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Mazeppa.

 

I.

Bei Pultawa in wilder Schlacht
Verließ das Glück die Schwedenmacht;
Ein Leichenhaufen war das Heer,
Es kämpft und blutet jetzt nicht mehr.
Falsch wie der Mensch, der ihn begehrt,
Erscheint der Ruhm, treulos das Schwert:
Denn siegreich triumphirt der Zar,
Und Moskau droht nicht mehr Gefahr;
Bis einst ein schlimmrer Tag anbricht,
Ein Jahr von größerem Gewicht,
Das schmählich stürzt ein Kaiserthum
Von stärkrer Macht und stolzerm Ruhm,
Und Einer kommt zu tieferm Falle, –
Ein Donnerschlag wird's sein für Alle.

 

II.

So hat das Schicksal sich gewandt,
Daß König Karl zu fliehn verstand,
Daß er verwundet manchen Fluß
Und manchen Wald durchjagen muß.
So Viel' auch fallen auf der Flucht,
So gibt's doch Keinen, der versucht,
Gefallnen Ehrgeiz jetzt zu schelten,
Jetzt, wo Befehle nichts mehr gelten.
Sein Roß ist todt, und Gieta gab
Ihm seins und sank dafür ins Grab.
Auch dieses stürzt, doch manche Meile
Durchlief's zuvor in wilder Eile; –
Und nun in tiefem Waldesdunkel,
Wo fern der Wachtfeuer Gefunkel
Von Feinden zeugt, die rings sich regen,
Muß sich ein König zur Ruhe legen!
Sind dies die Lorbeern, dies der Lohn
Für so viel Herzblut der Nation?
Man legt ihn unter einen Baum,
Er fühlt erschöpft die Glieder kaum,
Die starr von Blut und Kälte sind –
Es dunkelt, eisig geht der Wind,
Es hält der Wunden Brand noch fern
Den Schlaf von seinem Augenstern.
Doch, ob ihn auch verrieth das Glück,
Er trägt als König sein Geschick
Und unterwirft, um sie zu stillen,
Die Schmerzen selber seinem Willen:
Sie müssen schweigen, sind Besiegte,
Wie manches Volk, das er bekriegte.

 

III.

Die tapfre Schar! – Doch ach, wie schmolz
Sie hin, und nur ein flücht'ger Tag
Hat sie gelichtet! Aber stolz
Und treu ist noch ihr Sinn; es lag
Ein Jeder traurig auf der Erde
Bei seinem König und seinem Pferde;
Vertrauter werden Mensch und Thier,
Wo die Gefahr so groß wie hier.
Im Schatten einer Eiche machte
Am Boden, in gewohnter Weise,
Mazeppa sich's bequem, der greise
Kosakenhetman – Mancher dachte,
Daß wohl an Kraft und auch an Jahren
Er und der Baum sich ähnlich waren.
Doch reibt vorher sein müdes Roß
Noch der Beherrscher der Ukräne,
Macht ihm ein Bett aus Laub und Moos
Und streichelt freundlich ihm die Mähne;
Er löst den Gurt, nimmt ihm den Zaum
Und freut sich, daß es munter frißt:
Denn kurz zuvor noch hofft er's kaum,
Weil gar zu matt das Roß doch ist.
Doch wie der Herr, so hat das Pferd
Auch diesmal seine Kraft bewährt;
Folgsam und muthig ist's und thut,
Was er verlangt, geschwind und gut.
Von starkem Bau und zott'gem Haar,
Trägt's ihn so rasch als ein Tatar;
Es weiß, wie seine Stimme klingt,
Und wär' in tiefster Finsterniß
Von Tausenden er dicht umringt,
Das treue Roß fänd' ihn gewiß;
Bei Tag und Nacht, zu jeder Stunde
Begleitet's ihn gleich einem Hunde.

 

IV.

