Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Schwert und die Schlangen

Ein Mährchen in acht Kapiteln.

1816

Erstes Kapitel.

Von der Oedenburg und ihren Bewohnern.
Meister Ezzelino mit dem Dachsränzelein.

 

In einem tiefen, tiefen Thal, mitten im wilden Gebirge, da lebte einmal vor langer Zeit ein Mann mit seinem Sohn und zwei Knechten. Sie hatten sich eine geräumiges Haus in diese Einsamkeit hinein gebaut, und hatten es die Oedenburg genannt, denn öde war die Gegend ringsumher auf viele Stunden, und ihr Haus das einzige im ganzen Gebirge. Der Mann hieß Wolfgang, sein Sohn aber Raimund.

So hatten sie in diesem Thale miteinander gelebt seit 16 Jahren. Kein fremder Mensch war in dieser Zeit dahin gekommen. Niemand im ganzen Lande wußte von der Oedenburg. Raimunds Mutter, die mit dahin gezogen, war vor 10 Jahren bereits gestorben und Raimund jetzo 18 Jahr. Doch hätte ihn jeder willig für älter genommen, denn er war hoch und schlank aufgeschossen wie eine Tanne, und gewaltig an Brust und Armen. Kein Felsen stand ihm zu hoch und steil, kein Strom war ihm zu mächtig, kein Wild zu schnell.

Da saß Wolfgang eines Abends mit ihm und mit den Knechten am Heerde. Die Männer sprachen untereinander von der Zeit, da sie noch unter den übrigen Menschen lebten. Raimund hörte zu und hatte viel zu fragen. Draußen aber machte sich der Sturm auf, warf die Wolken, die schon den ganzen Tag zusammengeballt am höchsten Gebirgsrücken gehangen hatten, herunter in die Thäler, und fuhr schnaubend und brausend durch den Tannenwald.

»Ist mirs doch,« sagte Wolfgang auf einmal und horchte, – »ist mirs doch, als klopfte es draußen an der Thür. Was könnte das wohl seyn?«

»Es ist der Wind, Herr!« meinte Erich, der ältere von den Knechten.

»Ja, Wind!« rief Bolko der andere Knecht. »Wenn du das Wind nennen willst, was Hände und Füße hat. Zwei Hände und Füße sag' ich, auch wohl nach Gelegenheit einmal drei oder vier. Ich höre das Klopfen schon lange und weiß wohl, wer sich den Spaß macht. Aber man muß thun, als hörte man's nicht.«

Indem klopfte es wieder ganz laut und vernehmlich. Wolfgang und Erich sahen einander verwundert an.

»Nun, so sieh' doch einmal hinaus, Bolko!« rief Wolfgang endlich. »Es könnte sich doch wohl jemand verirrt haben.«

Bolko schüttete den Kopf. »Nehmts nicht für ungut, Herr; ich stecke meine Nase nicht zur Thür hinaus; denn wer steht mir denn dafür, daß ich sie nicht vielleicht noch einmal so lang wieder hereinbringe. Der liebe Gott hat mich ohnedies schon an diesem Theil meines Leibes über die Gebühr gesegnet, und den Herrn, der draußen pocht, den kenn' ich schon; der hat sein Gefallen an derlei Späßen.«

Indessen Bolko so sprach, war Raimund bereits aufgestanden. Er zündete eine Kienfackel auf dem Heerde an und ging hinaus. Erich langte die blanke Streitaxt, die über ihm an der Wand hing, vom Nagel und folgte ihm.

Es dauerte nicht lange, so traten sie beide wieder herein mit einem kleinen Männlein. Das ging auf Herrn Wolfgang zu, grüßte ihn freundlich, und bat um Herberge für diese Nacht. Er heiße Meister Ezzelino, sey für gewöhnlich wohnhaft in der Stadt Padua im Welschland, pflege aber des Sommers herumzuwandern, da und dorten in den Gebirgen, um den geheimen Kräften der Natur auf die Spur zu gehen, die sich in Kräutern, Steinen und Metallen auf das wunderbarste an den Tag legen. So sey er denn auch hierher gekommen, und da sich diese Gegend besonders reich erweise an den seltensten Dingen, habe ihn dies unvermerkt immer weiter in dieses Gebirge hinein verlockt, bis er nicht mehr gewußt wo aus noch ein, und gar herzlich froh gewesen sey, als er endlich in der Abenddämmerung von oben herab dieses Haus im Thale entdeckt habe.

Wolfgang hieß ihn willkommen und befahl Bolko'n, den Gast mit Speise und Trank zu erquicken. Bolko schob einen Tisch zum Feuer, und sorgte für alles Benöthigte; doch nahm er sich wohl in Acht, daß er dem Fremden nicht zu nahe kam.

Meister Ezzelino machte sichs bequem, legte seinen Mantel und ein kleines Dachsränzlein ab, das er auf dem Rücken trug, und setzte sich an den Tisch. Raimund sah ihm von der Seite zu, und hatte seine Freude an der wunderlichen Behendigkeit, mit der der Kleine aß und trank, wobei das rothe Spitzbärtlein an dessen Kinn sich possierlich auf und nieder bewegte.

»Nun,« sagte der Gast endlich, »nun hab' ich eurer Gastfreundschaft redlich Bescheid gethan, nun bitt' ich um die Vergunst, daß ich euch gleichfalls bewirthen darf.«

Er holte mit diesen Worten eine Flasche und 5 silberne Becher aus seinem Ränzlein und schenkte ein.

»Euer Meth ist gut,« fuhr er fort, »aber ich denke, mein Wein auch. Er ist aus meinem Vaterlande.«

Als Wolfgang und Erich von Wein sprechen hörten, und die edle Gottesgabe so hell und klar wie lauteres Gold in den Bechern perlte, da war ihnen freilich beinah zu Muth, als wenn sie die Sonne seit 16 Jahren zum erstenmal wieder aufgehen sähen. Bolko aber trat dem Fremden schnell einige Schritte näher, ja der Muth wuchs ihm endlich so weit, daß er sich gleichfalls an dem Tisch ihm gegenüber niederließ.

Alle sprachen hierauf wacker zu. Auch Raimund schien Gefallen zu finden an dem neuen Getränk. So kamen sie der Flasche bald auf den Grund. Meister Ezzelino holte noch eine aus dem Ränzel, und noch eine. Raimund wunderte sich freilich ein wenig, wie die drei Flaschen darin Platz gehabt hatten. Die Anderen aber nahmen daraus kein Arges und wurden bald gar munter und gesprächig.

Der fremde Gast wußte viel und mancherlei zu erzählen von den besonderen Dingen, die er auf seinen Reisen gehört, gesehen oder erlebt hatte.

»Ja,« sagte er endlich, »ich habe wohl mancherlei Wunderbares in der Welt erlebt, das Allersonderlichste aber doch, und was mit nichts anderm zu vergleichen steht, das ist die Geschichte von dem Könige mit den Schlangen. Vielleicht ist sie euch schon bekannt. Die ganze Welt spricht ja davon.«

Wolfgang bezeugte seine Unwissenheit und bat, er möchte ihnen doch die wunderbare Geschichte nicht vorenthalten.

»Nun, so wißt ihr doch wenigstens,« sagte der Fremde, »daß das ganze Land dort auf der andern Seite des Gebirges von einem heidnischen sehr mächtigen König beherrscht wird, und daß dieser König Giselherr heißt?«

»Ja, ja,« rief Wolfgang, »das wissen wir nur gar zu gut!«

»So? Nun,« sprach jener weiter, »dieser König Giselherr ist es, von dem ich spreche. Er war, wie ihr vielleicht wißt, der jüngste von drei Brüdern, und also nicht dazu bestimmt die Krone auf seinem Haupte zu tragen. Die beiden älteren aber starben nacheinander schnell hinweg.«

»Ja, ja, sie starben schnell hinweg!« unterbrach ihn Wolfgang, und lachte grimmig dazu.

Zweites Kapitel.

Die Geschichte von dem König mit den Schlangen. Raimunds Schwur.

 

Die beiden Brüder starben,« fuhr der Fremde fort, »und Giselherr ward König. Das ist er nun gewesen mit Ruhm und Ehren manches Jahr, und was er in Krieg und Frieden noch so keck oft unternahm, das führt' er auch zu seinem Ziel und Ende aus, und seine Macht, sein Reichthum und sein Glück war in den Ländern weit und breit umher beinah zum Sprichwort geworden.«

»Seit einem Jahr aber etwa hat sich alles plötzlich gewendet, König Giselherr ist jetzt der elendeste aller Menschen zu nennen, und um alle Schätze, die er aufgehäuft, möchte der schlechteste seiner Unterthanen nicht an seiner Stelle seyn.«

