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Lara.

Eine Erzählung.

Erster Gesang.

 

1.

Das Volk frohlockt auf Lara's weitem Lande,
Die Knechte schier vergessen Frohn und Bande;
Denn unerwartet ist zum Heimatsheerd
Der selbstverbannte Herr zurückgekehrt.
Vergnügte Mienen sieht man in der Halle,
Wein auf der Tafel, Banner auf dem Walle;
Und auf den buntgemalten Fensterreihn
Spielt des Kamines heitrer Flackerschein;
Am Herd umdrängt den Herrn die frohe Schaar
Mit lautem Wort, mit Augen hell und klar.

 

2.

Es feiert Lara seine Wiederkehr –
Doch warum kreuzte Lara durch das Meer?
Sein Vater starb, und allzu jung an Jahren
Ward er sein eigner Herr; – er mußt' erfahren,
Welch schlimmes Erbe solche Unheilsmacht,
Die manches Herz um Glück und Ruh' gebracht! –
Er hatte Keinen, der ihm wies bei Zeiten
Die Pfade all, die zum Verbrechen leiten;
Als ihm noch noth that strenger Führung Bann,
Da führte schon der Knabe Männer an.
Wozu euch Schritt für Schritt den Irrweg schildern,
Auf dem sein junger Geist gemußt verwildern?
Kurz war sein tolles, ruheloses Treiben,
Doch lang genug, um halb ihn aufzureiben.

 

3.

Als Jüngling mied er schon sein Vaterland;
Doch seit den Abschied winkte seine Hand,
Ward eine Spur kaum seiner Bahn gefunden,
Bis fast sein Angedenken ganz entschwunden.
Staub war sein Vater; kund war seinen Mannen
Das Eine nur, daß Lara zog von dannen;
Er kam nicht, sandte Botschaft nicht, und bald
Sprach man von ihm gleichgültig nur und kalt.
Kaum ward sein Name noch im Schloß genannt,
Es dunkelte sein Bildniß an der Wand;
Ein Andrer kam, um seine Braut zu werben;
Die Jugend denkt nicht sein, die Alten sterben;
»Doch wenn er lebt!« hört man den Erben klagen,
Der Schwarz gern trüge, dürft' er nur es wagen.
An hundert Wappenschilder decken zu
Der Lara's Schlummerstatt der letzten Ruh';
Nur Einer fehlt beim modernden Gebein,
Den gern man sargte zu den Ahnen ein.

 

4.

Doch endlich kommt er plötzlich und allein;
Woher? weshalb? scheint Keinem klar zu sein,
Und Jeder wundert sich, der es vernahm,
Nicht daß er heut, – nein, daß er längst nicht kam.
Nur einen Pagen hat er mitgebracht,
Von zartem Alter, und in fremder Tracht.
Wohl rollt geschwind die Flucht der Jahre fort
Dem Wandernden und dem, der bleibt am Ort;
Doch, klingt aus fremdem Land kein Gruß nach Haus,
So geht der müden Zeit die Flugkraft aus.
Man sieht, erkennt sich, und man weiß doch kaum:
Ist wahr das Jetzt? ist das Vergangne Traum?

Er lebt, er steht noch in der Mannheit Kraft,
Ob etwas auch durch Zeit und Mühn erschlafft.
Was er an Fehlern dermaleinst besessen,
War in der Jahre Lauf vielleicht vergessen.
Nichts Gutes war, nichts Böses mehr bekannt;
Der Ahnen Name galt als Ruhmespfand;
Ein stolzer Knabe war's, doch seine Sünden
Schien Jugendübermuth nur zu entzünden;
Und sind sie nicht verhärtet durch die Zeit,
Sühnt solche Schuld sich ohne langes Leid.

 

5.

Und in der That, bald wurde Jedem klar,
Daß er nicht mehr der einst'ge Tollkopf war;
Die Stirn bezeugt, von Furchen tief durchzogen,
Daß abgekühlt der Leidenschaften Wogen.
Der Stolz, doch nicht die Glut der frühern Zeit,
Die Kälte, gegen Lob und Ruhm gefeit;
Ein scharfer Blick, der aus der Finsterniß
Des Herzens Jedem die Gedanken riß;
Und jene Spötterzunge, höhnend jetzt
Die Andern, weil das eigne Herz verletzt,
Die Pfeil um Pfeil verschießt mit frechem Munde,
Daß, wer sie nicht bekennt, doch fühlt die Wunde –
Das Alles schien zumal und mehr ihm eigen,
Als Worte künden, und als Blicke zeigen.
Lieb', Ehre, Ruhm, von Jeglichem begehrt,
Erstrebt von Vielen, Wen'gen nur bescheert,
Entflammten, schien es, nicht mehr sein Gemüth,
Wenn sie auch wohl vor Kurzem drin geglüht;
Denn manchmal in den Zügen, bleich und kühl,
Aufblitzte noch ein räthselhaft Gefühl.

 

6.

Er war nicht gern gefragt, wo er geweilt,
Sprach von den Ländern nie, die er durcheilt,
Von Bergen, Aun und Wüsten, die sein Tritt
Allein – so schien's – und unbekannt beschritt.
Umsonst wohl hatt' er nicht sich umgeschaut,
Und Manches ihm Natur und Mensch vertraut;
Doch pflegt' er das Erlebte zu verhehlen,
Als sei's kaum werth, es Andern zu erzählen;
Und wenn die Neugier doch nicht Ruhe gab,
Dann schnitt ein grollender Blick das Wort ihr ab.

 

7.

Nicht unerfreut, daß er zurückgekommen,
Ward er daheim mit Wärme aufgenommen.
Von edler Abkunft und von hohem Stand,
Verkehrt' er mit den Großen rings im Land,
Nahm Theil an Ritterspiel und Festespracht,
Wo man die Zeit vertändelt und verlacht;
Doch sah er nur, und fühlt' in eigner Brust
Nicht teilnahmsvoll der Andern Sorg' und Lust.
Sein Herz war nicht dem Streben Jener offen
Mit stets getäuschtem, stets erneutem Hoffen,
Noch rissen eitler Ruhm und Geldgewinn,
Der Schönheit Reiz und Eifersucht ihn hin.
Er schien in eines Zauberkreises Weben,
Der Jeden fern hielt, einsam stets zu leben;
In seinem Auge weilt' ein strenger Zug,
Den mindestens der Leichtsinn nicht ertrug;
Und zartre Wesen sahn bei seinem Nahn
Ihn schweigend bald, bald ängstlich flüsternd an;
Nur wen'ge Weise, Mildre hielten ihn
Für besser, als er nach dem Aeußern schien.

 

8.

Seltsam! – als Jüngling Thatkraft ganz und Glut,
Nach Lust entbrennend, und im Kampf voll Muth; –
Die Fraun, den Krieg, das Meer, was Glück verheißen
Ihm mochte, oder Todsgefahr ihm weisen,
Hatt' er versucht, erprobt, genossen schon,
Und Weh und Wonne dünkt' ihn reicher Lohn;
Kein schaler Mittelweg erfreute ihn,
Im Rausche wollt' er vor dem Denken fliehn;
Sein stürmend Herz sah mit Verächtlichkeit
Herab auf schwächrer Elemente Streit;
Entzücken hatt' ihn himmelan erhoben,
Und stolz gefragt: Wie gäb' es höhres droben?
Sklav der Extreme, leidenschaftentfacht,
Wie war er aus dem tollen Traum erwacht?
Nie sagt' er's – doch er fluchte wild und grollte
Dem welken Herzen, das nicht brechen wollte.

 

9.

Sonst war der Mensch sein Buch, jetzt aber schien
Manch andres Buch ihn ernsthaft anzuziehn,
Und oft geschah's, daß mehr als einen Tag
Er launenhaft mit Niemand Umgang pflag.
Dann – raunten seine Diener – schollen lang
Nachts seine Schritte durch den dunklen Gang,
Wo von den Wänden seiner Ahnen Reih'
Hernieder sah in finsterm Konterfei.
Sie hörten – »laßt es keine Seel' erfahren!« –
Den Ton von Worten, die kaum irdisch waren.
»Mag lächeln, wer da will, doch Ein'ge sahn,
Ich weiß nicht, was, doch war's nicht wohlgethan.
Was stiert er so auf das gespenst'ge Haupt,
Das frevle Hände aus der Gruft geraubt,
Das neben seinem Buch die Zähne bleckt,
Und jeden Menschen, außer ihm, erschreckt?
Was schläft er nicht, wenn Alles ging zur Rast?
Hört nie Musik, empfängt hier keinen Gast?
Es ist nicht Alles richtig – doch wo fehlt's?
Ja, Mancher weiß darum – doch er verhehlt's.
Er ist zu klug, so kitzliche Geschichten
In mehr als leisen Winken zu berichten;
Doch, wollt' er, könnt' er wohl ...« So schwatzten gern
Am Herde Lara's Diener von dem Herrn.

 

10.

Nacht war's – der sternbesäte Himmelsdom
Abspiegelt sich in Lara's klarem Strom;
So still – kaum scheint das Wasser noch zu rinnen,
Und fließt doch wie der Traum des Glücks von hinnen.
Feenhaft und fern in seinem Spiegel flimmern
Die ew'gen Lichter, die am Himmel schimmern;
Manch schöner Baum den Wellen Grüße haucht,
Und Blumen, draus die Biene Honig saugt,
Wie sie Diana gern zum Kranz sich wand,
Und Unschuld sie der Liebe reicht als Pfand.
Sie stehn am Strand, und schillernd wie die Schlange
Zieht hin der Fluß in vielgewundnem Gange.
So friedlich sanft ist Erd' und Himmelsraum,
Daß eines Geistes Nahn uns schreckte kaum;
Denn keinem Bösen könnt' es Lust bereiten,
Durch solche Aun in solcher Nacht zu schreiten!
Solch eine Stund' ist für die Guten nur,
So dachte Lara, und verließ die Flur.
Er kehrte schweigend in sein Schloß zurück,
Von Schmerz durchzuckt bei solchem Friedensglück;
Die Landschaft mahnt' ihn an vergangne Schau,
An hellre Monde, wolkenlosres Blau,
An sanftre Nächte, Herzen, welche nun ...
Nein, nein – die Stürme mögen nimmer ruhn –
Was schiert ihr Wüthen ihn? – doch solche Nacht
Ist Hohn für ihn mit ihrer stillen Pracht.

