Carl Capek
Post, Polizei, Hunde und Räuberei
Carl Capek

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Die Räuber-Geschichte

Es ist schon sehr, sehr lange her, so lange, daß sich nicht einmal mehr der alte Zellbauer, Gott laß ihn ewig ruhen, daran erinnerte, und der hatte noch meinen dicken Urgroßvater selig gekannt. Es ist also schon unermeßlich lange her, daß drüben im Böhmischen, im Eulengebirge der berühmte und böse Räuber Lotterando, einer der furchtbarsten Mordgesellen aller Zeiten, mit seinen einundzwanzig Knechten, fünfzig großen und dreißig kleinen Dieben, zweihundert Helfershelfern, Schmugglern und Hehlern hauste. Dieser Lotterando lauerte gewöhnlich an der Straße gegen Fünfhunden oder Bärringen oder Rehhübel, ob nicht ein Fuhrmann, Kaufmann, Jude oder Ritter zu Pferde vorbeikomme. Dann stand er plötzlich wie aus der Erde gewachsen vor ihm, brüllte ihn an und nahm ihm alles weg. Dabei konnte der Betroffene noch von Glück reden, daß ihn Lotterando nicht auf der Stelle erstach, erschoß oder am nächsten Baum aufhängte. So ein Raubgesell und Unmensch war dieser Lotterando.

Fährt da gerade ein Kaufmännchen des Weges, ruft seinen Pferden »hott« und »hütt« zu und freut sich, wie teuer er in Trautenau seine Ware verkaufen werde. Als es durch den Wald geht, hat er ein bißchen Angst vor Räubern, aber damit man es ihm nicht anmerke, pfeift er sich ein hübsches Liedchen. Plötzlich tritt aus dem Wald ein Kerl wie ein Berg hervor, noch breiter als der Herr Müller oder der Herr Schulze, aber um gute zwei Köpfe größer und dazu so bärtig, daß er sich vor lauter Bart nicht ins Maul sieht. Also dieser Mordskerl pflanzt sich vor den Pferden auf, brüllt: »Geld oder Leben«, und zielt gleichzeitig mit einer Pistole, so groß wie ein Mörser, auf den Kaufmann. Der Kaufmann gibt natürlich das Geld heraus, und Lotterando nimmt ihm überdies den Wagen, die Ware, die Pferde, ja sogar den Mantel und die Unterhosen weg und verabreicht ihm noch mit der Peitsche eine Tracht Prügel, damit er besser heimfinde. Wie gesagt, dieser Lotterando war nichts anderes als ein Erzgauner.

Aber weil es weit und breit keinen anderen Räuber gab (erst bei Marschendorf hauste wieder einer, doch war das ein Pfuscher gegen Lotterando), blühte das Räuberhandwerk des Lotterando ausgezeichnet, so daß er bald reicher ward als mancher Ritter, ja sogar als mancher Fabrikant. Und weil er einen kleinen Sohn hatte, sagte sich der Räuber: Ach was, ich lasse ihn studieren, wenn es auch ein paar Tausender kostet; ich kann es mir leisten. Er soll gut Deutsch und Französisch lernen, hübsch »Bittschön« und »Schewusäm« sagen können, soll Klavierspielen und Rheinländer oder Quadrille tanzen, vom Teller essen und sich ins Taschentuch schneuzen lernen, wie es sich gehört. Ich bin zwar nur ein Räuber, aber mein Sohn soll es einem Grafen gleichtun. Und dabei bleibt's und damit basta.

Dann nahm er den kleinen Lotterando vor sich aufs Pferd und jagte nach Braunau. Dort setzte er das Söhnchen vor dem Kloster der Benediktiner ab und ging, furchterregend mit den Sporen rasselnd, geradeswegs zum Prior.

»Hochwürden«, sagte er mit seiner dicken Stimme, »ich lasse Ihnen dieses Knäblein zur Erziehung hier, damit Sie ihn essen, schneuzen, tanzen, ›Bittschön‹ und ›Schewusäm‹ sagen lehren, kurzum alles, was eben dazu gehört, um einen richtigen feinen Herrn aus ihm zu machen. Hier ist ein Sack voller Dukaten, Florins, Piaster, Dublonen, Rubeln, Dollars, Napoleondors, Pfund Sterlings, holländischen Gulden und Pistolen, damit er es bei Ihnen wie ein Prinz habe.«

Darauf drehte er sich auf dem Absatz um und jagte, den kleinen Lotterando in der Obhut der Benediktiner lassend, wieder heim in die Wälder.

