Heinrich Conrad
Eingekerkerte und Ausbrecher
Heinrich Conrad

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Freiherr Friedrich von der Trenck

Der Freiherr Friedrich von der Trenck wurde im Jahre 1726 in Königsberg i. Pr. geboren. Mit 13 Jahren schon auf der Universität, wurde er mit 14 Jahren Kadett der Garde du Corps, von Friedrich dem Grossen alsbald seiner glänzenden Gaben wegen ausgezeichnet und zum Offizier befördert. Mit 18 Jahren wurde er Ordonnanzoffizier des Königs und erhielt er den Auftrag, die schlesische Kavallerie in der neuen Taktik zu unterweisen! Zur selben Zeit etwa trat der Umstand ein, der später Trencks lange und schwere Haft zur Folge hatte: er begann ein — sein erstes — Liebesverhältnis, mit der 20jährigen Schwester Friedrichs des Grossen, der Prinzessin Amalia. Der königliche Bruder kam hinter das Geheimnis, seine Warnungen blieben erfolglos, und so ergriff Friedrich der Grosse einen günstigen Vorwand, um Trenck zu kassieren und auf die Festung Glatz zu setzen, von wo der Gefangene jedoch bald ausbrach, um nach mancherlei Irrfahrten und Abenteuern in östreichische Dienste zu treten. Im Jahre 1754 begab Trenck sich in Familienangelegenheiten nach Danzig, damals einer freien Stadt, wo ihn sein Geschick ereilte. Die Danziger lieferten den preussischen »Deserteur« — er war ja aus Glatz geflohen — an Friedrich aus, der ihn nach Magdeburg bringen liess. — Die Schilderung der Kerkerhaft entnehme ich den Lebenserinnerungen Trencks, die er 1787 erscheinen liess und die seitdem unzähligemale neu gedruckt wurden.

C.

Mein Gefängnis war in einer Kasematte, wovon der vordere Teil, sechs Fuß breit und zehn Fuß lang, durch eine Zwischenmauer abgeteilt war. In der inneren Mauer waren doppelte Türen, und zum Eingang in die Kasematte selbst die dritte. Das Fenster in der sieben Fuß dicken Mauer war oben am Gewölbe dergestalt angebracht, daß ich zwar Licht genug hatte, aber weder den Himmel noch die Erde sehen konnte. Gegenüber sah ich das Dach des Magazins allein. Inwendig steckten eiserne Stangen, auswendig gleichfalls, und in der Mitte dieses Mauerfensters war ein ganz enges Drahtgitter angebracht, welches wegen hinaufsteigender Abdachung um einen Fuß kleiner war als das Fenster selbst; hierdurch blieb es unmöglich, weder hinaus- noch hineinzusehen. Von außen stand ein hölzernes Palissadengatterwerk, sechs Fuß von der Mauer, wodurch die Schildwachen dem Fenster nicht beikommen konnten, um mir etwas zuzustecken. Dabei hatte ich ein Bett mit einer Matratze, welches aber, mit Eisen an dem Fußboden befestigt, unbeweglich stand, damit ich es nicht an das Fenster rücken und aufsteigen konnte. Ein kleiner eiserner Ofen stand an der Seite der Türe, und bei demselben ein gleichfalls festgenagelter Leibstuhl. Man legte mir aber keine Eisen an, hingegen bestand meine Kost in 1½ Pfund Kommißbrot und einem Kruge Wasser.

Da ich nun in meiner Jugend einen besonderen Freßmagen hatte und mein Brot meistens so verschimmelt war, daß man kaum die Hälfte genießen konnte — welches vom Geize des damaligen Platzmajors Rieding herrührte, der bei der großen Zahl der unglücklichen Gefangenen noch Gewinn suchte — so ist es mir unmöglich, meinen Lesern die ungeheure Folter zu schildern, welche mir ein elf Monate dauernder unausgesetzter wütender Hunger verursachte. Ich hätte täglich sechs Pfund Brot begierig geschluckt — wenn ich nun alle vierundzwanzig Stunden meine kleine Portion erhielt, so blieb ich nach Genuß derselben ebenso hungrig, als ich vorher war, und mußte abermals vierundzwanzig Stunden auf neue Labung warten. Wie gern hätte ich einen Wechsel auf tausend Dukaten auf mein Wiener Vermögen assigniert, um mich nur einmal an dürrem Brote satt zu essen! Kaum gestattete mir der wütende Hunger einen ruhigen Schlaf, so träumte mir, als ob ich an einer großen Tafel schmauste, wo eben alle Speisen, die ich vorzüglich gern essen mochte, im Überflusse aufgetragen waren. Ich fraß träumend wie ein Nimmersatt, die ganze Gesellschaft erstaunte über meinen Appetit. Der Magen fühlte nichts in Wirklichkeit, desto begieriger fraß ich in Gedanken. Ich erwachte oder vielmehr der Hunger weckte mich, dann schwebten mir die vollen Schüsseln vor den Augen, und dem leeren Magen blieb die rasende Sehnsucht. Der Hunger, der Trieb der Natur, forderten immer mehr, immer rasender, diese Marter hinderte den Schlaf, um desto fürchterlicher erschien mein grausames Schicksal der in die Zukunft forschenden Seele, welche sich die Dauer unübersteiglich schilderte.

Man kann acht Tage Mangel leiden, drei Tage hungern, aber gewiß hat noch kein Mensch auf Erden elf Monate lang so bitter gefastet und sich nicht einmal halb satt gegessen. Man sollte glauben, wenig essen würde Gewohnheit, ich habe aber das Gegenteil empfunden; mein Hunger stieg mit jedem Tage, und eben diese elf Monate waren in meinem ganzen Leben die grausamsten Büttel meiner Standhaftigkeit. Vorstellung, Bitten half nichts, die Antwort war: »Es ist des Königs ausdrücklicher Befehl, man darf Ihnen nicht mehr geben.«

Die drei Türen wurden verschlossen, ich blieb meinem Nachsinnen trostlos überlassen, und alle vierundzwanzig Stunden brachte man mir mein Brot und Wasser um die Mittagsstunde; die Schlüssel von allen Türen waren bei dem Kommandanten. Die inwendige allein hatte ein besonderes verschlossenes Mittelfenster, durch welches mir meine Bedürfnisse hereingereicht wurden. Alle Mittwoch nur wurden die Türen geöffnet, und der Kommandant nebst dem Platzmajor kamen herein, um zu visitieren, wenn vorher mein Abtritt durch einen geschlossenen Delinquenten gereinigt war.

Nachdem ich dieses ein paar Monate hindurch beobachtet hatte und vollkommen sicher war, daß in der ganzen Woche niemand in mein Gefängnis kam, fing ich eine Arbeit an, die ich zuvor genau untersucht hatte und wirklich möglich fand.

Auf dem Platze, wo der Ofen und der Abtritt stand, war der Boden mit Ziegeln gepflastert, und die Wand war der Schwibbogen zwischen meiner benachbarten Kasematte, die niemand bewohnte. Ich hatte nun eine Schildwache vor dem Fenster und fand bald ein paar ehrliche Kerle, die trotz des Verbotes mit mir sprachen und mir die ganze Lage meines Kerkers schilderten. Durch diese erfuhr ich, daß ich leicht entfliehen könne, falls es mir möglich wäre, in diese nächste Kasematte hineinzubrechen, wo die Türe unverschlossen war, dann käme es darauf an, wenn ich einen Freund mit einem Nachen an der Elbe bereit hätte, oder wenn ich mich durch Schwimmen retten könnte; die sächsische Grenze wäre nur eine Meile davon.

Hierauf wurde nun mein Plan gemacht, dessen zergliederte Schilderung dieses halbe Buch füllen würde.

Ich arbeitete die Eisen los, womit mein Abtritt in dem Boden befestigt, und die achtzehn Zoll lang am Kastenbrett mit drei kleinen Nägeln befestigt waren, die ich inwendig abbrach und von außen her, wo allein visitiert wurde, die Köpfe richtig wieder an ihren Ort steckte.

Hierdurch erhielt ich Brecheisen, hob die Ziegel vom Boden auf und fand unter denselben sogleich Erde.

Ich fing also den ersten Versuch an, hinter diesen Kasten ein Loch durch den Schwibbogen zu brechen, welcher sieben Fuß dick war. Die erste Lage der Mauern war Ziegelsteine, dann folgten aber sogleich große Bruchsteine. Nun versuchte ich erst, sowohl die Ziegel des Bodens, als die ersten der Wand, genau zu numerieren und zu bemerken, um das Loch wieder akkurat zuzumachen; dieses glückte, ich griff also weiter.

Am Tage vor der Visitation wurde alles ganz behutsam zugemacht. Beinahe einen Fuß hoch brach ich in die sichtbare Mauer. Die Ziegel wurden wieder eingesetzt, der feinste Kalk wohl verwahrt, der übrige von der Mauer abgeschabt, die vielleicht hundertmal vorher überweißt war und unmerklich Stoff genug zu meinem Bedürfnis gab. Von meinen Haaren machte ich einen Pinsel, machte alles gleich, dann den feinen Kalk in der Hand naß, überstrich und blieb mit dem bloßen Leib so lang an der Mauer sitzen, bis alles trocken und der übrigen Wand gleich war. Dann wurden die Eisen wieder am Abtritte befestigt, und es war unmöglich, das Mindeste zu bemerken.

Während der Arbeit lagen Steine und Schutt in meiner Bettstelle. Hätte man nun in der ganzen Zeit einmal den Verstand gehabt, an einem andern Tage als am Mittwoch zu visitieren, so wäre ich sogleich entdeckt worden; da dieses aber binnen sechs Monaten gar nicht geschah, so war mir die Ausführung einer unglaublichen Unternehmung möglich.

Inzwischen mußte ich auf Mittel sinnen, Schutt aus dem Gefängnis zu schaffen, weil es nie möglich ist, aus einer gebrochenen Mauer alles wieder in den vorigen Raum zu bringen. Dieses geschah auf folgende Art: Kalk und Steine waren unmöglich fortzuschaffen, ich nahm also Erde, streute etwas in mein Zimmer und trat den ganzen Tag auf derselben herum, daß sie ein feiner Staub wurde. Diesen Staub streute ich auf mein Fenster; um heraufzusteigen, brauchte ich den losgemachten Abtritt. Dann machte ich mir einen kleinen Stab von Holzsplittern der Bettstelle; der Zwirn von einem alten Strumpf diente zum Zusammenbinden, und vorne machte ich aus meinen Haaren einen Busch.

Im mittleren Drahtgitter am Fenster machte ich ein Loch größer, das von unten her nicht bemerkt werden konnte, dann warf ich meinen Staub ganz dick auf die Fenstermauern und schob ihn mit großer Mühe mit meinem Stabe durch das Drahtgitter bis an den äußern Rand des Fensters. Dann wartete ich, bis windiges Wetter einfiel, und wenn die Windstöße in der Nacht am Fenster vorbeistrichen, stieß ich mit meinem Pinsel den Staub hinaus, welcher in die Luft geführt wurde und von außen keine Merkmale auf der Erde hinterließ.

Auf diese Art habe ich gewiß allgemach mehr als drei Zentner Erde herausgeschafft und mir zur angefangenen Arbeit Luft gemacht.

Da dieses aber nicht hinlänglich war, so half noch folgendes: Ich machte Würste von Tonerde, die dem Kote ähnlich sahen, trocknete sie, und wenn man das Schloß der letzten Türe am Mittwoch öffnete, dann warf ich sie geschwind in den Abtritt; der Arrestant eilte mit dem Eimer hinweg, schüttete aus, und auf diese Art wurden gleichfalls alle Wochen ein paar Pfund hinausgeschafft. Ich machte auch kleine Kügelchen und blies mit einem Stück Papier, wenn die Schildwache spazieren ging, eines nach dem andern weit zum Fenster hinaus. Auf diese Art schaffte ich Platz, füllte den leeren Erdraum unter dem Bretterboden mit Kalk und Steinen aus und arbeitete glücklich vorwärts.

Unmöglich kann ich aber die Arbeit schildern, die ich fand, nachdem ich ein paar Fuß tief in die Bruchsteine kam. Meine Eisen vom Abtritt, zuletzt auch die vom Bette, waren die beste Hilfe. Eine redliche Schildwache steckte mir einmal einen alten eisernen Ladestock zu, der mir gute Dienste leistete, und ein Messer, so wie es die Soldaten zu kaufen pflegen, welches eine hölzerne Scheide hat, etwa zwei Kreuzer kostet und Kneif genannt wird. Dieses letztere hat mir in der Folge unglaubliche Dienste geleistet. Mit diesem Messer schnitt ich Stücke von den Brettern des Bettes ab und machte Späne, mit welchen ich allgemach den Kalk zwischen den Steinen herausarbeitete.

Unglaublich ist es, was diese sieben Fuß dicke Mauer mir für Arbeit kostete. Das Gebäude ist uralt, und der Kalk war an einigen Orten ganz petrifiziert, so daß ich die ganzen Steine in Staub zerreiben mußte. Sechs Monate lang dauerte die Arbeit unausgesetzt, ehe ich an die letzte Lage kam, welches ich an den Ziegeln erkennen konnte, womit jedes Kasemattenzimmer inwendig ausgemauert war.

In dieser Zeit hatte ich nun Gelegenheit, mit einigen Schildwachen zu sprechen; unter diesen war ein alter Grenadier, Namens Gefhardt, den ich hier deshalb nenne, weil er in meiner Geschichte als ein Beispiel des großmütigsten Menschen auf Erden erscheinen wird. Von diesem erfuhr ich nun die ganze Lage meines Gefängnisses und alle Umstände, wie ich zu meiner Freiheit gelangen konnte.

Nichts fehlte mir als Geld, um einen Kahn zu kaufen und auf der Elbe mit ihm nach Sachsen zu fliehen. Durch diesen rechtschaffenen Mann machte ich Bekanntschaft mit einem Judenmädchen, namens Esther Heymannin aus Dessau, deren Vater daselbst auf zehn Jahre im Gefängnisse saß. Dieses redliche Mädchen, das ich nie sehen konnte, gewann zwei andere Grenadiere, die ihr Gelegenheit boten, so oft sie bei mir auf der Schildwache standen, mit mir zu sprechen. Ich machte von meinen Spänen einen langen, zusammengebundenen Stock, welcher bis vor die Palissadeneinfassung vor dem Fenster reichte: hierdurch erhielt ich Papier, ein Messer und eine Eisenfeile.

Ich schrieb an meine Schwester, die an den einzigen Sohn des Generals von Waldow verheiratet war, schilderte meinen Zustand, gab ihr Instruktion, wie sie für meine Freiheit arbeiten sollte und bat sie, daß sie diesem Judenmädchen dreihundert Reichstaler geben sollte, weil ich durch ihre Hilfe Möglichkeit gefunden hätte, aus meinem Kerker zu entfliehen.

Zugleich gab ich ihr einen beweglichen Brief an den kaiserlichen Minister in Berlin, Graf Puebla, mit, schloß einen Wechsel von tausend Gulden bei, um ihn in Wien einzukassieren und dieser Heymannin zu behändigen. Diese tausend Gulden hatte ich ihr als Belohnung für ihre Treue versprochen. Die dreihundert Reichstaler von meiner Schwester sollte sie aber mir bringen, und dann nebst ihren Grenadieren meine Anstalten zur sicheren Flucht befördern, welches auch unfehlbar entweder durch mein bereits damals halbfertiges Loch in der Mauer oder mit Hilfe der Jüdin und Schildwache durch Durchschneidung meiner Türen um die Schlösser herum geschehen wäre.

Die Briefe waren offen, weil ich sie nur um den Stock wickeln und ihr auf diese Art zustecken konnte.

Das arme redliche Mädchen geht also nach Berlin, gerade und glücklich zum Minister Graf Puebla. Er gibt ihr allen Trost, übernimmt Brief und Wechsel und befiehlt ihr, mit seinem Gesandtschaftssekretär, Herrn von Weingarten, zu sprechen, und alles zu tun, was dieser ihr befehlen würde.

Sie geht zu ihm und wird auf das freundlichste empfangen. Er fragt sie alles aus und sie vertraut ihm den ganzen Plan, durch Hilfe der beiden Grenadiere, zu meiner Flucht. Auch daß sie einen Brief an meine Schwester nach Hammer bei Küstrin zu tragen habe.

Er fordert diesen Brief, liest ihn, forscht alles aus, befiehlt ihr, sogleich zu meiner Schwester zu gehen, und gibt ihr zwei Dukaten auf die Reise, mit dem Befehl, bei ihrer Rückkunft wieder zu ihm zu kommen. Indessen wolle er die Zahlung des Wechsels per tausend Gulden in Wien besorgen und ihr sodann weitere Instruktion geben.

Das Mädchen geht freudig nach Hammer. Meine Schwester, die Witwe war und ihren Mann nicht mehr, wie im Jahre 1746, zu fürchten hatte, ist entzückt über die Nachricht, daß ich noch lebe, gibt ihr dreihundert Reichstaler und muntert sie auf, alles Mögliche zu meiner Rettung beizutragen.

Hiermit eilt sie, nebst einem Briefe an mich, nach Berlin zurück und bringt die Nachricht dem Herrn von Weingarten. Dieser liest meiner Schwester Brief und fragt die Jüdin alles ab, auch sogar die Namen der beiden Grenadiere. Er sagt ihr, die tausend Gulden wären noch nicht aus Wien angekommen, gibt ihr aber zwölf Dukaten, mit dem Befehl, nach Magdeburg zu eilen, mir die gute Nachricht zu bringen, dann aber sogleich nach Berlin zurückzukehren und ihre tausend Gulden bei ihm abzuholen. Das gute Mädchen fliegt nach Magdeburg, geht auf die Citadelle, begegnet aber zu ihrem größten Glücke vor dem Tore dem Weibe des Grenadiers, welches ihr mit Winseln und Tränen erzählt, daß ihr Mann nebst seinem ihr bekannten Kameraden tags vorher arretiert und, in Eisen scharf bewacht, festsäßen.

Die Jüdin hatte einen gesunden Verstand, roch den Braten, kehrte auf der Stelle um und flüchtete glücklich nach Dessau.

Nun will ich dieses wichtige und schreckbare Rätsel auflösen, weil ich nach meiner erlangten Freiheit von eben dieser Jüdin die ganze Relation schriftlich erhalten, die ich noch gegenwärtig wirklich in Händen habe.

Der Legationssekretär von Weingarten war, wie bald hernach weltkundig wurde, ein Verräter, welchem Graf Puebla zu viel vertraut hatte, der als Kundschafter wirklich in preußischem Sold stand und alle Geheimnisse der kaiserlichen Gesandtschaft, auch den in Wien entworfenen Kriegsplan, an das Berliner Ministerium verraten hatte. Er blieb auch bei bald darauf ausgebrochenem Kriege wirklich als ein Treuloser im preußischen Dienste zurück. Mich hatte er verraten, um den Wechsel per tausend Gulden in seinen Sack zu schieben. Denn sicher und erwiesen ist es, daß Graf Puebla meinen Wechsel wirklich nach Wien geschickt, und derselbe ihm den 24. Mai 1755 aus meiner Administrationskasse bezahlt, mir auch nach erlangter Freiheit hier angerechnet wurde. Denn nimmermehr kann ich glauben, daß der Minister selbst diese tausend Gulden für sich behalten habe, obgleich in Wien das Geld wirklich von ihm selbst quittiert ist, wie in der mir vorgelegten Rechnung zu lesen ist, die ich zum Beweis in Händen habe.

Da nun Weingarten das Judenmädchen auf das genaueste ausgekundschaftet hatte, so hat der Schelm, um tausend Gulden zu erobern, mich in das Verderben gestürzt und meiner Schwester Unglück und frühzeitigen Tod verursacht; und seine Verräterei war Ursache, daß ein Grenadier gehenkt wurde, der andere hingegen drei Tage Gassen laufen mußte.

