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Meister Dietrich

1809

 

In der Kirche des Benediktiner-Klosters zu *** befindet sich in einer Seiten-Kapelle zur Rechten ein Bildniß, vor welchem jeder gern verweilt, um sich der wundersamen Schönheit und Kunst, die man daran bemerkt, zu erfreuen. Es hatte aber dort gar lange gehangen und ward, da es vom Rauch geschwärzt und Alters wegen ganz unscheinbar geworden, nicht eben viel beachtet, bis zwei Fremde, die aus Wälschland kamen, dem damaligen Abt Gervasius durch Anbietung eines ansehnlichen Preises dafür endlich die Augen öffneten, so daß er sich ungesäumt entschloß, es selbst durch geschickte Hand wieder herstellen zu lassen und ward dieses Geschäft Meister Dietrichen, dem Maler, übertragen, der, obschon noch jung, in seiner Kunst dennoch wohlerfahren und in solcher mühsamen Arbeit geübt war.

Es zeigte sich auch dem Maler gar bald, daß hier die Mühe auf gute Zinsen gelegt sey, obwohl die Arbeit wenig förderte und manche Schwierigkeit dabei war; denn da das Bild, aus Furcht vor noch größerem Schaden, nicht aus seiner Einfassung auf dem Altar genommen werden konnte, war es dem Meister nicht sonderlich zur Hand. Allein er achtete dessen nicht, sondern brachte jeden Morgen frische Lust und größern Eifer mit an sein Werk, ja es ergriff ihn, da es auf seinem Bilde so zu sagen anfing Tag zu werden, und die himmlischen Gestalten durch seine Sorgfalt immer deutlicher und herrlicher wie aus der Nacht hervorgingen, eine solche Liebe zu demselben, daß er an nichts anders dachte, als wie er es gänzlich von der Schmach, die ihm die Zeit und Unachtsamkeit der Menschen zugefügt, befreien, was allzusehr verdorben und verloren gegangen, durch die Kunst des Pinsels ergänzen und wieder herstellen und ihm so wieder zu seiner ursprünglichen Schönheit, Kraft und Glanz verhelfen möge, wie er es klar und frisch vor sich sah.

Zu ihm nun, wer da arbeitete, kam des öftern ein Mann von stattlichem Wesen und Ansehn, ob er gleich nur in schlechter Kleidung, fast wie ein Jäger, einherging, und sah ihm stundenlang mit Wohlgefallen zu, und da derselbe die Welt wohl zu kennen schien, auch von göttlichen und menschlichen Dingen, besonders aber von der Kunst der Malerei mit Verstand und Wissenschaft zu sprechen wußte, hörte ihm Meister Dietrich gern zu und sah ihn allezeit lieber kommen als gehen.

So traf es sich denn einstmals auch, daß die Rede darauffiel: »was für des Lebens Glück und dessen Absicht und Zweck zu halten sey«, wo denn der Maler sein Loos nicht genug preisen konnte, das ihm ein Geschäft angewiesen, an welchem er mit Treue und Liebe und allen Kräften seiner Seele hänge, dazu ein braves Weib und zwei liebe Kinder gegeben und so in seines Lebens Zweck und Absicht zugleich des Lebens Glück mit reichlichem Maas; gespendet habe. – Der Grünrock lächelte. »Ihr seyd genügsam, Meister,« sprach er, »und das ist zu loben. Es ist auch nicht übel, sein Häuslein ins tiefe Thal zu bauen, wo Kohl und Rüben wohl gedeihen; doch sind da manche, die gern ins Weite schauen, und bleiben diese freilich lieber auf den Bergen.«

Der Maler wandte sich auf seiner Leiter und sah ihn an.

»Ihr wundert euch,« fuhr jener fort: »und schaut mich an, als wolltet Ihr fragen, was in der Welt denn noch höheres und besseres sey, denn sein Weib lieb haben, Kinder zeugen und erziehen und seine Tage, einen wie den andern, am Pfluge der gewohnten Arbeit in regelmäßige Furchen legen? Habt Ihr denn niemals ein Begehr und Verlangen in Euch verspürt, von dem Ihr nicht recht zu sagen wußtet, wonach? ist es Euch niemals gewesen, als fühltet Ihr Euch nur halb, und als müsse etwas außer Euch zu finden seyn, wodurch Euer Leben, Seyn und Wesen erst zu einem tüchtigen Ganzen werde?« – »Lieber Herr,« entgegnete der Maler: »es ist also, wie Ihr sagt. Was Ihr da aussprecht, hab' ich in früheren Zeiten gar oft gefühlt.«

»Ich wußt' es wohl,« sprach der Andere. »Glaubt mir nur, Ihr seyd zu etwas Höherem ausersehen, als bis an Euer Ende den Pinsel zu führen und Euer Leben an solcher Arbeit abzunutzen; glaubt mir, vertraut auf mich – ich sag' es nicht umsonst – mit Euern Gaben, mit Eurer Jugend und Gestalt kann es Euch nirgend fehlen.«

Der Maler sah eine Weile schweigend zur Erde. »Ihr irrt Euch in mir, begann er dann, »wie sich mein Vater in mir irrte. Der hätte auch gern etwas Großes aus mir gemacht und hielt mich fleißig zu der Feder an. Doch die Natur läßt sich nicht zwingen. Ich bin zu dem geboren, was ich bin und seitdem mir Gott mein Weib und meine Kleinen geschenkt, ist alles eitle Treiben und Begehr von mir gewichen. Hätt' ich noch einen Wunsch, so wär' es, daß mir vergönnt seyn möchte, mich auch einmal in Wälschland umzuschauen.«

»Dazu ließ sich vielleicht Rath schaffen,« erwiederte der Unbekannte. » Wollt nur, so könnt Ihr auch. Das Sprüchlein merkt Euch, und richtet Eure Augen nach oben, denn Ihr seyd zu Hohem berufen. Und so Euch über kurz oder lang ein Wunsch anträte, gedenket mein und vertraut mir. Ein Freund kann uns oft nützlich seyn, wo wir es am wenigsten vermuthen. Auch der Demant trägt ein unscheinbar Kleid. – Da läutet's im Kloster. Die Glocke ruft mich. Gehabt Euch wohl!«

Er hatte unter diesen Reden einen Pinsel ergriffen und gleichsam damit spielend drei rothe Sternlein an die Wand gemalt. Jetzt legte er ihn hin und ging.

Es möchte schwerlich zu beschreiben seyn, in welcher Gemüthstimmung der Grünrock den Maler zurückgelassen. Fast war ihm, als hätt' er etwas Wichtiges, vergessen, und müsse sich nun darauf besinnen, und wenn er über alles nachdachte, verwirrten sich seine Gedanken, und die wunderlichsten Bilder schlüpften in hellen Farben an ihm vorüber. Für heute war ihm alle Arbeit verleidet. Er schaute noch ein Mal kopfschüttelnd sein Bild an und machte sich langsam auf den Weg nach Hause. – Leise öffnete er die Thür und trat in die Stube; da saß seine Frau, den Knaben auf dem Arm, zu ihren Füßen das Töchterlein mit der Puppe spielend; und wie das Kind sein ansichtig ward, rief es: »der Vater kommt!« und sprang auf ihn zu, hing sich an seine Kniee und fragte ihn, ob er ihm nichts mitgebracht. Der Vater aber nahm es auf den Arm, und da die Mutter ihm entgegen kam und, sich seiner frühen Heimkehr freuend, den Mund zum Kusse bot, setzte er sich auf einen Stuhl neben der Thüre, zog sie auf sein Knie herunter und hob das Mädchen auf das andere; indem öffnete der Knabe auf der Mutter Arm die Augen, er sah den Vater und machte das zahnlose Mündlein weit auf und jauchzte laut; und der Vater küßte ihn, und herzte die Mutter und herzte das Töchterlein, und hätte seiner Lust kein Ende gefunden, wenn nicht die Mutter aufgestanden wär' und ihm den Knaben zu halten gegeben hätte: »denn heute Abend,« sprach sie: »will ich dir dein Leibgericht bereiten, weil du uns so zeitig erfreut hast und fein fromm und artig bist.«

Es war nun vergessen, was der Unbekannte zu ihm in der Kirche gesprochen und all' die wunderlichen Dinge, die ihm durch den Sinn gegangen. Gleich wie harmlos spielende Kinder trieben sich seine Gedanken und Wünsche wieder, wie sonst, fröhlich in den engen Grenzen seiner Wohnung umher und begehrten nimmer über die Schwelle hinaus.

*

Mit gewohnter Lust und Liebe ging er den andern Morgen wieder an sein Tagewerk. Als er die drei Sternlein an der Wand erblickte, schalt er sich selber einen Thoren, daß er auf ein Paar leichtfertige Worte eines Fremden geachtet, der vielleicht nur seinen Spott mit ihm getrieben und nahm sich vor, ihm heute weidlich mit gleicher Münze zu vergelten: Allein der Unbekannte ließ heute seinen Besuch vergeblich erwarten und Meister Dietrich ging ärgerlich nach Hause und mußte sich auf den andern Tag getrösten. Der andere Tag kam; Meister Dietrich wartete, aber der unbekannte Freund kam wiederum nicht; eben so wenig ließ er sich in den folgenden Tagen blicken, und je länger, je mehr jener an seiner Wiederkehr verzweifelte, desto stärker regte sich bei ihm der Wunsch darnach. Er meinte, dies rühre von der Gewohnheit seines Umgangs her, da es doch lediglich das Begehr nach des Fremdlings geheimnißvollem Wesen, und schmeichelnden Worten war. Das mochte er sich aber selbst nicht bekennen.

Indessen blieb er in seiner Arbeit nicht säumig. Des Bildes Schönheit wurde immer offenbarer, und zog manchen aus der Stadt herbei, der an solchen Dingen Gefallen hatte. So geschah es denn auch eines Morgens, als er eben auf der Leiter stand, daß eine reichgekleidete Frau, von einem Diener begleitet, in die Kapelle trat. Sie trug, nach Landessitte, eine sammetne Kappe, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte, doch däucht' ihm, niemals edleren Wuchs, noch schönere Gestalt erblickt zu haben, und da sie, ihn freundlich begrüßend, ihren Wunsch, das Bildniß zu betrachten, kund that, klang ihre Stimme so wundersüß, daß ihn gar sehr verlangte, den Mund zu sehen, dem so lieblicher Ton zu eigen. Er stieg hurtig von der Leiter und räumte alles aus dem Wege, was des Bildes Anblick hindern konnte. Sie aber schlug die Sammetkappe zurück und trat näher an des Altars Stufen. Dem guten Dietrich war's nicht anders, als ob die Morgensonne aus den Wolken hervorträte, und mit ihrem Glanz ihn selbst und den Raum um ihn her verherrliche. Er getraute sich nur verstohlen, kurze Blicke nach ihr auszuschicken, gleich als fürchtete er seine Augen zu blenden, und da sie sich von ohngefähr zu ihm wandte, ihn über etwas zu befragen, blieben sie gänzlich auf dem Boden, und er wußte kaum ein armes Wörtlein mit Stottern und Stammeln zurückzugeben, so daß die schöne Gestalt lächelnd zu ihm sagte: »lieber Meister, fast muß ich glauben, meine Gegenwart sey Euch ungelegen, da Ihr nicht allein kein freundlich Wort, sondern auch nicht einmal einen freundlichen Blick mir gönnt.« Indem nun Meister Dietrich darauf mit Höflichkeit zu erwiedern suchte und in der Angst nicht gleich etwas finden konnte, und seine Verwirrung dadurch immer mehr anwuchs, fuhr jene mit holdseliger Gebehrde fort: »wenn Ihr ungelegene Besuche erhaltet, so zürnet mit Euch selbst und Eurer Geschicklichkeit, die auf solche treffliche und fast wunderbare Art dies Kunstwerk, welches schon gänzlich der Nacht und Vernichtung verfallen schien, wieder in's Licht und Leben zurückführt und ihm sein altes Recht auf die Bewunderung der Menschen herstellt. Ich aber will Euch gern gestehen, daß ich weniger um des Bildes willen hergekommen bin, als weil ich Verlangen trug, Euch selber kennen zu lernen, von dem ich, seit meiner Anwesenheit in dieser Stadt, schon so viel Gutes gehört und manches selbst gesehn, was den tüchtigen Meister verkündet; denn in dem Lande, wo ich erzogen, liebt man solche Leute.«

Sie fügte hierauf noch mancherlei hinzu, was von ungemeinem Verstande und mannichfaltiger Kenntniß zeugte, wie Meister Dietrichen noch niemals an einem Weibe vorgekommen war, so daß er darüber auch warm in der Brust wurde und sich ihm endlich Herz und Zunge löseten. Und sie hätten ihres Gesprächs kein Ende gefunden, wäre nicht der von fern stehende Diener, ein schöner junger Mensch, sehr reich auf spanisch gekleidet, mit einem gar finstern Blick auf den Maler, herbeigetreten und hätte erinnert, daß es bald Mittag sey.

