François René Chateaubriand
Erzählungen
François René Chateaubriand

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Vorrede zu Atala und René.

Die freundliche Nachsicht, welche meinen Werken von Seiten des Publikums bis jetzt zu Theil geworden ist, macht es mir zur Pflicht, dem Geschmack der Lesewelt zu gehorchen, und den Rath der Kritik zu befolgen.

In Bezug auf die Kritik der beiden episodischen Erzählungen meines Werkes »Der Genius des Christentums«, Atala und René, habe ich Folgendes zu sagen:

Die zwölfte Ausgabe der »Atala«, die ich hiemit in die Welt schicke,Im Jahr 1805. Die erste Ausgabe erschien 1800 ist von mir mit der größten Sorgfalt durchgesehen worden. Ich habe Kritiker zu Rathe gezogen, die gewöhnlich sehr schnell dabei sind, wo es gilt, mich zu tadeln; ich habe jede Phrase streng erwogen, jeden Ausdruck geprüft. Der Stil, von den Beiwörtern gereinigt, welche ihm einen schweren und schleppenden Schritt gaben, hat jetzt vielleicht ein natürlicheres und einfacheres Gepräge. Ich habe mehr Ordnung und Folge in meine Gedanken gebracht, und die kleinsten Flecken der Sprache getilgt.

Einer der Meister unserer Prosa sagte mir in Betreff der Atala: Wenn Sie sich nur einmal ein paar Stunden mit mir einschließen, so wird das genügen, um all die kleinen Flecken zu tilgen, worüber Ihre Recensenten ein solches Geschrei erheben.– Ich habe nun nicht weniger als vier Jahre dazu angewandt, um meine Atala durchzusehn, und wie sie jetzt ist, so soll sie bleiben, und nur in dieser Gestalt erkenne ich sie an.

Gleichwohl giebt es noch einige Punkte, worüber ich mich mit der Kritik nicht einverstanden erklären kann. Man hat nämlich behauptet, einige von dem Pater Aubry ausgesprochene Ansichten und Gefühle enthielten eine trostlose Lehre. So hat man zum Beispiel an folgender Stelle Aergerniß genommen (man ist jetzt gar so gefühlvoll in solchen Dingen!):

»Was sag' ich? O Eitelkeit der Eitelkeiten! Was rede ich von der Macht der Freundschaften dieser Erde? Soll ich dir einmal sagen, meine gute Tochter, wie groß sie ist? – Wenn ein Mensch auch nur einige Jahre nach seinem Tod wiederum an das Licht der Welt zurückkäme, so zweifle ich, ob ihn selbst Diejenigen, welche seinem Andenken die meisten Thränen geweiht, mit wirklicher Freude wiedersehn würden; so geschwind knüpft man andere Freundschaftsverhältnisse an, so leicht gewöhnt man sich an das Neue, so natürlich ist die Unbeständigkeit dem Menschen, so werthlos ist unser Leben, selbst in dem Herzen unserer Freunde!«

Es handelt sich nicht darum, zu wissen, ob es peinlich ist, eine solche Empfindung zu gestehen, sondern ob sie wahr ist, und ob sie durch die allgemeine Erfahrung bestätigt wird. Es möchte nun wohl schwer halten, es zu läugnen. Am wenigsten wird man in Frankreich darauf Anspruch machen wollen, daß man nichts vergißt. Was ist übrigens an dieser Stelle der Zweck des Paters Aubry? Ist es nicht der, der unglücklichen Atala die Sehnsucht nach einem Leben zu benehmen, welches sie die Thorheit begangen hat, dem Schöpfer wieder zurückzuschleudern, und welches sie nachher vergeblich wiedererlangen möchte? In dieser Absicht übt der Priester, selbst wenn er dieser jungen Unglücklichen die Mühseligkeiten des Lebens auch vielleicht mit allzuschrecklichen Farben malt, nur eine Handlung der Menschlichkeit. Es ist jedoch nicht einmal nöthig, zu dieser Erklärung seine Zuflucht zu nehmen. Der Pater Aubry drückt eine leider nur allzu wahre Thatsache aus. Wenn man einerseits die menschliche Natur nicht verläumden soll, so ist es doch andrerseits nicht minder unrecht, sie mit Gewalt idealischer zu finden, als sie ist.