Ich selbst geriet durch Weingartens Verräterei in die ungeheuren Fesseln, die mich noch neun Jahre folterten. Ein unschuldiger Mensch verlor am Galgen sein Leben. Meine redliche Schwester hingegen mußte mir auf ihre Kosten das neue Gefängnis in der Sternschanze bauen lassen. Der Fiskus strafte sie um eine Summe, die ich nie erfahren habe. Ihre Güter wurden bald hernach gänzlich ausgeplündert und in eine Wüstenei verwandelt. Ihre Kinder gerieten durch diese Begebenheit in die bitterste Armut, und sie selbst starb in der Blüte der Jahre, im dreiunddreißigsten, von Gram und Verfolgung, durch ihres Bruders Unglück und durch die Verräterei der kaiserlichen Gesandtschaft zugrunde gerichtet.

In meinem Kerker erfuhr ich in den ersten Tagen gar nichts. Bald aber kam mein ehrlicher Gefhardt wieder auf die Schildwache zu mir. Da aber die Posten verdoppelt waren und nunmehr zwei Grenadiere meine Türe bewachten, so war das Sprechen ohne Gefahr fast unmöglich. Indessen gab er mir doch Nachricht von den beiden unglücklichen Kameraden.

Der König kam eben nach Magdeburg zur Revue. Er selbst ist in der Sternschanze gewesen und hat in aller Eile das neue Gefängnis in derselben für mich zu bauen befohlen, auch die Ketten angeordnet, in die ich geschmiedet werden sollte.

Mein ehrlicher Gefhardt hatte seine Offiziere sprechen hören, daß dieses neue Gefängnis für mich bestimmt sei. Er gab mir Wind davon, versicherte mir aber, daß es vor Ende des Monats nicht fertig sein könnte.

Ich faßte also den Entschluß, eilfertig den Ausbruch meines Lochs in der Mauer zu beschleunigen und ohne auswärtige Hilfe zu entfliehen.

Möglich war es, denn von meinem Bette hatte ich einen Strick verfertigt, den ich an eine Kanone anbinden und mich vom Walle herunterlassen wollte. Über die Elbe wäre ich geschwommen, und da die sächsische Grenze nur eine Meile entfernt ist, so wäre ich auch sicher glücklich davongekommen.

Am 26. Mai wollte ich in die Nebenkasematte herausbrechen. Da ich mich aber unter dem Ziegelboden herausarbeiten wollte, fand ich dieselbe so fest ineinander gefügt, daß ich den Ausbruch auf den folgenden Tag verschieben mußte. Der Tag brach wirklich heran, als ich müde und matt aufhörte; und wäre jemand zufällig am folgenden in das Zimmer gegangen, so hätte man das bereits aufgewühlte Loch gefunden.

Der 27. Mai war ein neuer Unglückstag für mich. Mein Gefängnis war in der Sternschanze rascher fertig geworden, als man glaubte. Und eben, als die Nacht heranbrach und ich Anstalt zu meiner Flucht machen wollte, hielt ein Wagen vor meinem Gefängnisse still. Gott! Wie erschrak ich! Du allein weißt es, wie mir damals zumute war! Schlösser und Türen wurden geöffnet! In Geschwindigkeit versteckte ich noch mein Messer zur letzten Nothilfe an einem geheimen Orte auf dem Leibe, und in eben dem Augenblicke trat der Platzmajor nebst dem Major du jour und einem Kapitän in mein Gefängnis, zwei Laternen in den Händen.

Man sprach kein Wort, als: »Ziehen Sie sich an.« Dies war gleich geschehen, es war noch meine kaiserliche Uniform. Hierauf reichte mir jemand ein paar Eisen, mit welchen ich mich selbst übers Kreuz an Hand und Fuß schließen mußte. Dann band mir der Platzmajor mit einem Tuche die Augen zu, man griff mir unter die Arme und führte mich in den Wagen. Aus der Zitadelle muß man nun durch die ganze Stadt und dann erst zur Sternschanze wieder hinausfahren. Ich hörte nun nichts als das Geklirre der den Wagen umgebenden Bedeckung, in der Stadt aber einen gewaltigen Zulauf des neugierigen Volks, weil man ausgesprengt hatte, ich sollte in der Sternschanze enthauptet werden.

Sicher ist es auch, daß verschiedene Leute, welche mich damals mit verbundenen Augen durch die Stadt führen sahen, überall erzählt und geschrieben haben, daß am 27. Mai der Trenck in die Sternschanze geführt und daselbst ihm der Kopf vor die Füße gelegt sei. Die Offiziere der Garnison hatten auch den Befehl, dieses zu bekräftigen, weil niemand wissen sollte, wo ich geblieben war.

Endlich hielt der Wagen still. Man führte mich aus demselben in das neue Gefängnis und löste mir bei dem Scheine einiger Lichter das Tuch von den Augen. Aber, o Gott! wie regte sich mein Gefühl, als mir zwei schwarze, dem Teufel ähnliche Schmiede, mit einer Glutpfanne und Hammer bewaffnet, und der ganze Boden mit rasselnden Ketten bedeckt, in die Augen fielen.

Man griff sogleich zum Werke, und beide Füße wurden mir mit schweren Ketten an einem eisernen, in der Mauer befestigten Ringe festgeschmiedet. Dieser Ring war drei Fuß vom Boden erhaben, folglich konnte ich links und rechts etwa drei Fuß breit Bewegung machen. Dann wurde mir um den nackten Leib ein handbreiter Ring angeschmiedet, welcher mit einer Kette an einer eisernen, armdicken Stange zusammenhing, die zwei Fuß lang war und an deren beiden Enden man meine Hände in zwei Schellen befestigte. Das ungeheure Halseisen wurde mir diesmal noch nicht angelegt und folgte erst im Jahre 1756.

Nun sagte kein Mensch gute Nacht, alles ging in schreckbarer Stille fort, und ich hörte nacheinander vier Türen mit fürchterlichem Gerassel zuschließen.

Schildern kann meine Feder nicht, was in dieser ersten Nacht in meinem Herzen, in meinen Entschließungen kämpfte und den letzten Entschluß zurückhielt. Ich sah wohl ein, daß dieses Schicksal mir nicht auf kurze Zeit bestimmt sei, weil mir der nächst ausbrechende Krieg zwischen Österreich und Preußen bekannt war, und das Ende mit Gelassenheit abzuwarten, schien mir unmöglich. Dabei hatte ich Ursache zu zweifeln, ob man sich am Ende noch in Wien für mich interessieren werde, weil ich Wien aus Erfahrung kannte, auch wußte, daß die, welche meine Güter daselbst geteilt hatten, gewiß alles Mögliche tun würden, um mir die Rückkehr zu wehren. Mit diesen Gedanken verfloß die Nacht. Der Tag erschien, aber nicht in seinem Glanze für mich. Dennoch konnte ich in der Dämmerung meinen Kerker betrachten.

Die Breite war acht und die Länge zehn Fuß. Neben mir stand ein Leibstuhl, und vier Ziegel waren in der Ecke in die Höhe gemauert, worauf ich sitzen und den Kopf an die Mauer anlehnen konnte. Dem Ringe in der Mauer gegenüber, an den ich angeschmiedet war, war ein künstliches Fenster in der sechs Fuß dicken Mauer angebracht, in der Form eines halben Zirkels, aber nur einen Fuß hoch und zwei im Diameter. Von innen ging die Öffnung aufwärts gemauert bis an die Mitte, woselbst ein enges Drahtgitter befestigt war. Dann lief die Abdachung gegen die Erde hinaus, wo man dieses Luftloch oder Fenster mit dicht aneinander stehenden eisernen Stangen ebenso wie inwendig versichert hatte.

Da nun mein Gefängnis in dem Graben des Hauptwalls gebaut, von hinten an denselben gelehnt, inwendig acht Fuß breit und die Mauer sechs Fuß dick war, so stieß das Fenster beinahe an die Mauer des zweiten Walles; folglich konnte von oben her gar keines, von unten auf aber nur der Widerschein des Tageslichts in meinen Kerker, besonders durch ein so enges Loch, hereinbrechen, welches dreimal mit Eisen und Gittern versehen war. Mit der Zeit wurde mein Auge aber dennoch so an diese Dämmerung gewöhnt, daß ich eine Maus konnte laufen sehen. Im Winter aber, wo die Sonne gar nicht in den Graben schien, war bei mir ewige Nacht. Inwendig war vor dem Gitter ein Fenster, wovon die mittlere Scheibe zum Luftloch geöffnet werden konnte.

Neben dem hölzernen Leibstuhl, der alle acht Tage ausgetragen wurde, stand ein Wasserkrug.

In der Mauer konnte man den Namen Trenck von roten Ziegeln ausgemauert lesen, und unter meinen Füßen lag ein Leichenstein mit dem Totenkopf, unter welchen ich begraben werden sollte, und mit meinem Namen bezeichnet. Mein Kerker hatte doppelte Türen von zwei Zoll dickem, eichenem Holze. Vor denselben war eine Art von Vorzimmer mit einem Fenster, und dieses abermals mit zwei Türen verschlossen.

Weil nun der Monarch ausdrücklich befohlen hatte, daß mir absolut aller Umgang, alle Gelegenheit, mit Schildwachen zu sprechen, sollte abgeschnitten werden, damit ich keinen mehr verleiten könne, und deshalb der Kerker undurchdringlich gebaut werden müsse, so war der Hauptgraben, in welchem mein Palast prangte, von beiden Seiten mit zwölf Fuß hohen Palissaden geschlossen, und den Schlüssel zu dieser fünften Türe allein hatte der wachhabende Offizier. Mir selbst blieb keine andere Bewegung übrig, als auf der Stelle, wo ich angeschmiedet war, zu springen, oder den oberen Leib so lange zu schütteln, bis mir warm wurde. Mit der Zeit, als ich mich an die schweren Fesseln gewöhnt, konnte ich auch Seitenbewegungen von vier Fuß machen, wobei aber die Schienbeine litten.

Das Gefängnis war binnen elf Tagen mit Gips und Kalk ausgemauert worden, und gleich wurde ich hineingebracht, wobei jedermann glaubte, daß ich den neuen Mauerndampf in einem ganz geschlossenen Loche nicht vierzehn Tage überdauern würde. Wirklich saß ich etwa sechs Monate beständig im Wasser, welches von dem ungeheuer dicken Gewölbe ebenda, wo ich stehen mußte, beständig auf mich herabträufelte. Ich kann auch meine Leser versichern, daß mein Leib binnen der ersten drei Monate gar nicht trocken wurde, und dennoch blieb ich gesund.

So oft man zur Visitation kam, und dies geschah täglich um Mittag nach Ablösung der Wache, mußte man vorher die Türen einige Minuten offen lassen, sonst löschte der erstickende Dunst der Mauer die brennenden Lichter in der Laterne aus.

Mein Vorsatz war, dem Unglück zu trotzen und meinen Sieg trotz allen Hindernissen selbst zu erringen. Der Ehrgeiz, mir dereinst diesen Sieg selbst zuzueignen, war vielleicht die stärkste Triebfeder zu diesem Entschluß, welcher endlich durch wiederholte Prüfungen bis zu dem Grade des echten Heldengeistes heranwuchs, dessen Sokrates im grauen Haare sich gewiß in solchem Gewichte nicht rühmen konnte. Er war alt, hörte auf zu empfinden und trank den Giftbecher gleichgültig. Ich hingegen war im Feuer der Jugend, und das Ziel schien auf allen Seiten weit entfernt, wo ich hinstrebte. Die gegenwärtige Art der wirklichen Leibes- und Seelenfoltern waren von solcher Art, daß ich von meinem Gliederbaue wahrscheinlich keine Dauer erwarten konnte.

Mit solchen Gedanken rang ich, als es Mittag war und mein Käfig zum erstenmal geöffnet wurde. Wehmut und Mitleid war auf jeder Stirne meiner Wächter gemalt. Niemand sprach ein Wort, auch nicht einmal guten Morgen, und fürchterlich war ihre Ankunft, weil sie mit den noch nicht gewöhnten ungeheuren Riegeln und Schlössern an den Türen etwa eine halbe Stunde rasselten, ehe die letzte geöffnet wurde.

Man trug meinen Leibstuhl hinaus, brachte eine hölzerne Bettstelle oder eine Pritsche herein, nebst einer Matratze und guten wollenen Decken; zugleich auch ein ganzes Kommißbrot von sechs Pfund, wobei der Platzmajor sagte: »Damit Sie sich nicht mehr über Hunger zu beklagen haben, wird man Ihnen Brot geben, so viel Sie essen wollen.« Man schloß die Türen zu und überließ mich meinem Schicksale.

Gott! wie kann ich die Wollust schildern, die ich im ersten Augenblicke empfand, als ich nach elfmonatlichem, wütendem Hunger mich zum erstenmal sattessen konnte. Kein Glück schien mir im ersten Genüsse vollkommener als dieses, und keine Mühle zermahlt die harten Körner geschwinder, als damals meine Zähne im Kommißbrot wühlten. Ich fraß, ich rastete, stellte Betrachtungen an, aß wieder, fand mein Schicksal schon erleichtert, vergoß Tränen, brach ein Stück nach dem andern ab, und noch eh' es Abend wurde, war mein Brot im Leibe.

Meine erste Freude dauerte aber nicht lange, und gleich lernte ich, daß ein übertriebener Genuß ohne Mäßigung Ekel hervorbringt. Mein Magen war durch so langen Hunger geschwächt, die Verdauung wurde gehemmt, der ganze Leib schwoll auf, mein Wasserkrug wurde leer, Krämpfe, Koliken und zuletzt Durst mit unglaublichen Schmerzen folterten mich bis zum andern Tage, und schon verfluchte ich die, welche ich kurz vorher deshalb segnete, weil sie mir satt zu essen gaben. Ohne Bett wäre ich in dieser Nacht gewiß verzweifelt. Meine grausamen Fesseln war ich noch nicht gewöhnt, die Kunst, in denselben zu liegen, hatte ich noch nicht so gelernt, wie sie mir endlich Zeit und Gewohnheit lehrten. Ich konnte mich wenigstens auf trockener Matratze sitzend krümmen. Diese Nacht war aber dennoch eine der grausamsten, die ich erlebt habe. Am folgenden Tage, da man meinen Kerker öffnete, fand man mich in einem erbärmlichen Zustande, wunderte sich über meinen Appetit und trug mir ein anderes Brot an. Ich protestierte, weil ich keines mehr zu bedürfen glaubte. Dennoch ließ man eins holen, gab mir zu trinken, zuckte die Achseln, wünschte mir Glück, weil ich allem Aussehen nach nicht lange mehr leiden würde, und schloß die Türen wieder zu, ohne zu fragen, ob ich anderer Hilfe bedürfe.

Drei Tage verflossen, bis ich wieder den ersten Bissen Brot essen konnte. Indessen war die sonst starke, standhafte Seele im kranken Leibe kleinmütig, und mein Tod wurde beschlossen.

Ich fand tausend Gründe, die mich überzeugten, daß es nunmehr Zeit sei, meinen Leiden ein Ende zu machen. Und da mich niemand gefragt hat, ob ich in die Welt kommen und geboren sein wollte, so glaubte ich auch, daß ich vollkommen berechtigt sei, gleichfalls, ohne jemand zu fragen, dieselbe zu verlassen, sobald mein Hiersein unerträglich wurde. Dennoch wollte ich den ersten Regungen eines verzweifelten Schmerzes mit aller möglichen Vernunft ausweichen und mir selbst Zeit lassen, alle Gründe und Gegensätze mit kaltem Blute abzuwiegen. Deshalb beschloß ich, noch acht Tage zu warten, bestimmte aber den 4. Juli zu meinem unfehlbaren Sterbetage.

Indessen sann ich auf alle mögliche Mittel, mir eigenmächtig zu helfen, oder in den Bajonetten meiner Wächter die Seele auszuhauchen.

Gleich am folgenden Tage wurde ich bei Öffnung meiner vier Türen gewahr, daß sie nur von Holz waren, und der Gedanke fiel mir ein, mit meinem aus der Citadelle glücklich herübergebrachten Messer die Schlösser auszuschneiden, sodann aber weiter meine Rettung zu versuchen. Wäre dann kein Mittel, dann sei es erst Zeit, den Tod zu wählen.

Nun ward sogleich der Versuch gemacht, ob es möglich sei, mich von meinen Eisen zu befreien.

Die rechte Hand brachte ich glücklich durch die Schelle, obgleich das Blut unter den Nägeln gerann, die linke aber konnte ich nicht herausbringen. Ich wetzte aber mit einigen Stücken Ziegelsteinen, die ich von meinem Sitze losschlug, so glücklich an dem nur nachlässig verschmiedeten Stifte der Handschelle, daß ich selbigen herausziehen und auch diese Faust befreien konnte.

An dem Ringe um den Leib war nur ein Haken mit der Kette an der Armstange befestigt; ich stemmte die Füße gegen die Wand und konnte ihn aufbiegen. Nun blieb mir noch die Hauptkette zwischen Mauer und Fuß übrig, ich drehte dieselbe übereinander — Kräfte hatte mir die Natur gegeben — sprengte mit Gewalt von der Mauer weg, und zwei Gelenke zersprangen auf einmal.

Von Fesseln frei, glaubte ich mich schon glücklich, schlich zur Türe, suchte im Dunkeln die Spitzen der durchgeschlagenen Nägel um das auswendig befestigte Schloß und fand, daß ich eben kein großes Stück Holz auszuschneiden hatte, um diese zu eröffnen. Gleich nahm ich mein Messer zur Hand, schnitt unten am Gerüste ein kleines Loch durch und fand die eichenen Bretter nur einen Zoll dick, folglich die Möglichkeit, alle vier Türen in einem Tage zu öffnen.

Hoffnungsvoll eilte ich nun zu meinen Eisen, um sie wieder anzulegen; doch, ach Gott! was waren hier für Schwierigkeiten zu übersteigen!

Das zersprungene Gelenk fand ich nach vielem Herumtappen und warf es in den Abtritt. Mein Glück war, daß man bis dahin gar nicht visitiert hatte, auch bis zum Tage der Unternehmung selbst nichts visitierte, weil man keine Möglichkeit zur Flucht vermutete. Ich band also mit einem Stück von einem Haarbande die Kette zusammen.

Da aber die Hand wieder in die Schelle zurücksollte, war sie vom gewaltsamen Ausziehen geschwollen, und aller Versuch unmöglich. Die ganze Nacht wurde auch an diesem Stifte gewetzt, der aber so stark verschmiedet war, daß alle Arbeit vergebens blieb.

Der Mittag, die Visitierstunde erschien, die Not, die Gefahr war da; der Versuch wurde erneuert, die Hand hineinzuzwingen; endlich gelang es mit Foltermartern, und man fand beim Hereintreten alles in Ordnung.

Den 4. Juli wurde kaum die Türe nach dem Visitieren geschlossen, so war auch schon die Hand aus der Schelle hinaus und alle Fesseln glücklich abgelegt. Sogleich ergriff ich mein Messer und fing die Herkulesarbeit an den Türen an. In weniger als einer Stunde war sie offen, weil sie einwärts aufging und die Querstange nebst dem Schlosse von außen hängen blieb.

Aber, o Gott! wie schwer ging es bei der zweiten! Das Schloß war bald umschnitten, aber da die Querstange an demselben befestigt war und die Türe hinaus geöffnet werden mußte, war kein anderes Mittel übrig, als sie über der Stange ganz durchzuschneiden.

Auch dieses wurde durch eine unglaubliche Arbeit möglich gemacht, und diese fiel mir desto schwerer, weil alles im Finstern allein durch Greifen bewerkstelligt werden mußte. Meine Finger waren alle wund, der Schweiß floß auf den Boden, und das rohe Fleisch blutete in den Händen.

Nun fand ich das Tageslicht. Ich stieg über die halbe Türe, im Vorgemache war ein offenes Fenster, ich kletterte hinauf und sah, daß mein Kerker im Hauptgraben des ersten Walles gebaut war. Ich sah vor mir den Aufgang auf denselben und die Wache etwa fünfzig Schritte von mir, auch die hohen Palissaden, die noch im Graben vor meinem Kerker zu übersteigen waren, ehe ich auf den Wall kriechen konnte. Meine Hoffnung wuchs und meine Arbeit verdoppelte sich, als ich zur dritten Türe griff, die wie die erste inwendig aufging, folglich nur die Umschneidung des Schlosses erforderte. Die Sonne ging unter, als ich auch mit dieser fertig war; die vierte mußte eben wie die zweite in der Quere durchschnitten werden, meine Kräfte hatten mich aber bereits verlassen, und das rohe Fleisch in beiden Händen machte mir alle Hoffnung schwinden.

