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1. Kapitel

Die Sonne warf helle Streiflichter über die weiten Wiesenflächen, die sich in der anmutigen Talsenkung zwischen dem Mississippi und dem Missouri hinziehen. Zwar befand man sich in der trockenen Jahreszeit, wo die Blumenpracht erstorben war, die Gegend bot hier aber reizvolle Abwechslung durch kleine Hügel und schattige Wälder, obgleich der Blick größtenteils ungehindert über das weite Wiesenland schweifen konnte.

Von zwei kleinen, aber kräftigen Pferden gezogen, kam ein Wagen daher, von einem prächtigen, gelb und weiß gefleckten Bernhardiner begleitet. Der Neger, welcher die Zügel führte, wandte oftmals den schwarzen Krauskopf zur Seite, und die dicken roten Lippen teilten sich jedesmal zu vergnügtem Lächeln, wenn sein Blick das junge, blühende Mädchenantlitz, aus dem die dunklen Augen mit unbeschreiblicher Glückseligkeit umherschweiften, traf.

»Nun, Fairy, kennst du deine Savannen wieder?« fragte der schlanke Herr, der ihr gegenüber saß und jede Veränderung in ihrem lebhaften Mienenspiel beobachtete. Sie nickte eifrig.

»Versteht sich, Pa, so haben sie all die vielen Jahre in meiner Erinnerung gelebt. Ach, diese Heimatluft, wie wohl sie tut!« Sie nahm den Hut von dem schlicht gescheitelten dunklen Haar und atmete mit Entzücken die erfrischende Abendluft ein. »Hast du es dir so bei uns gedacht, Tantchen?« fragte sie die ältere Dame, die zu ihrer Rechten saß und müde und abgespannt aussah.

»Ja, Kind, einförmig habe ich mir eure Savannen natürlich gedacht,« entgegnete sie zögernd und ließ die Blicke über die weite, hügelige Wiesenfläche schweifen.

»O warte nur, in unserer Niederung sind noch mehr Wälder, da ist es reizend,« versicherte das junge Mädchen eifrig, »gefallen dir denn die köstlichen, weiten Wiesen nicht, Tante? Wenn du sie nur erst im Frühlingsschmucke sehen wirst, dann wirst du dein Urteil schon ändern. Ach, nichts geht über einen tollen Ritt über die weite Ebene, nicht wahr, Pa?«

»Aber Felicia, wie kann ein junges Mädchen tolle Ritte lieben,« sagte Tante Luise tadelnd.

Ihr Bruder, Herr Bertram, lachte heiter und rief: »Laß gut sein, Luise, so buchstäblich meint das Kind es nicht, was, Fairy? Aber ein fröhlicher Ritt mit deinem alten Pa ist nicht zu verachten, wie?«

Mit strahlendem Lächeln nickte Felicia dem Vater zu, dann sprang sie lebhaft auf und rief: »Da ist es – unser Haus – unsere liebe, liebe Victoria Cottage! Sieh, Tante Luise, dort unten in der Niederung, kannst du es sehen?«

»Einige Gebäude sehe ich allerdings,« entgegnete Fräulein Bertram und betrachtete die kleine Häusergruppe, der sie sich schnell näherten, voller Interesse.

»Barry, Barry, kennst du deine alte Heimat nicht wieder?« rief Felicia ihrem Bernhardiner zu, der mit fröhlichem Gebell antwortete. »Es ist alles wie vor fünf Jahren, als ich die Heimat so schweren Herzens verließ,« wandte Fairy sich an den Vater, »wie froh bin ich, daß sich hier nichts verändert hat. Wo sind denn die neuen Ansiedelungen, von denen du mir schon schriebst, Pa?«

»Mehr nach dem Yellow River zu, in Brightons Nähe.«

»Wie schön, daß niemand Lust gehabt hat, sich in unserer unmittelbaren Nähe anzubauen. Sieh, Tante Luise, dort ist unser Ahornwäldchen, links davon die Pferdekoppel – wir gehen heute abend noch hinüber, ja, Pa?« unterbrach sie sich.