»Das soll sich also zugetragen haben. Als er eines Tages nämlich, wie man erzählt, auf die Jagd geritten und von seinem Gefolge abgekommen war, gelangt er tief im Walde zu einer Felsenhöhle. Aus dieser Höhle kommt ihm ein seltsames Geräusch zu Ohr, fast wie ein heftiges Blasen oder Zischen, und da er meint, daß rühre vielleicht von einer verborgenen Quelle her, steigt er vom Pferde und geht hinein sich zu erquicken. Das Zischen und Blasen wird immer stärker, je weiter er vorwärts schreitet; doch von einer Quelle ist nirgends eine Spur, wohl aber sieht er plötzlich zu seinen Füßen zwei menschliche Gerippe liegen, und da er jetzo fast erschrocken um sich schaut, und seine Augen sich indeß an die Dämmerung in der Höle gewöhnt haben, sieht er auf dem Boden und an den Wänden neben ihm, und an dem Gewöle über ihm sich alles regen und bewegen, und gewahret endlich, daß es tausend und abertausend Schlangen sind, die sich durcheinander ringeln, und ihn mit glänzenden Augen anstarren und mit gräßlichem Gezisch die Zungen ausstrecken nach ihm. Da sträubt sich sein Haar, das Entsetzen faßt ihm ins Mark seines Gebeins, und er taumelt zurück und wendet sich zur Flucht. In dem Augenblick aber schießen aus den beiden Menschengerippen zwei der größten Schlangen hervor, mit goldnen Kronen auf dem Kopfe, und folgen dem König nach, und obgleich dieser sein Pferd erreicht, und es über Berg und Thal, durch Sumpf und Moor in gestrecktem Laufe dahin treibt und meint den Schlangen zu entfliehen, so sind sie dennoch immer an des Rosses Hufen und erreichen die königliche Burg zu gleicher Zeit mit ihm. Hier laufen nun auf des Königs Ruf die Diener alsbald zusammen und wollen ihrem Herrn zu Hülfe kommen, allein die Schlangen stellen sich mit halb aufgerichtetem Leibe an das innere Thor der Burg, durch das sich jener geflüchtet, und verwehren den Eintritt jedem, der sich naht. Aus ihren Augen schleicht allmählich sich das Grausen in Aller Brust, wie sie der furchtbaren Schildwacht gegenüber stehen, und endlich, als von einem plötzlichen Schreck ergriffen und geschlagen, stäubt der ganze Haufen auseinander. Die Schlangen aber bleiben unverwandt so stehen bis um Mitternacht. Da ringeln sie sich die Treppe hinauf und gerade nach des Königs Schlafgemach. Die Dienerschaft und alles Volk, das die unerhörte Mähr versammelt, sie hören draußen vor der Burg das Hülferufen ihres Herrn, sie hören sein Angstgeschrei, das aller Ohr und Herz zerreißt, doch keiner wagt sich in die Burg hinein; bis endlich, als der Morgen graut, die Schlangen an dem äußern Thor erscheinen und sich langsam an dem Abhang hinunter wälzen nach dem Walde zu.«

»Und mit jeder Mitternacht seitdem sind auch die entsetzlichen Gäste wieder da und dringen in das Schlafgemach des Königs, kein Thor und Wall, kein Schloß und Riegel hält sie auf, und nagen und zehren bis der Morgen graut an seinem Herzen. Der kommende Tag heilt darauf die Wunden zu, ergänzt das Verlorne, und die Gäste kommen um Mitternacht wieder zum vollen frischen Mahle.«

»Zwar haben sich seitdem der wackern Ritter und treuen Diener einige gefunden, die das unsägliche Elend ihres Herrn gejammert, und welche tief in ihrer tapfern Brust die Schmach gefühlt, ihn also hülflos und ohne Beistand solcher gräßlichen Qual zu überlassen, und diese haben sich um Mitternacht zu ihm begeben, muthig entschlossen ihn zu beschützen gegen seine Peiniger, und die Ungeheuer zu bekämpfen; allein zerfleischt und ohne Leben sind sie am andern Morgen auf den Stufen der Burg gefunden worden, und der unglückliche König Giselherr harret noch bis diese Stunde seines Befreiers und Erlösers.«

Der Fremde schwieg, da sprang Raimund empor von seinem Sitze, seine Augen funkelten. »So wahr mir Gott helfe,« rief er, »ich werde ihn befreien und erlösen!«

»Unsinniger!« schrie Wolfgang zornig, »was beginnst du? Hier, wo Gott so sichtbarlich sein Rächeramt schon auf Erden verwaltet, willst du ihm frevelnd in den Arm fallen und sein Gericht aufhalten? Kennst du diesen König, den du von der gerechten Strafe zu befreien schwörst? Nun, so wisse, als sein Vater starb, da ließ er seine ältern Brüder beide heimlich ermorden, weil ihn nach der Krone gelüstete, er ließ sie ermorden mit Weib und Kind, und wahrlich nicht an ihm hat es gelegen, daß die schändliche That nicht gänzlich so vollbracht ward, als er es wollte.«

Raimund schwieg einige Augenblicke, dann reichte er jenem die Hand und sprach ruhig: »Vater, ich habe es geschworen, und so will ich es auch thun.«

Meister Ezzelino sprang schnell auf, zog Wolfgang auf die Seite, und redete heimlich mit ihm. Wolfgang hörte nachdenklich zu; dann wandte er sich, hob seine Augen gen Himmel und faltete die Hände, trat zu seinem Sohne und sprach mit feierlicher Stimme: »Wohlan, so ziehe hin, mein Sohn, und thue was dein Herz dich heißt. Ich sehe deinen raschen Schwur als Gottes Stimme an. Morgen mit dem frühsten brichst du auf. Meister Ezzelino wird dich begleiten.«

Drittes Kapitel.

Das Alpenröslein.
Raimund reist ab.

 

Die Morgendämmerung blickte oben kaum über den Bergen auf, und unten im tiefen Thal um die Oedenburg herbergte noch die Nacht, als Raimund schon von seinem Lager sprang. Er öffnete leise die Thür und nahm den Weg nach einem Hügel, der nicht weit hinter dem Hause lag. Auf diesem Hügel war seine Mutter begraben.

Er hatte seine Mutter sehr lieb gehabt, da sie noch lebte, und hielt das Andenken an sie gar hoch und werth. Jetzt aber wollte er nicht von dannen scheiden, ohne ihrem Grabe noch ein Lebewohl zurückzulassen.

Als er eine Weile still in Gedanken daneben gestanden hatte, schlugen die ersten rothen Strahlen der Morgensonne an den höchsten Gipfel des Gebirges, auf dem noch der Schnee lag, daß er wie ein König in seinem Purpurmantel über die dunkeln Rücken und Häupter der andern Berge weg ins Thal herab schaute; da nahm Raimund bei dem Schimmer ein Alpenröslein auf dem Grabe wahr, das gestern nicht da gestanden hatte und ihm auch sonst noch niemals hier vorgekommen war. Er sah es als einen Abschiedsgruß an, den die geliebte Mutter ihm herauf gesendet, pflückte es ab mit nassen Augen, und da indem eben der Klang des Hifthorns von der Oedenburg herüberschallte, der ihn rief, begab er sich auf den Rückweg.

Wolfgang und der Fremde harrten schon seiner. Alles war zu Abreise bereit. Auch Bolko, der seinen jungen Herrn als Knappe begleiten sollte, hatte sich mit einem alten verrosteten Panzerhemde und einem mächtig langen Schwerte dazu gerüstet.

Wolfgang war sehr still und ernst. Er reichte seinem Sohn einen Ring mit hellfunkelnden Steinen besetzt, und gebot ihm, denselben wohl zu verwahren; darauf schloß er ihn in seine Arme und segnete ihn, und gleichfalls still und ernst zogen die drei Wanderer von dannen.

Meister Ezzelino schien in dem Gebirge besser Bescheid zu wissen, als er gestern Abend vorgegeben hatte, denn er führte seine Gefährten einen andern und kürzern Weg hinauf, als beiden bekannt war. Die Sonne fing kaum an sich zu neigen, da standen sie bereits auf dem höchsten Rücken, und schauten auf der andern Seite hinab.

Zu ihren Füßen dehnte sich weithin ein finsterer ungeheurer Wald; jenseits des Waldes aber sahen sie ein wohlangebautes Land, und viele Dörfer, Städte und Burgen blinkten weiß im Sonnenschein.

»Schaut dort,« sagte Meister Ezzelino, »auf jenem fernen Berge, der so einzeln steht in der Ebene, da prangt die Burg des Königs Giselherr. Das ist dein Ziel, junger Degen. Dort harret dein ein schwerer Kampf. Du wirst ihn mit Ehren bestehen, ich baue fest auf dich. Aber merke wohl auf das, was ich dir jetzt zu sagen habe.«

»Nicht durch deine Kraft allein kannst du die beiden Ungeheuer bezwingen und erlegen. Sie sind Kinder der Hölle, und Hölle bezwingt nicht bloße Tapferkeit. Nur ein gewisses Schwert, von besonderer Macht und Tugend, nur das mag deinem tapfern Arm den Sieg verleihen. Dies Schwert ist jetzt in der Gewalt feindlicher Mächte, denen daran liegt, daß es nicht auf Erden herrsche, und diese haben es verborgen tief im Grunde unterirdischer Klüfte. Dort mußt du dir es holen. In jenen blauen Bergen, die sich schroff und zackig in seltsamen Gestalten zur Rechten erheben, da wirst du nähere Kunde finden. Dorthin also geht jetzt dein Weg. Ich aber kann dich nicht fürder begleiten. Doch wenn du in Noth bist, werde ich bei dir seyn. Ziehe hin und sey standhaft. Dem festen Willen ist die Welt unterthan. Dir aber, Freund Bolko, hinterlaß' ich mein Dachsränzlein. Das wird für euern Imbiß sorgen. Sey deinem Herren treu, und steh' ihm wacker zur Seite in der Gefahr.«

Er reichte beiden die Hand zum Abschiede. »Doch noch eins!« fuhr er fort, »du bist nicht ritterlich gerüstet und geschmückt. Dort unten, wo der Rauch aus dem Walde steigt, da wohnt ein kunstreicher Waffenschmid. Dem bringe nur einen Gruß vom Meister Ezzelino, fordere was du brauchst, und lasse dich nicht abschrecken. Er ist ein wunderlicher Gesell, und öfters nicht bei Laune. Doch ist er grob, so sey nur wieder hübsch grob: so wirst du am besten mit ihm fertig. Er mag dein erstes Probestücklein seyn. Gott sey mit dir!«

Raimund und Bolko hatten noch viele Fragen auf den Lippen, allein Meister Ezzelino verschwand in dem Augenblick hinter einem Felsenstücke.

Viertes Kapitel.

Das erste Abenteuer.
Wie Raimund zu dem Schmid kommt.

 

Der Wald war dicht und wild verwachsen; von einem Pfade nirgends eine Spur. Raimund stieg von Zeit zu Zeit auf einen Baum, um die Richtung nach dem aufsteigenden Rauche nicht zu verlieren. Es kamen die beiden Wanderer nur mit großer Beschwerde und langsam weiter. Raimund ging schweigend voran, der Knappe zog murrend und leise fluchend hinter drein.

