Jacob Burckhardt
Reisebilder aus dem Süden
Jacob Burckhardt

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Elegie II

Aus »Deutscher Musen-Almanach für das Jahr 1853, herausgegeben von D. F. Gruppe«.

 

        Du, in den Winkel gedrückt, schweinsledergebundenes Büchlein,
Hinter den vordern Reih'n tief in den Schatten gestellt,
Steige, des Bücherbretts bescheidenster Bürger, hernieder
Puh! – weg blas ich den Staub; sieh Theokrit, Hesiod!
Und den hellenischen Text genüber nach alter Gewohnheit,
Die für die Schwachen gesorgt, dehnt sich ein treues Latein.
Gruß euch, »Werke und Tage« und euch, sizilische Lieder,
Hier, wo Boreas stürmt durch den herkynischen Wald!
Einsam sitz ich am Herde und lausche dem fernen Gesänge,
Der Jahrtausende her tönt über Meer und Gebirg.
Götter wandeln vorbei, der Urzeit ländliche Sitten 189
Glaub ich zu schaun, und dich, Küste des südlichen Meers,
Dich von Hymnen umrauscht, von heiligen Hainen und Wassern,
Kranz der vergangenen Welt, o syrakusische Flur!
Und im Busen erneut Sehnsucht ihr altes Gelübde,
Dich noch einmal zu sehn, mildes hesperisches Land!
Der ich so vieles verlor, gern stieg ich hinab zu den Vätern,
Wenn das beste mir einst südliche Sonnen gereift.
Dann zur glücklichen Fahrt sollst du mich begleiten, o Büchlein!
»Ach wie lange?« – Geduld! höre den nächsten Entschluß:
Wenn zum siebentenmal sich rundet die Scheibe des Vollmonds
Und am Himmel regiert Sirius' heißes Gestirn,
Und das Geschick mirs fügt, dann nehm ich auf flüchtige Wochen
Übers Gebirg dich mit in das lepontische Tal,
Und wie Hamilkars Sohn dem staunenden Heer in den Alpen
Zeig' einstweilen ich dir Pforten italischer Au'n.
Sei nicht neidisch! es harrt in der Tasch' ein alter Gefährte,
Mein Virgil, den einst ich zu Ancona gekauft
Nahe dem Bogen Trajans, und der mich von Adrias Ufern
Herbstliche Täler entlang führte zum ewigen Rom. 190
Wandert beide mit mir! nicht mächtige Römerruinen,
Prunkende Städte zu schau'n, noch das unendliche Meer;
Doch am heißen Mittag in schattigen Schluchten gelagert,
Von Waldströmen umtost, blättr' ich und nasch' ich in euch;
Über uns wogt vom Zephyr bewegt, der Kastanie Laubdach,
Hell durchs felsige Tor leuchtet die Ferne herein;
Dort im schwellenden Grün, auf kühlen Lianen und Farrnkraut
Sollst du verweilen mit mir Stunden des Traums, Theokrit!
Oder in Dörfern am See ausruh ich mit dir auf der Steinbank
Wölbiger Hallen; davor plätschert die blinkende Flut,
Spiegelt die Sonne zurück und erhellt an der Mauer das alte
Bild der Madonna, wo rings Schwalben ihr Nestlein gebaut.
Also träum ich mit euch, bis längere Schatten den Abend
Mir ankünden – hinaus dann über Tal und Gebirg!
Purpurn glühn aus Wäldern hinab einsame Kapellen,
Hell aus Rebengehäng ragen die Villen empor,
Nicht Paläste! da füllt nicht Marmorgebilde die Säle 191
Doch vom hohen Altan winkt mir ein gastlicher Gruß.
Nochmals nehmet mich auf, die ihr so traulich den Fremdling,
Nicht ihn kennend, empfingt! Gönnt einen Abend mir noch
Jenem gleich, da fröhlich umringt von Alten und Jungen
Ich mit Lachen und Scherz eure Gesänge gelernt,
Während goldene Glut umfloß das Gebirg und die Tale,
Bis am reinen Azur Sterne der Dämm'rung erwacht.
O, noch klingen bei Nacht mir die Lieder aus jenen beschwingten
Stunden ins Ohr, wie dir, seeliger Geist, Theokrit,
Als heimkehrend vom Fest der Demeter jenen Gesang du
Schufst, Jahrtausende noch Sehnen zu wecken und Lust!

 


 


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