So studierte denn der kleine Lotterando zusammen mit vielen kleinen Prinzlein und Gräflein und vielen anderen reichen Knaben im Konvikt der Benediktiner. Der dicke Pater Spiridion lehrte ihn »Bittschön« und »Ghorsamerdiener« sagen, Pater Dominik trichterte ihm Verschiedenes auf Französisch ein, wie »Trescharmä« und »Silwuplä«, während ihm der Pater Amadeus alle Komplimente, Menuette und anständige Manieren beibrachte, und Herr Regenschori Kraupner ihn schneuzen lehrte, daß es so dünn wie eine Flöte oder so fein wie eine Schalmei klang und nicht wie beim alten Lotterando, wie eine Posaune, eine Trompete oder eine Autohupe. Kurzum sie brachten ihm, wie einem richtigen Kavalier, die feinsten Manieren und Scharwenzeleien bei. Der junge Lotterando war aber auch in seinem schwarzen Samtanzug mit dem Spitzenkragen ein wirklich hübscher Junge und vergaß ganz, daß er in einer Räuberhöhle im wilden Eulengebirge aufgewachsen war, daß sich sein Vater, der alte Mordgesell und Räuber, in Ochsenhaut kleidete, nach Pferden roch und rohes Fleisch einfach mit bloßen Händen aß, wie es eben Räuber tun.

Kurz, Lotterando nahm zu an Wissen und Manieren, und gerade als er im besten Studieren war, dröhnten Pferdehufe vor dem Braunauer Konvikt, ein struppiger Knecht sprang vom Pferde, trommelte ans Tor und sagte mit grober Stimme zu dem Bruder Pförtner, der ihn hereinließ, daß er wegen des jungen Herrn Lotterando komme, weil sein Vater, der alte Lotterando, im Sterben liege und seinen einzigen Sohn zu sich rufe, um ihm sein Gewerbe zu übergeben.

Da verabschiedete sich denn der junge Lotterando mit Tränen in den Augen von den ehrwürdigen Benediktinervätern und von den jungen Herren Studenten und ritt mit dem Knecht ins Eulengebirge. Unterwegs dachte er nach, was für ein Gewerbe er wohl von seinem Vater übernehmen solle und gelobte im Geiste, es gottesfürchtig, vornehm und mit beispielhafter Höflichkeit gegenüber allen Menschen zu führen.

Als sie im Eulengebirge ankamen, führte der Knecht den jungen Herrn zum Sterbebett des Vaters. Der alte Lotterando lag in einer Höhle, auf einem Pack ungegerbter Rindshäute und war mit einer Pferdedecke zugedeckt.

»Nun also, Vinci, du Quackelhans«, ließ er sich schweratmend vernehmen, »bringst du endlich meinen Jungen!«

»Teurer Vater«, rief der junge Lotterando niederkniend aus, »Gott möge Euch noch viele Jahre zur Freude Eurer Mitmenschen und zu unaussprechlichem Stolze Eurer Nachkommen erhalten.«

»Gemach, Junge«, sagte der alte Räuber, »heute fahr ich zur Hölle und hab nicht viel Zeit für deine zuckersüßen Reden. Ich dachte, daß ich ein genügend großes Vermögen hinterlassen würde, damit du ohne zu arbeiten davon leben könntest. Aber zum Donnerwetter, Junge, es waren verdammt schlechte Jahre für unser Gewerbe.«

»Ach Vater«, seufzte der junge Lotterando, »ich ahnte nicht, daß Ihr Mangel littet.«

»Na ja«, brummte der Alte, »weißt du, ich habe Gicht und konnte mich nicht mehr so weit weg wagen. Und den näheren Straßen wichen die Kaufleute, diese frechen Kerle, einfach aus. Höchste Zeit, daß ein Jüngerer meine Arbeit übernimmt.«

»Teurer Vater«, sagte der junge Herr eifrig, »ich schwöre Euch bei allem in der Welt, daß ich Eure Arbeit übernehmen und sie ehrlich, bereitwillig und zu allen so liebenswürdig und freundlich als möglich erfüllen will.«

»Ich weiß nicht, wie weit du mit deiner Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit kommen wirst«, knurrte der Alte. »Ich hielt es für gewöhnlich so, daß ich nur diejenigen niederstach, die sich zur Wehr setzten. Aber Komplimente, mein Sohn, habe ich niemandem gemacht, das paßt nicht zu meinem Gewerbe, weißt du?«

»Und was ist das für ein Gewerbe, teurer Vater?«

»Räuberei«, sagte der alte Lotterando und starb.

