Das Leben ein Traum
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Dritter Aufzug.

Im Innern des Turmes.

Clarin. Für das, was ich weiß, geschieht mir's,
In dem Zauberturm zu stecken.
Was wird, was ich nicht weiß, kosten,
Kostet, was ich weiß, mein Leben?
Daß ein Mensch mit solchem Hunger
Soll lebend'gen Leibes sterben!
Mitleid hab' ich mit mir selbst;
Alle werden's sagen, denk' ich,
Und sich denken kann man's wohl,
Da zu meinem Namen eben
Nicht dies Schweigen paßt; ich heiße
Ja Clarin, und soll nicht sprechen!
Die mir hier Gesellschaft leisten,
Sind, um frei heraus zu reden,
Weiter nichts, als Mäus' und Spinnen;
Ei, wie allerliebste Lerchen!
Von den Träumen dieser Nacht
Ist mein armer Kopf beständig
Voll von tausend Gaukelspielen,
Von Schalmeien und Trompeten,
Kreuzen und Prozessionen,
Büßenden und Geißeln; jene
Steigen auf, und diese schwinden,
Und in Ohnmacht fallen welche,
Wenn sie sehn, wie andre bluten.
Ich, die Wahrheit zu vermelden,
Fall' in Ohnmacht schier vor Hunger;
Denn hier sitz' ich im Gefängnis
Und studiere Tag für Tag
Die gesamte Hungerlehre,
Und die Wissenschaft des Fastens
Hab' ich dann bei Nacht zu lernen.
Wenn das Schweigen Heil'ge macht,
Wie im neuen Festkalender,
So ist Sankt Sekret mein Heil'ger,
Denn ihm fast' ich, ohn' Ergötzen;
Ob ich gleich für wohl verdient
Diese Züchtigung erkenne,
Denn ich schwieg und bin ein Diener,
Und das ist der größte Frevel.

Trommeln, Trompeten und Geschrei von außen.

Erster Soldat (von außen). Er ist hier, in diesem Turme.
Auf und sprengt die Thür des Kerkers;
Alle dringt hinein!

Clarin.                           Mein Gott!
Wohl auf mich ist's abgesehen;
Denn sie sagen, ich sei hier.
Was nur soll ich?

Erster Soldat (von außen). Rasch, Gesellen!

Viele Soldaten dringen herein.

Zweiter Soldat. Seht, er ist's!

Clarin.                                     Er ist's nicht.

Alle.                                                               Herr!

Clarin (beiseite). Sind sie wohl vom Wein benebelt?

Erster Soldat. Du bist unser rechter Fürst;
Denn wir wollen und erkennen
Nur den angestammten Herrn,
Nicht den Fürsten aus der Fremde.
Laß uns deine Füße küssen!

Alle. Unser großer Fürst soll leben!

Clarin (beiseite). Nun, bei Gott! sie machen Ernst.
Ist es Brauch in dieser Gegend,
Daß sie täglich sich zum Fürsten
Einen ausersehn und stecken
Dann ihn in den Turm? Gewiß!
Denn noch konnt' ich's täglich sehen.
Nun, die Rolle nehmen muß ich.

Alle. Gönn' uns deine Füße!

Clarin.                                 Schwerlich:
Denn ich brauche sie ja selbst.
Und mit einem Fürsten ständ' es
Traurig, wär' er ohne Füße.

Zweiter Soldat. Alle, die wir sind, erklärten
Deinem Vater, daß wir keinen,
Außer dir, als Herrn erkennen;
Nicht Astolfen.

Clarin.                     Meinen Vater
Respektiertet ihr so wenig?
Ihr seid einer wie der andre.

Erster Soldat. Treue war es unsrer Herzen.

Clarin. War es Treue, so verzeih' ich.

Zweiter Soldat. Komm, dein Reich dir herzustellen.
Lebe, Sigismund!

Alle.                             Leb' hoch!

Clarin (beiseite). Sagt er Sigismund? Noch besser!
Sigismund, so heißen alle
Nachgemachte Prinzen, denk' ich.

Sigismund tritt auf.

Sigismund. Wer hier nannte Sigismund?

Clarin (beiseite). Weh! mein Reich ist schon zu Ende.

Erster Soldat. Wer ist Sigismund?

Sigismund.                                       Ich bin's.

Zweiter Soldat (zu Clarin). Wie? Du frecher Narr begehrtest,
Dich zum Sigismund zu machen?

Clarin. Ich, zum Sigismund? Wohl schwerlich!
Denn ihr selber habt mich ja
Sigismundisiert; deswegen
Seid ihr eben ganz allein
Hier die Narren und die Frechen.

Erster Soldat. Sigismund, erhabner Fürst!
Diese Fahnen, die hier wehen,
Sind die deinen; unsre Treue
Ruft dich aus zu unserm Herrscher.
Fürst Basilius, dein Vater,
Welcher sorgt, der Himmel werde
Jene Weissagung erfüllen,
Daß er einst, besiegt, sich sehen
Soll zu deinen Füßen, trachtet,
Recht und Anspruch dir zu nehmen
Und Astolfen sie, dem Herzog
Moskaus, zu verleihn; deswegen
Rief er seinen Hof. Das Volk,
Ahnend, wissend schon, es lebe
Ihm ein angestammter König,
Will nicht dulden, daß ein Fremder
Ihm gebieten mag; und so,
Mit großherzigem Verschmähen
Jener harten Schicksalsdrohung,
Sucht es hier dich, wo du lebest
In der Haft, daß du, mit Hilfe
Seines Arms, hervor nun tretest
Aus dem Turm und dir erstattest
Deines Reiches Kron' und Zepter,
Sie entreißend dem Tyrannen.
Tritt hervor! Zahllose Heere
Von Verbannten und Gemeinen,
Hier in Wüsten sich gesellend,
Rufen dich; dein harrt die Freiheit.
Horch, wie sie die Stimm' erheben!

Stimmen (außerhalb). Lebe, Sigismund! Leb' hoch!

