James Fenimore Cooper
Der Bravo
James Fenimore Cooper

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Neuntes Kapitel

Wir haben gesehen, daß die zur Wettfahrt bestimmten Gondeln an den Ort des Auslaufs bugsiert wurden, damit die Gondolieri den Kampf mit unverringerten Kräften beginnen könnten. Bei dieser Vorsichtsmaßregel hatte man auch den halbbekleideten Fischer nicht vergessen und auch sein Boot mit an die größeren Barken befestigt, denen dies Geschäft oblag. Nun aber, als er den Kanal entlang, an den vollgedrängten Balkonen und ächzenden Schiffen, die ihn auf beiden Seiten säumten, vorüberkam, erhob sich ein verspottendes Gelächter.

Dem alten Manne entgingen die Bemerkungen nicht, die über ihn gemacht wurden.

Er schaute sehnsüchtig umher und schien in jedem Auge, dem er begegnete, ein wenig von dem Mitleid zu suchen, danach noch sein gedrücktes Herz begehrte. Aber selbst seine Handwerksgenossen ließen ihn Spottreden hören, und obgleich er vielleicht der einzige war von allen Bewerbern, dessen Ehrbegier ein trefflicher Beweggrund rechtfertigte, so galt er doch allen für die beste Zielscheibe ihres Witzes.

Die Bewegung der Boote brachte den maskierten Schiffer neben den bespöttelten Alten.

»Du bist nicht der Liebling der Menge bei diesem Kampfe«, bemerkte der erstere, als sich eine neue Flut von Spötteleien über seinen Nachbar ergoß. »Du warst nicht sorgfältig genug in deinem Anzug. Denn diese Stadt liebt die Pracht, und wer ihren Beifall begehrt, muß nicht auf den Kanälen so erscheinen mit den Spuren der Armseligkeit in seinem Äußeren.«

»O, ich kenne sie, ich kenne sie!« entgegnete der Fischer. »Sie überheben sich in ihrem Stolz und denken schlecht von jedem, der ihre Eitelkeit nicht mitmachen kann.«

»Du hättest dir die Sache besser bedenken sollen, ehe du dich so vieler Kränkung aussetztest. Wenn du unterliegst, so wird dich das Volk nicht mit größerer Schonung behandeln.«

»Mich hat eine schwere Trübsal betroffen, und vielleicht trägt dieser Wettlauf dazu bei, die Last meines Kummers zu vermindern. Ich kann nicht sagen, daß ich all dies Gelächter und diese verächtlichen Reden anhöre, wie man dem Abendwinde auf den Lagunen horcht – denn ein Mensch bleibt ein Mensch, und wenn er unter den Ärmsten lebt und sein Unterhalt der kümmerlichste ist. Aber lasset es gut sein, St. Antonio wird mir Kraft geben, es zu ertragen.«

»Du hast einen wackern Sinn, Fischer, und ich wollte gern auch meinen Patron bitten, deinen Arm zu kräftigen, wenn ich nicht selber des Sieges sehr benötigt wäre. Willst du dich aber mit dem zweiten Preise begnügen, wenn ich dich durch irgendeine Praktik in deiner Anstrengung begünstigen kann? – Denn das Metall des dritten Preises wird dir, denk ich, ebensowenig behagen als mir.«

»Was mich betrifft, so zähl ich weder auf Gold noch Silber.«

»Kann es bloß die Ehre des Kampfes sein, wonach ein so alter Mann trachtet?«

Der Greis sah seinen Gefährten ernst an, schüttelte dann aber, ohne zu antworten, den Kopf. Neue Späße auf seine Kosten bewogen ihn, sich nach den Spottvögeln umzuschauen, und er sah, daß sie eben bei einer Schar seiner eigenen Kameraden von den Lagunen vorüberkamen, die sich einzubilden schienen, daß sein unverzeihliches Streben auf die Ehre ihres ganzen Standes gewissermaßen ein schlechtes Licht würfe.

»Heda, alter Antonio«, rief der Dreisteste des Haufens, »bist du nicht zufrieden, daß du mit dem Netze Dank gewonnen hast, und willst noch ein goldnes Ruder um den Hals haben?«

»Wir werden ihn noch im Senate sitzen sehen!« schrie ein zweiter.

»Wir werden den edeln Admiral Antonio im Buzentaur daherfahren sehen mit den Edeln des Landes«, fügte ein dritter hinzu.