»Gern, Kind, wenn du nicht zu müde bist,« entgegnete der Farmer, der sein Töchterchen mit unendlicher Freude betrachtete; kehrte sein Herzblatt doch mit der alten Liebe zu ihrer bescheidenen, einsamen Heimat zurück.

Nun lag das kleine Besitztum mit allen Nebengebäuden, von einem Bretterzaune umgeben, vor ihnen. Felicia warf einen schnellen Blick auf Tante Luise; aus den ernsten, unbeweglichen Zügen konnte sie jedoch nicht lesen, ob ihre Vorstellungen etwa übertroffen waren, oder ob sie sich Illusionen hingegeben hatte, die nun kläglich Schiffbruch litten. Gleich darauf spielte ein Lächeln um ihre frischen Lippen, Tante Luise hatte sich gewiß niemals Illusionen hingegeben, selbst nicht in ihrer Jugend, die unter Not und Arbeit entschwunden war. Arme Tante Luise! Zärtlich drückte sie ihr die Hand und sagte: »Wie glücklich werden wir in Victoria Cottage sein, wie froh bin ich, daß du mit uns gekommen bist.«

»Ja, Luise,« setzte Herr Bertram hinzu und reichte ihr die Hand. »Hab nochmals Dank für das Opfer, daß du uns gebracht hast. Und nun herzlich willkommen daheim, da sind wir.«

Der Wagen fuhr durch die Pforte der Einfriedigung und hielt vor einem einfachen Blockhause, das als einzige Zierde eine schmale Veranda aufwies. Fräulein Bertram überflog das anspruchslose Heim des Bruders mit schnellem Blicke, dann ward ihre Aufmerksamkeit anderweitig in Anspruch genommen. Wohl an zwanzig Neger und Negerinnen hatten sich mit ihren Kindern vor dem Hause versammelt, um ihre heimkehrende junge Herrin zu begrüßen. An der Spitze stand Bridget, eine schon bejahrte Negerin, die dem Haushalte des Herrn Bertram vorgestanden, seit er vor zwölf Jahren seine Gattin verloren hatte.

Mit ausgestreckten Händen trat sie Felicia, als diese leichtfüßig aus dem Wagen sprang, entgegen und rief in schlechtem Englisch, während Tränen über ihre schwarzen Wangen strömten: »Willkommen, Miß Fairy, in Victoria Cottage. Der Herr segne Miß Fairy.«

»Danke, liebe alte Bridget,« entgegnete Felicia und schüttelte ihr sowie den sie umdrängenden Männern und Frauen die Hände.

Alle die schwarzen Gesichter waren verklärt vor Freude, ihre junge Herrin wieder zu sehen, alle liebten sie zärtlich, obgleich sie, als Fairy noch im Vaterhause weilte, viel unter ihrer Willkür und Herrschsucht hatten leiden müssen. Das war jedoch alles vergessen, voller Freude umdrängten sie ihre junge Herrin und konnten kaum glauben, daß aus dem schmächtigen Kinde eine so schlanke, blühende Jungfrau geworden war. Felicia teilte die Freude der Leute, mit glänzenden Augen sah sie sich im Kreise um, wunderte sich, wie groß die Kinder geworden waren und bewunderte auch die Babys, welche die Mütter ihr stolz zeigten.

Herr Bertram war zur Seite getreten, helle Freude leuchtete ihm aus den Augen, während er sein Kind betrachtete; seine Schwester sah jedoch höchst erstaunt und ein klein wenig unwillig aus und sagte: »Ich begreife nicht, daß Felicia mit diesen Menschen umgeht, als wären sie ihresgleichen. Welche Ausdünstung haben sie allein! Sie wohnen doch nicht in deinem Hause, Karl?«

