen Büchse.

»Unsere schlimmsten Befürchtungen sind eingetroffen,« sagte Mabel tonlos. »Mein geliebter Vater und alle seine Leute sind entweder tot oder gefangen!«

»Das wird sich zeigen, wenn der Morgen kommt,« versetzte der Jäger. »Verhielte es sich so, wie Ihr sagt, dann hätten die Mingos schon ihr Triumphgeheul angestimmt. Eins ist sicher: wenn der Feind die Oberhand hat, dann wird er uns bald zur Übergabe auffordern. Durch die Squaw kennen die Schelme unsere Lage, und da sie wissen, daß sie sich bei Tageslicht nicht in der Nähe des Blockhauses sehen lassen dürfen, solange Killdeer noch seinem alten Ruf entspricht, so ist anzunehmen, daß sie ihre Mordbrennereiversuche während der Dunkelheit anstellen werden.«

»Ich höre jemand stöhnen, Pfadfinder!« unterbrach ihn Mabel.

Der Jäger sprang auf und trat an eine Schießscharte. Das Mädchen hatte sich nicht getäuscht.

»Wer ist da unten?« fragte er, ohne die Stimme zu erheben. »Ist ein Freund in Not, so sag er's und rechne auf unsere Hilfe.«

»Pfadfinder!« antwortete eine Stimme, die Mabel wie der Jäger sogleich als die des Sergeanten erkannten; »Pfadfinder! Im Namen Gottes, sagt mir, was ist aus meiner Tochter geworden?«

»Ich bin hier, Vater – unverletzt und in Sicherheit!« rief Mabel.

Ein Ausruf des Dankes kam von unten, dem jedoch sogleich ein dumpfer Wehelaut folgte.

»Mein Vater ist verwundet, Pfadfinder,« sagte Mabel mit seltsamer, übernatürlicher Ruhe, »wir müssen ihn hereinholen.«

Beide stiegen hinab; mit größter Vorsicht entfernte der Jäger einen Riegel nach dem andern; als er die Thür ein wenig öffnete, spürte er von außen einen schweren Druck gegen dieselbe; schon wollte er sie wieder zuwerfen, da zeigte ihm ein schneller Blick noch rechtzeitig die Ursache; er that die Pforte auf und empfing den hereinsinkenden Körper des Sergeanten in seinen Armen. Gleich darauf war die Thür wieder verrammelt, und nun konnten sie ihre ganze Sorgfalt dem Verwundeten zuwenden.

Der Sergeant hatte einen Schuß durch die Brust erhalten; Pfadfinder, mit der Behandlung von dergleichen Wunden längst vertraut, sah auf den ersten Blick, daß sein alter Freund nur noch wenige Stunden zu leben hatte.


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