Nachdem ich eine Weile gerastet, wurde dennoch auch diese angegriffen; wirklich war bereits etwa ein Fuß lang der Schnitt fertig, als mein Messer zerbrach und die Klinge hinausfiel.

Allsehender Gott! was war ich in diesem schrecklichen Augenblicke! Fand sich wohl jemals eines deiner Geschöpfe mehr gerechtfertigt als ich zur Verzweiflung? Der Mond schien hell, ich sah durch das Fenster mit starrem Blick den Himmel an, fiel auf meine matten Knie, suchte neuen Mut und Trost und fand keinen, weder in der Religion, noch in der Weltweisheit.

Ohne der Vorsehung zu fluchen, ohne mindeste Furcht vor meiner Vernichtung, noch vor der Gerechtigkeit eines Gottes, der unsres Schicksals Schöpfer ist, und der mir auch nur menschliche Kräfte in Vorfällen gegeben hatte, welche diese Kräfte weit überwiegen, empfahl ich mich dem möglichen Richter der Toten, ergriff das Stück meines Messers, durchschnitt mir die Adern am linken Arm und Fuße, setzte mich ruhig in den Winkel meines Kerkers und ließ mein Blut rieseln. Eine Ohnmacht bemeisterte sich meiner Sinne, und ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustande sanft geschlummert habe.

Auf einmal hörte ich meinen Namen rufen, erwachte, und abermals rief man draußen: »Baron Trenck!«

Meine Antwort war: »Wer ruft?« Und wer war es? Mein redlicher Grenadier Gefhardt, der mir auf der Zitadelle alle Hilfe versprochen hatte.

Dieser rechtschaffene Mann war über mein Gefängnis auf den Wall hingeschlichen, um mich zu trösten.

Er fragte: »Wie geht's ?« Ich antwortete, nachdem er sich zu erkennen gegeben: »Ich liege im Blute, morgen findet Ihr mich tot.« — »Was, sterben ?« erwiderte er. »Hier ist es viel leichter für Sie, zu entfliehen, als auf der Zitadelle. Sie haben gar keine Schildwache, und ich werde schon Mittel finden, Ihnen Instrumente zuzustecken. Können Sie sich nur herausbrechen, für das übrige lassen Sie mich sorgen. So oft ich hier auf der Wache bin, will ich Gelegenheit suchen, mit Ihnen zu sprechen. In der ganzen Sternschanze steht nur eine Schildwache vor der Wache und eine am Schlagbaum. Verzweifeln Sie nicht! Gott wird Ihnen noch helfen! Verlassen Sie sich auf mich.«

Nach einer kurzen Unterredung wuchs mein Mut. Ich sah noch Möglichkeit zur Rettung, eine geheime Freude durchwühlte meine Seele. Gleich zerriß ich mein Hemd, verband meine Wunden und erwartete den Tag, der bald hernach mit heiterer Sonne heranbrach.

Nun hatte ich noch Zeit bis Mittag, zu überlegen, was ferner zu tun sei. Was war anders für mich zu erwarten, als daß ich noch ärger mißhandelt und eingeschmiedet werden müsse, als bisher geschehen war, sobald man meine zerschnittenen Türen und zernichteten Fesseln finden würde.

Nach reiflicher Überlegung faßte ich also folgenden Entschluß, der mir glücklich und wider alles Vermuten gelang. Ehe ich aber diesen erzähle, will ich nur einige Worte von meinem damaligen Zustande vortragen.

Meine Mattigkeit kann ich niemand schildern. Das Blut schwamm im Gefängnisse, und sicher war nur noch wenig in meinen Adern übrig. Die Wunden schmerzten, die Hände waren von der ungeheuren Arbeit starr und geschwollen, und ohne Hemd stand ich da, weil es zur Verbindung meiner Adern dienen mußte. Der Schlaf überfiel mich, und kaum hatte ich Kräfte übrig, aufrecht zu stehen. Indessen mußte ich wachen, um meinen Plan auszuführen.

Mit meiner eisernen Armstange stieß ich nun die Ziegelbank, worauf ich saß, leicht auseinander, weil sie noch ganz neu gemauert war, und alle Steine legte ich mitten in mein Gefängnis.

Die inwendige Türe war ganz offen. Die obere Hälfte der zweiten verstrickte ich an Angeln und Schlosse mit meinen Ketten, so daß keiner hinübersteigen konnte.

Als nun der Mittag herankam, und man die äußere Tür öffnete, erschrak jedermann, daß die andre offen war. Man trat in das Vorgemach mit Erstaunen. Nun stand ich an der inneren Türe in der fürchterlichsten Gestalt, mit Blut bedeckt, wie ein Verzweifelter da, hielt in einer Hand einen Stein, in der andern das zerbrochene Messer und rief: »Zurück, zurück, Herr Major! Sagen Sie dem Kommandanten, daß ich nicht länger in Ketten leben will. Er soll mich hier totschießen lassen! Herein kommt kein Mensch! Ich werfe und schlage fünfzig Mann tot, eh' einer hereinkommen kann, und für mich bleibt mir mein Messer. Sterben will ich hier, und das trotz Ihrer Gewalt.«

Der Major erschrak, konnte sich zu nichts entschließen und ließ den Vorfall dem Kommandanten melden. Indessen setzte ich mich auf meinen Steinhaufen und erwartete mein ferneres Schicksal. Mein geheimer Entschluß zielte aber damals wirklich nicht mehr auf Verzweiflung, sondern nur auf eine gute Kapitulation.

Gleich darauf erschien der Kommandant General von Borck nebst dem Platzmajor und einigen Offizieren. Er trat in das Vorgemach, sprang aber gleich zurück, sobald er mich zum Wurf bereit erblickte. Ich wiederholte, was ich dem Major gesagt hatte, und nun befahl er sogleich den Grenadieren, die Türe zu stürmen. Das Vorgemach war kaum sechs Fuß breit, und nicht mehr als einer oder zwei konnten meine Verschanzung zugleich angreifen. Sobald ich aber den Arm aufhob, um mein Bombardement mit Steinen anzufangen, sprangen sie wieder zurück. Endlich war eine kurze Stille, nach welcher der alte Platzmajor an die Türe trat und nebst einem Feldprediger mich zu beruhigen suchte. Die Unterredung dauerte lange, wer aber von uns die besten Gründe vorbrachte, dieses überläßt meine Feder dem Urteile der Leser.

Der Kommandant wurde unwillig und gab Befehl zum Angriff. Der erste Grenadier lag gleich auf der Erde, die andern aber sprangen vor dem Steinregen zurück und hinaus.

Der Platzmajor trat noch einmal herein mit den Worten: »Um Gottes willen, lieber Trenck! Was hab' ich an Ihnen verschuldet, daß Sie mich unglücklich machen wollen? Ich allein muß es verantworten, daß Sie durch meine Unvorsichtigkeit aus der Zitadelle ein Messer mit herübergebracht haben. Beruhigen Sie sich, ich bitte Sie! Sie sind noch nicht ohne Hoffnung, noch ohne Freunde.«

Meine Antwort war: »Aber wird man mich nicht noch ärger mit Fesseln belegen als bisher?« — Er ging hinaus, sprach mit dem Kommandanten und versicherte mir aufs Ehrenwort, der ganze Vorfall sollte nicht weiter gemeldet werden und alles beim alten bleiben.

Hiermit war nun die Kapitulation geschlossen und meine Verschanzung überstiegen. Man sah meinen Zustand wirklich mit Menschenliebe und Mitleid an, visitierte die Wunden, ließ einen Feldscher holen, der mich verband, gab mir ein anderes Hemd und ließ Blut und Steine wegräumen. Indessen lag ich wirklich halb entseelt auf dem Bette. Mein Durst war grausam, man labte mich auf des Chirurgen Rat mit Wein; zwei Schildwachen wurden in das Vorgemach gestellt, und so ließ man mich ohne Eisen vier Tage lang ruhig liegen. Man gab mir auch täglich eine Fleischsuppe zur Labung, wie mich aber diese erquickte, kann meine Feder nicht schildern.

Zwei Tage hindurch lag ich im immerwährenden Schlummer und mußte, sobald ich erwachte, trinken, ohne jemals den Durst zu löschen. Füße und Hände waren aufgeschwollen und meine Schmerzen im Rücken und in den Gliedern fast unerträglich.

Am fünften Tage waren die Türen fertig, wovon die innere ganz mit Eisen beschlagen wurde. Man schmiedete mich aber so wie zuvor in die Eisen, vermutlich weil man keine grausameren notwendig fand; allein die zersprengte Hauptkette an der Mauer war stärker als die erste. Man hielt aber im übrigen redlich Wort, was in unserer Kapitulation versprochen war, und bedauerte wirklich mit Wehmut daß man laut königlicher Order mein Schicksal nicht lindern dürfe, wünschte mir viel Standhaftigkeit und Geduld und schloß die Türen zu.

Nun muß ich aber auch meinen Lesern die Art meiner Kleidung schildern. Weil die Arme an einer Stange festgeschmiedet waren und die Füße an der Mauer, so konnte ich weder Hemd noch Hosen ordentlich anziehen, es wurde mir also das erstere mit offenen Nähten überall zusammen gebunden, und dieses geschah alle vierzehn Tage. Die Hosen aber waren auf beiden Seiten zum Zuknöpfen. Ein blauer Kittel von grobem Kommißtuche, der gleichfalls zusammengebunden werden mußte, bedeckte meinen Leib; ein Paar wollene Kommißstrümpfe und ein Paar Pantoffeln dienten für die Füße. Die Hemden waren von Musketierleinwand.

Nach dieser fehlgeschlagenen Unternehmung zur Flucht und wirklich wunderbaren Erhaltung meines Lebens fing ich erst gründlich zu moralisieren an, und je tiefer ich nachsann, je mehr Trostgründe fand ich in mir selbst, je mehr Standhaftigkeit, meine Leiden zu ertragen, und günstigere Gelegenheit zur Rettung abzuwarten.

Mein ehrlicher Grenadier Gefhardt hatte mich mit frischer Hoffnung beseelt. Ich beschäftigte mich demnach mit Denken und neuen Plänen, um mir eigenmächtig zu helfen. Man hatte mir, um mich näher zu beobachten, eine Schildwache vor die Türe gesetzt, und hierzu wurden allezeit die sogenannten Vertrauten oder verheirateten Landeskinder gewählt, die ich aber, wie die Folge meiner Geschichte erweisen wird, leichter und sicherer zu meinem Beistande überreden konnte, als fremde Flüchtlinge.

Indessen fing ich an, mich an meine im Anfange unerträglichen Fesseln allgemach zu gewöhnen. Ich lernte meine langen Haare auskämmen, und endlich sogar sie mit einer Hand zu binden. Mein Bart, der nie rasiert wurde, hatte mir bereits in so langer Zeit ein fürchterliches Aussehen gegeben. Ich fing an, ihn auszurupfen. Die Schmerzen waren empfindlich, besonders um den Mund herum. Aber auch dieses wurde Gewohnheit, und in den folgenden Jahren alle sechs Wochen oder zwei Monate bewerkstelligt, weil die ausgewurzelten Haare wenigstens einen Monat bedürfen, ehe sie von neuem hervorkeimen, und ebenso lange, bis man sie wieder mit den Nägeln ausreißen kann.

Ungeziefer hat mich nie gequält, die große Feuchtigkeit von der Mauer muß ihrer Entstehung zuwider gewesen sein. Geschwollen war ich auch nie, weil ich mir Bewegungen, wie bereits oben gemeldet, zu verschaffen wußte. Die einzige immerwährende Dämmerung war mir unerträglich.

Übrigens hatte ich zuvor viel in der Welt gelesen, gelernt, auch bereits gesehen und erfahren, folglich fand ich allezeit Stoff, meine Gedanken von Schwermut zu entfernen, und durchdachte den meinen Ideen sich ungefähr vormalenden Gegenstand in eben der Verbindung und in aller seiner Ausdehnung ebenso tiefsinnig, als ob ich dieselbe in einem Buche durchlese oder auf dem Papiere niederschrieb.

Gewohnheit brachte mich endlich so weit in der Denkkraft, daß ich ganze Reden, auch Fabeln, Gedichte und Satiren komponierte, sie laut redend in mir selbst wiederholte, zugleich auch meinem Gedächtnisse dergestalt einprägte, daß ich nach erlangter Freiheit imstande war, gegen zwei Bände solcher künstlerischer Arbeit aus meinem Kopfe niederzuschreiben.

So gewöhnt an Kopfarbeiten ohne Feder noch Papier, verflossen mir die Trauertage wie Augenblicke. Und die Folge meiner Erzählung wird zeigen, wie eigentlich diese Arbeit mir auch im Kerker Achtung und Freunde, endlich auch die Erlaubnis, auf Papier zu schreiben, Licht und sogar die Freiheit zuwege brachte.

Alles dieses habe ich meinen in der Jugend durch strengen Fleiß erarbeiteten Wissenschaften zu danken. Ich rate demnach allen meinen Lesern treulich, ihre Zeit ebenso wie ich anzuwenden. Reichtümer, Ehrenstellen und Glücksgüter kann jeder Monarch auch den nichtswürdigsten und unfähigsten Menschen geben, auch wieder willkürlich wegnehmen und in nichts verwandeln, aber mit aller Fürstenmacht keinen Gelehrten noch Rechtschaffenen machen, hingegen aber auch dem das nicht nehmen, was er ihm nicht geben kann.

Der Hauptgrund zu meiner Erhaltung war die Liebe. Ich hatte einen Gegenstand in Österreich hinterlassen und wollte noch für ihn in der Welt leben. Mein Gedicht im zweiten Bande meiner Schriften, »Der gefangene Dämon an Doris« betitelt, erweist, wie stark diese Leidenschaft in mir wirkte. Ich wollte meinen Gegenstand weder verlassen noch betrüben. Mein Dasein war ihr und meiner Schwester noch nützlich, die für mich so viel gewagt, gelitten und verloren hatte. Für diese beiden Personen wollte ich also mein Leben erhalten, für diese war mir kein Schicksal unübersteiglich, keine Geduld unerträglich — aber ach! da ich nach zehn Jahren meine Freiheit wirklich erhielt, fand ich beide schon im Grabe und genoß die Freude nicht mehr, für deren Erwartung allein ich soviel ertragen habe.

Ungefähr drei Wochen nach meiner letzten Szene, wo ich zu entfliehen suchte, kam mein ehrlicher Gefhardt zum erstenmal zu mir auf die Schildwache, und eben hierdurch erreichte ich meinen Zweck, um auswärtige Hilfe zu finden, ohne welche alle Rettung unmöglich war.

Kaum war mein Gefhardt zum erstenmal bei mir auf dem Posten, so hatten wir freie Gelegenheit zur Unterredung; denn wenn ich mit einem Fuße auf dem Bettkasten stand, reichte mein Kopf bis an das Luftloch im Fenster. Er schilderte mir nun die ganze Lage meines Kerkers, und der erste Entwurf wurde gemacht, mich unter den Fundamenten desselben, die er bauen gesehen und mir zwei Fuß tief beschrieb, auszubrechen.

Vor allen Dingen mußte ich Geld haben. Dieses wurde auf folgende Art bewerkstelligt: Er steckte mir nach der ersten Ablösung einen Draht zu, nebst einem Blatte Papier, welches um denselben gewickelt war, dann ein Stück dünnen Wachsstock, welches alles recht gut durch mein Drahtgitter hineinging. Schwefel, Licht und ein Stück brennender Schwamm kam auch glücklich durch, eine Feder gleichfalls. Hier hatte ich nun Licht, stach mich in den Finger, und mein Blut diente zur Tinte.

Hier schrieb ich nun nach Wien an meinen echten Freund, den damaligen Hauptmann von Ruckhardt, schilderte mit wenig Worten meinen Zustand, assignierte ihm dreitausend Gulden an meine Kasse und veranstaltete die Sache auf folgende Art: Er sollte tausend Gulden zur Reise behalten und den 15. August positiv in Glimmern, einem sächsischen Städtchen, nur zwei Meilen von Magdeburg gelegen, eintreffen. Daselbst sollte er an eben diesem Tage um die Mittagsstunde sich mit einem Briefe in der Hand sehen lassen. Ein Mensch würde ihm daselbst begegnen, welcher eine Rolle Rauchtabak in der Hand tragen würde. Diesem sollte er zweitausend Gulden in Gold einhändigen und dann wieder nach Wien zurückkehren.

Gefhardt erhielt eben diese Instruktion und bekam meinen Brief auf eben die Art durch das Fenster, wie er mir das Papier hineingesteckt hatte, schickte sein Weib mit demselben nach Glimmern und bestellte ihn glücklich auf der Post.

Nun stieg mein Mut mit jedem Tage, und so oft Gefhardt auf den Posten zu mir kam, wurden alle möglichen Anschläge gemacht und alle Vorkehrungen zur Flucht getroffen.

Endlich erschien der 15. August. Es verflossen etliche Tage, ehe er wieder Schildwache bei mir stand. Wie hüpfte aber mein Herz, als er mir auf einmal zurief: »Alles ist glücklich von statten gegangen.«

Als er abends wiederkam, wurde nun alles verabredet, auf welche Art er mir das Geld zustecken könne.

Ich konnte bis an das Drahtgitter mit zusammengefesselten Händen nicht greifen, das Luftloch war auch zu klein. Es wurde also beschlossen, bei nächster Wache sollte er Kalfakterdienste verrichten, dann aber bei Füllung meines Wasserkruges das Geld hinein- und mir zustecken.

Dieses wurde glücklich vollzogen. Aber wie erstaunte ich, als ich in demselben anstatt tausend Gulden die ganze Summe von zweitausend fand, wovon ich ihm doch die Hälfte zu nehmen erlaubt hatte.

Nur fünf Pistolen fehlten, und er wollte absolut nicht mehr annehmen, weil er genug zu haben glaubte.

Ehrlicher Mann! Und das tat ein pommerischer Grenadier! Wie seltsam ist dein Beispiel! Dein Name sei auch mit meinen Schriften, mit meinem Schicksale verewigt, denn nie fand ich in meiner großen Welterfahrung eine so große, uneigennützige Seele!

In der Folge habe ich ihn dennoch, aber mit Mühe, überredet, die tausend Gulden ganz anzunehmen. Meine Geschichte wird aber erzählen, daß er sie nicht genossen hat und daß sein dummes, treuloses Weib sich selbst etliche Jahre nachher unglücklich machte. Sie selbst litt aber allein, er hingegen gar nichts, weil er zu eben der Zeit im Felde stand und ungestraft davonkam.

Nun hatte ich Geld, um meine Anschläge auszuführen. Es wurde also der erste Plan gemacht, mich unter den Fundamenten des Gefängnisses auszubrechen.

Dieses geschah auf folgende Art: Zuerst mußte ich frei von Ketten sein, Gefhardt steckte mir ein paar feine Feilen zu. Die Kapsel an der Fußschelle war so weit gemacht, daß ich sie etwa einviertel Zoll vorwärts ziehen konnte; nun feilte ich inwendig das hineinpassende Eisen aus. Je tiefer ich dieses ausschnitt, je weiter zog sich die Kapsel herab, bis endlich das ganze inwendige Eisen, wo die Kette durchlief, ganz durchschnitten war. Dann zog ich dasselbe samt den Fesseln heraus und war hierdurch frei, weil die Schelle aufging; die Kapsel hingegen blieb auswendig ganz. Hierdurch wurden die Füße von der Mauer frei, und es wäre unmöglich, bei genauester Visitation den Schnitt zu finden, weil man nur das Äußere beleuchten und untersuchen konnte. Die Hände zwang ich alle Tage durch Zusammendrückung biegsamer, und brachte sie beide glücklich aus den Schellen. Dann umfeilte ich das verschmiedete Gewinde, machte mir von einem aus dem Boden gezogenen fußlangen Nagel einen Schlüssel und wand damit nach Belieben die Schrauben auf und zu, so daß man beim Visitieren nicht das mindeste merken konnte. Der Ring um den Leib hinderte mich an nichts. An der Kette aber, welche denselben an der Armstange befestigte, wurde ein Stück in der Mitte eines Gelenkes ausgeschnitten, das nächste anschließende an einem Orte dünner geschliffen, so daß ich es durchstreifen konnte. Auf diese Art war ich von Fesseln frei. Mittags, wenn man visitierte, rieb ich etwas nasses Kommißbrot auf dem rostigen Eisen, um ihm die Farbe desselben zu geben, dann schloß ich das offene Gelenk mit diesem Teige, ließ ihn an dem warmen Leibe über Nacht trocken werden und bestrich hernach den Ort mit Speichel, um ihm den Eisenglanz zu geben. Durch diese Erfindung war es unmöglich, den durchgeschnittenen Ort zu kennen, so daß ich mit jedermann wetten will, daß, ohne mit dem Hammer auf jedes Gelenk zu schlagen, niemand sehen kann, welches zerbrochen ist.