Da wandte sich die schöne Frau zum Abschiede und sprach: »lebt wohl, mein lieber Meister; ich hoffe, daß unsere Bekanntschaft nicht so jung sterben werde. Seyd mein eingedenk; Ihr sollt bald weiter von mir hören.« Damit ging sie hastigen Schrittes davon, doch an dem Eingang der Kapelle, wo ihr Weg sich um die Ecke drehte, schaute sie noch ein Mal zurück und winkte ihm freundlich zu. Der schnelle Abschied aber überraschte den Maler so sehr, daß er des geziemenden Geleits vergessend, mit starren Augen und offnem Munde, gleich einem, der von goldenen Aepfeln in seiner Hand geträumt und beim Erwachen nichts darin gefunden, auf dem Fleck, wo sie ihn verlassen, ohne Regung stehen blieb, bis ihm endlich einfiel, ihr von Weitem nachzufolgen, um, wo sie wohne und wer sie sey, zu erfahren. Er hing den Mantel um und eilte durch die Kirche hin; doch wie er eben aus der Thür schreiten wollte, trat ihm sein alter Freund Grünrock entgegen und hielt ihn auf.

»Glück zu, mein rascher Jäger!« sprach er lachend. »Welch edles Wild verfolgt Ihr so hitzig?« Und da sich Meister Dietrich ungeduldig von ihm los machen wollte: »Ihr holt sie nicht mehr ein,« fuhr er fort: »doch was Ihr zu wissen verlangt, kann ich Euch sagen.«

Dem Maler lief eine leichte Röthe über das Gesicht und er fragte: »Ihr habt sie gesehen und kennt sie?«

»Beides,« entgegnete jener: »und da die Menschen doch einmal mit des Schönen bloßer Erscheinung sich nicht begnügen, ja sein nicht eher froh werden mögen, als bis sie es in den Rahmen irdischer Verhältnisse eingezwängt und ihm Namen und Ursprung nachgewiesen haben, so will ich Euch nur gleich vertrauen, daß die schöne Frau, die Euch eben verlassen, das junge Gemal des Grafen Rovero ist; eine Deutsche von Geburt, doch in Italien erzogen. Es wird mancherlei von der Macht ihrer Schönheit erzählt und, scheint es, Ihr wißt selber davon zu sprechen.«

Unter diesen Reden waren sie nach der Kapelle zurückgegangen, wo beide schweigend vor dem Bilde stehen blieben, der Maler, ohne darauf hinzusehn, der andere aber, es aufmerksam betrachtend.

Nach einer Weile hub der letzte an: »bis hierher die Rosen; nun werden wohl die Dornen kommen!«

»Wie meint Ihr das?« fragte Meister Dietrich aufblickend.

»Ich meine,« erwiederte der Grünrock, »daß Eure Kunst und Geschicklichkeit an diesen beiden Köpfen da und sonderlich an dem Frauenkopf in der Mitte, zu Schanden werden möchte, die ja beide so schmählich zugerichtet und beschädigt sind, daß gar wenig von ihrem vormaligen Zustande zu erkennen. Und doch werdet Ihr nichts gethan haben, wenn es Euch nicht gelingt, in diesem Kopf die große Kraft und Schönheit des Uebrigen zu erreichen, ja zu übertreffen; denn weil dieses die Hauptfigur des Bildes ist, so steht zu vermuthen, daß der alte Meister das Höchste, was sein Ingenium und seines Pinsels Fertigkeit vermocht, vor allem an diese werde verwendet haben.«

»Oftmals in guten Stunden,« sprach Meister Dietrich nachdenklich: »hat das ganze Werk so klar im Geiste vor mir gestanden, daß ich hoffen durfte, es mit Gottes Hülfe herrlich zu vollenden; doch muß ich Euch bekennen, daß ich jetzo fast selber daran verzweifle.«

Der Grünrock reichte ihm die Hand und sprach: » was einem Menschen möglich gewesen, daran soll kein Mensch verzweifeln. Setzt der schönen Gräfin Conterfei an die Stelle; das wird dem Uebrigen keine Schande machen.«

»Mit nichten!« rief der Maler aus: »der Gräfin Schönheit ist zu sehr von dieser Welt. Viel eher möchte meines Weibes Bildniß an jenem Ort bestehen können.«

Jener nickte mit dem Kopfe und lachte dabei auf eine gewisse Weise, die dem Maler schon oft an ihm zuwider gewesen war. Darauf sprach er: »Bei dem allen dauert es mich am meisten, daß Ihr die schöne Kraft an solches Stück- und Flickwesen vergeudet und überhaupt Euer ganzes Leben in den Schatten eines Handwerks setzt, von dem Euch keine Frucht fällt, als etwa ein Paar Holzäpfel. Doch was geht's mich an! Lebt wohl, wenn Ihr könnt. Morgen sehen wir uns wieder.«

Meister Dietrich schaute ihm mißmuthig nach und noch mißmuthiger auf sein Bild zurück, denn je mehr er verspürte, daß der fröhliche Glaube an ein wackres Vollenden von ihm gewichen war, desto heftiger verdroß es ihn, daß der Grünrock Recht haben sollte, und er bereute, sich solcher Arbeit unterzogen zu haben.

Voll Unbehagen machte er sich auf den Weg nach Hause. Was ihm heut' begegnet war, hatte sein Gemüth zerspalten; er gewahrte dessen wohl, doch konnte oder wollte er sich die Ursach' nicht sagen. Heut' erfreute ihn nur halb des Töchterleins Kosen, des Säuglings Jauchzen und der Mutter geschäftige Sorgfalt. Das Bild der schönen Gräfin hielt seine Sinne gefangen, trat überall zwischen ihn und seine häusliche Lust, Thun und Treiben, daß er sie nicht erfassen konnte und seine Gedanken und Wünsche sprangen, wie des Zaumes ledige Rosse, über die engen Schranken seines bisherigen Lebens und wuchsen zu gespenstergleichen Riesenbildern auf, vor denen er selbst erschrack.

*

Es waren mehrere Tage verstrichen. Der unbekannte Freund war, seines Versprechens uneingedenk, nicht erschienen. Gleichergestalt hatte es Meister Dietrichen nicht glücken wollen, der Gräfin ansichtig zu werden, obwohl ihn sein Weg gar oft vor ihrer Wohnung vorbeiführte. Da traf es sich eines Morgens, als er über den Marktplatz ging, daß eben Jahrmarkt gehalten, wurde; die fremden Kaufleute hatten ihre Buden aufgeschlagen und es war großes Gedräng' und Treiben dort. An einer von den Bilden aber, worin allerhand köstliche Elixire und Arzneien zu Kauf standen, erblickte er den Grünrock, der sein ebenfalls sogleich gewahrte und ihn heranrief.

»Wollt Ihr Euer Leben verlängern,« sprach er: »oder, wenn es Euch zu lang däucht, dem lieben Gott zu Hülfe kommen? Ihr dürft nur sagen. Gute Freunde werden hier auf beiderlei Weise trefflich bedient.«

»Keins von beiden,« entgegnete der Maler: »sondern wie es Gott gefällt.«

»Ihr seyd ein frommer Mann,« lachte jener: »und solchem wird das Himmelreich. Ihr könnt einmal ein gut Wort für mich einlegen. Wie steht es aber vor der Hand auf Erden? Ist die schöne Erscheinung Euch noch nicht wieder erschienen?« – Der Maler schüttelte den Kopf. – »Ihr wünschtet doch wohl, sie wieder zu sehen?« fuhr der Grünrock fort.

»Was könnte mir's helfen, so es geschäh'?« sprach der Maler mit falschem Gleichmuth; jener aber sah ihn an und sagte: »Eure Wangen halten nicht gute Nachbarschaft mit Eurem Munde, denn ihre Röthe straft ihn der Lüge. Sagt es doch nur gerade heraus, so steht Euch vielleicht zu helfen.«

Meister Dietrich sah ihm verwundert in's Gesicht. »Ei nun,« hub er endlich an: »ein solcher Wunsch ist niemand zu verargen, am wenigsten einem Maler, dem ja, so zu sagen, ein Paar Augen mehr gegeben sind, denn andern Leuten.«

»Wohl dann,« erwiederte der andere: »wir werden sehn, was für Euch zu thun ist.« – Er wandte sich darauf zu dem Kaufmann und redete ihn in einer fremden Sprache an. Der Kaufmann holte ein wohlverwahrtes Kästlein hervor und gab ihm daraus zwei kleine Gläser, welche er zu sich steckte und jenem dafür einen seidenen Beutel mit Geld in die Hand drückte. Zu dem Maler aber sprach er: »kauft doch dem wackern Mann auch etwas ab von diesem Lebensbalsam. Wer weiß, wo Ihr ihn brauchen könnt.« Und da dieser seine gute Gesundheit vorwandte, meinte er, der Balsam sey auch nur für die Allzugesunden und er wolle nur immer ein Gläslein für ihn mitkaufen und ihm aufheben, um ihrer Freundschaft willen; ließ sich auch noch eins geben und bezahlte es. Darauf schieden beide lachend von dem Kaufmann; der Grünrock trat an eine andere Bude, der Maler aber ging an seine Arbeit.

Als er gegen Mittag nach Hanse kehrend aus der Kirche kam, sprach ihn eine wohlgekleidete Dirne mit der Frage an: ob er Meister Dietrich, der Maler, sey? Da er solches bejahet, sagte sie freundlich: »meine Frau, die Gräfin Rovero, läßt Euch des schönsten begrüßen und melden, daß sie diesen Nachmittag Eurer gewärtig seyn werde, um sich mit Euch wegen einer Arbeit zu besprechen, die sie begehrt.«

Meister Dietrich wußte nicht, wie ihm geschah, da er dies vernahm, und er gedachte der heutigen Worte des Grünrocks. Die schlaue Dirne sah ihm eine Weile in's Gesicht; doch da sie von ihm keine Antwort erhielt, grüßte sie ihn lachend und ging davon.

Heute wollte ihm sein Mittagbrod nicht munden, und da ihn seine Frau um die Ursach' befragte, sagte er ihr, er sey zum Grafen Rovero beschieden, für den er malen solle. »Wenn du sonst keine Noth hast,« entgegnete Kunigunde: »es ist ja nicht das erste Wal, daß du vor Grafen und Herren stehst und wirst dich doch vor diesem Wälschen nicht scheuen.« Meister Dietrich fühlte, daß er roth ward im Gesicht, stand auf und küßte seine Frau auf die Stirn. Darauf legte er seine besten Kleider an und machte sich auf den Weg nach des Grafen Hause.

Das Herz schlug ihm wacker, als er die breite Wendeltreppe hinanstieg und einen Diener bat, seine Gegenwart anzusagen. Der Diener führte ihn in ein großes, mit vielen Bildern ausgeschmücktes Prunkgemach und hieß ihn dort verweilen. Der Maler sah die Bilder mit Erstaunen an, denn es waren lauter herrliche Stücke aus der italienischen Schule, wie er deren niemals so viele und so treffliche beisammen gesehen. Die Kraft und der Glanz der Farben, die mächtigen Massen tiefer Schatten und scharfer Lichter in den Werken mancher neuern Meister blendeten, betäubten ihn; mit wunderbarer Macht aber zog ihn ein Gemälde zu sich, welches in der Ecke hing. Es war darauf eine Mutter Gottes vorgestellt von Engeln umschwebt, im Vordergrund zwei anbetende Figuren. Er stand eben davor, da sich hinter ihm die Thüre aufthat und die Gräfin erschien. Das Blut stieg ihm an's Herz, da er ihr entgegen ging; sie aber, nachdem sie ihn freundlich begrüßt, fragte ihn, ob er denn dieses Bild allein von all' den andern Meisterwerken der Betrachtung werth gefunden? »Ich habe,« sprach der Maler mit Bescheidenheit: »aus diesem stolzen Blumenbeet die edle Lilie mir erwählt und wünschte wohl, den trefflichen Meister zu kennen, der so Herrliches vollbracht.«

»Was Ihr so bewundert,« entgegnete die Gräfin: »ist ein Werk des Raphael Sanzio, den viele den Göttlichen nennen. Der Menschen Meinung ist verschieden und ich will keinem die seinige bestreiten.« – Damit führte sie ihn durch ein anstoßendes zweites Gemach, gleich dem ersten ausgeziert, und indem er schnell, wie sie vorausschritt, ihr folgte, fielen seine Augen auf ein Bildniß seitwärts an der Wand und er stand vor Erstaunen still, denn es glich dem Freund Grünrock auf ein Haar, obwohl er andre Kleidung trug, und er wollte den Mund aufthun, die Gräfin zu befragen; allein sie stand schon in ihrem Zimmer, hielt die Thür in der Hand und winkte ihm einzutreten; und wie er hineintrat, sah er eine aufgeschlagne Staffelei, mit allem, was zum Malen erforderlich.

»Da draußen,« hub die Gräfin an: »hatt' ich den Muth nicht, Euch mein Verlangen zu entdecken. Denn nicht, um Euch ein Kunstwerk aufzutragen, Eurer würdig, beschied ich Euch hierher, sondern um mein Bildniß zu verfertigen, das mein Gemal zu haben wünscht.«

Der Maler, vielleicht daß ein guter Geist ihn verwarnte, erschrack im tiefsten Herzen bei diesem Antrag, so daß er erblaßte, worüber die Gräfin lächelnd sprach: sie habe es wohl gewußt, daß ihm ihr Ansinnen nicht gefallen werde, zumal da er eben vom Anschaun höherer Dinge komme.

»Welcher Maler,« entgegnete Meister Dietrich sich fassend: »möchte sich vermessen, mit aller, seiner Kunst Höheres zu erreichen, als hier der liebe Gott in seinem besten Stündlein geschaffen hat?« – Darauf setzte er sich an die Staffelei, nachdem er der Gräfin einen Sessel gerückt und fing seine Arbeit mit zitternden Händen an.