Ihrem Witz folgte immer ein wieherndes Gelächter. Selbst die Schönen auf den Balkonen wurden mit angesteckt durch das unaufhörliche Gespött und durch das so augenscheinliche Mißverhältnis zwischen dem Zustande und den Mitteln des seltsamen Bewerbers um den Sieg bei der Regatta. Das Vorhaben des alten Mannes fing schon an schwankend zu werden, aber ein innerer Trieb schien ihn zu nötigen und zu kräftigen, daß er standhielt.

Sein Nebenmann beobachtete mit Aufmerksamkeit den wechselnden Ausdruck eines Gesichtes, das nicht genug an Verstellung gewöhnt war, um innere Gefühle zu verbergen; und als sie sich dem Orte des Auslaufs näherten, begann er von neuem: »Noch hast du Zeit, dich zurückzuziehen! Warum sollte sich ein Mann von deinen Jahren die wenige Zeit, die ihm noch vergönnt ist, verbittern lassen durch den Spott seiner Kameraden, der nicht enden wird, solang er lebt?«

»Sankt Antonius hat ein größeres Wunder getan, als er die Fische heraufkommen hieß, um seine Predigt anzuhören, darum will auch ich nicht Feigheit verraten in einem Augenblick, wo es Entschlossenheit gilt.«

Der maskierte Schiffer bekreuzigte sich fromm, und da er nicht mehr hoffte, jenen zu bereden, daß er von seinem vergeblichen Bemühen abstehe, so richtete er alle seine Gedanken auf seinen eigenen Vorteil in dem bevorstehenden Kampfe.

Der Canale Grande, wenn man seine Windungen einrechnet, ist über eine halbe Meile lang. Man nahm daher zu dem Wettfahren nur etwa die Hälfte seiner Länge und bestimmte zum Punkte des Auslaufs den Rialto. Dort wurden alle Gondeln hingebracht, in Begleitung derer, die sie ordnen sollten.

»Gino von Kalabrien«, rief der ordnende Marschall. »Du stellst dich zur Rechten auf. Sankt Januarius geleite dich!«

Don Camillos Diener ergriff sein Ruder, und sein Boot glitt zierlich an den angewiesenen Platz.

»Du bist der nächste, Enrico von Fusina. Ruf deinen Schutzpatron von Padua nur wacker an und sei sparsam mit deiner Kraft. Denn noch hat keiner vom Festland je einen Preis gewonnen in Venedig.«

Darauf nannte er der Reihe nach alle, deren Namen wir nicht angeführt haben, und ließ sie nebeneinander mitten im Kanal aufstellen.

»Hier ist dein Platz, Signore!« fuhr der Marschall fort, sich dem unbekannten Gondoliere zuneigend. Denn auch er hatte den Eindruck bekommen, daß sich hinter der Maske das Gesicht eines jungen Patriziers berge, der dem Einfalle einer launischen Schönen willfahre. »Der Zufall hat dir die äußerste linke Seite bestimmt.«

»Du hast vergessen, den Fischer aufzurufen«, bemerkte der Maskierte, während er seine Gondel in die angewiesene Lage brachte.

»Besteht der grauköpfige Narr noch darauf, seine Eitelkeit und seine Lumpen vor den Besten Venedigs zur Schau zu stellen?«

»Ich kann den Nachtrab bilden«, erwiderte Antonio geduldig. »Mögen die in der Linie bleiben, für die es sich nicht schickt, sich einem Menschen, wie ich bin, zuzugesellen. Ein paar Stöße mit dem Ruder mehr oder weniger können bei einer so langen Fahrt wenig austragen.«

»Es würde besser sein, wenn du so bescheiden als anspruchslos wärest und zurückbliebest.«

»Wenn's Euch beliebt, Signore, will ich lieber versuchen, was der heilige Antonius für einen alten Mann tun mag, der abends und morgens seit sechzig Jahren zu ihm gebetet hat.«

»Es ist dein Recht, und da du zufrieden damit scheinst, so behalte deinen Platz im Nachzuge. Du hast ihn so nur einige Augenblicke früher, als du ihn sonst gehabt haben würdest. Erinnert euch jetzt an die Regeln des Kampfes und rufet eure Schutzheiligen noch einmal an. Kein Ausfahren, noch andere schlechte Mittel dürfen angewendet werden, es gilt nichts als flinke Ruder und hurtiges Gelenk. Wer unnütz aus der Linie weicht, ehe er an der Spitze ist, soll beim Namen zurückgerufen werden, und wer schuldig befunden wird, das Spiel irgendwie gestört oder die Patrizier auf andere Weise erzürnt zu haben, soll angehalten und außerdem bestraft werden. – Haltet euch bereit zum Signale.«