Der nämliche Kritiker hebt noch einen andern Gedanken als falsch und paradox heraus. Es ist der folgende:

»Glaube mir, mein Sohn! Die Schmerzen sind nicht ewiger Natur; sie müssen früher oder später enden, weil das Herz des Menschen auch endlich ist. Es gehört zu unsern Unvollkommenheiten, daß wir nicht einmal fähig sind, uns längere Zeit unglücklich zu fühlen.«

Der Kritiker behauptet nun, der erwähnte Umstand, daß wir Menschen unfähig seien für ein länger dauerndes Gefühl des Schmerzes, sei ja im Gegentheil eine der wunderbarsten Wohlthaten der Menschheit. Ich will ihm nicht darauf erwidern, daß diese Bemerkung, wenn sie wahr ist, den Tadel gegen die obige Rede des Paters Aubry wieder aufhebt. In der That hieße das einerseits behaupten, man vergesse seine Freunde nie, und andrerseits wieder, man sei sehr glücklich, nicht mehr an sie zu denken. Ich habe nicht gesagt: »Es ist ein Unglück für uns«, was ohne Zweifel falsch wäre, sondern: »es ist eine unsrer Unvollkommenheiten«, was sehr wahr ist.

Die neue Natur und das Leben und Treiben der Menschen in einer neuen Welt, die ich in meiner Atala zu schildern unternahm, haben mir jedoch noch andere und zum Theil höchst ungerechte Vorwürfe zugezogen. Man hat mich nämlich für den Erfinder einiger ungewöhnlichen Einzelnheiten gehalten, während ich nur erzählte, was von Jedem bestätigt werden kann, der jene Gegenden gesehn hat. – Hätte ich meiner Atala Noten beigefügt, so würden sie mich hinlänglich gegen jede Kritik geschützt haben; hätt' ich indeß zu jeder einzelnen Stelle, wo es wünschenswerth wäre, Noten gemacht, so würden sie zuletzt mehr Raum beansprucht haben, als meine Erzählung selbst. Ich verzichte daher auf die Noten, und beschränke mich darauf, blos eine Stelle aus meinem »Genius des Christenthums« herauszuheben, welche hiemit folgt. Es ist von Bären die Rede, die sich an Trauben berauscht, und welche die gelehrten Kritiker als ein heiteres Spiel meiner Phantasie belächelt haben. Nachdem ich die achtungswerthen Autoritäten und das Zeugniß eines Carver, eines Bartram, eines Imley und Charlevoix angeführt, füge ich bei:

»Wenn irgendwo bei einem Autor eines Umstands erwähnt ist, welcher an und für sich gerade keine Schönheit enthält, sondern der nur dem Gemälde Aehnlichkeit verleiht, und wenn dieser Autor übrigens eine richtige Beurtheilungskraft verräth, so muß man doch wohl annehmen, er habe nicht geradezu erfunden, sondern er habe damit etwas Wirkliches, wenngleich in seiner Art Neues und Ungewöhnliches erzählt. Man mag meine Atala, wenn man will, für ein unbedeutendes Geisteswerk halten; so viel ist doch gewiß, daß darin die amerikanische Natur mit einer bis ins Kleinste gehenden Treue und Wahrheit wiedergegeben ist. Dieses Lob rühmt ihr Jeder nach, der einmal Louisiana und die beiden Floridas besucht hat. Die zwei englischen Uebertragungen der Atala sind nach Amerika hinübergekommen, und überdem erzählen die Zeitungen, daß sie in Philadelphia selbst noch einmal ins Englische übersetzt worden ist. Wären nun die Gemälde dieser Geschichte ohne Wahrheit, so würden sie keinen Eindruck bei einem Volke machen, das bei jedem Schritt und Tritt sagen kann: Das sind nicht unsere Ströme, nicht unsere Gebirge, nicht unsere Wälder. Atala ist in die Wildniß zurückgekommen, und es scheint, ihr Heimathland hat sie mit Freuden wiederbegrüßt als das echte und wirkliche Kind des amerikanischen Urwalds.«