 

11.

Zur düstern Halle lenkt' er seinen Gang;
Sein hoher Schatten glitt die Wand entlang,
An Bildern seiner Sippe, die nur dies
Gedächtniß ihrer Thaten hinterließ,
Nebst dunklen Sagen und dem finstern Sarg,
Der ihren Staub und ihre Sünden barg,
Und ein'gen Zeilen in dem Chronikbuch,
Das ihre Namen durch die Zeiten trug,
Wo der Geschichte Griffel preist und rügt,
Und lügt wie Wahrheit, und doch wahrhaft lügt.
Er ging und sann, und wie der Mondenschein
Durchs Gitter flirrte auf die Flur von Stein,
Aufs Dach und auf die gothischen Fenster schien,
Wo in gemalter Andacht Heil'ge knien,
Daß sie wie Spukgestalten sich bewegten,
Und Leben schier, wenn auch kein ird'sches, hegten:
Da sah sein schwarz gesträubtes Lockenhaar,
Sein finstrer Blick, sein wallend Federnpaar
Gespensterhaft und schaurig aus, und gab
Den Anschein ihm, als stieg' er aus dem Grab.

 

12.

Um Mitternacht, als Alles schlief, und schwach
Der Lampe Flackern durch das Dunkel brach,
Da – horch! – erschallt ein Ton aus Lara's Saal –
Ein dumpfer Schrei – ein banger Ruf der Qual!
Lang, laut und schrill – in Schweigen dann verloren
Drang nicht sein Echo in der Schläfer Ohren?
Sie sprangen auf und stürzten zitternd bang
Zum Ort, woher der Hilferuf erklang;
Halb brennende Kerzen hielt die Hand umfaßt
Und nackte Schwerter, aufgerafft in Hast.

 

13.

Kalt, wie die Marmorflur, auf die er fiel,
Bleich, wie auf seiner Stirn des Mondlichts Spiel,
Lag Lara da; sein Schwert, schon halb gezückt,
Schien seiner Hand durch Todesgraun entrückt;
Doch war er fest und stark bis jetzt geblieben,
Trotz stand noch auf der finstern Stirn geschrieben;
Mit Schreck gepaart, lag auf der Lippe doch,
Der krampferstarrten, Kampfbegierde noch,
Ein halb ersticktes Drohn, im Tod verraucht,
Ein Fluch des Hohns, wie ihn Verzweiflung haucht.
Sein Auge war geschlossen fast, doch schien
Der Gladiatorblick noch drin zu glühn,
Der wachend oft erschreckt die Dienerschaar,
Und nun versteint zu grasser Ruhe war.
Man hebt ihn auf – doch still! er athmet, spricht.
Bräunliche Glut färbt wieder sein Gesicht,
Die Lippe röthet sich, es rollen wild
Die Augen, in den Adern zuckt und schwillt
Das Blut; doch was die Lippe stammelnd spricht,
Das klingt wie seine Muttersprache nicht;
Deutlich, doch fremd – den Hörern leuchtet ein,
Es muß die Sprache fernen Landes sein.
So ist's auch: für ein Ohr ist sie bestimmt,
Das nie, ach! nie mehr ihren Klang vernimmt!

 

14.

Sein Page kam herbei, und ihm allein
Schien kund der fremden Worte Sinn zu sein.
Nach seiner Stirn und Wangen Glut zu schließen,
Mocht' arge Rede Lara's Mund entfließen;
Doch Nichts verrieth er; – weniger erstaunt,
Als rings die Menge, welche gafft und raunt,
Beugt er zu Lara sich, und tröstet ihn
In jener Sprache, die auch seine schien.
Und Lara lauscht den schmeichelnd holden Klängen,
Die seines Traumes Schrecknisse verdrängen, –
Wenn Traum es war, was so die Ruhe stahl
Der Brust, die nicht bedurft' erträumter Qual.

 

15.

Was auch sein Hirn geträumt, sein Blick gesehn,
Ob er's vergaß, um nie es zu gestehn,
Weiß er allein. Der Morgen stieg hernieder,
Und hauchte neue Kraft in seine Glieder.
Er zog den Arzt, den Priester nicht zu Rath,
Und ganz derselbe bald in Wort und That,
Füllt er die Stunden, – seltner lächelt er,
Als sonst, nicht, stiert nicht finstrer, als vorher.
Und mochte Lara's Blick das Dämmrungsgraun
Vielleicht mit wen'ger Ruh' als sonst erschaun,
So zeigt' er's doch den Dienern nicht, die klar
Verriethen, wie voll Angst ihr Sinn noch war.
Paarweis (allein wagt's Keiner) schlichen Alle,
Und mieden zitternd die verrufne Halle;
Der Banner Rauschen, einer Thüre Fall,
Des Teppichs Rascheln, dumpfer Tritte Schall,
Der Bäume lange Schatten rings am Haus,
Der Abendwind, die schwirrnde Fledermaus,
Jedweder Laut und Anblick macht sie schauern,
Sobald die Nacht umhüllt die finstern Mauern.

 

16.

Grundloser Wahn! Die Schreckensstunde kam
Nie wieder, oder Lara's Miene nahm
Den Anschein des Vergessens an, was gar
Den Dienern räthselhaft und grausig war.
Ob das Gedächtniß ganz ihm wohl entschwand?
In Wort, Geberde, Blicken, nirgends fand
Man ein Gefühl, das Anderen erzähle
Von jenem Fieberkrampf der kranken Seele.
War's Traum? War sein die Stimme, welche sprach,
Der Schrei, der ihren Schlummer unterbrach?
War sein das Herz, das stillestand zuletzt,
Von Graun erdrückt? der Blick, der sie entsetzt?
Konnt' er vergessen, was ihm selbst geschehn,
Wenn die noch schaudern, die sein Leid gesehn?
Oder beweist sein Schweigen, daß, zu tief
Für Worte, die Erinnrung lautlos schlief
In nagender Heimlichkeit, bis schmerzverzehrt
Das Herz die Wirkung, doch den Grund nicht, lehrt?
Nein, in das Grab des Busens beide sanken,
Und Keiner stört dort auf die Qualgedanken,
Die Menschenlippe niemals ganz bekennt,
Weil sie das Wort ersticken, das sie nennt.

 

17.

In seinem Wesen lag gar Viel versteckt,
Was Haß und Liebe, Furcht und Neigung weckt.
In Glimpf und Tadel ward, da unbekannt
Sein Schicksal blieb, sein Name stets genannt;
Sein Schweigen gab den Andern Stoff zum Reden,
Man rieth – man frug – die Neugier plagte Jeden.
Was war, was ist der Mann, von dem im Land
Nichts außer seiner Herkunft uns bekannt?
Ein Menschenfeind? – doch Manche wollten meinen,
Er könn' oft mit den Frohen fröhlich scheinen;
Sein Lächeln freilich, oft und nah gesehn,
Verschwand und schien in Spottlust zu vergehn;
Auch mocht' es höchstens seine Lippe streifen,
Doch höher nie hinauf ins Auge schweifen.
Zwar lag auch Weichheit oft in seinem Blick,
Ein Herz, verhärtet erst durch sein Geschick;
Doch, nahm er's wahr, so schien's, als ob er grolle
Der Schwäche und sie stolz bemeistern wolle,
Als sträub' er sich, bei seiner Hörer Kreis
Zu ringen um der Achtung Gunstbeweis.
Vielleicht zur Buße, weil ihm Zärtlichkeit
Des Herzens Ruhe stahl in frührer Zeit,
Begehrt sein Gram, daß Haß ihn nun umgiebt,
Weil allzu heiß die Seele einst geliebt.

 

18.

Es lebt' in ihm Verachtung Aller nur,
Als ob er längst das Schlimmste schon erfuhr;
Ein Fremdling, weilt' er in dem Erdenzelt,
Ein irrer Geist aus einer andern Welt,
Ein düstres Wesen, das sich selbst ersann
Gefahren, denen er durch Glück entrann, –
Umsonst entrann, denn halb mit Wonne doch
Und halb mit Schmerz gedenkt er ihrer noch.
Mit einer Fähigkeit, zu lieben, die
Natur nicht oft dem Sterblichen verlieh,
Hatt' er die Welt sich wundergut gedacht,
Und dann als Mann den Jünglingstraum verlacht.
Und als die eitle Schattenjagd geendet,
Als seine Kraft er schlechtbenützt verschwendet,
Als ausgetobt der Sturm der Leidenschaft,
Und jeder Hoffnung Glück dahingerafft,
Und das Gedächtniß jener wilden Zeit
Sein bessres Streben mit sich selbst entzweit:
Da, trotzig noch sich selbst entschuld'gend, sprach
Sein Geist der Menschheit zu die halbe Schmach,
Und wälzte alle Schuld auf die Natur,
Die Form von Staub, den Fraß für Würmer nur,
Bis Gutes er und Böses kaum mehr kannte,
Und Schicksal fast des Willens Thaten nannte.
Zu hoch für niedre Selbstsucht, bracht' er zwar
Manchmal sein Wohl für das der Andern dar,
Doch nicht aus Mitgefühl, der Pflicht zulieb,
Nein, aus verkehrtem, räthselhaftem Trieb,
Der mit geheimem Stolz zu thun ihn zwang,
Was keinem Anderen vielleicht gelang,
Und der ihn, wenn Versuchung zu ihm trat,
Nicht minder auch bewog zu frevler That.
So stieg, so fiel er, niemals gleich der Schaar,
Mit der zu athmen er verurtheilt war,
Und sucht' in Gut- und Bösem sich zu trennen
Von Allen, die sich Erdensöhne nennen.
Voll Abscheu vor der Welt, schlug stets den Thron
Sein Geist sich auf in eigner Region;
Kalt sah er dem Gewühle drunten zu,
Und kalt jetzt floß sein Blut in äußrer Ruh; –
Wohl ihm, wenn nie die Schuld es aufgeregt,
Wenn immer es so eisig sich bewegt!
Zwar wandelt' er mit Andern ihren Pfad,
Und that und sprach, was Jeder sprach und that;
Bot Dem, was die Vernunft lehrt, nie die Stirn,
Sein Wahnsinn saß im Herzen, nicht im Hirn;
Und selten nur von seinen Lippen tönte
Ein Wort, das Brauch und Sitte frech verhöhnte.