Nun konnte ich mich losmachen, wie ich wollte. Das Fenster wurde nie visitiert. Ich machte also die beiden Haken los, womit es in der Mauer befestigt war, die aber alle Morgen wieder eingesteckt und wohl mit Kalk verstrichen wurden; dann ließ ich mir Eisendraht von meinem Freunde zustecken und versuchte, ob ich ein neues Drahtgitter flechten konnte. Auch dieses brachte ich zustande; folglich schnitt ich in der Mitte der Fenstermauer, wohin man nie sah, das ganze Gitter aus und lehnte das meinige an die Stelle. Hiermit war meine Kommunikation mit den Schildwachen offen, und ich erhielt frische Luft im Kerker. Dann ließ ich mir alle erforderlichen Instrumente zustecken, erhielt auch Licht und Feuerzeug, hing meine Decke inwendig vor das Fenster, damit man kein Licht brennen sah, und konnte folglich inwendig arbeiten, wie ich wollte, weil von außen niemand hineinsehen konnte.

Endlich, nachdem alles veranstaltet war, griff ich zum Werke.

Der Fußboden meines Kerkers war nicht von Stein, sondern von drei Zoll dicken eichenen Brettern, wovon man die obere Lage nach der Länge, die andere über die Quere und die dritte wie die obere übereinander gelegt hatte. Folglich war der Boden, das Holzwerk, neun Zoll dick, und mit halben Zoll breiten und etwa einen Fuß langen Nägeln ineinander befestigt.

Wenn ich nun oben um den Kopf herum ein wenig Luft machte, so diente meine eiserne dicke Stange zwischen den Händen am besten, dieselben herauszuheben. Schliff ich sie sodann auf meinem Leichensteine, so war der beste Meißel fertig, um die Bretter zu durchschneiden.

Nun wagte ich den ersten Schnitt, der aber oben über einen Zoll breit werden mußte, um in der Tiefe zu arbeiten.

Sobald dieses geschehen, zog ich das Stück Brett, welches gegen zwei Zoll unter die Mauer reichte, heraus, beschnitt es sodann von unten so weit, daß es oben genau zusammenpaßte, schmierte die Risse mit Brot zu, streute Staub darüber und fand, daß es unmöglich war, sie beim Visitieren zu bemerken.

Hierauf arbeitete ich unten her mit weniger Vorsichtigkeit und wurde mit diesem dreifachen Boden fertig.

Hier fand ich nun einen feinen weißen Sandgrund, auf welchem die ganze Sternschanze gebaut ist.

Die Menge von Holzsplittern wurde sehr mühsam und sorgfältig unter den untern Brettern eingeteilt und versteckt.

Ohne auswärtige Hilfe konnte ich nun keine weitere Arbeit anfangen; denn wenn man einen lange Jahre festgelegenen Grund durchwühlt, bringt man das nie in die Öffnung zurück, was hinausgeworfen wurde.

Mein Grenadier mußte mir also etliche Ellen Leinwand zustecken. Hiervon machte ich mir sechs Fuß lange Würste, welche zwischen den eisernen Stangen durchgezogen werden konnten. Diese füllte ich mit Sand, und so oft Gelegenheit in der Nacht war, und mein Gefhardt auf der Schildwache stand, schob ich sie hinaus, welcher diese vorsichtig leermachte und hin und wieder unmerklich ausstreute.

Sobald ich Luft hatte, ließ ich mir alle erforderlichen Instrumente zustecken, ja sogar Pulver und Blei, auch ein paar Sackpistolen, Messer und ein Bajonett. Alles dieses fand sichern Raum unter dem Fußboden.

Dann fand ich aber, daß die Fundamente meines Kerkers nicht zwei, sondern vier Fuß tief lagen.

Um nun so tief hinunter zu steigen, die Fundamente unten zu durchwühlen und dann wegzubrechen, war Zeit, Arbeit und Vorsicht nötig, um nicht gehört zu werden. Alles wurde aber dennoch möglich gemacht.

Das Loch, wo ich so tief hinuntersteigen mußte, war also vier Fuß tief, und mußte so weit sein, daß ich in demselben knieen, arbeiten und mich bücken konnte. Was dieses für Mühe erforderte, um oben auf dem Boden zu liegen und dann vier Fuß tief den Kopf und Leib hinunterzubeugen, um den Sand mit den Händen hinauszuwerfen, dieses ist unbeschreiblich und erfordert Versuche, um sich einen Begriff davon zu machen. Inzwischen mußte es dennoch täglich, wenn ich arbeitete, geschehen, um an die Fundamente zu kommen. Bei der Visitation war aber alles wieder hineingeworfen, und, um alles von außen, auch meine Ketten, wieder in Ordnung zu bringen, brauchte ich gewiß etliche Stunden Zeit. Das Beste war, daß ich mir einen Vorrat von Licht und Wachsstöcken angeschafft hatte. Da aber mein Gefhardt öfters nur in vierzehn Tagen zu mir auf Posten kam, so verzögerte sich meine Arbeit gewaltig; und da das Sprechen allen Schildwachen bei Galgenstrafe verboten war, wollte ich nicht wagen, einen neuen Freund zur Hilfe zu suchen, um nicht verraten zu werden.

Indessen litt ich in diesem Winter ohne Ofen gewaltige Kälte. Mein Herz war aber fröhlich, weil ich Aussicht zur Rettung hatte, und jedermann erstaunte über meine Munterkeit.

Gefhardt steckte mir auch Mundprovision, meistens in geräucherten Würsten und Fleisch, zu. Dieses stärkte meine Kräfte. Und wenn ich nicht in der Mauer arbeitete, so hatte ich Papier und Licht, schrieb, dichtete und machte Satiren. Folglich verfloß die Zeit, und ich war auch im Kerker vergnügt.

In dieser schlummernden Zufriedenheit ereignete sich aber ein Zufall, welcher beinahe alle meine Hoffnung vereitelt hätte, und dessen Erzählung fast unglaublich scheinen wird.

Gefhardt hatte mit mir gearbeitet. Eben in der Morgenstunde, da er abgelöst wurde, und ich mein Fenster wieder einsetzen und befestigen wollte, fiel mir dasselbe aus den Händen, und drei Scheiben zerbrachen.

Vor der Ablösung kam er nicht mehr auf den Posten. Es war auch nicht mehr Zeit, mit ihm zu sprechen und Pläne zu machen. Ich saß also wohl eine Stunde in Verzweiflung und in tausend Entwürfen betäubt da; denn sicher hätte man sogleich das zerschlagene Fenster gesehen, wohin ich in Fesseln gar nicht reichen konnte, folglich weiter visitiert und das eingesetzte und nur angelehnte Drahtgitter gefunden.

Ich faßte also den Entschluß, und da eben die Schildwache an meinem Fenster sich mit Pfeifen beschäftigte, redete ich dieselbe mit folgenden Worten an: »Kamerad, habt Mitleid, nicht mit mir, sondern mit Eurem Kameraden, der unfehlbar gehenkt wird, wenn Ihr mir nicht beisteht. Für einen geringen Dienst will ich Euch gleich dreißig Pistolen aus dem Fenster hinauswerfen – –«

Er schwieg eltliche Augenblicke, dann sagte er ganz leise: »Hat Er denn Geld?«

Gleich zählte ich dreißig Pistolen und warf sie ihm hinaus.

Nun war die Frage, was zu tun sei?

Ich erzählte mein Unglück mit dem Fenster und steckte ihm in Papier das Maß zu, wie groß die Scheiben geschnitten sein müßten. Zum Glück war der Kerl entschlossen und witzig, und die Palissadentüre im Graben am Tage durch Gleichgültigkeit des Offiziers nicht verschlossen. Er ließ sich von einem Kameraden auf eine halbe Stunde ablösen, lief in die Stadt und steckte mir kurz vor seiner Ablösung die Scheiben glücklich zu, wofür ich ihm noch zehn Pistolen hinauswarf.

Bei der Visitation zu Mittag war nun alles wieder in Ordnung, mein Glaserhandwerk meisterlich vollbracht und mein redlicher Gefhardt gerettet.

So vermag Geld alles in der Welt, und gewiß ist dieser Vorfall einer der merkwürdigsten in meiner Geschichte. Den Mann, welcher mir diesen großen Dienst leistete, hab' ich nie wieder gesprochen.

Wie bange indes dem Gefhardt gewesen, ist leicht zu erachten. Er kam nach eltlichen Tagen wieder auf den Posten zu mir und erstaunte über den glücklichen Ausgang noch mehr, da er den Mann, der ihn damals abgelöst, kannte, welcher fünf Kinder hatte und der vertrauteste alte Mann in der Kompagnie war.

Nun ging die Arbeit vorwärts. Die Fundamente wurden von unten her leicht weggebrochen. Gefhardt war aber durch diesen Vorfall so schüchtern geworden, daß er tausend Schwierigkeiten und Einwendungen fand, je mehr sich mein Loch seinem Ausbruche näherte und ich die Anstalten zur Flucht mit ihm vorkehren und verabreden wollte. Er bestand absolut darauf, ich bedürfe äußerer Hilfe, um sicher fortzukommen und nebst ihm nicht unglücklich zu werden. Es wurde also folgendes beschlossen, welches aber eben meine Anschläge und saure achtmonatige Arbeit vernichtete.

Ich schrieb abermals nach Wien an meinen Freund Ruckhard, assignierte ihm Geld und bat ihn, er solle abermals in Gummern erscheinen und dann zu bestimmter Zeit sechs Tage nacheinander mit zwei leeren Reitpferden an dem Glacis bei Kloster Bergen in der Nacht bereitstehen, um mir weiter zu helfen. Alles sei zu meiner Flucht fertig.

Binnen dieser sechs Tage nun hätte Gefhardt schon Mittel gefunden, den Posten bei mir zu erhalten oder zu tauschen; folglich lebte ich nunmehr, aber leider nur drei Tage lang, in der süßesten und sichersten Hoffnung.

Aber ach! es war meine Rettung noch nicht von der Vorsehung beschlossen. Gefhardt schickte sein Weib nach Gummern mit dem Briefe. Dieses dumme Weib sagte dem Postmeister, ihr Mann habe einen Prozeß in Wien, und er möchte die Güte haben und diesen Brief sicher bestellen, wofür sie ihm zehn Reichstaler in die Hand drückte.

Der sächsische Postmeister argwohnte aus dieser Freigebigkeit natürlicherweise ein Geheimnis, öffnete den Brief, sah den Inhalt, und anstatt ihn zu befördern oder bei möglichem Argwohn nach Dresden an seinen Herrn zu schicken, ward er ein Verräter und brachte ihn dem Gouverneur in Magdeburg. Dieser war damals der Herzog Ferdinand von Braunschweig, und eben gegenwärtig.

Wie erschrak ich aber, als etwa um drei Uhr nachmittags der Herzog selbst mit einem großen Gefolge in mein Gefängnis trat, mir meinen Brief vorzeigte und mit einer gebietenden Stimme fragte, wer mir diesen Brief nach Gummern getragen habe?

Meine Antwort war: »Ich kenne ihn nicht.«

Gleich wurde die allerschärfste Visitation vorgenommen. Schmiede, Zimmerleute, Maurer traten herein, und nach einer halben Stunde Arbeit fand man weder mein Loch im Boden, noch das mindeste an den Ketten. Am Fenster allein entdeckte man das falsche vorgesteckte Drahtgitter, welches auch sogleich mit Brettern verschlagen und nur ein Luftloch von etwa sechs Zoll breit in demselben gelassen wurde.

Nun fing der Herzog an zu drohen. Ich antwortete mit Standhaftigkeit: »Ich habe die Schildwache nie gesehen, welche mir diesen Dienst geleistet, auch nie um ihren Namen gefragt, damit ich sie nie unglücklich machen kann.«

Endlich, da alle Vorstellungen bei mir nichts wirkten, sagte der Gouverneur mit einem liebreichen Ernst: »Trenck! Sie haben immer geklagt, Sie waren nie verhört, noch gesetzmäßig gerichtet worden. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Sie sollen sogleich beides erhalten, und ich lasse Ihnen sogleich alle Eisen abnehmen, sobald Sie mir den Mann nennen, welcher Ihnen diesen Brief bestellt hat.«

Hierauf antwortete ich mit männlicher Standhaftigkeit: »Gnädiger Herr! Jedermann weiß, daß ich diese Mißhandlung in Fesseln an meinem Vaterlande nicht verdient habe. Mein Herz ist vorwurfsfrei. Ich suche Rettung, wo und wie ich kann; dann aber, wenn ich Ihnen den mitleidigen Mann nennen könnte, welcher mir aus Menschenliebe beigestanden hat — denn wenn ich, mein Glück durch fremdes Unglück zu befördern, niederträchtig genug dächte — nur dann verdiente ich, in gegenwärtigen Fesseln als ein Schurke zu verschmachten. Machen Sie übrigens mit mir, was Sie wollen und sollen, denken Sie aber dabei, daß ich noch nicht ganz verlassen und noch Rittmeister in der Armee bin, und Trenck heiße.«

Der Herzog stutzte, drohte und ging hinaus; und wie mir hernach erzählt wurde, hat er draußen gesagt: »Ich beklage ihn und bewundere seine Standhaftigkeit.«

Inzwischen war es für einen so klugen Herrn ein großes Versehen, daß er diese Unterredung, die ziemlich lange dauerte, und die ich hier nur kurz berühre, von der ganzen Wache anhören ließ. Dieses setzte mich in ein solches Vertrauen bei allen gemeinen Soldaten der ganzen Garnison, weil sie sahen, daß ich keinen verriet, daß nunmehr die Bahn gebrochen war, in der Zukunft bei einem jeden Hilfe und Achtung zu finden; besonders da der Herzog sagte, er wisse, daß ich Geld versteckt, und wirklich bereits unter den Schildwachen ausgeteilt habe.

Kaum war er eine Stunde fort, so hörte ich ein großes Geräusch bei meinem Gefängnis. Ich lauschte — und was war es ? Ein Grenadier hatte sich an den Palissaden meines Kerkers mit seinem Haarbande aufgehenkt.

Der Offizier der Wache kam noch einmal mit dem Platzmajor herein, um eine Laterne abzuholen, die man vergessen hatte. Im Hinausgehen sagte er mir heimlich: »Es hat sich schon soeben einer von Ihrem Komplotte aufgehenkt.«

Wie erschrak ich, weil ich nicht anders glaubte, als es müsse mein ehrlicher Gefhardt sein.

Nach einer düsteren, schwermütigen und kurzen Überlegung fiel mir ein, was mir der Herzog versprach, falls ich ihm den Mann nennen wollte, der meinen Brief bestellt hatte. Ich klopfte also an die Türe und verlangte den Offizier zu sprechen. Er kam an das Fenster und fragte, was ich wollte. Ich sagte, er möchte dem Gouverneur melden, man solle mir Licht, Tinte, Papier und Feder hereingeben, so würde ich ihm allein mein ganzes Geheimnis schriftlich entdecken.

Dies geschah — und gegen Abend wurden meine Türen geöffnet; man brachte mir Tinte, Feder, Papier und Licht, gab mir auch eine Stunde Zeit, schloß wieder zu und ging davon. Nun setzte ich mich nieder, schrieb auf meinem Leibstuhl und wollte den Namen Gefhardt nennen, weil ich ihn sicher tot glaubte. Die Hand zitterte aber und all mein Blut drang mir zum beklemmten Herzen.

Ich stand auf, trat an das Fensterloch und rief: »Mein Gott! ist denn kein Mensch so redlich, mir den Namen des Mannes zu sagen, welcher sich jetzt erhenkt hat, damit ich viele andere vom Unglücke erretten kann?«

Das Fenster war noch offen und wurde erst am folgenden Tage vernagelt. Zugleich warf ich fünf Pistolen in einem Papier hinaus und sagte: »Freund, nimm dies Geld und rette deine Kameraden, oder geh' hin, verrate mich und lade Blutschulden auf dich.«

Man hob das Papier auf — ein kurze Stille mit einigen Seufzern folgte — gleich aber hörte ich eine leise Stimme: »Er hieß Schütz, von Ripps Kompagnie.«

Sofort schrieb ich Schütz anstatt Gefhardt, ob ich gleich den ersten Namen nie nennen gehört hatte und mit ihm in gar keiner Verbindung stand. Sobald meine Schrift fertig war, rief ich nach dem Leutnant. Man kam herein, empfing den Brief, nahm mir Schreibzeug und Licht weg und schloß die Türen zu.

Der Herzog hatte aber den Braten gerochen, daß ich mit mehreren müßte einverstanden sein. Es blieb also alles mit mir beim alten, und ich erhielt weder Verhör noch Kriegsrecht.

In der Folge habe ich folgende Umstände erfahren, welche dieses fast unwahrscheinliche Rätsel entwickeln: Da ich noch in der Citadelle saß, kam einst eine Schildwache auf den Posten vor mein Fenster, lästerte, fluchte und sagte laut: »Der Teufel hole den vermaledeiten preußischen Dienst! — Wenn nur der Trenck meine Gedanken wüßte, er sollte gewiß nicht lange in seinem verfluchten Loche sitzen!«

Gleich ließ ich mich in eine Unterredung ein, und diese fiel dahin aus, daß, wenn ich ihm nur Geld geben könne, um einen Nachen zu kaufen, mit welchem wir über die Elbe fahren könnten, so wollte er meine Schlösser bald durchfeilen, meine Türen öffnen und mich erretten.

Ich hatte kein Geld, gab ihm aber einen brillantenen Hemdenknopf, der etwa fünfhundert Gulden wert war, und den man bei mir nicht gefunden, noch vermutet hatte.

Von diesem Augenblicke an hat er sich aber bei mir nicht mehr gemeldet und mich betrogen. Oft stand er nach diesem Schildwache bei mir, ich kannte ihn an der westfälischen Aussprache und redete ihn an, erhielt aber nie Antwort.

Nun muß dieser Mensch meinen Hemdenknopf verkauft und das Geld etwa haben sehen lassen – –

Wie nun der Herzog von mir wegging, hat der wachthabende Leutnant diesen Schütz angefahren und gesagt: »Du bist gewiß der Spitzbube, der des Trenck Briefe bestellt; denn du hast seit langer Zeit viel Geld verludert und Louisdors sehen lassen. Wo hast du diese hergenommen?«

Schütz erschrickt, hat kein gut Gewissen und argwohnt, daß ich ihn verraten würde, weil er mich betrogen hatte. Er kommt eben zur Ablösung auf den Posten zu mir, nimmt sein Haarband in der ersten Betäubung und erdrosselt sich vor meiner Türe an den Palissaden.

Welch wunderbare Fügung des Schicksals in dieser Begebenheit! Es strafte den Betrüger ein ganzes Jahr nachher, als er mich betrogen hatte, und hierdurch allein wurde der ehrliche Gefhardt gerettet.

Man hatte indessen meine Schildwachen verdoppelt, um mir das Hilfesuchen schwerer zu machen. Gefhardt kam zwar wieder zu mir auf den Posten, hatte aber kaum Gelegenheit, etliche Worte ohne Gefahr zu sprechen. Er dankte mir für die Verschwiegenheit, wünschte mir Glück und sagte, daß die Garnison in wenig Tagen ins Feld marschieren würde.

Wie erschrak ich bei dieser Nachricht! Mein ganzer Plan zur Rettung war abermals vereitelt. Ich faßte aber bald frischen Mut, weil meine Minierung nicht entdeckt war, und ich noch etwa fünfhundert Gulden Geld, auch Vorrat von Licht, und alle Instrumente bei mir wohl versteckt hatte.

