Hans Chlumberg
Wunder um Verdun
Hans Chlumberg

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Bild

Personen

        Lord Grathford, englischer Ministerpräsident
Marcel Delcampe, französischer Ministerpräsident
Dr. Overtüsch, deutscher Reichskanzler
Lamparenne, belgischer Ministerpräsident
General Lamarque, französischer Kriegsminister
General von Gadenau, deutscher Kriegsminister
Clarkson, amerikanischer Botschafter
Bertolotti, italienischer Botschafter
Yoshitomo, japanischer Botschafter
Kardinal Dupin, Erzbischof von Paris
Generalsuperintendent Palm
Oberrabbiner Dr. Forbach
Professor Dr. Steppach, wissenschaftlicher Sachverständiger
Der Schriftführer
Ein junger Prälat
Tsatanaku, ein Japaner
Vertreter verschiedener Staaten
aus der Gruppe Lamparennes:
Trolliet,
Charrier
Stimmen der Straße
Beamte und Lakaien

 
Ein Trupp Auferstandener, darunter:

        Wittekind
Hessel
Weber
Schmidt
Sonneborn
Schröder
Lehmann
Vaudemont
André Verron
Morel
Dubois
Roubeau
Baillard

Paris. Quai d'Orsay

*

Prunkvoller Saal. Konferenztisch mit scharlachroter Decke. Weite, hochlehnige Fauteuils.

Rechts und links im Hintergrund: hohe zweiflügelige Türen.

Rechts und links im Vordergrund: unauffällige Tapetentüren.

Eine Konferenz der Mächte. Lord Grathford präsidiert.

Rechts von ihm: Kardinal Dupin, der Erzbischof von Paris. Dann der Reichskanzler Dr. Overtüsch, der amerikanische Botschafter Clarkson, der deutsche Kriegsminister General von Gadenau, der wissenschaftliche Sachverständige Professor Dr. Steppach und der belgische Ministerpräsident Lamparenne.

Links von ihm: Generalsuperintendent Palm. Dann der französische Ministerpräsident Delcampe, der französische Kriegsminister General Lamarque, der italienische Botschafter Bertolotti, der japanische Botschafter Yoshitomo und in einigem Abstand der Oberrabbiner Dr. Forbach. –

Delcampe gegenüber, mit dem Rücken zum Publikum, der Schriftführer. Hinter den Delegierten: die Vertreter anderer Staaten und das Hilfspersonal der Konferenzteilnehmer. –

Bei Aufgang des Vorhanges Lärm. Man klopft mit den Fäusten und mit Aktenmappen auf den Tisch und sucht einander zu überschreien.

Lord Grathford schwingt unerschütterlich eine kleine silberne Glocke.

Lamparenne (mit zerrauftem Haar, hochrot im Gesicht, schreiend): Schluß! Schluß! Schluß! Sie können hier nicht weiter verhandeln!

Gruppe (junger Leute hinter Lamparenne): Schluß! Schluß! Schluß!

Clarkson: Gehn Sie zum Teufel, Mann!

Lamparenne: Dieser Versammlung fehlt die Vertretungsbefugnis! Diese Versammlung hat keine Beschlußkraft!

Charrier: Haben Sie doch den Mut, Ihre Versammlung als das zu bezeichnen, was sie in Wirklichkeit ist!

Trolliet: Eine internationale Börsenkonferenz!

Lamparenne (deutet auf die Generäle und Bischöfe): Unter polizeilichem und geistlichem Schutz – wie gewöhnlich!! (Tumult.)

Overtüsch: Unerhört! Unerhört! Unerhört!

Bertolotti: Lord Grathford! Delcampe! Sie werden doch noch die Delegierten der europäischen Mächte vor den Sendlingen Moskaus schützen können!

Clarkson: Jawohl – Moskau! Moskau!

Lamarque: Der Rubel rollt! Der Rubel rollt!

Gadenau: Wieviel bekommt ihr für den Sprengungsversuch? (Tumult.)

Lamparenne: Ich sehe Diplomaten an diesem Tisch. Die Vertreter des Kapitals. Geistliche. Generäle . . . Wo aber sind die Vertreter des arbeitenden Volkes von Europa? Wo sind die Arbeiterführer??!

Gruppe (um Lamparenne): Wo??? Wo??? Wo???

Clarkson: Verdammt will ich sein, Mann, wenn die hier was zu suchen haben!

Lamparenne: Nicht zugezogen! Und warum nicht? Weil sich die kapitalistische Welt zu einem neuen Komplott gegen die arbeitende Menschheit zusammengefunden hat! (Hohngelächter.)

Gadenau: Sie leiden ja an Verfolgungswahn, Herr!

Lamparenne: Aber wir werden das nicht dulden! Wir werden diese verlogene Konferenz in die Luft sprengen – und wenn das ganze heutige Europa zugleich mit ihr in die Luft fliegt!!

Gruppe (hinter Lamparenne rast Beifall).

Viele: Bolschewist!!

Lamarque: Was suchen Sie denn hier?

Gadenau: Gehn Sie doch nach Rußland!

Clarkson: Jawohl! Dorthin gehören Sie! Dort ist Ihr Platz! (Tumult.)

Grathford (lächelnd zu den Bischöfen): Wie gefällt den Eminenzen das Fortissimo im europäischen Konzert? Das spielt uns so bald kein Orchester nach.

Delcampe (begütigend): Lamparenne! Hier gibt es doch nur die Vertreter der Mächte und die Sachverständigen!

Clarkson (erbost): Und auch Sie, Mann, sind nicht als verdammter Arbeiterführer hier, sondern einzig und allein als belgischer Premier!

Lamparenne: Ich bin Ministerpräsident, weil ich Arbeiterführer bin!

Gadenau: Das sind jüdische Spitzfindigkeiten! Damit dringen Sie hier nicht durch! (Beifall.)

Lamparenne: Ich stelle den Antrag, die Konferenz unverzüglich zu vertagen!

Alle: Was –??

Delcampe: Sind Sie verrückt geworden, Lamparenne? Wozu?

Lamparenne: Zwecks Zuziehung der Vertreter der Internationale!

Alle (Wutschrei): Nein!!!

Clarkson: Ihr verdammter Antrag ist einstimmig abgelehnt!

Lamparenne: Dann erkläre ich, daß ich diese verkappte Verschwörung des Kapitals gegen die Blutopfer des Krieges zum Zeichen des Protestes und der Kampfansage verlassen werde . . .!

Gruppe (hinter Lamparenne rast Beifall).

Clarkson: Ja, verlassen Sie uns, Mann, und gehn Sie endlich zum Teufel!

Gadenau: Heil! Heil! Heil!

Grathford (schwingt unentwegt die Glocke).

Lamparenne: . . . und daß uns Ihre lächerlichen Ausnahmebestimmungen weder von Streiks noch von Demonstrationen zurückhalten werden . . .

