Adelbert von Chamisso
Kurze Prosastücke
Adelbert von Chamisso

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Über Zensur und Preßfreiheit

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1828

Das Gedicht, das wir hier mitteilen, war von dem Herrn Verfasser einem der literarischen Blätter bestimmt, die in Berlin erscheinen. Der dortige Zensor hat unserm Blatte diese poetische Gabe zugewandt und ihm zugleich den anziehenden Stoff zu gegenwärtigem Aufsatz geliefert. Der Leser wird nun neugierig in der »Kartenlegerin« nach Stellen spähen, von denen er urteilen könne, ein Zensor habe geurteilt, ihr Erscheinen in den preußischen Landen könne dem Staat und der Monarchie Gefahr bringen. Wir sagen: »ihr Erscheinen in den preußischen Landen«, weil es sich keineswegs handelte, ihr Erscheinen überhaupt zu unterdrücken oder nur zu verhindern, daß sie in Preußen gelesen würden. Der geehrte Zensor wußte ja selbst, was weltkundig ist, und was [wir] hier am unbefangensten mit den Worten eines englischen Torys oder Illiberalen, mit den Worten Walter Scotts in dem Leben Napoleons wiederholen: »Deutschland verdankt von jeher die Wohltat der Preßfreiheit der politischen Einteilung seines Gebietes.«

Aber noch müht sich der Leser, das in der »Kartenlegerin« enthaltene Gift zu entdecken, und müht sich umsonst: wir müssen ihm zu Hülfe kommen. Die Stellen, denen das Imprimatur verweigert wurde, sind: die Zeile des Titels: »Nach Béranger« und die letzte Strophe des Gedichtes:

»Kommt das grämliche Gesicht,
kommt die Alte da mit Keuchen,
Lieb und Lust mir zu verscheuchen,
eh die Jugend mir gebricht? –
Ach, die Mutter ist's, die aufwacht, –
und den Mund zu schelten aufmacht. –
Nein, die Karten lügen nicht!«

Wir können zur Not einen Sinn darin finden, daß der volkstümliche Liederdichter Frankreichs, den seine Stellung als Vorfechter der Opposition den Ministern des Königs unbequem und verhaßt macht; daß der übermütige Liebling der Musen und des Volkes, den neuerdings noch ein Richterspruch straffällig befunden hat, in Preußen überhaupt nicht genannt werden dürfe. Der verehrte Zensor mochte befürchten: jede ihm erwiesene, auch eine literarische Ehre, könne von der französischen Regierung mißfällig bemerkt werden und dem Staate, wo solches geduldet werde, in verdrießliche Händel verwickeln. Wie aber finden wir in andern gleichzeitigen Berlinischen Zeit- und Flugschriften den Namen Béranger und andere Lieder von ihm übersetzt und abgedruckt? Nun – es gibt mehrere Zensoren, und die Einsicht jeglichen ist das Maß, nach welchem er die Macht ausübt, womit er vom Staate bekleidet worden ist.

Was die Zeilen des Liedes selbst anbetrifft, wir gestehen, daß, die ihnen widerfahrene Ehre uns ein Rätsel ist, zu welchem, nachdem wir uns vergeblich mit literarischen und illiterarischen, rechtskundigen und gottesgelahrten Freunden darüber beraten haben, wir einen Schlüssel zu finden nicht vermocht haben, und wir legen es unentziffert unseren Lesern vor. Aber dieses Rätsel ist das einzige nicht in seiner Art, das uns die Berliner Zensur zu raten gibt; wir führen beispielsweise ein anderes an: hört! In einem literarischen Aufsatz geschah von einer Weinstube Erwähnung, von einer wirklichen Weinstube, die, wie in Berlin alle Weinschenken, sich selbst in ausgehängtem Schilde Weinstube nennt. Der wachsame Zensor strich aus eigener Machtvollkommenheit das staatsbefährdende Wort Weinstube weg. Als ihm darauf die entstandene Lücke beliebig auszufüllen überlassen ward, setzte er: Weinhandlung an die Stelle, und so trat, geläutert und unverfänglich, der Aufsatz an das Licht.

