Edward Bulwer-Lytton
Tomlinsoniana
Edward Bulwer-Lytton

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Fragmente

oder

kritische, sentimentale, moralische und Original-Versuche, seinen Schülern gewidmet

von Augustus Tomlinson.

Man wird oft in den vorliegenden Aufsätzen die Ironie der vorangehenden vermissen. Die Krankheit des großen Mannes, die ihn befiel, als er diese kleinen Edelsteine zusammensetzte, machte ihn vielleicht ernster, als er bei voller Gesundheit war.

Anmerk. des Herausgebers.

Von der Moralität, welche der Reiche dem Armen beibringt.

Sobald der arme kleine Zottelbär aus der Thüre heraustorkeln kann, lehrt man ihn, vor den Vornehmen den Hut herabziehen und Kratzfüße machen. »Ein guter kleiner Junge,« sagt der Squire, »da hast einen Pfennig!« Der gute kleine Junge glüht vor Stolz. Dieser Pfennig prägt ihm tief die Lehre der Erniedrigung ein. Jetzt geht unser kleiner Zottelbär in die Schule. Da kommt natürlich der Katechismus; dieß Handbuch der Moral muß ins Herz gesenkt werden – warum? Weil er besser als alle andere Handbücher auf die dem Reichen schuldige Ehrfurcht dringt. Weil es hauptsächlich die Armen verpflichtet, unterwürfig zu seyn und Jeden zu ehren, der besser gekleidet ist als sie. Ein Pfund Ehre dem Squire, und eine Unze dem Bedel. Dann schießt der Knabe auf und der Inhaber des Herrenhauses unterweist ihn wie folgt: »Sey ein braver Bursche, Tom, dann will ich für dich sorgen; tritt in die Fußtapfen deines Vaters; er war ein vortrefflicher Mann, und sein Tod ein großer Verlust für das Kirchspiel; er war sehr höflich, ein harter Arbeiter, ein wohlgemachtes Wesen, kannte seinen Beruf; denke und handle wie er!« So pflanzen beständige harte Arbeit und Uebermaß von Kriecherei die Tugenden der Ahnen bei den Bauern ins Unendliche fort bis zum Tag des Gerichts.

Eine andere heimtückische Art, die Moralität zu erzeugen, hat man angewendet durch ein allgemeines Lob der Armen. Man hört falsche Freunde des Volks, die sich Liberale nennen, und Tory's, die eine halb ritterliche, halb pastoralische Idee von der Moral haben, im Lobe der unglücklichen Geschöpfe zusammenstimmen, welche sie für sich arbeiten lassen. Aber bemerkt, wegen welcher Tugenden die Armen immer gepriesen werden: Fleiß, Ehrlichkeit und Zufriedenheit. Die erste Tugend wird zum Himmel erhoben, weil der Fleiß den Reichen Alles liefert, was sie haben; die zweite, weil die Ehrlichkeit verhütet, daß ihnen von Allem was sie haben Nagelsgroß wieder genommen wird; und die dritte, weil die Zufriedenheit die armen Teufel abhalten soll, etwas gegen ein Schicksal einzuwenden, das für diejenigen, welche dabei gewinnen, so behaglich ist. Dieß, meine Schüler, ist die Sittlichkeit, welche die Reichen den Armen beibringen.

Nacheiferung.

Der große Irrthum bei der Nacheiferung besteht darin: wir wollen es den Wirkungen gleichthun, ohne die Ursachen zu untersuchen; wenn wir von den großen Thaten eines Mannes lesen, so sind wir gleich im Feuer, ähnliche Unternehmungen auszuführen, ohne uns erst eine genaue Kenntniß der Eigenschaften zu verschaffen, welche unser Vorbild zu den Thaten, welche wir bewundern, befähigten. Könnten wir diese auffinden: wie oft würden wir entdecken, daß sie ihren Entstehungsgrund in einer gewissen körperlichen Stimmung, einer gewissen Eigenthümlichkeit der Leibesbeschaffenheit hatten, und daß wir, wünschen wir dieselben Erfolge hervorzudringen, die Beschaffenheit unsers Körpers untersuchen sollten, statt die Fähigkeiten unsers Geistes zu schärfen, daß wir nach Schwungkugeln greifen sollten, statt nach Büchern; ja auch, auf der andern Seite uns eher einen Schmerz, eine Beschwerde auferlegen, als unsere moralische Gesundheit vervollkommnen. Wer kann sagen, ob Alexander ein Held geworden wäre, hätte er einen geraden Hals gehabt? oder Boileau ein Satiriker, wäre er nie von einem Truthahn gepickt worden? Es müßte ergötzlich seyn, Euch, meine Schüler, zu sehen, wie Ihr nach der Lektüre des Quintus Curtius einander den Hals verdrehtet; oder frisch vom Boileau weg in den Hühnerhof eiltet, in der Hoffnung, zu einem zweiten Lutrin verstümmelt zu werden.