Er sah die Gräfin nun alle Tage. Und wie es den Weintrinkern zu ergehen pflegt, die mit einem halben Kännlein anfangen zur Mahlzeit, bald aber noch eins hinzufügen, und wieder eins, und der Durst immer mehr wächst, je öfter sie ihn löschen, bis sie endlich vermeinen, sie könnten nicht mehr leben, wenn sie nicht des Bacchus voll sind; so wuchs ihm auch das Verlangen, die schöne Frau zu sehen, immer höher an das Herz, je öfter er sie sah, und es däuchte ihm endlich jede Stunde verloren, die er nicht bei ihr verbracht. Wie eine Pflanze, die an einem sparsam erhellten Orte steht, mit allen Kräften ihres Lebens nach der Seite strebt, von wannen das Licht hereinbricht, so waren auch seine Gedanken und alle Triebe seiner Seele nur nach ihr gewendet. An die Arbeit in der Benedictiner-Kirche ging er nur mit Unlust und da er jeden Tag mehr an dem glücklichen Vollenden verzweifelte, ließ er sie endlich ganz liegen.

Seine Frau ward der großen Veränderung an ihm wohl inne, doch da er ihren Fragen deshalb nicht Rede stand, ihr auch wohl dienstfertige Jungen, wie es zu geschehen pflegt, etwas von der schönen Gräfin in's Ohr geraunt hatten, so ließ sie, überhaupt gar sanfter und in sich gekehrter Gemüthsart, zuletzt kein Wort davon mehr über ihre Lippen, und nahm den stillen Gram geduldig in ihrem Busen auf. Der Maler aber, dem dieses Schweigen und ihres Gesichtes kummervolle Züge lauter, denn alle Vorwürfe, seine Schuld vorrückten, fing an sein Haus zu meiden und brachte die Zeit, da er nicht bei der Gräfin seyn konnte, meist in Zechstuben und Spielhäusern hin, machte aber dadurch sein Uebel noch ärger.

Einstmals, da er des Abends zeitiger als gewöhnlich nach Hause kam, hörte er auf der Treppe, wie seine Frau den Knaben in den Schlaf sang; er hatte das Lied schon sonst von ihr vernommen, doch dünkt' ihm heut', als hab' er es nimmer gehört; es fiel ihm wunderlich auf's Herz; er lehnte sich an die Wand, seine Augen wurden voll Wasser, indem er ihr zuhörte, und er stand noch auf dem Flecke, da das Lied schon lange zu Ende war. Das Lied hieß also:

Das Bächlein läuft bergab geschwind,
kann nicht bei dir verbleiben;
die Wolken gehen mit dem Wind,
wohin der Wind will treiben.
Das wird wohl ihre Art so seyn.
Schlaf ein, mein Kind, schlaf ein!

Der Frühling tritt zur Knospe hin:
wach auf, Feinslieb, zur Freude!
Die Knospe springt mit leichtem Sinn
heraus im Hochzeitkleide.
Das mag wohl ihre Art so seyn.
Schlaf ein, mein Kind, schlaf ein!

Doch wie die Sonn' zur Rüste geht,
ist Frühling auch verschwunden.
Der Nachtwind kommt, die Knosp' anweht;
sie stirbt zur selben Stunde.
Es mag wohl Frühlings Art so seyn.
Schlaf ein, mein Kind, schlaf ein!

Das sang die Mutter ihrem Kind.
Das Herz war ihr gebrochen:
Der Liebste schwur, da kam der Wind,
da hatt' er nichts versprochen.
So mag der Männer Art wohl seyn.
Schlaf ein, mein Kind, schlaf ein!

Er trat still zur Thür hinein, bot freundlich, doch mit schwankender Stimme, Kunigunden guten Abend und setzte sich ihr gegenüber in den alten Lehnstuhl, der so oft in der bessern Zeit ihn und all' die Seinen zugleich mit seinen Armen traulich umfaßt hatte. Und als er da saß und sein Weib mit dem Knaben auf ihrem Schooß ansah, wie die Liebe zu dem Kinde ihr bleiches Angesicht zu verklären schien, fiel ihm, er wußte nicht wie, plötzlich sein Gemälde in der Benediktiner-Kapelle ein; er sah es auf einen Augenblick ganz vollendet vor sich stehen, und in seiner Brust ward ihm dabei so weh und doch so wohl, daß er dies seltsame Gefühl nicht allein zu ertragen vermochte, stand daher auf und ging hinüber zu seinem Weibe und küßte den schlafenden Knaben. Kunigunde schlug die Augen langsam zu ihm auf und ein Strom von Thränen brach daraus hervor; er aber faßte ihre Hand und drückte sie heftig an seine Brust, die ihr hoch entgegen schlug.

Da that sich die Thür auf und hereintrat der Grünrock. Erstaunt und verlegen wandte sich der Maler, ließ seines Weibes Hand und ging ihm entgegen; doch jener schritt, auf seine Weise lächelnd, an ihm vorüber und sprach, vor Kunigunden tretend: »Vergebt mir, werthe Frau, wenn ich Euch störe. Da unser lieber Meister sich nicht mehr bei seiner Arbeit in der Kirche betreffen läßt, wähnt' ich ihn krank. Allein indem ich Euch anschaue, kann ich es ihm nicht verargen, daß er lieber daheim bei Euch verbleibt, als seinem Handwerk auf der Straße nachläuft.«

Meister Dietrich sah ihn mit Verwunderung an, denn indem er eben den Mantel ein wenig zurückschlug, um seinen Hut abzunehmen, gewahrte jener, daß er ein prächtiges Kleid von schwarzem Sammet mit einem kostbaren Spitzen-Kragen und eine goldene Kette um den Hals, darunter trug.

Doch als ob er des Malers Verwunderung nicht merkte, fuhr der Freund, den Mantel zusammenschlagend, gegen ihn gewendet fort: »Glaubt mir, wenn ich an Eurer Stelle wäre, wie eine Auster wollt' ich nimmer mein Haus verlassen, das mir der Herr so herrlich gesegnet hat; am wenigsten, um etwa schöne Weiber abzukonterfeien.«

Meister Dietrich wurde roth und winkte ihm mit den Augen und auch über Kunigundens Gesicht lief eine schnelle Glut; der Schalk aber, ohne des Malers Winken zu beachten, sprach lächelnd zu Kunigunden: »Ihr wißt doch, schöne Frau, welche gefährliche Arbeit er unternommen? Der Gräfin Rovero tagtäglich in die Augen schauen, bedünkt mich wie Thurmdeckerwerk: man kann leicht schwindlich dabei werden, denn solcher Augen gibt es in der Welt nur ein Paar.«

Jedes dieser Worte war ein Dolchstich in Kunigundens Herz und die Brust wollt' ihr vor Schmerz zerspringen. Da stand sie auf, drückte den Knaben an sich und eilte mit wankenden Schritten in das Schlafgemach.

»Was beginnt Ihr?« sprach der Maler, ängstlich hin und herschreitend, da sie weg war.

»Ich merkt wohl,« entgegnete jener: »daß ich mit täppischen Händen den wunden Fleck berührte, und um mich selber darob zu bestrafen, verlaß ich Euch auf der Stelle. Es wird Euch indeß nicht schwer fallen, den Frieden wieder herzustellen, wenn Ihr sonst nur die schöne Gräfin aufgeben wollt. Aber merkt wohl, was ich sage: die Weiber sind es in diesem Leben, die uns hinauf oder hinunter ziehen. Die Wahl ist Euer! Gute Nacht.«

So ging er hin und nahm aus diesem Hause den Frieden auf immerdar mit sich hinweg. Dem Maler entstand der Muth, seiner Frau unter die Augen zu treten und der Augenblick war vorbei, wo sein guter Geist ihm noch ein Mal die Hand geboten hatte und sollte niemals wiederkommen. Sein bethörtes Herz zog ihn am andern Morgen wieder zur schönen Gräfin, und Kunigundens Bild in seiner Brust verblaßte und verging vor dem Strahl ihrer Augen, wie der Mond am frühen Morgen, wenn sich die Sonne zeigt.

*

Die Arbeit des Malers nahte sich ihrem Ende; er sah mit Entsetzen die Zeit herbei kommen, wo er des täglichen Anschauens der herrlichen Gestalt verlustig gehen werde, und konnte sich dann seinen Zustand nicht anders denken, als eines Verdammten, der einst im Himmel gewesen. Da sprach die Gräfin eines Tages zu ihm von ihrem Gemal und erzählte unter anderm: daß er seinen Geheimschreiber durch den Tod verloren, und nun um einen geschickten Mann verlegen sey. »Hättet Ihr nicht Weib und Kind,« fuhr sie lächelnd fort: »ich wollte Euch zureden, selbst um die Stelle zu werben. Es fehlt Euch nicht an der nöthigen Geschicklichkeit; ein Kopf, wie der Euere, würde auf dieser Stelle nicht lange rasten und die Aussicht auf das Höchste wäre Euch geöffnet.«

»Für mich,« sprach der Maler: »für mich, ist nur ein Einziges, wonach mein Leben lechzet, wie im Sonnenbrand eine Pflanze nach dem Thau; und ach, ich Unglücklicher! nimmer werd' ich das erlangen.«

»Ihr achtet Euch selber zu gering,« entgegnete die Gräfin. »Wem die Natur so viel gegeben, der darf von den Menschen alles hoffen.« – Sie sah ihn mit einem Blicke an, an dem sein Blut sich entzündete und wie ein Feuer durch seine Adern lief, daß er kaum athmen konnte und ihm die Hände zitterten.

»Mein Gemal,« hub sie von neuem mit leiser Stimme an: »mein Gemal verlangt nach dem Bilde und wie ich sehe, werdet Ihr es auch in wenig Tagen vollendet haben.«

»Ach, mit dem letzten Pinselstriche,« rief der Maler: »streich' ich mich selber aus dem Buch der Seligen und unterzeichne meine Verdammung!«

Die Gräfin schlug die Augen nieder und schwieg eine Weile. Dann sprach sie seufzend: »Unsern liebsten Wünschen wird in diesem rauhen Leben keine Erfüllung reif; wie Pflanzen aus meinem schönen Italien in Euren kalten Himmelsstrich verpflanzt, höchstens blühen, doch nimmer Früchte tragen. Alles, was dem Volk begehrenswerth erscheint, ist mir geworden: Macht, Ehre, Reichthum und doch kein Glück; denn mein Herz ist arm geblieben.«

Ihre Augen wurden voll Thränen, da sie dies sprach; und sie lehnte sich in den Armsessel zurück, sie mit der Hand bedeckend. Da blieb der Maler seiner Leidenschaft nicht länger Meister, warf sich ungestüm vor ihr auf die Kniee, streckte die Arme voll verzehrender Sehnsucht nach ihr aus und sprach mit bebender Stimme: »O, möcht' ich doch hier zu Euern Füßen und in Euerm Anschaun sterben, denn zu leben vermag ich doch nicht, wenn ich Euch nicht mehr sehe.« Sie blickte ihn liebreich an und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie heftig; doch wie ein Blitzstrahl durchfuhr ihn die Berührung; ein heftiges Zittern überfiel ihn, hörbar schlug ihm das Herz an seine Brust, es ward ihm schwindlich vor den Augen, wie einem Trunkenen, er war außer sich, umfaßte ihre Kniee, drückte sie an sich und da sie, ihn abzuwehren, sich vorwärts bog, schlang er seine Arme mit Macht um den schlanken Leib, zog sie zu sich herab und seine lechzenden Lippen brannten auf ihrem Munde. »Was macht Ihr!« rief die Gräfin, wand sich aus seinen Armen, und war schnell durch eine Seitenthür entwichen.

Noch lange blieb der Maler auf der Stelle knieen; all' sein Gefühl hatte sich, den übrigen Körper verlassend, in seinen Lippen zusammengedrängt, auf denen ihm immer noch der Gräfin Lippen zu glühen schienen, und nur in dieser Glut war er sich seiner selbst bewußt. Da trat endlich die Zofe der Gräfin herein, ihn mit lautem Gelächter weckend. »Soll ich Euch beten helfen?« rief sie. Meister Dietrich aber sprang beschämt empor und verließ eilig das Zimmer.

Nicht weit vom Hause hielt ihn der Grünrock an. »Kommt Ihr,« sprach er lachend: »schon so früh am Tage vom Becher her? Oder ist es der Frau Venus Feldzeichen, so Ihr auf dem Gesichte tragt? Sie muß Euch ein feines Handgeld gegeben haben. Ihr wart wohl bei der Gräfin?«

Verliebte, die von ihrem Glücke kommen, sind leicht auszufragen. Gar bald hatte Meister Dietrich dem Grünrock nichts mehr zu verschweigen.

»Und wie nun weiter?« fragte dieser. »Es bläs't ein frischer Wind in Eure Segel; im Morgenroth zeigt sich die goldne Küste; doch Euer Schifflein sitzt auf einer Sandbank fest. Wenn Ihr nicht Weib und Kinder hättet.« –

Der Maler seufzte tief auf.

»Ich weiß,« fuhr jener fort: »was dieser Seufzer sagen will. Ihr fangt in Gedanken an über Bord zu werfen. – Wenn Eure Frau jetzt stürbe – was erblaßt Ihr? Erschreckt Ihr vor Euren eigenen Wünschen?«

Der Maler riß sich erzürnt von ihm los und wollte gehen. Doch jener hielt ihn zurück und sprach: »Eure Ohren sind keuscher als Euer Herz. Mich täuscht dies Zürnen nicht, mit dem Ihr mich, ja Euch selbst gern betrügen möchtet. Ihr wünscht es doch; krank ist sie ohnedies und wenn Ihr es aussprächt, stände Euch vielleicht zu helfen.« – Nachdem er dies gesprochen, wandte er sich und ging.