So blieb denn der junge Lotterando allein auf dieser Welt, bis in die Seele bedrückt durch den Tod seines Vaters und durch den Schwur, mit dem er sich verpflichtet hatte, nach ihm das Räuberhandwerk auszuführen.

Drei Tage später kam der struppige Vinci zu ihm und sagte, daß es nichts mehr zu essen gäbe, und man wohl oder übel mit der ordentlichen Arbeit wieder beginnen müsse.

»Teurer Knecht«, sagte der junge Lotterando betrübt, »muß es denn wirklich sein?«

»Na freilich«, antwortete Vinci unwirsch, »hier, liebes Herrchen, bringt uns kein Pater eine gefüllte Taube. Wer essen will, muß arbeiten.«

Da nahm der junge Lotterando eine wundervolle Pistole, schwang sich aufs Pferd und ritt auf die Straße, na sagen wir auf die Straße gegen Buchtelberg. Dort legte er sich in den Hinterhalt und wartete, bis ein Kaufmann vorüberkommen würde, den er berauben könnte.

Und wirklich, kaum war eine Stunde vergangen, kam ein Leinenhändler des Weges, der Leinewand nach Trautenau führte. Der junge Lotterando trat aus seinem Versteck hervor und zog tief den Hut. Der Leinenhändler verwundert darüber, daß ihn ein so hübscher Herr grüßte, zog gleichfalls den Hut und sagte: »Grüß Sie Gott, junger Herr.«

Lotterando trat näher heran und grüßte von neuem. »Gestatten Sie«, sagte er sanft, »ich hoffe, Sie nicht zu stören.«

»Ach Gott nein«, erwiderte der Leinenhändler, »und womit kann ich dienen?«

»Ich bitte Sie eindringlichst, mein Herr«, fuhr Lotterando fort, »nicht zu erschrecken. Ich bin nämlich ein Räuber, der furchtbare Lotterando aus dem Eulengebirge.«

Der Leinenhändler war ein geriebener Kerl und erschrak nicht im geringsten. »Ah, das trifft sich ja«, meinte er fröhlich, »da sind wir Kollegen. Ich bin nämlich auch ein Räuber, und zwar der blutige Klinger aus Zülze. Sie kennen mich sicher, nicht wahr?«

»Hatte noch nicht die Ehre«, entschuldigte sich Lotterando verlegen, »ich bin heute zum erstenmal hier, Herr Kollege, nachdem ich das Unternehmen meines Vaters übernommen habe.«

»Aha«, sagte der Leinenhändler Klinger, »vom alten Lotterando aus dem Eulengebirge, nicht wahr? Das ist eine alte renommierte Räuberfirma. Ein sehr solides Unternehmen, Herr Lotterando. Da kann ich Ihnen nur gratulieren. Ob Sie wohl wissen, daß ich ein guter Freund Ihres seligen Herrn Vaters war? Wir haben uns noch unlängst getroffen, und er meinte zu mir: ›Weißt du was, blutiger Klinger, da wir nun einmal Nachbarn und Kollegen sind, teilen wir in Frieden; diese Straße von Rehhübel bis Trautenau gehört dir, da wirst nur du rauben‹, das hat er gesagt und das haben wir auch mit Handschlag bekräftigt.«

»Ah, da bitte ich tausendmal um Verzeihung«, entschuldigte sich der junge Lotterando höflich, »ich wußte wirklich nicht, daß das hier Ihr Revier ist. Es tut mir ungewöhnlich leid, auch nur einen Schritt hereingetan zu haben.«

»Nun, für diesmal macht es nichts«, sagte der geriebene Klinger. »Aber Ihr Herr Vater sagte noch: ›Und damit du's weißt, blutiger Klinger, wenn ich oder einer von meinen Leuten auch nur einen Fuß hierhersetzten, kannst du ihm seine Pistole, seine Mütze und seinen Rock wegnehmen, damit er es sich merkt, daß das deine Straße ist.‹ Das hat der alte Gauner versprochen und mir auch seine Hand darauf gegeben.«