Trolliet: . . . und auch nicht von einer neuen, gründlicheren und endgültigen – Revolution!!

Charrier (und die Gruppe hinter Lamparenne tost Beifall): Revolution!! Revolution!! (Tumult.)

Overtüsch: Müssen wir uns das bieten lassen?!

Lamarque: Da habt ihrs! Da habt ihrs!

Gadenau: Die Linke plant einen neuen Dolchstoß in den Rücken!!

Lamarque: Wozu gibts denn ein Standrecht? Wozu ist denn überall das Standrecht verhängt??!

Viele (brüllend): Ja! Das Standrecht! Das Standrecht! Das Standrecht gegen Lamparenne!!

Tumult. Lamparenne schickt sich an, den Saal zu verlassen. Seine Gruppe umringt ihn, schützt ihn vor den auf ihn Eindringenden und bahnt ihm einen Weg.

Grathford und Delcampe haben sich erhoben, sprechen begütigend auf ihn ein. Lamparenne und die Seinen kehren auf ihre Plätze zurück.

Grathford (gelingt es endlich, sich Gehör zu verschaffen): Das Wort hat der Herr französische Ministerpräsident Delcampe!

Delcampe (erhebt sich): Meine Herren Delegierten! Die Erschütterung der Völker, der Aufschrei Europas hat Sie an diesen Tisch gebracht. Und nun, da Sie endlich beisammen sind, um eine Lage zu beraten, wie sie die Weltgeschichte nicht verzeichnet, vergeuden Sie die kostbarste Zeit in abseitigen Auseinandersetzungen! Meine Herren Delegierten! Ungeheuerliches, Unvorstellbares hat sich begeben. Aber nicht minder Ungeheuerliches begibt sich! Hören Sie nach der Straße! (Auf einen Wink öffnet ein Lakai ein Fenster. Von der Straße dringt wüstes Toben.)

Eine Stimme (von der Straße): Nieder mit den Auferstandenen!

Viele Stimmen: Nieder! Hoch! Nieder!

Eine gellende Stimme: Den Toten – der Himmel! Den Lebenden – – die Erde!

Viele (wiederholen brüllend): Den Toten – der Himmel! Den Lebenden – die Erde!!! (Toben. – Auf einen Wink Delcampes schließt der Lakai das Fenster. Stille.)

Delcampe: Die Reaktion der Lebenden hält der Aktion der Toten das Gleichgewicht! Blicken Sie in Ihre Depeschen, meine Herren! Es sind die letzten, die Sie erreichten! Denn Telegraph, Telephon und alle Betriebe stehn ja still!

Overtüsch (hebt Depeschenstöße hoch): Die mächtigsten Großbanken haben die Zahlungen eingestellt.

Clarkson (hebt Depeschenstöße hoch): Aktien und Papiergeld wertlos! So etwas war noch nicht da . . .

Grathford: Man verschleudert Geld, Gold, ja Immobilien, nur um große Mengen von Lebensmitteln aufhäufen zu können!

Bertolotti: Und wer nichts hat, nimmt sich, was er braucht, mit Gewalt!

Delcampe: Plünderungen, Blutvergießen, Aufruhr – wohin Sie blicken. Wahnsinn und Chaos – in jedem Land. Die Straßen vollgestopft mit Fahrzeugen und Menschen, die fort wollen und nicht wissen: wohin und wozu! Panik bei den Besonnensten. Hysterie bei den Vernünftigsten . . .

Overtüsch: Die Leute zittern vor der nächsten Stunde. Was wird sie bringen? Ein Überschäumen der Meere? Feuerregen? Daß sich die Erde auftut und alle verschlingt? Wenn dieses Wunder möglich war, warum soll nicht alles möglich sein?

Dupin (mit weitem Blick): Die Sintflut . . . Wie die Sintflut . . .! So muß es zugegangen sein, als die Sintflut ausbrach . . .

Lamparenne (schlägt auf den Tisch): Eminenz! Es hat ja niemals eine Sintflut gegeben! Das ist ja bloß ein Schreckmittel für ungezogene Kinder! (Tumult.)

Steppach: In meiner Eigenschaft als wissenschaftlicher Sachverständiger kann ich nicht umhin, festzustellen, daß es sich damals um eine lokale Überschwemmung des Euphrat und Tigris gehandelt haben dürfte, aus der dann die Redakteure des Alten Testamentes in der bekannten journalistischen Übertreibungssucht eine »Weltkatastrophe«, die »Sintflut«, gemacht haben. (Gelächter, Zwischenrufe.)

Delcampe: Meine Herren Delegierten! In unseren Händen liegt in dieser Stunde das Schicksal Europas! Nicht mehr lange – und diese Türen werden sich öffnen und eine Abordnung jener – – Männer einlassen . . . Hohe Konferenz! Zeigen wir uns unserer Aufgabe gewachsen! Nützen wir diese Stunde in sachlicher Arbeit! Fahren wir endlich in der Tagesordnung fort! (Beifall. Er setzt sich.)

Grathford: Ich erteile das Wort zu einem Gutachten über die Auferstehung Seiner Eminenz, dem Herrn Kardinal Dupin, Erzbischof von Paris.

Dupin (erhebt sich): Erlauchte Versammlung! Mit Ergriffenheit, aber auch mit tiefer Bestürzung hat die gläubige und die ungläubige Menschheit von jener . . . »Auferstehung« Kenntnis genommen, die als »Wunder«, als »neue Offenbarung des Herrn« umstritten wird. (Pause.) Nun, hohe Versammlung, es will mich bedünken, daß wohl nur die Kirche mit Autorität die Frage zu beantworten vermag, ob das, was sich ereignet hat, als »Wunder« anzusprechen ist oder nicht.

Lamparenne: Und die Wissenschaft!

Dupin (überhört den Einwurf): Diese . . . »Auferstehung«! Betrachten wir sie doch einmal kritisch! . . . Nun, sie gleicht in nichts jener herrlichen Auferstehung, an die wir glauben, um die wir beten, die uns für den Jüngsten Tag verheißen ist . . . Der Herr, in großer Kraft und Herrlichkeit, umgeben von Seinen heiligen Engeln, ist nicht zur Erde gefahren, die Auferstandenen und mit ihnen die noch Lebenden sind dem Herrn auf den Wolken des Himmels nicht entgegengerückt worden, um Ihn auf dem letzten Stück des Weges Seiner Erdenfahrt zu begleiten, der Weltbrand ist unterdessen nicht ausgebrochen, die anschließende Verklärung des Weltalls nicht erfolgt, und der Herr und Seine Gefolgschaft sind nicht auf der erneuerten Erde erschienen, um hier das Weltgericht zu halten und hernach unter den verklärten Menschenkindern zu wohnen. Nichts, nichts von alledem ist geschehen . . .

Clarkson (klopft unbemerkt leise dreimal mit dem Fingerknöchel auf den Tisch).