Kunigunde war wirklich krank, und es setzte der Gram um so geschäftiger ihrem Leben zu, da sie ihn in sich verschlossen auferzog und nährte. Sie fühlt ihre Kräfte sinken, doch kam nimmer eine Klage darob über ihre Lippen. Da aber diese Kränklichkeit, wie sie pflegt, ihre Empfindlichkeit vermehrte und ihre sonstige Geduld und Gelassenheit verminderte, so fielen öfters unangenehme Worte zwischen ihr und dem Maler, wodurch diesem sein Haus immer mehr verleidet wurde.

*

Als Meister Dietrich am andern Morgen, der Gräfin harrend, vor der Staffelei stand, in ängstlicher Erwartung, wie ihr Empfang seyn werde, trat sie, von ihrem Gemal begleitet, in das Gemach. Der Maler erschrak heftig und stand da, wie ein armer Sünder, über den der Stab gebrochen wird, denn er glaubte aus der Gräfin Begleitung zu erkennen, daß sie über seine gestrige Kühnheit zürne. Da sprach der Graf, vor ihn hintretend: »ist dies der Mann, von dem Ihr mir gesagt?« und als die Gräfin solches mit Kopfnicken bejahte, maß er ihn mit ernstem Blick von oben bis unten, daß es den Maler bald heiß bald kalt überlief. Darauf fuhr er fort, zu demselben gewendet: »Ihr wollt also, wie ich höre, dem Pinsel Valet geben und fortan zu der Feder schwören?« – Diese Worte stärkten den Maler wunderbar. Er verneigte sich tief vor dem Grafen und hatte jetzo erst den Muth, seine Augen auf die lange, hagere Gestalt zu erheben. Der Graf aber trat zu dem Bilde auf der Staffelei, und nachdem er es eine Weile aufmerksam betrachtet: »in der Kunst,« begann er von neuem: »soll man nichts Mittelmäßiges dulden. Was nicht vortrefflich ist, ist schlecht.« mit diesen Worten bot er seiner Gemalin die Hand und mit dem Kopfe nickend sprach er im Abgehn: »Ihr habt Euch in diesen Tagen auf der Kanzlei zu melden. Seyd Ihr zu brauchen, so sollt Ihr mit mir zufrieden seyn.«

Vergebens hatte der Maler nur auf einen Blick der Gräfin gehofft; sie ging, ohne ihn angesehn zu haben. Doch jetzt im Weggehn ließ sie eine Nelke fallen, die sie in der Hand getragen hatte, und da er schnell hinzusprang, sie aufzuheben, gewahrte er, daß sie lächelte.

So war ihm denn durch des Grafen Antrag, mit so rauher Manier er auch geschehen, die Möglichkeit eröffnet, nicht allein seine Liebe noch ferner zuschauen, sondern sogar mit ihr in einem und demselben Hause zu wohnen, ja er durfte glauben, daß sie es selber wünschte. Obwohl nun aber sein Herz darüber voll guter Dinge war, nicht anders, als hätte ihm jemand eine Leiter an den Himmel gelegt, so hing sich doch immer der Gedanke an Kunigunden wie eine Centnerlast an dasselbe und zog es zur Erde nieder. – Er sah sich überall nach dem Grünrock um; es war ihm, als müsse dieser einen Rath für ihn haben, da er sich selber nicht zu berathen wußte; allein der Grünrock ließ sich nirgend sehen.

So trieben nun Ungewißheit, Zweifel, Ungeduld, Mitleid und Begier, bald zurückhaltend, bald anspornend, bald dahin, bald dorthin lenkend, ihn unablässig umher; und da er indeß auch bei der Gräfin, wenn er sich, das Bildniß zu vollenden, einstellte, bald unter diesem, bald unter jenem Vorwand abgewiesen wurde, so bedünkte ihn sein Zustand mit jedem Tage unerträglicher, und es lag auf seiner Brust wie ein schweres Verbrechen, so daß er oft sich selber, sich besinnend, fragen mußte, ob er etwa und was er denn Entsetzliches begangen, das ihn wie den Kain verfolge.

Eines Abends, gerade da er in sein Haus treten wollte, faßte ihn eine Hand von hinten beim Arm, und da er sich wandte, stand wieder der Grünrock vor ihm.

»Wie geht es, Meister?« sprach er. »Seyd Ihr noch krank? Denn wahrlich krank ist, wer ewig zwischen Wollen und Nichtkönnen hin und wieder schwankt. Nur der Entschlossene ist der Gesunde. Ihr dauert mich. Ihr schwachen Seelen fühlt die Schmerzen des Gebärens, und doch nimmer die Lust an dem Gebornen.«

»Auf Euch hab' ich gehofft,« entgegnete der Maler. »Ihr sollt mir rathen.«

»Was soll Euch mein Rath?« versetzte jener. »Wenn Ihr mir Euren Pinsel gebt, bin ich drum schon ein Maler? Und was kann ich Euch am Ende anders rathen als: hier laßt fahren und dort greift zu. Wer nicht entsagen kann, kann nicht besitzen.«

Der Maler sah zur Erde und jener fuhr nach einer Weile fort: »du bist ein Kind, Meister; ich will für dich sorgen, und so geh' jetzt nur hinein, du thöriges Kind, in deine Wiege, aus welcher du heraus verlangst; kommt doch die Zeit, wo du dein Herzblut darum gäbst, so du noch drinn lägest.«

Mit diesen Worten schob er ihn nach der Hausthür hin; doch plötzlich wieder zog er ihn zurück und sprach mit dumpfer, leiser Stimme: »Wenn ich wollte, gingst du nicht mehr hinein, nie mehr! Doch siehe da!« fuhr er mit Kopfschütteln fort: »ich bin ein Kind wie du. Geh nur, geh hin, unglücklicher Glücklicher. Du ahnest nicht, welch schweres Opfer ich dir bringe.«

Er ging, und Meister Dietrich blieb staunend und nachdenkend über sein seltsames Thun und Reden zurück, und sah ihm lange nach; und da er in seine Wohnung trat, fand er sein Weib in Thränen; doch wollte sie ihm darob nicht Rede stehen, sondern winkte ihm mit der Hand, zu schweigen; sein Töchterlein aber zog ihn auf einen Stuhl herab und sprach leise zu ihm: »der grüne Mann ist da gewesen.«

*

Er hatte am andern Morgen eben die Thür in der Hand, den Grünrock aufzusuchen, da trat Kunigunde aus ihrer Kammer und öffnete den Mund, denn sie hatte in mehreren Tagen nicht mit ihm geredet, und sprach: »wo willst du hin?« Und da er sich befremdet umkehrte, gewahrte er, daß ihre Wangen brennten wie in Fieberglut und aus ihren Augen ein ungewöhnlich Feuer hervorbrach. »Ich wollte,« fuhr sie fort: »du bliebest heut' bei mir, heut' nur noch! Es ist leicht das letzte Mal, daß ich dich bitte.« Und seine Hand ergreifend: »was würdest du mit unsern Kindern beginnen, wenn ich einst eher stürbe, als du? Bring' sie zu meiner Schwester. Sie liebt die Kinder. Dort sind sie wohl aufgehoben.«

»Kunigunde,« rief der Maler beängstigt aus: »was hast du vor?«

Doch wie im tiefen Nachsinnen sprach sie weiter: »Nimm dich vor dem Grünen in Acht. Ich warne dich. Es kann sonst schrecklich mit dir enden. Ich weiß es, ein Traum hat mir's diese Nacht gezeigt. Steh ab von deinem Wege, sonst bist du hier und jenseit verloren.«

Der Maler stand erschrocken und gerührt, und fühlte, da er sie ansah, plötzlich sein ganzes Herz gewendet. Und sie breitete ihre Arme gegen ihn aus und rief: »Heinrich!« in Thränen ausbrechend. Da nahm er sie an seine Brust und sprach: »Lieb Weib, hör' auf mit eitlen Einbildungen dich zu quälen. Ich gehe jetzt und alles wird noch gut.«

Sie aber riß sich von ihm los und rief: »du gehst!« – »Ich gehe,« versetzte er: »und wenn ich wiederkomme, ist alles anders.«

»Ja anders!« sprach sie hastig, kehrte sich von ihm, nahm den Knaben, der an der Erde spielte, auf, und hob ihn hastig, mit zum Himmel gerichtetem Angesicht und Augen, hoch empor. Er aber, seines Vorhabens voll, achtete alles dessen nicht, dachte nur, daß es bald anders werden solle und eilte davon, solches in's Werk zu setzen. Denn es war das Gefühl seines Unrechts mit Macht über ihn gekommen, unendliches Mitleid mit seinem armen Weibe hatte ihn ergriffen, auch regte sich die alte Liebe zu ihr von neuem, und es war sein ehrlicher Wille und Vorsatz, der Gräfin auf der Stelle zu entsagen. Weil er aber theils sich selber nicht vertrauen mochte bei längerem Verzug, theils auch, weil ihm des Grünrocks wunderliche Reden immer zu Sinne lagen und eine bange Ahnung ihn deshalb auf das Herz drückte, so trieb es ihn mit Gewalt, jenen ohne Weilen aufzusuchen, damit er nichts beginne, und dann im Hause des Grafen auf das Geheimschreiberamt Verzicht zu leisten und solchergestalt das Brücklein, das ihm noch kurz vorher der Eingang in das Paradies geschienen, mit eignen Händen abzubrechen.

Wie er nun hin und wieder lief, den Grünrock auszukundschaften, und niemand von ihm wissen wollte, fiel ihm ein, daß er ihn einstmals mit einem Mönch des Benedictiner-Klosters im Gespräch gesehen, nahm deshalb schnell seinen Weg dorthin, in der Hoffnung, etwas von ihm zu erfahren. Doch da auch hier sein Forschen vergeblich gewesen und er mißmuthig langsamen Schrittes über den Klosterhof zurück ging, da wollte es sein Geschick, daß die Kirchenthür offen stand. Es kam ihm ein groß Verlangen an, sein Bild einmal wieder zu sehen und er trat hinein und ging nach der Kapelle. Eben zog ein schweres Ungewitter herauf, der Himmel bedeckte sich mit schwarzen Wolken, in die Kapelle fiel durch die hohen, gemalten Fenster nur ein schwaches Licht; es war düster und still darin wie in einer Gruft. Dem Maler drückte es das Herz zusammen, da er hineintrat; das Bild auf dem Altar kam ihm so fremd und seltsam vor, daß er erschrak, und da er seine Augen abkehrte, nahm er die drei rothen Sternlein an der Wand wahr. Das Gespräch mit dem Grünrock kam ihm wieder in den Sinn, alles was er ihm verheißen und was nach dieser Zeit erfolgt und wie die Gräfin ihm hier zuerst erschienen, und er sah sie vor sich stehen in ihrer wunderbaren Schönheit und hörte die himmlischen Töne ihrer Stimme locken; es ergriff ihn ein heftiges Sehnen und Verlangen nach ihr, er fühlte, daß es unmöglich sey, ihr zu entsagen und obwohl er, seines armen Weibes sich erinnernd, alle Kräfte seiner Seele aufbot, dem Gedanken an sie zu entrinnen, vermochte er's dennoch nicht; ihr Bild blieb zulächelnd immer vor ihm stehen und ließ nicht ab von ihm. In dieser Angst und innerlichem Kampf wandte er sich wiederum nach dem Gemälde, als wollte er dort Hülfe suchen; siehe! da däucht' ihm, die mittlere weibliche Gestalt verwandle sich in Kunigunden und wie er erschrocken hinstarrte, bewegte sie sich und streckte die gerungenen Hände nach ihm aus. Zu gleicher Zeit erschallte durch die Kapelle ein lautes, schreckliches Angstgeschrei und wie er sich umschaute, war niemand zu sehen und alles wieder still. Da faßte ihn Grausen und Entsetzen, vor seinen Augen ward es dunkel, er wollte fliehen und konnte nicht, in diesem Augenblicke prasselte ein fürchterlicher Donnerschlag herab, und ohne Bewußtseyn stürzte er zu Boden.

Da er wieder zu sich kam, fand er sich in einer Zelle, auf einem Bette liegend, zu dessen Füßen ein alter Mönch ihm zugewendet saß. Der Mönch faßte seine Hand und sprach: »bleibt nur ganz still und ruhig. Ihr seyd in guten Händen. Unser hochwürdiger Abt Gervasius wird sich freuen, Euch wieder unter den Lebenden zu wissen. Der Tod stand nah an Eurem Haupte, Gottlob, daß er noch dies Mal vorübergegangen!«

Es dauerte lange, ehe sich der Maler erholte und besinnen konnte, was ihm begegnet sey. Mit einem Male überfiel ihn die Erinnerung des schrecklichen Augenblicks in der Kapelle und er sprang mit einem lauten Schrei von seinem Lager auf, und da der erschrockene Mönch ihn wieder mit sanftem Zureden dahin zurückführen wollte, sprach er:

»Laßt mich fort um Gottes Willen und meiner Seele Heil! Ich bin gesund. Es geht etwas Entsetzliches vor. Ich darf nicht länger weilen,– riß sich damit los, rennte aus dem Gemach und lief in einem fort, bis er zu seiner Wohnung gelangte. Dies geschah in der Abenddämmerung.

