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Zunächst will ich von meinem Beruf berichten, alsdann der »Berufung« ein Wort widmen.
Es hat mich glücklich genug im Leben getroffen, beides, Beruf und Berufung (soweit ich mich als »berufen« zu fühlen glaube), in Harmonie vereinigen zu können, obschon es mich bisweilen ungeduldig machen wollte, daß der Beruf mir wenig Zeit ließ für mein »Eigenes«.
Ich gehe häufig auf Reisen, manchmal weit weg von daheim, oft aber nur so weit das badische Ländle reicht, von Konstanz und Pfullendorf bis Wertheim und Boxberg. Mein Beruf als Leiter einer großen Vereinigung, des Landesvereins »Badische Heimat«, der Kultur und Kunst im Land am Oberrhein in Zeugnissen sammelt und über die Zeiten hinaus schaubar macht, führt mich auch ins fernste Schwarzwalddorf, in die stillste Kleinstadt im Odenwald ebenso wie in die Kulturzentren des langgestreckten Landes zwischen Rhein und Schwarzwald, in die Städte Konstanz, Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim, um nur einige wahllos zu nennen. Nun, wo unser Raum über das andere Ufer des Rheins hinaus sich weitete, zum Wasgenwald hinüber, ins Elsaß, nach Burgund, hat die bisher nur still ins entrissene Land deutschen Blutes wirkende Arbeit den wirklichen Grund wieder gewonnen. Und die Städte Straßburg, Kolmar, Schlettstadt, Mülhausen sind wieder unserem oberrheinischen Kulturgebiet angefügt wie die andere Hälfte eines kostbaren Ringes. In meinen Büchern klingt überall das Elsaßerlebnis in seinem tragischen Unterton mit.
Freiburg gehört natürlich dazu inmitten des alemannischen Gebietes, wo ich am 9. März 1891 geboren wurde als Sohn eines Vaters aus Schlesien, dessen fernere Vorfahren in der Mark, Siedler im fernen Osten, ja einer noch nicht erwiesenen Überlieferung zufolge schwedischer Abkunft gewesen sind. Auch meiner Frau väterliche Sippe reicht nach Schweden, dies in gerader Linie auf einen Fähnrich aus Gustav Adolfs Heer zurück, dessen Wunden von einer braunschweigischen Bauerntochter gepflegt worden waren, so daß er diese Hand der Liebe nie mehr missen wollte; aber unsere beiderseitigen Mütter sind alemannischer Herkunft, die Sippen sitzen heute noch im Bauern- und Rebland der alten Markgrafschaft zwischen Freiburg und Basel. Die Großmütter sind mit der breisgauischen oder mit der markgräflerischen Schleifenkappe auf dem Scheitel, dem großen Mailänder Seidentuch oder dem zarten Spitzenschal um die Schultern zur Hochzeit und in die Kirche gegangen. Beide waren mit Gütern gesegneten, stolzen Geschlechtern zugehörig, und viele schwere Schicksale haben tief in den geistigen und erbtümlichen Bestand ihrer Sippen eingegriffen, weil eben dieser deutsche Südwesten bald Kernland, bald Grenzland gewesen.
Geschichte, für die in unseren Sippen, bei Männern wie bei Frauen, viel Wissen und Teilnahme blieb, zeichnete den Charakter eines ganzen Volkes; es wurde stolz auf Eigenes, beinahe hartnäckig, treu der Obrigkeit, wenn sie freizügig vaterländisch war, aufgetan der bodenständigen Kunst und Wissenschaft, gewissenhaft in frommen Dingen. Abspaltungen weltläufiger Geister vom seßhaften Leben in der Heimat hat es merkwürdig viel gegeben. Meine Urgroßeltern sind mehrmals in Amerika gewesen, das Fernweh trieb sie fort, das Heimweh zog sie wieder zurück. Und diese Unruhe des süddeutschen Blutes wühlt weiter, wir alle haben einen Spritzer davon und sind vor raschen Entschlüssen, Flüchten gleich vollbracht, nicht gefeit. Ich hatte viele Geschwister. Alle haben sie irgendeine künstlerische Gabe, eines malt, eines singt, alle sind vorab der Musik, absolut musikalisch, zugetan.