Warnung vor den Spöttern der Illusionen.

Meine geliebten Schüler! es giebt eine Classe von Personen in der Welt, welche täglich anwächst, gegen die Ihr sehr auf der Hut seyn müßt; sie haben etwas Zauberhaft-gewinnendes an sich. Es sind Leute, welche sich für heftige Feinde der Lüge ausgeben; artige, freisinnige Gesellen, scharfsichtig und unbefangen. Wenn diese Ansichten aus eigenem Nachdenken entspringen, wohl und gut, dann sind es die besten Ansichten von der Welt; aber Viele überkommen sie nur so aus der zweiten Hand; sie sind verwünscht einladend für die Trägheit des vornehmen Pöbels, der nur auf den schwärmerischen Anstrich eines edlen Grundsatzes, und nicht auf seinen Nutzen sieht. Wenn Einer Alles durch die verkleinernde Brille dieser Filosofie sieht, so hat Alles eine ziemliche Beimischung von Lüge und Täuschung. Ihr lacht mit ihm, wenn er die Täuschung in der Religion, in der Politik, in der Liebe, in den Urtheilen der Welt verspottet; aber aufschreien müßt Ihr, meine geliebten Zöglinge, wenn er verhöhnt, was man gewöhnlich am sichersten durch die That verspottet: das täuschende in der gewöhnlichen Ehrlichkeit. Die Menschen sind ehrlich aus Religion, Weisheit, Vorurtheil, Gewohnheit, Furcht und Dummheit; aber nur die Wenigsten sind weise, und die Leute, von welchen wir reden, verspotten die Religion, sind über Vorurtheil hinaus, durch keine Gewohnheit gebannt, zu gleichgültig für die Furcht, und zu erfahren für die Dummheit.

Allgemeine Entrüstung über Unklugheit des Einzelnen.

Ihr müßt wissen, meine theuern jungen Freunde, daß, wenn gleich der Anschein von Großmuth Euch sehr zu Statten kommt und so weiter, es Euch doch große Mißbilligung zuziehen würde, wenn Ihr versuchen wolltet, sie zu euerm eigenen Nachtheil auszuüben. Eure Nebenmenschen sind so unwandelbar, obwohl vielleicht unbewußt, von Eigensucht beseelt; Eigensucht ist so ganz und gar, obgleich jeder Schwätzer es läugnet, die Axe der moralischen Welt, daß sie vor Wuth außer sich gerathen gegen den, der derselben zu vergessen scheint. Wenn Einer sich selbst ruinirt, so hört nur, welche Schmähungen er einnimmt! seine Mitmenschen nehmen es wie eine persönliche Beleidigung auf!

Dum defluat amnis.

Ein Hauptgrund, warum Männer, die hohe Stellen bekleidet haben, sich so getäuscht finden, wenn sie ins Privatleben zurücktreten, ist der: die Erinnerung macht eine Hauptquelle des Genusses für denjenigen aus, der lebhaft zu hoffen aufhört; aber das Gedächtniß des angesehenen Mannes führt ihm nur das öffentliche Leben vor, das ihm zuwider geworden ist. Sein Privatleben ist unvermerkt dahingeschwunden und hat nur schwache Spuren der Sorge oder der Freude hinterlassen, welche ihn zu sehr beschäftigt fanden, um die einfachen, ruhigen Eindrücke des häuslichen Lebensverlaufes zu beachten.

Selbstverherrlicher.

Die Vorsehung scheint es einer gewissen Classe von Menschen angethan zu haben, welche immer das Ihrige durch ein verschönerndes Medium erblicken, ihr Haus für das beste in der Welt halten, ihr Gewehr für das zuverlässigste und ihre Jagdhunde für wahre Wundertiere; wie Oberst Hanger den Oekonomisten einen Rath gab, nemlich ihre Diener Jeden mit einer großen Brille zu versehen, so daß eine Lerche so fett wie ein Hahn erschiene und ein Zweipfennigbrod wie ein mächtiger Laib.

Priester dem Caracalla unähnlich.