Da er die Thür öffnete, sah er sein Töchterlein auf einem Fußschemel sitzen, der Knabe lag schlummernd auf ihrem Schoß und mit leiser kindischer Stimme sang sie aus dem Liede, welches er einst von Kunigunden gehört, stets wiederholend die Worte:

Der Nachtwind kommt, die Knosp' anweht;
Sie stirbt zur selben Stunde.

»Wo ist die Mutter?« rief der Maler. – »Sie schläft,« entgegnete die Kleine nach der Kammer zeigend. »Es ist gut, daß du kommst, Vater; mir wäre bald Angst geworden hier allein.«

Halb beruhigt setzte er sich, um Odem zu schöpfen. Da erzählte nun das Töchterlein mit kindischer Geschwätzigkeit: wie Mutter heut' recht wunderlich gewesen sey und sie bald zu sich gerufen, heftig an die Brust gedrückt und sie geliebkos't, bald sie wieder heftig von sich gestoßen habe. Wie sie oftmals zum Fenster hinausgeschaut und dann gesagt: »wenn er jetzt käme, wär's noch Zeit.« – Der Maler horchte erschrocken auf.

»Mich hungerte sehr,« fuhr die Kleine fort: »da gab mir die Mutter ein Stücklein Brod und einen Apfel und sprach: warte nur, der Vater bringt dir etwas mit. Hernach kam der grüne Mann herein und wollte mit ihr sprechen; Mutter aber war sehr böse auf ihn, und da er nicht gehen wollte, lief sie in die Kammer und verriegelte sie. Der grüne Mann stand lange vor der Thür; endlich ging er fort.«

Den Maler überkam eine große Angst, da er dieß hörte; er wollte aufstehn, sank aber erschöpft in den Sessel zurück. Während dem erzählte das Kind weiter: Die Mutter sey nach langer, langer Zeit wieder herausgetreten aus der Kammer, habe aber so seltsam ausgesehen, daß sie sich vor ihr gefürchtet. Darauf sey sie vor dem Bilde der Mutter Gottes niedergekniet und habe sie zu sich gewinkt und ihr befohlen zu beten, da sie dann alle Gebetlein hergesagt habe, die ihr die Mutter gelehrt; und die Mutter habe auch mit lauter Stimme gebetet. Dann sey sie aufgestanden und habe den spielenden Knaben von der Erde aufgenommen, ihn geküßt, und ihn ihr auf den Schooß gegeben und gesagt: sie solle ihm nur etwas vorsingen; der Vater werde bald kommen; sie wolle gehn und schlafen. Und so sey sie nach der Kammer gegangen und schlafe.

Der Maler riß sich mit Gewalt empor und schwankte nach der Kammer. Kunigunde lag ausgestreckt auf ihrem Bette. Er trat hinzu und rufte sie leise bei ihrem Namen und wiederholte ihn mehrere Mal.

Sie lag aber stille und regte sich nicht. Da streckte er seine Hand aus, ihre Hand zu fassen, doch sie war starr und kalt wie eines Todten. Laut auf schrie der Unglückliche, taumelte zurück, sein Haar sträubte sich empor; ein ungeheuerer Schmerz zuckte durch sein Gebein, daß ihm die Brust zerspringen wollte und seine Augen starrend aus ihren Höhlen drangen. So stand er, wie einer, den Gottes Hand getroffen.

Endlich aber erbarmte sich die mitleidige Hoffnung seiner, raunte ihm ein mitleidiges Wörtlein zu und trieb ihn hinaus aus dem Gemache zur Nachbarin, die sonst oftmals Kunigunden besucht. Als nun diese, die mit ihrer Tochter spinnend saß, ihn bleichen und entstellten Angesichts hereintreten, sprachlos nach der brennenden Lampe zeigen und ihr winken sah, erschrak sie heftig, ergriff die Lampe und folgte ihm mit ihrer Tochter auf der Stelle. Und da sie mit einander vor Kunigundens Bette traten, brachen die Weiber in lautes Wehklagen aus; er aber lehnte sich mit gefaltenen Händen, erschöpft an die Wand, seine Kniee schlotterten, seine Zähne schlugen in Fieberfrost an einander und während die Nachbarinnen, Hülfe suchend, geschäftig waren, nach dem Arzte schickten und die Wohnung sich allgemach mit mehreren Leuten füllte, starrte er unverwandten Blickes in das Antlitz der Entschlafenen, auf welchem die flüchtigen Strahlen ab und zu wandelnder Lichter hin und wieder liefen und gleichsam mit dem Tode spielten. –

»Ihre Seele steht vor Gott; der wird ihr gnädig seyn,« sprach Meister Ludwig, der Arzt: – »für mich ist hier nichts mehr zu thun. Dort aber seh' ich einen, dem meine Hülfe Noth thut.– Damit wandte er sich zu dem Maler, faßte seine Hand und führte ihn aus der Kammer; und da er ein alter Freund der Familie war, redete er ihm zu, sich mit seinen Kindern zu seiner Frauen Schwester zu begeben, wohl voraussehend, daß er ihrer Pflege bedürftig seyn werde, übertrug darauf der Nachbarin die Sorge für das Haus und verließ mit den Verwaiseten, den Knaben auf dem Arm, die Jammerstätte. Der Maler aber ließ, wie ein Kind, alles mit sich geschehen, und folgte ihm schweigend nach; doch waren sie kaum dort angelangt, als ihn heftige Fieberglut ergriff und er zu Bette gebracht werden mußte. – Drei Wochen lang hielt ihn eine schwere Krankheit auf dem Siechenlager; sein Bewußtseyn hatte ihn verlassen und der Arzt ihn aufgegeben.

*

Das Bächlein läuft bergab geschwind,
kann nicht bei dir verbleiben.
Die Wolken gehen mit dem Wind,
wohin der Wind will treiben.

Unbeständiger aber und flüchtiger noch, denn Wasser, Wind und Wolken ist des Menschen Herz.

Gegen Aller Erwarten war Meister Dietrich wiederum genesen, und obwohl die Besinnung bei ihrer Rückkehr ihm den herbsten Schmerz mitgebracht hatte und kein Tag vergangen war ohne heiße Thränen um Kunigunden, so ließ sich doch der Zeit gewöhnliches Bemühen gar bald spüren; das Leben machte wieder sein Recht geltend und malte das halb erloschene Bild der Gräfin nach und nach wieder mit den frischesten Farben aus.

Er hatte es in den ersten Tagen seiner Genesung hundertmal verschworen, sie jemals wieder zu sehen, allein jetzt fiel ihm zur rechten Zeit bei, daß es sich gezieme, ihr für ihre Theilnahme zu danken, da sie sich zum öftern nach seinem Befinden erkundigen lassen; auch sey es, meinte er, seine Schuldigkeit, wenigstens ihr Gemälde zu vollenden, dann aber wolle er ihr auf immer entsagen und Kunigunden einzig und allein in seinem Herzen bewahren, das keine anderen Götter haben solle neben ihr.

Allein da ihm die Gräfin bei seinem Besuch mit so liebreichem Bedauern und mit einer Freundlichkeit entgegen kam, die, gleichsam wider ihren Willen aus den feuchten Augen hervorbrechend, noch etwas mehreres zu verrathen schien, auch im Gespräch ein Wörtlein davon fallen ließ, daß die Geheimschreiberstelle bei ihrem Gemal noch immer unbesetzt sey, so war ihm nicht anders, als ob nach langem Winter ein warmer Frühling in seinem Herzen mit Gewalt aufgehen wolle; neue Blüthen drangen hervor, die welken Blätter – fielen ab; seine Gedanken waren mit einem Mal gewendet und ehe noch drei Tage vergingen, zog er als Hausgenosse in's Haus des Grafen ein.

Die Geschäfte seines neuen Herrn ließen ihm Zeit genug, um auch nach Vollendung des Bildnisses der Gräfin mancherlei Arbeiten zu vollführen, die sie ihm auftrug und er gar freudig übernahm, da sie ihm ihre Nähe vergönnten. Sie bezeigte sich ihm auch mit jedem Tage freundlicher und vertraulicher, so daß ihr sogar manche Klage entfiel, über ihres Gemals rauhes und kaltes Wesen. Doch, obgleich dadurch des Malers Hoffnungen immer kühner wurden, wußte sie ihn dennoch allzeit in ehrerbietiger Entfernung zu halten und also bald anlockend, bald zurückweisend seine Liebe dergestalt zu entzünden, daß alle Kräfte seines Willens und Gemüthes ihr unterthan und leibeigen wurden.

Eines Tages, als der Maler in dem Gemach seines Herrn beschäftigt war, der ihn eben auf einen Augenblick allein gelassen hatte, trat die Gräfin hastig zu ihm herein, zog aus einem Wandschrank ein Papier hervor und begehrte von ihm, daß er eine Abschrift davon nehmen und ihr zustellen solle. Und als er sie darauf verwundert und erschrocken ansah – denn das Papier betraf eine wichtige und geheime Verhandlung mit einem ausländischen Hofe – sprach sie zürnend: »besinnt Euch nicht lange, sondern thut, was ich befehle!« Doch gleich mit milderm Tone: »Ihr habt mir oft gesagt, daß Ihr mich liebtet,– setzte sie lächelnd hinzu – »jetzt steht es bei Euch, mir den Beweis zu geben. Weiß ich doch einen Lohn dafür, der Euch lieber ist als Gold!« – Indem hörten sie den Grafen, der zurückkehrte; schnell schob sie ihm das Papier in den Busen und eilte davon. – Meister Dietrich nutzte seine Zeit und in wenig Stunden hielt sie die Abschrift in Händen.

Kein wuchernder Unkraut als das Unrecht! – Hat nur erst ein Samenkörnlein Wurzel geschlagen, ist auch bald der ganze Acker überzogen und die Sünde ist seine Blüthe, das Verbrechen seine Frucht.

Es wurde der Gräfin nicht schwer, nachdem der erste Schritt geschehen, den Maler zu gleichem Dienste ferner zu vermögen; allein der süße Lohn, den er begehrte und erwartete, ward ihm zugleich noch immer mehr hinausgerückt. Oft wenn er von Liebe und Verlangen glühend und zitternd vor ihr stand und seine in Thränen schwimmenden Augen zu ihr fleheten, brach sie in bittere Klagen aus über ihr Geschick, das sie mit ehernen Banden der Pflicht an die Seite eines Mannes gefesselt, der, von ihr an Alter und Gemüthsart so weit verschieden, das Leben zu einer Last für sie mache, von welcher nur der Tod auf eine oder die andere Art sie erlösen könne, und dann zeigte sie ihm, mehr mit halben Worten und Blicken, als mit deutlichen Reden in der Ferne die Aussicht auf den Besitz ihrer Hand, als den Preis einer Liebe und Treue.

So kehrte sich nun des Malers ganzes Hoffen und Sinnen gegen die Zukunft, und seine Einbildung war geschäftig, sie nach Gefallen aufs Beste auszuschmücken; doch aber vermochte sie nicht eine seltsame Unruhe und Bangigkeit zu beschwichtigen, die, überall ihm zur Seite stehend, seine Brust zusammendrückten, und wenn er dann vergleichend wohl einmal der Zeit gedachte, wo ihn die freundliche Gegenwart umfing wie eine Geliebte, sein Häuslein alle seine Wünsche in sich schloß und er einfältigen und frommen Herzens seiner Kunst sich ergab und Weib und Kinder liebte ohne anderes Begehr, als daß morgen immer seyn möchte wie heute, da kam ihm sein jetziges Treiben und Wesen fremd und wunderlich vor, gleich als hätte er sich selbst verloren, und konnte sich oft der bittern Thränen nicht erwehren. – Ungern nahm er jetzt seinen Weg durch den Bildersaal, denn es war, als ob die Bilder ihm eine Schuld vorwerfen wollten und ihre Farben wie stechende Flammen auf ihn eindrängen; und vor dem Werke des göttlichen Raphaels, das ihn einst so erfreut, eilte er allzeit mit niedergeschlagenen Augen vorüber.

In dieser Zeit war es, daß ihm ein gewisses Lächeln an der Gräfin Zofe befremdlich wurde, so wie die oft zornigen, oft lauernden Blicke des Dieners, in dessen Begleitung er die Gräfin zuerst gesehen, ihm manchmal zu denken gaben.

*

Der Sommer war vergangen; die Blätter fingen an sich bunt zu färben; da begab es sich, daß Meister Dietrich eines Abends im Garten hinter dem Hause seinen Gedanken nachhängend, sich so lange verweilte, bis es schon anfing dunkel zu werden, und da er eben aus der Laube, worin er gesessen, heraustreten wollte, um sich auf den Rückweg zu begeben, hörte er schnelle Tritte durch das dürre Laub herbeirauschen; nicht weit von ihm hielten sie an, und er hörte zwei Stimmen sich leise, doch schnell und eifrig mit einander unterreden. Er konnte aber weder von dem Gespräch etwas verstehen, noch in dem dunklen Bogengange die Gestalt der Sprechenden unterscheiden, trat daher hastig hervor, sich näher zu unterrichten; doch in dem Augenblick war alles verstummt, nirgend ein menschlich Wesen zu sehen, und so emsig er auch die umliegenden Gebüsche durchsuchte, so war doch seine Mühe vergeblich; es regte sich nichts als der Abendwind, der die dürren Blätter von den Bäumen warf; da ward dem Maler unheimlich zu Muthe und er eilte nach dem Hause.