»Nehmt mirs nicht übel, junger Herr,« hob Bolko endlich an, »ich kann nicht länger schweigen; mir frißt ein mörderlicher Groll an der Leber. Ich muß ersticken, wenn ich ihm nicht Luft mache. Es geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Der kleine Rothbart – ich möchte ihn gern anders betiteln, wenn wir nicht noch auf seinem Revier wären – der kleine Gottseybeiuns, den ich gar wohl kenne, oder ich will nicht Bolko heißen, er übt hier wieder einen von seinen Streichen aus, gebt Acht, und hat uns nur zum besten. Schon als ein Knabe hab' ich solche feine Stücklein von ihm erzählen hören. Ich sag' euch, an der ganzen Mähr von dem König mit den Schlangen ist kein wahres Wort.«

»Schweig still!« sprach Raimund, »und gieb etwas zu essen her. Mich hungert.«

»Mich auch,« rief Bolko, »so wahr ich einen Magen habe! Aber ich bitte euch, bestellt euren Hunger auf ein andermal. Sagt lieber, es wäre alleweil niemand zu Hause; er würde schlechte Unterhaltung finden. – Ja, seht mich nur nicht so groß an. Unser Vorrath ist heute Morgen rein aufgezehrt worden.«

»Nun aber, Meister Ezzelinos Dachsränzlein?« rief Raimund.

»Ja,« erwiederte Bolko, »Meister Ezzelino ist ein Ehrenmann. Er hat uns ein treffliches Mittel für die Augen mit auf den Weg gegeben. Ihr seht, was in dem Ränzlein ist, und wie es sich selber vor Verdruß darüber in tiefe Kummerfalten legt. Nichts ist darin, gar nichts! Es ist so leer, als wollt's meinem Magen mit gutem Beispiel vorangehen.«

Raimund hieß ihn nur hinein zu fassen. Er zog kopfschüttelnd den Riemen auf und steckte die Hand hinein. Sogleich aber zog er sie mit großem Geschrei wieder heraus, und warf ein mächtiges Bund Nesseln und Disteln weit von sich hinweg. – »Nun, seht ihr, seht ihr,« schrie er, »wie boshaft der verdammte Kobold sein Spiel mit uns treibt! Ich hab's euch ja gesagt!«

Raimund nahm lachend den Sack auf, steckte die Hand hinein, und brachte alsbald eine Flasche Wein und ein weißes Brod heraus.

»Nun siehst du, siehst du,« rief er, »Meister Ezzelino ist doch ein Ehrenmann. Ein andermal halte nur deine Zunge im Zaum.«

Da kam Bolko freudig herbeigesprungen, aß und trank und ließ den Meister hoch leben, und beide machten sich hierauf wieder mit frischem Muthe auf den Weg und gingen, und gingen immerzu.

Die Sonne war bereits hinter den Bergen; die Krähen flogen nach ihren Nestern, Eulen huschten leise durch den Wald, und Bolko fing schon wieder an halblaut mit sich selber zu reden und zu schimpfen: da klangen auf einmal helle Hammerschläge von ferne aus der Tiefe herauf. Die beiden Pilger nahmen freudig ihre Richtung dorthin. Es dauerte nicht lange, da sahen sie einen rothen Schimmer an den Wipfeln der Bäume, bald darauf flatterten einzelne Funken rasch hintereinander vor ihnen in die Höhe; es ward immer heller um sie, und nach einigen Schritten standen sie an dem Rande eines Bergkessels, und ihnen gegenüber an der andern Seite wölbten sich die schwarzen Felsen zu einem hohen weiten Thor; durch das Thor schauten sie hinab in eine geräumige Höhle, darin war helle Glut, und dunkle Gestalten bewegten sich auf dem feurigen Hintergrunde hin und her.

»Hm,« sagte Bolko, »das sieht wohl eher dem Eingang zur Hölle gleich, als einer Schmiedewerkstatt. Und dort hinunter wollt ihr?«

»Nun freilich!« erwiederte Raimund, »bin ich doch darum hergekommen.« Und damit schritt er den Abhang schnell hinab. Bolko folgte ihm kopfschüttelnd.

Als sie unten waren, erhub sich in der Höhle nach dem Takt der Hammerschläge ein Gesang von einigen rauhen Männerstimmen. Raimund blieb stehen und hörte sich das wunderliche Lied mit an.

Risch daran, rasch daraus!
Rühr' dich, Gesell!
Hammer spring ab und auf:
Eisen glüht hell,
Freudig sprüht's Funken aus,
Daß bald ein Schwert wird drau's,
Risch daran, rasch darauf!
Rüstig, Gesell!

Dunkel aus Grundes Nacht
Kommt's uns zum Schlag;
Hammers und Feuers Macht
Treibt's blank zu Tag,
Blank, daß sich klar und rein
Spiegelt der Himmel drein.
Risch daran, rasch darauf!
Rühr dich, Gesell!

Und so zur Nacht hinab,
Oder hinan,
Himmelwärts übers Grab
Wieder macht's Bahn.
Wähl dir das Beste hier:
Heute mir, morgen dir!
Risch daran, rasch hinauf!
Schwerttod ist schön.

Das Lied gefiel Raimund. Er war neugierig die Sänger zu sehen, und ging rasch durch das Felsenthor in die Höhle hinein. Hier standen drei Knechte am Ambos und schlugen mit mächtigen Hämmern wacker drauf los, daß die Funken weit umher sprühten. Seitwärts aber saß ein Mann von schwarzem finstern Ansehn, der silberne Zierrathen mit kleinen Hämmerchen und Meißeln kunstreich ausarbeitete. Den hielt Raimund für den Meister, trat also zu ihm und begrüßte ihn freundlich.

Der Meister sah ihn scheel von der Seite an, erwiederte seinen Gruß nicht, sondern arbeitete fort.

Raimund erhob seine Stimme, in der Meinung, daß jener vor dem Getöse ihn nicht recht gehört habe und rief zum andernmale. »Guten Abend, lieber Meister!«

Da fuhr der Meister zornig auf und winkte seinen Knechten. Die ließen alsbald ihre Arbeit liegen, einer von ihnen machte sich an Bolko, ergriff ihn bei den Schultern und schob in behend zur Höhle hinaus, die beiden andern aber faßten Raimunden unsanft an den Armen an, willens ihm ein Gleiches zu thun. Doch jetzt ergrimmte Raimund über den schnöden Empfang, machte sich schnell die Arme frei, packte die beiden Knechte mit gewaltiger Faust, und warf sie zur Erde, daß der Boden dröhnte; dann ging er auf den Meister zu, der aufgesprungen war und einen großen Hammer ergriffen hatte, unterlief ihn flink, faßte ihn beim Kragen und schleuderte ihn an die Felswand, daß ihm alle Gebeine erkrachten. Dabei schrie er mit donnernder Stimme. »Guten Abend, lieber Meister!« Und da jener, von der Wand abprallend, ihm wieder entgegentaumelte, faßte er ihn abermals, schleuderte ihn wieder zurück, und indem er sein: guten Abend, lieber Meister! Wiederholte, machte er sich bereit, ihn also auch zum drittenmale zu empfangen.

Da schrie der Meister schnell: »Schön Dank! Schön Dank! Laßt's gut seyn. Ich habe es schon gehört.« Und Kopf und Schultern reibend, setzte er hinzu: »Das muß wahr seyn, ihr habt eine besondere Art zu grüßen!«

»Ländlich, sittlich!« erwiederte Raimund. »So hat mir mein Vater oft gesagt. Nach euerm Empfang meinte ich, es wäre hier der Gebrauch so.«

Der Meister Schmid lachte laut auf. »Ihr gefallt mir nicht übel, junger Gesell,« sprach er, »und scheint mir mein Mann zu seyn. Was wollt ihr von mir?«

Raimund brachte ihm nun seinen freundlichen Gruß vom Meister Ezzelino, und trug ihm dann bescheiden sein Begehr vor.

»So, so!« rief Meister Welf, »von dem kommt ihr! Warum habt ihr das nicht gleich gesagt? Das Feuer theilt einem, der immer damit zu schaffen hat, leicht etwas von seiner Natur mit, macht verdrießlich und zum schnellen Zorn geneigt. Auch treibt sich hier im Walde mancherlei Volk umher, und ihr, nehmt mirs nicht für ungut, mit euerm Bärenfell um die Schultern, und der Krummbeinige da mit seinem verrosteten Panzerhemd, ihr saht mir beide ein wenig verdächtig aus. Nun, dafür soll aber bald Rath werden. Die beste Rüstung, die ich habe, steht euch zu Dienst. Ich meine, ihr werdet sie mit Ehren tragen, und meiner Arbeit keine Schande machen.«

Mit diesen Worten zündete er eine Fackel an, und führte Raimunden in eine anstoßende Felsenhöhle. Da hingen nun Rüstungen und Waffen von mancherlei Art und Gestalt umher. Dem jungen Kämpen schlug das Herz vor Freude bei dem Anblick. Meister Welf hieß ihn wählen. Er wählte sich nach langem Besehen und Ueberlegen endlich eine schöne blau angelaufene Stahlrüstung mit silbernen Nägeln und Verzierungen. Der Meister bestand darauf, er solle gleich versuchen, ob sie ihm gerecht sey, und Bolko ward herbeigeholt, seinen Herrn zu wappnen.

Und als nun der junge Held von den Schultern bis auf die Füße herab ganz gerüstet hoch und herrlich vor ihnen stand, und das lichtbraune Haar in anmuthigen goldenen Wellen und Ringeln ihm vom Haupte herabfloß und die Augen ihm in der Freude seines Herzens leuchteten und strahlten wie das aufgehende Zwillingsgestirn, da konnten sie beide nicht satt werden, ihn zu betrachten, und Meister Welf sagte: »Wahrlich, der junge Gesell sieht schön und stattlich aus wie eine Königssohn, und weiß ich ihn mit niemand zu vergleichen, als mit Prinz Gundibert, des jetzigen Königs Bruder, da er noch lebte und jung war.«

Er ging und brachte einen trefflichen Helm herbei. Eine kunstreich gearbeitete silberne Schlange ringelte sich oben über die Wölbung hin.

Als Raimund die Schlange erblickte, rief er freudig: »Das ist ein gutes Zeichen, Meister, daß ihr mir gerade diesen Helm bringt!« Und er erzählte ihm nun, in welcher Absicht er sich aufgemacht, und wie er jetzt nach den blauen Bergen gen Morgen ziehe, um sich dort zuvor das Schwert zu holen, mit welchem er zu siegen hoffe.