Dies alles spielt in meinem Dichten und Trachten mit. Es sind, wie unser volksdeutscher Dichter am Oberrhein, der unverwüstliche Johann Peter Hebel sagt, die »Sache ehne dra«, die geheimen Kräfte hinter den gegenwärtigen Mächten, die Sachen hinter den Dingen, die sich formen wollen und der dichterischen Aussage zustreben. Und weil unsere Sippen groß und vielfältig gegliedert, arm und reich verzweigt, hochbegabt, vergeistigt und wieder schlicht der Scholle zugewandt zum Volksteil in der fruchtbarsten der deutschen Landschaften geworden sind, können alle Bücher, die hinausgehen, nur von Volk und Landschaft berichten, selbst wenn die Ichform mir unterläuft, das heißt sich förmlich aufdrängt beim Niederschreiben dessen, was wohl schon seit Jahren sich durch Gedanken, Erlebnisse, Ergebnisse, durch Kampftage und stille Seligkeiten klärte und zugleich verdichtete, vom Alltäglichen abgelöst, aber nicht den Alltag verachtend oder gar, was noch schlimmer ist, ihn zum Himmel auf Erden mit falschen Farben und verlogener Musikbegleitung umlügend aus Unfähigkeit und Selbstbetrug. Zu hart ist besser als zu weich, zu bunt freilich auch gesünder als grau, zu derb erträglicher als zu sanft. Lärmen soll der Dichter nicht, aber auch nicht immer flüstern. Er muß über alle Register, von erhabener Stimme zum ersterbenden Lächeln verfügen; denn dies spielt der Alltag täglich durch, wo er es wert ist, verdichtet und durchleuchtet zu werden. Es gibt keine Mehrzahl von Alltag, Alltage gibt es nicht – er ist zahllos, und er war gestern wie er übermorgen sein wird, einfach und ist zeitlos. So soll in einer Dichtung, im Lied, im Gedicht, in der Erzählung, im dichterischen Bericht, dem ernsten Bruder des Unterhaltungsromans, das Bildnis von Volk wohl in seinen einzelnen Gliedern und seinem Einzelgeschehen zeitlos gestaltet sein als Gleichnis, als Beispiel, als Sinnbild.
Das sieht, so gesagt, vielleicht ein wenig verwickelt aus, aber wer das Buch eines Dichters liest, vielleicht die dichterischen Berichte, die man, weil es noch kein anderes Wort dafür gibt, Roman nennt, des »Bauernadel«, des »Tulipan und die Frauen«, der »Kleinen Frau Welt«, der »Leute von Burgstetten«, des »Hans Fram«, des »Fegfeuers«, des »Heiner und Barbara«, des »Tauträgers«, des »Erdgeist«, verspürt, daß sich die Verwicklung des bekennerischen Planes von selber auflöst.
Ich mußte hier von mir reden und tue dies nicht aus eitlem Selbstvergnügen. Ich schäme mich aber auch gar nicht, von mir zu reden als dem in die lange Kette verwandter Sippen eingeschlossenen Glied, das weiß, ohne die Wissensträger und seelischen Kraftfelder derer, die vor mir kamen und derer, die um mich leben, bin ich nichts, mit ihnen alles: Volk, Mann der Arbeit und – wenn es so bestimmt ist – Dichter über die Zeit meiner Erdentage hinaus.
Diese Erdentage haben im Lenz 1891 begonnen im Haus zum alten Löwen am Oberlindenplatz in Freiburg. Sie haben sich durch ein Lehrerexamen, durch Weltkriegsjahre an der westlichen und an der russischen Front hindurchgezählt, sind von Musik durchtönt worden, der ich einmal wesentlicher zu dienen glaubte als der Dichtung. An Lebensgefahren und zermürbenden Nöten ist kein Mangel gewesen, davon soll man nicht zuviel reden. Mein Dasein ist infolge eines diesbezüglichen Titels nicht professoral, nein, nicht professional (oh, diese Fremdwörter!) geworden: Es hat viel Steigung und auch viel – Gefälle. Sollt' es denn anders sein im Schicksalsreich der Deutschen, bei einem von den vielen, die bisweilen ein Augenblitz der schöpferischen Gnade trifft?
Allerdings ist mir Hast fremd. Als »Erdgerüchler« von volksfernen Kritikern früher abgetan, sah ich nie einen anderen Weg vor mir als in Werk und Wesen nach dem Wachstum zu streben, das tiefe Wurzeln in Blut und Erde hat und den Atem in der Welt, der nahen und der fernen Welt.
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