Der Spielgehilfe, der sich in einem stark bemannten Boote befand, fuhr ein wenig zurück, während Eilboote, ähnlich ausgerüstet, voranflogen, die Neugierigen vom Wasser zu vertreiben. Kaum waren diese Vorbereitungen gemacht, so flatterte vom nächsten Dome ein Zeichen, ein ähnliches erschien alsbald auf dem Campanile, und vom Arsenal ward eine Kanone gelöst. Ein dumpfes, unterdrücktes Murmeln erhob sich unter der Menge, und eine erwartungsvolle Pause folgte.

Jeder Gondoliere hatte die Seite seines Bootes ein wenig dem linken Ufer des Kanals zugewendet, wie der Jockei zu tun pflegt mit seinem Renner, um dessen Feuer zurückzuhalten oder seine Aufmerksamkeit zu zerstreuen. Aber der erste lange und breite Schwung des Ruders brachte sie alle wieder in eine Linie, und in einem Zuge flogen sie dahin.

Während der ersten paar Minuten war in der Geschwindigkeit der Gondeln kein Unterschied, und der Kundige konnte aus keinerlei Wahrzeichen auf den mutmaßlichen Erfolg schließen. Die zehn, die die Vorderreihe bildeten, durchstrichen die Flut mit gleichförmiger Schnelligkeit einer neben dem anderen, als hielte sie eine geheime Kraft zusammen, während die anspruchslose, aber ebenfalls leichte Barke des Fischers im Nachzuge blieb. Bald gewann ein jeder Gewalt über sein Fahrzeug. Die Ruder bewegten sich im richtigen Gleichgewicht und weitesten Schwunge, und die Handgelenke ihrer Führer wurden geschmeidig. Nun begann die Linie zu schwanken. Sie wallte hin und her, indem ein flimmerndes Schiffsvorderteil dem andern zuvorstrebte; da gewann das Ganze eine andere Gestalt. Enrico von Fusina war der vorderste, und nach dem Vorrecht dieses Gewinns trieb er unmerklich der Mitte des Kanals zu und vermied durch diesen Wechsel die Kreiswellen und sonstigen Hindernisse des Ufers.

Dies Manöver, in der Kunstsprache das »Gewinnen des Gleises«, brachte ihm außerdem den Vorteil, daß die von seiner Gondel zurückgeworfenen Wellen seinen Hintermann ein wenig hinderten. Zunächst kam der starke und gewandte Bartolomeo vom Lido, wie ihn seine Kameraden nannten, und schlug eine solche Bahn hinter seinem Vordermanne ein, daß ihm die Rückwirkung von dessen Ruder keinen Schaden tat. Bald schoß auch Don Camillos Diener aus der Reihe hervor, und man sah ihn weiter zur Rechten, aber ein wenig hinter Bartolomeo seine Arme kräftig rühren. In der Mitte des Kanals, und möglichst dicht hinter dem Schiffer vom Festlande, folgte ein geschlossener Haufen ohne viel Ordnung und mit wechselndem Vorteil, in dem einer den andern zum Ausweichen zwang oder auf andere Weise die Schwierigkeit der Fahrt vermehrte. Weiter zur Linken und den Häusern so nah, daß er nur eben Raum genug für die Bewegung seines Ruders hatte, fuhr der maskierte Mitkämpfer, dessen Eile durch eine verborgene Ursache gehemmt schien, denn er blieb hinter allen anderen zurück, und endlich war eine Entfernung von einigen Bootslängen zwischen ihm und den ungenannten Mitkämpfern. Doch bewegte er seine Arme mit Ausdauer und mit hinlänglicher Geschicklichkeit. Da ihm sein geheimnisvolles Auftreten Teilnahme erweckt hatte, so lief ein Gerücht den Kanal entlang, daß der junge Kavalier in der Wahl des Bootes unglücklich gewesen sei. Andere flüsterten von der Tollheit, sich als Adliger der Kränkung auszusetzen durch eine Konkurrenz mit solchen Leuten, die ihre Sehnen in täglicher Arbeit gehärtet haben und durch Übung imstande sind, jeden Vorteil der Fahrt recht und schnell zu benutzen. Wenn sich aber die Augen der Zuschauer von dem Haufen der vorbeieilenden Boote der einsamen Barke des Fischers zuwendeten, die allein hinten nachkam, so verwandelte sich die Verwunderung wieder in Spott.