René, welcher der Atala folgt, war früher noch niemals einzeln gedruckt. Ich weiß nicht, ob er den Vorzug behaupten wird, welchen ihm die Leser hin und wieder vor Atala einräumen. Er schließt sich wie von selbst an die ihm vorhergehende Geschichte, von der er doch wiederum nach Stil und Ton verschieden ist. Es sind zum Theil die nämlichen Orte, die nämlichen Personen, die hier wiederkehren; – das Leben dagegen ist ein durchaus anderes, die Macht der Gefühle und der Gedanken ist eine andere. Statt der Vorrede gebe ich das Wichtigste aus meinem »Genius des Christenthums« und meiner Vertheidigungsschrift dieses Werks wieder, was auf den René Bezug hat. Auszug aus dem »Genius des Christenthums«. (Aus dem Abschnitt »vom Schwankenden der Leidenschaften«.)

»Wir haben nun noch von einem Zustande der Seele zu reden, der noch bei Weitem nicht genug erforscht ist. Es ist derjenige, welcher dem Erwachen der Leidenschaften vorangeht; da wirken all unsere Kräfte mit unwiderstehlicher Gewalt zusammen, jedoch auf sich selbst beschränkt, maß- und zwecklos. Je civilisirter die Völker werden, desto ärger wird unter den Menschen im Allgemeinen dieses kraftlose und beklagenswerthe Hin- und Herschwanken der Leidenschaften; in dieser Hinsicht tritt nämlich eine traurige Wahrnehmung zu Tage: – Der Reichthum von Beispielen und die Unzahl von Büchern, die von dem Menschen und seinen Gefühlen handeln, geben uns einen gewissen praktischen Blick, eine gewisse Gewandtheit und Sicherheit ohne eigene Erfahrung. Man ist enttäuscht, ehe man noch genoß; es bleiben noch die Begierden, und doch ist das schöne Wahnbild bereits verschwunden. Die Phantasie strotzt von einem Reichthum an Bildern und Wundern, während das Leben selbst arm und inhaltslos ist und jedes lieblichen Zaubers entbehrt. Mit einem Herzen voll schöner und herrlicher Gefühle bewohnt man eine öde Welt, und ehe man sich die Freuden dieser Erde noch recht zu Gemüth geführt hat, erscheinen sie Einem bereits schaal und abgenützt.

»Welches schmerzliche Gift solche Zustände für die Ruhe und den Frieden der Seele sind, läßt sich mit Worten nicht sagen; man fühlt sich von einem Aeußersten zum andern gedrängt, man übt Kräfte, die man nicht braucht. Die Griechen und Römer wußten noch nichts von dieser ewigen Unruhe, diesem heimlichen Krebsschaden im Geheimen wühlender Leidenschaften, die mit einander im Kampfe liegen; ein ungleich herrlicheres politisches Leben, die Spiele des Ringplatzes und des Marsfelds, die Geschäfte des Forums und der öffentlichen Gerichtsverhandlungen nahmen all ihre Zeit in Anspruch und gönnten diesen traurigen Selbstquälereien des Herzens keinen Spielraum.

»Andrerseits kannten sie auch nicht die Uebertreibungen, die thörichten Hoffnungen, die wesenlosen Befürchtungen, den ewigen Wechsel der Gedanken und Gefühle, lauter Stimmungen, woran hauptsächlich unser inniges Zusammenleben mit den Frauen Schuld ist. Die Frauen der Jetztzeit wirken, abgesehn von der Leidenschaft, welche sie einflößen, auch noch auf unsere andern Gefühle. Sie haben in ihrem Wesen ein gewisses Sichgehenlassen, welches sie allmählich auch auf uns übertragen; sie machen unsern männlichen Charakter weniger fest und schroff, und unsere Leidenschaften, besänftigt, und so zu sagen zarter und weiblicher geworden durch das innige Ineinanderschmelzen mit den ihrigen, empfangen dadurch zugleich etwas Weiches und Sanftes....

»Zu diesem Schwankenden der Leidenschaften fehlen uns nur einige schwere Schicksalsschläge, um zum Stoff eines bewunderungswürdigen Dramas zu werden. Es ist seltsam genug, daß die neuern Autoren noch nicht auf den Gedanken gekommen sind, solche eigenthümliche Stimmungen der Seele zu schildern. Und da wir zur Zeit noch keine poetische Schilderung der Art haben, dürfte es uns denn nicht erlaubt sein, der Lesewelt einmal eine episodische Erzählung zu bieten, die, wie die Atala, ein Bruchstück von einem indianischen Romane ist, nämlich von unsern Natsches? – Wir meinen das Leben des nämlichen jungen Rene, welchem Schakta seine Geschichte erzählte.«

Auszug aus der Vertheidigungsschrift des »Genius des Christenthums«.