Dupin: Die »Auferstandenen« aber! Nun, man hört ja allerlei über sie! Merkwürdiges. Erstaunliches. Befremdliches. Aber leider nichts von dem Verheißenen . . . »Verklärte Menschenkinder«! Ach, meine Teuren, wie sieht es mit ihrer »Verklärung« aus. Mit bitterem Schmerz muß festgestellt werden: der Sinn dieser Auferstandenen scheint wenig erdabgewandt, Himmlischem zugekehrt, lammhaft und heilig zu sein. Es scheint nicht, daß sie wiedergekommen sind, um unter uns ein Leben des erhabenen Beispiels, des Geläutertseins und der Erbauung zu führen, ein Leben, in dem der Fromme, aller Qual und Unvollkommenheit des Erdendaseins sichtbarlich entrückt, in ewiger Herrlichkeit und Vollkommenheit dahinlebt . . . Nein, meine Freunde! Diese Auferstandenen erstreben Irdisches. Nur Irdisches! Ihre Plätze im Leben wollen sie wieder! Ihr Hab und Gut! Ihre Bräute, ihre Weiber, ihre Dirnen!

Und nun frage ich Sie, hohe Delegierte: Das soll ein Wunder des Herrn sein? Dazu soll der Herr Tote erweckt haben? Damit sie leben, wie sie lebten? In Sünde und Beschränktheit? In Zweifel und Verstocktheit? In Völlerei und Hurerei?

Nein, hohe Versammlung! Gottgewollt, ein Wunder, eine neue Offenbarung ist dieses Vorkommnis nicht! Denn wäre es das: wie hätten nicht wir, die Diener der Kirche, Ahnungen, Visionen, – Verkündigungen gehabt?! Wie wären uns nicht Heilige im Traum erschienen und hätten uns dies Wunder in Aussicht gestellt?! Nichts, nichts, nichts ist geschehen. Die Kirche weiß von nichts . . . Doch wenn wir, die Diener der Kirche und des strahlenden Lichtes, nichts davon wissen, so schließt das ja nicht aus, daß – andere besser unterrichtet sind. (Wirkungsvolle Pause.) Die Diener – der Nacht etwa und der Finsternis! (Er setzt sich.)

Lamparenne (springt auf): Ich bitte, das zu protokollieren! Ich verlange, daß das protokolliert wird! »Diener der Nacht und der Finsternis«!

Grathford (mokant): Haben Sie – die Nacht und die Finsternis?

Schriftführer: Jawohl, Mylord.

Grathford: Das Wort hat der Herr Generalsuperintendent Palm.

Palm (erhebt sich): Seine Eminenz, der Herr Kardinal, hat für die hohen Autoritätskirchen gesprochen. Ich habe die Ehre, im Namen aller freien evangelischen und der hier nicht vertretenen Kirchen zu erklären, daß uns in diesem Belang nichts vom Standpunkt der Autoritätskirchen trennt . . .

Forbach (wiegt den Kopf): Sss! Hausse in Wundern! Sss!

Palm: Die erleuchteten Ausführungen Seiner Eminenz sind auch vollinhaltlich die unseren. (Setzt sich.)

Grathford: Das Wort hat der Herr Vertreter des – mhm – Alten Testamentes!

Lamparenne: Obwohl wir über das Alte Testament nicht besser denken als über das Neue . . .

Gadenau: Wirklich nicht, Herr Lamparenne? (Lärm.)

Lamparenne: . . . stelle ich fest, daß das Wort zuerst dem Vertreter des Alten Testamentes gebührt hätte. Denn es war vor dem Neuen da! Es besteht kein Anlaß, diesen Herrn zurückzusetzen, bloß, weil er mosaischer Konfession ist! Als Rabbiner kann er ja diesen Geburtsfehler nicht gut korrigieren!

Grathford (schwingt die Glocke): Herr Oberrabbiner Doktor Forbach! Ich bitte Sie, uns zu sagen, ob die Auferstehung nach den Dogmen Ihres – mhm – Glaubens erfolgt ist.

Forbach (erhebt sich, kraut seine Bartspitzen): Hohe Exzellenzen und Eminenzen! Es tut mir leid – aber es ist bei der Auferstehung leider nicht so zugegangen, wie es sich gehört . . . Die Auferstehung ist nicht erfolgt nach den Voraussagungen unserer großen Propheten; denn es steht geschrieben, daß sie erst kommen wird, wenn der Messias erschienen und sein Reich angebrochen sein wird . . . Und jetzt frage ich Sie, hohe Exzellenzen, fromme Eminenzen und tapfere Generalfeldmarschälle: wo ist der Messias?! Und wo ist sein Reich?! (Lachen.)

Delcampe: Das wollen wir ja gerade von Ihnen hören!

Grathford: Für wann erwarten Sie ihn denn?

Forbach: Die Prophezeiungen sind geteilt. Die einen sagen so, die andern so. Heute schreiben wir das Jahr unserer Zeit: 5699 . . . Wem Gott die Gnade geben wird, zu erleben das Jahr 6000, der wird wissen, ob die einen recht gehabt haben. Haben nicht die einen recht gehabt, werden die andern recht haben.

Grathford: Das wäre ja bloß . . . In bloß 301 Jahren wäre das!

Forbach: So ist es, hoher Herr Minister. In 301 Jahren. Was wird bis dahin aus uns geworden sein? Aus Ihnen, den hohen Exzellenzen, den frommen Eminenzen, den tapferen Generalfeldmarschällen und aus mir armem, altem Ju . . . Mann? Abák w' Affàr – Staub und Asche . . .!

Grathford: Die Erde ist Jahrmillionen alt. Was sind dagegengehalten 301 Jahre?

Overtüsch: Wie, wenn die Ihnen prophezeite Auferstehung schon begonnen hätte?

Grathford: Wäre das möglich?

Forbach: Nein. Denn wir schreiben erst das Jahr 5699.

Delcampe: Immerhin wäre aber zu erwägen, daß . . .

Forbach: Herr Minister! Das Alte Testament erwägt nicht! Das Alte Testament beharrt! (Pause.) Die Auferstehung wird erfolgen, sobald der Messias erschienen sein wird. Nicht früher, nicht später. In dieser Stunde aber wird die Erde ihr Anvertrautes wiedergeben, das Totenreich wird wiedergeben sein Anvertrautes, und die Hölle wird zurückgeben, was sie schuldig ist . . .

Grathford: Also: erst muß der Messias da sein . . . Nun, und woher wissen Sie denn, daß er noch nicht erschienen ist?

Forbach (wird herumgerissen).

Delcampe: Richtig! Sehr richtig!

Overtüsch: Vielleicht ist er gestern angekommen? In der vergangenen Nacht?

Delcampe: Und Sie wissen es einfach noch nicht!

Forbach (erst sprachlos; dann verächtlich): Ich hoffe, daß die hohen Exzellenzen von ihren Geschäften mehr verstehen als von meinen!

Grathford: Es ist also unmöglich, daß Sie von der Ankunft des Messias nichts wüßten?