Als er in sein Gemach trat, fand er einen Zettel auf dem Tische liegen, darauf stand:

»Der Grünrock erwartet Euch morgen früh auf dem Platze vor der Benediktiner-Abtei.«

Niemand aber von der Dienerschaft wollte wissen, wie der Zettel dahin gekommen sey.

Seit Kunigundens Tode hatte Meister Dietrich nichts von dem Grünrock vernommen; jetzt gedachte er all' seines seltsamen Thuns und Treibens und seiner wunderlichen Worte zu jener Zeit; er trug großes Verlangen nach einer Erklärung und beschloß sie ihm morgen ernstlich abzufordern.

Die Nacht verging ihm in großer Unruhe. Aengstliche Traumbilder erschienen vor seiner Seele und mehrmals fuhr er erschrocken aus dem Schlafe in die Höhe, da ihm dann immer däuchte, es habe ihn jemand laut bei seinem Namen gerufen. Gegen Morgen aber träumte ihm, er sehe Kunigunden vor seinem Bette stehen; sie sah sehr blaß und traurig aus, und da er halb erschrocken, halb erfreut über ihren Anblick, aufspringen wollte, fühlte er sich an allen Gliedern gelähmt und vermochte sich nicht zu rühren. Darauf fing Kunigunde an die Lippen zu bewegen und er sah, daß sie mit ihm sprach, allein er konnte keinen Laut vernehmen; sie aber gebehrdete sich immer ängstlicher und heftiger und zeigte mehrmals mit der Hand über sein Haupt hin, und da er die Augen in die Höhe schlug, gewahrte er eine riesenhafte Faust, die hielt ein langes, breites Schwert, mit der Spitze nach ihm gekehrt, und dieses Schwert war ganz in Blut getaucht, welches noch rauchte. Ein ungeheures Entsetzen überfiel ihn, er wollte fliehen und konnte sich nicht rühren, ja er vermochte nicht ein Mal seine Augen von dem Schwerte abzuwenden, an dessen Spitze sich ein Blutstropfe sammelte, der immer größer und größer ward und auf sein Gesicht herabfallen wallte. Und so lag er und sein Herz arbeitete sich ab in immer zunehmender gräßlicher Angst.

Indem aber hörte er ein leises Wehklagen und Wimmern, wie aus der Ferne her, und da es ihm mit großer Anstrengung gelang seine Augen nach der Seite zu wenden, sah er Kunigunden in weiter Entfernung vor sich auf den Knieen liegend und die Hände nach ihm ausstreckend. Sie schien von den Wellen einer großen dunklen Wasserfläche getragen zu werden, die sie immer weiter und weiter von ihm nach einem gegenüberliegenden Ufer führten, welches im Glanz der Morgensonne prangte. Er wollte sie rufen und anflehen, ihn in seiner schrecklichen Noth nicht zu verlassen; – da fiel der große Blutstropfe vom Schwerte glühend heiß auf seine Stirn herab und darüber erwachte er.

Sein Herz pochte laut, auf seinem Gesichte stand kalter Schweiß und seine Zunge klebte am Gaumen. Das Morgenroth schaute durch die Fenster, die Glocke schlug sechs. Er sprang auf, kleidete sich an und eilte aus dem Gemach, um Menschen aufzusuchen, denn ihm grauete allein. Auf der Treppe begegnete ihm die Zofe der Gräfin. »Kommt nur gleich mit mir,« rief sie ihm entgegen: »ich sollte Euch wecken; die Gräfin wartet Eurer.« – Seine Hand ergreifend zog sie ihn schnell die Treppe hinab, öffnete das Zimmer der Gräfin und schob ihn hinein.

Weinend, mit aufgelös'tem Haar, trat ihm die Gräfin entgegen und sprach: »Ihr seyd verloren und ich mit Euch, wenn Ihr nicht den Muth habt uns zu retten! Der Graf weiß, daß Ihr von jenen Papieren heimliche Abschrift genommen habt; alle Umstände, sein ganzes Betragen lassen mich nicht zweifeln, daß er auch weiß, auf wessen Antrieb. Was wird Euer, was wird mein Loos seyn?«

Der Maler stand bleich und stumm und starrte sie an. Sie ergriff seine Hand. »Schleunige Flucht,« sprach sie: »könnte vielleicht uns retten, vielleicht! Aber ich fliehe nicht. Lieber schnellen Tod von eigner Hand, als langsames Verzehren in Schand' und Armuth! Es bleibt uns noch ein anderes Mittel. Was denkt Ihr zu thun?«

»Bei Euch bleiben,– rief der Maler, ihre Hand an seine Brust drückend – »und mit Euch sterben!«

Die Gräfin lächelte. »Noch sind wir nicht so weit,« sprach sie: »noch bleibt uns eine Wahl, wenn Ihr ein Mann seyd. Er oder wir. Versteht Ihr mich?«

»Um Gottes willen rief der Maler voll Entsetzen: »wer gab Euch den Gedanken ein! Ihr wollt – Ihr verlangt von mir? – Nimmermehr!«

»Nun dann, so eile, flieh, laß mich hülflos und rette dich, Feiger! Auf mich allein soll die Rache des Grafen fallen.«

Der Maler lief, die Hände ringend, im Gemach hin und wieder; da fiel ihm, wie ein Blitz, der Gedanke an den Grünrock in die Seele, es war ihm, er wußte selber nicht warum, als möchte jener Hülfe für ihn wissen und er wandte sich zur Gräfin und bat sie inständigst, in seiner Abwesenheit nichts zu unternehmen; er werde bald wieder zurückkehren. Damit verließ er sie schnell und eilte nach dem bestimmten Ort, wo er den Grünrock finden sollte.

Als er odemlos dort anlangte, trat dieser eben in heftiger Bewegung aus dem Klosterhofe. Er sah verstört aus und in seinem ganzen Wesen war eine besondere Unruhe zu spüren. Der Maler gedachte bei seinem Anblick an Kunigundens Tod und es überlief ihn ein kalter Schauder; die gegenwärtige Noth aber unterdrückte schnell jeden Gedanken an das Vergangene. Er erzählte jenem mit flüchtigen Worten alles, wie es sich begeben, und bat ihn um seinen Rath und Beistand.

Der Grünrock lächelte ein wenig. »Ihr traut mir viel zu,« sprach er: »wenn Ihr vermeint, daß Euch mein Rath zwischen dem Galgen zu Eurer Rechten und dem Verbrechen zu Eurer Linken fein säuberlich hindurchführen könne und werde. Wer in solchen Dingen Rath verlangt, dem ist nicht zu rathen. Ein Mann bedarf fremder Hülfe nicht: Thut was Ihr wollt; nur thut es ganz und schnell, so habt Ihr wohl gethan. Das ist mein Rath.« – »Also auch Ihr verlangt, Ihr wollt von mir« – rief der Maler. – »Ich will, ich verlange nichts von Euch,« unterbrach ihn jener: »Wenn ihr den Wink des Schicksals nicht selbst versteht, ich habe keinen Beruf, ihn Euch zu dolmetschen.«

Mit diesen Worten drehete er sich um und winkte einem Diener, der in der Ferne mit zwei Pferden hielt und jetzt eilig herbeisprengte.

»Wir haben beide keine Zeit zu verlieren,« fuhr er darauf fort: »Von dem, was ich euch sonst noch zu sagen hätte, vielleicht ein andermal. Gehabt Euch wohl!«

Er setzte den Fuß in den Steigbügel, doch, als ob er plötzlich sich besänne, kehrte er sich noch einmal gegen Meister Dietrichen und sprach: »ich trage noch etwas bei mir, was Euch gehört. Wir sehen uns sobald nicht wieder; drum nehmet es hin. Die Wirkung ist schnell und sicher; schnell und sicher, sag' ich Euch!«

Nachdem er dies gesagt, schwang er sich aufs Pferd, sprengte davon und ließ Meister Dietrichen ein Fläschlein in der Hand zurück, das dieser alsobald für dasselbe erkannte, welches der Grünrock einst auf dem Jahrmarkt im Scherz für ihn gekauft und ihm aufzuheben versprochen hatte.

Bald jenem nachschauend, bald das Fläschlein anstarrend, stand er lange gedankenlos, und konnte sich selbst nicht wiederfinden; wie ein fernes Glockengeläut' aber, durch Nacht und Nebel, summten ihm die letzten Worte des Grünrocks leise vor den Ohren: die Wirkung ist schnell und sicher, schnell und sicher, sag' ich Euch! Und so gelangte er, ohne daß er selber wußte, wie, vor des Grafen Haus zurück.

Hier fand er an der Thür die Dienerin der Gräfin seiner wartend. Sie zog ihn bei der Hand in's Haus hinein und erzählte ihm da, unter Thränen und Wehklagen, daß der Graf im höchsten Zorn zu ihrer Frau gekommen sey und sie hart angefahren habe, doch alles in wälscher Sprache, so daß sie nichts davon verstanden, und daß die Gräfin, da seine Gebehrden immer drohender und seine Blicke immer wüthender geworden, endlich in Ohnmacht gesunken sey, und da sie ihrer Gebieterin beispringen wollen, habe er ihr befohlen, sich zu entfernen, darauf selbst das Gemach verlassen, es fest verschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt.

»Auch nach Euch hat er mehrmals gefragt,« fügte sie hinzu, »und mit Mienen und Gebehrden, die nichts Gutes für Euch verkünden. Dreht daher nur auf der Stelle wieder um und rettet Euch, weil es noch Zeit ist. Ich aber will mich in den Garten unter die Fenster der Gräfin schleichen, zu sehn, ob ich ihr dienen kann.« – Verzweiflung ergriff des Malers Herz. Die Gräfin wollt' er, mußt' er retten oder sterben, und ohne recht zu wissen, was er begann, eilt' er die Treppe hinan, den Weg nach ihrem Zimmer einschlagend. Siehe, da fiel ihm, als er an der Küche vorüber lief, das wohlbekannte silberne Gefäß in die Augen, welches mit dem Frühstück des Grafen, bereit ihm aufgetragen zu werden, auf dem Heerde stand. Bei dem Anblick stutzte er unwillkührlich und blieb stehen. Niemand war in der Küche zu schauen. Seine Blicke trafen auf das Fläschlein, das er noch in der Hand hielt, und es läutete wieder vor seinen Ohren: »Die Wirkung ist schnell und sicher, schnell und sicher!« und immer stärker und stärker. Da trat er rasch, doch zitternd wie im Fieberfrost, in die Küche, öffnete das Fläschlein und goß es aus in das Gefäß. Nicht anders aber, als zischte die Hölle aus dem schäumenden Trank herauf, wandte er sich voll Entsetzen, da es geschehen war, und stürzte hinaus, die Treppe hinab, aus dem Hause und so immer weiter lief er, allen Menschen ausweichend, denn es war ihm, als läs' er in allen Blicken seine That, durch abgelegene Straßen und versteckte Gäßlein, bis er vor's Thor hinausgelangte ins Freie. Dort strich er, gebahnte Wege meidend, durch Felder und Wälder, über Berg und Thal, im Kreise rund um die Stadt umher, wie ein Gebannter. Wenn er seine Augen hinwendete nach ihren schwarzen Mauern, überfiel ihn Furcht und Schrecken und trieb ihn zur Flucht und doch wieder, wenn er die hohen Thürme nicht mehr sah, faßte ihn unsägliche Angst und jagte ihn rückwärts nach den nahen Hügeln, daß er ihrer wiederum ansichtig würde. Der Regen, der unablässig vom Himmel strömte, durchnäßte ihn. Keine Labung kam über seine lechzende Zunge. So trieb er es, bis der Abend graute. Da endlich konnte er seine Qual nicht länger tragen, er wollte sie enden auf eine oder die andere Art, und so kehrte er entschlossenen Schrittes nach der Stadt zurück.

Je näher er dem Hause des Grafen kam, desto mehr bedünkte ihn alles fast wie ein schwerer Traum, der ihn geängstigt; ja wenn auch zuweilen mit Gewalt das Gefühl der Wirklichkeit verletzend hervorbrach, so regte sich doch immer lebendiger die Hoffnung, er werde mit der Angst davon kommen, der Inhalt des Fläschleins sey vielleicht ganz unschädlich gewesen, der Zorn des Grafen könne sich besänftigen lassen und alles sich noch zu einem leidlichen Ausgang neigen.

Doch als er in das Haus trat, war da große Unruhe und Hin- und Wiederlaufen, so daß er nicht zweifeln konnte, es sey etwas Wichtiges und Außerordentliches geschehen, und da er mit klopfendem Herzen, ohne den Muth zu fragen, die Treppe langsam hinanstieg, rief ihn einer der Diener an, wo er so lange verweile; die Gräfin verlange sehr nach ihm und lasse ihn überall aufsuchen. Indem sprang die Zofe der Gräfin herbei und rief: »da ist er ja!« ergriff seine Hand und zog ihn hastig mit sich fort.

»Wie wunderbar hat sich doch alles gewendet!« sprach sie im Gehen zu ihm: »Ist es nicht, als stündet Ihr unter des Himmels besonderer Obhut, da er den alten Grafen just so zur rechten Zeit zu sich genommen?«

Der Maler blieb stehen. »Wie sagt Ihr?« stammelte er: »der Graf –?«

»Wie stellt Ihr Euch!« rief die Dirne aus: »Wißt Ihr denn wirklich nicht, was in Eurer Abwesenheit hier vorgegangen ist? Wißt Ihr es wirklich noch nicht, daß der Graf todt ist?«

Der Maler erbleichte und lehnte sich seitwärts an die Wand, denn seine Kniee wankten unter ihm.