»Das ängstlich wachsame Auge unserer Kritiker in Bezug auf die Reinheit des religiösen Gedankens und Gefühls ist wohl schon bemerkt worden. War es da anders zu erwarten, als daß sie auch an den zwei Episoden Anstoß nehmen würden, welche der Verfasser in sein Buch verwob? – Noch einmal also sei es an dieser Stelle gesagt: Der Verfasser glaubte gottlose Gedichte und Romane mit frommen und religiösen bekämpfen zu müssen; er focht mit dem nämlichen Schild und Speer des Worts, wie die feindliche Partei; es war das eine selbstverständliche Folge jener Art von poetischer Apologie, die er sich nun einmal gewählt hat. Er suchte das Beispiel neben der Regel zu geben. Im theoretischen Theile seines Werkes war unter Anderm gesagt worden, die Religion verschönere unser ganzes Leben, sie reinige die Leidenschaften, ohne sie stumpf und matt zu machen; und was sie berühre, errege schon durch diesen religiösen Zug ein eigenthümliches Interesse; es war dort gesagt worden, ihre Lehre und ihre heiligen Gebräuche ständen in einer wunderbaren Harmonie mit den Regungen des Herzens und den Scenen der Natur; sie sei endlich die wahre Heilquelle im Sturm und den schweren Leiden des Lebens. Es war mir jedoch nicht genug, es zu sagen, ich suchte es zu beweisen. Und das war es denn, was der Verfasser in den zwei Episoden seines Buches versuchte. Solche Episoden waren überdem ein Köder für jene Art Leser, für welche das Werk hauptsächlich geschrieben war. Kannte also der Verfasser wirklich die menschliche Natur so wenig, als er dem Unglauben diese unschuldige Schlinge zu legen suchte? – Und ist es nicht mehr als wahrscheinlich, daß gewisse Leser den Genius des Christenthums vielleicht nie in die Hand genommen hätten, wären darin nicht auch die zwei Geschichten von Atala und René zu finden gewesen?

»Ein unparteiischer Kritiker, welcher in den Geist des Werkes eindringt, hat im besten Fall nur das Recht, von dem Verfasser zu verlangen, daß die Episoden in der That die von ihm angegebene Richtung verfolgten, die christliche Religion als liebenswerth und nützlich zu zeigen. Und ist denn nun die Notwendigkeit, daß es Klöster geben muß für gewisse Leiden des Lebens, und zwar gerade für die schmerzlichsten – ist die Kraft der christlichen Religion, die Kraft nämlich, Wunden zu heilen, welche kein Balsam der Erde mehr zu heilen vermag – ist Beides nicht auf das Schlagendste bewiesen durch die Geschichte Renés? Der Verfasser bekämpft darin außerdem die eigenthümliche Tollheit der jungen Männer unserer Zeit, jene beklagenswerthe Tollheit, welche geradenwegs zum Selbstmord führt. J. Jacques Rousseau war der Erste, der jene unglückseligen und verbrecherischen Träumereien bei uns einführte. Indem er nämlich der menschlichen Gesellschaft den Rücken kehrte und sich seinen eigenen Einbildungen hingab, machte er eine Unzahl von jungen Leuten glauben, es sei schön, sich so in den schwankenden Strom des Lebens zu werfen. Der Roman von Goethe »Werthers Leiden« hat nachmals diesen Giftstoff noch mehr genährt und gepflegt. Der Verfasser des Genius des Christenthums, genöthigt, seiner apologetischen Schrift auch ein paar Gemälde für die Phantasie hinzuzufügen, dachte nun daran, ein Bild dieser neuen Art von Verkehrtheit zu malen, und darin die traurigen Folgen eines übertriebenen Hangs zur Einsamkeit einmal recht unwidersprechlich zur Schau zu bringen. Die Klöster boten ehemals den beschaulichen Gemüthern, welche die Natur mit unwiderstehlicher Gewalt zur einsamen Betrachtung und Selbstschau treibt, einen Zufluchtsort, eine Freistatt der Ruhe und des Friedens. Dort fanden sie in Gott die Quelle eines neuen und reineren Glücks, neue Gedanken und Gefühle zogen in die Nacht und Oede der Seele ein, und oft boten sich daselbst Gelegenheiten zu Uebungen einziger und erhabener Tugenden. Durch die Säcularisation der Klöster, sowie in Folge des von Tag zu Tag wachsenden Unglaubens, nahm jedoch im Schooß der Städte (wie es in England der Fall ist) die Zahl jener menschenscheuen Sonderlinge zu, die als leidenschaftliche und zugleich philosophische Thoren es nicht vermögen, den Lastern dieser Welt Lebewohl zu sagen, und die doch auch nicht im Stande sind, die Welt zu lieben; indem sie sich lossagen von jeder göttlichen und menschlichen Pflicht, nähren sie in der Brust die eitelsten Wahnbilder, und stürzen sich von Tag zu Tag tiefer in eine hochmüthige Misanthropie, welche sie schließlich zum Wahnsinn oder zum Tode führt.

