Heinrich Conrad
Eingekerkerte und Ausbrecher
Heinrich Conrad

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Vorwort

Wohl jeder von uns ist einmal neben einem Schlossvogt gestanden, der bei Kerzenlicht mit langweilig leiernder Stimme die einstige Verwendung eines düsteren, kalten, feuchten Mauerloches unter der Erde erklärte. »Und hier meine Herrschaften ist der Kerker, in dem unter anderen der Graf Kuno über zwanzig Jahre lang ohne Licht und Streu, nur bei Wasser und Brot, mit zweiundsiebzig Pfund Ketten beladen, schmachten musste. Er war an den Mauerring hier angeschmiedet, und Sie sehen noch, wo die Ketten den Stein ausgewetzt haben.« Wir entsinnen uns noch, wie dann ein Schauer über unsere Haut lief und unsere Phantasie sich bemühte, sich die höllische Wirklichkeit einer solchen Kerkerhaft vorzustellen.

Das Leben der lebendig Begrabenen, der Eingekerkerten, hat von jeher die Einbildungskraft entzündet, und Bewunderung für ihre standhafte Ausdauer, gemischt mit tiefstem Mitleid und Grausen, ausgelöst. Noch innigeren Anteil aber nehmen wir, noch höher steigt unsere Bewunderung, wenn wir von kühnen, oft in endlos währender Kleinarbeit vorbereiteten Ausbrüchen aus den festesten Kerkern hören. Selbst der gemeinste Raubmörder gewinnt ja ein wenig unsere Sympathie, wenn wir in der Zeitung lesen, wie er, mit kühnem Wagemut und kalt überlegendem Scharfsinn, seinen Wächtern entronnen ist. Wir Gebildeten gestehen uns kaum ein, dass wir das Scheusal dann für einen ›Helden‹ ansehen, aber aus den primitiv empfindenden, ethisch unbeschwerten Schichten des Volkes fliegen ihm die Herzen zu. Solche Beweise von Stärke, Geist und Verwegenheit werden nie aufhören, einen mehr oder weniger tiefen Eindruck auf alle Menschen zu machen, denn in jedem von uns ruht das Gefühl der Bewunderung für die kühne Tat, und es ist gut, dass dieses Gefühl vorhanden ist.

Die Kerkerleben und die Kerkerausbrüche, die ich hier vorführe, sind von den Männern selbst beschrieben, die das alles erduldet und erkämpft haben und die es daher am besten wissen müssen, was sie alles gedacht, getan, gefühlt und gelitten haben. Selbstverständlich konnte mich bei meinem Buche der Gedanke der Vollzähligkeit nicht leiten. Sonst hätte ich, um nur einige wenige zu nennen, den württembergischen Landschaftskonsulenten Moser nennen müssen, der jahrelang auf dem Hohentwiel sass, ein Opfer desselben Herzogs Karl Eugen, der den Dichter Schubart 10 Jahre lang auf der Feste Asperg schmachten liess; der Bildhauer Cellini hätte müssen zu Worte, kommen, der auf der Engelsburg eingekerkert, eine verwegene Flucht vollbrachte und mit gebrochenem Bein bis in die Gärten des Vatikans kroch; und Casanova hätte hier seine berühmte Flucht aus den Bleikammern Venedigs erzählen müssen. Ich beschränke mich auf den Freiherrn von der Trenck, den Fürsten Peter Krapotkin, den Grafen von Lavalette, und Masers de Latude. Latudes Gefangenenleben hat 35 Jahre gewährt, er war sozusagen Gefangener von Beruf, und die Schilderung dieser 35 Jahre umfasst einen ganzen Band; ich habe mich daher begnügt, zwei Episoden daraus zu geben, die besonders charakteristisch sind. Bei den übrigen dagegen gebe ich die Schilderung der ganzen Haft, bis zur endlichen Befreiung.

Unsere vier Gefangenen werden die Anteilnahme des Lesers aufs höchste fesseln; niemand wird leugnen können, dass das Buch voll Spannung ist, wie der beste Abenteurerroman. Aber ich möchte mehr, als nur unterhalten! So, wie nach eigenen Berichten grosse Männer in den schwersten Tagen an den Vorbildern ihres Plutarch sich gestärkt haben, so glaube ich, kann auch dieses Buch der Eingekerkerten und Ausbrecher Vorbilder liefern für Tugenden, die recht erstrebenswert sind in unserer schwächlichen Zeit der massenhaften Selbstmorde aus ganz unzulänglichen Gründen. Es gibt immer noch Auswege und Hoffnungen, für den, der Mut und Ausdauer hat und alle seine Kräfte zusammennimmt, um einen Ausweg zu finden. Fortes fortuna adjuvat.

München

Heinrich Conrad.


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