 

19.

Trotz aller Seltsamkeit in seinem Treiben,
Das sich zu freun schien, unbemerkt zu bleiben,
War ihm die Gabe oder Kunst verliehn,
Die Herzen Andrer mächtig anzuziehn.
Nicht Liebe war's, noch Haß – wer weiß, ob klar
In Worte das Gefühl zu fassen war?
Doch wer ihn einmal sah, vergaß ihn schwer,
Er wollt' ihn wieder sehn, und fragte mehr.
Mit wem er sprach, der prägte jedes Wort
Sich ein, und sann darüber fort und fort.
Gleichviel, wodurch und wie, nicht währt' es lang,
Bis er des Hörers ganzen Geist umschlang;
Da stand sein Bild in Neigung oder Groll,
Einmal gegrüßt; – wie flüchtig auch der Zoll,
Den Freundschaft, Mitleid, Abscheu ihm geweiht,
Fest hielt Erinnrung ihn für alle Zeit.
Du suchtest zu ergründen seine Seele,
Und fühltest, daß er sich in deine stehle;
Sein Bild verfolgt' unheimlich dich und schwül,
Und zwang dir ab ein peinlich Mitgefühl;
Wie du dich sträubst im Netz, das dich umflicht,
Sein Geist spricht höhnisch: »Du vergißt mich nicht!«

 

20.

Es war ein Fest, zu welchem Ritter, Damen
Und alle Reichen, Hochgebornen kamen;
Auch Lara zog, ein gerngesehner Gast
Von edlem Stamm, zu Otho's Burgpalast.
Vom langen Zechgelag erdröhnt die Halle,
Die kerzenhelle, von Bankett und Balle;
Der Schönen Schaar verwebt in muntrem Tanz
Anmuth und Harmonie zu holdem Kranz.
Beglückt das junge Herz, die zarte Hand,
Die hier umflocht der Liebe Rosenband!
Ein Anblick ist es voll Beseligung,
Das Alter lacht und träumt sich wieder jung,
Die Jugend wähnt der Erde sich entrückt,
So wird die Brust von süßer Lust durchzückt!

 

21.

Und ruhig froh sah Lara auf sie hin;
Die Stirne log, war traurig jetzt sein Sinn.
Sein Auge folgt den Schönen, deren Schritt
Unhörbar fast im Tanz den Saal durchglitt.
Die Arme auf der Brust verschränkend, stand
Am hohen Pfeiler er, den Blick gespannt,
Nicht merkend, daß ein Aug' auf seinem ruht –
Solch forschend Spähn ertrüg' er sonst nicht gut.
Zuletzt gewahrt er's – doch wer mag es sein,
Der ihn zu suchen scheint, und ihn allein?
Ein fremdes Antlitz, forschend, finster, hart,
Das unbemerkt bisher ihn angestarrt,
Bis endlich Beide Aug' in Aug' sich sehn –
Stumme Verwundrung hier, dort scharfes Spähn;
Bestürzung ist in Lara's Blick zu schauen,
Als dürft' er nicht des Fremdlings Mienen trauen,
Deß Aug' in einer tiefern Glut entbrennt,
Als wohl der Menge flücht'ger Sinn erkennt.

 

22.

»Er ist es!« rief der Fremdling, und das Wort
Scholl leis geflüstert durch die Säle fort.
»Er ist's!« – »Wer ist es?« flog's die Reihn entlang,
Bis laut der Ruf zu Lara's Ohren klang.
Nicht Mancher trüge ruhig solch Geschick,
Das Raunen Aller und den einen Blick;
Doch unbewegt blieb Lara; schnell entschwand
Die Ueberraschung, die ihn kurz gebannt,
Er schaut' umher so ruhig wie zuvor,
Obschon des Fremdlings Blick ihn nicht verlor,
Der näher tretend sprach, verächtlich schier:
»Er ist's! – wie kam er her? – was will er hier?«

 

23.

Es war zu Viel für Lara, solchen Fragen,
So keckem Wort Erwidrung zu versagen.
Gefaßten Blickes, doch mit kühlem Ton,
Mehr fest und sanft, als mit gereiztem Hohn,
Gab Antwort er der dreisten Forschbegier:
»Mein Nam' ist Lara! Nennt man deinen mir,
So dien' ich nach Gebühr mit Antwort gern
Der ritterlichen Feinheit solches Herrn.
Ja, Lara! – Hast du Weitres noch zu fragen,
Mir Recht! ich pflege Masken nicht zu tragen!«

»Dir Recht? – Bedenk, ob keine Frag' es giebt,
Die Antwort heischt, doch die dein Ohr nicht liebt?
Du kennst auch mich nicht? Blick' ins Auge mir!
Erinnrung mind'stens ist nicht todt in dir.
O, nie entrinnst du ihrem Strafgericht,
In aller Ewigkeit vergißt du nicht!«
Prüfend und fest schaut auf sein Antlitz hin
Das Auge Lara's, – Nichts doch sieht er drin,
Was er gekannt hat oder kennen will;
Er schüttelt stolz das Haupt, sonst schweigt er still,
Und wendet halb verächtlich sich zu gehn,
Allein der ernste Fremdling heißt ihn stehn:
»Ein Wort! bleib hier, und Rede steh dem Mann,
Der, wärst du edel, sich dir messen kann,
Doch, wie du warst und bist – nein, mäß'ge dich,
Ist's Lüge, leicht dann widerlegst du mich, –
Doch, wie du warst und bist, dich tief verachtet,
Dein Lächeln Trug, für Nichts dein Grollen achtet.
Bist du's nicht, dessen That –«

»Wer ich auch sei,
Kläger, wie du bist, und solch wüst Geschrei
Hör' ich nicht an! Legt Wer darauf Gewicht,
Der hör' den Schluß, und widerspreche nicht
Der Wundermär, die dein Gehirn ersinnt,
Die so manierlich und gewählt beginnt.
Wenn Otho solches feinen Gasts sich rühmt,
Sag' ich ihm Dank und Glückwunsch unverblümt.«
Hier mischt der Wirth erstaunt sich in den Zwist:
»Was immer zwischen euch zu ordnen ist,
Hier dünkt's mich weder Zeit noch Ort zu sein,
Des Festes Lust durch Wortkampf zu entweihn.
Hast, Ezzelin, du was zu offenbaren,
Was nöthig ist für Lara zu erfahren,
Magst morgen du, nach Beider Wunsch und Wählen,
Hier oder anderswo den Rest erzählen.
Daß du bekannt bist, dafür steh' ich ein,
Ob du, wie Lara, fernher und allein
Zurückgekehrt, ein Fremdling scheinst zu sein.
Und schließ' ich recht von Lara's edlem Blut
Auf seinen tücht'gen Sinn und hohen Muth,
So ist auch er nicht aus der Art geschlagen,
Noch wird er dir, was Rittern ziemt, versagen.«

»Wohl! morgen denn«, sprach Ezzelin sofort,
»Erprobe hier sich unser Werth und Wort;
Für meines setz' ich Schwert und Leben ein,
So wahr ich hoffe, selig einst zu sein!«
Und was sprach Lara? Tief nach einwärts wich
Sein Geist, als taucht' er in die Ferne sich;
Die Rede Vieler und der Blick von Allen,
Die dort versammelt, schien auf ihn zu fallen;
Er aber schwieg, sein Auge schien durch Zeit
Und Raum hinweg zu schweifen weit – o weit –
Dies Weltvergessen, dieses Traumversenken
Verrieth ein, ach! nur allzu tief Gedenken.

 

24.

»Wohl, morgen! – morgen!« Dieses eine Wort
Nachlallte Lara tonlos fort und fort.
Nicht Leidenschaft aus seinen Zügen sprach,
Kein Blitz des Zorns aus seinem Auge brach,
Doch klang unheimlich in dem leisen Ton
Ein fest beschlossner, düstrer Vorsatz schon.
Er nahm den Mantel, grüßte leicht, und schritt
An Ezzelin vorbei mit sicherm Tritt,
Und trotzte lächelnd seinen finstern Mienen,
Die ihn wie Schwerter zu durchbohren schienen.
Kein heitres Lächeln war's, noch wie, mit Macht
Zügelnd die Wuth, der Stolze höhnisch lacht;
Ein Lächeln war's des Menschen, der sich still
Bewußt ist, was er kann und was er will.
Verrieth es Frieden, Reinheit und Geduld?
Oder in Frechheit altgewordne Schuld?
Ach, allzu gleich scheint Beider Selbstvertraun,
Als daß man dürft' auf Wort' und Blicke baun;
Die That, die That nur kann die Wahrheit lehren,
Und sie zu lernen, kostet bittre Zähren.

 

25.

Lara rief seinen Pagen und ging fort.
Folgsam war ihm der Bursch auf Wink und Wort,
Der Einz'ge, der ihm folgt' aus jener Ferne,
Wo Herzen glühen unter hellrem Sterne.
Für Lara ließ er seiner Heimat Strand,
Jung zwar, doch ernst und still, im Dienst gewandt,
Schweigsam wie sein Gebieter, treu und fest,
Fast mehr wie Stand und Alter glauben läßt.
Wohl war ihm Lara's Muttersprache kund,
Doch hört' er selten sie von seinem Mund;
Hell aber ward sein Auge, flink sein Gang,
Wenn Lara's Wort im Heimatslaut erklang.
Der fernen Heimatsberge Wiederhall
Ruft ihm ins Ohr zurück der süße Schall,
Der Eltern, Freunde Bilder ihm erscheinen,
Die er verlor, verschwor um ihn, den Einen,
Der einzig nun ihm Freund und Rather hieß –
Was Wunder, daß er selten ihn verließ?