»Um nun von diesen verbrecherischen Träumereien zurück zu schrecken, nahm der Verfasser die Strafe Renés in den Kreis jener schrecklichen Leiden auf, welche weniger dem Einzelnen, als der ganzen Menschheit anzugehören scheinen, und welche das Alterthum dem Schicksal zuschrieb. Der beste Stoff wäre Phädra gewesen, wenn er nicht schon von Racine mit glänzendem Erfolg behandelt worden wäre. Es blieb ihm also nur noch Erope und Thyestes bei den GriechenSeneca im Atreus und Thyestes. Man sehe ferner auch Canacus und Macareus, Caunus und Byblis in Ovids Metamorphosen und Heroiden. Ich verwarf als gar zu abscheulich den Stoff der Myrrha, der auch in Loth und seinen Töchtern wiederkehrt und Amnon und Thamar bei den Juden;2. Buch Samuelis, 13. obschon letzterer Stoff ebenfalls auf unserm Theater erschien,Im Abufar von Ducis ward er doch bei Weitem weniger populär als Phädra.

»Renés thörichte Träumereien legen den Grund zu seinem Unglück, und seine Uebertreibungen machen sein Maß voll; durch die ersteren verführt er nach und nach die Phantasie einer schwachen Frau, durch die letzteren zwingt er sie zu einem sträflichen Verhältniß mit ihm; so entspringt das Unglück aus dem Stoff selbst, und die Strafe aus dem Verbrechen.

»Es blieb nun nur noch übrig, die Katastrophe der Geschichte durch das Christenthum zu heiligen, da sie zugleich aus dem heidnischen und dem heiligen Alterthum entlehnt war. Der Verfasser brauchte indeß nicht einmal erst neu zu erfinden; denn der Grundstoff des René ist so zu sagen bereits heimisch geworden auf christlichem Boden durch die schöne Ballade vom »Pilger«, welche noch jetzt in mehreren Gegenden als Volkslied gesungen wird. Nicht nach den zerstreuten Aeußerungen eines Werkes, sondern nach dem Haupteindruck, welchen es in der Seele zurückläßt, muß man seine Sittlichkeit beurtheilen. Die Art von heimlichem Grauen, welches in René herrscht, bewegt und betrübt die Seele, ohne ihr eine verbrecherische Richtung zu geben. Vorzüglich muß man ins Auge fassen, daß die unglückliche Amalie am Ende beruhigt und geheilt stirbt, während René erbärmlich zu Grunde geht; so ist der wahrhaft Schuldige gestraft, während seine arme Schwester die bis in den Tod betrübte Seele zurückgiebt in die Hand Dessen, welcher »des Kranken auf seinem Lager gedenkt«. – Uebrigens hinterläßt die Rede Pater Souëls keinen Zweifel an dem Zweck und der religiösen Sittlichkeit der Geschichte Renés«.

Man sieht aus der oben angeführten Stelle des Genius des Christenthums, welche Art neuer Leidenschaft ich zu schildern versucht habe, und aus dem Auszug aus der Verteidigungsschrift, welches bisher noch unangegriffene Laster ich habe bekämpfen wollen.