Es dauerte auch nicht acht Tage nach dieser Begebenheit, als auch wirklich der Siebenjährige Krieg losbrach und die Regimenter ins Feld rückten.

Der Major von Weyner kam zum letztenmal herein und überlieferte mich dem neuen Major der Landmiliz, Namens Bruckhammer, welcher der gröbste Flegel und ärgste Dummkopf auf Erden war. Nun verlor ich alle meine alten Majors und wachthabenden Leutnants, die mir alle ohne Ausnahme mit möglichster Achtung und Menschenliebe begegnet waren, und war ein alter Gefangener in einer neuen Welt.

Indessen wuchs mein Mut deswegen, weil ich wußte, daß sowohl Offiziere als Gemeine einer zusammengerafften Landmiliz leichter zu bestechen sind, als die regulären Soldaten. Hiervon fand ich auch bald als Menschenkenner die Gründlichkeit meiner Begriffe.

Es waren nur vier Leutnants erwählt, welche in Bewachung der Sternschanze abwechseln sollten, und es dauerte nicht ein Jahr, so hatte ich drei davon mit mir im Einverständnisse.

Kaum aber waren die Regimenter ins Feld gerückt, so erschien der neue Kommandant, General von Borck, in meinem Gefängnis, in der Gestalt eines gebieterisch grausamen Tyrannen. Es war ihm vom Könige ernsthaft aufgetragen worden, mit seinem Kopfe für meine Person gutzustehen; dagegen erhielt er die Erlaubnis, mit mir zu verfahren, wie er wolle. Nun war der Mann ein wirklicher Dummkopf, ein Mensch mit einem gefühllosen Herzen und ein materieller Sklave seiner Order; dabei aber schüchtern, furchtsam und mißtrauisch. Folglich bebte sein Herz, so oft er die Sache möglich glaubte, daß ich aus seinen Fesseln entfliehen könne. Übrigens hielt er mich wirklich für den ärgsten Bösewicht und Vaterlandsverräter, weil sein Monarch mich so grausam verurteilte und so unbegrenzt mißhandeln ließ. Seine Barbarei gegen mich war demnach auf seinen Charakter und auf seine niedrige Seele gestützt.

Er trat also in mein Gefängnis, nicht als ein Offizier zu einem unglücklichen Offizier, sondern als ein Büttel zu einem Missetäter. Gleich erschienen Schmiede und legten mir ein handbreites ungeheures Eisen um den Hals, welches mit einer schweren Holzkette an der Fußschelle befestigt wurde. Noch wurden zwei leichte Nebenketten in dem Ringe desselben befestigt, wobei ich wie ein Bär an der Kette herumgerissen ward. Mein Fenster wurde zugemauert, bis auf ein kleines Luftloch, und endlich nahm er mir sogar mein Bett weg, gab mir kein Stroh und verließ mich unter tausend Schmähworten auf meine Souveränin, ihre ganze Armee und auf mich selbst, wobei ich ihm aber kein Wort schuldig blieb und ihn bis zur Raserei erbitterte.

Man stelle sich nun meine Lage in den Händen eines solchen Wüterichs vor! Mein Glück, meine einzige Hoffnung war noch diese, daß man das in der Fußschelle ausgefeilte Eisen nicht entdeckt hatte; folglich waren alle Ketten am Fußringe unbedeutend und zugleich abgelegt. An Instrumenten hatte ich auch, sowohl als an Licht, Feuerzeug und Papier, einen guten Vorrat. Und ob es gleich unmöglich war, bei doppelten Schildwachen in den Graben hinauszubrechen, so blieb mir dennoch die Aussicht übrig, daß ich noch leicht einen wachthabenden Offizier durch Geld zu fernerer Hilfe gewinnen, und einen Erretter finden könne.

Waren die Befehle des Monarchen buchstäblich vollzogen worden, so war mir alles unmöglich; denn laut denselben sollte mir alle Kommunikation mit Menschen abgeschnitten werden. Zu dem Ende sollten die vier Schlüssel von meinen Türen auch in vier verschiedenen Händen sein. Einer bei dem Kommandanten, der andere bei dem Platzmajor, der dritte bei dem Major du jour und der vierte bei dem Leutnant der Wache. Folglich hätte ich nie Gelegenheit gefunden, mit jemand allein zu sprechen. Im Anfange wurde alles getreu vollzogen, außer daß der Kommandant sich nur alle acht Tage sehen ließ.

Dann kamen so viele Kriegsgefangene in Magdeburg an, daß der Platzmajor seinen Schlüssel dem Major du jour übergeben mußte, und der Kommandant blieb gar aus, weil die Citadelle etwa eine halbe Stunde von der Sternschanze entfernt war. Nun saß in dieser Sternschanze auch nebst mir der preußische General von Wallrabe, gleichfalls seit dem Jahre 1746, im Arrest. Er hatte aber im innern Polygon sein eigenes Haus und dreitausend Reichstaler jährlich zu verzehren. Bei diesem mußte der Major du jour nebst dem wachthabenden Offizier zu Mittag essen, und blieb meistens bis gegen Abend bei ihm zur Gesellschaft. Mit der Zeit wurden diese Herren bequem oder hatten Mitleid mit mir und gaben dem wachthabenden Leutnant die Schlüssel, wenn bei mir visitiert werden sollte.

Hierdurch erhielt ich allgemach die Gelegenheit, allein mit ihnen zu sprechen, die sie endlich selbst suchten und auch fanden. Eben hieraus entsprangen die Folgen meiner Unternehmungen, die ich noch in möglichster Kürze vorzutragen habe, um den Leser nicht mit Arrestantenkunstgriffen zu ermüden.

Es waren nur drei Majors und drei Leutnants, welche abwechselten, und die Borck hierzu ausgesucht und befehligt hatte. Indessen war mein Zustand schrecklich. Mein Halseisen mit den ungeheuren Ketten hinderte mich an aller Bewegung, und losmachen durfte ich's noch nicht, bis ich nach etlichen Monaten die Stellen beobachtet hatte, wo man alles sicher glaubte und nie visitierte. Das Grausamste war, daß man mir das Bett genommen hatte. Ich saß also auf dem Boden mit an die feuchte Mauer gelehntem Kopfe, und mußte die Fesseln am Halseisen beständig mit einer Hand halten, weil sie mich entweder würgten, oder hinten am Genick die Nerven drückten, folglich Schmerzen verursachten. Weil nun die Stange zwischen beiden Händen allezeit die eine hinunterhielt, wenn die andere, auf das Knie gestüzt, die Halsfesseln erleichterte, so erstarrte mein Blut und die Arme wurden so schwach, daß man sie wirklich schwinden sah. Man kann sich auch vorstellen, wie wenig ich in solcher Lage schlafen und ruhen konnte. Endlich überwog das Ungemach meine Leibes- und Seelenkräfte, und ich verfiel in eine schwere, hitzige Krankheit.

Der Tyrann Borck blieb unbeweglich und wünschte nur meinen Tod zu befördern, um der Sorge meiner Bewachung überhoben zu sein.

Meine Krankheit dauerte etwa zwei Monate. Ich wurde so schwach, daß mir kaum Kräfte übrig blieben, um meinen Wasserkrug an den Mund zu bringen. Wer kann sich denken, was ein Mensch leidet, der ohne Bett und Stroh, in schweren Fesseln an allen Gliedern, zwei Monate lang auf der Erde im feuchten Kerker sitzt, der nichts als trockenes Kommißbrot und keinen Tropfen Suppe zur Labung erhält, den kein Arzt besucht, kein Freund tröstet, und der ohne Arznei noch Menschenhilfe in solchem Zustande gesund werden muß? Die Krankheit selbst ist Plage genug, um den Starken kleinmütig zu machen. Und was litt zugleich bei mir die Seele in einem Zustande, den noch kein Bösewicht auf Erden so grausam erlitten hat! Hitze und Kopfschmerz, verschwollener Hals im breiten Halseisen brachten mich bis zur Raserei, und in solchen Anfällen waren Füße, Hände und Leib wund gerissen. Genug hiervon! Der lebendig Geräderte, welcher ohne Gnadenstoß auf dem Rade sterben muß, empfindet gewiß nicht, was ich zwei ganze Monate hindurch fühlen mußte. Endlich erschien ein Tag, an den ich nur mit Schauder und Schrecken denken kann. Ich saß in der größten Hitze und Blutwallung, wo die Natur mit ihrer Zerstörung rang, und da ich trinken wollte, fiel mein Krug aus der Hand und zerbrach. Nun mußte ich vierundzwanzig Stunden warten, ehe ich zu trinken erhielt. In dieser schrecklichen Lage hätte ich meinen Vater ermordet, um sein Blut zu lecken. Gern hätte ich zuletzt meine Pistolen hervorgesucht, die Kräfte fehlten aber, um mein fest verwahrtes Loch aufzubrechen. Hauptsächlich aber hielt mich mein Ehrgeiz zurück. Ich wollte nicht im Kerker sterben und wie ein jeder Schurke oder wirkliche Missetäter begraben werden.

Da man am folgenden Tag visitierte, hat man mich wirklich tot geglaubt, weil ich, die Zunge aus dem Halse lechzend herausgestreckt, ganz in Ohnmacht dalag. Man labte mich, fand Leben, und o Gott! mit was für Begierde verschlang ich das Wasser aus meinem Kruge!

Man füllte ihn von neuem, wünschte mir Glück, daß mich der Tod bald von meiner Qual retten würde, und ging wieder davon. Indessen hatte man in der Stadt so rührend von meinem Zustande gesprochen, daß sich alle Damen, auch die Stabsoffiziere der Garnison, vereinigten und den Tyrannen Borck bewogen, mir mein Bett wieder zu geben.

Wirklich wurde ich von dem Tage an, als ich so bittern Durst gelitten und so viel auf einmal trank, täglich stärker, und bald wieder, zu aller Menschen Erstaunen, gesund.

Das Herz meiner Inspektionsoffiziere hatte ich gewonnen, und nach sechsmonatlichen schweren Leiden ging die Hoffnungssonne auf einmal wieder für mich auf.

Einer von den Majors vertraute dem Leutnant Sonntag die Schlüssel. Er kam allein zu mir, sprach vertraut, schüttete mir sein Herz aus und klagte über Schulden, Mangel und Not. Ich gab ihm fünfundzwanzig Louisdors und hiermit war unsre Freundschaft, unser ewiges Bündnis geschlossen.

Allgemach wurden alle drei wachthabenden Offiziere meine Freunde. Sie saßen stundenlang bei mir, wenn ein bestimmter Major die Inspektion hatte, den ich gleichfalls ganz auf meine Seite zu ziehen wußte. Endlich kam es so weit, daß er selbst halbe Tage bei mir zubrachte.

Er war arm, ich gab ihm einen Wechsel auf zweitausend Gulden, und hiermit war die Bahn gebrochen, um neue Unternehmungen anzufangen. Geld war notwendig. Ich hatte den Offizieren bald alles ausgeteilt, und in meiner Kasse waren nicht mehr hundert Gulden.

Gleich fand sich Gelegenheit, ein neues Projekt auszuführen.

Des Hauptmann von K***, der Majorsdienste tat, ältester Sohn war kassiert, brotlos, und sein Vater klagte mir seine Not. Ich schickte ihn zu meiner Schwester unweit Berlin, diese gab ihm hundert Dukaten. Er kam zurück und brachte mir die Nachricht von ihrer Freude. Er hatte sie auf dem Totenbett angetroffen, und sie schrieb mir in wenig Zeilen, daß mein Unglück und die Berliner Verräterei im Jahre 1755 ihre Armut und nunmehrige zweijährige Krankheit zuwege gebracht hätten. Sie wünschte mir Glück zur Rettung und empfahl mir ihre Kinder, ist aber wieder besser geworden, hat den Obersten von Pape zum zweiten Manne gewählt und starb im Jahre 1758.

Nun kam K*** freudig mit Geld zurück. Alles wurde mit dem Vater verabredet. Ich schrieb an meine große Freundin, die Kanzlerin Gräfin Bestuschef, und an den Thronfolger Peter nach Petersburg, empfahl den jungen Menschen bestens, und bat um mögliche Hilfe für mich.

K*** reiste nach Hamburg, von da nach Petersburg, wurde sogleich Hauptmann, bald darauf Major durch meine Empfehlung und handelte auch so redlich, daß ich wirklich durch einen Hamburger Kaufmann, welchen der alte K*** kannte und zur Korrespondenz gewählt hatte, zweitausend Rubel erhielt, welche mir die Kanzlerin schickte. Er selbst aber war in Petersburg für diesen Dienst reichlich beschenkt worden und hat sein Glück gemacht.

Dem ehrlichen alten K*** gab ich gleich dreihundert Dukaten, welcher ein armer Teufel war und bis zum Grabe mein dankbarer Freund geblieben ist. Ebensoviel wurde allgemach unter die Offiziere ausgeteilt, und Leutnant Glotin trieb es gar so weit, daß er die Schlüssel dem Major zurückstellte, ohne meine Türen zuzuschließen, und halbe Nächte bei mir im Kerker zubrachte. Der Wache gab er von meinem Gelde zu trinken. So ging alles eine Zeitlang nach Wunsch, und der Tyrann Borck wurde betrogen.

Man steckte mir Licht zu und gab mir Bücher und Zeitungen zu lesen. Meine Tage verflossen wie Stunden, und ich schrieb, las und beschäftigte mich so gut, daß ich fast meinen Zustand vergaß.

Nur allein, wenn der dumme grobe Major Bruckhausen die Inspektion hatte, mußte alles behutsam zugehen. Der andere Major, Namens Z***, wurde auch allgemach mein Freund. Ich gewann ihn als einen Geizhals, weil ich ihm versprach, seine Tochter nach erlangter Freiheit zu heiraten, und ihm mit meiner Handschrift zehntausend Gulden versicherte, falls ich im Kerker sterben sollte.

Endlich kam es so weit, daß mir der Leutnant Sonntag heimlich andere Handschellen machen ließ, welche so groß waren, daß ich die Hände bequem herausziehen konnte. Dieses konnte leicht geschehen, weil die Leutnants allein und kein andrer meine Eisen visitierten. Alles war dem alten ähnlich, und Bruckhausen war zu dumm, um etwas zu bemerken.

Alle übrigen Fesseln konnte ich nach Belieben ablegen. Wenn ich also meiner Gewohnheit nach Bewegung machte, so hielt ich die Ketten in der Hand, machte damit eben das Gerassel und betrog die aufpassenden Schildwachen.

Das Halseisen allein durfte ich nicht losmachen, es war auch viel zu kennbar zugeschmiedet. Es wurde aber das obere Gelenk durchgeschnitten, so daß das nächste durchgezogen werden konnte, und auf bereits von mir gemeldete Art mit Brot vorsichtig zugeschmiert. Folglich konnte ich nach Belieben meine Fesseln alle ablegen und ruhig schlafen.

Kaltes Fleisch und Würste trug man mir gleichfalls heimlich zu, mithin war meine Lage ganz erträglich. Nun aber fing ich auch an, für meine Freiheit zu arbeiten. Unter den drei Offizieren war aber leider keiner, der das Herz hatte, für mich zu tun, was Schell in Glatz tat, um mit mir von der Wache fortzugehen. Das benachbarte Sachsen war in preußischer Gewalt, desto mehr Gefahr fand sich im Fliehen, und alle möglichen Vernunftschlüsse blieben bei solchen Leuten vergebens, die nichts wagen und ganz sicher gehen wollten.

Ich hatte doppelte Schildwachen, folglich war es unmöglich, durch mein Loch, welches unter den Fundamenten seit zwei Jahren fertig war, vor den Füßen derselben auszukriechen, noch weniger die zwölf Fuß hohen Palissaden im Graben vor den Augen der Wächter zu übersteigen.

Es wurde demnach folgender Plan gemacht, der zwar Herkulesarbeit erforderte, aber zur Ausführung sicher möglich war.

Der Leutnant S*** hatte ausgemessen, daß von dem Orte, wo ich das Loch in meinem Boden fertig hatte, bis in den Eingang zur Galerie im Hauptwalle siebenunddreißig Fuß zu durchbrechen waren. Da nun mein Gefängnis an denselben stieß, so konnte ich unter den Fundamenten des Walles neben dem Graben bis in denselben fortarbeiten, und da der Grund in feinem weißen Sande bestand, so war es um desto möglicher.

Sobald ich in diese Galerie gelangen konnte, war meine Freiheit sicher. Man unterrichtete mich, wie viel Schritte ich rechts und links zu gehen hatte, um in diesem Souterrain die Türe zu finden, welche in den zweiten Wall führt. Dann hätte mir der Offizier am festgesetzten Tage meiner Flucht diese Türen heimlich geöffnet. Allenfalls hätte ich Licht, Brecheisen und Bohrer bei mir gehabt, um alle Hindernisse zu heben, und dann mußte mir die Vorsicht und Geld weiter forthelfen.

Die Arbeit wurde also angefangen und dauerte über sechs Monate. Kaum hatte ich die Fundamente hinter mir weggebrochen und das alte Loch damit gefüllt, so fand ich, daß der Hauptwall wirklich kaum einen Fuß tiefe Fundamente hatte, welches ein Hauptfehler einer so wichtigen Festung ist. Mir wurde die Arbeit leichter, weil ich die Grundsteine meines Kerkers höher wegnehmen konnte, und nicht so tief zu arbeiten hatte.

Im Anfang ging das Werk vortrefflich, ich konnte in einer Nacht bis drei Fuß vorwärts arbeiten, so lange ich Raum hatte, den ausgegrabenen Sand wieder hineinzubringen.

Kaum war ich aber zehn Fuß vorwärts, so empfand ich erst die Beschwerden; denn ehe ich anfing, mußte zuerst das Loch, wo ich hinunterstieg, mit der Hand ausgeleert werden, welches schon etliche Stunden Arbeit erforderte. Dann mußte jede Hand voll Sand aus dem Kanal geholt werden, um auszuräumen und weiter vorwärts zu minieren. Alles lag auf einem Haufen im Gefängnis, und mußte auf eben die Art, wie ich's herausgebracht, alle Tage wieder hineingeschafft werden.

Auf diese Art habe ich berechnet, daß ich, da ich einmal über zwanzig Fuß hineingearbeitet hatte, binnen vierundzwanzig Stunden gegen eintausendfünfhundert bis zweitausend Klafter in der Erde auf dem Bauche kriechen mußte, um den Sand heraus- und wieder hineinzubringen. War ich dann hiermit fertig, dann mußte erst jede Ritze in meinem Fußboden genau ausgeputzt werden, daß man beim Visitieren den schneeweißen Sand nicht bemerken konnte. Dann wurde erst der aufgebrochene Boden, und zuletzt die Fesseln in Ordnung gebracht. Wenn ich nun auf diese Art einen Tag gearbeitet hatte, war ich so abgemattet, daß ich allezeit drei folgende ruhen mußte.

Um weniger Raum zu bedürfen, war mein Kanal so enge gemacht, daß ich ganz eingedrängt kriechen mußte, und nicht einmal die Hand auf den Kopf bringen konnte. Überdem mußte alles mit nacktem Leibe geschehen, weil man das schmutzige Hemd bemerkt hätte. Der Sand war auch ganz naß, weil man vier Fuß tief schon Wasser findet, wo der grobe rauschende Kiessand anfängt.

Endlich fiel ich auf den Gedanken, Sandsäcke zu machen, um dieselben geschwind heraus- und hereinzubringen. Die Offiziere steckten mir zwar Leinwand zu, welche aber nicht hinlänglich war und bei etwaiger Entdeckung zu viel Aufsehen gemacht hätte, woher so viel Leinwand in meinen Kerker gekommen sei. Ich griff also zuletzt mein Bett an, legte mich in dasselbe, wenn Bruckhausen visitierte, als ob ich krank sei, zerschnitt Strohsack und Bettlaken und machte Sandsäcke.