»Wenn das so ist«, sagte der junge Lotterando, »muß ich Sie schon sehr höflich ersuchen, diese mit Perlmutter eingelegte Pistole, mein Barett mit den echten Straußenfedern und diesen Rock aus englischem Samt anzunehmen und zwar zum Andenken und zum Beweise meiner tiefsten Hochachtung wie auch meines Bedauerns darüber, daß ich Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereitet habe.«

»Schon gut«, meinte Klinger, »geben Sie nur her, und ich verzeihe Ihnen. Aber daß ich Sie nie mehr hier erblicke, Freundchen. Also, hü Pferdchen! Leben Sie wohl, Herr Lotterando.«

»Gott sei mit Ihnen, edler und väterlicher Herr«, rief ihm der junge Lotterando nach und kehrte nicht nur ohne Beute, sondern auch ohne seine Sachen ins Eulengebirge zurück. Der Knecht Vinci wusch ihm gehörig den Kopf und schärfte ihm ein, den ersten besten, dem er am nächsten Tag begegnen würde, zu erstechen und zu berauben.

So lag denn der junge Lotterando mit seinem dünnen Degen an der Straße nach Fünfhunden im Hinterhalt. Nach einer Weile fuhr ein Fuhrmann mit einer riesigen Fracht vorüber.

Der junge Lotterando trat hervor und rief: »Es tut mir leid, mein Herr, aber ich muß Sie erstechen. Ich bitte Sie, sich rasch vorzubereiten und zu beten.«

Der Fuhrmann fiel auf die Knie und betete und dachte darüber nach, wie er sich aus dieser Patsche herausziehen könnte. Er betete das erste Vaterunser, das zweite, doch es wollte ihm nichts Gescheites einfallen. Schon betete er das zehnte, das zwanzigste Vaterunser und immer noch nichts.

»Nun also, Herr«, rief der junge Lotterando ein wenig strenger werdend, »sind Sie schon auf den Tod vorbereitet?«

»Nein, noch nicht!«, anwortete der Fuhrmann zähneklappernd. »Ich bin nämlich ein schrecklich großer Sünder, dreißig Jahre war ich in keiner Kirche, fluchte wie ein Heide, lästerte und spielte Karten und sündigte bei jeder Gelegenheit. Wenn ich aber in Fünfhunden beichten gehen könnte, würde mir der Herrgott vielleicht meine Sünden vergeben und meine Seele nicht in die Hölle verdammen. Wißt Ihr was? Ich reite rasch nach Fünfhunden, und wenn ich gebeichtet habe, komme ich gleich wieder zurück.«

»Gut«, stimmte Lotterando zu, »ich warte hier einstweilen bei Ihrem Wagen.«

»Ja«, sagte der Fuhrmann, »und borgt mir, ich bitt Euch, Euren Gaul, damit ich rascher zurück bin.«

Auch das bewilligte der höfliche Lotterando; so schwang sich denn der Fuhrmann aufs Pferd und ritt nach Fünfhunden, während der junge Lotterando die Pferde des Fuhrmanns ausspannte und sie auf der Wiese weiden ließ.

Aber der Fuhrmann war ein Spitzbube und ritt gar nicht nach Fünfhunden zur Beichte, sondern ins nächste Wirtshaus, wo er erzählte, daß ihm auf der Straße ein Räuber auflauere. Dann trank er sich im Wirtshaus Mut an und machte sich mit drei Knechten auf den Weg zu Lotterando. Die vier Kerle verprügelten den armen Lotterando fürchterlich und trieben ihn bis ins Gebirge. So kehrte denn der höfliche Räuber nicht nur ohne Beute, sondern auch ohne sein Pferd zurück.

Zum dritten Mal ritt Lotterando auf die Straße gegen Bärringen und wartete, welche Beute ihm die Gelegenheit zutreiben würde. Da kam alsbald ein Planwagen die Straße herunter, darin ein Marktfahrer, der lauter Lebkuchenherzen zum Jahrmarkt nach Bärringen führte. Wieder stellte sich Lotterando auf die Straße hin und schrie: »Mensch, ergib dich, ich bin ein Räuber!« So hatte es ihn nämlich der struppige Vinci gelehrt.

