Michael Georg Conrad
Schicksal
Michael Georg Conrad

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»Na, dös war heunt a Hitz'n, daß mer glei a Wiedertäufer werd'n möcht', wenn ein'm das biss'l Himml nöt dauern tat...«

»O du Schindersknecht, du kimmst do' nöt eini.«

»Wie geht's?« fragte Herr Badke, aus dem Café de l'Opéra tretend, den Doktor Ernst Gurlinger, der in feierlichem Schlenderschritt vorüberging. »Auf der Maximiliansstraße promenieren bei dieser Temperatur?«

»Die Macht der Gewohnheit! Übrigens muß man die Welt bei jeder Temperatur studieren und ertragen lernen.«

»Ich gestehe, daß mir die Maximiliansstraße täglich langweiliger wird; ewig die nämlichen Bummlerphysiognomien in Zivil und Uniform und burschikosem Wichs; ewig die nämlichen Kleiderstöcke von Frauenzimmern, nur mit etwas verändertem Modegeschlamp' darauf; ewig die nämlichen Bilder in den Schaufenstern...«

»Die Bilder der Konkurrenten!« bemerkte der Philosoph etwas maliziös.

»Du lieber Himmel«, fuhr der pommerische Künstler fort, den Einwurf absichtlich überhörend, »ich habe es schon mit der Statistik versucht und abgezählt, wieviele Blonde und Braune, wieviele Kartoffel-, gerade Germanen- und krumme Semiten-Nasen, wieviele bebrillte Augenkrüppel, wieviele verwurstelte Studenten, die eine Ehre dareinsetzen, Stümper der Fechtkunst zu sein und auf der Mensur mit dem Gesicht, mit der Nase und den Ohren statt mit der Klinge zu parieren, – wieviele Sichel-, Gerad- und wadenlose Stelzbeinige innerhalb einer Viertelstunde einem auf der Maximiliansstraße begegnen; aber ich schwöre Ihnen, auch dieser Reiz hat nicht lange vorgehalten.«

Der Philosoph hatte lächelnd zugehört, seinen Arm in den des befreundeten Künstlers geschoben und ihn langsamen Schritts auf dem Trottoir gegen die Isar mit fortgezogen.

»Nun sind Sie, verehrter Badke, seit bald einem Dezennium in München eingebürgert und wollen plötzlich so gegen jeden Lokalton verstoßen und in der lustigen Kunststadt den Blasierten und Degoutierten spielen. Ei, ei, da steckt etwas dahinter... Das Bestallungsdekret als königlicher Professor läßt wohl boshafterweise immer noch auf sich warten?«

»O, das ist wahrlich nicht mehr der Gipfel meines Ehrgeizes...«

»Immer noch die Trauben zu sauer?«

»Spotten Sie nicht. Nun ja, meine Bewerbung war abermals erfolglos. Der Stümper Korbinian, Sie kennen ja den patriotischen Streber, Korbinian Schmetterer hat die Stelle bekommen. Seine Hetzereien in den ultramontanen Blättern gegen die Berufung von Nichtbayern und Nichtkatholiken waren endlich von Erfolg gekrönt. Seine Trauben sind reif geworden...«

»Was bei der jetzt herrschenden römischen Temperatur allerdings nicht zu verwundern ist. Die letzte Nummer meines »Freigeistes«, worin ich dem vatikanischen Enzyklika-Fanatismus etwas scharf entgegentrat und den Kreuzzug gegen die Freimaurerei in seiner rabiaten Lächerlichkeit geißelte, habe ich mit knapper Not vor der Konfiskation gerettet. Die Jesuiterei scheint wieder eine heimliche Schüssel entdeckt zu haben, aus der sie sich neue Kraft und Frechheit anzufressen getraut. Man muß der Entwicklung der Dinge eben mit Festigkeit und Gleichmut gegenüberstehen. Unsere Tage kommen auch wieder. Die Welt ist rund und dreht sich – auch die bayrische. Es scheint zwar bisweilen, als ob die Toten aufständen und sich die Führung des Lebens anmaßten, aber es scheint doch nur so; das Lebendige herrscht. Man muß hoffen, man muß wagen...«

»Sehr gut gesagt, Herr Philosoph!« antwortete Badke mit der Miene verdrossener Mutlosigkeit. »Für einen, der mittellos ist, dem schon die liebsten Pläne fehlgeschlagen, ist die Hoffnungspredigt leerer Schall. Die Allgemeinheit kann hoffen, der einzelne muß resignieren. Ich resigniere. Ich habe den Unfug endlich satt bekommen.«