Sigismund (für sich). Noch einmal (ihr Himmelsmächte,
Was ist dies?) soll ich von Hoheit
Träumen, so die Zeit entwendet?
Noch einmal soll ich, von Schatten
Und Phantomen rings umgeben,
Alle Majestät und Größe
Sehn vom Windeshauch verwehet?
Noch einmal soll ich Enttäuschung,
Soll ich die Gefahr bestehen,
Der schon die Geburt uns Arme
Hingibt, die wir scheun im Leben?
Nein, es soll nicht, soll nicht sein!
Seht mich nochmals unterthänig
Dem Geschick; und da ich weiß,
Nur ein Traum sei alles Leben,
So entflieht, ihr hohlen Schatten,
Die ihr meinen Dumpfsinn äffet
Mit Gestalt und Stimm', obwohl
Euch Gestalt und Stimme fehlen.
Ich will nicht erlogne Hoheit;
Kein phantastisches Gepränge
Will ich, keine leere Täuschung,
Die der Lüfte leises Wehen
Wieder auflöst in ihr Nichts:
Wie's dem Mandelbaum ergehet,
Welcher, ohne Rat und Warnung,
Sich zu früh mit Blüten decket,
Die beim ersten Hauch verschwinden
Und, verwelkend und ersterbend,
Seinen rosenfarbnen Locken
Schönheit, Glanz und Zierde nehmen.
O, ich kenn', ich kenn' euch schon!
Und ich weiß ja, euch begegnet
Gleiches nur wie jedem Träumer.
Mich kann nichts Erlognes blenden.
Denn der Täuschung längst entflohn,
Weiß ich, Traum ist alles Leben.

Zweiter Soldat. Wenn du glaubst, daß wir dich täuschen,
Wend' auf jene stolzen Berge
Nur dein Aug' und sieh die Scharen,
Die nach deinem Blick sich sehnen,
Um dir zu gehorchen.

Sigismund.                         Schon
Einmal sah ich ganz dasselbe,
Grade so bestimmt und deutlich,
Als ich eben jetzt es sehe;
Und doch träumt' ich.

Zweiter Soldat.                 Große Dinge
Künden immer, großer Herrscher,
Sich durch Ahnung an; und diese
War's, wenn du's im Traum gesehen.

Sigismund. Du sagst recht, wohl war es Ahnung;
Und wenn's Wahrheit auch gewesen,
Ist das Leben doch so kurz!
Laß uns träumen, träumen, Seele,
Noch einmal! Doch mit Bedacht
Und mit Vorsicht soll's geschehen;
Denn man wird uns vom Genuß
Einst zur besten Zeit erwecken.
Wer sich weislich auf Enttäuschung
Vorbereitet, fühlt sie wen'ger;
Denn zuvor dem Uebel kommen,
Heißet, mit dem Uebel scherzen.
Und nun, dies vorausgesetzt,
Daß, auch wenn sie wirklich wäre,
Alle Macht, als bloß verliehen,
Wiederkehrt zu ihrem Lehnsherrn,
Laßt uns alles kühnlich wagen! –
Dank, Vasallen, daß ihr's redlich
Mit mir meint. Ihr habt an mir
Den, der klug und keck euch rettet
Von der fremden Sklaverei.
Rührt die Trommeln! Schleunig sehen
Sollt ihr meinen Heldenmut.
Meinen Vater zu bekämpfen,
Ist mein Will', und kund zu thun,
Daß der Himmel wahr geredet;
Liegen muß er mir zu Füßen.
(Für sich.) Aber wie? Erwacht' ich eher,
Wär's nicht besser, davon schweigen,
Falls ich's nicht vollführen werde?

Alle. Lebe, Sigismund, leb' hoch!

Clotald tritt auf.

Clotald. Himmel! Welchen Aufruhr seh' ich?

Sigismund. Ha, Clotald!

Clotald.                           Mein Prinz! (Beiseite.) Auf mich
Fällt sein ganzer Zorn.

Clarin (beiseite).                 Ich wette,
Daß er gleich vom Berg ihn schleudert. (ab.)

Clotald (niederknieend). Meines Todes sicher, leg' ich
Mich zu deinen Füßen.

Sigismund (ihn aufhebend)   Auf doch,
Auf doch, Vater, von der Erde!
Leitstern sollst du mir und Führer
Sein auf meines Glückes Wegen;
Denn ich weiß ja, meine Bildung
Dank' ich deinen treuen Lehren.
Komm, umarme mich.

Clotald.                               Was sagst du?

Sigismund. Daß ich träum' und daß ich denke,
Recht zu handeln; denn auch träumend
Darf man Rechtthun nicht entbehren.

Clotald. Nun, mein Prinz, wenn, recht zu handeln,
Jetzt dein Wahlspruch ist, so kränkt es
Dich gewiß nicht, daß auch ich
Heute nach dem Gleichen strebe.
Du bekriegest deinen Vater?
Nicht dir raten, nicht dir helfen
Kann ich gegen meinen König.
Dir zu Füßen lieg' ich; räche
Dich durch meinen Tod. (Er kniet.)

Sigismund.                             Treuloser!
Undankbarer! (Für sich.) Ich vergesse,
Mich zu mäß'gen; weiß ich, Himmel!
Ob nicht Träume mich umschweben?
(Laut.) Euern Mut, Clotald, beneid' ich,
Und ich weiß ihn zu erkennen.
Geht und dienet Euerm König.
Geht; wir sehen uns im Felde. –
Auf, Gefährten, rührt die Trommeln!

Clotald. Ewig werd' ich dich verehren. (ab.)

Sigismund. Schicksal, wohl, wir gehn zum Throne!
Träum' ich, wolle nicht mich wecken;
Ist es Wahrheit, laß mich wachen!
Doch, sei's Traum, sei's Wahrheit eben:
Recht thun muß ich; wär' es Wahrheit,
Deshalb, weil sie's ist; und wär' es
Traum, um Freunde zu gewinnen,
Wenn die Zeit uns wird erwecken.

Trommeln. Alle ab.

 


 
Zimmer im königlichen Palaste.

Der König und Astolf treten auf.

Basilius. Wer kann, Astolf, in ihrem Laufe hemmen
Des Rosses Wut, frei von des Zügels Zwange?
Wer die Gewalt des stolzen Stromes dämmen,
Der sich zum Meere wälzt mit raschem Drange?
Wer einem Bergsturz sich entgegen stemmen,
Der niederkracht vom jähen Felsenhange?
Doch alles findet Aufhalt und Erschwerung
Viel leichter noch, als stolzer Völker Gärung.

Wohl wird's durch der Parteien Sturm verkündet;
Denn aus der Bergeskluft, mit lautem Dröhnen,
Läßt Echo, von entzweiter Wut entzündet,
Bald Sigismund und bald Astolf ertönen.
Der alte Thron, auf Eid und Pflicht gegründet,
Muß neuer Absicht, neuem Grausal frönen,
Ein Frevelschauplatz, wo, uns zur Bedrängnis,
Mit Trauerspielen schrecket das Verhängnis.

Astolf. Die Freude, Herr, sei jetzt noch unterbrochen,
Des Ruhmes Glanz, die schmeichelnden Genüsse,
So deine Hand beglückend mir versprochen.
Wenn Polen, wider deiner Huld Beschlüsse,
Gehorsam mir versagt mit stolzem Pochen,
So ist's, daß ich ihn erst verdienen müsse.
Gebt mir ein Roß, und fahr's in stolzen Wettern
Als Blitz herab, verkündend Donnerschmettern. (ab.)