Der Märktler blieb stehen, kratzte sich unter der Mütze, hob das Wagenzelt und sagte in den Wagen hinein: »Alte, da ist ein Räuber.«

Da kroch aus der sich öffnenden Wagenplache ein altes, dickes Weib heraus, stemmte die Hände in die Hüften und fuhr den jungen Lotterando an: »Du Affe, du Ameisenbär, du Barnabas, du Bengel, du Bluthund, du Bösewicht, du Brigant, du Buschklepper, du Dummkopf, du Diebskerl diebischer, du Erzgauner, du Fledderer, du Galgenschwengel, du Galgenstrick, du Galgenvogel, du Grobian, du Hallunke, du Halsabschneider, du Idiot, du unterstehst dich, ehrliche und anständige Leute zu überfallen?«

»Verzeihen Sie, Madame«, flüsterte Lotterando bestürzt, »ich hatte keine Ahnung, daß sich eine Dame im Wagen befindet.«

»Das glaub ich«, setzte das Marktweib fort, »und was für eine Dame, du Kehlabschneider, du Kriminalist, du Langfinger, du Laster, du Lumpenkerl, du Lümmel, du Meuchler, du Menschenfresser, du Mörder, du Mordbube!«

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Frau, daß ich Sie so erschreckt habe«, entschuldigte sich Lotterando, der in der schrecklichsten Verlegenheit war. »Trecharmä, madame, silwuplä, ich versichere Sie meiner tiefsten Reue, weil – weil –«

»Mach, daß du fortkommst, du Nichtsnutz«, schrie die ehrenwerte Dame, »oder ich sage dir, daß du ein Nichtswürdiger, ein Obergauner, ein Pirat, ein Preller, ein Quatschkopf, ein Rabenaas, ein Raubgesell, ein Rinaldo Rinaldini, ein Satan, ein Spitzbub, ein Strauchdieb, ein Strolch, ein Schandfleck, ein Scheusal, ein Schlingel, ein Schnapphahn, ein Schuft, ein Schurke, ein Tatar, ein Taugenichts, ein Teufelsbraten, ein Tiger, ein Totschläger, ein Türke, ein Tyrann, ein Ungeheuer –«

Mehr hörte der junge Lotterando nicht, da er davonlief und erst im Eulengebirge haltmachte; und es schien ihm, als ob der Wind noch hinterher wehe: – »ein Unhold, ein Unmensch, ein Vampir, ein Verbrecher, ein Vermaledeiter, ein Wegelagerer, ein Werwolf, ein Zetermordioschreier bist.«

Und so ging es fortwährend. Bei Ratibor überfiel der junge Räuber eine goldene Kutsche, aber darin saß die Ratiborer Prinzessin, und die war so schön, daß sich Lotterando in sie verliebte und ihr nur – und das noch im guten – ein duftendes Taschentüchlein wegnahm. Leicht begreiflich, daß die Bande im Eulengebirge von dem Duft nicht gerade satt wurde. Ein andermal überfiel er bei Saugwitz einen Fleischhauer, der eine Kuh zum Schlachten nach Silberskalitz führte, und wollte ihn erstechen; aber der Fleischhauer bat, er möge seinen zwölf Waisen noch dies und jenes ausrichten und ließ ihnen so ergreifende, überedle und rührende Dinge sagen, daß Lotterando zu weinen begann und den Fleischhauer nicht nur samt der Kuh laufen ließ, sondern ihm noch zwölf Dukaten aufzwang, damit er jedem seiner Kinder einen Dukaten zum Andenken an den schrecklichen Lotterando geben könne; aber dabei war der Fleischhauer, dieser Schelm, ein alter Junggeselle und hatte nicht einmal eine Katze, geschweige denn zwölf Kinder daheim. Kurzum, jedesmal wenn Lotterando jemanden ermorden oder berauben wollte, kam etwas dazwischen, was seine Höflichkeit und sein Mitgefühl erregte, so daß er nicht nur niemandem nichts wegnahm, sondern noch all sein Eigenes hergab.

Auf diese Weise blühte freilich das Räuberhandwerk nicht sonderlich. Seine Knechte samt dem struppigen Vinci liefen auseinander und suchten lieber anderswo ehrliche Arbeit. Vinci ging als Knecht in die Hronauer Mühle, die noch heute unterhalb der Kirche steht. Der junge Lotterando blieb allein in der Räuberhöhle im Eulengebirge zurück, hungerte und wußte sich keinen Rat. Da erinnerte er sich an den Herrn Prior der Benediktiner, der ihn sehr ins Herz geschlossen hatte. So machte er sich dann auf den Weg zu ihm, um ihn um Rat zu fragen, was er anfangen solle.