»Nein, Luise, beruhige dich, sie wohnen im Hinterhause. Es sind übrigens gutmütige, harmlose Geschöpfe, die sämtlich unter Bridgets Kommando stehen, und die ist uns sehr ergeben und liebt unsere Fairy, als wäre sie ihr eigenes Kind. Nun, ein Wunder ist es nicht, da sie die Kleine nach dem Tode meiner Frau groß gezogen hat.« Ein Schatten flog über seine Züge, nachdenklich und bekümmert blickte er ins Weite, dann reichte er seiner Schwester den Arm und sagte freundlich: »Du wirst dich schon bei uns einleben, Luise, wir wollen gern das unsere tun, daß es dir nicht so schwer fällt.« Er führte sie über die Schwelle in ein überaus einfaches Wohnzimmer, das nur das notdürftigste Mobiliar aufwies.

Fräulein Bertram war durchaus nicht verwöhnt, sie hatte mit der Mutter in den denkbar einfachsten Verhältnissen gelebt, in diesem Augenblick jedoch entbehrte sie die alte, ihr lieb gewordene Einrichtung der Mutter, die sie vor ihrer Abreise aus Hamburg verkauft hatte. Sie war jedoch keine Natur, die sich ihren Gefühlen hingab, sie nahm Hut und Mantel ab und saß schon auf dem Sofa, als Felicia eintrat.

Noch lag die helle Freude, wieder in der geliebten Heimat zu sein, auf ihren reizenden Zügen, und froh rief sie aus: »Wundervoll ist es, Pa! Wie freuten sich alle! Das hätte ich nicht erwartet, ich habe es nicht vergessen, daß ich oft recht garstig und herrisch mit den Leuten war. Wie schön ist es wieder daheim, wie –« das Wort blieb unausgesprochen, erstaunt flog ihr Blick in dem kleinen Zimmer umher. Nein, gemütlich konnte man es mit dem besten Willen nicht nennen, dies weiß getünchte Gemach, in dem die Mobilien mehr für den Nutzen als für ein gefälliges Aussehen berechnet waren. Die Fenster waren freilich blank geputzt, doch keine einzige Blume schmückte sie, und die Vorhänge aus gelb geblümtem Kattun dienten auch nicht gerade zur Verschönerung. Keine Spur von Nippes, hübsch eingebundenen Büchern oder von jenen Kleinigkeiten, die ein Zimmer verschönern und ihm den Charakter der Behaglichkeit verleihen. Ein einziges Bild hing über dem einfachen Tische, der dem Vater als Schreibtisch diente: Felicias Mutter als junge Frau darstellend. Es ward dem jungen Mädchen beklommen um das frohe Herz; war es hier immer so öde, so kahl und ärmlich gewesen? War dies die Heimat, nach der sie sich anfangs in Deutschland krank gesehnt hatte? Wie durch einen Zauberschlag sah sie plötzlich das Rosenhaus, in dem sie fünf glückliche Jahre verlebt hatte, vor sich, inmitten seiner Rosenpracht, mit seinen hübschen, hellen, gemütlichen Zimmern mit den blütenweißen Gardinen, hinter denen es das ganze Jahr hindurch blühte und duftete.

Da sah sie plötzlich des Vaters Blick forschend und voller Sorge auf sich gerichtet. Hastig schüttelte sie die Beklemmung ab, sprang zu ihm hin und umschlang ihn ungestüm. »Es ist doch schön daheim, Pa,« versicherte sie und streichelte ihm zärtlich die gebräunten Wangen, »wir drei wollen sehr, sehr glücklich zusammen sein, nicht wahr?«

»Gott gebe es, mein Herzenskind,« entgegnete der Vater bewegt und küßte sie liebevoll.

Nun erinnerte sich Felicia ihrer Pflichten gegen Tante Luise, die gewiß müde und abgespannt war. »Ich will dich gleich auf dein Zimmer führen, Tantchen,« rief sie, »erst will ich nur Bridget fragen, welches sie für dich eingerichtet hat, und ob alles in Ordnung ist.«

Eilig lief sie hinaus und kehrte bald zurück, »Willst du mit mir kommen, liebe Tante? es ist alles bereit.«

Die alte Dame erhob sich und stieg mit der Nichte die schmale steile Treppe nach dem Bodenraum hinauf, wo sich noch einige Zimmer befanden.