»Wahrlich,« sagte der Schmid, »ihr habt nichts Geringes unternommen, doch scheint ihr mir grade der Mann unter Tausenden, dem es vielleicht gelingen möchte. Ruht euch nur diese Nacht bei mir aus; morgen will ich euch den Weg beschreiben, den ihr zu nehmen habt. Die Rüstung übrigens geht auf Meister Ezzelinos Rechnung.«

Fünftes Kapitel.

Das zweite Abenteuer.
Thorhilde und die Waldkönigin.

 

Als Raimund am andern Morgen zur Abreise gerüstet aus der Höhle trat, fand er zwei gesattelte Rosse zu seinem Gebrauch.

»Das geht alles auf Meister Ezzelinos Rechnung,« antwortete der Schmid auf seine Frage. »Die Zahlung ist mir gewiß.«

Hierauf wies er ihn mit kurzen Worten an, wie er ein Roß zu besteigen und zu führen habe, und obgleich Raimund noch niemals zu Pferde gesessen hatte, wußte er sich doch sehr bald darin zu finden, und tummelte den muthigen Braunen wacker auf dem Rasen hin und her. Dann nahm er freundlich Abschied von Meister Welf und trabte mit seinem Knappen frisch in den Wald hinein.

Sie ritten immer so fort, wie ihnen der Weg bezeichnet war. Meister Welf hatte ihnen verheißen, daß sie noch vor Sonnenuntergang aus dem Walde kommen sollten. Allein die Sonne ging unter, die Nacht brach ein, und noch immer zeigte sich des Waldes kein Ende.

»Aus dem Walde kommen!« brummte Bolko. »Ja, hat sich was! Wir kommen immer tiefer hinein. Wenn wir nur noch acht Tage so drin herumreiten, so mögen wir von Glück sagen. Vielleicht finden wir in unserm ganzen Leben keinen Ausgang. Ich hab' mirs gleich gedacht. Der Meister Welf läßt euch den kräftigen guten Abend von gestern nicht so hingehen. Wer weiß, in welchen höllischen Abgrund uns dieser Weg führt!«

»Still!« rief Raimund und hielt sein Pferd an. »War mirs doch, als hört' ich das Hifthorn von der Oedenburg!«

Bolko seufzte: »Ach, du gute Oedenburg! Ich wollte, ihr hättet recht gehört, und wir wären zu Hause!«

Indem hörten sie in der That ganz deutlich den Klang eines Hifthorns in der Ferne. Bald gesellte sich Hundegebell und wildes Geschrei dazu, und der Lärm kam immer näher.

»Gebt eurem Pferde die Sporen!« schrie Bolko. »Macht daß wir fortkommen. Das ist die heidnische Waldkönigin Diana, die alleweile mit ihren Strigholden und anderm heidnischen Weibsvolke das nächtliche Reiten anstellt durch ihr Gebiet. Kommt ihnen ein Christenmensch in den Weg, so ist er verlorne! – Macht fort, reitet zu, daß wir ihr noch entwischen!«

Allein Raimund meinte, das sey nicht Noth. Wie Vater Wolfgang ihm oft gesagt, hätten die bösen Geister keine Gewalt über den, der sich selbst keiner bösen That bewußt sey, noch böse Gedanken in sich hege, und so wolle er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, einmal solchen nächtlichen Unwesen in der Nähe zuzusehen.

Sie waren unter diesen Reden ganz langsam fortgeritten und kamen jetzt auf einen freien Platz. Da hörten Sie plötzlich raschen Hufschlag hinter sich, sahen etwas weißes durch die Bäume schimmern, und erkannten endlich bei dem schwachen Dämmerlichte, welches der Tag noch zurückgelassen hatte, eine weibliche Gestalt auf einem weißen Pferde. Das kam in gestrecktem Laufe grade auf sie zu.

»Das ist sie! Das ist sie!« schrie Bolko. »Gott steh' uns bei!«

Raimund wandte sein Pferd und hielt.

Als die Reiterin ganz nah gekommen war, hielt sie gleichfalls ihr Roß an, sprang herab, und indem sie sich vor Raimunden auf die Knie warf, flehte sie ihn mit rührender Stimme um Hülfe und Schutz vor ihren Verfolgern an.

»Das ist euch gewährt, Jungfrau!« sprach Raimund. »Steigt nur wieder zu Pferd und haltet euch dicht bei mir. Mit Gottes Hülfe denk ich euch zu beschützen gegen jedermann.«

Er hatte kaum ausgesprochen und die Jungfrau kaum Zeit, nach seinem Geheiß zu thun, da war der höllische Lärm, den sie von fern gehört, auch schon ganz nahe; von allen Seiten brach es durch die Gebüsche; der ganze Platz füllte sich mit wunderlichen Gestalten an. Es waren, so viel sich erkennen ließ, lauter Weiber, die auf Pferden, Hirschen, Einhörnern und sonst auf abenteuerlichen Thieren einherritten. Sie umringten Raimunden mit entsetzlichem Lärmen und Geheul und schrien: Gieb sie raus! Gieb sie raus! Mitten durch das Gewimmel aber sprengte auf einem schwarzen Rosse eine hohe stattliche Frau daher. Sie war grün gekleidet; auf ihrem Haupte trug sie einen halben Mond von kostbaren Steinen, wie es schien, und dieser strahlte mit so hellem Lichte, daß er den wirklichen Mond am Himmel darin noch übertraf, und weit umher alles erleuchtete.

»Wohin gehst du?« sprach sie zu Raimund. »Wohin willst du, schöner Knabe, Heldensohn? Kehre um! Du gehst in deinen Tod. Kehre um, komm mit mir. Glück und Ruhm verheiß ich dir, wie keiner noch besessen hier auf Erden. Schöner Knabe, Heldensohn, König dereinst, komm mit mir!«

Raimunden war nicht anders zu Muth, als ob die Stimme tief in sein Innerstes dränge und sein Herz auflöste in Luft und Sehnsucht; und als er ihr, die sprach, ins Gesicht schaute, vermochte er seine Augen nicht mehr abzuwenden, er fühlte sich wie trunken und taumelnd, eine wunderbare Glut brannte in seinen Adern, und halb bewußtlos wie er war, kam es ihm vor, als ob die Blicke, die die schöne Jägerin aus ihren dunklen Augen auf in schoß, ihn mit einem feurigen Netz umwebten und umstrickten, und ihn mit Gewalt hinüberzögen zu ihr.

Da drängte sich die Jungfrau ihm zur Seite hart an ihn und ergriff ängstlich seine Hand, ihn mit sich fortzuziehen. Halb unwillig wandte er sich nach ihr; doch als er in das bleiche und doch so schöne Gesicht sah, und in die blauen Augen, die so flehend nach ihm aufblickten, da fühlte er sich plötzlich im Innersten verwandelt; er wußte nicht wie es kam, daß ihm seine Mutter einfiel, wie sie oft mit den milden blauen Augen ihn so freundlich und doch so wehmütig angesehn, und er faßte schnell nach der Alpenrose von ihrem Grabe, die er in seiner Schärpe verwahrt trug, und zog sie hervor, und in dem Augenblicke war es, als ob ein Sturmwind unter den Haufen führe, der ihn umgab. Mit entsetzlichem Geheul und Geschrei stäubte er auseinander, und Raimund, von plötzlichem Grausen erfaßt, nahm das Pferd der Jungfrau am Zügel und sprengte mit ihr davon, ohne sich weiter umzusehn.

Ein gräuliches Ungewitter erhob sich und tobte hinter ihnen her mit Sturm und Hagel, Donner und Blitzen, und durch das Toben hindurch vernahmen sie das Geschrei und Geheul der Weiber, die sie verfolgten, und da Bolko nicht so rasch nachkommen konnte, fiel er ihnen in die Hände und sie setzten ihm mit Stoßen und Schlagen, Zwicken und Kneipen so mörderlich zu, daß er vor Angst lauter schrie und brüllte, als alle die Weiber miteinander.

Endlich ward der Wald lichter; bald erreichten sie das Freie und hielten an. Bolko stürzte athemlos herbei, Roß und Reiter mit Schweiß und Schaum bedeckt.

»Nun, junger Herr,« schrie er, »ihr werdet an euern Fürwitz gedenken, wie ich! Und solltet ihr die Geschichte jemals vergessen, so habt ihr an mir ein stetes Erinnerungsbuch bei euch; denn auf meiner Haut steht sie wie auf einem alten Pergament mit blauen Buchstaben so deutlich und nachdrücklich geschrieben, daß sie die Engel, die mit der Posaune zum jüngsten Gericht blasen, noch darauf werden lesen können.«

Er begann darauf im Weiterreiten nach seiner Art auf den Schmid sowohl als Meister Ezzelino zu schimpfen, und beide zu verwünschen, bis ihn ein heftiger Blitz und Donnerschlag schnell zum Schweigen brachte.

Bei dem Blitze aber wurden sie gewahr, daß ihnen ganz nahe zur Seite auf einem Hügel eine alte Burg sich erhob mit vielen Thürmen und seltsam ausgezackten Mauern und Zinnen.

»Wenn mich nicht alles trügt,« rief die Jungfrau, »so bin ich hier am Ziele meiner Reise. Denn so ward mir die Burg beschrieben, wo ich das finden soll, was ich suche.«

»Ihr sollt wissen, edler Ritter,« fuhr sie fort, »daß ich Thorhilda heiße und eine Tochter des Königs bin, der dieses Land beherrscht.«

»Des Königs Giselherr?« rief Raimund, mit Verwunderung.

»Desselben!« erwiederte Thorhilda. »Wenn ihr seinen Namen kennt, so kennt ihr auch ohne Zweifel sein unerhört entsetzliches Schicksal. In der Hoffnung, es wenigstens zu mindern, bin ich ausgezogen. Denn die Herrin dieser Burg soll im Besitze einer Laute seyn, deren wunderbare Töne alle Schmerzen lindern und manchem bösen Zauber widerstehn. Durch einen Zufall kam ich heute gegen Abend von meinen Begleitern ab, und fiel der wilden Weibesschaar in die Hände, von deren Verfolgung ihr mich so großmüthig befreitet.«

»Nun, beim Himmel!« rief Raimund aus, »das kann sich nicht seltsamer treffen! Auch ich bin ausgezogen, eurem Vater zu Hülfe und Rettung.« – Und damit erzählte er ihr, wie alles gekommen, und unter diesem Gespräche ritten sie in die Burg.