Aber nicht den Franzosen Béranger allein, auch den deutschen Dichterfürsten, auch Goethen, trachtete die Berliner Zensur seiner Ehren zu berauben. Den Tages- und literarischen Blättern ward es eine lange Zeit hindurch strenge verwehrt, von den Festen, zu denen der Geburtstag des Altmeisters deutschen Gesanges Veranlassung zu geben pflegt, irgendeine Erwähnung zu tun. Sein Name sollte, wo nicht ganz unterdrückt, doch möglichst vermieden werden. Und erst als in den öffentlichen Blättern Berlins gedruckt zu lesen stand: der König Ludwig von Bayern habe Goethen einen Besuch abgestattet, schien der über ihn verhängte Verruf einige Linderung zu erleiden. Aber die Namen Béranger und Goethe sind die einzigen nicht, die auszusprechen die Sicherheit des Staates zu befährden scheint. Ein anderer, ein bedrohlicherer Name verschwand eine lange, lange Zeit hindurch aus den Berliner Zeitungen, literarischen und Unterhaltungsblättern. Dieser Name, wir werden ihn nennen, und selbst Berliner Zeitungen nennen ihn jetzt wieder, – dieser Name – Hört! Hört! – dieser Name heißt: Oberon, König der Elfen.

Zugunsten des Königstädter Theaters (bekanntlich eine Privat-Unternehmung) besteht eine Zensur-Verordnung des Gehaltes: daß von keinem Stücke, das auf den königlichen Bühnen aufgeführt wird, vor der dritten Vorstellung in öffentlichen Blättern die Rede sein darf. – Woher diese gegen die königlichen Schauspiele gerichtete Zwangsmaßregel? Diese Parteilichkeit für die Königstädter Bühne?

Wenn in Frankreich, im Wogendrange aufgeregter Parteien, die apostolische Faction nach der Gewalt ringt, den Gesetzen des Landes bald stumm, bald offenkundig widersagt, das Reich der Willkür wiederherzustellen strebt; wenn dort die Faction, meinen wir, den Mund der öffentlichen Meinung stumm, das Auge der Vorsehung (nach dem in England üblichen Bilde) blind zu machen, die Presse zu unterdrücken strebt und die Zensur begehrt, um sie selber auszuüben, so hat dieses allerdings einen Sinn, einen schwer gewichtigen Sinn. Aber in Preußen, unter einer gerechten, väterlichen, in vielfachem Betracht großsinnigen Regierung, die als solche der Regierte allgemein anerkennt, ehrt und liebt, was will noch da die Zensur? – Was kann die preußische Regierung vermögen, sich länger für Albernheiten des bezeichneten Schlages verantwortlich zu erklären? – Es preßt sich der fromme vertrauende Ausruf aus unserer tiefsten Brust: si le roi le savoit!

Wenn bald einem unschuldigen Wort, bald einem arglosen Wort das Imprimat versagt wird, finden diese Rätsel ihre Lösung in der Lust der Willkür oder in der Querköpfigkeit der kleinen Tyrannen, denen sie zu üben gestattet wird. Zensoren leben von ihrem Amte, und der Beamte in Preußen will sein Amt nicht als Sinecur verwalten, er will tätig sein, dartun, daß er tätig ist. Unter den gegebenen Umständen ist das unerklärliche Rätsel die Fortdauer der Zensur selbst. Deutsch- land genießt die Wohltat der Preßfreiheit, und offenkundig ist das einzige Ergebnis der Zensur, die Industrie des Inlandes zugunsten des Auslandes zu untergraben, Buchdruckerei und Buchhandel mehr und mehr über die Grenzen zu verscheuchen, heimische literarische Unternehmungen der Fremde zuzuweisen, die in Berlin erscheinenden öffentlichen Blätter ihrer Abonnenten zu berauben, und sie fremden, mehr begehrten Blättern zuzuwenden, und sie selbst entweder zu ertöten oder endlich zum Auswandern zu zwingen.