Die Lanze legt Mazeppa drauf
Zur Erde, rollt den Mantel aus
Und sieht, ob auch vom Marsche her
Noch Alles gut sei, ob's Gewehr
Noch Pulver hab' auf seiner Pfanne,
Ob fest der Stein im Schloß noch halte;
Befühlt den Säbel und die Scheide,
Und schaut, ob's Lederzeug nicht leide;
Und endlich holt der wackre Alte
Den Brotsack her und seine Kanne,
Das karge Mahl sich zu bereiten.
Dem König dann und seinen Leuten
Es reichend, bat er sie, so viel
Zu nehmen, wie's den Herrn gefiel.
Er setzte zwar die Worte nicht
So zierlich, als am Hof man spricht,
Doch lächelnd kostete der König
Von seinem Antheil dran ein wenig,
Um trotz der Wunden und der Plage
Zu zeigen, daß er nicht verzage,
Und sprach: »Wohl Keiner unsrer Schar,
Die stark und tapfer stets doch war,
Hat auf dem Marsch und in der Schlacht
Mit wen'ger Worten mehr vollbracht
Als du, Mazeppa! Seit der Zeit
Von Alexander her bis heut
Gab's nie so Zwei aus Einem Guß
Wie du und dein Bucephalus.
Du stürmst durch Feld und Wald und Moor
Wie Keiner, den ich sah zuvor.«
Da rief der Hetman: »Fluch den Zeiten,
In denen ich gelernt das Reiten!«
»Wie ist, was du da sagst, gemeint?«
Sprach Karl erwidernd: »denn es scheint,
Du hast's in guter Schul' erlernt.«
Worauf Mazeppa: »Zum Erzählen
Wird jetzt mir wohl die Muße fehlen,
Denn unser Ziel ist weit entfernt;
Noch mancher Strauß ist zu bestehn,
Und wir sind Einer gegen Zehn,
Eh' unsre Rosse auf dem Rasen
Des andern Dnieperufers grasen;
Auch Ihr bedürft der Ruhe, Sire,
Und ich will Wache halten hier,
So lang Ihr schlaft.« – »Erzähle«, sprach
Der Schwedenkönig, »deine Mär!
Vielleicht, wenn ich erzählen hör',
Erfreuet mich der Schlaf danach,
Der leider immer noch nicht nieder
Sich senkt auf meine Augenlider.«
»Für solchen Preis will gern ich sagen,
Was ich erlebt in jüngern Tagen.
Ich zählte wohl kaum zwanzig Jahr' –
Als Kasimir noch König war –
Ja Johann Kasimir; – ich habe
Ihm lang gedient als Edelknabe.
Er war ein hochgelehrter Herr,
Glich Eurer Majestät nicht sehr,
Gewann kein Reich durch seine Siege,
Um's zu verliern durch neue Kriege,
Und nur mit seinem Reichstag hatte
Er manche heftige Debatte.
Doch glaubt nicht, daß ihm Sorgen fehlten:
Er war den schönen Fraun ergeben,
Die oft durch Launen ihn so quälten,
Daß selbst der Krieg ein beßres Leben
Ihm schien. Doch dies ward bald vergessen
Bei neuen Büchern und Maitressen.
Dann gab er auch prachtvolle Feste,
Ganz Warschau drängte sich, zu schauen
Die Fürstinnen und Edelfrauen,
Die Prinzen und vornehmen Gäste;
Bei Dichtern hieß er der Salomon
Der großen polnischen Nation;
Nur Einer schrieb auf ihn Satiren,
Den er vergessen zu pensioniren.
Schauspiele gab's und Lanzenstechen
Und Jeder wollt' in Versen sprechen;
Ergriffen ward ich selbst davon
Und seufzte wie ein Seladon. –
Am Hofe war ein edler Graf,
Der auch an Reichthum übertraf
Selbst manche Salz- und Silbermine;
Wohl nichts kam seinem Stolze gleich,
Er sah fast aus, als ob's ihm schiene,
Er stamme von dem Himmelreich;
So reich an Schätzen und an Ahnen
Gab's wohl nur wenig Unterthanen.
Wenn er an sein Besitzthum dacht',
An seinen Stammbaum, seine Macht,
So war's, als ob's ihn so bethörte,
Daß die Vernunft er nicht mehr hörte,
Und daß, was ihm das Glück verliehn,
Ihm sein Verdienst zu sein erschien.
Wohl dreißig Jahre wen'ger zählte
Die Gräfin, als ihr Herr Gemahl;
Sie litt an langer Weil', ihr fehlte,
Was ihr erschien als Ideal,
Und zwischen Furcht und Hoffnung schwebend,
Bald süßen Träumen sich ergebend,
Bald Thränen weihend ihrer Tugend,
Warf sie die Blick' auf Warschau's Jugend,
Und wartete auf günst'ge Zeiten,
Auf glückliche Gelegenheiten,
Die häufig selbst die sprödsten Schönen
So zärtlich stimmen, daß sie gern
Den Gatten und gestrengen Herrn
Mit unverhofften Ehren krönen;
Doch Keiner rühmt sich solcher Gabe,
So sehr er auch verdient sie habe.

 

V.

»Ich war ein hübscher Bursch, und sagen
Darf ich's wohl jetzt mit siebzig Jahren,
Daß wir in meinen Jugendtagen
Nicht Viele zu vergleichen waren
In allen jenen eiteln Dingen,
Die edeln Rittern Zierde bringen.
Jung war ich, stark, von frohem Sinn,
Von andrer Farb', als jetzt ich bin,
Nicht so voll Runzeln im Gesicht,
Denn Zeit und Sorgen hatten nicht
Die glatte Stirn mir so zerfetzt:
Von meinen nächsten Blutsverwandten
Und Allen, die mich damals kannten,
Würd' ich verleugnet werden jetzt.
Doch nicht die letzten Jahre haben
Mir Furchen ins Gesicht gegraben;
Das Alter konnt', Ihr werdet's glauben,
Mir Muth und Stärke noch nicht rauben.
Sonst könnt' ich wohl nicht zum Erzählen
Solch einen Ort und Stunde wählen.
Ich spreche lieber von Theresen –
Mir däucht, ich seh' sie wie im Traum
Dort neben dem Kastanienbaum
Ganz, wie sie damals ist gewesen;
Und dennoch fehlt es mir an Bildern,
Die liebliche Gestalt zu schildern.
Ihr Auge, dunkel wie die Nacht,
Glich dem der morgenländ'schen Frauen,
Die Türken haben's uns gebracht,
Wenn wir's bei uns zuweilen schauen; –
Doch strahlte von dem dunkeln Grunde
Ein mildes Licht, wie wenn zur Stunde
Der Mitternacht des Mondes Schein
Sich spiegelt in des Stromes Flut;
Ein Blick der Liebe schien's zu sein
Voll stiller Sehnsucht, doch voll Glut,
Wie wohl ein Heiliger entzückt
Im Sterben auf zum Himmel blickt.
Die Stirn glich an durchsichtiger Helle
Dem See, den in der Mittagsschwüle
Kein Wölkchen trübt und keine Welle,
Wenn draus, von Gottes Hand gemalt,
Des Himmels Antlitz widerstrahlt; –
Die Wangen, Lippen – doch ich fühle,
Dies schon genügt. – Sie ward geliebt
Von mir, sie, die noch jetzt ich liebe,
Wie stets mein Herz sich ganz ergibt
Dem guten wie dem bösen Triebe:
Ja, selbst im Zorne lieben wir!
Der Schatten der Vergangenheit
Folgt uns bis in die spätste Zeit,
Er folgt auch bis zum Tode mir.