 

26.

Zart war sein Wuchs und zierlich sein Gesicht,
Gebräunt vom heimatlichen Sonnenlicht;
Die Wangen doch versengte nicht der Strahl,
Auf die sich oft und plötzlich Röthe stahl;
Nicht jene Röthe, wenn des Herzens Glut
Gesund und froh ins Antlitz treibt das Blut,
Nein, kranke Färbung war's geheimer Leiden,
Die fiebernd aufglomm, um im Nu zu scheiden.
Von Blitzesfunken schien sein Aug' erhellt,
Wie von Gedanken einer andern Welt,
Obschon der Wimpern lange, tiefe Schatten
Die schwarzen Sterne sanft verschleiert hatten;
Doch war's mehr Stolz als Gram, was drin gelodert,
Und Gram nur, der allein zu bleiben fodert.
Nicht Freude fand des Jünglings ernste Brust
An Pagenschwänken, an der Jugend Lust.
Oft blickt' er Lara Stund' auf Stunde an,
Versunken ganz in seines Auges Bann;
War Lara fern, so ging er wie im Traum,
Frug Nichts, und gab den Fragern Antwort kaum;
Ein Buch sein Zeitvertreib, sein Ziel der Wald,
Der Rasensitz am Bach sein Ruhehalt.
Gleichwie sein Herr, schien Alles er zu scheun,
Woran sich Herz und Auge mag erfreun,
Nichts von der Erd' empfangend, als allein
Die bittre Gabe, – das Geborensein.

 

27.

Wenn Etwas, liebt' er Lara, doch mit Scheu
Und nur durch Thaten zeigt' er seine Treu',
Durch stumme Sorgfalt, Eifer, der erfüllt
Den Wunsch, bevor ihn noch die Lipp' enthüllt.
Und doch lag Stolz in Allem, was er that,
Ein tiefer Geist, der Schelten sich verbat;
Sein Eifer, der nicht Dienermühen scheut,
Gehorcht allein im Thun, sein Blick gebeut,
Als ob nicht Lara, sondern er gewollt,
Daß er so dien', und sicher nicht um Sold.
Nur leichte Arbeit wird von ihm begehrt,
Er hält den Bügel oder trägt das Schwert,
Er stimmt die Laute oder liest nach Wahl
Ihm alte, fremde Bücher vor im Saal.
Doch Umgang mit den Dienern pflegt er nie,
Und weder stolz noch freundlich grüßt er sie,
Nein, kühl verschlossen, gleich als wies' er weit
Hinweg schwatzlustige Vertraulichkeit;
Was er auch sei, vor Lara kann sich neigen
Sein Geist, doch nie zu ihnen niedersteigen.
Er schien von bessrer Abkunft, feinerm Stand,
Kein Zeichen niedrer Arbeit trug die Hand,
Die, gleich der Wangen lieblichem Karmin,
Von mädchenhafter Zartheit fast erschien;
Doch lag in seinem stolzen Augenpaar
Ein wildes Etwas, das nicht weiblich war,
Geheime Glut, die mehr dem Sonnenbrand
Der Tropen als so zartem Leib verwandt,
Die nicht hervor in Feuerworten brach,
Und deutlich doch aus seinen Mienen sprach.
Kaled sein Name; doch man sagt', er hieß
Erst so, seit er die Heimatsflur verließ;
Denn oft, wenn bei dem Namen laut und lang
Man ihn gerufen, folgt' er nicht dem Klang,
Als sei derselbe fremd ihm, bis zuletzt
Er auffuhr, als besänn' er sich erst jetzt;
Nur wenn die Stimme Lara's zu ihm sprach,
War immer Herz und Ohr und Auge wach.

 

28.

Das Fest im Schlosse hatt' er angesehn,
Und sah, wie Alle, dort den Streit entstehn;
Und als der Schwarm, der zischelnd ringsum raunte,
Ob der Gelassenheit des Kühnen staunte,
Sich wundernd, daß Graf Lara solchen Schimpf,
Und gar von einem Fremden, trug mit Glimpf,
Ward Kaled's Antlitz wechselnd roth und bleich,
Die Wang' wie Blut, die Lippen aschengleich;
Die Angst des Herzens trieb auf Stirn und Brau'
In eis'gen Tropfen jenen kalten Thau,
Der ausbricht, wenn Gedanken, die zu fühlen
Das Herz erbebt, die tiefste Brust durchwühlen.
Ja, – Dinge giebt es, die du halbbewußt,
Traumgleich beschließen und vollbringen mußt!
Was Kaled dacht' und sann, – den Mund verschloß
Es ihm, doch Schweiß von seiner Stirne floß.
Er starrt' auf Ezzelin, bis Lara's Schritt
Und Lächeln an dem Feind vorüber glitt;
Kaled erschrak ob dieses Lächelns Sinn,
Als träf' er etwas Wohlbekanntes drin;
Denn sein Gedächtniß ließ in Lara's Wesen
Ihn mehr, als Andre wohl erriethen, lesen.
Er sprang zu ihm – sie ritten hastig fort –
Fast einsam schien es jetzt im Schlosse dort;
So hatten All' an Lara's Blick gehangen,
So das Ereigniß Aller Sinn befangen,
Daß, als sein dunkler Schatten, lang gestreckt,
Nicht mehr der Fackel Schein im Thor verdeckt,
Die Herzen rascher schlagen, wissend kaum,
Ob sie erwacht aus allzu schwarzem Traum,
Der Lug ist, aber doch sich schwer vergißt,
Weil stets das Schlimmste nah der Wahrheit ist.
Fort waren sie – doch Ezzelin blieb da,
Der herrischstolz und finsterblickend sah.
Lang weilt' er nicht; noch eh' die Stunde aus,
Winkt' Otho er Lebwohl, und ritt nach Haus.

 

29.

Der Schwarm ist fort, es folgt der Lust die Rast;
Der art'ge Wirth, der wohlzufriedne Gast
Eilt wieder dem gewohnten Lager zu,
Wo Freud' entschläft und Kummer seufzt nach Ruh,
Wo Jeder, müde von des Lebens Streit,
Hinsinkt in süße Selbstvergessenheit.
Da liegt der Haß, der Liebe Hoffnungswahn,
Der Ränke List, der Ehrsucht eitler Plan;
Auf jedes Auge sinkt der Schlaf herab,
Und legt das todesstille Sein ins Grab.
Welch bessrer Name ziemt dem Schlummerbette?
Die Gruft der Nacht, des Weltalls Ruhestätte,
Wo Kraft und Schwäche, Sünd' und Tugend liegt
In gleicher Nacktheit, hülflos und besiegt,
Froh, eine Zeitlang unbewußt zu leben,
Um wach aufs Neue vor dem Tod zu beben,
Und, mag der Tag auch Nichts als Leid erneun,
Den längsten, traumlos süßen Schlaf zu scheun.

Zweiter Gesang.

 

1.

Die Nacht entflieht – der Dunst der Berge fällt
Beim Frührothschein, und Licht erweckt die Welt.
Ein neuer Tag schwellt die Vergangenheit,
Und mahnt uns an das Ende unsrer Zeit.
Nur die Natur ersteht in junger Pracht,
Die Erde lebt, die Sonn' am Himmel lacht,
Im Strom ist Frische, Glanz im Morgenstrahl,
Gesundheit haucht die Luft, es blüht das Thal.
König der Schöpfung! diesen Glorienschein
Sieh an, und juble: »Alles dies ist mein!«
Saug ein die Wunder, eh' dein Tag verrinnt –
Ein Morgen kommt, wo sie nicht dein mehr sind.
Mag trauern, wer da will an deiner Gruft,
Nicht eine Thräne weint dir Erd' und Luft,
Kein Wölkchen mehr wird ziehn, kein Blatt wird fallen,
Kein Wind ein Klaglied seufzen dir und Allen;
Der ekle Wurm nur schwelgt in seinem Raub,
Und düngt den Acker neu mit deinem Staub.

 

2.

Der Mittag kommt – auf Otho's Ruf sind alle
Die edlen Herrn versammelt in der Halle.
Die Stund' ist da, die über Tod und Leben
Der Ehre Lara's soll den Ausschlag geben,
Wo Ezzelin die Klag' enthüllen mag;
Was es auch sei, es muß jetzt an den Tag.
Er gab sein Wort, und Lara ging drauf ein,
Vor Gott und Menschen hier bereit zu sein.
Was säumt er? Solche Räthsel aufzuklären,
Scheint allzu lang des Klägers Schlaf zu währen.

 

3.

Die Stund' ist um, und Lara ist erschienen,
Voll Selbstvertraun, mit ruhig kalten Mienen.
Wo bleibt nur Ezzelin? Die Stund' ist um,
Otho blickt finster – Murren ringsherum.
»Ich weiß, mein Freund wird nimmer wortlos sein,
Wenn er auf Erden ist, stellt er sich ein.
Im Thal dort steht das Haus, drin er geweilt,
Wo Lara's Land und meins die Welle theilt.
Ein solcher Gast hätt' unser Dach geehrt,
Auch wär' er diese Nacht nicht heimgekehrt,
Wenn nicht ein Zeugniß ihn von hinnen trieb,
Das als Beweisstück herzuschaffen blieb.
Zum Pfand für seins geb' ich mein Wort aufs Neu',
Bereit zum Kampf für seine Rittertreu.«

Er schwieg, und Lara sprach: »Ich fand mich ein,
Auf dein Begehr ein ruhig Ohr zu leihn,
Schmachvollen Märchen eines Manns, dem schon
Beim ersten Wort ich heimgezahlt den Lohn,
Hätt' ich geglaubt nicht, daß er mindstens toll,
Und schlimmsten Falls ein Feind voll niederm Groll.
Ich kenn' ihn nicht – er, scheint es, kannte mich
In Ländern, wo – doch wozu fast' auch ich?
Schaff mir den Schwätzer – oder lös dein Pfand
Zur Stelle hier, den Degen in der Hand!«

Der stolze Otho wirft in Zornesglut
Den Handschuh hin, und zückt sein Schwert voll Wuth:
»Die letztre Wahl ist's, die mir besser paßt,
Und so vertret' ich den entfernten Gast!«

Mit fahlen Wangen, die nicht röther glühn,
Ob Tod ihn und Verderben gleich umsprühn;
Mit einer Hand, die kühl und sonder Hast
Mit wohlerfahrnem Griff das Schwert erfaßt;
Mit Augen, ruhig, aber schonungslos,
Macht Lara auch sein willig Eisen bloß.
Begüt'gend mahnt umsonst der Edlen Wort,
Denn Otho's Zorn weist jeden Einspruch fort,
Und Hohnesreden seine Lippe spricht –
Deß Schwert ist gut, der tapfer sie verficht.