»Hier ist dein Reich, Tante Luise, möchtest du so recht glücklich darin sein«, sagte Felicia warm, als sie die Tür zu dem Giebelstübchen öffnete.

Es war auch nur weiß getüncht, wie alle Zimmer in der Farm, und wies auch nur das Notwendigste auf, aber durch das breite Fenster fielen die lichten Strahlen der untergehenden Sonne und zauberten eine solche Flut von Licht hervor, daß Fräulein Bertram einen Augenblick die Augen schloß. Freundlich drückte sie der Nichte Hand und sagte: »Sorge dich nicht um mich, Fee, sieh zu, daß du dich selbst wieder einlebst.«

»Ich? O Tantchen, ich bin ja daheim und,« setzte sie zögernd hinzu, »wenn auch nicht alles hier so ist wie im Rosenhause, so schadet es nichts, oder entbehrst du etwas, Tante?«

»Unsinn, was sollte ich wohl entbehren?«

»Dann ist alles gut,« rief Felicia fröhlich, »hast du alles, was du brauchst, Tantchen? Schön, dann will ich in mein Zimmer gehen und auspacken, bis Bridget uns zum Abendbrot ruft.«

Ein peinliches Empfinden malte sich auf Fräuleins Bertrams Zügen. Felicia sah es voller Staunen. »Was hast du, Tante Luise?« fragte sie.

»Glaubst du denn, Kind, daß man mit Appetit essen kann, was dies schwarze Weib zurechtkocht?« fragte sie, »weißt du bestimmt, daß sie sauber mit den Eßwaren umgeht?«

Felicia sah ganz bestürzt aus. »Darüber habe ich niemals nachgedacht, Tante, aber ich bin fest davon überzeugt, Bridget hat ja bei Mama gelernt und die –«

»Laß, Kind, beruhige dich,« unterbrach Fräulein Bertram die Nichte, als sie die dunklen Augen aufblitzen sah, »ich wollte weder deine verstorbene Mutter noch die Negerin kränken, du wirst aber zugeben, daß Dienstboten überall nachlassen, wo ihnen keine Herrin auf die Finger paßt. Nun, ich werde mich morgen davon überzeugen, oder willst du es tun? Du mußt es dir nochmals klar machen, Kind, daß nur eine von uns beiden hier Herrin sein kann, willst du deine natürlichen Rechte in Anspruch nehmen, gut, so stehe ich gern zurück.«

Helle Röte flog über Felicias Antlitz. Sie hatte es sich so sehr hübsch ausgemalt, als Herrin nach Victoria Cottage zurückzukehren, doch nicht umsonst hatte sie fünf Jahre im Rosenhause geweilt und dort Rücksicht und Selbstüberwindung gelernt. Einen Augenblick nur zauderte sie, dann schlang sie die Arme um die alte Dame und sagte mit lieblichem Lächeln: »Natürlich bist du die Herrin, Tante Luise, das ist doch ganz selbstverständlich, unter meinem Regimente würde gewiß bald alles drunter und drüber gehen. Wie froh bin ich, daß ich es nicht nötig habe.« Sie küßte das alte Fräulein und eilte davon in ihr eigenes Zimmer, das seitwärts lag.