 

VI.

»Wir trafen, sahen uns – ich schaute
Sie an und seufzte; sie getraute
Sich nicht zu sprechen, – doch verstand
Ich ihre Antwort, und bekannt
Ist's Jedem wohl, wie tausend Zeichen
Oft unser Aug' und Ohr erreichen
Und uns Gedanken, unbewußt,
Von einer übervollen Brust,
Wir wissen selbst nicht wie, verkünden,
Wie durch ein lautloses Bekenntniß,
Durch ein geheimes Einverständniß,
Sich um die Herzen Ketten winden
Und ein verborgnes Feuer sprühn,
Wie Drähte, die vom Blitze glühn!
Ich sah sie, seufzte, weint' im Stillen
Und hielt entfernt mich wider Willen.
Ich ward ihr endlich vorgestellt,
Und jetzt erst konnten vor der Welt
Wir arglos uns einander sehn.
Wie sehnt' ich mich, ihr's zu gestehn!
Doch zitternd auf den Lippen schon
Starb ungesprochen jeder Ton,
Bis einst – Es gibt bei uns ein Spiel,
Mit dem wir manchen Tag vertreiben, –
Ich kann's hier weiter nicht beschreiben,
Weil mir der Name selbst entfiel, –
Genug, daß einst der Zufall wollte,
Daß ich mit ihr es spielen sollte.
Ob ich gewann, ob ich verlor,
Was galt es mir? Ich war beglückt,
Sie nur zu sehn, ihr nah gerückt
Zu sein, die sich mein Herz erkor.
Gleich einem Posten gab ich Acht,
(Wenn unsrer nur so gut jetzt wacht!)
Und endlich kam es mir so vor,
Daß sie gedankenvoll, zerstreut
Beim Spiele war und nicht erfreut,
Wenn sie gewann, – wenn sie verlor,
Nicht mißgestimmt; ja, ganze Stunden
Erschien sie an den Platz gebunden,
Und mehr durch ihren Wunsch und Willen,
Als um die Lust am Spiel zu stillen.
Ich brütete darüber hin,
Und blitzschnell kam mir's in den Sinn,
Es läg' etwas in ihrer Miene,
Das Hoffnung mir zu geben schiene.
Und nun, als sei der Bann gebrochen,
War auch das Wort schon ausgesprochen,
Mit welchem, was mein Herz empfand,
Ich leise stammelnd ihr gestand;
Doch hörte sie mich an – Wenn Frauen
Nur einmal erst Gehör uns schenken,
So werden sie, drauf könnt Ihr bauen,
Nachher uns nicht abweisend kränken.

 

VII.

»Ich liebt' und fand auch Gegenliebe!
Von Euch, Sire, sagt man, daß Ihr nie
Gehuldigt habt dem sanften Triebe;
Wenn's wahr ist, so verschweig' ich, wie
Beglückt ich war und was ich litt;
Langweilen würd' ich Euch damit.
Jedoch beherrscht nicht Jedermann
So seine Leidenschaft und kann
Sich selbst regieren und daneben
Nationen noch Gesetze geben.
Ich bin ein Fürst – ich war's vielmehr;
Aus Tausenden bestand mein Heer,
Die sich für mich in jeder Noth
Mit Freuden stürzten in den Tod;
Doch ich besaß die gleiche Macht
Nicht über mich. – Ja, wie gesagt,
Ich liebte, und ich ward geliebt,
Und selig ist ein solches Loos;
Jedoch ist unser Glück zu groß,
So wird's von Schmerzen bald getrübt.
Wir sahn uns insgeheim, – die Stunden,
Die mit Theresen ich verbunden
Verbrachte, die, von Sehnsucht glühend,
Ich lang erwartet hatte, die
Vergess' ich wohl im Leben nie;
Sie waren kurz und rasch entfliehend!
Mein Fürstenthum würd' ich drum geben,
Könnt' ich noch einmal sie durchleben,
Könnt' ich der frohe Page sein,
Der nur sein Schwert sein eigen nannte;
Es war ein liebend Herz noch sein,
Von Schmuck und Reichthum aber kannte
Er nur, was die Natur verschafft,
Gesundheit, frische Jugendkraft.
Wir sahn uns heimlich, – doppelt schön
Ist's, hört man oft, sich so zu sehn;
Ich weiß es nicht, jedoch Theresen
Vor aller Welt die Meine nennen
Und meine Liebe laut bekennen,
Das wär' mein schönstes Glück gewesen.

 

VIII.

»Für Liebende gibt's viel Spione;
Sie lauerten auf uns. – Ich glaube,
Wenn auch der Teufel es verschone,
Daß Liebesglück die Ruhe raube
Den Heiligen und daß die Frommen
Darüber leicht in Aerger kommen.
Wir wurden eines Nachts entdeckt,
Aus süßen Träumen aufgeschreckt.
Entsetzlich war des Grafen Zorn;
Ich waffenlos, jedoch verlor'n
War ich, hätt' ich ein Kleid von Stahl
Getragen, durch der Feinde Zahl.
Des Grafen Schloß war nah dabei,
Ich konnt' auf keine Hülfe bauen;
Und schon begann der Tag zu grauen,
Mir schien's, als ob's mein letzter sei.
Zur Mutter Gottes fleht' ich leise
Und zu den Heiligen, bevor
Die Schergen mich in dichtem Kreise
Hinschleppten an des Schlosses Thor.
Theresens Loos erfuhr ich nie,
Denn niemals wieder sah ich sie.
Doch wüthend war der edle Graf,
Daß ihn ein solches Schicksal traf;
Er fürchtete, daß dieser Flecken
Sich auf den Stammbaum könnt' erstrecken,
Und daß dann seines Wappens Ehre
Auf ewige Zeit geschändet wäre.
Für einen Halbgott hielt er sich,
Und Jedermann, besonders ich,
Sollt' nicht geringer von ihm denken:
Und nun mußt' ihn ein Page kränken
An seiner Ehr'! – Es wär' allein
Vielleicht dem König zu verzeihn! –
Ich kann zwar seine Wuth empfinden,
Doch nicht dafür jetzt Worte finden.