 

4.

Kurz ist der Strauß. Toll, blind, von Kampflust heiß,
Gibt Otho seine Brust den Hieben preis;
Er blutet, stürzt, doch nicht zu Tode wund,
Ein feiner Querhieb streckt ihn auf den Grund.
»Bitt' um Pardon!« Er schwieg, und sicherlich
Nie hätt' er mehr vom Grund erhoben sich –
Denn schwarz, wie eines Dämons finstre Braun,
Ist Lara's Stirne plötzlich anzuschaun,
Und wüth'ger bebt das Schwert in seiner Faust,
Als da des Feindes Stahl sein Haupt umsaust.
Erst war Berechnung Alles, feine Kunst,
Jetzt plötzlich flammt des Hasses wilde Brunst;
So grimmig ohn' Erbarmen war sein Zielen,
Daß, als die Ritter in den Arm ihm fielen,
Er fast den durst'gen Stahl auf die gekehrt,
Die Schonung heischend seinem Zorn gewehrt.
Zwar die Besinnung bald den Sieg gewann,
Doch blickt' er noch so starr den Gegner an,
Als ob ihm jeder Kampf ein ekler hieß,
Der lebend einen Feind am Boden ließ,
Als forsch' er, ob der Streich, den er ihm gab,
Dem Opfer nicht gekürzt den Weg ins Grab.

 

5.

Man hob den Blut'gen auf und trug ihn fort,
Der Arzt verwehrte Frage, Wink und Wort;
Die Andern gingen in die Nachbarhalle,
Doch er, voll Grimms und achtlos gegen Alle,
Anlaß und Sieger in dem jähen Strauß,
Schritt langsam, schweigend, kühl und stolz hinaus,
Sprang in den Sattel, lenkte heim sein Roß,
Und warf nicht einen Blick auf Otho's Schloß.

 

6.

Doch wo war er, der wie ein Meteor
Gedräut, und dann in Dunkel sich verlor?
Wo weilte Ezzelin, der kam und schwand,
Von dessen Absicht keine Spur bekannt?
Lang noch vor Tag verließ er Otho's Saal,
Im Dunkeln – doch der breite Weg im Thal
War nicht zu fehlen – seine Wohnung nah –
Allein am Morgen war er noch nicht da,
Und alles Forschen brachte nur ans Licht,
Daß der Gesuchte aufzufinden nicht.
Leer ist sein Zimmer, in dem Stall sein Roß,
Bestürzt sein Wirth, erschreckt sein Knappentroß.
Sie suchen weiter nach, ob nicht am Pfad
Ein Merkmal zu erspähn von Räuberthat.
Doch Nichts der Art – kein Dornbusch ist besprengt
Mit Blut, kein Mantelfetzen, der dran hängt;
Kein Sturz, kein Ringen hat das Gras geknickt,
Drauf stets man sonst des Mordes Spur erblickt;
Kein Fingerabdruck zeugt von einem Kampf,
Kein Nagel, der sich eingewühlt im Krampf,
Der, wenn das Schwert entsank der matten Faust,
Des Rasens Grün im Todesschmerz zerzaust.
So wär's, wenn hier ein Leben jäh verblich;
So ist es nicht, drum regt noch Zweifel sich.
Und finstrer Argwohn, Lara's Namen flüsternd,
Summt täglich, seinen Ruf noch mehr verdüsternd,
Schweigt plötzlich, wenn der Unheilsmann sich naht,
Harrt, bis er weiter wandelt seinen Pfad,
Raunt stärker dann aufs Neu' in Feld und Haus,
Und malt sich den Verdacht noch schwärzer aus.

 

7.

Die Zeit verrann, und Otho's Brust genas,
Doch nicht sein Stolz und unverhohlner Haß.
Er war ein mächt'ger Mann und Lara's Feind,
Freund Jedem, der es übel mit ihm meint,
Und vor des Landes Richter lud er ihn,
Daß Kund' er gäbe über Ezzelin.
Wer sonst als Lara hatte Grund, den Mann
Zu fürchten? Wem lag sein Verschwinden an,
Wenn Jenem nicht, dem ohne seinen Tod
Die schwere Klage, Schand' und Schmach gedroht?
Gerüchte dann, zwar unbestimmt, doch laut,
An denen gern die Neugier sich erbaut;
Der Freundesmangel deß, der nie gesucht
Der Liebe Segen, des Vertrauens Frucht;
Der trotz'ge Ingrimm, den sein Geist genährt,
Die seltne Kunst, mit der er schwang sein Schwert –
Wo hat sein zarter Arm gelernt die Kunst?
Wo wuchs sein Grimm zu solcher wilden Brunst?
Denn nicht war das die blinde, laun'sche Wuth,
Die schnell entfachte, schnell gelöschte Glut,
Nein, tief der Seele eingebrannter Groll,
Der mitleidlos im Busen kocht' und schwoll,
Wie er durch Macht und Siegestrunkenheit
Gesteigert wird zu toller Grausamkeit.
Dies und der Hang, der stets dem Menschen eigen,
Verdammend eher sich als mild zu zeigen,
Rief wider Lara einen Sturm herauf,
Der Feinde dräuend ihm beschwor zuhauf;
Für den Vermißten sollt' er Rede stehn,
Und todt wie lebend ihn als Schreckbild sehn.

 

8.

Manch Mißvergnügter war in jenem Land,
Der Kette fluchend, die ans Joch ihn band;
Es spreizte sich manch herrischer Despot,
Der seine Lüst' erhob zum Machtgebot.
Längst hatten äußrer Krieg und innrer Streit
Die Flur durch Blut und ries'ge Sünd' entweiht,
Die nur der Losung harrten, stets bereit
Zum Rasen, wie's im Bürgerkrieg entbrennt,
Der Feind und Freund nur, Nichts dazwischen, kennt.
Jeder war Herr in seinem Burgpalast,
Geehrt in Wort und That, doch tief verhaßt.
So erbt' auch Lara wohl auf seinem Land
Manch unzufriednes Herz, manch träge Hand;
Doch da er in der Fremde lang geweilt,
Hat er der Herrschaft Frevel nie getheilt,
Und jetzt, durch seine milde Hand versöhnt,
War allgemach das Volk der Angst entwöhnt.
Nur das Gesinde fühlt ein Bangen noch,
Mehr für den Herrn, als für sich selbst jedoch;
Es glaubt ihn jetzt unglücklich, ob es ihn
Des Schlimmsten früher boshaft oft geziehn;
Schlaflose Nacht, die stillverbissne Wuth
Kam nun von Einsamkeit, von krankem Blut;
Und warf sein Brüten einen düstern Flor
Auf sein Gemach, war freundlich doch sein Thor;
Nie gingen ungetröstet fort die Armen,
Für sie noch fühlte seine Brust Erbarmen.
Kalt und verächtlich gegen Größ' und Macht,
Hatt' er der Niedrigen besorglich Acht;
Er sprach nicht viel, doch häufig fanden sie
Obdach bei ihm, und harte Worte nie.
Und wer drauf Acht gab, wurde bald belehrt,
Wie Tag für Tag sein Anhang sich gemehrt.
Zumal seit Ezzelin's Verschwinden gern
Spielt er den güt'gen Wirth, den milden Herrn;
Vielleicht befürchtet er, seit jenem Streit
Mit Otho läg' ein Fallstrick ihm bereit;
Was auch sein Zweck, mehr hielt er zugewandt
Dem Volke sich, als seinem eignen Stand.
War's Politik, so war's ein kluger Plan,
Die Massen schätzten ihn, wie sie ihn sahn;
Denn wer bei ihm, von strengern Herrn verjagt,
Um Obdach bat, dem ward es nie versagt.
Hier klagt kein Bauer, daß ihm Plündrung droht,
Selbst den leibeignen Knecht drückt kaum die Noth:
Hier mag der Geizhals furchtlos Schätze häufen,
Hier darf kein Hohn ins Ohr dem Armen träufen
Die Jugend fesselt er durch Trinkgelag
Und Hoffnungstraum, daß sie nicht scheiden mag;
Dem Haß verheißt der Sieg der Volkessache
Die sichre Anwartschaft auf künft'ge Rache;
Der Liebe, lang vom Kastengeist gehöhnt,
Weist er den Sieg, der frei die Schönheit krönt.
Die Saat ist reif, er harrt die Zeit nur ab,
Die auch den Namen Knechtschaft send' ins Grab.
Die Stunde kommt, die Stunde, wo sein Feind
Die Rache, die er sucht, gesichert meint;
Den Vorgeladnen fand sein Schergentroß
Umringt von Tausenden im festen Schloß,
Die von zerrißnen Ketten frei sich schaun,
Der Erde trotzend, auf den Himmel baun.
Der Sklav, den er der Scholle ledig gab,
Gräbt für Tyrannen höchstens noch ein Grab!
So klingt ihr Ruf – ein Schlagwort im Gefecht
Ist Schutz dem Unrecht, und verdreht das Recht;
Gott – Glaube – Freiheit – Rache – nur ein Wort
Entflammt die Menschen schon zu Krieg und Mord;
Ein Phrasenruf, der zur Empörung hetzt,
Bis Frevel herrscht, und Wolf und Wurm sich letzt.

 

9.