Basilius. Unwiderstehlich ist des Schicksals Lenkung
Und oft gefahrvoll, sie voraus erfahren.
Nicht schützen kann sich menschliche Beschränkung;
Denn Schlimmes lockt man durch zu ängstlich Wahren.
Grausam Gebot! Hart Schicksal! Schwere Kränkung!
Gefahren fliehn, das bringt erst in Gefahren.
Mein Unglück wird, was Schutz mir sollt' erwerben;
Ich selbst, ich wirkte meines Reichs Verderben.

Estrella tritt auf.

Estrella. Eilt deine Gegenwart nicht bald, zu zäumen
Den Aufruhr, Herr, der frech und ohne Hülle,
Von Schar zu Schar, umher auf allen Räumen,
Durch alle Gassen schwärmt mit Wutgebrülle:
So wird gar bald dein armes Reich erschäumen
Von Wogen, die des eignen Blutes Fülle
Zum Purpur färbt; denn schon, so weit wir schauen,
Ist alles rings Verderben, alles Grauen.

So furchtbar ist im Reiche die Empörung,
So mächtig schon des blut'gen Hasses Dauer,
Daß man beim Anblick starrt, bebt bei der Hörung;
Die Sonn' erbleicht, die Luft durchwehet Schauer.
Ein jeder Stein wird Denkmal der Zerstörung
Und jede Blume Monument der Trauer;
Ein stolzes Grab ist jedes Haus im Reiche,
Ein jeder Krieger schon lebend'ge Leiche.

Clotald tritt auf.

Clotald (zum König). Dem Himmel Dank! Ich nahe dir, lebendig.

Basilius. Sag' an, Clotald, wie steht's um Sigismunden?

Clotald. Das Volk, ein Ungeheur, wild, unbeständig,
Drang in den Turm, aus dem, der Scheu entbunden,
Es seinen Fürsten zog, der kühn, unbändig,
Sobald er die erneute Macht empfunden,
Den Mut erhob und schwur, die ew'ge Wahrheit
Des Himmels darzuthun in voller Klarheit.

Basilius. Gebt mir ein Roß! Dem undankbaren Sohne
Will ich mit eigner Hand den Sieg entringen;
Und rühmlich soll, zum Schutze meiner Krone,
Was Wissen fehlte, nun das Schwert vollbringen. (ab.)

Estrella. Und an der Seite Sols bin ich Bellone,
Mein Name soll mit seinem auf sich schwingen;
Denn raschen Flugs will ich ins Feld mich werfen
Und um den Preis wetteifern mit Minerven. (ab.)

Man schlägt Lärm.

Rosaura tritt auf und hält Clotald zurück.

Rosaura. Rufet gleich zu Kampf und Sieg
Dich dein Mut mit edelm Grimme,
Dennoch höre meine Stimme;
Denn auch hier ist alles Krieg.
Wohl ist dir es nicht verborgen,
Daß ich elend, arm, voll Gram,
Ohne Schutz nach Polen kam;
Doch du wolltest für mich sorgen,
Und mir riet dein mildes Herz,
Daß ich, fremde Kleidung wählend,
Im Palaste mich verhehlend,
Bergen sollte Lieb' und Schmerz
Und Astolfen fliehn. Indessen
Ward er mich gewahr; und doch
Spricht er, diesen Abend noch,
Mit Estrella, ehrvergessen,
Dort im Park. Nun siehe, mein
Ist der Schlüssel zu dem Garten;
Dort nun kannst du seiner warten,
Um zu enden meine Pein.
Dort, durch Kühnheit, Kraft und Mut,
Kannst du mir die Ehr' erneuen;
Denn ich weiß, du wirst nicht scheuen,
Mich zu rächen durch sein Blut.

Clotald. Es ist wahr, ich muß es sagen,
Seit ich dich zuerst gesehn,
Fühlt' ich mir den Trieb entstehn
(Zeugen sind ja deine Klagen),
Alles gern für dich zu thun.
Erst sucht' ich dich zu bewegen,
Jene Kleidung abzulegen;
Daß, säh' auch Astolf dich nun,
Er dich säh' in deiner Tracht
Und so thöricht kühnes Walten
Nicht für Leichtsinn möchte halten,
Der die Ehr' unheilbar macht.
Dann bedacht' ich einen Plan
Zur Erstattung deiner Ehre,
Die du eingebüßt, und wäre
(So viel lag mir selbst daran)
Auch der Preis Astolfens Leben.
Aberwitzige Zuversicht!
Doch er ist mein König nicht,
Und so darf ich nicht erbeben.
Töten wollt' ich ihn fürwahr;
Doch, als Sigismund entbrannte,
Mich zu töten, da verwandte,
Trotz der eigenen Gefahr,
Seine Neigung mir bezeigend,
Er für mich den höchsten Mut,
In verlegner Zornesglut
Alle Kühnheit übersteigend.
Sollt' ich nun dem Dankgebot
Meines Herzens widerstreben?
Dem, der mir einst gab das Leben,
Geben sollt' ich dem den Tod?
Und so, da ich Lieb' und Bangen
Gleich verteilt euch beiden habe,
Weil ich dir verliehn die Gabe,
Die ich selbst voll ihm empfangen:
Weiß ich nicht, wem meine Hand
Hilf' und Beistand solle weihn,
Wenn ich dir mich durch Verleihn,
Durch Empfangen ihm verband.
Und so, wie sich's auch entscheidet,
Bleibt mein Kummer unverwandelt;
Denn ich bin es, welcher handelt,
Und ich bin es, welcher leidet.

Rosaura. Keinem ist es je entgangen,
Daß, wie einen Mann von Wert
Immerdar das Geben ehrt,
So ihn schändet das Empfangen.
Denkst du hierin gleich mit mir,
Bist du nicht zum Dank verbunden;
Denn hast du an ihm gefunden
Den, der einst das Leben dir,
Wie du mir es gabst: so hat
Er gezwungen deinen Adel
Nur zu einer That voll Tadel,
Ich zu einer edeln That.
Folglich hat er dich gekränkt,
Wie ich dich verpflichtet habe;
Gabst du nämlich mir die Gabe,
Die du nahmst von ihm geschenkt.
Und so darf ich kühn verlangen
Ehrenschutz von deinem Mut;
Denn ich geh' ihm vor, so gut
Wie das Geben dem Empfangen.

Clotald. Kann der Geber auch allein
Adel der Gesinnung hegen,
So muß Dankbarkeit dagegen
Des Empfängers Tugend sein.
Längst schon ward zum Eigentum,
Weil ich wohl zu geben weiß,
Mir des Edelmutes Preis:
Laß mir auch des Dankes Ruhm,
Da ich jetzt ihn kann erlangen,
Wenn ich Dankbarkeit so gut
Ueben werd', als Edelmut;
Denn, wie Geben, ehrt Empfangen.