 

IX.

»Das Pferd bringt her!« – Sogleich war's da.
Ein schönes Thier war's, wie ich sah,
Ein echter Hengst aus der Ukräne,
Voll Feuerkraft in jeder Sehne;
Er war der freien Steppe Kind,
Wild, wie die Hirsch' im Walde sind,
Von Zaum und Sporen unberührt.
Und schnaubend, hoch empor sich bäumend,
Vor Wuth und Angst zitternd und schäumend,
Ward jetzt er zu mir hergeführt.
Da band mich der Leibeignen Troß
Mit vielen Stricken auf das Roß!
Man ließ es los – frei war das Thier!
Ein Peitschenhieb – es stürzt mit mir
Fort in die grenzenlose Fläche,
Wie vom Gebirg im Lenz die Bäche!

 

X.

»Und vorwärts, vorwärts ging die Jagd!
Ich glaubt', es ginge in den Tod,
Und athemlos gab ich nicht Acht
Auf unsern Weg. Das Morgenroth
Begann am Horizont zu glimmen.
Ich hörte noch die Peitschen krachen,
Vernahm als letzte Menschenstimmen
Nur noch das höhnisch wilde Lachen
Von jenem feigen Schloßgesinde;
Lautgellend brachten's mir die Winde.
In blinder Wuth empor mich reißend,
Im Wahnsinn in die Stricke beißend,
Die statt der Zügel meinen Kopf
Festhielten an der Mähne Schopf,
Heult' ich noch meinen Fluch hervor;
Er traf vielleicht nicht mehr ihr Ohr,
Weil lauter noch als meine Rufe
Hindonnerten des Rosses Hufe.
Es ärgert mich – Ich hätte schon
Mich gern gerächt für ihren Hohn.
Erst später sollt' ich Rache haben:
Ja, von des stolzen Schlosses Mauern,
Von seinen Brücken, seinem Graben,
Sollt' nicht ein Stein sie überdauern!
Kein Grashalm wird jetzt mehr genährt
Von seinen Feldern; Mauerreste
Bekunden kaum noch, wo der Herd
Gestanden hat von jener Feste,
Und oft kann man vorübergehn,
Ohn' eine Spur davon zu sehn.
Ich sah die starken Thürm' in Flammen,
Und krachend stürzten sie zusammen,
Und glühend Blei gleich einem Bache
Entfloß dem halbverbrannten Dache,
Das keinen Schutz bot vor der Rache!
Doch die verschuldet meine Pein
Und in die Steppe mich hinein
Mit Blitzesschnelle damals stießen,
Die dachten sicher nicht daran,
Daß später ich sie so begrüßen
Noch würde mit zehntausend Mann,
Und daß ich meinen Dank damit
Abstatten würde für den Ritt!
Als damals sie mit vielen Stricken
Mich banden auf des Rosses Rücken,
War's gegen mich ein schlimmer Streich;
Doch Zeit macht Alles wieder gleich,
Und bald war auch die Reih' an mir.
Wenn nur den rechten Zeitpunkt wir
Abwarten können mit Geduld,
Dann kann wohl keines Menschen Macht
Für eine nicht verziehne Schuld
Auch der Vergeltung ganz entrinnen;
Sein Feind, der lauernd ihn bewacht,
Wird doch zuletzt das Spiel gewinnen.

 

XI.

»Und weiter! weiter! immer weiter
Entfloh das Roß mit seinem Reiter,
Getragen wie von Windeswehn;
Nichts als die Steppe war zu sehn.
Es lagen schon der Menschen Sitze
Weit hinter uns; – mit solcher Macht
Durchschießen wohl des Nordlichts Blitze
Mit knisterndem Geräusch die Nacht.
Nicht Dorf noch Stadt war zu entdecken,
Doch sah ich fern am Horizonte
Sich einen düstern Wald erstrecken;
Von Menschenspuren aber konnte
Ich nichts erspähn als ein'ge Schanzen,
Die einst wohl aufgeworfen waren
Zum Schutze vor Tatarenlanzen;
Denn durchmarschirt erst vor zwei Jahren
War hier ein großes Türkenheer,
Und, was des Spahi's Huf zertrat,
Erholt sich so geschwind nicht mehr.
Grau war der Himmel, trüb und matt,
Des schwachen Windes leises Stöhnen
Schien wie ein Seufzen mir zu tönen –
So ward ich blitzschnell fortgetragen;
Nicht beten konnt' ich und nicht klagen,
Doch manche kalte Schweißesthräne
Fiel auf des Hengstes starre Mähne,
Der ängstlich und mit wildem Schnaufen
Nur immer schneller schien zu laufen.
Zuweilen dacht' ich wohl, es würde
Ermatten endlich seine Kraft;
Doch seine schlanke, leichte Bürde
Vergaß er in der Leidenschaft;
Sie schien ihm nur ein Sporn zu sein,
Und kaum noch durft' ich mich bewegen
Zur Linderung für meine Pein,
Ohn' ihn noch wilder aufzuregen.
Und endlich matt und leise sprach
Mit ihm ich, – doch, als ob ein Schlag
Ihn träfe bei dem Worte, sprang
Er auf, als wär's Trompetenklang.
Die Stricke schnitten mir die Glieder,
Blutstropfen flossen daran nieder,
Und schlimmer, als es Worte malen,
Verzehrten mich des Durstes Qualen.