Zuletzt, als ich mich dem Ausbruche näherte, war es fast nicht mehr möglich, mit der ungeheuren Arbeit fertig zu werden. Und oft saß ich in meinem Gefängnisse so ermüdet auf meinem Sandhaufen, daß ich's unmöglich glaubte, alles wieder hineinzuschaffen, und wirklich beschloß, die Visitation abzuwarten, ohne mein Loch zuzumachen. Ja, ich kann versichern, daß mir in vierundzwanzig Stunden nicht so viel Zeit übrig blieb, um ein Stück Brot ruhig zu essen, wenn ich alles wieder in Ordnung haben wollte.

Kaum hatte ich aber eine Weile schwermütig gerastet, so munterte mich der bisher glückliche Fortgang auf, die letzten Kräfte zu wagen. Ich griff von neuem an und wurde dennoch fertig, aber öfters kaum fünf Minuten vor dem Visitieren.

Da ich nun nur noch sechs bis sieben Fuß vom Ausbruche entfernt war, ereignete sich eine wunderbare Begebenheit, welche alles vereitelte.

Ich arbeitete, wie gesagt, unter den Fundamenten des Walles neben dem Graben, wo die Schildwachen standen.

Alle meine Eisen konnte ich ablegen, nur das um den Hals blieb mit dem daran hängenden Haken fest, und war beim Arbeiten, wo ich's festband, losgeworden; folglich hatte eine Schildwache das Klimpern in der Erde, ungefähr fünfzehn Fuß weit von meinem Kerker, gehört. Sie hatte den Offizier herbeigerufen, man legte das Ohr auf die Erde und hatte mich in derselben die Säcke hin- und herschieben gehört. Am folgenden Tage wurde dieses gemeldet, und der Major, der eben mein bester Freund war, trat nebst dem Platzmajor, einem Schmiede und einem Maurer herein. Ich erschrak, der Leutnant winkte mir, daß ich verraten sei. Nun ging die Visitation an — kurz gesagt, die Offiziere wollten nicht sehen und der Schmied und der Maurer fanden alles ganz. Hätte man mein Bett visitiert, so wäre der halbe Strohsack von unten und das Bettlaken vermißt worden.

Der Platzmajor war dumm und glaubte die Sache unmöglich. Er hatte also draußen der Schildwache, die mich belauschte, gesagt: »Du Esel! hast einen Maulwurf, aber nicht den Trenck in der Erde gehört. Wie wäre es möglich, daß er so weit aus seinem Kerker arbeiten könne?« Und hiermit ging alles fort.

Jetzt war es nicht mehr Zeit, zu säumen. Wäre man nur einmal abends zur Visitation gekommen, so hätte man mich bei der Arbeit gefunden. So klug war aber niemand binnen zehn Jahren: denn Kommandant, Platzmajor und Bruckhausen waren kurzsichtige, elende Menschen; die andern hingegen wünschten mir alle Glück und wollten nicht sehen.

Ich hätte drei Tage nach diesem Vorfalle schon ausbrechen können, da ich aber eben bei des Bruckhausen, meines einzigen Feindes, Inspektionstag entfliehen wollte, um ihm einen Streich zu versetzen, so hatte dieser Schuft mehr Glück als Verstand. Er war etliche Tage krank, und K*** mußte seine Dienste verrichten. Endlich erschien er bei dem Visitieren. Kaum war aber die Türe geschlossen, so griff ich zur letzten Arbeit, weil ich bei den letzten drei Fuß nicht mehr den Sand herausbringen durfte, sondern immer vorwärts zum Ausbruche arbeiten und denselben hinter mir durchwerfen konnte.

Man stelle sich vor, wie emsig ich wühlte.

Mein Schicksal wollte aber, daß eben die Schildwache, die mich vor etlichen Tagen in der Erde gehört hatte, wieder bei mir auf dem Posten stand.

Dieser, vom Ehrgeiz gekitzelt, weil man ihn einen Esel geheißen, und er mich dennoch sicher gehört hatte, legt sich auf den Bauch und hört mich abermals hin- und herkriechen. Er ruft den Kameraden, sie melden es. Der Major wird gerufen, er erscheint, hört gleichfalls alles, geht jenseits der Palissaden und hört mich nahe an der Türe wühlen, wo ich eben in die Galerie herausarbeiten wollte. Gleich wird diese Türe geöffnet, man geht mit Laternen hinein und lauert auf den herauskommenden Fuchs.

Da ich nun von unten her den Sand wegarbeitete und die erste Öffnung gewann, sah ich Licht und die Köpfe derer, die meiner erwarteten.

Welcher Donnerschlag für mich! Ich war verraten, kroch also mit größter Mühe durch den hintergewühlten Sand zurück und erwartete mein Schicksal mit Schrecken und Schauder; hatte aber dennoch die Geistesgegenwart, daß ich meine Pistolen, mein Geld, meine Instrumente, Papier, Licht und auch etwas Geld unter dem Fußboden verbarg, welchen ich allezeit wieder durchschneiden konnte.

Mein meistes Geld war aber in verschiedenen in den Boden, auch im Türgerüste eingebohrten und wieder gut zugeschmierten Löchern versteckt, und nichts wurde gefunden. Hin und wieder aber waren in den Ritzen des Bodens kleine Feilen und Messer verborgen.

Kaum war ich fertig, so rasselten die Türen, man kam herein und fand den Kerker bis oben mit Sand und Sandsäcken angefüllt. Die Handschellen aber nebst den Stangen hatte ich in Eile angelegt, um ihnen glauben zu machen, daß ich mit denselben in der Erde gearbeitet hätte. Sie waren auch dumm genug, alles zu glauben, und hierdurch gewann ich schon einen Vorteil für die Zukunft.

Niemand war geschäftiger dabei als der grobe dumme Bruckhausen. Er machte viele Fragen; ich gab ihm aber keine Antwort, außer, daß ich ihm versicherte, daß vor etlichen Tagen schon der Ausbruch vollzogen wäre, wenn sein Glück ihn nicht hätte krank werden lassen. Und allein deswegen, weil ich ihm den Possen spielen wollte, sei ich gegenwärtig unglücklich. Dieses hat ihn auch wirklich so schüchtern gemacht, daß er in der Folge höflicher wurde, und mich wirklich zu fürchten anfing, weil ich alles möglich zu machen wußte.

Die Nacht war da; es war unmöglich, den Sandhaufen hinauszuschaffen. Der Leutnant und die Wache blieben also bei mir. Ich hatte große Gesellschaft, und am Morgen erschien ein Schwarm Arbeiter, welche das inwendige Loch zuerst ausfüllten; dann wurde dasselbe ausgemauert und die durchschnittene Bohle in des Fußbodens Oberfläche neu gemacht. Der Tyrann Borck kam gar nicht, weil er eben krank war, sonst wäre es mir viel ärger ergangen.

Am Abend desselben Tages waren die Schmiede auch schon mit ihrer Arbeit fertig. Alle Fesseln wurden schwerer gemacht als die ersten, und anstatt der Schelle über die Fußeisen wurden dieselben mit Schrauben zusammengezogen und verschmiedet.

Alles übrige blieb beim alten. Bis zum folgenden Tage wurde noch am Fußboden gearbeitet. Ich konnte abermals nicht schlafen, so daß ich vor Müdigkeit und Schwermut zu Boden sank.

Mein größtes Unglück war, daß man mir wieder das Bett wegnahm, weil ich es zu Sandsäcken zerschnitten hatte. Ehe man nun die Türen zuschloß, visitierte mich Bruckhausen und der Platzmajor bis auf den nackten Leib. Sie hatten mich öfters gefragt, wo ich denn alle Instrumente hergenommen hätte ? Meine Antwort war: »Meine Herren! der Teufel ist mein bester Freund, er bringt mir alles, was ich brauche. Wir spielen auch ganze Nächte Pikett miteinander, weil er mir Licht bringt. Und Sie mögen mich bewachen, wie Sie wollen, so wird er mich doch aus Ihrer Gewalt erretten.«

Sie erstaunten, die andern lachten. Endlich, als sie alles auf das genaueste durchsucht hatten und die letzte Türe zuschlossen, rief ich: »Meine Herren, kehren Sie zurück! Sie haben etwas Wichtiges vergessen!«

Indessen zog ich eine versteckte Feile aus dem Boden heraus und sagte bei dem Eintritte: »Ich habe Ihnen nur erweisen wollen, daß der Teufel mir alles bringt, was ich bedarf.« Man visitierte wieder und schloß zu. Indessen, da man an vier Schlössern arbeitete, hatte ich ein Messer und zehn Louisdor hervorgesucht, weil ich mein Geld an verschiedenen Orten versteckt hatte. Das meiste lag unter dem Boden.

Ich rief sie nochmals herein, sie kamen mit Murren und fluchen zurück, und nun gab ich ihnen Geld und Messer.

Ihre Verwirrung war unbegrenzt. Ich hingegen lachte und spottete nur bei all meinem Unglücke mit so kurzsichtigen Wächtern; und bald war ich durch sie in der ganzen Stadt, besonders bei dem Pöbel, als ein Zauberer und Schwarzkünstler ausgeschrien, dem der Teufel alles zutrage.

Nach dieser fehlgeschlagenen Unternehmung, die länger als ein Jahr Zeit erforderte und mich so geschwächt hatte, daß ich wirklich einem lebendigen Gerippe ähnlich sah, würde die Schwermut sich sicher aller meiner Seelenkräfte bemeistert haben, wenn mir nicht die weitere Hoffnung zur möglichen Flucht, die sich auf meine wachthabenden Offiziere und bereits .gewonnenen Freunde stützte, frischen Mut eingeflößt hätte.

Das ärgste für mich war der Verlust des Bettes. Ich empfand auch bald die Wirkungen davon und verfiel abermals in eine schwere hitzige Krankheit, in welcher ich sicher umgekommen wäre, wenn die Majore und Offiziere mir nicht alle mögliche Hilfe und Menschenliebe erzeigt und den Kommandanten betrogen hätten. Der einzige Bruckhausen blieb Menschenfeind und ein blinder Sklave seiner erhaltenen Order. Am Tage, wenn er die Inspektion hatte, wurden allein die strengsten Befehle beobachtet, und von meinen Eisen durfte ich mich nicht eher losmachen, bis ich einige Wochen die Orte beobachtet hatte, wo er allein in seiner Dummheit visitierte. Dann aber durchschnitt ich die Gelenke, wo ich sicher war, und verstrich die Öffnungen wieder mit meinem Brote ebenso, wie ich bereits erzählt habe. Die Hände konnte ich allezeit herausziehen, besonders, nachdem mir die schwere Krankheit alles Fleisch vom Leibe verzehrt hatte.

Ein halbes Jahr verfloß, ehe ich wieder meine Kräfte erhielt und zu einer neuen Herkulesarbeit greifen konnte.

Endlich fand ich auch ein Mittel, den Bruckhausen vom Kettenvisitieren abzuhalten, so daß er dieses Amt allein dem wachthabenden Offizier überließ. Er hatte eine feine Nase; wenn ich nun die ersten Schlösser rasseln hörte, so machte ich durch meinen neben mir stehenden Leibstuhl einen solchen Gestank, daß er zurücktrat und endlich gar vor der Tür stehen blieb.

Bei einer Gelegenheit, wo er, von Stolz aufgeblasen, an einem Tage zu mir eintrat, als eben ein Kurier mit der Nachricht einer gewonnenen Bataille eingeritten war, schimpfte und lästerte er so grob gegen alle Österreicher, auch sogar gegen meiner Souveränin Person, daß ich endlich, bis zur Wut aufgebracht, dem neben mir stehenden Leutnant den Degen von der Seite riß und ihn an die Wand gespießt hätte, wenn er dem Stoße nicht durch einen Sprung zur Tür hinaus entwichen wäre.

Von diesem Tage an war der Grobian so furchtsam, daß er sich nicht mehr zum Visitieren an mich heranwagte, sondern allezeit zwei Mann mit kreuzweis gefälltem Gewehr und Bajonetten vor sich treten ließ, hinter welchen er an der Türe stehen blieb.

Auch dieser Vorfall war mir nützlich, weil ich niemand als ihn bei der Visitation zu fürchten hatte.

Um diese Zeit wurde der wirklich gegen mich grausame und aufgebrachte Kommandant, General von Borck, krank, verrückt, folglich von seinem Amte abgesetzt, und Oberstleutnant von Reichmann, ein wahrer Menschenfreund, wurde an seiner Stelle Kommandant.

Um eben diese Zeit flüchtete auch der Hof selbst aus Berlin, und Ihre Majestät die Königin, der Prinz von Preußen, die Prinzessin Amalia, der Markgraf Heinrich, wählten Magdeburg zu ihrer Residenz. Nun wurde auch Major Bruckhausen höflicher als zuvor, vermutlich, weil er bei Hofe gehört hatte, daß ich noch nicht ganz hilflos verlassen sei und noch dereinst meine Freiheit abwarten könne.

Tyrannen und Dummköpfe sind gewöhnlich auch feige und verzagte Menschen. Vielleicht bewog also die Furcht eines möglichen Vorfalles auch diesen Bruckhausen, mir mit mehr Achtung zu begegnen, welche ich auch bald bemerkte.

Reichmann, der redliche neue Kommandant, konnte zwar an meinen Fesseln und an meiner wirklich schreckbaren Lage nichts abändern noch erleichtern. Er gab aber Befehl, oder sah vielmehr durch die Finger, daß die Inspektionsoffiziere mir anfänglich nur zuweilen, endlich aber täglich, die inneren zwei Türen öffneten, um mir frische Luft und Tageslicht auf einige Stunden zu vergönnen. Mit der Zeit ließen sie mir dieselben gar den ganzen Tag offen und schlossen sie nur, wenn sie des Abends von Wallrabe in die Stadt gingen.

Bei dieser Gelegenheit fing ich an, auf meinem zinnernen Trinkbecher mit einem ausgezogenen kleinen Brettnagel zu zeichnen, endlich Satiren zu schreiben, zuletzt gar Bilder zu gravieren, und brachte es in dieser Kunst so weit, daß meine gravierten Becher, als Meisterstücke der Zeichnung und Erfindung, teuer als Seltenheiten verkauft wurden, und der beste gelernte Graveur meine Arbeit schwerlich übertreffen wird.

Der erste Versuch war, wie leicht zu erachten, unbedeutend. Man trug aber meinen Becher in die Stadt, der Kommandant ließ ihn weiter sehen und mir einen neuen geben. Dieser neue geriet besser als der erste. Dann wollte jeder Major, der mich bewachte, einen haben. Ich wurde täglich geschickter, und ein Jahr verfloß mir bei dieser Beschäftigung wie ein Monat. Zuletzt erhielt ich sogar, wegen dieser Becherarbeit, die Erlaubnis, Licht zu brennen, welches auch bis zu meiner endlichen Befreiung unausgesetzt fortdauerte.

Laut Gouvernementsbefehl sollte zwar ein jeder Becher dieser Art demselben überbracht werden, weil ich in denselben alles schrieb oder in Bildern hieroglyphisch vorstellte, was ich von meinem Schicksale der Welt bekannt machen wollte. Es wurde aber dieser Befehl nicht vollzogen, und die Offiziere, welche mich bewachten, trieben einen Handel damit, verkauften sie auch zuletzt bis zu zwölf Dukaten, und nach meiner erlangten Freiheit ist ihr Wert so hoch gestiegen, daß man sie in verschiedenen Ländern Europas in den Kabinetten der Seltsamkeiten noch gegenwärtig findet.

Einen davon hat der verstorbene Landgraf von Hessen-Kassel vor zwölf Jahren meiner Frau zum Andenken geschenkt; der andre, welcher in Paris zu finden, ist auf eine wunderbare Art aus den Händen der verwitweten Königin Majestät dahin gekommen.

Wunderbar, ist doch die Geschichte mit diesen Bechern; denn bei Lebensstrafe war verboten, mit mir zu sprechen oder mir Tinte und Feder zu gestatten, und dennoch usurpierte oder erschlich ich allgemach die offene Erlaubnis, alles in Zinn zu schreiben, was ich der Welt von mir sagen wollte, und erschien hierdurch vor den Augen derer, die mich vorher nie kannten, in der Gestalt eines unterdrückten, brauchbaren Mannes. Meine Becher erwarben mir Achtung und Freunde, und dieser Erfindung habe ich größtenteils meine endlich erlangte Freiheit zu danken.

Nun muß ich aber auch noch etwas sagen, um ihren Wert zu erheben. Ich arbeitete bei Licht auf glänzendem Zinn und erfand die Kunst, den Bildern durch die Art der Strichel Licht und Schatten zu geben. Durch Übung wurden zuletzt die Abteilungen von zweiunddreißig Bildern so regulär, als ob sie mit dem Zirkel abgemessen wären.

Die Schrift war so fein, daß sie nur mit Vergrößerungsgläsern gelesen werden konnte.

Weil beide Hände an einer Stange angeschmiedet waren, und ich nur eine brauchen konnte, lernte ich den Becher mit den Knieen halten.

Mein einziges Instrument war ein geschliffener Brettnagel, und dennoch findet man sogar auf dem Rande doppelte Zeilen Schriften.

Übrigens hätte diese Arbeit mich zuletzt zum Narren oder blind gemacht. Jedermann forderte Becher, und ich saß, um gefällig zu sein, gewiß täglich achtzehn Stunden bei der Gravierung. Das Licht blendete auf dem glänzenden Zinn, und die Erfindung aller Zeichnungen und Stellungen griff zugleich mehr, als man glaubt, die denkenden und Einbildungskräfte an, weil ich kein Original vor mir, und in meinem Leben nichts von der Zeichnungskunst gelernt hatte, als das, was zur Militär- und Civilarchitektur erforderlich ist.

Genug hier von diesen zinnernen Bechern, die mir so viel Ehre und Vorteile verschafften, auch manche Trauerstunde verkürzen halfen. Das ärgste dabei war das ungeheure Halseisen, welches nebst seinen schweren Ketten mir die Nerven am Nacken drückte und täglich Kopfschmerzen verursachte. Ich wurde auch wirklich zum drittenmal krank, weil ich zu viel still saß, und eine Braunschweiger Wurst, die mir ein Freund heimlich zusteckte, mir eine Indigestion verursachte, wovon ich beinahe gestorben wäre. Es folgte ein Faulfieber, und binnen zwei Monaten sah ich einem Totengerippe ähnlich, ob mir gleich von den wachthabenden Offizieren Arznei und zuweilen warmes Essen gegeben wurde.

Nun war es aber auch wieder Zeit, an meine Freiheit zu denken und eine neue Unternehmung zu wagen. Mein Geld, welches ich hin und wieder versteckt hatte, war ausgeteilt, und unter dem Fußboden lagen nur noch vierzig Louisdors versteckt, den ich erst aufbrechen mußte.

Der alte Leutnant Sonntag war lungensüchtig und nahm als Invalide seinen Abschied. Diesem gab ich Reisegeld und schickte ihn nach Wien mit der besten Rekommandation, ihm so lange jährlich aus meiner Kasse vierhundert Gulden zu geben, bis ich meine Freiheit erhielte, oder er leben würde. Sein Auftrag war, bei der Monarchin eine Audienz zu suchen und Mitleid und Beistand für mich anhaltend zu sollicitieren. Dabei gab ich ihm eine Anweisung, viertausend Gulden für mich von meinem Gelde zu empfangen, und mir dieselben über Hamburg an den Kapitän Knoblauch zu übermachen, der sie mir heimlich zugesteckt hätte. Ich empfahl ihn an den Hofrat von Kempf, welcher während meines Gefängnisses, nebst dem Hofrat von Hüttner, die Administration meines Vermögens führten.

Doch ach! niemand wünschte in Wien meine Zurückkunft. Man hatte bereits angefangen, mein Gut zu teilen, worüber man nie Rechnung ablegen wollte. Der gute Leutnant Sonntag wurde also als ein Kundschafter oder Spion arretiert und etliche Wochen hindurch im Gefängnisse mißhandelt. Endlich gab man ihm, da er nackt und bloß war, hundert elende Gulden und ließ ihn über die Grenze führen.

Der redliche Mann, ein schmähliches Opfer seiner Treue und Redlichkeit, hat also die Monarchin nicht sprechen können und ist elend und kümmerlich zu Fuße nach Berlin gegangen, wo er sich noch ein Jahr lang heimlich bei seinem Bruder aufgehalten hat und gestorben ist.

Er schrieb sein Schicksal dem ehrlichen Knoblauch, und ich hab' ihm noch durch eben denselben aus meinem Kerker hundert Dukaten geschickt.