»Was starrt Ihr mich so an?« fuhr jene fort: »Er ist todt, sag' ich Euch; an einem Schlagflusse ist er gestorben, und Ihr habt nichts mehr zu fürchten. Nach Adelberts Aussage überfiel ihn heut' Mittag plötzlich eine unwiderstehliche Neigung zum Schlafe; er legte sich auf das Ruhebett und stand nicht wieder auf. Doch kommt nur, kommt! die Gräfin wird euch alles erzählen.«

Er trat allein in der Gräfin Gemach. Sie sprang auf und kam ihm entgegen; er eilte auf sie zu; doch, als ob ein Gespenst plötzlich zwischen beide träte, blieben sie einige Schritte von einander stehen, sahen sich mit scheuen Blicken an, beide vor einander erschreckend, und die Zunge versagte ihnen den Dienst. Endlich rangen sich aus des Malers Brust dumpf und leise die Worte: »die Wirkung ist schnell und sicher, schnell und sicher, sag' ich Euch!« Da kehrte sie sich ab von ihm, verhüllte ihr Gesicht und sprach mit Heftigkeit: »geht, geht, unser Beisammenseyn könnte Verdacht erwecken. Ich bitte Euch, geht!« – Der Maler streckte seine Arme nach ihr aus, sie aber winkte ihm mit der Hand, sich zu entfernen.. Er sah sie lange, lange an, seine Arme sanken – Thränen stürzten aus seinen Augen und langsam wankte er aus dem Zimmer.

*

Der schnelle Tod des Grafen machte viel Aufsehen bei Hofe und in der Stadt; da der Graf aber hoch in Jahren stand, ihn auch schon früher einmal ein Anfall vom Schlagfluß betroffen hatte, so regte sich nirgend der geringste Argwohn, daß es dabei nicht ganz nach dem natürlichen Lauf der Dinge zugegangen seyn könne. Das Begräbniß ward mit großer Pracht vollzogen und im Hause kehrte scheinbar alles zur alten Ordnung zurück.

Obwohl nun solchergestalt die Furcht allmälig aus des Malers Herzen wich, so wollte doch keine Ruhe darin wieder einziehen. Hin und wieder, auf und ab trieb er sich ohne Rast umher und wäre sich selber gern entflohen. Der Gräfin Gegenwart allein vermochte den bösen Geist, der ihn verfolgte, auf Augenblicke zu beschwören, und sie war es lediglich, die ihn aufrecht erhielt, daß er nicht unterging in sich selbst. Seine Leidenschaft war seit dem Tode des Grafen in immer heftigerer Glut entbrannt; in dem Bewußtseyn der Schuld schien sie, wie in einem befreundeten Elemente, neue Kraft zu gewinnen, ja selbst eine gewisse Scheu vor der Gräfin, welcher er seit jener Zeit sich nicht ganz erwehren konnte, gab ihr durch einen geheimen Reiz frische Nahrung.

Nun konnte es nicht fehlen, daß mancher nach der schönen und reichen Wittwe großes Verlangen trug und ihr Haus gar bald einem Bienenstocke zu vergleichen war, zu dem die Freier mit dem Honig süßer Reden und Bewerbungen von allen Seiten emsig herbeiflogen; und da die Gräfin an dem Treiben und Gedränge allzugroße Lust zu finden schien, vermochte der Maler seinen Unmuth darüber nicht zu verbergen, sondern gab ihn durch leise Klagen, ja wohl auch durch mürrisches Bezeigen und laute Vorwürfe zu erkennen, worauf sie ihm Anfangs mit Lachen, dann mit freundlichem Vertrösten antwortete, endlich aber mit Ernst und Stolz ihn in seine Grenzen zurückwies, ja oftmals verständlich darauf hindeutete, daß sie die Herrin, er der Diener sey.

Der Glaube an der Gräfin Gegenliebe, die Hoffnung ihres Besitzes, hatten dem Maler allein den Muth zum Daseyn erhalten; so schlug ihn nun ihr jetziges Betragen gänzlich zu Boden. Wie eine öde Wüste voll Sonnenbrand, dehnte sich nun weitgestreckt das Leben vor ihm aus und nirgend bot ein Baum ihm Labung oder Schatten; hinter ihm aber, weit hinter ihm lag ein freundliches Land mit grünenden Gebüschen und frischen Quellen, und wie der Wind von dort herüberstrich, bracht' er ihm fröhliche Weisen aus seiner Jugend mit. Doch überall, wenn er sich rückwärts wandte voll schmerzlicher Sehnsucht, trat ihm der Racheengel mit flammendem Schwerte entgegen und trieb ihn drohend wieder hinaus in den glühenden Sand und immer weiter einem ungeheuren Abgrunde zu, der in der Ferne dampfend und tosend sich für ihn öffnete.

Zurückgezogen in sein stilles Gemach, verbrachte er jetzo, meist einsam, seine Zeit, und da saß er oft halbe Tage in dumpfem Sinnen, die Augen starr auf einen Fleck gerichtet. Es war aber nur ein Gedanke in seinem Geiste und mit wachsender Qual kehrte derselbe immer zu ihm zurück. Wie ein thöriger Kaufmann, der in Hoffnung unermeßlichen Gewinnes all' sein Hab und Gut an einen schlechten Handel gesetzt, hatte er seines Lebens Glück und seiner Seele Heil der Gräfin dargebracht und nichts dafür gewonnen als einen Augenblick täuschender Hoffnung und eine ganze Zukunft voll Elend und Reue.

In dieser Zeit wurde ihm gemeldet, daß sein Söhnlein sehr krank sey und seiner Frauen Schwester bat ihn, sie zu besuchen. Doch mit düsterm Blick entgegnete er: »wohl ihm, wenn ihn ein früher Tod vom Leben rettet! Ich mag die armen Kinder nicht sehen, die ich um ihre Mutter gebracht habe.«

Zuweilen aber, wie einen durch dunkle Nacht Irrenden das Verlangen nach der Sonne Strahl, ergriff ihn die Sehnsucht nach dem Anblick der Gräfin; die Hoffnung regte sich wieder in ihm, seine Einsamkeit wurde ihm zur Marter und er ging hin, sie aufzusuchen. Allein obwohl sie sich ihm stets freundlich erzeigte, wenn er seine Klagen schweigen ließ: diese Freundlichkeit zerriß ihm dennoch das Herz, und da er überdieß sie selten allein, sondern meist von fröhlicher Gesellschaft umgeben, traf, so kehrte er allezeit mit getäuschter Hoffnung und desto bitterer Qual in seine Abgeschiedenheit zurück.

Sein Schicksal trieb ihn immer näher nach dem Abgrund und die Zeit war da, wo es mit ihm enden sollte.

An einem Abend, da er lange vor dem Gemach der Gräfin gestanden, wagte er es, kein Geräusch darin vernehmend, die Thür leise aufzumachen und trat hinein. Die Gräfin hatte ein Fenster geöffnet und stand davor. Bei seinem Eintritt kehrte sie sich rasch um, und da sie ihn erblickte, sprach sie unwillig: »was wollt Ihr, was begehrt Ihr hier zu dieser Stunde?« Er vermochte nicht zu antworten, sondern stürzte zu ihren Füßen, in Thränen ausbrechend, und umschlang ihre Kniee. Entrüstet wollte sie sich von ihm losmachen, er aber hielt sie nur fester und stammelte: »Gebt mir den Tod! Ich kann das Leben ohne Euch nicht länger tragen!« – »Ich verstehe Euch nicht,« entgegnete sie kalt. »Was verlangt Ihr denn eigentlich von mir?« – Da entstrickten sich seine Arme, er schlug die Hände vor das Gesicht und rief: »o Gott, das könnt Ihr fragen? Barmherzigkeit verlange ich von Euch, Barmherzigkeit, damit ich nicht verzweifle! Den Lohn verlange ich von Euch, den Ihr mir verheißen, um den ich mir den Himmel verscherzt, die Hölle erworben habe!«

Sie reichte ihm die Hand. »Steht auf!« sprach sie: »Ihr seyd krank. Ich will Euch wohl, und habe lange daran gedacht, wie ich Eure Liebe und Treue gegen mich belohnen möchte. So wie Ihr seyd, dürft Ihr nicht länger bleiben, das fühlt Ihr selbst; und so möcht' ich Euch rathen, eine vorteilhafte Stelle anzunehmen, die ich Euch bei unserm Gesandten am kaiserlichen Hofe verschafft habe.«

Der Maler sprang auf und starrte sie lange an. – »Das also Eure Meinung? Entfernen wollt Ihr mich von Euch?«

»Nothwendigkeit!«

»Das also ist mein Lohn, daß ich ein ganzes Leben voll Unschuld, Glück und Frieden Euch geopfert? das ist der Preis, um den ich zum Betrüger und Mörder ward? um den ich mein armes Weib in Gram und Tod gestoßen!«

»Ihr vergeßt Euch, Meister Dietrich,« unterbrach ihn die Gräfin mit stolzem Tone. »Was Ihr gethan, thatet Ihr um Euretwillen. Mir brachte des Grafen längeres Leben höchstens Verbannung in ein Kloster, Euch aber den Galgen. Gute Nacht!«

Er faßte ihre Hand, sie zurückhaltend. »Um Gottes Barmherzigkeit,« rief er wild: »laßt mich nicht also von Euch gehn!« – Sie aber riß sich los, ergriff die Klingel und schellte. »Leuchte dem Meister zu Bett; er ist krank« – sprach sie zu der eintretenden Zofe und eilte in's Nebenzimmer. Starr und betäubt stand der Maler, ihr nachschauend. Die Dirne ergriff ihn mitleidig bei der Hand und sagte leise: »man spielt ein schlechtes Spiel mit Euch; ich weiß es wohl« – und so geleitete sie ihn, der willig folgte, aus dem Gemach.

Doch draußen, wie von einem Traum erwachend, schaute er sich befremdet um, sprach dann leise für sich: »gute Nacht!« und langsam die Treppe hinabsteigend verließ er das Haus.

Er mochte lange durch die Straßen geirrt seyn, als er sich endlich, zur Besinnung kommend, auf einem Kirchhofe fand, wo er vor Ermattung an einem Grabe niedergesunken war. Der Wind heulte durch die Lucken des Kirchthurms; aus einem Fenster der Kirche warf eine Lampe ihren Schein herüber. Der Maler richtete sich auf; es fing ihm alles an bekannt zu werden; seine Augen fielen auf das Kreuz über dem Hügel, wo er saß: er hub an zu lesen; bestürzt sprang er empor und trat näher; heller und heller schien die Lampe in der Kirche aufzuflackern; er las weiter, und mit einem Schrei des Schmerzes stürzte er sich wieder auf den Hügel.

Es war Kunigundens Grab. Seine Arme umfaßten das Grab und seine Hände griffen krampfhaft in die Erde, als wollte er sich hinunter graben zu ihr, die da unten schlief. – So lag er lange, und wie er endlich sein Gesicht erhob, richtete er es empor zum Himmel und wollte beten, aber seine Gedanken verwirrten sich; es war ihm, als ob durch die schwarzen Wolken, die sich über seinem Haupte zusammenballten, seine Worte zum Vater nicht hinauf dringen könnten, und da seine Blicke wieder nach der Erde sanken, sah er einen riesenhaften Schatten an der Mauer weg über die Gräber auf sich zuschreiten, und plötzlich erschallte eine Stimme hinter ihm: »Heda, Gesell, was treibst du da? Laß die Todten schlafen.« – Und da er sich umkehrte, siehe, da erkannte er den Diener der Gräfin. »Unseliges Meisterlein,« – fuhr dieser fort, – »bis hieher hat dich die Liebesqual getrieben? Mach' es wie ich, trink' Wein! der spühlt den Gram aus dem Herzen und alle Sünden aus dem Gewissen weg. Komm mit und laß die Todten ruhen. Ich sage dir, sie schlafen nicht so fest, wenn sie der Rechte ruft.«

Er setzte sich auf das Grab und zog den Maler neben sich.

»Hat man nicht oft gehört, daß Ermordete aus den Gräbern gegangen und ihren Mördern erschienen sind? Ein alter Mönch sagte mir einmal, wenn man um Mitternacht sein Ohr an das Grab eines unnatürlichen Todes Verstorbenen lege, so lasse sich ein seltsames Geräusch und Gepolter darin vernehmen.« –

Auf dem Kirchthurm schlug es eben zwölf. Der Maler horchte auf. »Hört, hört,« rief der andere, – »hier unter uns! habt Ihr nichts gehört?« – Der Maler sprang voll Entsetzen auf. – »Beinah' kommt mir ein Grausen an,« sprach jener weiter: »in diesem Gebeingärtlein, wo es scheint, als wollten die Gräber ihre Keime an's Licht treiben, wie Tulpenzwiebeln im Frühjahr. Wär' nicht des Weines guter Geist in mir, ich fürchtete mich vor dem Bösen und hätte meinen Weg nicht hierdurch genommen.« – Er neigte sich gegen das Ohr des Malers: »ich will's Euch sagen; es liegt mir auch einer hier, dem ich ein wenig früher zur Seligkeit geholfen. Dort drüben, schaut, dort liegt er! – Ich sehe nicht gern hin. Kommt! mir klebt die Zunge an dem Gaumen. Wir wollen noch eins trinken.« – Er faßte des Malers Arm und zog ihn mit sich. An einem Grabmal, welches weiß durch die Nacht schimmerte, blieb er stehen und sprach: »das ist unseres Grafen Ruhestätte. Ich möchte wohl einmal um Mitternacht daran horchen, der liegt auch gewiß nicht still.« – Darauf riß er den Maler weiter fort, der ihm in halber Betäubung folgte. Sie traten in ein Haus, aus dem ihnen der Gesang lustiger Zechbrüder entgegenschallte. Die Stube war voll Lärm und Gedrang. Unter dem Haufen saßen einige Soldaten, die den andern wacker zuzutrinken schienen. Sie sangen:

Frisch auf und stoßt die Becher an!
Der Mann, der trinkt, das ist ein Mann,
ist reich, ein freier Fürst, und sein
ist Welt und Himmel obendrein.