Rosaura. Leben hast du mir gewährt;
Aber, als ich es bekommen,
Hab' ich von dir selbst vernommen,
Leben, das ein Schimpf entehrt,
Sei kein Leben; drum ist klar,
Daß ich nichts empfangen habe,
Weil das Leben, jene Gabe
Deiner Hand, kein Leben war.
Und wenn eher nun, zu geben,
Als zu danken, dir gebührt,
Wie du selber angeführt:
Wohl, so gib mir jetzt das Leben,
Denn noch gabst du mir es nicht;
Und weil Geben höher adelt,
Gib zuerst, und ungetadelt
Ueb' hernach des Dankes Pflicht.

Clotald. Wohl denn! Ueberzeugt von dir,
Ueb' ich erst den Edelmut:
Haben sollst du all mein Gut;
Doch, Rosaura, folge mir,
Geh ins Kloster; du ersinnst
Für dein Wohl nichts so entscheidend,
Weil du, ein Verbrechen meidend,
Einen Zufluchtsort gewinnst.
Denn da dieses Reich im schweren
Sturm der Zwietracht scheint verloren,
Darf, als Edelmann geboren,
Ich das Unheil nicht vermehren.
Aber wenn ich so geholfen,
Handl' ich an dem Reiche gut,
Gegen dich mit Edelmut,
So wie dankbar an Astolfen.
Drum, zu deiner eignen Ehre,
Wähle nach Vernunft und Pflicht;
Denn, bei Gott! mehr thät' ich nicht,
Wenn ich auch dein Vater wäre.

Rosaura. Wärest du mein Vater, dann
Würd' ich diesen Schimpf verzeihn;
Aber da du's nicht bist – nein!

Clotald. Und was willst du thun? Sag' an!

Rosaura. Ihn ermorden.

Clotald.                         Wie? Und wäre
So von Mut ein Weib entbrannt,
Das den Vater nicht gekannt?

Rosaura. Ja.

Clotald.       Was treibt dich an?

Rosaura.                                     Die Ehre.

Clotald. In Astolfen mußt du sehn . . .

Rosaura. Nie soll meine Rach' ermatten!

Clotald. Deinen Herrn, Estrellas Gatten.

Rosaura. Ha, bei Gott! nie soll's geschehn.

Clotald. Raserei!

Rosaura.             Ich seh' es ein.

Clotald. Dämpfe sie.

Rosaura.                   Wie sollt' ich's können?

Clotald. Du verlierst . . .

Rosaura.                         Ich will's vergönnen.

Clotald. Ehr' und Leben.

Rosaura.                         Mag es sein!

Clotald. Und dein Ziel?

Rosaura.                         Zu sterben.

Clotald.                                             Glut
Der Verzweiflung!

Rosaura.                       Ehrenpflicht.

Clotald. Unverstand!

Rosaura.                   Nein, Zuversicht.

Clotald. Tollheit ist es.

Rosaura.                       Rache, Wut.

Clotald. Gibt's auf Erden denn nicht eines,
Diesen Sturm zu bänd'gen? Sprich!

Rosaura. Nein.

Clotald.           Wer wird dir beistehn?

Rosaura.                                               Ich.

Clotald. Und kein Mittel weiter?

Rosaura.                                       Keines.

Clotald. Denk', ob nicht ein andrer Schritt . . .

Rosaura. Jeder Schritt führt ins Verderben. (ab.)

Clotald. Wohl, so will ich mit dir sterben;
Warte, Tochter, nimm mich mit. (ab.)

 


 
Gebirg und Wald.

Sigismund tritt auf, mit Fellen bekleidet. Ihm folgen Clarin und ein großer Zug von Soldaten, mit kriegerischer Musik.

Sigismund. Könnt' heut mich Roma sehen,
Geschmückt mit ihrer Jugend Siegstrophäen,
Wie würde sie des neuen,
Noch nie erlebten Zufalls sich erfreuen,
Der ihr ein Untier gönnte,
Das ihrer Scharen Kraft beherrschen könnte
Und dem, mit solchem Heere,
Des Firmaments Erobrung Leichtes wäre!
Doch hemme noch die Schwingen,
Mein Geist; nach ungewissem Ruhm zu ringen,
Bezähme das Gelüste,
Weil ich, erwacht, mit Schmerz erfahren müßte,
Der Ruhm, den ich gewonnen,
Sei wie ein Traum zerronnen.
Je minder ich gewinne,
Je minder schmerzt es mich, daß er zerrinne.

Trompetenstoß.

Clarin. Auf einem raschen Pferde –
(Ich mal' es dir, vergib mir die Beschwerde,
Unmöglich kann ich's lassen)
Es scheint die ganze Welt in sich zu fassen.
Der Leib, wenn ich nicht fehle,
Ist Erde ja, und Feuer ist die Seele;
Luft ist der Hauch, und Wasser ist im Schaume;
Ein Chaos zeigt sich in so engem Raume.
Leib, Seele, Hauch, Schaum macht's zum Ungeheuer,
Gemischt aus Erde, Wasser, Luft und Feuer.
Es ist ein Apfelschimmel,
Schön durch der Flecken zierliches Gewimmel.
Spornt man's, so ist sein Rennen
Kein Lauf, ein Flug zu nennen.
Auf diesem Rosse wendet
Ein schönes Weib sich her.

Sigismund.                                 Glanz, der mich blendet!

Clarin. Rosaura steigt hernieder. (ab.)

Sigismund. Der Himmel schenkt sie meinen Blicken wieder.

Rosaura tritt auf, mit Mantel, Schwert und Dolch.