Sechstes Kapitel.

Das dritte Abenteuer.
Was sich mit Bolko in der Burg zugetragen.

 

Raimund sowohl als Thorhilda waren von der Burgfrau freundlich und liebreich aufgenommen worden. Raimund hatte manchen guten Rath von ihr erhalten, wie er zu dem Wunderschwert gelangen möchte, und Thorhildens Schönheit und stille Anmuth hatte schnell ihr Herz gewonnen. Sie zeigte sich bereit ihr Verlangen zu erfüllen, und Raimund beschloß am andern Morgen weiter zu ziehen, so gern er auch noch dort geblieben wäre, denn er dachte allezeit an Vater Wolfgangs Sprüchlein: Selber, Hintereinander und Behend, die bringen alles wohl zu End'.

Bolko hatte sich's indessen wohl seyn lassen mit den drei Zwergen, welche die Bedienung in der Burg versahen, die sich als muntere Gesellen zeigten und ihren Gast auf beste bewirtheten. Dabei war denn zuletzt auch das Dachsränzlein zu Rathe gezogen worden, und hatte die lustige Cumpanschaft mit mancher Flasche so wohl berathen, daß sie endlich sammt und sonders mit einem guten Rausche versehen zu Bette taumelten.

Diesen mochte Bolko nun wohl noch nicht völlig ausgeschlafen haben, als die Morgensonne, die grade auf seine Augen schien, ihn aus dem Schlafe weckte; denn indem er sich an den Befehl seines Herrn erinnerte, frühzeitig bei der Hand zu seyn, und in den Hof gehen wollte, nach den Pferden zu sehen, stieg er, anstatt die Treppe hinabzusteigen, vielmehr eine Treppe hinan, und wunderte sich nicht wenig, als er hier, statt nach seiner Meinung in den Stall zu kommen, in ein hochgewölbtes, reiches Gemach trat. Spiegelblanke Säulen von Marmor standen ringsum an den Wänden, und zwischen den Säulen riesengroße Bilder von Erz und Stein. Bolko betrachtete alles mit Erstaunen, und da er gegenüber noch eine halboffne Thür gewahrte, konnte er dem Verlangen nicht widerstehn, sich weiter umzusehn, und trat in eine zweite Halle, die auf ähnliche Weise, aber statt der Bildsäulen mit großen Gemälden an den Wänden ausgeschmückt war. Hier befand er sich nun recht in seinem Elemente, denn sein Vater war ein Maler gewesen, und hätte den Sohn gleichfalls zu seiner Kunst erzogen, wenn er nicht frühzeitig weggestorben wäre. Von daher blieb Bolko indeß allzeit eine große Neigung zur Malerei.

Er lief nun hier mit einem besondern Vergnügen vor den herrlichen Bildern auf und nieder, und wußte gar nicht, wo er anfangen sollte zu schauen. In dieser Unruhe stieß er auf die Thür zu einem dritten Gemache, öffnete sie gleichfalls, und sah sich nun mitten in einer großen Malerwerkstätte, auf der Wand ihm gegenüber aber ein treffliches Gemälde von vielen Figuren in ganz veralteter Tracht, dessen Farben jedoch so lebhaft und frisch waren, als hätte der Meister eben erst die letzte Hand daran gelegt. Allein zu seiner Verwunderung bemerkte er in der Mitte desselben einen ganz leeren weißen Raum: das kam ihm sehr seltsam und fast ärgerlich vor, und je länger er das Bild betrachtete, desto ärgerlicher und unerträglicher ward ihm der weiße Fleck, und er fühlte eine große Begier, diesem häßlichen Uebelstand abzuhelfen, so daß er endlich schnell nach einem Pinsel griff, und sich einige Farbentöpfe zusammentrug, um den Fleck zu übermalen. Da er nun dabei einem großen Spiegel gegenüber kam, und sich selbst darin erblickte, fiel er auf den Gedanken, sein eigenes Bild in dem leeren Raume anzubringen, welches er auch auf der Stelle ins Werk setzte.

Die Arbeit ging ihm über die Maßen gut von statten; der Pinsel flog in seiner Hand, und in kurzer Zeit sah er sein wohlgetroffenes Ebenbild in Lebensgröße vor sich stehn. Darüber spürte er nun großes Vergnügen. Er beäugelte das Bild von allen Seiten mit Wohlgefallen, und trat endlich auch vor den Spiegel, um es darin zu betrachten, wie die Maler pflegen. Hier kam es ihm noch weit schöner, ja in der That fast als wie lebendig vor, und er nickte ihm in der Freude seines Herzens einen freundlichen Gruß zu. Doch siehe! Da däuchte ihm auf einmal, als nicke das Bild wieder zurück. Ein wenig erschrocken, und in der Meinung, daß ihn der Spiegel getäuscht, kehrte er sich schnell um, ging einige Schritte gegen das Bild, blieb dann stehen und wiederholte seinen Gruß. Uns siehe! Das Bild fing an die Augen zu drehen, verzerrte das Gesicht zu einem freundlichen Grinsen und nickte ganz deutlich dreimal mit dem Kopfe. Darüber kam Bolko doch ein Grausen an, es lief ihm kalt über den Rücken, und er zog sich langsam, die Augen immer gegen das Bild gewendet, nach der Thüre. Allein so wie er zurückwich, fing auch das Bild an Arme und Beine zu bewegen, als wollte es ihm folgen; zu gleicher Zeit wurden auch die andern Figuren an der Wand lebendig, regten, die Glieder und nickten mit den Köpfen, und endlich schritten sie alle miteinander, Männer, Weiber und Kinder, wirklich aus der Wand heraus und grade auf Bolko zu. Dieser aber rannte nun voll Entsetzen nach der Thür, und glaubte sich durch die Flucht von der ungebetenen Begleitung los zu machen; allein als er in die anstoßende Gemäldehalle stürzte, waren dort die Figuren aus den Wandbildern sämmtlich auch schon in voller Bewegung und kamen ihm entgegen und nickten mit den Köpfen. Zugleich hörte er die aus dem ersten Zimmer hinter sich her schlürfen und rascheln, und erblickte dicht neben sich sein Ebenbild, welches alle seine Bewegungen und Geberden wie ein Spiegel aufs getreuste nachahmte oder vielmehr zu gleicher Zeit mit ihm machte. Das brachte ihn nun vollends außer sich. Halb bewußtlos ohne Athem sprang er in das folgende Gemach. Aber, o Entsetzen! auch hier stiegen die Riesenbilder von Erz und Stein eben von ihren Fußgestellen, marschirten in bester Ordnung, mit schweren Tritten, tapp! tapp! daß die Fenster klirrten, nach dem Ausgang, stellten sich dort in einer langen Reihe vor die Thür, so daß an kein Entwischen zu denken war, und begrüßten Bolko gleichfalls mit langsamem und feierlichem Kopfnicken.

In der Todesangst rannte er nun hin und wieder, sein Conterfei immer mit ihm, und suchte nach einem Ausweg und konnte keinen finden, und von der andern Seite her raschelte und schlürfte die gemalte Gesellschaft ihm immer näher auf den Leib und warf ihm entsetzliche Blicke zu, während dort die großen blinden Augen der Bildsäulen ihn auf eine fast noch gräßlichere Weise anstarrten. Endlich da er sich nicht mehr zu retten noch zu helfen wußte, warf er sich platt auf den Boden nieder und fing aus allen Leibeskräften an um Hülfe zu schreien.

Unter dieser Zeit hatte Raimund, zur Abreise gerüstet, seinen Knappen überall vergebens gesucht und gerufen, bis er endlich das gewaltige Tapp! Tapp! über sich vernahm, wovon die ganze Burg erdröhnte, und bald darauf auch Bolkos Geschrei hörte. Sogleich lief er die Treppe hinan, und die Burgfrau, die das Vorgegangene zu ahnen schien, folgte ihm nach.

Hier erblickten sie nun mit Erstaunen das wunderliche Schauspiel. Die Burgfrau aber sprach mit feierlicher Stimme:

»Traum von Farben, Erz und Stein,
Scheinen sollst du nur, nicht seyn

und berührte eines der steinernen Bilder mit einem kleinen Malerstäbchen, das sie in der Hand trug. Sogleich stob die ganze Versammlung auseinander; die Bildsäulen standen im Nu wieder auf ihren Fußgestellen, und die andern Gestalten nahmen ihre Plätze wieder in den Wandgemälden ein wie zuvor.

Allein nicht also geschah es mit Bolkos Ebenbilde. Die Burgfrau berührte es umsonst mit ihrem Stäbchen; es bezeigte nicht die geringste Lust, sich wieder an seinen Platz zu verfügen, sondern begleitete Bolko auf allen Tritten und Schritten und stieg endlich mit ihm sogar die Treppe hinab in den Hof, wo die Pferde bereits gesattelt standen.

»Wohl! Wohl!« sagte die Burgfrau lächelnd, »ich merke wer du bist. Du wirst dich nun schon drein ergeben müssen, Bolko. Ich kann dir nicht helfen.«

Bolko aber, als er die Pferde sah, dachte sich doch vielleicht noch selber zu helfen. Als daher Raimund Abschied genommen hatte von der Burgfrau und von Thorhilden, und eben aufsitzen wollte, da sprang jener auf einmal wie der Blitz auf sein Pferd und jagte davon in der Meinung, daß sein Conterfei ihm so schnell nicht würde folgen können. Doch indem er sich nach ihm umsehen wollte, wo es geblieben, da saß es auch schon wieder hinter ihm und grinste ihm freundlich über die Schulter entgegen.