 

XII.

»Wir näherten uns schon dem Saum
Des Waldes, der nach beiden Seiten
Sich grenzenlos schien auszubreiten;
Er war mit manchem alten Baum
Besetzt, der ungebeugt den Stürmen,
Die aus Sibiriens Wüsten brausen
Und eisigkalt das Laub zerzausen,
Schon lange trotzte; gleich den Thürmen
Erhoben sie sich einzeln zwischen
Den niedrigern und jüngern Büschen.
Und üppig war der Wald belaubt,
Noch hatte keine kalte Nacht
Ihn seines frischen Grüns beraubt
Und häßlich roth das Laub gemacht, –
Wodurch die Blätter blut'gen Leichen,
Die auf dem Schlachtfeld liegen, gleichen,
Die nachts im Winter unbegraben
Vom scharfen Frost so hart erstarren,
Daß trotz des Hungers oft die Raben
Vergebens ihres Fraßes harren. –
In dem Gebüsche standen Bäume,
Kastanien, Eichen, hohe Fichten,
Doch waren weit die Zwischenräume,
Und nichts wohl könnt' ich jetzt berichten,
Wenn's anders war; jedoch zum Glück
Bog das Gesträuch sich leicht zurück,
Zerschmetterte nicht meine Glieder
Und ritzte mich nur hin und wieder.
Von meinen Stricken festgehalten,
Hatt' ich schon wieder Muth gewonnen,
Und auch das Blut war beim Erkalten
In meinen Wunden hart geronnen:
Da, während wir das Laub durchrauschten,
Sah ich, wie Wölfe uns belauschten;
Nachts waren sie auf unsrer Fährte,
Daß ich dicht hinter uns sie hörte.
In ihrem langen scharfen Trabe,
Mit dem sie selbst die Hund' ermatten,
Verfolgten uns sie wie die Schatten,
Und noch nach Tagesanbruch habe
Ich durch den Wald sie schleichen sehn;
Die Nacht schien nimmer zu vergehn,
Stets war ich in der Wölfe Mitte
Und hörte raschelnd ihre Tritte.
Wie sehnt' ich mich nach einem Schwert,
Um einzuhauen in den Haufen,
Um nur, nachdem ich mich gewehrt,
Mein Leben theuer zu verkaufen!
Als kaum mein Wettlauf war begonnen,
Da wünscht' ich schon das Ziel gewonnen;
Doch jetzt begann ich mit Entsetzen
Mißtrauen in mein Pferd zu setzen.
Unnütze Zweifel! – Seine Kraft,
Wie wohl die Wildniß nur sie schafft,
Sie sollt' uns jetzt zur Rettung dienen:
Denn schneller noch als Schneelavinen,
Wenn im Gebirge sie die Hütten
Der Bauern wie ein Grab verschütten,
Ging durch den Wald des Rosses Lauf,
Und unermüdet hört's nicht auf,
Die Wuth noch immer mehr zu steigern,
Wie's sonst wohl ein verzognes Kind
Macht, dem wir einen Wunsch verweigern,
Wie Frauen, die noch wilder sind,
Wenn sie, beleidigt, ihren Willen
Im Stande sind auch zu erfüllen.

 

XIII.

»Nach Mittag war es, als der Wald
Aufhörte; doch die Luft war kalt,
Obgleich's im Juni war – vielleicht
Hab' ich mich nur so kalt gefühlt,
Weil, wenn uns langes Leid erweicht,
Der stärkste Muth zuletzt sich kühlt.
Denn ungestüm war noch mein Sinn
Und anders ich, als jetzt ich bin;
In leidenschaftlicher Erregung
Vergaß ich alle Ueberlegung.
Und nun in Todesangst zu schweben,
Dem Frost und Hunger preisgegeben,
Von Scham gequält und von den Wunden,
Nackt auf ein wildes Roß gebunden!
Mich, dessen Stamm so heißes Blut
Durchströmt, daß es, gereizt zur Wuth,
Gleich einer Schlang' in Zorn ausbricht,
Wenn sie, getreten, zischend sticht, –
Mich mußten wohl so viele Leiden
Und Schrecken endlich überwinden!
Ich konnte nichts mehr unterscheiden,
Der Boden schien mir zu verschwinden,
Der Himmel drehte sich im Kreise,
Und endlich war's, als ob ich leise
Versänk' in ungemeßne Räume;
Wie trunken wirbelten die Bäume,
Ich hörte noch ein dumpfes Brausen
In meinem Ohr, wie Sturmessausen,
Ein Blitz durchzuckte mein Gesicht –
Es war für mich das letzte Licht;
Das Herz stand still, des Todes Macht
Umhüllte mich mit dunkler Nacht.
So lag ich lang, und endlich schien
Die Finsterniß beinah zu schwinden;
Doch konnt' ich nicht trotz meiner Mühn
Ganz mein Bewußtsein wiederfinden.
So mögen wohl auf schwachen Planken
Schiffbrüchige, von Meereswellen
Geschaukelt, auf- und niederschwanken,
Bis an den Klippen sie zerschellen.
Denn unstät flackerte mein Leben,
Wie wenn in Fieberphantasien
Wir matt die heißen Augen schließen
Und Funken tanzend uns umschweben,
Die, wenn sie auch vorüberziehn,
In wüste Träume nur zerfließen.
Ist dieses wahre Todespein,
So muß der Tod schon schrecklich sein;
Doch fürcht' ich, schlimmere Beschwerden
Bedrohn uns, ehe Staub wir werden –
Wie's uns auch mag im Tod ergehn,
Ich hab' ins Antlitz ihm gesehn!