Die Burgherrn hatten dort so viel Gewalt,
Daß wenig nur der junge König galt.
Auf stand die Masse jetzt, die, grollerfaßt,
Des Einen spottet, alle Beide haßt.
Ein Führer fehlte – der ist nun gefunden,
Auf Tod und Leben mit dem Volk verbunden.
Denn das Verhängniß zwang ihn, kampfbereit
Sich neu zu stürzen in der Menschen Streit.
Durch ein geheimnißvolles Loos getrennt
Von Denen, die er seines Gleichen nennt,
Hat Lara seit der fluchbeladnen Nacht
Sich auf das Schlimmste klug gefaßt gemacht.
Er hatte Grund, dem Forschen zu entgehn
Nach Thaten, die in fernem Land geschehn;
Und sprengt' er mit dem Volk der Knechtschaft Joch,
So fiel er, mußt' er fallen, später doch.
Die Schwüle, die sein Busen lang gehegt,
Der Sturm, der sich erschöpft zur Ruh' gelegt,
Erweckt durch Dinge, deren Schicksalszug
Sein düstres Lebensloos zum Abgrund trug,
Brach aus, – und wieder ist er, was er war,
Nur beut sich ihm ein andrer Schauplatz dar.
Ruhm gilt ihm Nichts, das Leben auch nicht viel,
Doch paßt er wohl für solch verzweifelt Spiel;
Er glaubt für Andrer Haß sich ausersehn –
Was schiert ihn Tod, wenn sie mit untergehn?
Was liegt ihm dran, Freiheit dem Volk zu schenken?
Die Niedern hob er, um den Stolz zu kränken.
In düstrer Höhle hofft' er einst auf Ruh,
Doch setzt' auch dort ihm Mensch und Schicksal zu;
Das Wild, gewöhnt an Jäger, ward gestellt,
Sie müssen's tödten, da ihr Netz nicht hält.
Ernst, sonder Ehrgeiz, schweigend, hätt' er gern
Dem Lebensspiel nur zugeschaut von fern;
Doch nun, zurückgeschleppt zur Rennbahn, steht
Ein Feldherr auf, der wohl sein Werk versteht,
Und Wildheit spricht aus Haltung, Mien' und Stimme,
Das Auge blitzt von trotz'gem Fechtergrimme.

 

10.

Wozu das alte Lied vom Krieg erneun,
Vom Blutbad, dran die Geier sich erfreun?
Von zweier Heere wechselvollem Glück,
Wie Stärke siegt und Schwäche weicht zurück?
Von rauchenden Trümmern und geborstnem Wall?
Es war ein Krieg so wie die Kriege all;
Nur daß noch wilder glomm der Kampflust Brand
Zur Wuth, die jegliches Gefühl verbannt.
Es bat um Gnade der Gefangne nicht,
Taub war des Mitleids Ruf, und Tödten Pflicht;
Auf beiden Seiten schnob derselbe Groll,
Der maßlos in der Brust des Siegers schwoll;
Und wer für Freiheit oder Macht erschlug,
Dem war, so lang ein Feind noch Waffen trug,
Die größte Zahl Erschlagner nie genug.
Nichts bot der Wuth des Schwertes Widerstand,
Verheerung zog und Hunger durch das Land,
Die Fackel flammt', und weiter fraß die Glut,
Und lächelnd trank der Mord sein täglich Blut.

 

11.

In frischer Kraft, berauscht vom jungen Heil,
Ward Anfangs Lara's Schaar der Sieg zu Theil;
Doch dieser Sieg riß sie zum Unheil fort:
Sie hören nicht mehr auf des Führers Wort,
Sie drängen blindlings auf die Feinde ein,
Und denken, Stürmen heißt schon Sieger sein.
Die Gier nach Beute und des Hasses Drang
Lockt bald die Plündrer in den Untergang.
Vergebens thut er, was ein Feldherr kann,
Nichts hält die jähe Wuth der Thoren an;
Kein Mahnen zügelt ihren störr'gen Muth,
Wer sie entfacht, der löscht nicht mehr die Glut.
Der schlaue Feind allein macht ihnen klar,
Wie toll ihr unbedachter Ansturm war.
Verstellter Rückzug, Hinterhalt bei Nacht,
Tägliches Plänkeln, aufgeschobne Schlacht,
Das lange Harren oft auf schmale Kost,
Zeltloser Schlaf in Regen, Sturm und Frost,
Der trotz'ge Wall, der des Belagrers lacht
Und die Geduld Enttäuschter mürbe macht, –
Alldies nicht hatten sie bedacht. Ein Held,
Mag Jeder kämpfen in dem offnen Feld;
Doch lieber raschen Tod vom blut'gen Stahl
In wilder Schlacht, als stündlich neue Qual!
Und Hunger würgt, und böses Fieber rafft
Tagtäglich hin des Heeres Zahl und Kraft;
Maßloser Jubel schrumpft zu Mißmuth ein,
Und ungebeugt scheint Lara's Seel' allein.
Nur Wen'ge bleiben treulich ihm zur Hand,
Da schon das stolze Heer zur Bande schwand,
Ein trotz'ger Rest der Besten bleibt zuletzt,
Und klagt, daß er die Zucht gering geschätzt.
Eins tröstet sie: die Grenze ist nicht weit,
Wo man entrinnen kann dem heim'schen Streit,
Um in das Nachbarland mit sich zu tragen
Des Flüchtlings Groll und des Verbannten Klagen;
Hart ist es zwar, vom Vaterland zu scheiden,
Doch härter, Tod und Unterdrückung leiden.

 

12.

Beschlossen ist's – sie gehn – als Führer lacht
Der fackellosen Flucht der Stern der Nacht.
Schon sehn sie, wie sein friedlich stilles Licht
Sich in des Grenzstroms glattem Spiegel bricht;
Schon spähen sie – Mag dies das Ufer sein?
Hinweg! es ist besetzt von Feindesreihn!
Flieht oder kehrt! – Was glänzt vom Rücken her?
Ha, Otho's Banner, des Verfolgers Speer!
Sind's Hirtenfeuer, die dort oben glühn?
Was hülfe Flucht, da sie schon ringsum sprühn?
Vom Netz umstrickt, von Hoffnung ausgeschlossen,
Ist wen'ger Blut um Größres schon geflossen.

 

13.

Ein kurzer Halt – es sammelt sich die Bande;
Räth man zum Angriff oder Widerstande?
Fast bleibt sich's gleich; doch, stürzen sie mit Macht
Sich auf den Feind, der dort den Strom bewacht,
So wird von Ein'gen noch sein Kreis vielleicht
Durchbrochen und das Nachbarland erreicht.
»Sei's denn gestürmt! Abwarten ihren Stoß,
Wär' eines Feiglings wohlverdientes Loos!«
Die Säbel blitzen, Jeder ist parat,
Das nächste Wort fliegt kaum voraus der That;
Im nächsten Laut von Lara's trotz'gem Munde
Hört Mancher nur die bittre Todeskunde.

 

14.

Entblößten Schwertes, stiert er finster drein,
Verzweiflung doch kann nicht so ruhig sein;
Gleichgült'ger, als sich für den Kühnsten schickt,
Der in den Menschen Brüder noch erblickt.
Er schaut auf Kaled, der zur Seit' ihm ist,
Und, treu dem Herren, jede Furcht vergißt.
Vielleicht wirft nur des Mondes Dämmerlicht
Noch fahlern Schein als sonst auf sein Gesicht,
Das trüber heut und schauriger erbleicht,
Und Schrecken nicht, nur seine Treue zeigt.
Lara bemerkt's, und drückt ihm leis die Hand –
Sie bebte nicht, ob jede Hoffnung schwand;
Kaum schlägt das Herz ihm, nur das Auge spricht,
Ob auch die Lippe schweigt: »Wir scheiden nicht!
Mag fliehn dein Häuflein, sinken dein Panier,
Fahrwohl dem Leben, aber nimmer dir!«
Das Wort verhallt – die Schaar stürmt wild hinein,
Geschlossnen Gliedes, in gesprengte Reihn;
Gehetzt vom Sporn, gehorcht der Rosse Kraft,
Der Säbel klirrt, es schwirrt der Lanzenschaft.
Der Uebermacht erliegend, weisen sie
Dem Feind noch stets die Stirn, den Rücken nie;
Der Strom färbt sich in seinem Lauf mit Blut,
Roth wallt noch bis zum Morgenstrahl die Flut.

 

15.

Befehlend, helfend, Muth einsprechend Allen,
Wo Feinde drängen oder Freunde fallen,
Tönt Lara's Ruf, und saust und mäht sein Schwert,
Noch Hoffnung weckend, die er selbst nicht nährt.
Und Keiner flieht, da nutzlos doch die Flucht,
Wer wankte, stürmt hervor mit neuer Wucht,
Indeß vor ihres Führers Blick und Streichen
Die tapfersten der Feinde selbst entweichen.
Bald dicht umringt von Kriegern, bald allein,
Wirft er die Feinde, sammelt seine Reihn,
Schont nicht sich selbst – kaum hält der Feind noch Stand
Jetzt ist es Zeit – hoch schwenkt er seine Hand,
Und winkt – Was sinkt sein Helmbusch niederwärts? –
Die Brust durchbohrte ihm des Pfeiles Erz.
Die Handbewegung gab die Seite bloß,
Da traf den stolzen Arm der Todesstoß.
Das Wort des Siegs von seiner Lippe schwand,
Matt sinkt hinab die hoch geschwungne Hand.
Die Rechte noch das Schwert mechanisch hält,
Indeß der Linken schon der Zaum entfällt,
Den Kaled rasch ergreift. Betäubt vom Stoß
Im Sattel hängend und besinnungslos,
Merkt Lara nicht, daß sein Begleiter sacht
Sein Roß entführt aus dem Gewühl der Schlacht.
Die Seinen kämpfen fort, im Knäuel dicht,
Und achten mordend der Erschlagnen nicht.

 

16.