Wie die »Atala«, habe ich auch den »Rene« in Bezug auf den Stil noch einmal durchgesehn, und habe mich bemüht, ihm jenen Grad von Korrektheit zu geben, den ich ihm überhaupt zu geben im Stande war. Atala.

Prolog.

Frankreich besaß ehemals in Nordamerika ein weites Gebiet, welches sich von Labrador bis hin zu den Floriden, und von den Gestaden des atlantischen Meers bis zu den fernen Seen des oberen Canada erstreckte.

Vier mächtige Ströme, welche in einem und demselben Gebirge entspringen, theilten diesen ungeheueren Landstrich in kleinere Gebiete: der St. Lorenzstrom, der sich gegen Morgen zu in den Meerbusen dieses Namens verliert; dann der Westfluß, der seine Fluten unbekannten Gewässern zuführt; der Fluß Bourbon, der von Süden gegen Norden fließt und sich in die Hudsonsbay ergießt, und der Meschacebe,Wahrer Name des Mississippi oder Meschasipi der sich von Norden nach Süden hinabwälzt und sich dann in den mexikanischen Meerbusen stürzt.

Dieser letztere Strom bewässert in einem Lauf von vielen Hunderten von Meilen wahrhaft himmlische Gegenden, welche die Nordamerikaner das »neue Paradies« nennen, und denen die Franzosen den lieblichen Namen Louisiana gegeben haben. Zahllose andre Ströme, Nebenflüsse des Meschacebe, wie der Missouri, der Illinois, der Akansa, der Ohio, der Wabache und der Tenessee, düngen dieses Gebiet mit ihrem Schlamm und befruchten es mit dem Ueberfluß ihrer Gewässer. Wenn all diese Ströme von den Regengüssen der Winterzeit angeschwollen sind, wenn die rasenden Orkane oft ganze Strecken von Waldungen umgestürzt haben, dann sammeln sich die entwurzelten Riesenstämme da und dort an den Waldbächen. Bald deckt sie der Schlamm zu mit seinem flüssigen Kitt, die Lianen umschlingen sie, und neue Pflanzen, die ringsumher Wurzel schlagen, tragen dazu bei, den Schwall all dieser Reste des Urwalds mächtiger und mächtiger emporzuthürmen. Endlich wieder losgespült, und davon getragen durch die reißenden Gewässer, treiben sie dem Bett des königlichen Meschacebe zu. Dieser bemächtigt sich ihrer, stößt sie gegen den mexikanischen Meerbusen, setzt sie auf den Sandbänken ab und vermehrt so die Zahl seiner Mündungen. Bisweilen erhebt er seine Stimme, wenn er unter den Bergen dahinrauscht, und breitet seine überschäumenden Fluten unter den wölbigen Säulengängen der Wälder und unter den Pyramiden der indischen Gräber aus; er ist der Nil dieser Wildnisse.

Bei Ansichten der Natur ist jedoch neben der Pracht und Größe stets die Anmuth und Lieblichkeit zu finden. Während der mittlere Strom die Leichen der Fichten und Eichen dem Meer zuwälzt, gewahrt man auf den beiden Seitenströmungen längs den Ufern schwimmende Inseln von Muschelblumen und gelben Seerosen, deren zartes Blüthenblatt gleich den Wimpeln eines Mastes in der Luft schwankt. Grüne Schlangen, blaue Reiher, rosenfarbige Flamingos, kleine Krokodile schiffen sich auf diesen Blumenfahrzeugen ein, und die Kolonie, die goldenen Segel gebläht von einem sanften Luftzug, langt schlafend in irgend einer zurückgezogenen Bucht des Stromes an.

Die beiden Gestade des Meschacebe gewähren den eigenthümlichsten Anblick von der Welt. Am westlichen nämlich ziehen sich unabsehliche Wiesen, die üppigen Sawannas der amerikanischen Wildniß, hin; ihre grünen, sanftgeschwungenen Linien scheinen am Ende mit dem Blau des Himmels zusammenzuschmelzen, in dem sie verschwinden.