»Nun denn,« schrie er, indem er vom Pferde sprang, »beim heiligen Antonius, der in seiner Wüste nicht tolleres Zeug erlebt hat, als ich heute: ich ergebe mich! Ist es mir in Zeit von 40 Jahren gelungen, mich an mich selber zu gewöhnen, ja sogar mich recht leidlich lieb zu gewinnen, so kann es mir wohl auch mit dir so gehen, der du ja mein Bruder und zugleich mein Sohn bist. Der Himmel gebe mir nur gehörige Zeit dazu!«

Lachend befahl die Burgfrau noch ein Pferd herbeizuführen für Bolkos Conterfei, lachend erfüllten die Zwerge den Befehl, und lachend trabte Raimund mit seinem Bolko Nummer 1 und Bolko Nummer 2 zum Thore hinaus.

Siebentes Kapitel.

Das vierte Abenteuer.
Wie Raimund sich das Schwert gewinnt.

 

Der Tag ging auf die Neige, als Raimund mit seinen zwei Knappen von einer Anhöhe herab die blauen Berge ganz nahe vor sich liegen sah.

In tausend und aber tausend einzelnen Klippen, Säulen, Pfeilern und Thürmen starrten die grauen Felsen zum Himmel empor wie Trümmer einer ungeheuren Riesenstadt. Raimund ritt grade darauf zu und folgte einem Wege, der in das Innere dieses Felsenwaldes zu führen schien. Immer nackter und schroffer wurde das Gestein, immer seltsamer seine Gestalten, so daß es bald mit mancherlei Thieren, bald selbst mit Menschen zu vergleichen war. Endlich gelangten sie auf einen runden Platz, der ringsum mit einer steilen, glatten Felswand umgeben war und keinen andern Ausweg zu haben schien, als den, durch welchen sie kamen. Ihnen gegenüber rauschte ein starker Bach wie ein breiter Wasservorhand an der Steinwand hoch herab.

»Nun, wie weiter, Bolkochen?« sprach Bolko zu seinem Ebenbilde, an dessen Begleitung er sich bereits so weit gewähnt hatte, daß er anfing allerlei Possen mit ihm zu treiben. »Sprich doch nur endlich einmal ein Wort! Ich kann solche stumme Gesellschaft nicht leiden; und du schlägst wahrhaftig ganz aus der Art, mein Söhnchen.«

Aber jener, ob er gleich wie gewöhnlich die Lippen bewegte, so lange als Bolko sprach, brachte er doch keinen Laut aus seinem Munde.

»Hier durch das Wasser geht unser Weg!« rief Raimund, und ohne weiter auf Bolko zu hören, der ihm die Unmöglichkeit vorstellte, ritt er gerade mitten in den Wasservorhang hinein. Bolko hatte keine Lust, allein zurück zu bleiben, und mußte sich also entschließen, ihm zu folgen.

Sie kamen alsbald in eine schmale Kluft, die hinter dem Wasser durch den Felsen ging, und sahen nach einer Weile wieder den blauen Himmel über sich. Doch war ihnen dadurch nicht viel geholfen, denn sie bemerkten bald, daß der Platz, auf dem sie sich befanden, gleichfalls rund um eingeschlossen war und nirgends weiter einen Ausgang zeigte. Vergebens untersuchte Raimund den ganzen Umkreis genau, bis zu einer Höhe von mehr als hundert Ellen hinauf war das Gestein überall so steil und glatt wie eine Mauer.

»Nun, hier hat die Welt eine Ende,« rief Bolko, »und hoffentlich auch unsere Reise! Laßt uns nur gleich umkehren. Es ist nicht anders; wenn nicht etwa Meister Ezzelino der Taschenspieler kommt, und uns auf der Stelle in Vöglein verwandelt, so müßt ihr euch schon drein geben.« – »Aber seht nur, wie wunderlich!« fuhr er fort, »ich spreche vom Meister Ezzelino, und da sitzt er ja leibhaftig vor uns.« – Er zeigte bei diesem Worte auf einen mächtigen Felsenberg, der sich im Hintergrunde ihnen gegenüber bis in die Wolken erhob, und Raimund fand in der That, daß der Berg ganz so aussah, wie ein in Stein gehauenes ungeheures Riesenbild von Meister Ezzelino. Sogar das rothe Spitzbärtlein war nicht vergessen.

Indem sie aber noch mit Erstaunen das seltsame Naturspiel betrachteten, und ihnen die einzelnen Züge des Bildes immer deutlicher hervortraten, kam es ihnen auf einmal vor, als ob der Kopf desselben anfinge sich zu bewegen, und in demselben Augenblicke löste sich ein gewaltiger Felsblock ab, der die Nase vorstellte, und wohl so groß war wie ein Haus, und fiel krachend herunter. Der Kopf selbst folgte bald hinterdrein, Hände und Arme lösten sich gleichfalls, und endlich stürzte die ganze Gestalt mit einem entsetzlichen Donnergeprassel in sich zusammen. Raimund und seine Gefährten konnten sich kaum vor den Felsenstücken retten, die bis zu ihnen herabgerollt und gesprungen kamen und wurden von einer Wolke von Sand und Staub so dicht eingehüllt, daß keiner den andern sah. Als sich diese aber nach einer Weile wieder zertheilt hatte, bemerkte Raimund alsbald zu seiner großen Freude, daß nun über die Trümmer des zusammengestürzten Berges hinweg die schroffe Felsenwand ganz bequem zu ersteigen seyn würde; er sprang daher vom Pferde, hieß Bolkon ein gleiches thun, und schritt, Meister Ezzelino laut preisend, über die Felsblöcke, wie über eine Treppe, schnell hinan.

Hier verwandelte sich nun auf einmal der Schauplatz. Sie meinten aus dem Leben plötzlich in das starre Reich des Todes versetzt zu seyn. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm war zu sehen; nicht einmal ein dürftiges Moos hatte sich an die zackigen, schwarzen Klippen gewagt, die gleich den Schlacken einer in Feuer aufgegangenen Welt um sie her standen. Rothe und gelbe Schwefelkrystalle schauten aus den Ritzen des verbrannten Gesteins wie grelle Flammen aus der Nacht.

Um desto mehr verwunderten sie sich, als sie bald darauf an dem Eingang einer Höhle einen Baum stehen sahen, der zwar keine Blätter, an seinen nackten Zweigen aber die schönsten goldfarbenen Früchte trug. Bolko konnte dem Gelüste nicht widerstehen, von den herrlichen Früchten zu kosten, und obgleich Raimund ihn warnte, pflückte er einige ab und aß. Sein Conterfei that desgleichen, und verdrehte die Augen und schmatzte vor Vergnügen und siehe da! auf einmal rief es mit lauter Stimme: »Ach! Ach! das schmeckt!«

Raimund und Bolko erstaunten nicht wenig, daß ihr stummer Gefährte so plötzlich zur Sprache gelangt war; dieser aber fuhr fort zu schmatzen und schwatzen, und Bolko freute sich darüber weil er nun, meinte er, jemand hätte, mit dem er sich unterhalten könne, wenn sein Herr nicht auf ihn hören wollte. Allein seine Freude verkehrte sich bald in Verdruß: so oft er anfing zu sprechen, ließ ihn jener gar nicht mehr zu Worte kommen, ja er wurde bald gewahr, daß sie die Rollen gänzlich mit einander vertauscht hatten; denn anstatt daß sein Ebenbild bisher ihm alle seine Bewegungen nachgemacht hatte, so fühlte er sich jetzt im Gegentheil zu seinem großen Schrecken gezwungen, selbst alles zu thun, was jenes that. Davon erhielt er bald den deutlichsten Beweis. Als nämlich Raimund sich anschickte in die Höhle hinab zu steigen, grausete Bolkon vor der Finsterniß darin, und er wäre hier gern zurückgeblieben, hatte auch bereits die Erlaubniß dazu von seinem Herrn: allein da Bolko Nummer 2 immer munter vorwärts schritt, fühlte Bolko Nummer 1 trotz aller Gegenrede, trotz allem Fluchen und Schimpfen, seine Füße wider Willen fortgezogen, und mußte jenem folgen in den schwarzen Schlund hinab.

Hier gingen sie nun im Finstern wohl eine Stunde lang immer steil bergab. Endlich wurde es heller um sie her; ein bläuliches Licht erfüllte die ungeheuren Gewölbe, ohne daß sie sahen, wo es herkam; und bei diesem Schimmer wurden sie inne, daß die Wände neben ihnen und die Decke über ihrem Haupt, und der Fußboden, auf welchem sie gingen, ganz und gar aus Todtengebeinen bestanden. Große Haufen davon lagen überdies noch hier und da am Wege.

»Hier liegt die alte Heidenwelt begraben!« sagte Bolko der zweite. Und sie gingen immer weiter bis an ein hohes eisernes Thor, das Raimund nicht zu öffnen vermochte. Er zog daher sein Schwert und schlug dagegen. Es gab einen lauten Klang, der weit hin durch die Klüfte dröhnte, und im Augenblicke kam Leben in die Todtenbeinhaufen um sie her; sie fingen sich an zu bewegen, rasselten und klapperten durcheinander und setzten sich endlich in unzählige Gerippe zusammen, die von allen Seiten drohend auf Raimund und seine Gefährten eindrangen. Bolko schrie laut auf vor Entsetzen und wollte sich hinter seinem Herrn verbergen; allein Bolko der 2te zog den Degen und warf sich keck der andringenden Schaar entgegen, und so mußte jener trotz seiner Todesangst ihm nach und wacker einhauen auf den Feind. Dabei ging es nun ohne manchen tüchtigen Puff und Schlag und ohne manche klappernde Ohrfeige von den Knochenhänden nicht ab, und Bolko schrie, so oft er getroffen ward, wie ein Gespießter und bat die gestrengen Herrn Todtengerippe, sie möchten doch barmherzig seyn und es ihn nicht entgelten lassen; er könne ja nicht dafür, er müsse thun was jener verdammte Kobold thäte!