Forbach: Ganz unmöglich.

Delcampe: So. Worin würden Sie sie denn, zum Beispiel, er kennen?

Forbach: Zum Beispiel – an Ihnen. Wenn nämlich der Messias schon erschienen wäre, dann säßen Sie, hohe Exzellenzen, nicht mehr in diesem schönen Saal.

Overtüsch: Wo säßen wir sonst?

Forbach: Dort, wo im Reiche des Messias Ihr Platz sein wird. In der Gehenna.

Grathford: Ich fürchte, wir sind alle schwach in Geographie. Wo ist das, bitte?

Forbach (verschämt zum Kardinal): Bitte, sagen Sie es ihnen, fromme Eminenz. Mir ist es peinlich.

Dupin: Die Gehenna ist die jüdische Hölle, Exzellenz.

Lamarque (springt auf): Herr –!!

Gadenau: Das ist eine jüdische Frechheit!

Grathford (lächelt amüsiert).

Forbach (gesteigert): Denn im Reiche des Messias wird kein Platz sein für Könige, Fürsten, Minister und Mächtige . . . Im Reiche des Messias wird es keinen Unterschied geben zwischen Mensch und Mensch. Das Reich des Messias wird sein – das Paradies auf Erden!

Gadenau: Da hören Sie es mit eigenen Ohren! So sieht das jüdische Paradies aus!

Lamarque: Kommunismus auf der ganzen Linie!

Grathford: Nett. Und wie wird es dazu kommen?

Forbach (in wachsender Verzückung): Eine Posaune wird sich reichen lassen der Herr. Eine silberne Posaune! 2000 Ellen wird ihre Länge sein, und ihr Schall wird gehört werden von einem Ende der Erde zum andern . . . Und der Herr wird ergreifen die Posaune. Und der Herr wird stoßen in die Posaune – siebenmal! Beim ersten Schall wird die Erde erzittern. Beim zweiten wird sich sondern der Menschen Staub von anderem Staub. Beim dritten werden die Gebeine sich zusammenfügen, sich erwärmen beim vierten und sich mit Adern und Haut überziehn beim fünften. Beim sechsten Schall werden Seele und Geist in die toten Körper zurückkehren, und beim siebenten werden die Toten sich aufrichten, bekleidet dastehn und wieder leben! Anheben wird ewige Freude und ewiger Jubel, wiederfinden werden einander, die einander verloren, und es werden vergolten werden dem jüdischen Volk mit ewigem Glück alle Folterungen, die es seit Jahrtausenden erlitten hat . . . (Mit tiefgeneigtem Haupt.) Die Posaunenstöße des Herrn – ich habe sie nicht vernommen. Das Reich des Messias – es ist noch fern. (Er setzt sich. Die Delegierten wechseln Blicke.)

Lamparenne (schlägt auf den Tisch): Lord Grathford! Haben Sie noch immer nicht genug? »Diener der Nacht und der Finsternis!« »Gehenna!« »Silberne Posaune des Herrn!« – Im Jahre 1939!

Grathford (lächelt): Sogleich, Herr Lamparenne! Sogleich wird auch Ihrem Standpunkt Rechnung getragen werden: das Wort hat der Herr wissenschaftliche Sachverständige Professor Doktor Steppach.

Steppach (erhebt sich selbstbewußt): Meine Damen und Herren! Hochgeschätztes Auditorium! Ich habe die sehr ehrenvolle Aufgabe, Ihnen das Urteil maßgebender wissenschaftlicher Kreise über diese »Auferstehung« zu vermitteln, die als »Wunder« die Welt in Erregung hält. (Lächelnd.) Nun, illustre Zuhörerschaft, was sich ereignet hat, ist kein Wunder! Ist ganz gewiß kein Wunder!

Gruppe (hinter Lamparenne): Aha! Da hört ihrs! Kein Wunder! Kein Wunder!

Steppach: Denn, meine Hochverehrten: es gibt nämlich keine Wunder!

Bischöfe (lachen).

Forbach (wiegt den Kopf): Sss! Was für ein Beweis! Was für ein großer Kopf, dieser berühmte Herr Professor! Sss!

Steppach: Hohe Konferenz! Was ist denn geschehen, daß die Klügsten, die Ruhigsten, die Vernünftigsten die Köpfe verlieren und von »Wundern« und »göttlichen Offenbarungen« faseln? Tote sind auferstanden. – Das ist alles. (Pause.) Ja, meine Verehrten, warum sollen denn Tote – – nicht auferstehn? (Gelächter.) Meine hohen Herren Delegierten! Fragen wir uns doch vor allem: was ist das, ein »Wunder«? . . . Nun, unter einem »Wunder«, einem »Miraculum«, versteht die Theologie ein Vorkommnis, das vom gewohnten und natürlichen Ablauf der Dinge abweicht; ein Ereignis, das den Naturgesetzen nicht unterliegt, ja, das ihrem Wirken ersichtlich entgegengerichtet ist. Es liegt im Wesen eines Wunders, daß sein Geschehen nicht erklärt werden kann, daß an Stelle des Begreifens das Staunen tritt, das Wundern, und an Stelle des Wissens: der Glaube.

Bischöfe und Forbach (nicken befriedigt).

Steppach: Meine Herren Delegierten! Je weniger Wissen – desto mehr Glaube und Wunder! Die Wissenschaft hat unter den überlieferten »Wundern« gründlich aufgeräumt! Der historischen Wissenschaft gelang es, nachzuweisen, daß die Mehrzahl der überlieferten Wunder nie vollbracht wurde, und der philosophischen, daß die sogenannten »Wunder«, an deren Wahrheit kein Zweifel besteht, vom natürlichen Ablauf der Dinge nicht abwichen, daß sie somit keine »Wunder« waren! (Beifall und Widerspruch.) Hohe Konferenz! Tausendjährige Erfahrung hat die Wissenschaft gelehrt, daß es für sie nur zweierlei Gruppen von Erscheinungen und Vorgängen gibt: solche, die sie bereits zu erforschen vermochte, und solche, bei denen ihr das noch nicht gelang . . . Diese »Auferstehung« gehört vorderhand – vorderhand, hohes Auditorium! – noch der zweiten Gruppe an. Auf wie lange – vermag heute niemand vorauszusagen. Dereinst wird jedenfalls auch dieses »Wunder« in das Museum zu den übrigen »Wundern« gestellt werden können, wird es in allen Einzelheiten erkannt und – entlarvt sein! Hohe Delegierte! Möge das Bewußtsein der Überlegenheit des menschlichen Geistes über die Rätsel der Natur Sie erheben! Möge diese Erkenntnis Ihnen eine stolze Genugtuung sein . . . (Pause.) Hohe Konferenz! Ich bin zu Ende. (Er setzt sich mit der Miene eines Siegers.)