Oft grasen und weiden auf diesen unendlichen Prairien wilde Ochsen zu Tausenden umher. Dann und wann bricht ein schwimmender Bison, sichtbar hochbejahrt und eisgrau von Haar und Mähne, durch die Stromflut, und stürzt sich dann ins hohe Gras einer Insel des Meschacebe. Beim Anblick seiner mit zwei Halbmonden geschmückten Stirne, und seines schlammigen Bartes möchte man ihn für den Gott des Stromes halten, der einen zufriednen Blick auf die unabsehbare Fläche seiner Gewässer und die wilde Ueppigkeit seiner Gestade wirft.

Dies ist das Schauspiel, welches der westliche Strand gewährt; ein durchaus anderes Bild hingegen zeigen dem Auge die Urwaldswildnisse des östlichen Stromufers und stehen mit dem ersten im bewundernswürdigsten Kontraste. Bäume von allen Gestalten, Farben und Blüthengerüchen, die in die Flut hinunterhängen, und bald als liebliche Landschaftsbilder auf Felsen und Bergen beisammen, bald einzeln da und dort im Thale stehn, ranken sich wild durch einander, wachsen zusammen, und erheben sich oft zu einer augenermüdenden Höhe. Wilde Reben und Coloquinten umschlingen einander am Fuß der Bäume, erreichen ihre Aeste, klimmen bis ans äußerste Ende der Zweige hinaus, schwingen sich vom Ahorn zum Tulpenbaum hinüber, vom Tulpenbaum zur Rosenesche, und bringen so zahllose grüne Gehege, Lauben und Gewölbe hervor. Oft schlingen die sich von Baum zu Baum rankenden Lianen ihre Zweige selbst übers Gewässer der Waldbäche, und bauen so förmliche Blumenbrücken darüber hin. Aus der Nacht dieses Dickichts erhebt sich die Waldmagnolia gleich einem unbeweglichen Pfeiler; von ihren breiten, schneeigen Rosen überdeckt, hat sie keine andere Nebenbuhlerin, als die Palme, deren grüne Fächer sich im Blau der Lüfte wiegen.

Eine Unzahl von Thieren, mit denen die Hand des Schöpfers diese einsamen Gegenden bevölkert hat, verbreiten darin Anmuth und Leben. Am Saum des Waldes bemerkt man Bären, die, vom Traubensaft trunken, unter den Zweigen der Ulmen taumeln; Karibus baden sich im See; schwarze Eichhörnchen spielen im Dickicht des Laubwerks; Spottvögel, Tauben, nicht größer als Sperlinge, schweben sanften Flugs auf den Rasen herab, roth von der Pracht des schönsten Erdbeerschlags; hellgrüne Papageien mit gelbem Kopf, purpurfarbene Spechte, feuerfarbige Cardinäle umkreisen die Wipfel der Cypressen; Kolibris funkeln auf dem Jasmin von Florida, und die Vogelfängerschlangen zischen, von dem laubigen Gezweige herunterhangend und gleich Lianen hin und herschwankend.

Während drüben im wogenden Grasmeer der Sawannen gewöhnlich Ruhe und Schweigen brüten, ist dagegen dieser östliche Strand eine Welt voll Leben, voll bunten Gewühls und Getöses: das Geklopf des Schnabels an dem Rumpf der Eichen, der Tritt der Thiere, die, indem sie den Wald durchschreiten, Fruchtkerne zwischen den Zähnen zermalmen, das Rauschen der Gewässer, Töne, die wie ferne Seufzer klingen, dumpfes Gebrülle, sanftes Gegirr, all das wirkt zusammen in dieser Wildniß mit dem eigenthümlichen Zauber einer zarten und dann doch wieder wilden Harmonie. Wenn jedoch von Zeit zu Zeit ein frischer Wind durch die Einsamkeit dieser Wälder fährt und die schwankenden Körper in Bewegung setzt; wenn er all diese Massen von Weiß, Azurblau, Grün und Rosenroth unter einander mischt, all die zahllosen Farben und Töne durcheinanderwirft und untergehn macht: dann erhebt sich aus der Nacht dieser Waldungen ein solches Getöse, und das Auge erblickt solche Wunder, daß ich sie Denen, welche diese Heimat der Natur noch nie gesehn, zu schildern Wohl schwerlich im Stande wäre.