Indeß fing zu Raimunds Füßen der Boden an zu wanken, und theilte sich empor, und aus der Tiefe stieg ein bleiches Riesenhaupt, mit einer eisernen Krone, das schüttelte sich die Erde aus den grauen struppichten Haaren, that die Augenlieder auf, starrte Raimunden mit halb gebrochenen Augen an und sprach mit dumpfer, heiserer Stimme: »Warum störst du mich im Schlaf?« Und da Raimund, doch ein wenig entsetzt, nicht gleich zu antworten vermochte, hob sich die Gestalt immer höher aus ihrem Grabe, und er sah, daß sie mit einem Panzerhemd von Todtenbeinen und eisernen Ketten bekleidet war; in ihrer Rechten trug sie einen Wurfpfeil. Raimund ermannte sich und rief: »Gieb das Schwert heraus, das hier verborgen liegt, denn ihm ist bestimmt zu herrschen auf der Erde!« und drang dabei muthig auf die Gestalt ein. Doch als er sie mit der Spitze seines Schwerts berührte, fühlte er plötzlich seinen Arm gelähmt, es ward ihm dunkel vor den Augen, seine Knie zitterten, er bebte zurück, und die Gestalt schwang hohnlachend den Wurfpfeil, um ihn zu durchbohren; da war ihm plötzlich, als hörte er die Stimme seiner Mutter, die ihm Muth einsprach, und schnell riß er die Alpenrose von ihrem Grabe aus der Schärpe; Muth und Leben kam in seine Brust zurück, er unterlief den geschwungenen Pfeil, berührte die Gestalt mit seiner Rose, und im Augenblick war sie versunken und verschwunden; rasselnd stürzten zu gleicher Zeit die Gerippe hinter ihm zusammen und vor ihm sprang die eiserne Pforte weit auf.

Er trat in eine weite Halle von grauen Basaltpfeilern gebildet und sah in der Mitte derselben eine eherne Truhe stehen, worin, wie er wußte, das Schwert verwahrt lag, das er suchte. Schnell ging er darauf zu und faßte den Deckel. Doch in dem Augenblick erschallte ein über alle Maßen entsetzliches Wehgeschrei von allen Seiten, rothe Blitze fuhren prasselnd auf dem Boden und sprangen von der Decke herab, Donnerschläge krachten um ihn her, die Erde bebte, gräßliche Gestalten rauschten an ihm vorüber und gellten ihm ihr furchtbares Weh! in die Ohren. Fast wollten ihm die Sinne vergehen, dennoch aber hob er muthig den Deckel auf, und faßte nach dem Schwert, das wie ein Kreuz gebildet war, und auf seiner Klinge gleichfalls ein goldenes Kreuz eingeschlagen trug; indem er es aber ergriff, geschah ein gewaltiger Schlag, der Boden versank rings um ihn, die Gewölbe stürzten ein, er stand in schwarzer Finsternis und dumpfer und dumpfer scholl das Krachen der Felsentrümmer zu ihm herauf, die in den Abgrund hinabrollten. Endlich ward es ganz still, daß er das Klopfen seines Herzens hören konnte. – So stand er eine Weile fast betäubt; dann fühlte er mit dem Schwerte nach allen Richtungen um sich her und ward gewahr, daß er auf einer schroffen Felsenspitze stand, rings um ihn herum der Abgrund, so daß er an der Möglichkeit verzweifelte von hier zu entkommen, und dem langsamen, qualvollen Tode entgegen sah in dieser gräßlichen Einöde. Da fing auf einmal die Alpenrose, die er noch in der Hand trug, mit einem rosenfarbenen Schimmer zu leuchten an, und bei dem Schimmer sah er, daß in geringer Tiefe unter ihm zwei Basaltpfeiler beim Zusammenstürzen sich aneinander gelehnt hatten und so eine schmale Brücke über den Abgrund bildeten. Freudig und muthig stieg er hinab, und betrat die Brücke, die kaum einen Fuß breit war. Unten in der Tiefe begann es von neuem zu rauschen und zu toben, graue Schatten schwirrten vor ihm hin und her, langten und schnappten nach ihm, und suchten seine Blicke zu verwirren, und zu gleicher Zeit war es ihm, als hörte er Wolfgangs und Thorhildens Stimme, die ihn drunten um Hülfe riefen. Er ließ sich aber nicht irre machen, hielt die Augen stets auf seinen schmalen Pfad geheftet, und gelangte so glücklich auf die andere Seite. Dort war er nicht lange gegangen, als er seine beiden Gefährten antraf, die ihn schon verloren gegeben hatten. Sie erreichten den Ausgang der Höhle, fanden die Rosse wieder und trabten nun wohlgemuth ihren Weg gerade nach der Burg des Königs Giselherr.

Achtes Kapitel.

Beschluß.

 

Als Raimund das stattliche Gebäude auf seinem Hügel vor sich liegen sah, da schlug ihm das Herz vor freudigem Muth und Erwartung.

Thorhilda empfing ihn, und indem sie ihn zum Könige führte, erzählte sie, daß es ihr zwar gelungen sey durch die wundervollen Töne der Laute ihres Vaters Schmerzen zu lindern, ja sogar oft ihn damit in einen kurzen Schlummer zu lullen, daß aber nach wie vor die beiden Schlangen sich jede Nacht einstellten zu dem entsetzlichen Mahl, und der alte König mit Sehnsucht im entgegensehe, als auf den seine letzte Hoffnung gestellt sey.

Raimund fand den König beim Banket, von vielen Rittern und Frauen umgeben. Der Becher ging fleißig um eine lustige Musik ließ sich dazu hören; denn auf diese Weise suchte der König sich zu betäuben und die schrecklichen Nächte zu vergessen, die seiner harrten. Mit Thränen hieß er seinen Kämpfer willkommen und eine freudige Röthe stieg auf seine bleichen abgezehrten Wangen, indem er Raimunds jugendliche und doch so kräftige Gestalt betrachtete und das Schwert mit dem Kreuze in seiner Hand sah. Er verlangte, daß er erst einige Tage ausruhen und Kräfte sammeln sollte zum Kampfe, allein Raimund, den die Thränen des Königs auf dem Herzen brannten und der wieder an Wolfgangs Sprüchlein dachte:

Selbst, Hintereinander und Behend,
Die bringen alles wohl zu End'.

Raimund setzte gleich dieselbe Nacht dazu fest.

Und als es begann finster zu werden, da wurden auch die Gäste in der Halle immer stiller, und als Mitternacht heran kam, schlich einer nach dem andern sich davon, die Musik verstummte, die Halle ward leer, selbst die Diener des Königs verließen die Burg, und alle miteinander begaben sich auf einen nahen Hügel, dort den Ausgang zu erwarten, und endlich war niemand mehr bei dem König als Thorhilda und Raimund. Dieser aber ging jetzt hinaus und befahl Bolkon, ihm seine Rüstung anzulegen, und als dies geschehen, ging er in die große Waffenhalle, die an des Königs Gemächer stieß und die mit vielen Fackeln hell erleuchtet war: denn hier wollte er seinen Feind erwarten.

Er trat an ein Fenster, welches die Aussicht über den Hof hinweg in das freie Feld gab. Dunkle Wolken zogen langsam am Himmel hin; dazwischen schaute der Mond dann und wann klar und freundlich herab. Und als er jetzt eben wieder hell in die Gegend schien, wurde Raimund zwei glänzende Streifen gewahr, die nebeneinander über das Feld her wie zwei schnellrinnende Wasserbäche auf die Burg zu kamen, und indem er noch zweifelte, was dies seyn möchte, zeigte es sich schon ganz nahe, und er merkte nun, daß es die Schlangen waren, die ungestüm herbeischossen und deren Schuppenhaut so im Mondlicht glänzte. Es dauerte auch gar nicht lange, da sah er ihre gräulichen Häupter, die sich hoch über die Burgmauer erhoben, dann sich auf der andern Seite herabsenkten, und den langen Leib schleppend nach sich zogen. Und er hatte kaum Zeit von dem Fenster zurück zu treten, und sein Schwert mit dem Kreuze zur Hand zu nehmen, da hörte er sie schon die steinerne Treppe heraufrauschen, als ob es eine Schaar gewappneter Männer wäre, und auf sprang die Thür, und in hundertfachen Ringen sich durcheinander schlingend und sich drängend, quollen die ungeheuren Leiber durch die Oeffnung, bäumten sich dann in die Höhe und schienen einen Augenblick zu stutzen über die ungewöhnliche Erleuchtung und über den Ritter, der sie festen Fußes erwartete; plötzlich aber schossen sie gräßlich zischend auf Raimund ein, ihn zu umstricken. Doch Raimund empfing sie mit einem gewaltigen Kreuzhieb, der beide traf, und obgleich sein Schwert von ihrem Schuppenpanzer abprellte, ohne sie zu verletzen, wichen sie dennoch alsogleich zurück, ringelten sich aber nun bald in weiten, bald in engen Kreisen mit Blitzesschnelligkeit immer um ihn herum, und zwangen ihn dadurch, daß er sich gleichfalls rastlos bald da, bald dorthin drehen und wenden mußte, um überall mit dem Schwert ihrer gewärtig zu seyn. So dauerte der Kampf lange Zeit unentschieden, bis Raimund seinen Arm matt werden fühlte und immer matter; seine Brust keuchte, die Last der schweren Rüstung drückte ihn zu Boden, seine Bewegungen wurden langsamer, und immer schneller und in immer engern Kreisen umringelten ihn die beiden Ungeheuer; endlich wurde es ihm ganz dunkel vor den Augen, kalter Schweiß trat an seine Stirn, in gänzlicher Erschöpfung sank er in die Knie, das Schwert glitt aus seiner Hand, wüthend schossen die Schlangen auf ihn los: er gab sich verloren. Da, in dem Augenblick, erklangen aus dem Nebengemach Thorhildens Lautentöne in mächtigen Akkorden; die Schlangen horchten und standen still, und Raimund, dem die Töne neue Lebensglut in die Brust strömten, faßte sein Schwert, riß sich empor, und mit starkem Willen die letzten Kräfte zusammenraffend, hieb er mit einem Streich den Ungeheuern die goldnen Kronen von den Häuptern, und hoch empor bäumten sie sich noch einmal und stürzten dann prasselnd nieder, daß die Mauern der Burg von dem Falle erbebten.