Rosaura. Großgesinnter Sigismund,
Dessen Hoheit, mutentglommen,
Aus der Nacht, die sie umschattet,
Dringt zu ihrer Thaten Morgen;
Gleich dem obersten Planeten,
Welcher aus dem Arm Aurorens
Wiederkehrt mit neuem Schimmer
Zu den Pflanzen, zu den Rosen
Und der über Meer' und Berge,
Wann er kommt mit seiner Krone,
Licht verbreitet, Strahlen funkelt,
Färbt die Gipfel, säumt die Wogen:
So erleuchte jetzt die Erde,
Strahlenreiche Sonne Polens,
Und laß ein unsel'ges Weib,
Hingestreckt vor deinem Throne,
Schutz erlangen, weil sie Weib
Und unglücklich ist, zwei Worte,
Deren jedes hinreicht, jedes
Schon zu viel ist zur vollkommnen
Schutzverpflichtung eines Mannes,
Der sich rühmt des Heldenlobes.
Dreimal sahest du mich schon,
Und dreimal blieb dir verborgen,
Wer ich bin; denn dreimal sahst du
Andre Tracht an mir und Formen.
Bei dem ersten Mal erschien ich
Dir als Mann im festumschloßnen
Kerker, wo dein elend Dasein
Meinem Unglück ward zum Troste.
Bei dem zweiten Mal erblicktest
Du als Weib mich, da die stolze
Pracht der Hoheit dir zum Traume
Ward, zum Schatten, zum Phantome.
Und das dritte Mal ist heute,
Da ich, schier zum Zwitter worden,
Bei der Frauen heiterm Schmuck
Männerwaffen mir erkoren;
Aber um dein Mitleid kräft'ger
Mir zum Beistand aufzufordern,
Wird mir meines unglücksreichen
Lebenslaufs Erzählung frommen.
An dem Hofe Moskaus hat
Mich ein edles Weib geboren,
Das gewiß von großer Schönheit
Mußte sein, ihr Leid erwogen.
Auf sie heftete die Augen
Ein Verräter; zwar verborgen
Ist sein Name mir geblieben,
Doch sein Heldenmut erprobet
Sich an meinem; denn, als Abbild
Seiner Seele, fühlt die Tochter
In sich kein so edles Blut,
Daß sie thöricht wählten sollte,
Er sei solch ein Gott, wie jener,
Der, verwandelt, einst als goldner
Regen, Schwan und Stier sich zeigte
Danaen, Leda'n und Europen.
Da ich sorgte, durch Erwähnung
So verrätrischer Historien
Abzuschweifen, find' ich nun
Schon gesagt mit wenig Worten,
Daß die Mutter, überredet
Durch der Liebe falsches Kosen,
Schöner war, als dieser keine,
Und, wie alle, ward verstoßen.
Weil er trügrisch ew'ge Treue
Und Vermählung ihr gelobte,
Kam's dahin, daß die Erinnrung
Weint noch heut um die Betrogne;
Denn ihr ließ, so sehr Aeneas
Seines Trojas, der Treulose
Nichts zurück, als diesen Degen.
Sei die Klinge noch verborgen;
Denn entblößen will ich sie,
Eh ich den Bericht geschlossen.
Aus so schlecht gefügtem Bande,
Das nicht binden, fesseln konnte
(War es Ehe, war's Verbrechen,
Beides kann mir wenig frommen),
Stamm' ich ab, als meiner Mutter
Abbild und Kopie geboren;
Denn ich gleich' ihr, nicht an Reiz,
Doch an Thun und Leid vollkommen.
Und somit ist schon gesagt,
Daß ich wenig Glück genossen
Und, als ihres Schicksals Erbin,
Gleiches Mißgeschick erprobet.
Was ich mehr vermag zu sagen,
Ist der Name des Treulosen,
Der nur meines Rufs Trophäen,
Meiner Ehre Schmuck gestohlen.
Fürst Astolf (weh! bei dem Namen
Füllt sich mit Verdruß und Zorne
Meine Brust; den Feind zu nennen,
Hat notwendig dies zur Folge),
Fürst Astolf war der Verräter,
Der, vergessend seiner Wonnen
(Leicht entfliegt ja die Erinnrung,
Ist die Lieb' einmal entflogen),
Angelockt vom reichen Glanze
Der Erobrung, kam nach Polen
Zur Vermählung mit Estrella,
Dieser Fackel meines Todes.
Wer wird glauben, wenn ein Stern
Der Geliebten Bund geschlossen,
Daß ein andrer Stern, Estrella,
Nun sie wieder trennen sollte?
Ich, beleidigt, ich, verhöhnet,
War bekümmert, war verworren,
War getötet, kurz, war ich;
Dieses heißt: der Hölle Toben
Und Verwirrung war im Babel
Meines Innern eingeschlossen;
Und mich nun für stumm erklärend
(Denn es gibt der Leiden solche,
Die viel besser durch Gefühle
Kund sich geben, als durch Worte),
Sagt' ich meine Leiden schweigend,
Bis an einem stillen Morgen
Violante, meine Mutter,
Einst den Kerker brach; da wogten
Sie hervor aus meinem Busen,
Eins vom andern fortgezogen.
Mich verwirrt' es nicht, zu reden;
Denn sobald uns kund geworden,
Jemand, dem wir Schwachheit beichten,
Sei der Schwachheit Mitgenosse,
Hoffen wir, er wird mit milder
Nachsicht uns entgegen kommen;
Und so wirkt ein schlimmes Beispiel
Manchmal Gutes. Mitleid zollend,
Hörte sie mein Leid und stellte
Mir ihr eignes vor zum Troste:
War der Richter einst Verbrecher,
O wie leicht vergibt ein solcher!
Sie, durch eigne Not gewitzigt,
Und um nicht von sorgenloser
Muße, von bequemer Zeit
Ihrer Ehre Heil zu borgen,
Ließ mich ruhig nicht im Unglück.
Daß ich dem Verführer folgte,
War ihr Rat, und durch die feinste
Kunst der Lieb' ihn nöt'gen sollte,
Meiner Ehre Schuld zu zahlen.
Um nun leichter fortzukommen,
Hüllt' ich mich in Männertracht,
Meines Schicksals Wink befolgend.
Drauf, ein altes Schwert mir reichend,
Dieses, das ich mitgenommen
(Nun ist Zeit, daß seine Klinge
Sich entblößt, wie ich versprochen),
Sprach die Mutter, im Vertrauen
Auf dies Merkmal: »Geh nach Polen
Und bemühe dich, daß diesen
Stahl die Edelsten des Hofes
An dir sehn; denn ihrer einer
Wird vielleicht wohl mitleidsvollen
Schutz gewähren deinem Unglück,
Rat und Tröstung deinen Sorgen.«
So erreicht' ich dieses Land.
Uebergehn wir (wiederholen,
Was du weißt, wär' überflüssig),
Daß die Wildheit meines Rosses
Mich zu deiner Höhle brachte,
Wo du staunend sahst mein Kommen.
Uebergehn wir, daß Clotald,
Rasch von Mitgefühl bewogen,
Um mein Leben bat den König
Und daß dieser es verschonte;
Daß Clotald, da er erfahren,
Wer ich sei, mir riet, ich solle
Wechseln meine Tracht und Dienste
Nehmen an Estrellas Hofe,
Wo ich stört' in seiner Liebe
Und Vermählung Fürst Astolfen.
Uebergehn wir, daß du nochmals
Staunend mich erblicktest dorten,
Nochmals zwei Gestalten mengtest,
Durch die Kleidung irr geworden;
Und vernimm nun, daß Clotald,
Ueberzeugt, es werd' erfordert,
Daß der Herzog und Estrella
Gatten sei'n und Herrscher Polens,
Ehrenwidrig jetzt mir rät,
Meinen Anspruch aufzuopfern.
Nun, o tapfrer Sigismund,
Da der Rache Zeit gekommen
(Denn der Himmel hat entschieden,
Daß du nun durchbrechen sollest
Niedriger Gefangenschaft
Düstern Kerker, wo du wohntest,
An Empfindung fast ein Tier,
An Geduld ein Fels geworden),
Da du gegen deinen Vater
Und dein Land den Kampf beschlossen,
Komm' ich, dir zu helfen, mischend
Zu Dianens reichem Pompe
Der Minerva Kriegesrüstung,
Teils gehüllt in seidne Stoffe,
Teils bedeckt mit hartem Stahle,
Mir vereint zum Schmuck erkoren.
Auf nun, tapfrer Oberherr!
Sieh, uns beiden muß es frommen,
Zu verhindern, zu vernichten
Jenen Bund, den man beschlossen:
Mir, daß der sich nicht vermähle,
Der die Ehe mir versprochen;
Und dir, daß nicht ihrer Staaten
Bündnis unsers Sieges Glorie,
Durch der Stärk' und Macht Vermehrung,
Zweifelhaft zu machen drohe.
Als Weib komm' ich, dich zur Rettung
Meiner Ehr' itzt aufzufordern;
Und als Mann, dich anzufeuern
Zur Ergreifung deiner Krone.
Als Weib komm' ich, dich zu rühren,
Hingeschmiegt zu deinen Sohlen;
Und als Mann, dir meines Schwertes,
Meines Lebens Dienst zu zollen.
Und so wisse, wenn du heut
Mir, als Weib, mit Liebe drohest,
Geb', als Mann, ich dir den Tod,
Zur Verteid'gung fest entschlossen
Meiner Ehre; denn ich bin,
Sie durch Liebe wiederfordernd,
Weib, um dir mein Leid zu klagen,
Mann, um Ehre zu erobern.