Man urteile, wie mir bei solchen Nachrichten aus Wien, von meinem Zufluchtsorte, zumute war.

Es ereignete sich aber ein Vorfall, daß ein Freund, den ich aber nie nennen werde, mich durch Hilfe eines andern wachthabenden Leutnants heimlich besuchte. Durch diesen erhielt ich sechshundert Dukaten, und dies ist auch eben der Freund, welcher durch eben diesen Kanal noch im Jahre 1763 viertausend Gulden dem kaiserlichen Gesandten in Berlin, Baron Riedt, zur Beförderung meiner Freiheit bar bezahlt hat, wovon ich besser unten Erwähnung tun werde. Nun hatte ich wieder Geld.

Ich verfiel nun auf ein neues fürchterliches Projekt, um mich zu retten.

Die ganze Magdeburger Garnison bestand damals aus neunhundert Köpfen Landmiliz, die alle mißvergnügt waren. Ich hatte zwei Majore und zwei Leutnants auf meiner Seite, und die Wache in der Sternschanze, wo ich saß, bestand nur aus fünfzehn Mann, welche auch meistens bereit waren, meinem Winke zu folgen.

Vor dem Tore der Sternschanze war das Stadttor nur mit zwölf Mann und einem Unteroffizier besetzt, und gleich an demselben lag die Kasematte, in welcher siebentausend Kroaten als Kriegsgefangene eingesperrt waren.

In unserm Einverständnisse war noch ein kriegsgefangener Hauptmann, Baron K—y, welcher unter seinen Kameraden ein Komplott gemacht hatte, um zur bestimmten Stunde in einem sichern Hause, unweit dem Tore, versammelt zu sein und meine Unternehmung zu unterstützen.

Ein anderer Freund wollte seiner Kompagnie Gewehre und Patronen unter einem falschen Vorwand in seinem Quartier bereit halten — und überhaupt waren alle Vorkehrungen so getroffen, daß ich auf vierhundert Gewehre sichere Rechnung machen konnte.

Dann wäre mein wachthabender Offizier zu mir hereingekommen, hätte die etwa uns verdächtigen zwei Mann zu mir auf die Schildwache gestellt und ihnen befohlen, mein Bett hinauszutragen. Indessen wäre ich hinausgesprungen und hätte diese Schildwachen eingesperrt.

Kleider und Waffen wären für mich bereit gewesen und zuvor in mein Gefängnis getragen worden.

Dann hätten wir uns des Stadttors bemeistert, ich aber wäre in die Kasematte gelaufen und hätte den Kroaten als Trenck zugerufen, das Gewehr zu ergreifen. Meine andern Freunde brachen indessen auch los, und kurz gesagt, der ganze Anschlag war so ausgearbeitet, daß er unmöglich fehlschlagen konnte. Magdeburg, das Magazin der Armee, die königliche Schatzkammer, das Zeughaus, alles geriet in meine Gewalt, und sechzehntausend Mann Kriegsgefangene, die damals in der Stadt lagen, waren hinlänglich, den Besitz zu behaupten.

Nun nahm ein gewisser Leutnant G*** Urlaub, als ob er seine Eltern in Braunschweig besuchen wollte. Ich gab ihm Reisegeld und er eilte nach Wien.

Dort hatte ich ihn an die Hofräte von Kempf und Hüttner adressiert, ihm nur einen Brief mitgegeben, worin ich zweitausend Dukaten von meinem Gelde forderte, und versicherte, daß ich hierdurch bald in Freiheit sein, auch mich der Festung Magdeburg bemeistern würde. Alles übrige umständlich sollte dem Überbringer mündlich geglaubt werden.

G*** kommt in Wien glücklich an, man macht ihm tausend Fragen, besonders verschiedenemal um seinen Namen.

Er gibt sich zum Glück einen andern, der wirklich verraten wurde. Endlich gibt man ihm den Rat, sich nicht in so gefährliche Unternehmungen zu mischen, sagt ihm, es sei nicht so viel Geld in meiner Kasse, und fertigt ihn mit tausend Gulden ab, anstatt ihm die von mir verlangten zweitausend Dukaten zu geben. Hiermit kehrt er zurück, erhielt aber Wind und war so vernünftig, daß er Magdeburg nicht wiedersah.

Denn kaum war er vier Wochen abwesend, so trat der damalige Gouverneur, Erbprinz von Hessen-Kassel, der eben letzt verstorbene regierende Landgraf, in mein Gefängnis, zeigte mir meinen Brief und mein Projekt, den ich nach Wien geschickt, vor die Augen und fragte, wer diesen Brief bestellt habe, und wer die Leute wären, die mich befreien und Magdeburg verraten wollten?

Ob nun derselbe direkt an den König geschickt worden, oder durch einen geraden Weg in die Hände des Gouverneurs geraten sei, dieses habe ich nie entdecken können; genug, ich war verraten, und abermals in Wien verraten und verkauft.

Nun kann man sich meine Bestürzung vorstellen, als der Gouverneur mir meinen Brief vorzeigte. Ich behielt aber Geistesgegenwart und leugnete geradewegs meine Handschrift, schien auch über einen so arglistigen Streich ganz erstaunt.

Der Landgraf suchte mich zu überzeugen und erzählte mir sogar den Inhalt des mündlichen Auftrags, welchen der Leutnant Kemnitz in Wien vorgetragen haben sollte, um Magdeburg in des Feindes Hände zu spielen. Hieraus erkannte ich die Verräterei klar. Weil aber kein Leutnant Kemnitz in der Garnison existierte und sich mein Freund zum Glück nicht ganz in Wien aufgedeckt und diesen falschen Namen gegeben hatte, so blieb alles ein nicht zu entwickelndes Rätsel; umso mehr, da das ganze unwahrscheinlich schien und niemand glauben konnte noch wollte, daß ein Arrestant meiner Art und in meiner Lage die ganze Garnison gewinnen oder übermannen könne.

Der gute Fürst verließ meinen Kerker und schien mit meiner Ausflucht zufrieden zu sein, besonders da sein Herz keine Freude am Unglück der Menschen empfand.

Indessen erschien am folgenden Tage eine ganze Kommission in meinem Gefängnisse. Es wurde ein Tisch hereingetragen, wobei der Kommandant, Herr von Reichmann, selbst präsidierte.

Man klagte mich als einen Landesverräter an. Ich beharrte darauf, meine Handschrift zu leugnen. Beweise und Zeugen zur Konfrontation waren nicht da.

Hiermit war das Verhör geschlossen, nichts wurde erwiesen noch aufgedeckt, und alles blieb beim alten.

Weil man aber doch Offiziere in Verdacht hatte, so wurden alle drei, die bisher mich bewachten, umgeändert, wodurch ich meine zwei besten Freunde verlor. Es währte aber nicht lange, so hatte ich schon wieder zwei andere durch Geld gewonnen, welches mir leicht fiel, weil ich den Nationalcharakter kannte und zur Landmiliz nur arme oder unzufriedene Offiziere gewählt werden konnten.

Sobald ich nun wieder einen wachthabenden Offizier auf meiner Seite hatte, machte ich den Entwurf, bei eben dem Loche wieder auszubrechen, wo der erste Anschlag mir mißlang.

Da es mir nicht an Instrumenten fehlte, so waren Fesseln und Fußboden bald wieder durchschnitten, auch alles so gut vorgekehrt, daß ich keine Visitation zu fürchten hatte. Hier fand ich nun gleich mein verstecktes Geld, Pistolen und alle Bedürfnisse. Es war aber unmöglich, vorwärts zu arbeiten, ehe ich einige Zentner Sand herausgeschafft hatte.

Dieses geschah auf folgende Art: Ich machte zwei verschiedene Öffnungen im Fußboden, die eine war der falsche, die andere der wirkliche Angriff. Dann warf ich einen großen Haufen Sand in mein Gefängnis, machte aber das Loch mit aller Vorsicht wieder zu. Hierauf arbeitete ich bei der andern so laut, so unvorsichtig, daß man mich draußen unfehlbar in der Erde wühlen hören mußte.

Um Mitternacht wurden plötzlich alle Türen geöffnet, und man fand mich bei der Arbeit, bei welcher ich selbst überfallen zu werden wünschte. Niemand begriff, warum ich unter der Türe ausbrechen wollte, wo dreifache Schildwachen standen. Die Wache blieb bei mir im Kerker. Am Morgen aber kamen etliche Arrestanten, welche den Schutt mit Karren hinausführen mußten. Das Loch wurde wieder zugemauert und mit neuen Brettern geschlossen. Meine Fesseln wurden wieder neu angeschmiedet. Man lachte über eine unmögliche Unternehmung, nahm mir zur Strafe mein Licht und mein Bett weg, welche beide mir aber nach vierzehn Tagen wiedergegeben wurden.

Das rechte Loch wurde aber niemand gewahr, wo ich die meiste Erde hinausgeworfen hatte, und da der Major und der Leutnant meine Freunde waren, so wollte auch niemand bemerken, daß man dreimal mehr Sand ausführte, als die gefundene Öffnung fassen konnte. Nunmehr glaubte man aber nach einer so lächerlich als möglich scheinenden Unternehmung, daß es die letzte sein werde, und sogar Bruckhausen wurde im Visitieren ganz nachlässig.

Nach etlichen Wochen kam der Gouverneur nebst dem Kommandanten zu mir, anstatt aber wie Borck zu drohen und zu schmähen, sprach der Landgraf ganz gütig mit mir, versicherte mir seine Fürbitte und Protektion bei erfolgendem Frieden, sagte mir auch, ich habe mehr Freunde, als ich selbst glauben könne, und daß der Wiener Hof mich nicht verlassen habe.

Mein Vortrag, meine Erklärung erschütterten seine Seele und rührten ihn bis zu Tränen, die er vergebens verbergen wollte. In diesem Augenblicke bemeisterte sich die Freude aller meiner Sinne, ich warf mich ihm zu Füßen, redete wie Cicero und fand einen Fürsten, der edel dachte.

Er versprach mir alle möglichen Erleichterungen, ich hingegen gab ihm mein Ehrenwort, daß ich nichts mehr zur Flucht unternehmen wolle, so lange er Gouverneur in Magdeburg bliebe. Die Art meines Vertrags war für ihn überzeugend, und sogleich befahl er, mir das ungeheure Halseisen abzunehmen, ließ mir das zugenagelte Fenster wieder öffnen, befahl die inwendigen Türen täglich zwei Stunden offen zu lassen, ließ mir einen kleinen eisernen Ofen in den Kerker setzen, den ich selbst von inwendig heizen konnte; gab mir auch bessere Hemden, die mir die Haut nicht wund rieben und befahl auch, mir ein Buch weißes Papier hereinzugeben. Auf dieses durfte ich meine Gedanken und Gedichte zum Zeitvertreibe niederschreiben. Dann sollte der Platzmajor die Blätter zählen, damit ich keine mißbrauchen könne, und mir wieder andere weiße, gleichfalls gezählte, zurückgeben.

Tinte wurde mir aber nicht gestattet, ich stach mich also in die Finger und ließ Blut in einen Scherben laufen; wenn es geronnen war, ließ ich's wieder in der Hand erwärmen, das fließende ablaufen und warf die fiebernden Teile weg. Auf diese Art hatte ich nicht nur gute flüssige Tinte zum Schreiben, sondern auch zugleich Farbe zum Malen.

Nun war ich also Tag und Nacht mit Bechergravieren oder Satirenschreiben beschäftigt, und ich hatte nunmehr offene Gelegenheit, alles vorzutragen, was ich wollte, meine Talente zu entdecken und Mitleid und Achtung zu erwecken, besonders da ich wußte, daß meine Gedichte, Sinnbilder und Gedanken zuweilen öffentlich bei Hofe vorgelesen wurden, und Ihre königliche Hoheit die Prinzessin Amalia und die großmütige Königin selbst einen Gefallen daran bezeigten. Bald erhielt ich Aufträge, für gewählte Gegenstände zu arbeiten. Und eben der Mann, welchen der Monarch lebendig begraben wissen wollte, dessen Namen aber gar niemand nennen sollte, hat wirklich nie mehr gelebt, noch von sich sprechen gemacht, als da er in diesem Grabe seufzte. Kurz gesagt, man fing an, mich näher kennen zu lernen. Meine Schriften rührten und haben mir auch wirklich die Freiheit zuwege gebracht.

Meinen erarbeiteten Wissenschaften, meiner Geistesgegenwart in großen Gefahren, habe ich demnach alles zu verdanken. Diese konnte mir Friedrichs Macht nicht nehmen, und durch diese allein erhielt ich das, was sein Zorn und Machtspruch mir auf ewig zu entreißen gesonnen war. Ich erhielt, sage ich, meine Freiheit, obgleich der aufgebrachte Monarch bei verschiedenen Fürbitten allezeit geantwortet hatte: »C'est un homme dangereux; durant que j'existe, il ne verra pas le jour«, oder: »Es ist ein gefährlicher Mensch, solange ich lebe, wird er das Tageslicht nicht sehen.«

So lebte ich fast achtzehn Monate in stiller Gelassenheit, ohne eine neue Unternehmung zu wagen.

Der regierende Landgraf zu Kassel starb aber, und Magdeburg verlor seinen großmütigen Gouverneur. Der Kommandant von Reichmann war jedoch, wie gesagt, auch ein Menschenfreund, und zeigte Mitleid und Achtung für mich.

Nun ereignete sich der Vorfall in Rußland: Elisabeth starb, Peter änderte das Verbindungssystem, Katharina stieg auf den Thron und erzwang den Frieden.

Sobald ich hiervon Nachricht hatte, wollte ich mich für alle Fälle in Sicherheit stellen. In Wien war durch den redlichen Hauptmann K*** meine Korrespondenz offen, man versicherte mir Hilfe, gab mir aber zugleich zu verstehen, daß meine Güterbesitzer und Rechnungsführer das Gegenteil bearbeiteten. Ich wagte nun noch einmal einen Offizier zu überreden, daß er mit mir entfliehen sollte. Umsonst! ich fand keinen Schell mehr! Der Wille war gut, aber Mut zur Ausführung fehlte.

Ich öffnete also mein altes Loch, wo ich bereits etwas Raum gemacht hatte, und meine Freunde halfen mir auf allerhand Art etwas Sand herausschaffen. Mein Geld war ziemlich geschmolzen, man versah mich mit allen erforderlichen Instrumenten, mit frischem Pulver und einem guten Degen.

Alles wurde unter dem Boden versteckt, den niemand mehr visitierte, weil ich so lange ruhig gewesen war.

Mein Anschlag war dieser: Ich wollte den Frieden abwarten, falls ich aber durch denselben nicht gerettet würde, dann sollte mein unterirdischer Gang bis zur Galerie im Walle fertig sein, um nur in derselben Öffnung zu machen und zu entfliehen.

Zur vollkommenen Sicherheit war folgendes verabredet: Ein alter Leutnant der Landmiliz hatte in der Vorstadt ein kleines Häuschen von meinem Gelde gekauft, wo ich mich allenfalls verbergen konnte.

Zu Gummern in Sachsen, eine Stunde von Magdeburg, standen zwei gute Pferde nebst einem Freunde bereit, die ein ganzes Jahr auf mich daselbst warten mußten. Die Abrede war diese, daß sogleich nach wirklich erfolgtem Frieden in jedem Monate, den 1. und auch den 15., mein Freund an das Glacis vom Kloster Bergen reiten und auf ein gewisses Signal mir zu Hilfe eilen sollte.

Nun kam es nur darauf an, mein Gefängnis zu durchbrechen, um auf alle Fälle bereit zu sein.

Ich durchschnitt also einige obere Bretter auf eben die Art, wie die ersteren, nahm allgemach die ganze doppelte untere Lage, die sechs Zoll dick war, weg, zerschnitt sie mit meinem Meißel in Stücke, verbrannte diese im Ofen und füllte den hierdurch gewonnenen leeren Raum mit dem Sande aus meinem unterirdischen Kanal. Hierdurch gewann ich fast den halben Weg.

Dann steckten mir meine Freunde einen Vorrat von Leinwand zu, wovon ich Sandsäcke machte, die ich geschwind ein- und ausschieben konnte; hierdurch kam ich glücklich bis an die Galerie zum Ausbruche. Dann wurde alles geschlossen, festgemacht und so gut verwahrt, daß ich bei der genauesten Visitation nichts zu befürchten hatte, weil ich vom untern Holze überall so viel stehen ließ, daß das obere befestigt blieb. Die oben durchschnittenen Bretter waren alle doppelt festgenagelt und verursachten keinen Verdacht, besonders da die neu ankommende Garnison nicht einmal wissen konnte, ob sie ganz oder stückweise gelegt waren.

Während dieser schweren Arbeit, die mich wieder ganz entkräftet hatte, wurde wirklich Frieden, und bei Einrückung der alten Feldregimenter verlor ich alle meine Freunde und Nothelfer auf einmal.

Ich erfuhr in der Zwischenzeit, daß General Riedt vom Wiener Hofe nach Berlin als Gesandter ernannt war.

Nun kannte ich die Welt aus geprüfter Erfahrung, wußte auch, daß dieser Herr allezeit Geld brauchte. Deshalb schrieb ich ihm einen beweglichen Brief, bat ihn, mich nicht zu verlassen und mehr für mich zu tun, als vielleicht sein Auftrag von Wien forderte. Zugleich schloß ich eine Anweisung auf sechstausend Gulden bei, welche ihm in Wien von meinem Gelde bezahlt werden sollten, und viertausend Gulden hat er sogleich von einem meiner Verwandten hierzu empfangen, den ich hier nicht nennen darf.

Diesen zehntausend Gulden habe ich eigentlich meine erst neun Monate nachher erfolgte Freiheit zu danken, denn meine in Händen befindliche Wiener Rechnung beweist, daß die sechstausend Gulden schon im April 1763 von meinen Administratoren auf Hofbefehl für Order des General Riedt an die Staatskanzlei des Fürsten Kaunitz bar bezahlt wurden. Die andern viertausend Gulden habe ich nach meiner erlangten Freiheit meinem Freunde, der sie vorgeschossen hatte, dankbar zurückgezahlt.

Ich hatte nun, noch ehe die Garnison abzog, bereits Nachricht, daß im Hubertusburger Frieden nichts für mich geschehen war. Unser damaliger Bevollmächtigter hatte erst nach bereits ratifizierten Artikeln ganz kaltblütig meinetwegen mit dem preußischen Minister, dem gegenwärtigen Grafen von Herzberg, gesprochen, aber nichts ernsthaft betrieben, noch sollicitiert. Von Berlin gab man mir aber Versicherung, für mich ernsthaft bei dem König zu arbeiten, und auf dieses Versprechen konnte ich mehr bauen, als auf die Wiener Protektion, welche mich zehn Jahre hindurch so hilflos und so verächtlich im Unglück verlassen hatte. Deshalb entschloß ich mich, noch drei Monate zu warten, ob etwas erfolgte, dann aber erst eigenmächtig aus meinem Gefängnisse zu entfliehen.

Die Ablösung der Garnison geschah, und nun war alles neu für mich. Die Offiziere der Wache waren alle Edelleute und schwerer zu gewinnen, als die Landmiliz, und die Majore vollzogen ihre Befehle buchstäblich. Ich brauchte zwar keinen mehr zu meinen Plänen, mein Herz sehnte sich aber nach den gewöhnten Freunden; und nun hatte ich wieder nichts als mein Kommißbrot zur Nahrung, weil mir niemand mehr das mindeste zusteckte.

Die Zeit fing mir an lang zu werden, man hatte bei der Übergabe alles genau visitiert und nichts gefunden. Es war aber doch möglich, daß eine klügere Untersuchung alles entdecken und meine Anschläge vernichten konnte. Ein ungefährer Zufall hätte dieses leicht verursachen können, den ich hier als etwas besonderes erzählen muß.

Ich hatte seit zwei Jahren eine Maus so zahm gemacht, daß sie den ganzen Tag auf mir herumspielte und mir aus dem Munde fraß.