Die beiden Fenster waren geöffnet und ließen die kühle Abendluft hereinströmen. Hoch aufatmend trat das junge Mädchen heran und ließ die Blicke über die weite Wiesenfläche schweifen. Das hohe Gras wogte leise im Winde, von fernher klang das Stampfen und Wiehern der Pferde aus der Koppel, sonst herrschte tiefe Stille, von keinem Laut unterbrochen. Rechts, zwei englische Meilen entfernt, lag des Vaters Ahornwäldchen, links schimmerte zwischen einer niedrigen Hügelkette hindurch ein heller gelblicher Streifen, der Yellow River, ein Nebenfluß des Missouri. Nicht weit von ihrem Fenster erhob sich ein Apfelbaum, mit reifen Früchten beladen, die ihrer geharrt hatten. Sinnend ließ sie die Blicke über die weite Ebene schweifen und sagte leise vor sich hin: »Daheim, wieder daheim!« Ja, sie war glücklich und doch, wie kam es, daß das Herz ihr nicht mehr so stürmisch vor Freude klopfte wie vorhin? Kam es, daß der Unterschied zwischen Victoria Cottage und dem Rosenhause zu groß war? Was aber auch der Grund war, sie wollte alle Schwierigkeiten zu überwinden suchen und ihr Heim allmählich etwas zierlicher und behaglicher gestalten, damit es immer mehr ihrem geliebten Rosenhause gliche. Ein frohes Leuchten brach aus ihren dunklen Augen, und als sie zu Tisch gerufen ward, lief sie singend die Treppe hinunter.

Beim Abendessen gab es viel zu lachen. Fräulein Bertram gab sich, um den Bruder nicht zu kränken, die größte Mühe, das Mißtrauen, das sie gegen Bridgets Gerichte empfand, nicht zu zeigen, sie ward jedoch durchschaut und mußte den gutmütigen Spott des Bruders über sich ergehen lassen. Tante Luise mochte sich indessen nicht gern necken lassen, sobald der Farmer das merkte, schlug er einen anderen Ton an und suchte sie zu überzeugen, daß Bridget die sauberste Köchin in den Staaten sei.

»Es kommt darauf an, was das sagen will«, entgegnete das alte Fräulein mißtrauisch.

Der Farmer lachte, weihte die Schwester etwas in die Sitten des Landes ein, worin ihn Felicia durch heitere Einwürfe unterstützte, und so verfloß der erste Abend im fernen Westen sehr angenehm.

Herr Bertram war schon seit vielen Jahren in den Vereinigten Staaten. Ein Deutscher von Geburt, hatte er ursprünglich studieren wollen, war jedoch, durch leichtsinnige Genossen verführt, so schlecht mit seinem väterlichen Erbe umgegangen, daß es lange nicht zu seinem Studium reichte. Er hatte sich kein Gewissen daraus gemacht, Geld über Geld von der Mutter zu fordern, bis ihm plötzlich die Augen aufgingen, daß Mutter und Schwester bereits für ihn darbten und schließlich an den Bettelstab kommen mußten, wenn es so weiter ginge. Mit seiner Schwester Luise hatte er sich bereits überworfen, sie war außer sich über sein leichtsinniges Treiben und hatte ihm ihre Liebe entzogen. Verbittert darüber, daß sie um seinetwillen auf alle Jugendfreuden verzichten und für das tägliche Brot sorgen mußte, hatte sie zur Nadel gegriffen und ihre frische Jugend Tag für Tag an der Maschine verbracht. Der leichtsinnige junge Mann schiffte sich mit dem letzten Gelde, das die Mutter ihm geben konnte, nach Amerika ein und begann hier ein abenteuerliches Leben. Oft war er der Verzweiflung und dem Hungertode nahe, denn das Glück wollte sich nicht zwingen lassen, wie er in jugendlichem Übermute geglaubt hatte.

Nachdem er alles mögliche versucht hatte, sein Leben zu fristen, ging er nach dem fernen Westen, wo er sich mit dem Einfangen und Zähmen wilder Pferde beschäftigte. Nach einigen Jahren erhielt er eine Anstellung auf einer Farm, und nun gelang es ihm, hin und wieder kleine Summen zusammenzusparen, die er der Mutter sandte. Hier lernte er seine spätere Frau kennen, eine Amerikanerin, die Lehrerin in Illinois war. Beide sparten für die künftige Einrichtung, dennoch vergingen Jahre, ehe die junge Frau Einzug in Victoria Cottage, ihr zu Ehren so genannt, halten konnte. Alles war so einfach wie möglich, doch der junge Farmer hätte mit keinem Könige getauscht, als er sein junges Weib endlich heimführen konnte. Die Jahre vergingen ihnen unter steter Arbeit in stillem Glücke, ihr bescheidener Wohlstand mehrte sich, sie konnten Nebengebäude aufführen, Neger nehmen und ihre Wirtschaft vergrößern. Da traf das Unglück sie jäh und unvorbereitet. Felicia war erst vier Jahre alt, als ihre Mutter nach kurzer Krankheit starb. Das war ein schwerer Schlag für den Farmer, der ihn sicher in die Wildnis zurückgetrieben hätte, wenn er nicht sein Kind gehabt hätte. Die Kleine, die sein ganzer Abgott war, wuchs wild und ungezügelt wie die jungen Fohlen in des Vaters Koppel heran und ward so eigensinnig und herrschsüchtig, daß der Farmer schließlich nichts mehr mit ihr anzufangen wußte.