 

XIV.

»Und mein Bewußtsein kehrte wieder.
Wo aber war ich? Meine Glieder
Zwar waren starr und kalt, dem Leben
War ich jedoch zurückgegeben;
Es strömte doch das Blut zum Herzen,
Und fühlen konnt' ich meine Schmerzen.
Und ein Getöse traf mein Ohr,
Mein Herz fing stärker an zu schlagen,
Und endlich, wie durch einen Flor,
Begann's vor meinem Blick zu tagen.
Mir war's, als hört' ich Wogen schäumen
Und sähe Stern' am Himmelsdom,
Und nicht blos sollt' es mir so träumen:
Das wilde Roß durchschwamm den Strom!
Des breiten Flusses klare Wogen
Umkreisten uns in weiten Bogen,
Und mitten drinnen rang mein Pferd,
Dem fremden Ufer zugekehrt.
Vom Wasser war der Krampf gelöst
Und frische Kraft mir eingeflößt;
Mein starrer Leib war neugetauft.
Und wacker kämpft das Roß und schnauft,
Die breite Brust durchbricht den Schaum,
Und kleiner wird der Zwischenraum.
Doch winkte mir kein Rettungshafen
Als wir auf festen Boden trafen,
Denn hinter uns war's öd und düster,
Vor uns noch finsterer und wüster.
Wie lang am Tag und in der Nacht
Vorher ich träumend zugebracht,
Weiß Gott allein, – an jene Stunden
Ist jed' Erinnrung mir geschwunden.

 

XV.

»Vom Wasser trieft des Rosses Mähne,
Es dampft und schäumt, es schwankt und keucht;
Doch spannt' es krampfhaft jede Sehne,
Bis es des Ufers Rand erreicht.
Und als die Höhe wir erklommen,
Sah ich, so weit die dunkeln Schatten
Der Nacht zu sehen mir gestatten,
Im grauen Nebel wie verschwommen
Endlos die Steppe sich erstrecken.
Nur einzeln konnt' ich weiße Flecken
Und hier und dort ein dunkles Grün,
Wenn's Mondlicht durch die Wolken schien,
In dieser Wüstenei entdecken;
Doch späht' ich überall vergebens
Nach einer Spur menschlichen Lebens.
Kein Lichtstrahl leuchtete von fern
Durch diese Nacht als günst'ger Stern,
Selbst keines Irrlichts Flackerschein
Verhöhnte neckisch meine Pein;
Und freudig hätt' ich es begrüßt,
Es hätt' ein falscher Hoffnungsschimmer
Für einen Augenblick doch immer
Mir meine bittre Qual versüßt.

 

XVI.

»Und vorwärts ging's – jedoch die Kraft
Des wilden Renners war erschlafft,
Und mühsam keuchend, matt und träge,
Verfolgt er langsam seine Wege.
Ein Kind hätt' ihn um diese Zeit
Regiert mit seinen schwachen Händen;
Doch konnt' ich seine Folgsamkeit
Zu meinem Nutzen nicht verwenden, –
Ich hätte wohl, auch nicht gebunden,
Dazu nicht mehr die Kraft gefunden.
Und ich begann mich anzustrengen,
Die starken Banden zu zersprengen;
Doch mit so schwächlichem Bemühn
Konnt' ich sie nur noch straffer ziehn,
Und bald schon ließ ich davon ab,
Weil mir's nur neue Schmerzen gab.
Zu Ende schien der Lauf zu gehn,
Doch war kein Ziel für mich zu sehn.
Und endlich sah ich trüb und schwach
Lichtstreifen durch den Nebel dringen;
Doch ach, wie langsam schien der Tag
Sich mühvoll draus hervorzuringen!
Die Dünste ballten sich zusammen,
Und dann, in purpurrothen Flammen
Erglühend, stieg die Sonn' empor
Und scheuchte fort der Sterne Chor,
Um, einsam selbst am Himmelszelt,
Neu zu beleben eine Welt.

 

XVII.

»Der Tag war da, der Nebel schwand,
Ich übersah das wüste Land.
War ich, den Wölfen kaum entkommen,
Umsonst durch jenen Strom geschwommen?
Von Menschen weder, noch von Thieren
Konnt' ich das kleinste Zeichen spüren.
Kein Weg war da – nichts von Kultur,
Wie leblos ruhte die Natur;
Die Luft sogar schien zu verstummen,
Ich hörte keinen Käfer summen,
In keinem dichten Busch erklang
Der frohen Vögel Frühgesang.
Und kraftlos strauchelnd, todesmatt,
Verfolgt das Roß noch seinen Pfad,
Und immer bleiben wir allein!
Da plötzlich – sollt' es Täuschung sein? –
Vernahm ich einen Schall, als hört'
Ich wiehern im Gebüsch ein Pferd.
Braust so der Wind in jenen Zweigen?
Nein, nein! Doch vor dem Walde zeigen
Sich Pferde dort in mächt'gen Scharen,
Die stampfend uns entgegenkommen!
Ich wollte schreien, doch es waren
Dazu die Kräfte mir genommen.
Die Pferde stürmen immer weiter,
Doch nirgends sah ich ihre Leiter,
Wohl tausend Pferd' und keinen Reiter!
Wie flattern ihre Schweif' und Mähnen!
Wie sich die Nüstern schnaubend dehnen!
Noch hat sie kein Gebiß entehrt,
Kein Eisen ihren Huf bewehrt,
Kein Sporn hat ihre Haut zerfetzt,
Kein Peitschenhieb sie je verletzt.
So kommen sie herangezogen,
Als ob sie uns begrüßen wollen,
Gleichwie vom Ocean die Wogen
Lautdonnernd an die Küste rollen.
Von diesem Schauspiel neu belebt
Für einen Augenblick, erbebt
Mein armes Roß und wiehert leise
Als Antwort auf den Gruß, – im Kreise
Sich drehend, stürzt es endlich nieder.
Die Augen seh' ich gläsern starren,
Noch einmal zucken seine Glieder,
Die lange schon des Todes harren,
Und niemals heben sie sich wieder.
Da nahen uns die wilden Pferde,
Sie sehn das Roß schon auf die Erde
Gestreckt und mich daraufgebunden
Mit blut'gen Stricken und voll Wunden;
Sie stutzen, bleiben schnüffelnd stehn,
Um uns neugierig zu besehn
Und plötzlich wieder aufzuspringen.
In weiteren und engern Ringen
Umkreist uns nun die ganze Schar,
(Ein großer, starker Rappe war
An ihrer Spitz' und auch kein Haar
War weiß an ihm, kein einz'ger Flecken
In seinem Felle zu entdecken) –
Sie schnauben, schäumen, wiehern, schlagen,
Und dann, geschwind umkehrend, jagen
Sie nach dem fernen Wald zurück,
Als scheuten sie des Menschen Blick. –
So lag ich – hoffnungslos, allein
Und an das todte Thier gekettet!
Von seiner Last und seiner Pein
War jetzt es durch den Tod errettet;
Ich hätte doch uns niemals trennen,
Uns beide nie befreien können.