Ihr wißt, meine jungen Freunde, auf welche Weise Caracalla seine Liebe für Alexanders Andenken kund gab: dadurch daß er alle peripatetischen Filosofen verfolgte, weil man Aristoteles im Verdacht hatte, bei Alexanders Tod betheiligt zu seyn; Ihr dürft Euch keineswegs einbilden, die Priester ahmen in ihrer Liebe für das Andenken des Heilands auch nur entfernt dem Caracalla nach!

Ein Gedanke über das Glück.

Oft ist es die allerleiseste Bewegung, welche einem Spiel den Ausschlag giebt. Das Glück ist wie die Dame, bei der ein Liebhaber alle seine Nebenbuhler dadurch ausstach, daß er eine weitere Litze auf seine Livreen setzte.

Witz und Wahrheit.

Mag man immerhin sagen: Erdichtung sey die Quelle der Fantasie und Witz sey das Widerspiel der Wahrheit: dennoch sind einige der witzigsten Worte von der Welt witzig allein wegen ihrer Wahrheit. Die Wahrheit ist die Seele eines guten Ausspruchs. – »Ihr behauptet,« bemerkt der Sokrates der neuen Zeit, »wir haben eine tugendhafte Vertretung; sehr wohl, dann müssen wir auch eine tugendhafte Besteurung haben!« Hier liegt der Witz in der Nothwendigkeit des Schlusses. Als Columbus das Ei zerbrach, wo lag der Witz? In der Bündigkeit der Beweisführung durch das zerbrochene Ei.

Individuelle Theologie.

Nicht nur jede Sekte, sondern jedes Individuum modificirt die allgemeinen Attribute der Gottheit in Gemäßheit seines eignen Charakters; der rechtliche Mensch legt ein besonderes Gewicht auf die Gerechtigkeit, der herbe auf den rächenden Zorn; die Eigenschaften, welche dem Verehrer nicht gefallen, vergißt er unter der Hand. Deßhalb, o meine Schüler, werdet Ihr nicht lächeln, wenn ihr bei Barnes lest, daß die Pygmäen Gott selbst für einen Zwerg hielten. Die fromme Eitelkeit des Menschen treibt ihn, seine eignen Eigenschaften anzubeten, unter dem Vorwand, die der Gottheit zu verehren.

Ruhmvolle Verfassung.

Ein Satz ist oft so gut wie ein ganzes Buch. Wenn Euch Jemand bittet, ihm einen Begriff von den Gesetzen Englands zu geben, so ist die Antwort kurz und leicht: Unter den Gesetzen Englands finden sich ungefähr hundert und fünfzig, vermöge deren ein armer Teufel gehängt werden kann, aber nicht Eines, vermöge dessen er Gerechtigkeit erlangen kann um Nichts!

Antwort auf das gewöhnliche Gewäsche: guter Wille sey besser bei einem Staatsmann als Talente.

Da wir in der Welt auf die Handlungen, nicht auf die Triebfedern zu sehen haben, so ist der ein Schuft, der Euch Unrecht thut und Ihr fragt nicht lange, ob das Unrecht Folge der Bosheit oder der Nothwendigkeit war. Vertraut einem Dummkopf Macht an, so wird er ohne es zu wissen zum Schuft. Herr Addington brachte die zwei schlimmsten und heillosesten Steuern auf, welche nur menschliche Bosheit erfinden konnte – eine auf die Arzneien, die andre auf die Gerechtigkeit. Wie hätte die sinnreiche Furcht eines Tyrannen uns tiefer verwunden können, als dadurch, daß man uns Vergütung von Unrecht und Heilung unserer Krankheiten erschwerte? Addington war ein Dummkopf von Haus aus und ein Schuft in seiner Stelle, aber, Gott schütz' Euch! er glaubte das selbst nie.

Gesunder Menschenverstand.

Gesunder Menschenverstand – gesunder Menschenverstand. Von allen Redensarten, allen Schlagworten ist oft dieß das anmaßendste und gefährlichste. Ein argwöhnisches Auge richtet insbesondere auf den gesunden Menschenverstand, so oft er im Streit liegt mit dem Entdeckungsgeist. Gesunder Menschenverstand ist die Erfahrung jedes Tags. Eine Entdeckung läuft oft der Erfahrung des täglichen Lebens zuwider. Kein Wunder also, daß, als Galileo eine große Wahrheit verkündigte, Alles schrie: »Pah! der gesunde Menschenverstand zeigt ja das Gegentheil!« Rede einem vernünftigen Manne zum erstenmal von einer Theorie des Sehens, und höre, was sein gesunder Menschenverstand dazu sagt. In einem Brief aus Bacons Zeit sagt der Schreiber, ein Mann von nicht geringer Einsicht: »Es ist Schade, daß der Kanzler seine Meinung gegen die Erfahrung so vieler Jahrhunderte und die Aussprüche des gesunden Menschenverstandes setzt!« Gesunder Menschenverstand also, so brauchbar in Haushaltungssachen, ist in der Sfäre der Gesetzgebung und Wissenschaft minder brauchbar, als man gewöhnlich geglaubt hat. Seiner Natur nach der Vertheidiger des Althergebrachten und der Feind alles Speculativen, widersetzt er sich der neuen Filosofie, welche sich auf die Vernunft beruft, und hängt sich an die alte, die durch Autoritäten sanktionirt und gestützt ist.