Dürfte nicht das Fortbestehen dieses aus abgeflossenen Zeiten ererbten, jetzt nur widersinnigen und verderblichen Instituts in etwas durch den väterlichen Sinn einer Regierung erklärt werden, die überall das Recht schützt, den Besitz ehrt und Anstand nimmt, Beamte, ohne wider sie erfolgten Urteil und Spruch, aus den Verhältnissen zu entfernen, denen sie ihren Lebensunterhalt verdanken? Wäre dem also, müßten wir die Gesinnung verehren, die Unersprießliches aufrechterhält, aber doch ein Abkommen vorschlagen, bei dem die allgemeine Wohlfahrt ohne Beeinträchtigung des Privatinteresses gefördert würde. Buchhändler, Buchdrucker und Autoren würden sich gerne vereinigen, den außer Tätigkeit tretenden Zensoren ein Ruhestands-Gehalt zu sichern, das sie vollkommen entschädigte. Der Preßzwang, der über unsere Nachbaren besteht, verspricht unser Blatt mit schätzbaren Beiträgen zu bereichern und dessen Absatz auf Kosten des dort erscheinenden zu fördern. Wir reden nicht aus Eigennutz, wenn wir die Zensur bekämpfen. Die Macht der Presse ist in der Welt der europäischen Gesittung stärker geworden als aller Zwang; sie dient, wo Rechtlichkeit die Herrschaft führt, und empört sich nur, wo das Unrecht obwaltet; ihren eigenen Ausschweifungen, die nicht geleugnet werden sollen, vermag nur sie allein Einhalt zu tun. Sie besteht durch sich selbst, wie das junge Amerika; an der Zeit ist es, sie anzuerkennen. Unseres Erachtens geschieht in Preußen, durch die Art, wie dort die Zensur ausgeübt wird, mehr für die Sache der Preßfreiheit als anderswo durch die Schutzreden, die ihr gehalten werden. So Widersinniges kann zu unserer Zeit nicht von Bestand sein.

2

um 1834

Bei der Zensur, wie sie zur Zeit besteht, machen sich die Regierungen selbst für die Unterbeamten verantwortlich, durch welche sie sie ausüben lassen. – Verantwortlich für alles, was unter ihrem Schirm gedruckt wird, verantwortlich für alles Gehässige und Alberne, was jene Unterbeamten bei Ausführung ihres Amtes verschulden; und da schreit das sich anhäufende Jämmerliche und Lächerliche so laut, daß unnötig wird, über einmütig Anerkanntes ein Wort mehr zu verlieren.

Und dennoch möchte jeder Redlichgesinnte wünschen, daß den Regierungen eine väterliche verständige Beaufsichtigung der Presse möglich gemacht und gesichert werde, auf daß das Bestehende gegen feindliche Angriffe geschützt werde, durch welche eine unbesonnene Umwälzungssucht dessen zeitgemäße ruhige Fortentwicklung stört und gefährdet.

Aber ist denn der Zweck nur auf dem Wege der verrufenen präventiven Zensur zu erreichen, welche doch immer nur von Menschen, und zwar von untergeordneten Menschen, gehandhabt wird, welche, zu keiner Selbsttätigkeit in der Literatur befähigt, sich zu Beaufsichtigern des Gedankens verdingen? Ich bin der Meinung nicht.

Sprecht jedem Beamten, Gelehrten und Bürger, dessen Stellung im Staate eine hinreichende Bürgschaft für seine Anhänglichkeit an das Bestehende gewährt, das Recht zu, unter seiner persönlichen vollen Verantwortlichkeit vor dem Gesetz, was er schreibt, drucken zu lassen.

Das Gesetz hat die Kategorien derer, die dieses Rechtes teilhaftig sind, bestimmt abzugrenzen. Wer in dieselben nicht gehört, Einheimischer oder Auswärtiger, hat selbst sich seinen Zensor unter den Berechtigten zu suchen, von denen einer für seine Schrift bei Nennung des eigenen Namens die persönliche volle Verantwortlichkeit vor dem Gesetze übernehmen muß. Somit höre denn jede Anonymität und Pseudonymität auf. Der Verleger oder Drucker einer sträflichen Schrift, bei welcher den obigen Bestimmungen nicht genügt worden, hat außer den Strafen, die ihn treffen können, sein Verlagsrecht oder Patent verwirkt.