Ja, sterbend lag ich auf der Leiche!
So hülflos war ich, daß ich glaubte,
Daß nimmer über meinem Haupte
Ein neuer Morgen mehr verstreiche.
Und dennoch mußt' ich noch so liegen
Bis an den Sonnenuntergang,
Den ganzen Schreckenstag entlang;
Die Lebenskraft schien zu versiegen –
Wie langsam schlichen mir die Stunden!
Doch wenn die Hoffnung ganz geschwunden,
So müssen wir uns wohl ergeben
In das, was wir das ganze Leben
Hindurch als größtes Uebel scheuen,
Und das doch unvermeidlich ist,
Ja meistens nur als eine Frist
Erscheint, die schließlich uns befreien
Von unsern Leiden soll. Und doch
Vermeiden wir's wie eine Schlinge
So sorgsam, als ob wirklich noch
Mit Vorsicht ihm man wohl entginge;
Ja, wenn auch Mancher ihn begehrt
Und ihn beschleunigt durch das Schwert,
So bleibt doch auch in höchster Noth
Stets schwarz und fürchterlich der Tod!
Und sonderbar! – Wem im Genuß
Der Welt das Leben hingeflossen,
Wer Liebe, Wein und Ueberfluß
An Schätzen reichlich hat genossen,
Der scheint oft ruhiger zu sterben,
Als solche, die nur Elend erben.
Denn wer am Schönen und am Neuen
Abwechselnd stets sich konnte freuen,
Läßt nichts, was er vermißt, zurück
Und hofft nicht mehr auf neues Glück;
Und die verschiedne Nervenstärke
Läßt mehr als gut' und schlechte Werke
Uns ruhig oder nur mit Grauen
In jene dunkle Zukunft schauen.
Der Arme, der von seinen Leiden
Das Ende hofft und nur mit Freuden
Den Tod begrüßen sollt', empfindet
Ihn so, als ob er ihm den Lohn
Für Alles, was er litt, entwindet.
Der nächste Morgen kann ja schon,
Was er entbehrte, reich ersetzen;
Es wär' vielleicht der erste Tag,
Dem nicht er weinend fluchen mag;
Und hell und glänzend, voll von Schätzen,
Erscheint er ihm nun zwischen Thränen,
Die kühnsten Wünsche wird er krönen –
Und diesen Tag, der Alles geben
Ihm würde, soll er nicht erleben?

 

XVIII.

»Die Sonne sank. – Ich lag allein
Noch auf der starren Leiche. – Sollte
Auch unser Staub vereinigt sein?
Mein Aug' umflorte sich, ich wollte
Und hoffte nichts als meinen Tod.
Ich sah empor; im Abendroth
Erblickt' ich einen Raben kreisen,
Der nur auf mich zu warten schien,
Um dann auf uns zur Nacht zu speisen.
Und näher sah ich fliegen ihn,
Sich setzen und sich wieder heben,
Und einmal saß er dicht daneben;
Ich wollte wieder fort ihn jagen,
Jedoch zu schwach, um ihn zu schlagen,
Erhob ich mühsam nur die Hand
Und kratzte zitternd in dem Sand,
Wobei so jammervoll ich stöhnte,
Daß kaum es menschenähnlich tönte:
Da flog er fort. – Mein letzter Traum,
Und dessen auch gedenk' ich kaum,
War etwas wie ein lieber Stern,
Der meine Blicke traf von fern,
Bald heller, bald mit schwächern Strahlen;
Und plötzlich ward die Haut mir kühl,
Ein fürchterliches Angstgefühl
Ergriff mich mit des Todes Qualen
Und schnürte mir die Brust zusammen, –
Vor meinen Augen zuckten Flammen,
Mich überlief es kalt wie Eis,
Und röchelnd seufzte noch ich leis –
Dann weiß ich nicht mehr, was geschah.
Gleich einem Todten lag ich da.

 

XIX.