Liebe und Schriftsteller über die Liebe.

Meine warmen, heißköpfigen, glühenden jungen Freunde, Ihr seyd in der Blüthe Eures Lebens und schreibt Verse über die Liebe – sprechen wir denn auch ein Wort von der Liebe. Es giebt zwei Arten von Liebe, allen Menschen und den meisten ThierenDen meisten Thieren denn einige scheinen für die Liebe aus Gewöhnung unempfänglich. gemeinschaftlich: die eine entspringt aus den Sinnen, die andre erwächst aus der Gewöhnung. Keine von beiden nun, meine geliebten Schüler, ist diejenige, welche Ihr zu empfinden behauptet: die Liebe der Liebenden. Eure Leidenschaft, welche, ohne daß Ihr es anerkennt, ihren Grund nur in den Sinnen hat, verdankt alles Uebrige der Einbildungskraft. Nun aber ist die Einbildungskraft der meisten Menschen verschieden nach Art und Grad in jedem Lande und in jedem Zeitalter; demgemäß natürlich auch die Liebe aus Einbildungskraft; um Euch davon zu überzeugen, beobachtet nur, wie Ihr mit der schwärmerischen Liebe andrer Zeiten oder Nationen nur in dem Verhältniß harmonirt, als Ihr mit deren Poesie und schöner Literatur sympathisirt. Die Liebe, welche in Arkadia oder in Amadis von Gallien sich brüstet, ist für die große Masse der Leser durch Kälte abgeschmackt oder durch Feierlichkeit lächerlich. Ach! als diese Werke Begeisterung erweckten, da that dieß auch die darin geschilderte Liebe. Die langen Reden, die eiskalten Complimente drückten die Empfindungen jener Zeit aus. Die Liebes-Madrigale aus Shenstone's Zeit, oder die goldstarrenden Galanterieen der französischen Dichter im letzten Jahrhundert würde jedes Weib für hohl oder kindisch, schwächlich oder verkünstelt erklären. Aber Einmal waren die Lieder natürlich und die Liebe verführerisch. Und jetzt, meine jungen Freunde, im Jahre 1818, in dem ich schreibe und wahrscheinlich sterbe – die Liebe, welche in Moore's Poesieen schimmert und mit so ehrgeiziger Zweideutigkeit Byron's Gedichte durchzieht; die Liebe, welche Euch jetzt so tief und wahr erscheint; die Liebe, welche die Herzen der jungen Damen durchbebt und Euch junge Herren nach dem Abendstern stieren macht – diese ganze Liebe wird einem spätern Zeitalter fremd oder lächerlich werden; und die jungen Schmachtenden, und die Mondscheinträume und das haltungslose, überschwängliche Gedudel, das uns jetzt so rührend und erhaben vorkommt, das Alles wird, meine lieben Jungen, dahin gehen, wohin auch schon Cowleys Geliebte und Wallers Sacharissa gegangen sind; wird dahin gehen mit den Saffo's und Chloe's, den anmuthigen, bezaubernden Feen und den ritterlichen Huldinnen und Prinzessinnen. Die einzige Liebes-Poesie, welche zu allen Zeiten besteht und alle Herzen anspricht, ist diejenige, welche sich auf eine oder beide Arten von Liebe gründet, die allen Menschen gemeinschaftlich sind; die Liebe der Sinne oder die Liebe der Gewöhnung. In der letztern ist miteinbegriffen, was Männer von mittlerem Alter vernünftige Neigung nennen; und der Zauber verwandter Seelen so wie auch der freundliche und wärmere Schatz von kleinen Erinnerungen an einfache Güte, oder die ganz dumpfe Gewohnheit ein Gesicht zu sehen, wie man einen Stuhl sehen würde. Dieß nun, bald ehrlich herausgesagt, bald künstlich vermengt, macht das Thema derjenigen aus, die vielleicht am redlichsten und menschlichsten geliebt haben; dieß macht noch jetzt den Tibullus pathetisch und den Ovidius zum Meister in zärtlichen Empfindungen; dieß vor Allem bringt jene unwiderstehliche, herzergreifende Begeisterung hervor, welche den romantisch Schwärmenden, den Berechnenden, den Alten, den Jungen, den Hofmann, den Bauer, den Dichter, den Geschäftsmann ergreift bei den herrlichen Liebesgedichten von Robert Burns. Hier ist der Geschmack der süßen und doch körperhaften irdischen Wirklichkeit, hier Fleisch und Blut!