Als er zum Prior kam, kniete er nieder und erzählte weinend, daß er seinem Vater geschworen habe, Räuber zu werden, daß er aber, der zur Höflichkeit und Güte erzogen worden war, niemanden gegen seinen Willen umbringen oder berauben könne.

Der Herr Prior schnupfte darauf zwölfmal und dachte zwölfmal nach, worauf er sagte: »Lieber Sohn, ich lobe dich darob, daß du höflich und gütig zu den Menschen bist; doch Räuber kannst du nicht bleiben, erstens, weil es eine Todsünde ist und zweitens, weil du nichts davon verstehst. Aber damit du den Schwur, den du deinem Herrn Vater geleistet hast, treubleiben kannst, wirst du weiter Leute überfallen, freilich in aller Ehrbarkeit. Du wirst als Zöllner an der Straße lauern, und wenn dort jemand vorüberfährt, wirst du auf ihn zutreten und zwei Kreuzer Straßenzoll verlangen. Na, das wäre soweit. Und bei diesem Gewerbe kannst du so höflich sein, wie du es nur vermagst und es dir wünschst.«

Dann schrieb der Herr Prior dem Bezirkshauptmann nach Trautenau einen Brief, in welchem er für den jungen Lotterando bat, der Herr Bezirkshauptmann möge ihm einen Straßenzoll anzuvertrauen belieben. Mit diesem Brief begab sich Lotterando zur Bezirkshauptmannschaft nach Trautenau und erhielt tatsächlich eine Zollstelle an der Straße nach Salesel. So wurde denn aus dem höflichen Räuber ein Zollbeamter, der Wagen und Kutschen überfiel, um in aller Ehrbarkeit zwei Kreuzer Zoll zu erheben.

Viele Jahre später fuhr einmal der Braunauer Herr Prior mit der Kutsche auf Besuch zum Herrn Pfarrer nach Upitz. Im vorhinein freute er sich schon, daß er bei dem Zoll in Salesel den höflichen Lotterando wiedersehen und ihn fragen werde, wie es ihm gehe. Und tatsächlich trat bei dem Zoll ein bärtiger Mann an den Wagen heran – es war Lotterando selbst – und streckte, etwas vor sich hinbrummend, die Hand aus.

Der Herr Prior griff in die Tasche; da er aber ein bißchen dick war, mußte er mit der einen Hand den Bauch heben, damit er mit der zweiten in die Tasche greifen könne. Es dauerte daher eine Weile, ehe er das Geld herauszog.

Doch da fuhr ihn Lotterando mit grober Stimme an:

»Na, wird's bald? Wie lange muß man denn warten, bis man die zwei Kreuzer kriegt?«

Der Prior suchte im Beutel herum und sagte: »Ich habe keine Kreuzer, wechselt mir, ich bitt Euch schön, einen Sechser.«

»Der Teufel soll Euch holen«, schrie Lotterando, »wenn Ihr keine Kreuzer habt, was kommt Ihr, in Satansnamen, erst hierher? Entweder zahlt die zwei Kreuzer oder fahrt zurück.«

»Lotterando, Lotterando«, sagte der Herr Prior traurig, »erkennst du mich nicht? Wo hast du deine Höflichkeit gelassen?«

Lotterando erschrak, da er erst jetzt den Herrn Prior erkannte. Er brummte irgend etwas sehr Häßliches, beherrschte sich aber und sagte: »Hochwürden, Sie dürfen sich nicht wundern, wenn ich nicht mehr höflich bin. Aber sah jemand schon einmal einen Zöllner, Steuereinnehmer oder Gerichtsvollzieher, der kein Brummbär gewesen wäre?«

»Das ist wahr«, meinte der Prior. »Das hat noch niemand gesehen.«

»Na, sehen Sie«, knurrte Lotterando, »und nun fahren Sie schon los, zum Donnerwetternocheinmal.«

Das ist das Ende der Geschichte vom höflichen Räuber; vielleicht ist er schon gestorben, aber seine Nachkommen findet ihr an vielen, vielen Orten. Ihr erkennt sie daran, daß sie euch mit der größten Zuvorkommenheit ausschimpfen, auch wenn sie nicht wissen warum. Und das sollte fürwahr nicht sein.


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