Ob Sterbenden und Todten graut der Tag.
Helmlos manch Haupt, zerstückt manch Brustschild lag;
Ein Sattel, – reiterlos ein Roß dabei.
Das letzte Röcheln riß den Gurt entzwei;
Und nah, noch zuckend von dem Todeskampf,
Die Hand und Ferse, die es trieb zum Kampf.
Und Ein'ge liegen dicht am Stromesrand,
Deß Flut verhöhnt der lechzenden Lippe Brand;
Der glüh'nde Durst, der bei dem Schlachtentod
Im Mund des Sterbenden wie Feuer loht,
Härmt sich vergebens um ein Tröpfchen ab,
Ein letztes Kühlungströpfchen für das Grab;
In Ohnmacht zuckend, krochen noch die Glieder
Auf blut'gem Rasengrund zum Strande nieder;
Ob fast verraucht der schwache Lebensfunke,
Sie sind am Fluß, sie neigen sich zum Trunke,
Schon weht der frische Hauch zu ihnen her –
Was zögern sie? Kein Dürsten quält sie mehr –
Sie stillten's nicht, und dennoch ist's entflohn;
O, Hölle war's – und doch vergessen schon!

 

17.

An einer Lind', abseits von jenem Ort,
Wo seinethalb gerast der wilde Mord,
Noch athmend, doch dem Tod verfallen, liegt
Lara, deß Lebensquelle rasch versiegt.
Sein Diener, jetzt sein einziges Geleite,
Kniet Kaled treu an seiner blut'gen Seite.
Gern hätt' er mit dem Tuch die Flut gestillt,
Die schwärzer stets mit jedem Krampf entquillt,
Und dann, indeß das Herz schon leiser klopft,
Langsamer, doch nicht minder tödtlich, tropft.
Schon sprachlos, winkt er, daß es unnütz wäre,
Und seiner Schmerzen Qual nur noch vermehre.
Er drückt die Hand, die ihn versucht zu laben,
Und lächelt traurig Dank dem dunklen Knaben,
Der Nichts zu fürchten, sehn und fühlen schien,
Als nur die feuchte Stirn auf seinen Knien,
Als nur das Auge, brechend, todentstellt,
Das für ihn einschloß alles Licht der Welt.

 

18.

Die Feinde nahn, die lang das Feld durchsucht,
Nichts gält' ihr Sieg, wär' Lara auf der Flucht.
Ihn wegzutragen, ist vergeblich schon,
Er schaut sie ruhig an, mit stillem Hohn,
Versöhnt mit seinem Schicksal, da der Tod
Ihm Rettung vor lebend'gem Hasse bot.
Und Otho kommt heran, er springt vom Roß,
Sieht den im Blute jetzt, der seins vergoß,
Und spricht ihn an; doch der erwidert nicht,
Stiert kaum ihn an, als sei's ein fremd Gesicht,
Und blickt auf Kaled – unverständlich schallt
In ihre Ohren, was er leis noch lallt.
Die Sprache war's aus jenem fernen Land,
An das ein wild Erinnern stets ihn bannt.
Er sprach von andern Scenen – was? erfuhr
Von Allen, die ihm lauschten, Kaled nur.
Und der erwidert, seufzend, still und leise,
Indeß die Andern staunend stehn im Kreise.
Die Beiden, schien's, vergaßen bis zuletzt
In der Vergangenheit das grause Jetzt,
Als theilten sie ein räthselvoll Geschick,
Deß Dunkel nie durchdringt ein fremder Blick.

 

19.

Sie sprachen leis und lang; der Ton allein
Verrieth den Hörern, wichtig müss' es sein.
Nach Stimm' und Odem schien der Page fast
Näher, als Lara, seiner letzten Rast;
So dumpf, so schwer und abgebrochen klang
Das Wort, das sich der bleichen Lipp' entrang.
Doch Lara's Stimm', ob schwach, war Anfangs klar,
Bis heisrer Tod ihm röchelnd nahe war;
Sein Antlitz schien von keinem Schmerz erregt,
So reulos düster, gänzlich unbewegt,
Nur daß, als nah er seinem letzten Ziel,
Sein Auge freundlich auf den Pagen fiel,
Und einmal, als die Stimme Kaleds schwand,
Wies Lara still gen Osten mit der Hand.
Meint' er das Morgenlicht, da just der Tag
Am Himmel strahlend durch die Wolken brach?
War's Zufall? war's Erinn'rung, daß er hob
Die Hand nach Orten, die ihr Duft umwob?
Kaled schien's kaum zu wissen; sein Gesicht
Abwandt' er, gleich als hass' er dieses Licht,
Sein Blick floh von des Morgens junger Pracht
Auf Lara's Stirn, und da ward Alles Nacht.
Wohl lebt' er noch, doch besser wär' er todt;
Denn als das heil'ge Kreuz ihm Einer bot,
Und ihm den Rosenkranz gereicht zum Kuß,
Als Heilsverheißung an des Lebens Schluß,
Schien kalt und lächelnd schier er drauf zu sehn –
Verzeih' ihm Gott, wenn es aus Hohn geschehn!
Und Kaled sprach kein Wort, doch wandt' er nicht
Den starren Blick von Lara's Angesicht,
Unwill'gen Blicks und rasch stieß er die Hand
Bei Seite mit dem frommen Unterpfand,
Als stör' es nur des Freundes letzte Stunde;
Vom ew'gen Leben fehlt' ihm wohl die Kunde,
Das nun begann, und das nur dem als Lohn
Zufällt, der treu geglaubt an Gottes Sohn.

 

20.

Dumpf röchelnd kam der Odem jetzt empor,
Und Lara's Aug' umfing ein dunkler Flor,
Starr streckten sich die Glieder, nieder schlug
Das Haupt, das Kaled auf dem Knie noch trug.
Ans Herz riß zuckend er des Pagen Hand –
Es schlägt nicht mehr, doch Kaled hält umspannt
Die kalte Faust, und fühlt, und fühlt vergebens
Nach dem verstummten leisen Puls des Lebens.
»Es schlägt!« – Nein, gaukle dir Nichts vor, Phantast!
Dies war einst Lara, was dein Arm umfaßt.

 

21.

Er stiert, als sei aus diesem niedern Thon
Der stolze Geist noch immer nicht entflohn;
Wohl rütteln sie ihn auf aus seinem Bann,
Doch starrt er immer noch den Leichnam an!
Und als man ihn erhebt, indeß er fest
Den todten Leib noch in die Arme preßt,
Und nun das Haupt, das stützen er gewollt,
Erde zu Erde, auf den Boden rollt,
Da wirft er sich nicht hin, rauft sich nicht aus
Das Rabenhaar, die Locken weich und kraus,
Nein, sucht zu stehn, zu schaun, doch schwankt und fällt,
So starr fast wie sein Liebstes auf der Welt.
Sein Liebstes? – O, wann hätte Mannesbrust
Von also treuer Liebe je gewußt?
Nein, dieser Augenblick enthüllte klar,
Was lang ein halb verhehlt Geheimniß war;
Als man, damit man neu das Leben weckt,
Die Brust entblößt, wird ihr Geschlecht entdeckt;
Kaled wacht auf, und Kaled fühlt nicht Scham –
Was fragt nach Ruf und Sitte solcher Gram?

 

22.

Und Lara ruht nicht, wo die Ahnen ruhn,
Dort, wo er starb, liegt seine Hülle nun;
Nicht minder friedlich schläft dort sein Gebein
Auch ohne Priesterspruch und Marmorstein;
Er wird von einem stillen Gram betrauert,
Der Völkerleid um Fürsten überdauert.
Umsonst war alles Fragen, alles Drohn –
Kein Wort ist von Vergangnem ihr entflohn;
Woher sie kam, weßhalb sie Alles ließ
Um Einen, der sich freundlich kaum bewies?
Warum sie ihn geliebt? – O Thor, sei still!
Wächst Lieb' im Menschen, weil der Mensch es will?
Ihr mocht' er freundlich sein; ein herber Geist
Fühlt tiefer oft, als blödem Blick sich's weist,
Und wenn er liebt, so ahnt ihr Tändler nicht,
Wie stark das Herz schlägt, eh' die Lippe spricht.
Gewiß war's nicht gemeiner Liebe Pfand,
Was Kaled's Herz und Hirn an Lara's band;
Doch löste sie das Wie nicht und Warum,
Und die drum wußten, sind nun Alle stumm.

 

23.

Sie legten in die Erd' ihn, und man fand,
Der Wunde nah, die ihn zur Ruh' gesandt,
Die Brust von mancher Narbenspur geschrammt,
Die nicht aus diesem letzten Kriege stammt.
Wo er des Lebens Sommer auch verbracht,
Man sah, er schwand ihm unter Kampf und Schlacht;
Doch weder Ruhm noch Schuld ward daraus klar,
Nur, daß vor Zeiten Blut geflossen war,
Und Ezzelin, dem kund wohl, was geschehn,
Ward niemals mehr seit jener Nacht gesehn.

 

24.