Sigismund (für sich). Laß, o Himmel, träum' ich Wahrheit,
Mein Gedächtnis plötzlich stocken!
Denn unmöglich hält ein Traum
So viel Ding' in sich geschlossen.
Stehe Gott mir bei! Wer könnte
Glücklich aus dem allen kommen,
Oder auch an keines denken?
Gibt es Zweifel, qualenvoller?
Wenn ich jene Hoheit träumte,
Die mich dort umgab: wie konnte
Dieses Weib so unfehlbare
Zeichen jetzt mir wiederholen?
Wahrheit also war's, kein Traum!
Und wenn Wahrheit (was mir Sorgen
Nicht geringrer Art erweckt),
Wie kann meines Lebens Folge
Traum es nennen? Gleicht dem Traume
Denn die Hoheit so vollkommen,
Daß man diese, wenn auch wahr,
Achtet manchmal für erlogen
Und erdichtete für wirklich?
Sind sie nur so schwach gesondert,
Daß man fragen muß, ob das,
Was gesehn wird und genossen,
Wahrheit oder Lüge sei?
Haben Bild und Nachbild solche
Große Gleichheit, daß ein Zweifel,
Welches echt sei, würd' erhoben?
Ist es so, und muß man endlich
Sehn verschwinden gleich Phantomen
Alle Majestät und Pracht,
Alle Größe, Macht und Glorie:
So gebrauchen wir die Zeit,
Die uns hier zu teil geworden,
Weil man nur in ihr genießet,
Was in Träumen wird genossen.
Mich entflammt Rosauras Reiz,
Meiner Macht jetzt unterworfen.
Nutzen wir den Augenblick!
Breche Liebe die Gebote
Strenger Ehr' und das Vertrauen,
Das zum Schutz mich aufgefordert!
Dies ist Traum; und weil's das ist,
Laßt uns träumen jetzt von Wonne,
Die doch einst in Leid sich wandelt! –
Doch mit meinen eignen Worten
Widerleg' ich selber mich.
Ist es Traum, ist's eitle Glorie:
Wer, für Glorien der Erde,
Möchte Himmelsglorien opfern?
Ist vergangnes Gut nicht Traum?
Wer hat Heldenglück gewonnen,
Der, bei dieses Glücks Erinnrung,
Zu sich selber nicht gesprochen:
Ohne Zweifel träumt' ich alles,
Was ich sah? Steht diese Probe
Mir bevor; ist eine schöne
Flamme des Genusses Wonne,
Die in Asche bei dem leisen
Hauch der Morgenluft verlodert:
Laßt uns denn das Ew'ge suchen,
Jenen Ruhm, den wandellosen,
Wo das Glück kein Schlummer ist
Und kein Traumgebild die Krone. –
Ihrer Ehr' entbehrt Rosaura;
Doch vom Fürsten wird gefordert,
Sie zu geben, nicht zu rauben.
Ja, beim Himmel! die verlorne
Will ich wieder ihr erkämpfen,
Eher, als mir meine Krone.
Fliehn wir der Gelegenheit
Mächt'ge Lockung! (Zu den Seinen.)
                                Rührt die Trommeln!
Denn ein Treffen will ich liefern,
Eh die düstre Nacht der Sonne
Goldnen Schimmer wird begraben
In die dunkelgrünen Wogen.

Will gehen.

Rosaura. Herr, warum so schnell enteilst du?
Wie? Mit keinem einz'gen Worte
Willst du meinen Kummer trösten,
Noch des Herzens Angst belohnen?
Ist es möglich, Herr? Du hältst
Aug' und Ohr vor mir verschlossen?
Du verbirgst mir selbst dein Antlitz?

Sigismund. Ja, Rosaura; Ehre fordert,
Daß ich jetzt dich hart behandle,
Um mein Mitleid dir zu zollen;
Antwort weigert dir mein Mund,
Daß die Ehre dir antworte;
Reden will ich nicht, weil jetzt
Thaten für mich reden sollen,
Noch dich anschaun, weil im Drange
Solcher harten Qual es not ist,
Der Beschauung deiner Ehre
Deiner Reize Schaun zu opfern.

Er geht mit dem Heere ab.

Rosaura. Welch ein rätselhaft Betragen!
Soll, zu meines Leids Vermehrung,
Ich mich nun noch mit Erklärung
Doppelsinn'ger Worte plagen?

Clarin tritt auf.

Clarin. Fräulein, darf man näher kommen?

Rosaura. Ha, Clarin! Wo warst du? Sprich!

Clarin. Dort im Turme lauert' ich
Auf den Tod, von Angst beklommen,
Ob er käm', ob er nicht käme;
Und mein Leben schien allda
Ein verpaßter Quinola [Der Coeurbube, sinnbildlich für Unglück],
Stets in Furcht, daß man ihn nehme.
Die Partie stand wahrlich böse.

Rosaura. Doch weshalb?

Clarin.                             Weil ich erfuhr,
Wer Ihr seid; denn glaubt mir nur,
Daß Clotald . . . doch welch Getöse
Gibt es hier? (Trommeln.)

Rosaura.             Was will das sagen?