Männlich, wenn auch innerlich bekümmert, ertrug Antonio alle Sticheleien, bis er sich dem Platze näherte, den seine Kameraden eingenommen hatten. Von diesem Augenblick an verminderte sich das Geschrei gegen den Fischer, und als der Buzentaur nun sichtbar wurde, obgleich noch entfernt, verschlang das Interesse am Ausgange des Kampfes jede andere Regung.

Enrico war noch an der Spitze, aber die Kenner der Gondolierekunst entdeckten schon Zeichen von Erschöpfung an seinem schwankenden Ruder. Der Schiffer vom Lido war hart hinter ihm, und der Kalabrese kam fast in eine Linie mit beiden. In diesem Augenblick entwickelte auch der maskierte Mitkämpfer eine Kraft und Geschicklichkeit, die niemand bei einem Manne von seinem vermeinten Stande erwartet hätte. Sein Körper legte sich mehr in die Kraft des Ruders, sein Bein war zur Unterstützung des Stoßes rückwärts gestemmt und bot den Augen der Beschauer eine muskulöse Fülle und ein Ebenmaß dar, daß sich ein Beifallsgemurmel rings erhob. Bald zeigte sich der Erfolg. Seine Gondel glitt an den anderen in der Mitte des Kanals Rudernden vorüber, und er wurde der vierte im Zuge. Kaum hatte die Menge, ihn dafür zu belohnen, einen Beifallsruf erhoben, als ein neues, ganz unerwartetes Schauspiel ihre Bewunderung auf sich zog.

Antonio nämlich, seinen eigenen Anstrengungen jetzt mehr überlassen und minder von Verachtung und Spott gequält, hatte sich dem Haufen seiner ungenannten Kampfgenossen bald genähert. Unter diesen sah man Gondolieri, die sich auf den Kanälen von Venedig berühmt gemacht hatten und auf deren Geschicklichkeit und Körperkraft die Stadt stolz war. Ob nun begünstigt durch seine einsame Stellung oder frei von den Hindernissen, die jene sich selber bereiteten, genug, man sah den verachteten Fischer ihnen zur Linken heraufkommen mit einem kräftigen Schwung des Ruders, der weiteren Erfolg verhieß. Bald erfüllte sich die Erwartung. Er überholte sie alle unter einem regungslosen, bewundernden Schweigen der Zuschauer und ward jetzt der fünfte im Zuge.

Von nun an war alles Interesse an der größeren Masse der Boote verloren, und jedes Auge wendete sich den Vordersten zu, unter denen der Wetteifer mit jedem Ruderschlag zunahm, während der Ausgang einen neuen zweifelhaften Charakter zu gewinnen schien. Die Anstrengungen des Schiffers von Fusina schienen sich zu verdoppeln, ohne daß sein Boot darum geschwinder ging. Bartolomeos Gondel schoß an ihm vorbei. Diesem folgten Gino und der maskierte Gondoliere, während kein Laut die Teilnahme der Zuschauer verriet, die sich kaum zu atmen getrauten. Als aber auch Antonios Boot vorbeiflog, da erhob sich ein Brausen von Stimmen, wie wenn in einer großen Menge die Stimmung ihrer wunderlichen Laune plötzlich und gewaltsam wechselt. Enrico war rasend über sein Mißgeschick. Er strengte mit verzweifelter Heftigkeit alle Kraft seines Körpers an, um die Schande von sich abzuwenden; dann aber warf er sich auf den Boden seiner Gondel und raufte sein Haar, in tödlicher Wut weinend. Die Nachgeblieben waren, folgten seinem Beispiele, aber mit größerer Fassung, indem sie seitwärts unter die Boote schlüpften, die den Kanal säumten, und sich nicht weiter blicken ließen.