Die Herren waren auf der Maximiliansbrücke angelangt. Brausend schossen die grünen Gebirgswasser der Isar durch die ebenso wuchtigen als eleganten Brückenbogen. Eine wohltuende Kühle fächelte von der breiten, mit schönen Baumanlagen geschmückten Quaistraße herüber. Die Herren wandten sich auf der Mitte der Brücke der lieblichen, schattigen Praterinsel zu, wo sie auf einer bequemen Bank unter einer mächtigen, hundertjährigen Lindengruppe Platz nahmen. Dieses von schäumenden Wassern umtoste, von Luft und Duft erfüllte Eiland bot einen erwünschten Ruhepunkt.

»Die tiefe Mutlosigkeit«, hob der Schriftsteller Doktor Gurlinger wieder an, »welche Sie jetzt, mein teurer Freund, befallen hat, wird und muß vorübergehen. Denn das Schauspiel, einen Mann in der Blüte seiner Kraft so ganz resignieren zu sehen, bloß weil er kein Vermögen hat und in seinen Jugendhoffnungen betrogen worden ist, dieses Schauspiel ist zu unnatürlich und unschön, um lange zu dauern. Wie denn? Haben nicht Unzählige, die mittellos in das rauhe Leben geschleudert wurden, den Mut und die Energie gehabt, aus eigener Kraft allen Hemmnissen zum Trotz emporzukommen? Find'st du keinen Weg, so mach' dir einen Weg, sagt der Amerikaner, wenn er vor dem Urwalde der Natur – und der Konkurrenz steht. Niemand kann aus seiner Natur heraus, nicht jeder ist ein geborener Amerikaner, gewiß ist das richtig...«

»Niederschmetternd richtig!«

»Wohl! Jedoch man kennt seine Natur auch nicht immer, man tappt in der Irre, man findet nicht gleich die unerschöpflichen Hilfsquellen, die in uns schlummern... Ich könnte da aus eigener böser Erfahrung reden...«

»Ich bitte um Verzeihung, Doktor, aber Sie haben auch Glück gehabt; Sie haben an einer klugen, an geistigen und materiellen Schätzen reichen Frau eine heldenhafte Mitkämpferin gewonnen, die Ihnen mit dem goldenen Beil den unwegsamen Urwald lichten hilft.«

Der Philosoph hielt einen Augenblick den Atem an und fixierte den Sprecher. »Lieber Badke, ich hoffe von Ihrem Scharfsinn und Ihrer Biederkeit, daß Sie damit nicht die Banalität sagen wollen, daß ich mich von meiner Frau ernähren lasse?«

»Nein, wahrhaftig nicht!« rief der Künstler und ergriff die Hand seines Freundes.

Als Doktor Gurlinger schwieg, sagte Badke mit Wärme: »Um Himmelswillen, diesen Verdacht nicht, der unserer Freundschaft unwürdig wäre! Ein Mann, dessen Daseinsinhalt so ideal ist, wie der Ihrige, würde an sich selbst Verrat begehen, wenn er sich um des Broterwerbs willen in die Sklaverei einer schriftstellerischen Tretmühlenarbeit begeben würde, nur um einem Weibe nichts verdanken zu müssen. Nein, nein, mein Freund, was ein Geist von Ihrer Stärke und Rücksichtslosigkeit seinem Volke mitzuteilen hat, ist so wichtig, daß alle Mittel der Liebe und Aufopferung geboten sind, ihm volle Unabhängigkeit zu sichern!«

Lächelnd erwiderte der Philosoph: »Ich denke, Schriftsteller und Künstler sind in der gleichen Lage. Wenn Männer wie wir durch Zufall ohne Vermögen sind, will mir's sogar als Pflicht erscheinen, uns nicht zu sträuben, wenn wir durch Heirat ein solches erwerben können. Sollen denn die reichen Partien nur für die Dummen und Charakterlosen allein da sein, für die Vereinsmeier und Parteihanswurste und Herdenmenschen, die für sich kein Trümmchen Originalität und Selbständigkeit haben? Oder bloß für verschuldete Offiziere, ausgehungerte Beamte und abgewirtschaftete Adelige?«

»Ich habe auch nie die landläufige Ansicht beschränkter oder neidischer Köpfe geteilt«, meinte der Künstler, »daß wir in solchem Falle dem reicheren Weibe etwas Außerordentliches zu danken hätten. Diese Ansicht hielt ich zu allen Zeiten für total irrig; denn das Weib wird die Teilhaberin unserer geistigen und künstlerischen Errungenschaften. Der begabte Mann hebt das Weib zu sich empor; das Weib gewinnt mehr, als es gibt. Aber...«