Lamarque (beugt sich zu Grathford): Entschuldigen Sie, Lord Grathford, aber – ich bin zu ungebildet. Ich habe nichts verstanden. Was hat der Mann eigentlich gesagt?

Grathford: Daß er genau sowenig weiß wie wir alle, General.

Lamarque: Teufel! Er hat aber lang dazu gebraucht!

Grathford: Er hat sich eben wissenschaftlich ausgedrückt, General. – (Blickt in seine Papiere.) Zur ethischen Seite der Auferstehung wünscht das Wort – ? (Stille. Niemand meldet sich).

Gadenau: Quatsch.

Grathford (diktiert dem Schriftführer): Die hohe Konferenz wendet der ethischen Seite der Auferstehung ihre besondere Aufmerksamkeit zu. Sie wünscht, sie einer gründlichen und gewissenhaften Erörterung zu unterziehen, und weist ihre Behandlung daher einem – Ausschuß zu, der unter Vorsitz . . . unter Vorsitz . . . (Zu Gadenau:) Wie meinten Sie vorhin?

Gadenau: Quatsch.

Grathford: . . . der unter Vorsitz des Herrn wissenschaftlichen Sachverständigen Professor Doktor Steppach zusammentreten wird.

Schriftführer (wiederholt): . . . zusammentreten wird.

In diesem Augenblick setzt ein alarmierendes Glockensignal ein. Die beiden rückwärtigen Türen werden aufgerissen, Beamte und Lakaien treten hastig ein und flüstern den französischen Ministern Meldungen zu.

Delcampe (und die französischen Minister erheben sich bestürzt): Lord Grathford! Meine Herren Delegierten! – Sie sind da.

Alle (erheben sich erregt. Ausrufe der Bestürzung).

Die Tapetentüren im Vordergrund fliegen auf: von Wittekind und Vaudemont geführt, betritt ein Trupp Auferstandener schwerfällig den Saal. – Die Konferenzteilnehmer drängen sich unwillkürlich aneinander.

Vaudemont (ohne sie zu beachten): Da. Da sind wir. Setzt euch, legt euch, wo ihr Platz findet.

Morel (ächzend): Müd, Kapitän!

Weber und Schmidt: Hundsmüd, saumüd, Hauptmann!

Wittekind: Seid das Gehn nicht mehr gewohnt, Jungens. (Stille. Der Trupp hat sich gelagert. Die einen auf Stühlen, Stuhllehnen oder auf dem Tisch, die andern haben sich auf dem Fußboden ausgestreckt.)

Roubeau (liegend. Nach langer Pause): Trocken. Weich. Warm.

Schmidt: Teppich und Vorhänge. Damast, Marmor, Gold.

Baillard: So leben die hier . . .

Lehmann: Und uns haben die . . . Uns haben die . . .

Dubois: Ohne Kleider und ohne Stiefel . . .

Sonneborn: Nicht mal was Warmes über den Kopf . . .

Lehmann: So haben die uns . . . So haben die uns . . .

Roubeau: Erst zerschossen und verbrannt . . .

Schröder: Dann in die Grube geschmissen . . .

Dubois: Und dann – ab mit Rückenwind!

Viele: Hunde, verfluchte. (Stille.)

Die Delegierten schweigen betroffen. Auf einen Blick Delcampes tritt Lamarque vor.

Lamarque: Kameraden! War die Not!

Gadenau: Befanden uns alle in Not!

Lamarque: War Mangel an Kleidern und Stiefeln.

Gadenau: Die Kämpfer brauchten sie. Die Lebenden.

Lamarque: Was nützten sie euch?

Gadenau: Ihr wart ja tot!

Roubeau (nach einer Pause): Wer sind die?

Weber: Rote Streifen, goldene Borten, schwarze Röcke. Siehst denn nicht? Generäle – Minister.

Roubeau: Generäle –!

Morel: Was weiß so ein General vom Sterben?

Verron: General. Du weißt, wie man tötet.

Hessel: Bist darin ein Fachmann.

Verron: Aber du weißt nicht, was das ist: getötet werden. (Stille.)

Auf ein Zeichen Grathfords nehmen die Delegierten wieder ihre Plätze ein. Man bedeutet einander, das Wort zu ergreifen. Endlich erhebt sich der Kardinal.

Dupin (salbungsvoll): Meine teuren Söhne! Nach Gottes hohem, weisem und unerforschlichem Ratschluß wart ihr, meine Geliebten, für die höchste Gnade auserkoren, die dem Menschen auf Erden zuteil werden kann. Ihr wart auserwählt, Gott, dem Herrn, euer Leben am Altar des Vaterlandes darbringen zu dürfen, ihr wart berufen, Märtyrer eurer Heimat zu werden, den heiligen Opfertod fürs Vaterland erleiden zu dürfen.

Roubeau: Wer ist der?

Weber: Purpurmantel, roter Seidenhut. Siehst denn nicht? Ein Kardinal.

Roubeau: Ein Kardinal –!

Verron: Kardinal, du weißt, wie man betet.

Hessel: Bist darin ein Fachmann.

Morel: Aber was weißt du – von Gott?!

Sonneborn: Ein toter Maulwurf weiß mehr vom Sterben als so ein General und mehr von Gott als so ein Kardinal.

Roubeau: Wenn die erst ihre Mäuler mit Lehm und Dreck und Erde so voll haben werden wie jetzt mit großen Worten – dann werden die so viel wissen . . .

Dupin (setzt sich wortlos und tief empört. Pause).

Grathford (erhebt sich): Soldaten! Wir grüßen euch im Namen eurer Heimat!

Die Delegierten (erheben sich und setzen sich wieder).

Overtüsch: Deutsche! Immer hat die Heimat euer gedacht!

Lamarque: Franzosen! Niemals haben wir unsere Pflicht gegen euch verletzt!

Grathford: Die Regierung keines Landes hat euer Opfer vergessen!

Delcampe: Wir haben mit großen Mitteln die Heldenfriedhöfe instand gehalten. Der Bau der Denkmäler hat die im Budget angesetzten Ziffern weit überschritten! Und das Grabmal des »Unbekannten Soldaten« ist eine internationale Sehenswürdigkeit! (Zustimmung der Delegierten.)

Clarkson: Die Regierung der Staaten hat für »Pietät« jährlich einen sehr großen Posten im Voranschlag. Seit einigen Jahren führen wir eure Witwen und Mütter gruppenweise auf Staatskosten auf die Heldenfriedhöfe nach Europa und bringen sie wieder nach Hause. Es kostet verdammt viel – aber es wird gemacht!

Overtüsch: Deutschland ist arm. Es kann sich so großzügige Pietät nicht leisten. Dafür geschieht um so mehr in ideeller Hinsicht.

Grathford: Auch England, meine Freunde, hat sich gemerkt, daß Hunderttausende seiner Söhne gefallen sind, damit die übrigen um so besser leben können.

Bertolotti: Und Italien! Das faschistische Italien ehrt seine Gefallenen, wie die Helden der Antike geehrt wurden!