Freudig eilte Thorhilde herbei; auch Bolko, den sein Ebenbild seit dem Eintritt in die Burg verlassen, und der sich jetzt in der Nähe versteckt gehalten hatte, kam hurtig gelaufen, und als er die Riesenleiber der Schlangen ohne Regung am Boden liegen sah, riß er das Fenster auf, und verkündigte die frohe Mähr mit lauter Stimme. Da strömten Herren und Diener, Männer und Frauen mit frohem Getümmel herzu, und die ganze Burg erschallte von lautem Jubel, und so begleiteten sie Raimunden zum König. Dieser heftete seine Lippen voll Inbrunst auf das Schwert mit dem Kreuze, umarmte dann seinen Ritter, legte Thorhildens Hand in die seinige, und ernannte ihn vor allem Volke zu seinem Erben und Nachfolger auf dem Throne.

Doch auf einmal mitten in dem Jubel sprengten Eilboten in die Burg, traten vor den König und meldeten, daß ein feindliches Herr in das Land gefallen, und bereits ganz in der Nähe sey, und wie es überall seine Absicht verkünde, den König vom Throne zu stoßen, den er widerrechtlich besitze.

Auf diese Botschaft griffen Schreck und Bestürzung um sich, unter denen, die zugegen waren; und der König neigte sein Haupt auf die Brust und sprach: der Himmel ist noch nicht versöhnt! Raimund aber redete allen Muth ein und bat den König, schnell seinen Mannen aufbieten zu lassen, er selbst wolle mit den anwesenden Rittern und allem was in der Burg die Waffen zu tragen vermöge, sogleich hinausziehen dem Feinde entgegen, und sehen, was vielleicht indeß mit Gott zu thun sey.

Es geschah, so wie er gesprochen, und an der Spitze seines kleinen Häufleins zog er aus der Burg.

Sie hatten nun eben erst die nächsten Anhöhen erreicht, da sahen sie schon einen Theil des feindlichen Heers im Thale halten, und hinter demselben, und rechts und links zeigten sich große Staubwolken, und daraus hervor blitzten in der Morgensonne die Waffen heranrückender Schaaren.

Ein Herold ritt ihnen alsbald entgegen, und fragte an: ob sie kämen, sich ihrem rechtmäßigen Könige zu unterwerfen? denn dieser sey im feindlichen Lager. Und falls sie dort sich mit eignen Augen und Ohren davon überzeugen wollten, biete er ihnen im Namen seines Herrn sicheres Geleit an. Doch Raimund entgegnete unwillig: Auf eine Frage, die mit dem Schwert in der Hand an ihn gethan werde, wisse er auch nur mit dem Schwerte zu antworten. Wenn dem feindlichen Heerführer danach gelüste, so möge er sich ihm stellen; Mann gegen Mann; dann wolle er ihm nach Kräften Bescheid thun. Den Weg aber ins feindliche Lager hoffte er bald auch ohne Geleit zu finden.

Und der Herold war kaum bei den Seinigen wieder angelangt, da sprengte ein Ritter in schimmernder Silberrüstung ganz allein rasch aus dem Haufen hervor ins flache Feld zwischen ihnen und dem feindlichen Heer. Sogleich führte Raimund seine kleine Schaar die Anhöhen hinab, ließ sie am Fuße derselben Halt machen, und sprengte allein dem Ritter rasch entgegen. Er sah bald, daß dieser keine Lanze führte und es also auf einen Kampf mit dem Schwerte abgesehen sey, warf daher die seinige gleichfalls von sich, und so ritten sie in gestrecktem Laufe grade auf einander los. Doch als sie sich bis auf wenige Schritte nahe gekommen waren, hielten sie beide an, und wogen einander mit den Blicken, und Raimund freute sich der hohen, königlichen Gestalt des Gegners. Hierauf zogen sie beide rasch den Helmsturz herunter, und griffen zu den Schwertern, den Kampf zu beginnen. Da rief plötzlich der Ritter: »Haltet ein!« und warf sein Schwert in die Scheide zurück. »Ihr blutet!« fuhr er fort. »Nicht Ehre brächt' es mir, mit einem schon Verwundeten zu kämpfen.«

Voll Verwunderung sah Raimund in der That das Blut an seinem Panzer herabrieseln, doch wurde er bald gewahr, daß es aus der Schärpe kam, worin er seine Alpenrose verwahrt trug. Er zog sie schnell hervor, und siehe! traurig neigte die Rose das Haupt, und helle Blutstropfen standen auf ihren Blättern.

In dem Augenblick vernahm er lautes Rufen von der Seite, und zwei Reiter jagten herbei und schrien schon von weiten: haltet ein! Und Raimund erkannte in dem einen Meister Ezzelino, in dem andern aber seinen Vater Wolfgang. Sie warfen sich sogleich zwischen die beiden Kämpfer, und Ezzelino rief: »Prinz Gundibert, was willst du thun! Es ist dein Sohn.« Wolfgang aber faßte Raimunds Arm, nahm ihm das Schwert aus der Hand und sprach: »Gegen wen streitest du, Raimund! Dieser dort ist dein Vater, nicht ich.« – Und dann sich zu dem Fürsten wendend, der vom Pferde gesprungen war, und dessen Hand an seine Brust drückend: »So lebt ihr wirklich,« rief er, »mein theurer Fürst und Herr! Und diese alten Augen sehen euch wieder, die euren Tod so oft und so lange beweint! Kommt nur! – Er ists; es ist Raimund, euer Sohn, den ihr meinen Händen anvertraut, und ich jetzt euch wiedergebe.«

»Und seine Mutter?« rief Prinz Gundibert.

»Sie hat euch ihr Bild zurückgelassen, da sie ging!« entgegnete Wolfgang langsam und mit niedergeschlagenen Augen, und nahm Raimunden den Helm vom Haupte. Da sah der Vater seines Sohnes herrlich blühende Gestalt, er erkannte der geliebten Mutter theure Züge, und neben die freudige Gegenwart stellte sich wehmütige Erinnerung, und tief bewegt von Schmerz und Lust schloß er den Sohn in seine Arme und hielt ihn lange schweigend fest. Dann richtete er sich empor, reichte den beiden Freunden dankend seine Hand, und erzählte ihnen mit kurzen Worten, wie er den Nachstellungen seines Bruders nur durch die Flucht übers Meer entgangen sey, wie er nach vielen seltsamen Abenteuern endlich zurückgekehrt und Schutz und Hülfe gefunden bei dem König von Burgund, der ihm ein Heer ausgerüstet habe, sich damit sein angestammtes Königreich wieder zu erwerben.

»Ihr kommt zu spät!« unterbrach in Ezzelino lächelnd, »euer Sohn hat sichs bereits erworben. Denn als ich ihm und seiner Mutter und Wolfgang dem treuen Diener eine sichere Freistatt bereitet in meinen Bergen, da schwur ich es dem Andenken an unsre alte Freundschaft zu, daß euer Sohn die Krone tragen solle, die für euch bestimmt war, doch sollte er sie sich erst vorher verdienen, und wahrlich! das hat er gethan mit Ruhm und Ehren.«

Und nun, indeß sie mit einem frohlockenden Gefolge, das sich um sie versammelte, der Burg zuritten, erzählte Meister Ezzelino wie sich alles zugetragen, und Raimund erkannte wohl, daß seine Vermuthung ihn nicht betrogen, und daß Meister Ezzelino niemand anders sey, als der Berggeist, den er in Sagen und in Liedern von frühster Jugend an gekannt, und dessen Treiben und Wirken er mit schauerlicher Lust sich oft so nahe geahnt hatte.

So waren sie bis vor das Thor der königlichen Burg gekommen. Da trat König Giselherr aus dem Thor, von seiner Dienerschaft und unzähligem Volk umgeben, ging ihnen entgegen und indem er sich vor seinem Bruder auf ein Knie niederließ, nahm er die Krone von seinem Haupte und legte sie zu seines Bruders Füßen. Als Prinz Gundibert aber den König in dieser demüthigen Gestalt erblickte, und ihm in das bleiche abgezehrte Gesicht sah, wie schwand Groll und Rache aus seinem Herzen; er sprang vom Pferde, hob ihn auf und verzieh ihm, wollte auch die Krone nicht von ihm annehmen, sondern verlangte, daß Raimund und Thorhilda den Thron besteigen und miteinander herrschen sollten. Doch Raimund rief mit lauter Stimme: »Da sey Gott für, daß ich jemals zu herrschen begehre, so lange mein Vater noch lebt!« Und das ganze Volk jauchzte ihm Beifall zu, und rief Prinz Gundibert zum König aus.

König Giselherr aber bat seinen Bruder, daß er ihm vergönne ein Kloster zu erbauen im Walde an der Stelle, wo er einst die Schlangenhöhle gefunden, damit er dort, nachdem er ein Christ geworden, den Rest seines Lebens dazu verwenden möge, sich mit dem Himmel zu versöhnen. Darauf führte der sie alle in die Burg, denn heute noch einmal sollten sie seine Gäste seyn. Und indem sie hineinzogen, ward Meister Ezzelino Freund Bolko gewahr, reichte ihm lachend die Hand und sprach: »Nun, Bruder Bolko Nummer 1, gieb deinem Bolko Nummer 2 nur immerhin freundlich die Hand und halte mir den Scherz zu gut. Zur Schadloshaltung verehre ich das Dachsränzlein dir und deinen Nachkommen. Halt' es in Ehren, und gebrauche es mit Verstand.«

Und Bolko hielt das Dachsränzlein in Ehren und gebrauchte es mit Verstand, und es erhielt sich bei seiner Nachkommenschaft lange Zeit, bis es endlich, man weiß nicht wie, abhanden gekommen ist. Ein gleiches aber geschah auch mit dem Schwerte Raimunds, der nach seines Vaters Tode lange Jahre regierte als ein weiser, tapferer und gerechter König. Das soll, wie man sagt, in neuern Zeiten ganz verloren gegangen seyn.

 

Und so können wir zum Schluß nichts besseres wünschen, als allen wackern Dichtern und Sängern, daß sie das Dachsränzlein; allen wackern Königen und Fürsten aber, daß sie das Schwert wiederfinden mögen sich selbst zu Nutz und Frommen und der Welt zum Heil!


 << zurück weiter >>