Dieses offene und unerwartete Aufgeben des Kampfes zeigte den Zuschauern, wie verzweifelt es stand. Aber da man mit einem verunglückten Preisbewerber nicht viel Mitleid zu haben pflegt, so waren die Besiegten bald vergessen. Bartolomeos Name ward von tausend Stimmen hoch in die Lüfte getragen, und seine Kameraden von der Piazetta und dem Lido schrien ihm laut zu, für die Ehre ihrer Kunst zu sterben. Der kräftige Gondoliere entsprach ihren Wünschen: Palast auf Palast blieb dahinten, und die Boote befanden sich in demselben Verhältnisse ihrer Stellung gegeneinander. Aber wie sein Vorgänger verdoppelte der jetzige Vordermann seine Anstrengung mit verringertem Erfolge, und Venedig erfuhr die Kränkung, einen Fremden an der Spitze einer der glänzendsten Regatten zu sehen. Denn kaum hatte Bartolomeo seinen Platz aufgegeben, so schoß ihm Gino vorüber, dann der Maskierte und zuletzt der verachtete Fischer; er, der bisher der erste gewesen war, blieb nun der letzte. Er gab aber den Kampf nicht auf, sondern fuhr fort, mit einer Anstrengung zu rudern, die ein besseres Glück verdient hätte.

Als die Gondelreihe diese ganz unerwartete und neue Gestalt gewonnen hatte, war doch immer noch eine beträchtliche Strecke bis zu dem Ziele. Gino war voran, und manch günstiges Zeichen verhieß, daß er seinen Vorteil würde behaupten können. Der Zuruf der Menge ermutigte ihn, denn sie hatten jetzt vergessen, daß er ein Kalabrese war, und viele von den Dienstleuten seines Herrn riefen ihn anfeuernd bei Namen. Es half aber alles nichts. Der Maskierte verwandte jetzt erst seine ganze Kunst und Stärke auf sein Ruder. Die fügsame Gondel gehorchte und schoß unter den Zurufen, das sich von der Piazetta bis zum Rialto fortpflanzte, an die Spitze der übrigen.

Wie glücklicher Erfolg Kraft gibt und die geistige und körperliche Tätigkeit stärkt, so hat das Unterliegen die entgegengesetzte, traurige Wirkung. Don Camillos Diener machte keine Ausnahme von dieser Regel, und als sein maskierter Mitbewerber an ihm vorbeiflog, folgte diesem auch Antonios Boot, als würde es durch dieselben Ruderstöße getrieben. Nun schien sich sogar die Entfernung zwischen den beiden vordersten Gondeln zu verringern, und schon erwarteten alle mit atemloser Teilnahme, den Fischer trotz seiner Jahre und seines Bootes voraneilen zu sehen.

Diese Erwartung aber ward getäuscht. Dem Maskierten, wie groß auch die Anstrengung war, schien Arbeit ein Spiel, so flink zeigte sich sein Ruder, so sicher sein Stoß, so kräftig sein Arm. Aber Antonio war auch kein verächtlicher Gegner. Wenngleich seine Stellungen weniger die Zierlichkeit eines geübten Gondoliere erreichten als die seines Nebenmannes, so war doch die Kraft seiner Sehnen nicht erschlafft. Sie hielten bis zuletzt aus, denn sie waren durch sechzig Jahre unausgesetzter Arbeit gehärtet, und indem sich seine athletische Gestalt der äußersten Anstrengung hingab, merkte man kein Nachlassen seiner Rüstigkeit.

Die vordersten Gondeln waren in wenigen Augenblicken um ein paar Bootslängen von den übrigen voraus. Der dunkle Schnabel des Fischerbootes hing dicht am Hinterteil der glänzenden Gondel, die sein Gegner führte; mehr aber war nicht zu erreichen. Vor ihnen lag der Hafen offen, und immer in demselben Verhältnis der Entfernung voneinander flogen sie an Kirche, Palast, Barke und Feluke vorüber. Der maskierte Bootsmann warf einen Blick zurück, als wollte er seinen Vorteil berechnen. Dann beugte er sich wieder seinem Ruder zu und sagte gerade so laut, daß ihn nur der hören konnte, der dicht hinter ihm war: »Ich habe mich in dir getäuscht, Fischer. Du bist kräftiger, als ich dachte.«

»Wenn meine Arme noch kräftig sind, so ist doch mein Herz kindisch und kummervoll«, erwiderte der Fischer.