Andere: Und Japan! Jugoslawien! Rumänien! Polen!

Gadenau (schlägt auf den Tisch): Also! Man tat für euch, was man nur konnte!

Lamarque: Jawohl! Was wollt ihr eigentlich?

Viele: Was wollt ihr? Was wollt ihr?

Wittekind (schwer): Ihr –! Ihr –! Wir waren dreiundzwanzig Jahre lang begraben. Begraben! Ihr –!

Vaudemont: Laßt uns erst fragen!

Grathford: Ihr habt das Wort. Bitte, fragt. (Stille.)

Hessel (leise): Kanzler von Deutschland. (Pause.) Ist er unter euch?

Overtüsch: Ist hier.

Hessel: Kanzler von Deutschland. (Pause. Leise:) Wie stehts – daheim?

Schröder: Hat sich das Land vom Krieg erholt?

Sonneborn: Habt ihr – für unsere Hinterbliebenen gesorgt . . .?

Hessel (leise): Für meine – alte Mutter . . .?

Schmidt: Für meine Frau . . .?

Lehmann: Für meine Kinder . . .?

Hessel: Hat sie, was sie braucht?

Lehmann: Hungern sie nicht?

Overtüsch (nach einer Pause): Deutschland hat den Krieg verloren.

Gadenau: Der Krieg hat auch unsere Wirtschaft vernichtet.

Overtüsch: Unsere Währung. Das Vermögen der Nation und die Ersparnisse aller.

Gadenau: Wir müssen die Kriegskosten der Welt bezahlen.

Overtüsch: Deutschland ist verarmt. Unser Wollen hat seine Grenze im Können.

Hessel (leise): Das heißt, Kameraden: sie hungern . . .

Schmidt, Lehmann, Weber, Schröder (wiederholen leise): Sie hungern . . . Sie lassen sie hungern . . .

Wittekind: Brüder! Erst das andere!

Verron: Minister von Frankreich! Wie steht es bei uns?

Lamarque: Gesiegt. Wir haben gesiegt.

Vaudemont: Dann lag das Friedenschließen bei euch. Habt ihr Frieden?

Delcampe: Wir haben Frieden.

Verron: Einen guten Frieden? Einen gerechten – für alle?

Roubeau: Nicht so einen, wie wir ihn nach 1871 hatten?

Dubois: Dessentwegen wir so früh in die Grube mußten!

Roubeau: Wir müssen das wissen, Minister von Frankreich!

Baillard: Denn wir müssen gewiß sein, daß es morgen oder übermorgen unseren Söhnen nicht so ergehen wird, wie es uns ergangen ist . . .

Delcampe (mit einiger Heftigkeit): Wir – haben – Frieden!

Viele der Auferstandenen: Frieden. Frieden. Sie haben einen guten und gerechten Frieden . . . Dann war es nicht umsonst . . .

Roubeau: In der Fabrik war ich. Vor dem Krieg erzeugten wir Zigarrenspitzen, Pfeifen, Spazierstöcke, Schirmgriffe, Schachfiguren . . . Und jetzt fabrizieren die Zünder! Säulenzünder. Doppelzünder. Fliegerbomben und Granaten. Wozu, Minister? Wozu?

Viele der Auferstandenen: Wozu? Wozu?

Delcampe (nach einer Pause): Ihr wart fünfundzwanzig Jahre aus der Welt . . .

Lamarque: Unsere Armee muß schlagfertig sein!

Viele der Auferstandenen: Warum denn? Ihr habt doch Frieden! Frieden habt ihr doch!!

Delcampe: Wir haben Frieden, meine Freunde! (Pause.) Aber leider nicht alle unter uns – wollen ihn bewahren!

Bertolotti (springt auf): Delcampe! Sie haben bei dieser Bemerkung mich angeblickt! Wollen Sie damit sagen, daß Italien . . .?

Lamarque (erhebt sich, schlägt auf den Tisch): Delcampe! Sagen Sie jetzt: Ja!!

Delcampe: Italien tut unrecht, seine Grenzen gegen uns zu befestigen!

Lamarque: Und Armee und Luftflotte in diesem Maße zu vergrößern!

Bertolotti (ebenso hitzig): Das sagt ihr? Ihr, die ihr erst gestern Frankreichs militärische Macht gerühmt habt?

Delcampe: Wir gehen bloß auf Erhaltung des Bestehenden aus. Ihr auf Erwerb!

Bertolotti: Man gebe uns, was wir brauchen – und auch wir werden uns mit seiner Erhaltung begnügen!

Lamarque: Nizza wollt ihr! Unsere Kolonien!

Bertolotti: Wir brauchen Land für unseren Bevölkerungsüberschuß. Man gebe uns gutwillig, was wir nötig haben . . .

Delcampe (und die französischen Minister toben): Nie!! Nie!! Nie!!

Yoshitomo: Japan hat Verständnis für Italien. Es geht uns wie euch!

Tsatanaku (hinter Yoshitomo): Auch wir können unseren Bevölkerungsüberschuß nicht ernähren!

Yoshitomo: Keinen Reis, kein Getreide, keine Rohstoffe!

Tsatanaku: England und die Vereinigten Staaten könnten uns helfen, wenn sie wollten!

Yoshitomo: Aber England und die Staaten wollen nicht . . . Schade. Sehr schade. Zu spät wird man einsehen, wie schade es war . . .

Clarkson (erhebt sich): Besiedelt doch Indien! Australien! Die Dominions sind groß! Washington wird euch nichts in den Weg legen!

Grathford (erhebt sich erregt): Herr Clarkson! Ihr Ratschlag ist ein unfreundlicher Akt! Verfügen Sie über amerikanisches Gebiet! Aber nicht über Territorium des Britischen Imperiums!

Clarkson! Teufel! Die Zeit des Britischen Imperiums ist vorbei! Denkt an Indien und an – Rußland!

Grathford: Rußland könnte sich als schlechte Spekulation erweisen, Herr Clarkson! Es wird Sorge getragen werden, daß es von Rumänien, Polen und den Randstaaten nicht unbeschäftigt bleibt!

Bertolotti (zu den Japanern): Geduld müßt ihr haben! Wenn es erst zum Krieg zwischen City und Wallstreet kommt, werdet ihr euch nehmen können, was ihr braucht! Ihr – und wir!!

Delcampe (heftig): Mit Deutschlands Hilfe wohl, Herr Bertolotti?

Overtüsch: Wem könnte Deutschland heute ein wertvoller Bundesgenosse sein?

Gadenau: Wir sind doch entwaffnet!

Overtüsch: Wir haben doch keine Armee!

Lamarque (heftig): Auch keine – Laboratorien, Herr Reichskanzler?

Delcampe (ebenso): Und die deutschen Chemiker . . . sind die vielleicht ausgestorben??

Overtüsch (springt auf): Was wollen Sie damit sagen?

Lamarque: Daß ihr ein neues Giftgas erfunden habt, gegen das keine Maske schützt!