Diese wirklich kluge Maus hätte mich nun beinahe unglücklich gemacht. Sie hatte bei der Nacht an meiner Türe genagt und Kapriolen in meinem Zimmer auf einem hölzernen Teller gemacht. Die Schildwachen hörten es und riefen den Offizier. Dieser hört auch und meldet weiter, es gehe nicht richtig in meinem Gefängnisse zu. Auf einmal wurden mit Anbruch des Tages meine Türen eröffnet, und Platzmajor, Schlosser und Maurer traten herein. Man fing an, alles auf das genaueste zu durchsuchen. Boden, Mauern, Ketten, auch mein Leib wurde visitiert, man fand aber nichts. Endlich fragte man mich, was ich verwichene Nacht gearbeitet und gepoltert hätte. Ich hatte die Maus selbst gehört und klagte das arme Tier an. Gleich wurde befohlen, sie abzuschaffen. Ich pfiff, gleich war sie auf meiner Schulter; nur bat ich für ihr Leben, und der wachthabende Offizier nahm sie mit sich in sein Zimmer, mit dem heiligsten Versprechen, er wolle sie einer Dame schenken, wo es ihr ganz gut gehen sollte. Er nahm sie mit und ließ sie im Wachzimmer laufen. Sie war aber für keinen andern Menschen zahm und hatte sich gleich versteckt.

In der Nacht hatte sie aber, wie die Schildwachen am folgenden Morgen gemeldet, an meiner äußeren Türe beständig genagt, und die Merkmale waren sichtbar.

Zu Mittag, da man zum Visitieren hereinkam und damit beschäftigt war, lief auf einmal meine Maus mir die Beine herauf auf die Schulter und machte allerhand Sprünge, um ihre Freude zu bezeigen.

Jedermann war erstaunt und wollte diese Maus haben; der Major nahm sie mit für seine Gemahlin. Diese hatte ihr einen schönen Käfig machen lassen, in welchem sie aber nichts gefressen und nach einigen Tagen tot gefunden wurde.

Dieser Vorfall mit der Maus beschleunigte meinen Entschluß. Ich wollte nicht drei Monate warten.

Da ich nun bereits meine Anstalten erzählt habe, laut welchen ich in jedem Monat den 1. und 15. festgesetzt hatte, wo die Pferde außerhalb der Festung auf mich warteten, so verstrich der 1. August allein deshalb, weil ich den redlichen Major von Pfuhl, welcher mir mehr Menschenliebe als die andern zeigte, nicht unglücklich machen wollte, und an eben diesem Tage die Inspektion in der Sternschanze hatte.

Es wurde aber der 15. August hierzu festgesetzt, und länger wollte ich nicht warten.

Mit diesem festen Plane vollkommen entschieden, verflossen einige Tage in Sehnsucht, den Tag abzuwarten, an welchem ich mich eigenmächtig retten konnte.

Auf einmal ereignete sich ein Vorfall, welcher einer der merkwürdigsten in meiner Lebensgeschichte ist.

Der Major du jour, welcher sonst allezeit selbst mein Gefängnis aufzuschließen gewohnt war, mußte eiligst in die Stadt, wo Feueralarm geschlagen wurde, und gab dem Leutnant die Schlüssel, um bei mir zu visitieren.

Dieser kam herein, sah mich mit Mitleid an und fragte: »Aber lieber Trenck! haben Sie denn in sieben Jahren unter den Landmilizoffizieren keinen Erretter, wie in Glatz den Schell, finden können?« — Meine Antwort war: »Mein Freund! Freunde solcher Art sind selten zu finden. Am Willen hat es keinem gefehlt, jeder wußte, daß er durch mich glücklich werden konnte. Aber keiner hatte Herz genug im Leibe, um eine entschlossene Unternehmung auszuführen. Geld hab' ich ihnen genug gegeben, aber wenig Hilfe von ihnen erhalten.« — »Wo nehmen Sie denn das Geld her?« — »Von Wien, mein Freund, durch geheime Korrespondenz, die sie mir beförderten. Und noch gegenwärtig bin ich damit für einen Freund versehen. Kann ich Ihnen damit Dienste leisten?« Gleich zog ich fünfzig Dukaten aus einem Loche heraus, welches an der Schwelle des Türgerüstes hierzu gebohrt war, und gab sie ihm. Er weigerte sich, nahm sie aber endlich mit Zaghaftigkeit an, versprach sogleich wiederzukommen, ging hinaus, hing die Schlösser nur verblendet vor und hielt Wort. Nun erklärte er sich offenherzig, daß er ohnedies wegen Schulden desertieren müßte und längst den Vorsatz gefaßt hätte; könne er mir also mit forthelfen, so wäre er zu allem bereit, ich sollte ihm nur den Entwurf zur Möglichkeit machen. Wir blieben etwa zwei Stunden allein zusammen, das Projekt war bald gemacht, approbiert, möglich und sicher zur glücklichen Ausführung gefunden; besonders da ich ihm sagte, daß meine Pferde in Gummern bereit ständen.

Gleich war Brüderschaft und ewige Freundschaft geschlossen. Ich gab ihm noch fünfzig Dukaten, und niemals hatte er so viel Geld in seinem Besitz gehabt; denn alle seine Schulden, um welche er desertieren wollte, betrugen nicht zweihundert Reichstaler. Da er aber von Hause gar nichts hatte, so war es unmöglich, dieselben von seiner Gage zu bezahlen.

Unsere Abrede war in kurzem diese: Er sollte sich vier Schlüssel anschaffen, welche denen meiner Türe nur im äußern Anblicke ähnlich wären. Diese sollte er am Tage, da wir unser Vorhaben ausführen wollten, verwechseln, weil sie indessen, da der Major bei dem arretierten General Wallrabe zu Mittag speiste, in der Wachstube verwahrt waren.

Dann, sobald der Major in der Stadt wäre, seine Grenadiere teils auf einige Stunden beurlauben oder in allerhand Aufträgen in die Stadt schicken, am Schlagbaume den Posten einziehen, dann aber zu mir hereinkommen und meinen beiden Schildwachen befehlen, mein Bett herauszutragen.

Indem sie hiermit beschäftigt wären, wollte ich hinausspringen und diese Leute in meinem Kerker einsperren; dann setzten wir uns ungehindert auf die zur bestimmten Stunde bereit gehaltenen Pferde und galoppierten nach Gummern.

Binnen acht Tagen, bei seiner zweiten Wache, sollte alles bewerkstelligt werden.

Kaum hatten wir so viel verabredet, als die Schlagbaumschildwache für den ankommenden Major in das Gewehr rief. Eiligst sprang er hinaus, schloß die Türen und der Major ging zum General Wallrabe hinein. Nun war ja kein Mensch glücklicher, als ich in meinem Kerker. Dreifache Hoffnung lag jetzt vor mir, um meine Freiheit unfehlbar zu erhalten: Die mir zugesicherte Vermittlung des kaiserlichen Gesandten in Berlin, mein bereits unterirdisches fertiges Loch und der neue Leutnant von der Wache.

Berauscht in Freude und Aussicht glücklicher, siegreicher Zukunft, bin ich vielleicht in eben den Augenblicken, wo mein Verstand am wirksamsten wählen und entscheiden sollte, meiner Beurteilungskraft beraubt gewesen, oder die Eigenliebe hatte mich betäubt, um einen Entschluß zu fassen, welcher jedem vernünftigen Leser aber so unüberlegt als verwegen, dummdreist und bedauernswert scheinen wird.

Ich geriet auf die törichten Gedanken, daß ich den Großmut des großen Friedrich auf die Probe setzen wolle. Fände ich diese nicht und schlüge dieser Anschlag fehl, dann hätte ich in allen Fällen meinen Leutnant zum sicheren Erretter.

Diesem tausendfach beweinten Plane gemäß, in den ich mich selbst verliebt hatte und deshalb mit Sehnsucht den Tag erwartete, redete ich den zur Visitation hereintretenden Major zu Mittag auf folgende Art an:

»Ich weiß, Herr Major, daß der Gouverneur, der großmütige Herzog Ferdinand von Braunschweig, gegenwärtig in Magdeburg ist. (Dieses hatte mir mein Freund gesagt.) Gehen Sie sogleich zu ihm und sagen Sie ihm, er möchte zuvor mein Gefängnis visitieren, die Schildwachen verdoppeln lassen und dann befehlen, zu welcher Stunde am hellen Tage ich mich außer den Werken der Sternschanze auf dem Glacis bei Kloster Bergen in vollkommener Freiheit sehen lassen sollte. Wäre ich dieses zu bewerkstelligen imstande, dann hoffte ich auf die Protektion des Herzogs, welcher diesen Auftritt dem Könige melden sollte, um ihn von meinem reinen Gewissen und allezeit rechtschaffenen Handlungen zu überzeugen.«

Der Major erstaunte, sah den Leutnant an und glaubte wirklich, ich wäre verrückt, weil ihm der Vortrag lächerlich und die Ausführung meines Anerbietens platterdings unmöglich schien. Ich beharrte aber ernsthaft auf meiner Bitte. Er ritt in die Stadt und kam nebst dem Kommandanten, Herrn von Reichmann, mit dem Platzmajor Riding und dem andern Inspektionsmajor zu mir zurück mit der Antwort:

»Der Herzog ließ mir sagen, wenn ich dieses, was ich mich anheischig mache, zu bewerkstelligen imstande wäre, dann versichere er mich seiner ganzen Protektion und der Gnade des Königs, und sogleich wolle er mich von allen Fesseln befreien.«

Nun forderte ich die Bestimmung der Stunde im vollen Ernste. Noch scherzte man und hielt alles unmöglich. Endlich hieß es, ich sollte sagen, auf welche Art, ohne es auszuführen; es wäre genug, wenn ich die Möglichkeit erwies. Im Weigerungsfalle würde sogleich mein ganzer Fußboden aufgebrochen werden, und man würde Tag und Nacht Wache in mein Zimmer stellen. Der Gouverneur wolle sich nur von der Möglichkeit überzeugen, aber keinen wirklichen Ausbruch gestatten.

Nach langem Kapitulieren und den heiligsten Versicherungen warf ich ihnen auf einmal alle meine Fesseln vor die Füße, öffnete mein Loch, gab ihnen mein Gewehr und alle meine Instrumente, auch zwei Schlüssel zu Ausfalltüren in den unterirdischen Galerien. Ich hieß sie in die erste, siebenunddreißig Fuß weit von meinem Kerker, gehen und mit dem Degen den Ausbruch sondieren, welcher in wenig Minuten geschehen könnte; dann sagte ich ihnen jeden Schritt, den ich inwendig zur Türe in jedem Wall zu gehen hatte. Beide waren seit sechs Monaten unverschlossen, zu den andern gab ich ihnen die Schlüssel. Und endlich entdeckte ich ihnen auch, daß ich an dem Glacis bei Kloster Bergen auf jeden Wink Pferde bereit habe, deren Stall sie aber zu entdecken außer stände wären.

Sie gingen hinaus, sahen, kamen wieder herein und machten Fragen und Einwürfe, die ich so gut beantwortete, als ein Ingenieur, der die Sternschanze gebaut hatte. Dann traten sie wieder hinaus, wünschten mir Glück, blieben etwa eine Stunde weg, kamen sodann wieder, sagten mir, der Herzog sei erstaunt über den erhaltenen Bericht, wünschten mir Glück und führten mich hinaus ohne Fesseln in das Zimmer des wachthabenden Offiziers.

Am Abend kam der Major zu uns, gab ein herrliches Souper und versicherte mir, nunmehr werde alles gut gehen. Der Herzog habe bereits nach Berlin geschrieben.

Am folgenden Tage wurde aber die Wache verstärkt: zwei Grenadiere traten in das Offizierzimmer als Schildwachen. Die ganze Wache lud scharfe Patronen vor meinen Augen, und kurz gesagt, man machte Vorkehrungen, als ob ich eine Unternehmung, wie zu Glatz, machen wollte; sogar die Ziehbrücken wurden am hellen Tage aufgezogen.

Dann sah ich vor meinen Augen sogleich eine Menge Menschen an meinem Kerker arbeiten und viele Wagen mit Quadersteinen hinunterfahren. Indessen aber waren die wachthabenden Offiziere freundlich und liebreich mit mir; die Tafel war gut, wir aßen zusammen, aber ein Unteroffizier und zwei Mann blieben beständig bei uns im Zimmer, folglich waren alle Unterredungen sehr behutsam. Dieses dauert vier oder fünf Tage, bis endlich mein neuer Freund, auf den ich mich ganz verließ, zu mir auf die Wache kam. Er schien der alte zu sein, die Augenzeugen gestatteten uns wenig Unterredung. Indessen gewannen wir doch zuweilen Gelegenheit, er war erstaunt über meine unzeitig gemachte Entdeckung, sagte mir, der Herzog wüßte gar nichts davon, und in der ganzen Garnison hieß es, man habe mich abermals bei dem Ausbrechen erhascht.

Hier ging mir schon das Licht auf, aber leider zu spät. Ich versicherte meinem Freunde, ich habe allein alles getan, weil ich mich nunmehr auf sein Wort verließ. Er beteuerte mir dasselbe und versprach alles.

Nunmehr war mein Mut unbegrenzt, meine Rache aber gegen so niederträchtiges Verfahren des Kommandanten im Herzen beschlossen.

Binnen acht Tagen war der neue Bau meines Gefängnisses fertig. Der Platzmajor erschien nebst dem Major du jour und führten mich wieder in meinen Kerker zurück. Hier wurde ich nur mit einem Fuße an die Mauerkette befestigt, die aber doppelt schwerer als die vorige war. Alle übrigen Fesseln wurden mir nicht mehr angelegt.

Der Fußboden war nunmehr mit großen Quadersteinen ausgepflastert und folglich das Gefängnis wirklich undurchdringlich gemacht. Mein Geld allein blieb gerettet, welches in den Türgerüsten und der Ofenröhre gesteckt war; ungefähr dreißig Louisdors trug ich am Leibe, diese wurden gefunden und weggenommen.

Da man mich nun wieder anschmiedete, sagte ich dem Kommandanten in einem erbitterten Tone: »Ist das die Folge des herzoglichen Ehrenwortes? Habe ich solche Mißhandlung für meine Großmut verdient? Ich weiß aber schon, daß man falsch rapportiert hat. Die Wahrheit wird aber dennoch offenbar werden und Schurken beschämen! Nunmehr erkläre ich Ihnen aber, daß Sie den Trenck nicht mehr lange in Ihrer Gewalt haben werden. Und bauten Sie mir einen Kerker von Stahl, so werden Sie mich nicht festhalten.«

Man lachte über meine Drohungen. Reichmann aber sprach mir Mut zu, hieß mich hoffen und sagte, ich würde vielleicht bald auf eine gute Art meine Freiheit erhalten.

Ich pochte hauptsächlich auf die mir allein bekannte Hilfe von meinem wachthabenden neuen Freunde, und war vielmehr verwegen und drohend, als niedergeschlagen und kleinmütig, welches jedermann in Verwunderung setzte.

Ich muß aber auch hier dem Leser das Rätsel aufklären, warum man eigentlich so unerwartet mit mir verfuhr. Nach meiner erlangten Freiheit reiste ich nach Braunschweig und erfuhr vorn Herzoge selbst, daß die damals über mich gestellten Herren Majore demselben nicht die Wahrheit rapportiert, sondern, um einen Verweis wegen nachlässigen Visitieren zu vermeiden, demselben gemeldet, sie hätten mich bei der Arbeit ertappt und bei genauer Untersuchung gefunden, daß ich ohne ihre Wachsamkeit sicher entflohen wäre. Einige Zeit nachher habe der Herzog aber die Wahrheit erfahren, dem König den Vorfall gemeldet, und von dieser Zeit an habe der Monarch nur auf Gelegenheit gewartet, um mir die Freiheit wiederzugeben.

Ich hoffte nun Tag und Nacht auf den ersten Eintritt meines sicheren Erretters. Wie erschrak ich aber, als an dem Tage seiner bestimmten Wache ein anderer Leutnant eintrat.

Noch schmeichelte ich mir, daß ungefähre Zufälle ihn nur für diesmal zurückgehalten hätten. Aber ich wartete wohl drei Wochen vergebens, er kam gar nicht wieder. Fragen durfte ich nicht, endlich erfuhr ich, daß er von den Grenadieren abgegangen sei, folglich die Sternschanzwache nicht mehr zu versehen hätte. Ob ihn nun etwa sein Entschluß für mich gereut, ob er zu verzagt zur Ausführung war, ob die von mir ihm gegebenen hundert Dukaten ihn auf andere Gedanken gebracht und sein Glück befördert haben, dies alles ist mir unbekannt, und ich verlange es auch auf ewig nicht zu wissen.

Der Frieden war bereits seit neun Monaten geschlossen und noch erfolgte nichts für mich. Eben aber, als ich mich schon wirklich ohne Rettung verloren glaubte, brach den 24. Dezember mein Erlösungstag heran.

Es war eben zur Zeit der Wachparade, als der königliche Leutnant von der Garde, Graf Schlichen, als Kurier in Magdeburg eingeritten kam und den Befehl brachte, daß ich sogleich meines Arrestes entlassen sein sollte.

Die Freude auf dem Paradeplatz und in der ganzen Stadt war allgemein, weil mich jedermann schätzte, bewunderte oder bedauerte.

Nun rasselten auf einmal meine Türen, und ich sah zuerst den Kommandanten, dann aber einen Schwarm Menschen hereintreten, die mich aber alle mit heiterem und lachendem Gesichte anblickten. Ich war verwundert, bald aber sagte der erste: »Mein lieber Trenck! diesmal habe ich die Freude, Ihnen die erste gute Nachricht zu bringen. Der Herzog Ferdinand hat endlich bei dem Könige erwirkt, daß man Ihnen Ihre Fesseln abnehmen soll.« Gleich trat auch der Schmied herbei und fing seine Arbeit an. »Sie werden auch ein besseres Zimmer erhalten,« fuhr er fort.

Hierauf fiel ich ihm in die Rede: »Ich bin also gewiß wirklich in Freiheit, und Sie wollen mir die Freude nicht auf einmal beibringen. Sagen Sie mir trockenweg die Wahrheit! Ich weiß mich zu mäßigen.«

»Ja,« war die Antwort, »Sie sind frei!« — Gleich umarmte er mich zuerst, und alle andern folgten.

Nun fragte man gleich: »Was wollen Sie für ein Kleid?« — »Meine Uniform,« erwiderte ich. Der Schneider war schon da und nahm das Maß. »Morgen früh, Meister,« sagte Herr von Reichmann, »muß diese Uniform fertig sein.« Er entschuldigte sich mit der Unmöglichkeit wegen des Heiligenabends und Christfestes. »Gut,« hieß es, »der Herr sitzt morgen nebst seinen Gesellen in diesem Loche, wenn das Kleid nicht fertig ist!« Gleich war es möglich und heiligst versprochen.

Sobald der Schmied fertig war, führte man mich auf die Wache in das Offizierzimmer. Hier wünschte mir jedermann von Herzen Glück, und der Platzmajor ließ mich das gewöhnliche Jurament aller Staatsgefangenen schwören:

  1. daß ich mich an niemand rächen wolle;
  2. daß ich weder die sächsischen noch preußischen Grenzen betrete;
  3. noch von allem, was mir geschehen, schreiben oder sprechen, und
  4. daß ich, so lange der König lebt, keinem Herrn, weder im Militär noch Zivil, dienen wolle.

Hierauf gab mir der Graf Schlichen einen Brief von dem kaiserlichen Minister in Berlin, dem General Riedt, ungefähr folgenden Inhalts: »Daß es ihn herzlich freue, Gelegenheit gefunden zu haben, um bei dem Könige meine Freiheit zu erwirken. Nun sollte ich aber alles willig und freudig tun, was der Graf Schlichen von mir fordern würde, welcher befehligt sei, mich bis nach Prag zu begleiten.«

Schlichen sagte nun: »Lieber Trenck! Ich habe Befehl, Sie heute Nacht von hier im verdeckten Wagen über Dresden nach Prag zu führen, und nicht zu gestatten, daß Sie auf der Reise mit jemand sprechen sollen. General Riedt hat mir dreihundert Dukaten behändigt, um alles zu bestreiten. Ich will sogleich einen Wagen kaufen. Da aber heute nicht alles fertig sein kann, so ist mit dem Herrn Kommandanten die Abrede genommen, daß wir erst morgen Nacht von hier abreisen werden.«


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