»Liegt dir soviel an einem goldenen Tand? Du bist der zweite, sei zufrieden mit deinem Glücke.«

»Das hilft mir nichts. Ich muß der Vorderste sein, oder ich habe meine alten Knochen umsonst angestrengt.«

Dieses kurze Gespräch wurde mit einer Leichtigkeit geführt, die hinlänglich bewies, wie beide an heftige Körperanstrengungen gewöhnt waren, und mit einer Festigkeit der Stimme, die wenigen anderen in diesem Augenblicke möglich gewesen wäre. Der Maskierte schwieg, aber sein Vorsatz schien wankend zu werden.

Der Fischer strengte seinen Körper aufs äußerste an und gewann einen Vorsprung. Ein Ruderstoß machte das Boot bis in die Mitte erzittern. Dann flog die Gondel zwischen die beiden Barken des Ziels, und die Fähnchen, die den Siegespunkt bezeichneten, fielen ins Wasser. Man merkte dies kaum, als auch schon des Maskierten glänzendes Boot vor den Augen der Richter vorbeischoß, so daß sie einen Augenblick in Zweifel waren, wer gesiegt habe. Gino blieb nicht lange zurück, und nach ihm kam Bartolomeo, als der vierte und letzte in der vollkommensten Wettfahrt, die man je auf den Wassern in Venedig gesehen hatte.

Als die Fähnchen fielen, hielt jeder der Zuschauer voll Erwartung den Atem an. Wenige wußten, wer gesiegt habe, so nahe waren die Kämpfer aneinander gewesen. Ein Trompetenzeichen gebot Ruhe, und ein Herold rief nun öffentlich aus, daß Antonio, ein Fischer von den Lagunen, mit Hilfe seines Schutzpatrons vom wunderbaren Fischzug den goldenen Preis davongetragen habe, während einem maskierten Schiffer, der sich der Obhut des heiligen Johannes von der Wüste anvertraut habe, der silberne Preis zugefallen sei, der dritte aber dem Kalabresen Gino, einem Diener Don Camillo Monfortes, des Herzogs von Sant' Agata, eines Herrn vieler Besitztümer in Neapel.

Dieser feierlichen Bekanntmachung folgte zuerst eine Grabesstille. Darauf erhob sich der laute Jubelruf der Menge, der Antonios Namen zu den Wolken trug, als würde der Sieg eines großen Helden gefeiert. Alle Verachtung war über seinen Triumph vergessen. Die Fischer von den Lagunen, die noch kürzlich ihren alten Kameraden mit Schimpf überhäuft hatten, priesen jetzt seinen Ruhm mit einem Eifer, wie es immer der Preis eines glücklichen Erfolges war und immer sein wird. Zehntausend Stimmen erhoben sich, seine Geschicklichkeit und seinen Sieg zu rühmen. Jung und alt, die Schönen, die Stutzer, die Edeln, die, die Zechinen gewannen, und die, die verloren: alle bemühten sich, einen Blick des alten Mannes zu erhaschen, der so unerwartet diesen Wechsel der Empfindung in den Gemütern der Menge hervorgerufen hatte.

Antonio trug seinen Triumph bescheiden. Als seine Gondel das Ziel erreicht hatte, hielt er sie an, ohne, wie sonst zu geschehen pflegt, ein Zeichen von Erschöpfung zu verraten. Er blieb stehen, obgleich das mächtige Wogen seiner breiten, gebräunten Brust bewies, daß er seinen Kräften das Äußerste geboten hatte.

Seine Züge arbeiteten, und eine brennende Träne lief über jede seiner rauhen Backen. Dann atmete der Fischer freier.

Auch der maskierte Gondoliere verriet kein Zeichen von Entkräftung. Seine Knie bebten nicht, seine Hände hielten das Ruder noch fest, und seine sichere Stellung ließ die natürliche Vollkommenheit seiner Gestalt bemerken. Gino und Bartolomeo aber sanken in ihre Boote zurück, sowie sie das Ziel nacheinander erreichten. Diese berühmten Gondolieri waren beide so erschöpft, daß einige Augenblicke vergingen, ehe sie zum Reden Atem gewannen. Während dieser augenblicklichen Pause drückten die Zuschauer dem Sieger ihren Beifall durch den anhaltendsten und lautesten Zuruf aus. Kaum erstarb das Getöse, so forderte ein Herold Antonio, den maskierten Schiffer und Gino vor den Dogen, von dessen Hand sie die verheißenen Preise der Regatta empfangen sollten.

 


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