»Ich errate Ihr Aber!«

»Vielleicht nicht ganz. Die Liebe ist nicht blind, wie ebenfalls nur die Banalität behauptet. Sie sieht sogar sehr scharf. Aber sie hat die Füße nicht frei, sie wandelt in Schlingen. Konkret gesprochen, lieber Doktor: ich könnte keine reiche Partie machen, und wenn Sie mir das erlösende Weib mit aller Vornehmheit der Gesinnung ausstatten, die noch weit das vorhandene reiche Erbe überstrahlte. Ich habe nicht mehr die Freiheit der Wahl... Ich bin – kuriose Verwickelung – um seiner Mutter willen einem Mädchen verpflichtet, das an materiellen Schätzen so arm ist wie ich selbst.«

»Und wer ist diese arme Reiche, deren Mutter einen Mann wie Sie zu verpflichten das hohe Genie besessen hat?«

»Aber vorläufig ganz unter uns!«

»Selbstverständlich.«

»Ein blutjunges Landmädchen, ein frisches, herzerquickendes Ding, das in diesem Augenblick... Nein, ich sage nicht alles.«

»Sagen Sie alles! Es interessiert den Freund und den Philosophen in gleichem Maße.«

»Eine Kellnerin im Hofgarten! Aber was für eine Natur, wert, wie mein Augapfel beschützt zu werden! Ich gehe für meine Franziska durch's Feuer! Wie und warum ich ihr der Mutter wegen verpflichtet bin, das freilich bleibt vorläufig mein heilig verwahrtes Geheimnis.«

*

Der Herr Professor Korbinian Schmetterer trug seine neue Würde mit einer unglaublichen Erhabenheit zur Schau. Umgeben von schmeichelnden Kameraden und Schülern, schritt er in der Frühstunde durch die Säle des Kunstvereins wie ein Bischof, der unter einem Baldachin von Goldbrokat das Allerheiligste durch die gläubige Menge trägt bei der Fronleichnamsprozession.

Es war ihm, als ob sich die Bilder an den Wänden huldigend vor ihm verneigten und um einen gnädigen Blick bäten.

Mit welcher Großartigkeit nahm er nicht den Gruß des Kunstvereinsdieners entgegen! Das war superb. Natürlich, jetzt stand ihm ja seine künstlerische Hochmögenheit mit dem Staatssiegel auf dem viereckigen Professorenschädel festgestempelt. Das mußte ein Blinder sehen.

Und die Hunde von Zeitungskritikern, werden sie es jetzt auch noch wagen, nach seinen professorlichen Kunstwaden zu schnappen und dann zähnefletschend zu bellen: Kein Fleisch, nichts als miserable Watte? Nein, sie werden es nicht mehr wagen; sie werden vor den Werken des Professors den Schwanz einziehen und zu seiner patentierten Genialität beifälligst hinaufwinseln.

Ein Kollege trat heran und gratulierte dem Professor Korbinian Schmetterer zu der »längst verdienten Auszeichnung«.

»Danke für die gute Meinung. Ja, ja. Wissen Sie, es ist mir weniger um die persönliche Anerkennung zu tun, als vielmehr um die offizielle Weihe, die unsere Richtung dadurch erfahren hat. O, Sie waren ja stets einer der unsrigen, nicht wahr? Ich habe Sie stets als ein bemerkenswertes vaterländisches Talent geschätzt. Was ich für Sie tun kann, soll geschehen. Rechnen Sie auf mich.«

»Die Preußen werden sich ärgern. Besonders der Badke, Ihr nächster Mitbewerber, der allerdings kein übler Künstler sein soll.«

»Flau, verehrter Kollege, recht flau mitunter. Wenig reell, wie alle diese durch die Reklame aufgeblähten Norddeutschen.«

»Der Doktor Gurlinger, der unfehlbare Pontifex der alleinseligmachenden preußischen Kunstkritik, wird natürlich Ihre Rangerhöhung nicht verwinden können und Anlaß nehmen, in seinem ›Freigeist‹ wieder Feuer und Schwefel auf unsere Richtung speien zu lassen.«

»O Jemine«, fuhr jetzt ein strebsamer Kunstzögling dazwischen, »diese Beleuchtung wird dem Herrn Professor ehrenvoller sein, als der pompöseste Fackelzug, den unsere Schule übrigens sich auch nicht schenken wird.«

Der Professor nickte dem Kunstzögling aufmunternd zu und fuhr dann zu dem Maler gewendet fort: »Mit Verlaub, was der Gerlinger in seinem Atheistenblatt schreibt, ist uns Wurst. Treibt er's aber einmal gar zu arg, so wird ein Schlag auf seine journalistische Schnauze... Aber, ich laß' mich für nichts und wieder nichts hinreißen...«

»In dem Fall wirklich, pro nihilo!« bemerkte der geistreiche Jüngling, der eher zehn Tropfen Rizinusöl, als eine unpassende Redensart im Leibe behalten könnte.