»Und ich erwache! Beugt sich hier
Ein Menschenantlitz zu mir nieder,
Und wölbt ein Dach sich über mir?
Sind weich gebettet meine Glieder?
Bin ich vom Tode denn genesen?
Ist eine Sterbliche das Wesen,
Das milde blickend mich bewacht?
Ich schloß die Augen, denn ich dacht',
Es wäre nur ein schöner Traum.
Ein schlankes, großes Mädchen stand
Bei meinem Lager, an die Wand
Sich lehnend, sah mich an, und kaum
Erwacht' ich aus dem Todesschlaf,
Als auch ihr Blick den meinen traf.
Ihr dunkles Feuerauge schaute
Mitleidig forschend zu mir her,
Bis endlich meinem Aug' ich traute.
Kein Traumgebilde war es mehr,
Ich war entfesselt und erfreute
Des Lebens mich und wurde nicht
Der Geier und der Raben Beute!
Und lächeln sah ich ihr Gesicht; –
Ich wollte nun mit ihr auch sprechen,
Doch konnt' ich's noch nicht, und sie hob
Den Finger an den Mund, als ob
Ich nicht das Schweigen sollte brechen,
Bis erst ich kräftiger mich fühle.
Dann nahte sie sich, ich empfand
Den leisen Druck von ihrer Hand;
Sie glättete noch meine Pfühle,
Und endlich sah ich auf den Zehn
Durch's Zimmer sie zur Thüre gehn.
Sie öffnete, doch ich vernahm
Ihr Flüstern noch, und niemals kam
So sanft mir eine Stimme vor;
Wie lieblich klang sie meinem Ohr!
Jedoch die Mutter, der sie rief,
Verstand sie nicht, da fest sie schlief;
Ich sah darauf sie weiter gehn,
Doch wandte sie sich noch zurück,
Warf wiederum auf mich den Blick,
Und gab durch Zeichen zu verstehn,
Daß keine Furcht ich haben solle,
Und bald sie wiederkommen wolle; –
Doch als sie fort war, fiel's mir ein,
Ich wäre nur zu sehr allein.

 

XX.

»Sie führte dann die Aeltern her. –
Jedoch was soll ich Euch noch mehr
Von meinem weitern Lebenslauf
Erzählen? Die Kosaken nahmen
Mich freundlich auf in ihre Mitte;
Sie hoben mich bewußtlos auf,
Als sie zu meiner Rettung kamen,
Und brachten mich in jene Hütte;
Sie schenkten mir ein neues Leben,
Um einst die Herrschaft mir zu geben!
Der eitle Narr, der mir so grollte,
Daß, um die Rache zu verschärfen,
Er nackt mich in die Wildniß werfen
Und dort verhungern lassen wollte,
Verhalf mir so zu einem Thron!
Wo gibt es Sterbliche, die schon
Im Voraus ihr Geschick erführen?
Drum laßt uns nicht den Muth verlieren!
Wenn unsre müden Rosse morgen
Erst auf dem türk'schen Ufer weiden,
Dann hoff' ich auch, daß unsre Sorgen
Zu Ende gehn und unsre Leiden.
Gut' Nacht, ihr Herrn!« –

Der Hetman streckte
Sich auf sein Bett von Blättern nieder,
Worüber er den Mantel deckte,
Und schloß auch bald die Augenlider;
Er war's gewohnt, ihm galt es gleich,
Ob hart das Lager oder weich.
Und wenn ihr meint, daß Karl den Dank
Für die Geschichte wohl vergessen,
So wißt, daß längst er unterdessen
In einen tiefen Schlaf versank.

Anmerkungen zu Mazeppa.

Diesem Gedichte (geschrieben zu Venedig um 1817-18) schickte Byron folgende Stellen aus Voltaire's »Geschichte Karls XII.« (Kap. 12) voraus:

»... Diesen Rang bekleidete damals ein polnischer Edelmann, Namens Mazeppa, gebürtig aus dem Palatinat Podolien; er war als Page des Königs Johann Kasimir erzogen worden und hatte sich an dessen Hofe einen Anflug schönwissenschaftlicher Bildung erworben. Nachdem ein Liebeshandel, welchen er in seiner Jugend mit der Frau eines polnischen Edelmanns hatte, entdeckt worden, ließ ihn der Letztere ganz nackt auf ein wildes Pferd binden und in diesem Zustande fortjagen. Das Pferd, aus der Ukräne stammend, kehrte dahin zurück, mit Mazeppa auf dem Rücken, der vor Hunger und Erschöpfung halb todt war. Einige Bauern kamen ihm zu Hülfe; er blieb lange bei ihnen und zeichnete sich in mehren Streifzügen gegen die Tataren aus. Die Ueberlegenheit seiner Bildung gab ihm großes Ansehen bei den Kosaken, und sein von Tag zu Tag sich mehrender Ruf zwang den Zaren, ihn zum Fürsten der Ukräne zu machen.

»... Dem fliehenden und verfolgten König wurde das Pferd unter dem Leibe getödtet; der Oberst Gieta, obwohl selbst verwundet und stark blutend, gab ihm das seinige. So brachte man diesen Eroberer, der während der Schlacht das Pferd nicht hatte besteigen können, zweimal in den Sattel.

»... Der König schlug mit einigen Reitern einen andern Weg ein. Die Kutsche, in welcher er saß, zerbrach unterwegs; man setzte ihn auf ein Pferd. Um das Unglück voll zu machen, verirrte man sich in der Nacht in einem Walde; und da der Muth seine erschöpften Kräfte nicht mehr ersetzen konnte, die Schmerzen seiner Wunde durch die Anstrengungen noch unerträglicher geworden und auch sein Pferd vor Müdigkeit gestürzt war, so legte er sich auf einige Stunden am Fuß eines Baumes nieder, um zu schlafen, trotz aller Gefahr, von den Siegern, die auf allen Seiten nach ihm suchten, überfallen zu werden.«


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