Clarin (sieht hinaus). Ein gewalt'ger Haufen dringt
Aus der Burg, die man umringt;
Alles will er niederschlagen,
Was zu Sigismund sich hält.

Rosaura. Warum, feig in solchem Streite,
Bin ich nicht schon, ihm zur Seite,
Die Bewunderung der Welt?
Gilt doch, bei so wildem Streben,
Ihr Gesetz und Ordnung wenig! (ab.)

Stimmen (außerhalb). Lebe hoch der tapfre König!

Andre Stimmen. Hoch soll unsre Freiheit leben!

Clarin. Freiheit, König, alle beide
Leben sie, so hoch sie wollen;
Und mich wird es wenig grollen,
Welchen Platz man mir bescheide.
Von dem Wirrwarr, der hier wühlt,
Trenn' ich weislich meine Sachen;
Kaiser Nero will ich machen,
Der kein Mitleid je gefühlt.
Oder fühl' ich Mitleid, traun!
Fühl' ich's nur um meinetwillen.
Hier verborgen, ganz im stillen,
Will ich mir das Fest beschaun.
Wohl gedeckt von Felsenlagen,
Still und heimlich ist der Ort;
Hier holt mich der Tod nicht fort,
Pah! ich kann ihm Schnippchen schlagen. (Verbirgt sich.)

Man hört Trommeln und Waffengeklirr.

Der König, Estrella, Astolf und Clotald treten fliehend auf.

Basilius. War ein König, war ein Vater
Unglücksel'ger wohl, als ich?

Clotald. Deine Scharen flüchten sich
Sonder Ordnung, Schutz, noch Rater.

Astolf. Himmel, die Verräter siegen!

Basilius. Wiß, in dieser Art Gefechten
Sind die Sieger stets die echten,
Und Verräter, die erliegen.
Auf, Clotald, entfliehen wir
Diesem ungeratnen Sohne,
Diesem Räuber meiner Krone!

Es fällt ein Schuß, und Clarin stürzt verwundet aus seinem Schlupfwinkel hervor.

Clarin. Hilf mir, Himmel!

Astolf.                               Wer ist hier
Dieser Krieger, der, getroffen
Und vom eignen Blut entstellt,
Sterbend uns zu Füßen fällt?

Clarin. Ach, mir bleibt nichts mehr zu hoffen.
Da ich suchte Schutz und Hort
Vor dem Tode, fand ich ihn,
Ging, um ja ihm zu entfliehn,
Ihm entgegen; denn kein Ort
Bleibt dem Tode je verborgen;
Woraus deutlich zu ersehn,
Daß ihm die entgegen gehn,
Die ihn recht zu meiden sorgen.
Darum kehret eilig, kehrt
Nur zurück zum blut'gen Kampfe;
Zwischen Waffen, Glut und Dampfe
Wird euch beßrer Schutz gewährt
Als auf noch so festem Berge;
Gibt's doch keinen Aufenthalt,
Der vor des Geschicks Gewalt,
Vor der Sterne Wut euch berge!
Und ob ihr im Fliehn euch allen
Rettung sucht vor Todesnot:
Seht, ihr gehet in den Tod,
Wenn Gott will, ihr sollet fallen.

Er fällt in die Szene zurück.

Basilius. Seht, ihr gehet in den Tod,
Wenn Gott will, ihr sollet fallen?
Wie so gut, o Himmel! bringet
Die Verblendung unsers Trachtens
Nun zu besserer Erkenntnis
Dieser Leichnam, der uns mahnet
Mit den Lippen einer Wunde,
Da das Naß, das ihr entfallet,
Uns mit blut'ger Zunge lehret,
Daß des Menschen Vorsicht, alle
Seine Sorgfalt nichts vermöge
Gegen höhrer Mächte Walten.
Ich nun, um mein Reich vor Aufruhr
Und Verderben zu bewahren,
Gab es in dieselbe Hand,
Der ich's zu entreißen dachte.

Clotald. Kennet gleich, o Herr, das Schicksal
Jeden Pfad und findet alle,
Die es suchet, selbst im Dickicht
Des Gebirgs: doch, muß ich sagen,
Ist's kein christlich Wort, daß nichts
Uns vor seiner Wut bewahre.
Dies ist falsch; der weise Mann
Bändigt auch des Schicksals Walten;
Und wenn du nicht jetzt behütet
Warst vor Ungemach und Plagen,
Suche künftig dich zu hüten.

Astolf. Herr, was jetzt Clotald dir sagte,
Sprach er als ein weiser Mann,
Der schon reife Jahr' erlangte;
Ich nun red' als mut'ger Jüngling:
In dem dichten Waldesschatten
Dieses Berges steht ein Roß,
Flüchtig, wie vom Wind empfangen;
Dies besteig und flieh, indessen
Ich den Rücken dir bewahre.

Basilius. Wenn Gott will, ich solle sterben,
Wenn der Tod hier meiner harret:
Wohl, so will ich jetzt ihm stehn,
Aug' im Aug' ihn fest erwartend.

Waffengetöse.

Sigismund, Rosaura, Soldaten und Gefolge treten auf.

Sigismund (zu den Seinigen). In dem Dickicht dieses Berges,
Zwischen seinen dunkeln Schatten
Birgt der König sich; verfolgt ihn,
Lasset keinen Baum im Walde
Undurchstöbert; Stamm vor Stamm,
Zweig vor Zweig durchsucht sie alle.

Clotald (zum König). Fliehe, Herr!

Basilius.                                         Weshalb entfliehn?

Astolf. Was beginnst du?

Basilius.                           Herzog, laßt mich.

Clotald. Herr, was machst du?

Basilius.                                   Das, Clotald,
Was mir übrig ist zu machen.
(Zu Sigismund.) Kommst du, mich zu suchen, Prinz?
Sieh mich dir zu Füßen fallen; (er knieet)
Deiner Sohlen weißer Teppich
Sei der Schnee von meinen Haaren.
Tritt auf meinen Hals, zerschmettre
Meine Krone; stürz', entraffe
Mir die alte Würd' und Achtung.
Räche dich durch meine Schande,
Laß mich dir als Sklave dienen;
Und nach solchen Voranstalten
Mag das Schicksal sein Gelübde,
Mag sein Wort der Himmel halten.