In jener Nacht – (so sagt' ein Bauer aus) –
Da ging ein Knecht, der früh verließ das Haus,
Als Cynthia's Licht fast vor dem Morgen wich
Und halb im Nebel schon ihr Horn verblich,
Da ging ein Knecht, um früh im Dämmrungsgraun
Für seiner Kinder Nothdurft Holz zu haun,
Am Strom vorbei, der zwischen dem Gebiet
Otho's und Lara's sich als Grenze zieht.
Und Hufschlag hört' er – aus dem Walde brach
Ein Reiter – vor ihm auf dem Sattel lag
Ein Mantel, über eine Last gedeckt,
Er hielt das Haupt gebeugt, die Stirn versteckt.
Erschrocken ob des Anblicks, den er sieht,
Und ahnend, daß ein Frevel hier geschieht,
Belauscht der Knecht geheim des Fremden Thun;
Der naht dem Flusse, springt vom Pferde nun,
Hebt schnell herab die Last, die droben ruht,
Erklimmt den Strand, und stürzt sie in die Flut.
Dann steht er, späht, und kehrt sich um, und lauscht
Unruh'gen Blicks, wie Well' um Welle rauscht,
Und folgt dem Strom, der langsam weiter zieht,
Als ob zu viel sein Spiegel noch verrieth.
Doch plötzlich bückt er sich; am Uferrand
Lag mancher angespülte Stein im Sand;
Von diesen sucht er sich die schwersten aus,
Und schleuderte sie wohlgezielt hinaus.
Der Knecht indeß schlich näher ungesehn,
Was dies bedeute, sorgsam zu erspähn;
Wie eine Brust im Wasser schwamm es fern,
Und auf dem Kleide blinkt' es wie ein Stern;
Doch eh' er's recht erkannte, traf ein Stein
Das Ding, und riß es in die Flut hinein.
Noch einmal taucht' es auf, doch sichtbar kaum,
Und färbte purpurroth der Wellen Saum,
Dann sank es ganz. Der Reiter sah ihm nach,
Bis sich des Wassers letzter Wirbel brach;
Dann kehrt' er um, bestieg sein scharrend Roß,
Und spornt' es, daß es wild von dannen schoß.
Er war verlarvt – des Todten Angesicht,
Wenn's todt war, sah der Knecht vor Schrecken nicht;
Doch, trug er wirklich auf der Brust den Stern,
Das Ordenszeichen ritterlicher Herrn,
So weiß man, solchen Stern trug Ezzelin
Die Nacht, nach der ein solcher Tag erschien.
Und starb er so – schenk' Gott der Seele Ruh'! –
Dann treibt sein Leichnam still dem Meere zu,
Und Nächstenliebe mag zu hoffen wagen,
Es sei nicht Lara's Hand, die ihn erschlagen!

 

25.

Und Kaled, Lara, Ezzelin sind hin,
Ein grabsteinloses Grab all ihr Gewinn!
Kaled – vergebens war Gewalt wie Bitten –
Blieb, wo ihr Herr den bittren Tod erlitten.
Gram hatte so gezähmt ihr stolzes Herz,
Daß thränenlos und klaglos fast ihr Schmerz;
Doch rasend, wollte man sie von dem Ort
Wegreißen, denn sie dacht', er sei nicht fort;
Dann blitzt' in ihrem Aug' die wilde Glut
Der Tigerin, der man geraubt die Brut.
Wenn man sie ungestört ließ, sprach sie mild
Und träumerisch mit einem Luftgebild,
Wie es des Grams geschäftig Hirn erdichtet,
Und seine leise Klagen an es richtet.
Und Tag für Tag saß unterm Baume sie,
Allwo sein sterbend Haupt gestützt ihr Knie,
Und rief sich, wie er dort lag, Wort und Blick
Und seinen letzten Händedruck zurück.
Sie hatt' ihr Haar geschoren, doch verwahrt,
Oft zog sie aus dem Busen es, und zart
Verflocht sie es, und drückt' es sanft zum Grunde,
Als stille sie das Blut in einer Wunde.
Sie fragt' ihn, und erwiderte für ihn,
Dann sprang sie auf, und winkt' ihm, zu entfliehn
Vor einem Spukgesichte, bös und arg;
Dann wieder, ruhnd am Lindenstamme, barg
Sie ihr Gesicht in ihrer magern Hand,
Schrieb seltsam fremde Zeichen in den Sand –
Lang ging das nicht – nun ruht sie bei ihm aus,
Stumm bis ans Grab, treu übers Grab hinaus.

Anmerkung zu Lara.

Diese Erzählung, welche Ende Mai 1814 begonnen und im Augustmonat desselben Jahres zuerst veröffentlicht ward, ist als eine Art Fortsetzung des kurz vorher erschienenen »Korsaren« zu betrachten. Byron bemerkt in einer Note, daß der Name Lara zwar spanisch sei, daß aber keine Lokalschilderung den Leser nöthige, den Schauplatz des Gedichtes in einer bestimmten Gegend zu suchen. Nach einer späteren Andeutung hatte der Dichter sich Lara als einen Häuptling auf der Halbinsel Morea gedacht.

Zu der Erzählung des Bauern im vorletzten Abschnitte des zweiten Gesanges ward Byron, seiner eigenen Erklärung zufolge, durch nachstehende Schilderung der Ermordung oder vielmehr der Bestattung des Herzogs von Gandia in Roscoe's »Leben Leo's X.« (Bd. I, S. 265) inspirirt: »Am achten Tage des Juni speisten der Kardinal von Valenza und der Herzog von Gandia, Söhne des Papstes, mit ihrer Mutter Vanozza, unweit der Kirche San Pietro a Vincula, zu Nacht; mehrere andere Personen leisteten ihnen Gesellschaft. Zu später Stunde erinnerte der Kardinal seinen Bruder, daß es Zeit sei, nach dem apostolischen Palaste zurückzukehren; sie bestiegen ihre Pferde oder Mäuler, und ritten, nur von einigen Dienern begleitet, zusammen bis zum Palaste des Kardinals Ascanio Sforza. Hier eröffnete der Herzog seinem Bruder, er habe, ehe er sich nach Hause begebe, noch einen Vergnügungsbesuch abzustatten. Er entließ daher all seine Leute, bis auf seinen Staffiero oder Lakaien und einen Verlarvten, der ihn während des Abendessens aufgesucht, und der auch vorher, seit ungefähr einem Monat, ihn fast täglich im apostolischen Palaste angesprochen hatte; diesen nahm er hinter sich auf sein Maulthier, und ritt nach der Judengasse, wo er seinen Diener mit der Weisung entließ, dort bis zu einer gewissen Stunde auf ihn zu warten, und, wenn er alsdann nicht wiederkäme, in den Palast zurückzukehren. Hierauf ließ der Herzog den Verlarvten hinter sich aufsitzen, und ritt, ich weiß nicht, wohin; aber in derselben Nacht wurde er ermordet und in den Fluß geworfen. Auch der Lakai wurde nach seiner Entlassung angefallen und tödtlich verwundet, und obschon man ihm die sorglichste Pflege zu Theil werden ließ, war er doch so übel zugerichtet, daß er keine verständliche Auskunft über das Schicksal seines Herrn zu geben vermochte. Als der Herzog am Morgen nicht heimgekehrt war, geriethen seine Diener in große Unruhe; einer von ihnen benachrichtigte den Papst von dem abendlichen Ritt seiner Söhne, und meldete ihm, daß der Herzog sich noch nicht wieder habe blicken lassen. Der Papst war darüber nicht wenig bestürzt; er vermuthete indessen, der Herzog sei durch irgend eine Kourtisane verlockt worden, die Nacht bei ihr zu verbringen, und warte, da er es nicht für schicklich halte, ihr Haus bei hellem Tage zu verlassen, den Abend für seine Rückkehr ab. Als aber der Abend kam, und er sich in seiner Erwartung getäuscht sah, ward er tief bekümmert und ließ verschiedene Personen vorladen, um sie auszufragen. Unter diesen war ein Mann, Namens Giorgio Schiavoni, welcher Bauholz aus einer auf dem Flusse liegenden Barke gelöscht hatte und zur Bewachung derselben an Bord geblieben war. Auf die Frage, ob er in der verflossenen Nacht Jemanden habe in den Fluß werfen sehen, antwortete er: er habe allerdings zwei Männer zu Fuße die Straße herabkommen und vorsichtig umherspähen sehen, ob Jemand vorüberginge. Als sie Niemand gewahrten, seien sie weggegangen, und gleich darauf seien zwei andere erschienen und hätten sich ebenso umgeschaut. Als Nichts sich regte, hätten sie ihren Gefährten ein Zeichen gegeben, und ein Mann auf einem Schimmel sei herangekommen, mit einem Leichname hinter sich, dessen Kopf und Arme auf der einen, und dessen Beine auf der anderen Seite des Pferdes herabhingen; die beiden Fußgänger hätten den Leichnam unterstützt, um sein Herabfallen zu verhindern. So seien sie an die Stelle gelangt, wo gewöhnlich der Unrath der Stadt in den Fluß entleert wird, hätten das Pferd mit dem Schweif gegen das Wasser gestellt, den Leichnam bei den Armen und Füßen gefaßt, und ihn mit aller Kraft in den Fluß geschleudert. Der Mann auf dem Pferde habe dann gefragt, ob sie ihn hineingeworfen, worauf sie geantwortet hätten: » Signor, si.« Sodann habe er auf den Strom geblickt, und als er einen Mantel auf dem Wasser schwimmen sah, gefragt, was das Schwarze dort sei, worauf sie erwiderten, es sei ein Mantel, und Einer von ihnen habe Steine darauf geworfen, bis es untersank. Die Leute des Papstes fragten Giorgio, warum er dem Gouverneur der Stadt hievon keine Anzeige gemacht habe, worauf er antwortete, er habe zeit seines Lebens wohl hundert Leichen an der nämlichen Stelle in den Fluß werfen sehn, ohne daß Nachfrage darüber geschehen sei, weshalb er der Sache keine besondere Wichtigkeit beigelegt habe. Die Fischer und Schiffer wurden nun aufgeboten, den Fluß zu durchsuchen, und sie fanden dort am folgenden Abend die Leiche des Herzogs in seiner vollständigen Kleidung, und dreißig Dukaten in seiner Börse. Er war von neun Wunden durchbohrt, eine davon am Halse, die anderen an Kopf, Leib und Gliedern. Sobald der Papst den Tod seines Sohnes erfuhr, und daß man ihn wie Unrath in den Fluß geworfen habe, überließ er sich seiner Trauer, schloß sich in seiner Kammer ein, und weinte bitterlich. Der Kardinal von Segovia und Andere von dem Gefolge des Papstes kamen an seine Thür und überredeten ihn nach stundenlangen Bitten und Ermahnungen, sie einzulassen. Vom Mittwochabend bis zum folgenden Sonnabend nahm der Papst keine Speise zu sich; auch schlief er nicht vom Donnerstagmorgen bis zur selben Stunde des folgenden Tages. Endlich jedoch gab er dem Flehen seiner Umgebung nach, und begann seinem Kummer Einhalt zu thun und den Schaden zu bedenken, welcher seiner Gesundheit erwachsen möchte, wenn er ferner seiner Trauer nachhinge.«


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