Overtüsch: Eine infame Unterstellung!!

Gadenau (wild): Warum sollt ihr euch denn einmal gegen unsere Giftgase schützen können, wenn wir uns nicht gegen eure – – Pestbazillen werden schützen können?!

Lamarque und Delcampe: Pestbazillen –??

Gadenau: Die Frankreich in seinen Laboratorien für einen Krieg gegen uns züchtet!!

Delcampe: Lüge! Lüge! Bodenlose Verleumdung!!

Overtüsch: Wahr oder nicht wahr! Auch wir haben ein Recht, von euch zu glauben, was man uns zumutet!

Tumult. Die Delegierten haben ihre Plätze verlassen und sich einander heftig erregt genähert.

Lamparenne: Da –! Da –! Hörst du, Europa –? Siehst du, Europa – ? Hörst du und siehst du, wohin die kapitalistische Welt treibt?? Aber ihr macht eure Rechnung ohne uns! Euer nächster Weltkrieg wird auch euer letzter sein! Denn er wird euch alle verschütten: Minister und Generäle! Bischöfe und Bankiers! Euch alle! Alle! Alle! (Seine Umgebung rast Beifall.)

Bischöfe: Frieden! Frieden! Meine Freunde! Haltet Frieden!!

Die Delegierten verstummen plötzlich und gehen beschämt auf ihre Plätze zurück.

Die Auferstandenen hatten sich vorgeneigt und mit großen Augen zugesehen. Nun erheben sie sich langsam und gehen müde und hoffnungslos auf die Türen zu.

Delcampe: Halt! Wohin? Bleibt!

Grathford: Ihr wolltet doch fragen?

Vaudemont (langsam): Fragen –?

Wittekind: Will jemand von euch . . . noch was wissen? (Stille.)

Wittekind: Keiner. (Sie wollen gehen.)

Gadenau: Bleibt!

Lamarque: Denn nun ist die Reihe an uns!

Gadenau: Als Helden wurdet ihr verehrt. Als ruhmvolles Beispiel gehörte euer Tod den Nationen und Armeen!

Lamarque: In allen Lesebüchern ist von euch die Rede!

Gadenau: Euer Beispiel vor Augen wuchs die Jugend der Welt heran!

Lamarque: Gottesdienste hielt man für euch ab!

Gadenau: Heldengedenkfeiern!

Lamarque: Auf eure Gräber führte man die Nationen zu ihrer Erhebung!

Gadenau: Und was habt ihr aus alldem gemacht?

Lamarque: Desertion! Schmähliche Desertion!

Gadenau: Wozu, wozu habt ihr euch erhoben?

Viele: Ja! Jetzt fragen wir! Wozu? Wozu?? Wozu???

Hessel (nach einer Stille, langsam): Als wir kamen, meinten wir es noch zu wissen . . .

Viele der Auferstandenen: Meinten es zu wissen . . . Wußten es . . .

Verron: Aber nun . . . Nun wissen wirs nicht mehr . . .

Viele der Auferstandenen: Nein, nun – wissen wirs nicht mehr . . . (Stille.)

Clarkson: Worte! Phrasen!! 170 Milliarden Dollar hat der Krieg an Ausgaben verschlungen. Dazu: 60 Milliarden Eigentumsverluste. Das sind Zahlen! Zahlen und nicht Worte, verdammt noch einmal! Und was steht dem als einziges Äquivalent gegenüber? Die Abstoßung des überschüssigen Menschenmaterials.

Viele (der Minister usw.): Sehr richtig. So ist es.

Clarkson: Denn, ihr Männer, es mag ja verdammt hart für euch sein, daß gerade ihr dazu gehörtet; – für die Weltwirtschaft aber gelten nicht Sentiments, sondern eiserne Grundsätze! Der eiserne Grundsatz vor allem, daß die Kriege die Regulative sind, durch die die Überproduktion an Menschenmaterial ausgeglichen wird.

Steppach: Sehr richtig! Denn der Heldentod ist ja nicht nur eine Institution von hohem ethischem Wert, sondern vor allem ein wirtschaftlicher Faktor von immenser Bedeutung! Mag das Ideal des utopischen Pazifismus der ewige Friede sein – das praktische Erfordernis der Weltwirtschaft ist und bleibt: der periodische Krieg.

Clarkson: Kurz und gut: der erste Weltkrieg des zwanzigsten Jahrhunderts schloß mit einem ruinösen Verlustsaldo. Wenn nun auch noch das abgestoßene Menschenmaterial, etwa dreizehn Millionen Überzähliger, zurückkehrt, dann wird der einzige . . . Aktivposten der Weltkriegsbilanz zum vernichtendsten Passivposten! Man nenne mir einen Haushalt, der eine solche Belastung ertrüge! Kein Staat, der die kommenden Wirren auf wirtschaftlichem Gebiet . . .

Grathford: Auf politischem . . .

Overtüsch: Auf sozialem . . .

Delcampe: Auf rechtlichem . . .

Dupin: Auf religiösem . . .

Clarkson (schlägt auf den Tisch): . . . auf wirtschaftlichem Gebiet, sage ich, aushielte! Ich halte sonst nichts von Kardinälen – aber diesmal stimme ich bei: es wäre der allgemeine Zusammenbruch. Und deshalb haben sich die dort nicht im Zeichen des Lichtes erhoben, sondern in dem der schwärzesten Finsternis. (Er setzt sich unter Beifall.)

Dupin: Ja, meine Freunde, die Hölle hat sich aufgetan, und sie droht, uns alle zu verschlingen.

Palm (salbungsvoll): Denn nicht von Gott, meine armen Kinder, seid ihr aus euren Gräbern gerufen worden . . .

Forbach: Nicht von Gott. (Stille.)

Wittekind (mächtig): Kardinal! Bischof! Rabbiner! Habt die Waffen gesegnet, die uns töten sollten.

Vaudemont: Geschah das – auf Gottes Geheiß?

Wittekind: Kardinal! Bischof! Rabbiner! Habt Dankgottesdienste veranstaltet, als wir getötet waren.

Vaudemont: Geschah das – auf Gottes Geheiß?

Verron: »Für den Sieg der eigenen Waffen beten« – so habt ihr das genannt!

Hessel: »Für die Niederlage der fremden danken« – so habt ihr das genannt.

Wittekind: Kardinal! Bischof! Rabbiner! Geschah das – auf Gottes Geheiß???

Vaudemont: Ihr Diener Gottes auf Erden! Habt ihr damit Gott gut gedient?

Lamparenne (springt auf): Gut so, Genossen, gut so! Klaget an! Brechet die Kraft der Lügen! Ihr allein könnt es! Zersprengt das Märchen vom Jenseits! Ihr allein vermögt es! Ein erträgliches Dasein im Diesseits – statt eines paradiesischen Lebens im Drüben! Ein erträgliches Leben für alle!! Klaget an, Genossen, klaget an!! (Tumult.)