Sigismund. Sehr erlauchter Hof von Polen,
Der von solchen Wunderthaten
Hier zum Zeugen wird, merk' auf,
Was dein Fürst dir jetzo saget:
Die Verhängnisse des Himmels,
– Die einst auf azurne Tafeln
Gott mit seinem Finger schrieb,
Der zum Schreibmaterial
Sich erkor den blauen Aether,
Wo die goldnen Lettern prangen –
Täuschen nimmer, lügen nimmer;
Wer da lügt und täuscht, ist aber
Dieser, der, um Mißbrauchs willen,
Sie durchforscht und offenbaret.
Hier, mein Vater, den ihr sehet,
Machte, nur um sich zu wahren
Vor der Wildheit meines Wesens,
Mich zum Tier von Menschenansehn;
Dergestalt, daß, wenn ich gleich
Kraft der Reinheit meines Adels,
Kraft der Hoheit meines Blutes,
Kraft des Vorzugs meiner Gaben
Mild und sanft geboren ward,
Dennoch solcher Lebenswandel,
Solcherlei Erziehungsart
Gnügen müßt' ohn' alles andre,
Zu verwildern meine Sitten.
Schöner Weg' sie umzuschaffen!
Spräche man zu einem Menschen:
Eine wilde Bestie trachtet,
Dich zu töten; wär's ihm dienlich,
Sie vom Lager aufzujagen,
Falls er schlafend sie erblickte?
Spräche man: von diesem Stahle,
Den du trägst, wirst du den Tod
Einst empfahn; so wär's ein falsches
Vorsichtsmittel, ihn entblößen,
Um vor ihm sich zu bewahren,
Und sich auf die Brust ihn setzen.
Spräche man: des Meeres Wasser
Sind, als Monument von Silber,
Dir bestimmt zum feuchten Grabe;
Wär' es wahrlich übles Thun,
Dann sich auf das Meer zu wagen,
Wann es sich zu Schneegebirgen
Auftürmt, zu kristallnen Alpen.
Meinem Vater nun erging es
So wie dem, der aus dem Schlafe
Weckt das Untier, das ihm drohet;
So wie dem, der, vor dem Stahle
Zitternd, ihn entblößt; wie dem,
Der im Sturm aufregt die Wasser;
Und war meine Wildheit (hört mich!)
Solch ein reißend Tier im Schlafe,
Meine Wut eine ruhend Schwert,
Meeresstille mein Gewaltsinn:
Wohl, so beugt ja nie das Schicksal
Sich dem Unrecht und der Rache,
Denn sie reizen es nur mehr;
Und so, wer zu beugen trachtet
Sein Geschick, muß mit Verstand
Und mit Mäßigung verfahren.
Ehe die Gefahr erscheinet,
Kann sich schützen nicht, noch wahren,
Wer ihr vorbeugt; denn obwohl
Demut kann (klar ist die Sache)
Ihn beschützen, so geschieht's
Doch nur dann, wenn er im Falle
Der Gefahr ist, denn kein Mittel
Gibt's, um diese fern zu halten.
Beispiel sei euch dieses seltne
Schauspiel, dieser sonderbare
Staunensanblick, dieses Graun,
Dieses Wunder; denn von allem
Ist das Größte dies, zu sehn,
Trotz so großem Mühewalten,
Ueberwunden, mir zu Füßen,
Einen Vater und Monarchen.
Ja, ein Schluß des Himmels war's!
Wie er auch, ihn aufzuhalten,
Strebt', er konnt' es nicht. Und ich,
Der ihm weichen muß an Alter,
Wissenschaft und Geistesgröße,
Sollt' es können? – König, Vater,
Steh auf, reiche mir die Hand!
Da der Himmel von dem Wahne
Dich befreit, auf diese Weise
Ihn zu zwingen, so erwart' ich
Demutsvoll, daß du dich rächest;
Sieh mich dir zu Füßen fallen!

Er kniet.

Basilius (ihn aufhebend). Sohn – denn dieses edle Thun
Zeuget dich zum andernmale
Mir im Herzen – du bist Fürst.
Ja, der Lorbeer und die Palme,
Sie gebühren dir; du siegtest;
Krönen denn dich deine Thaten!

Alle. Lebe Sigismund! Er lebe!

Sigismund. Große Siege zwar erwartet
Einst mein Mut noch zu ersiegen;
Doch den größten jetzt erhalt' ich
Ueber mich. Gib an Rosaura
Deine Hand, Astolf; du warest
Längst in ihrer Ehre Schuld,
Und sie einzufordern hab' ich.

Astolf. Freilich ist es wahr, verpflichtet
Bin ich ihr; allein dem schadet,
Daß sie nicht weiß, wer sie ist.
Und es wär' Entwürd'gung, Schande
War' es, wählt' ich mir ein Weib . . .

Clotald. Halt, Astolf! nicht weiter, sag' ich.
Wiß es, edler als Rosaura
Bist du nicht. Im offnen Kampfe
Soll mein Degen sie verteid'gen;
Denn genug, ich bin ihr Vater.

Astolf. Du, Clotald?

Clotald.                   Ich wollt's verschweigen,
Bis ich an des edeln Gatten
Hand sie ehrenvoll erblickte.
Der Bericht währt' allzulange:
Doch gewiß, sie ist mein Kind.

Astolf. Ist es so? Mit Freuden halt' ich
Mein Versprechen.

Sigismund.                     Daß Estrella
Nicht mit Recht sich mag beklagen,
Da sie einbüßt einen Fürsten
Von so hohem Ruhm und Range,
Will ich nun mit eigner Hand
Sie vermählen einem Gatten,
Der an Hoheit und Verdiensten,
Wenn nicht vorgeht, doch ihm nahet.
(Zu Estrella.) Gib mir deine Hand.

Estrella.                                               Gewinn
Ist nur solches Glücks Erlangen.

Sigismund. Und Clotald, den treuen Diener
Meines Vaters, ihn erwartet
Hier mein Arm und jeder Lohn,
Den er wünschen mag zu haben. (Er umarmt Clotald.)

Einer aus Sigismunds Gefolge. Ehrst du so, wer nicht dir diente:
Was werd' ich denn, der des Landes
Aufstand wirkt' und dich erlöste
Aus dem Turme, wo du saßest,
Was werd' ich zum Lohn empfahn?

Sigismund. Jenen Turm; und daß von dannen
Nie du bis zum Tod entweichst,
Geb' ich dir gnugsame Wache.
Des Verräters nicht bedarf's
Nach vollendetem Verrate.

Basilius. Dein Verstand erregt uns Staunen.

Astolf. Wie so glücklich umgewandelt!

Rosaura. Wie bedächtig und wie weise!

Sigismund. Was bestaunet ihr und gaffet,
Wenn ein Traum mein Lehrer war?
Wenn ich immer noch erbange,
Zu erwachen und von neuem
In des Kerkers engen Schranken
Mich zu sehn? Und wenn auch nicht:
Gnügt's doch, solchen Traum zu haben;
Denn so ward ich mir bewußt,
Daß das Glück des Menschen alles
Wie ein Traum vorüberschwindet.
Drum es mir zu nutze machen
Will ich heut, so lang es dauert,
Bittend für so manchen Mangel
Um Erlaß; denn edeln Herzen
Eigen ist es, zu erlassen.


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