Auf Anraten seiner nächsten Nachbarin, Mrs. Brighton, brachte er sie, so schwer ihm auch die Trennung von seinem einzigen Kinde ward, und so heftig sich Felicia auch auflehnte, nach Hamburg zu Mutter und Schwester. Des Kindes Trost war Barry, den sie als Hundebaby von den kleinen Brightons erhalten und mitgenommen hatte. Der Trost versiegte jedoch nach des Vaters Abreise, als ein übermächtiges Heimweh sie ergriff. Das Kind der Freiheit konnte sich in der großen Stadt, in der stillen, einförmigen Häuslichkeit trotz Großmütterchens Liebe nicht zurechtfinden. Dazu kam, daß Tante Luise ihr kalt und unfreundlich begegnete und mit Gewalt den trotzigen Sinn der »freien Amerikanerin«, wie Fairy sich stolz nannte, brechen wollte. Es kam zu stürmischen Szenen, die nicht dazu dienten, Tante und Nichte zusammenzuführen, obgleich der Vater Felicia die Aufgabe gestellt hatte, ihn mit der Schwester zu versöhnen und ihm deren Liebe wieder zu gewinnen.

Die gänzlich veränderte Lebensweise, die heiße Sehnsucht nach ihren geliebten Savannen, nagten schließlich an des Kindes Gesundheit und machten es gleichgültig gegen alles. Mit schwerem Herzen faßte die alte Frau Bertram einen Entschluß, der, nachdem ihr Sohn ihn gebilligt hatte, sofort ausgeführt ward. Felicia wanderte abermals in andere Hände, und zwar in die einer Jugendgespielin ihres Vaters, der Witwe eines Arztes, die in Demmin, einem Dorfe in der Nähe einer kleinen mecklenburgischen Stadt, wohnte. Hier besaß sie ein hübsches Häuschen, das inmitten eines blühenden Gartens lag, in dem alle Arten Rosen gezogen wurden. Von diesen hatte es seinen Namen erhalten und war in der ganzen Gegend als das Rosenhaus bekannt. Frau Dr. Wallburg hatte nur ein sehr kleines Vermögen und verdiente durch ihre große Rosenzucht so viel, daß sie ihre fünf Kinder gut erziehen konnte.

In diesem fröhlichen Kreise wuchs Felicia heran, gesund an Leib und Seele, und lernte hier alles, was sie daheim in den Savannen nicht gelernt hatte. Frau Dr. Wallburgs Einfluß gelang es auch, ihr Herz für Tante Luise zu erwärmen, und als der Vater kam, seine nun sechzehnjährige Tochter heimzuholen, vermochte es Felicias Liebe, beide zu versöhnen und Tante Luise, da die Großmutter gestorben war, zu bestimmen, sie nach dem fernen Westen zu begleiten. Fee war von den besten Absichten beseelt; alle guten Lehren, die sie bei der »Mutter«, wie sie Frau Dr. Wallburg nannte, erhalten hatte, wollte sie hier betätigen, es lag ja ein so reiches Feld vor ihr. Gleich morgen wollte sie beginnen. Sie war so aufgeregt und tatendurstig, daß sie an diesem ersten Abende im Vaterhause gar nicht einschlafen konnte.


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