Grathford (schwingt die Glocke): Die Vertreter des Klerus haben das Wort! Herr Rabbiner! Sprechen Sie!

Forbach (erhebt sich).

Lehmann (schreit auf): Rabbiner!! Ich war ein gläubiger Jude! Ein gläubiger Jude war ich! Hilf jetzt, Rabbiner! Hilf!!

Forbach (unter Qualen, starr, in singendem Tonfall, nach und nach sich zu Fanatismus steigernd): Ich denke an die zehnmal tausend Mütter und Väter, denen mein hartes Wort den Trost des Alters nimmt und die Hoffnung . . .

Ich denke an die hundertmal tausend Frauen und Kinder, denen mein hartes Wort die Rückkehr nimmt des Gatten und des Vaters . . .

Aber ich denke auch an die tausendmal Tausend meines armen verfolgten Volkes, das seine bitter errungene Gleichberechtigung in jedem Kriege mit neuen Blutopfern bezahlen und erweisen muß . . .

Juden, die ihr im Krieg gefallen seid! Uns ist es nicht vergönnt, euch mit unserm ganzen Herzen zu betrauern! Uns ist es nicht vergönnt, euch mit beiden Augen zu beweinen! Denn auch jubeln müßten wir über euern Tod! Jubeln und den Herrn lobpreisen, daß er eure Opferung am Altar des Vaterlandes angenommen . . . (Er hebt beschwörend die Arme empor.) Darum, und auf daß an eurer und der Euren Heimattreue nicht gezweifelt werden könne; auf daß nicht neue Anfeindungen und Verfolgungen über die Euren kommen: Gefallene Juden! Traget euer Schicksal! Behaltet euren Tod! Bleibet für alle Zeit, was ihr für uns seid: für euer Vaterland gefallen und der Erde wiedergegeben, auf daß ihr in ihr vergehet! . . . (Seine Stimme schwillt vermaledeiend an:) Wo nicht – bringet ihr Unheil über die Euren! Wo nicht – kommt neues, namenloses Elend über sie! Wo nicht – sollt ihr ausgelöscht sein aus dem Buche der Lebenden wie der Toten!! Wo nicht – – sollt ihr unkenntlich sein den Euren, und mit Grauen und Entsetzen sollen sie euren vermaledeiten Anblick fliehen!

Lehmann: Rabbiner!! Rabbiner!! Ein gläubiger Jude war ich zeitlebens!! Hab gebetet und gefastet und gefastet und gebetet und alle Gesetze und Gebote gehalten, Rabbiner!!!

Forbach: Wo nicht – – soll verlöschen der letzte Rest eures Bildes in ihren Herzen und der letzte Rest der Erinnerung an euch in ihrem Hirn! Kein Totengebet soll über ihre Lippen sich ringen können, kein Seufzer um euch, kein frommer Wunsch und kein wortgewordener Gedanke! Als wärt ihr niemals gewesen – so soll es sein: ausgeschlossen und ausgetrieben aus dem Reich des Messias – für jetzt und alle Ewigkeit!! Amen. (Er setzt sich und schlägt beide Hände vors Gesicht.)

Lehmann (taumelt an den andern vorbei, ab).

Grathford: Die hohe Kirche hat das Wort!

Dupin und Palm (erheben sich. Unpathetisch, im Wechselsang, litaneihaft).

Dupin (führt): Kein Wunder des Himmels ist diese Auferstehung . . .

Palm: Und keine Offenbarung des Herrn . . .

Dupin: Denn nicht der Herr hat euch Unselige erweckt. . .

Palm: Auf daß eure Wiederkunft die Menschheit in Schrecken versetze . . .

Dupin: Die Seelen der Frommen verwirre . . .

Palm: Die Gläubigen in Versuchung führe . . .

Dupin: Die Ungläubigen frohlocken lasse . . .

Palm: Neue Fluten von Abtrünnigkeit und Zweifel über die Erde ergieße . . .

Dupin: Der Menschheit den Glauben nehme . . .

Palm: Ihr die Hoffnung auf ewige Seligkeit raube . . .

Dupin (abschließend): Und die Fundamente Seiner Kirche zertrümmere . . .

Palm (abschließend): Nicht der Herr . . .

Dupin (setzt von neuem an): Kehret darum zurück, Unselige . . .

Palm: Kehret zurück . . .

Dupin: Woher ihr gekommen seid . . .

Palm: In euer finsteres Reich . . .

Dupin: Denn – ausgestoßen sollt ihr sein und exkommuniziert . . .

Palm (abschließend): Wenn der Ruf der Finsternis euch mehr gilt als das Licht . . .

Dupin (abschließend): Und als unser heiliges Wort – Amen.

Palm (gleichzeitig mit ihm): Amen. (Sie setzen sich.)

Die Auferstandenen haben bereits früher begonnen, langsam und mit gesenktem Kopf, wie sie gekommen, den Saal zu verlassen. Keiner von ihnen ist mehr anwesend, als die Bischöfe enden.

Grathford (schwingt die Glocke, erhebt sich): Die Anträge sind erstattet, die Gutachten gegeben. Hohe Konferenz: die Regierungen beschließen . . .

In diesem Augenblick wird eine Flügeltür aufgerissen. Herein stürzt mit den Zeichen heftigster Erregung ein noch junger Prälat.

Prälat (schreiend): Haltet ein! Haltet ein! Beschließt nichts!! Alles ist richtig!!!

Dupin (springt auf): Monsignore!! Aus Rom – –?? Was gibts?? Was ist geschehn??!

Prälat (ächzend): Das Wunder, Eminenz . . . Die Auferstehung . . . Der Heilige Vater . . .!!!

Alle (erheben sich): Was ist damit! Sprechen Sie doch! Was ist mit Seiner Heiligkeit?

Prälat: Das Pallium und die Tiara . . . Der Heilige Vater hat sich das Pallium und die Tiara abgerissen . . . Der Heilige Vater ist aus dem Vatikan – – geflohen . . .!!

Alle: Was – –?? Wohin – –?? Warum – –??

Prälat: Als – – Barfüßermönch in ein Franziskanerkloster . . . Eine Erscheinung! Der Heilige Vater hat eine Erscheinung gehabt: Gott, der Herr, hat sie auferstehn und heimkehren lassen! Frieden und Versöhnung! Eine Wiedergutmachung durch Gott! Gott!! Gott!!! (Er sinkt in die Knie, schlägt fanatisch das Kreuz. Lange Stille. Die Bischöfe stehen unbeweglich.)

Delcampe (nach einer Weile): Wir haben die Trennung von Staat und Kirche . . .

Overtüsch: Eine Angelegenheit des hohen Kardinalkollegiums . . .

Grathford (schwingt die Glocke): Die Tagesordnung ist erschöpft! Hohe Konferenz! Die Regierungen beschließen . . .

Die Bühne schließt sich.

 


 


 << zurück weiter >>