Bei so bestallter Oligarchie würde dem Unfug der Presse vorgebeugt werden, und gleichzeitig möchten verschärfte Strafbestimmungen ihre Verirrungen bedrohn.

Über Preßvergehen oder Verbrechen gegen Personen, durch welche deren Ehre, Rechte oder Eigentum gefährdet werden kann und gegen welche die Zensur nie geschützt hat, haben die Gerichte auf die Klage der Beteiligten zu sprechen. Die Veröffentlichung einer Injurie durch den Druck erschwert deren Straffälligkeit, und in höherem Grade, wenn ihr die periodische Presse zum Organ gedient hat. Dem allen wird das Gesetz vorgesehen haben.

Aber das Gefährliche oder Straffällige einer Schrift, welche wider die gesellige Ordnung, die öffentliche Moral, die Religion oder den Staat ankämpft, liegt nicht sowohl in vereinzelten Worten oder Sätzen, dergleichen man selbst aus den heiligen Büchern herausheben könnte, als vielmehr in der allgemeinen Tendenz derselben, und da scheint mir das Delikt so absonderlicher Natur zu sein, daß es einer das öffentliche Gewissen vertretenden Jury überlassen bleiben müßte, dasselbe zu konstatieren und darüber durch ein begründetes, der öffentlichen Meinung dargebotenes Urteil das »Schuldig« in dem oder dem Grade auszusprechen. Dem Richter bliebe nur vorbehalten, auf den Grund eines solchen Verdikts die Anwendung des Buchstabens des Gesetzes zu verfügen. Inwiefern die Universitäten etwa als natürliche Jury in Angelegenheiten der Presse zu betrachten seien oder auch Hausväter und Staatsbürger von Ansehn und Autorität zu dem geschworenen Gerichte zu ziehen sein möchten, lasse ich in diesen flüchtigen Andeutungen unerörtert.

In Hinsicht der periodischen Presse dürften die Bürgschaften erschwert und die Strafbestimmungen verschärft werden. Das Privilegium einer Zeitschrift, deren Tendenz durch Urteil und Spruch nur getadelt worden, müßte erlöschen. In Hinsicht der einzelnen Artikel würde der Nachweis der Quelle, aus welcher sie entlehnt worden, oder die Namensunterschrift ihrer Verfasser die Verantwortlichkeit der Redaktion erleichtern. Die Regierung zuerst dürfte die Mitteilungen, die sie den Regierten zu machen, die Aufklärungen, die sie ihnen zu geben beliebt, nicht verleugnen, und da sollten die betreffenden Artikel als von den Ministerien, die sie geliefert haben, herrührend bezeichnet werden. Mit der in dieser Hinsicht hergebrachten Halbheit würde ein arger Übelstand aufhören, und man könnte nicht mehr in einem halboffiziellen Blatte die Aussprüche einer neu aufsprießenden Schule, die morgen ein schwerer Bann treffen wird, mit der Meinung der Regierung verwechseln.

Die Leihbibliotheken und öffentlichen Lese-Institute müßten einer verschärften polizeilichen Aufsicht unterworfen werden und das Verleihen oder Auslegen eines gerichtlich getadelten Werkes mit dem Verluste der Privilegii verknüpft sein.

Da, wo zwischen Regierenden und Regierten Friede und Zutrauen herrscht, würde, meine ich, die öffentliche Meinung die vorgeschlagenen Einrichtungen bekräftigen und unterstützen; da aber, wo zwischen ihnen Krieg ist und Mißtrauen, da weiß ich nicht zu raten.

Übrigens schweben mir die Worte des Tory Walter Scott im »Leben Napoleons« allezeit vor: »Deutschland verdankt von jeher der politischen Zerstückelung seines Gebietes die Wohltat der Preßfreiheit.« Nun aber gilt, was er von Deutschland sagt, von der gesamten gesitteten Welt.


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