Nach der Entdeckung des Meschacebe durch den Pater Marquette und den unglücklichen Lasalle, schlossen die ersten Franzosen, welche sich am Biloxi und in Neu-Orleans niederließen, ein Bündniß mit den Natsches, einer indianischen Völkerschaft, deren Macht in jenen Gegenden furchtbar war. Streitigkeiten und gegenseitige Eifersucht bespritzten nachmals die gastliche Erde mit Blut. Unter diesen Wilden lebte ein Greis, Namens Schakta,D.h. die Stimme voll Wohlklangs welcher seines hohen Alters, seiner Weisheit und seiner Weltkenntniß wegen der Patriarch und der Liebling dieser Wildnisse war. Wie die Mehrzahl der Menschen, hatte auch er nur durch sein Unglück so hohe Tugenden erkauft. Nicht nur die Wälder der neuen Welt waren voll von seinen traurigen Schicksalen, sie drangen sogar bis herüber an unsere Küsten. Durch eine grausame Ungerechtigkeit zum Bagno in Toulon verurtheilt, dann der Freiheit wiedergegeben, von König Ludwig XIV. persönlich empfangen, hatte er mit all den berühmten Männern dieses Jahrhunderts verkehrt, den Hoffesten von Versailles, den Trauerspielen Nacines und den Leichenreden Bossuets beigewohnt; mit einem Worte, der Wilde hatte die Gesellschaft auf dem Gipfelpunkte ihres Glanzes gesehen.

Schakta war seit mehreren Jahren in den Schooß seines Vaterlands heimgekehrt und genoß jetzt der Ruhe. Doch selbst diese Gunst hatt' ihm der Himmel theuer verkauft; der Greis war blind geworden. Ein junges Mädchen war seine Führerin am hügelichten Gestade des Meschacebe, wie einst Antigone den Fuß des Oedipus auf dem Cithäron, wie Malvina den greisen Ossian durch die felsige Wildniß von Morven leitete.

Obgleich ihm die Franzosen so zahlreiche Ungerechtigkeiten angethan, liebte der Greis sie dennoch. Mit gerührtem Herzen gedachte er Fenelons, dessen Gast er in Cambray gewesen war, und wünschte sehnlichst, den Landsleuten dieses edeln Mannes einen Freundschaftsdienst erweisen zu können. Bald bot sich ihm dazu ein guter Anlaß. Im Jahr 1725 kam nämlich ein junger Franzose, Namens René, durch heftige Leidenschaften und Unglück aus seinem Vaterland vertrieben, nach Louisiana hinüber. Er schiffte den Meschacebestrom bis zu den Natsches hinauf, und wünschte unter die Krieger dieses Volksstammes aufgenommen zu werden.

Nachdem ihn Schakta hinlänglich ausgeforscht und sich von der Festigkeit seines einmal gefaßten Entschlusses überzeugt hatte, nahm er ihn an Sohnesstatt an und gab ihm ein indianisches Mädchen, Namens Celuta, zur Frau. Bald nach dieser Heirat rüsteten sich die Wilden zu einer allgemeinen Biberjagd.

Schakta, obgleich blind, wird von dem Rathe der Saschems zum Anführer des Zugs erwählt, und zwar in Folge der ungemeinen Verehrung, deren er bei den indianischen Stämmen genoß. Die Gebete und Fasten fangen an; die Zauberer legen die Träume aus; man fragt die Manitous um himmlischen Rath; man opfert Petua, man wirft Streifen von Elendthierzungen ins Feuer, und giebt Acht darauf, ob sie in der Flamme knistern, um so den Willen der Genien zu erfahren; endlich, nachdem noch der heilige Hund verzehrt ist, tritt man die Wanderschaft an. René ist mit im Zuge. Mit Hülfe der Gegenströmungen rudern die Piroguen den Meschacebestrom hinauf und gelangen in das Bett des Ohio. Es ist Herbst; die prächtigen Wildnisse von Kentucky thun sich vor den staunenden Blicken des jungen Franzosen auf. In einer schönen Mondnacht, während die Natsches in ihren Piroguen schlafen, und die indianische Flotte mit den Segeln, von Thierhäuten gemacht, beim Wehn eines leisen Windes still stromabwärts fährt, ersucht René, der mit Schakta allein geblieben, den Greis um die Erzählung seiner Geschichte. Der Blinde willfährt ihm, setzt sich zu ihm auf das Hintertheil der Pirogue, und hebt mit folgenden Worten zu erzählen an:


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