Der Maler setzte sich in einen Winkel; sein Gefährte brachte ihm Wein. »Auf's Wohlseyn aller Todten!« rief er. Ein verzehrender Durst brannte in des Malers Innerem; er trank in langen Zügen. »Auf das Verderben aller buhlerischen Weiber, die schöne Gräfin nicht ausgeschlossen!« rief der andere von neuem und brachte es dem Maler. Der Maler starrte ihn an und wies den Becher zurück.

»Armer Tropf,« sprach jener, »du willst nicht auf's Verderben eines Weibes trinken, die dich verdirbt? die wie ein unnütz gewordenes Werkzeug dich wegwirft oder zerbricht, wenn du nicht mehr für ihre Pläne taugst? – Die einer Harpye gleich an deinem Leben saugt, bis sie es um alle Freuden, um Muth und Kraft gebracht, und Wahnsinn oder Selbstmord es enden? – Was du ihr warst, bin ich ihr auch gewesen, und was du bist, das war ich auch: ein Narr, wie du! Es gab eine Zeit, wo ich um einen freundlichen Blick von ihr meinen Vater umgebracht hätte, wo ihr Händedruck mich zum Verbrechen trieb, wie dich. Verfluchter Narr!« – Er schlug sich mit der Faust vor die Stirn. – »Trink! Der Heuchlerin Verderben! Wir sind beide betrogen und haben, wie armselige Fröhner, um einen schlechten Lohn nur eines Andern Vortheil gedient. Ein Fremdling, der hier im Finstern schleicht, ein Spion des Kaisers, wenn mich nicht alles trügt, für den sie ihr Vaterland und ihren Mann verrathen, der schwelgt, mein Meisterlein, an der reichen Tafel, wo du das Zusehen hast. Geh nur nach Haus; du findest ihn bei ihr.«

Der Maler sprang auf, seine Augen rollten, seine Hände ballten sich. Der Andre lachte: »Hat dich das aufgeweckt? Mich kümmert's nicht mehr. Ich hab' mein vergangenes Leben von mir geworfen, wie ein altes Kleid und mir ein neues zugeschnitten. Der wackre Mansfeld läßt jetzt werben; ich ziehe mit. Es lebe die Freiheit! – Bist du klug, so folge mir. Doch willst du nicht, so gehe hin und räche dich und mich!«

Der Maler ergriff seine Hand, drückte sie heftig und stürzte aus dem Zimmer. Die Soldaten sangen!

Die Welt ist eitel Lumperei,
häng' dich an nichts, so bist du frei.
Gewiß ist jeglichem der Tod,
drum mach' das Leben dir nicht Noth.

Das Haus der Gräfin war offen. Der Maler wankte die Treppe hinan. Alles still. Er schlich mit leisen Tritten nach der Gräfin Schlafgemach. Halblaute Stimmen ließen sich darin vernehmen. Sein Blut kochte. Er legte das Auge an das Schlüsselloch. Auf einem Ruhebette saß die Gräfin, neben ihr ein Mann in reicher Kleidung, den Rücken nach ihm gekehrt, der sie umfaßt hielt. Ihr Arm war um seinen Hals geschlungen. Indem wandte der Fremde sein Gesicht; der Maler taumelte zurück: es war der Grünrock.

Eine Hölle erwachte in seiner Brust. Wahnsinn umnebelte seine Sinne. Mit einem Fußtritt sprengte er die Thür und drang in das Zimmer. Auf dem Tische lag das Schwert seines Feindes; er ergriff es, riß es aus der Scheide und stürzte in blinder Wuth auf jenen los. Laut schreiend warf die Gräfin sich zwischen beide: der Stahl fuhr in ihre Brust; sie sank zu Boden. Aus dem Nebenzimmer sprang die Zofe herbei und erfüllte, bei dem entsetzlichen Anblick, das ganze Haus mit ihrem Geschrei. Der Grünrock war verschwunden. Bewegungslos stand der Maler und starrte die Wunde an, die seine Hand geschlagen und wie das strömende Blut die weißen Lilien des Busens befleckte. – Die Dienerschaft eilte herbei. Ruhig ließ er sich entwaffnen, ruhig nach dem Gefängniß führen, und als er am Morgen zum Verhör gebracht wurde, gestand er willig und ohne sie zu mildern, seine That, ja er gestand auch ohne Befragen, daß er den Tod des Grafen verschuldet.

So konnte nun sein Urtheil nicht lange ausbleiben. Es fiel dahin, daß er aus besonderer Gnade durch das Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden solle, und da es ihm vorgelesen war, faltete er die Hände über die Brust und schlug die Augen zum Himmel empor, dankte darauf seinen Richtern und ging festen Schrittes und heitern Angesichts nach seinem Gefängnisse zurück.

Von diesem Augenblick war er in seinem innersten Wesen verwandelt. Die schwere Blutschuld, die ihn lange in rastloser Qual umhergetrieben, ward nun gebüßt und er mit Gott versöhnt und mit sich selbst. In die Nacht seines Lebens brach von jenseit ein freundliches Morgenroth herein und sehnte sich hinüber nach dem schönen Tage. Und wie er nun freudig dem Augenblick entgegen sah, wo seine Seele des Leibes Fesseln von sich werfen sollte und Ruhe und Heiterkeit wieder in sein Gemüth zurückkehrten, so erwachte auch der Gedanke an das Gemälde in der Kirche, an dem er einst mit so vieler Liebe gehangen, mit aller Klarheit und Gewalt wiederum in ihm; es schmerzte ihn, daß er es unvollendet lassen sollte, und er bat seine Richter, daß sie ihm vergönnen möchten, es zu vollenden. Es ward ihm zugestanden; und so war er denn vom frühen Morgen, bis die Sonne unterging, mit Lust und Fleiß dabei. Es ging ihm mit ungewohnter Fertigkeit von der Hand, und alles glückte ihm wunderbar und ward zu seinem eigenen Erstaunen schöner noch, als es in seiner Seele vor ihm gestanden hatte.

Nachdem er nun acht Tage lang mit unablässiger Anstrengung daran gearbeitet, so daß er kaum seinem Leibe die nöthige Nahrung gönnte, that er an einem Nachmittage den letzten Strich daran, stellte sich dann davor und schaute es lange an und seine Augen füllten sich mit Thränen; dann knieete er an des Altars Stufen nieder, und als er wohl eine Viertelstunde im Gebet verweilt, erhob er sich, und ließ sich nach dem Rathhause bringen, trat vor seine Richter, die da versammelt waren, legte Pinsel und Palette auf den Tisch vor ihnen und sprach: »es ist vollendet!« Darauf bat er, es nicht länger zu verschieben, daß ihm sein Recht angethan werde, und da der andere Tag dazu bestimmt worden, ging er nach seinem Gewahrsam, ließ seine Kinder zu sich kommen, letzte sich mit ihnen und spielte mit dem Knaben, bis es Abend ward. Da küßte er sie und segnete sie, empfahl sie nochmals der Pflege und Obhut seiner Schwägerin, und da diese in Klagen und Thränen ausbrach, sprach er: »was weinst du um mich? Mir ist wohl. Morgen werde ich bei unserer Kunigunde seyn.« Dann verlangte er, daß sie heim gingen, denn er sehnte sich nach dem Schlafe.

Doch eben als er sich zur Ruhe legen wollte, öffnete sich die Thür seines Kerkers noch ein Mal. Ein Kapuzinermönch trat herein und bot ihm guten Abend. Die Stimme schien ihm bekannt; da warf der Mönch die Kapuze zurück, zog den falschen Bart vom Gesicht und der Maler erkannte den Grünrock. – »Ihr hattet es mir schlecht zugedacht,« hub dieser an: »und doch will ich Euch wohl. Ich hab' Euch immer wohl gewollt, allein Ihr habt mich nie verstanden. Ich komme Euch zu retten. Zieht Euch schnell an und folgt mir; die Thüren stehen uns offen. Ich bringe Euch in Sicherheit.« – Der Maler aber wandte sich von ihm, setzte sich auf sein Bett und winkte ihm mit der Hand, zu gehen, und so viel auch jener redete, ihn zu bewegen, so blieb er dennoch stumm und sah ihn nicht mehr an. Da verstummte der Grünrock ebenfalls, trat zu ihm, küßte ihn auf die Stirn und ihm die Hand reichend: »Gute Nacht denn für die Ewigkeit!« sprach er und entfernte sich langsam. Der Maler aber überließ sich ohne Reue und ohne Verlangen dem Schlafe, der ihn sanft in seine Arme schloß.

Und es mochte gegen Morgen seyn, da träumte ihm, er sey auf der Reise. Der Weg, auf dem er wandelte, ging durch ein angenehmes Wiesenthal an einem stillen Bächlein hin. Auf einmal fiel ihm seitwärts, hoch auf den Bergen, ein prächtiges Gebäude in die Augen, dessen Dach wie Gold in der Abendsonne glänzte, und es ergriff ihn eine große Begierde es näher zu betrachten; auch, dachte er, müsse es ihn schneller zu seinem Ziele führen, wenn er gradezu die Berge übersteige, schlug daher den nächsten Seitenweg ein und gelangte bald in ein Thal von hohen Felsen rings umschlossen. Es wurde Nacht; die Felsen rückten immer näher zusammen. Endlich stand er vor einer ungeheuren Bergwand; der Pfad, auf welchem er gekommen, war verschwunden und nirgend sah er einen Ausweg. Und als er nun ängstlich suchend hin und wieder lief, trat ihn ein Mann von fremdem Aussehn und hohen Zügen an und sagte: »Du suchst vergeblich; warum hast du deinen rechten Weg verlassen? Doch ich, dein Freund und Kunstgenosse, will mich dein erbarmen.« Indem er also sprach, stieß er mit einem kleinen glatten Stäbchen an verschiedenen Stellen in die Erde, und wo er hinstieß, schlüpfte ein leichter Nebel aus der Erde, der immer dichter ward und sich aufwärts zog und in mancherlei beflügelte Gestalten bildete, die endlich wie von einem inneren Lichte anfingen zu leuchten, sich bewegten und in die Höhe stiegen. Wie sie dem Himmel näher kamen, öffneten sich die Wolken über ihnen, eine unbeschreibliche Klarheit drang daraus hervor, die Wolken senkten sich zur Erde nieder, als wollte der Himmel die Erde umarmen, und der Maler fühlte sich mit seinen Gefährten in die Höhe gehoben und schwebte in der Glorie aufwärts. Da erschien oben, sie zu empfangen, eine weibliche Gestalt, gleich der Heiligen auf dem Bilde in der Kirche. Der alte Meister sprach: »das ist die, welche du, wie mich, verherrlicht und wieder zu Ehren gebracht hast.– Und da der Maler nochmals hinschaute, sah er noch eine andre an ihrer Seite, und siehe! er erkannte Kunigunden, die ihm freundlich zulächelte und ihre Arme ihm entgegenstreckte. Da ward aber der Glanz, der sie umgab, so über alle Maßen mächtig, daß seine Augen ihn nicht ertragen konnten, und indem er eben nach seinem Mantel greifen wollte, ihn vor das Gesicht zu halten – da erwachte er.

Vor seinem Bette stand, die Lampe in der Hand, der Gefängnißwärter, hinter ihm ein Mönch aus dem Benedictiner-Kloster, den er wohl kannte und der gekommen war, ihn auf seinem letzten Wege zu begleiten. Wie neugeboren sprang er von seinem Lager, umarmte freudig den Mönch, kleidete sich an und kniete dann mit demselben hin, zu beten. – Als sie ihn abzuholen kamen, faßte er seines Begleiters Hand und trat mit festem Schritt den sauren Gang an. Es war ein lieblicher Morgen; doch als sie vor das Thor gelangten, zertheilte sich der Nebel und die aufgehende Sonne stand in prangender Klarheit über der Herbstflur. Da faltete der Maler die Hände und rief: »das ist ein gutes Zeichen!« Und so kamen sie zur Stätte. Ruhig warf der Maler das Oberkleid ab, entblößte seinen Hals, sendete dann noch einen Blick über die versammelte Menge nach der Stadt hin, dann nach der Sonne, setzte sich dann schnell, sich selbst die Augen verbindend, auf den Sessel, und ein rascher Streich vereinigte ihn mit Kunigunden.

Zu seinem Bilde in der Kirche zogen lange Zeit die Neugierigen herbei aus weiter Ferne, wohin der Ruf gedrungen war, und wer vor diesem Altar mit ernster Andacht betete, ging allzeit wunderbar gestärkt von dannen.


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