»Wollen wir die Ausstellung ein wenig näher anschauen?« meinte der Herr Professor einladend. »Es sollen ein paar recht wackere Sachen von unserer Richtung da sein.«

»Hier gleich die Marine von Pimpelsetzer!« machte der eine Kunstzögling und rundete die Hand vor dem Auge.

»Famoser Luftton!« der andere.

»Die Reflexlichter ein wenig zu massig, nicht wahr, Herr Professor?« der dritte.

Der Herr Professor schwieg würdevoll und trat einen Schritt seitwärts, um in die rechte Beleuchtung zu kommen. Was lag ihm heute eigentlich an den Bildern der andern? Sein Professorat war doch an sich das gelungenste Kunstwerk! Aber er mußte etwas sagen, um den Jünglingen durch seine Autorität des gewiegten Urteils zu imponieren.

»Allerdings, die Komposition ist nicht fehlerfrei... Sehen Sie da und da und da... Das könnte viel delikater sein. Aber das Ganze ist doch recht lebendig gemacht. Und vergessen Sie nicht, der Pimpelsetzer ist ein ehrwürdiger Veteran unserer Richtung. Für sein Alter ist diese Marine noch eine respektable Leistung. Betrachten Sie gefälligst zum Beispiel diese Chiemseelandschaft daneben von unserem Gegner, dem arroganten Stretzler. Ist das überhaupt noch gemalt?«

»Nein, Herr Professor, das ist gehustet!« antwortete der vorlaute Jüngling mit Überzeugung.

Die Korona lachte.

»Ist das Farbe?«

»Nein, das ist Nasenschleim!«

»Der Chiemsee hat offenbar den Schnupfen.«

»Bei Gott, der Wasserspiegel liegt da wie ein nasses Schneutztüchl zum Trocknen in der Sonne.«

»Und solche Kleckser und Schwartenfabrikanten erlauben sich ein Urteil über unsere Richtung«, sagte der Herr Professor entrüstet. »Zusammenhalten, meine Freunde, wir müssen zusammenhalten! Wir sind die Bannerträger der echten Kunst.«

»Ah, sieh da, ein originelles Genre, ein Pistolenduell im Nebel! Sehr flott,... riesig lebendig... großartig gezeichnet... wundervoll im Ton...«

»Von wem denn?« fragte Professor Schmetterer, von soviel spontanem Enthusiasmus überrascht.

»Das Namensschildchen ist abgefallen. Auf dem Bilde selbst kein Name, nur ein Monogramm«, antwortete ein diensteifriger Jüngling, der noch wenig erfahren in der Vereinsausstellung.

»B – Badke!« Der voreilige Lober hatte sich verschnappt.

Er biß sich auf die Zunge. Der Herr Professor mochte heute nichts mehr ansehen. Er verspürte Durst.

»Wie wär's, meine Herren, wenn wir unter den Arkaden ein Glas Kognak nehmen würden? Ich habe dort eine vorzügliche Qualität entdeckt. Dem Bier trau' ich nicht zu so früher Stunde. Ich muß vor Tisch noch eine wichtige Arbeit Machen. Auf ein Glas Kognak also, wer hält mit?«

»Alle wie ein Mann, Herr Professor!«

Beim Hinunterstieg über die schmale Wendeltreppe stieß der letzte Kunstjüngling einen Kameraden an und flüsterte: »Der Professor ist ein Schlaucherl, er hat unter den Arkaden keinen Kognak, sondern eine Hebe vom Lande entdeckt, ein Blitzmädel... Ich hab' ihn erst gestern dort ertappt, wie er der blutjungen Franziska den Hof gemacht hat. Wie ein verliebter Bär, der Honig wittert, aber sich vor dem Stich der Bienen fürchtet... Ich sag' dir, das ist zum Kranklachen... Natürlich ist es Ehrensache für uns, den alten Tölpel auszustechen, nicht? Das fehlte noch, daß so ein abgestandener Pedant vor unserer Nase die frische Blume pflückte!...«

*


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