Das große Fideikommiß.

Das große Erbe der Menschheit ist ein Gewebe von Mißgriffen; ein Geschlecht bringt sein Leben damit zu, die ihm von einem andern überlieferten Irrthümer zu flicken; und die Hauptursache aller politischen – d. h. der schlimmsten und allgemeinsten Mißgriffe, ist diese: dieselbe Regel, welche bei uns für individuelle Fälle gilt, wenden wir nicht auf das Oeffentliche an. Alle Menschen geben zu, daß beim Pferdehandel prellen eine Prellerei ist; man straft den Angeklagten und verurtheilt das Vergehen. Aber im Staat ist keine solche Einstimmigkeit. Prellen, der Herr helfe uns! benennt man mit manchen zierlichen Namen, und der Betrug betitelt sich großsprecherisch: Politik! In Folge dessen ist ein beständiger Kampf zwischen Denen, welche die Sachen bei ihrem rechten Namen nennen, und welche ihnen hartnäckig einen falschen geben. Daher alle Arten von Verwirrung; diese Verwirrung erstreckt sich sehr bald auf die für einzelne Fälle gemachten Gesetze; und so, obgleich die Welt noch ganz darüber einverstanden ist, daß Privatprellerei – Privatprellerei ist, hat man doch im Staatsleben des Teufels Noth, sie zu bestrafen. Die Kunst zu prellen ist heut zu Tage etwas ganz Anderes, als sie vor hundert Jahren war; aber die Gesetze bleiben dieselben. Anbequemung in Privatfällen ist Neuerung im Oeffentlichen; und so macht man neue Gesetze, ohne die alten zu widerrufen; und jene sind nun bisweilen wirksam, aber weit häufiger nicht. Nun ist, meine geliebten Schüler, das Gesetz ein Gewehr, das, wenn es eine Taube fehlt, immer eine Krähe tödtet; wenn es nicht den Schuldigen ereilt, doch sonst Jemand trifft. Wie jedes Vergehen ein Gesetz erzeugt, so umgekehrt auch jedes Gesetz ein Vergehen, und darum schreiten wir immer vor, Sünden und Uebel, Fehler und Mißgriffe vervielfältigend, bis die Gesellschaft zum organisirten Institut zum Beutelschneiden wird.

Die Wiedergeburt eines Schelmen.

Einer der in der Welt als Narr anfängt, hört oft damit auf, daß er ein Schelm wird; aber Wer als ein Schelm anfängt, und ein reicher Mann (also nicht gehängt) wird, kann, meine geliebten Schüler! als ein frommes Wesen abschließen. Und der Grund ist dieser: ein Schelm von Jung auf erwirbt sich bald Weltkenntniß. Ein durchgebadeter Fehler macht uns weiser als fünfzig Lehrmeister. Aber die Weisheit macht uns die Ruhe lieben, und in der Ruhe sündigen wir nicht. Wer weise ist und nicht sündigt, kann fast nicht anders als Gutes thun; und nun laßt ihn nur Eine neue Wahrheit aussprechen, so vermag seine Einbildungskraft gar nicht mehr das grenzenlose Heil zu fassen, welches daraus für die Menschen entspringen kann!

Der Styl.

Begreift Ihr wohl, welch eine wunderbare Sache es um den Styl ist? Ich glaube nicht; denn in den Aufsätzen, welche Ihr eingeschickt habt, verrieth Euer Styl, daß Ihr kein recht ernstes Nachdenken darauf verwendet habt. Wißt denn: Ihr müßt Euch wohl besinnen, eh' Ihr Euch ein Muster für Euern Styl auslest. Von Euerm Styl hängt oft Euer Charakter ab; beinah immer aber der Charakter, den Euch die Welt beilegt. Wenn Ihr den erhabenen Styl annehmt; wenn Ihr edle Ausdrücke und volltönige Worte zusammenkoppelt, so habt Ihr damit eine Geisteseigenthümlichkeit ausgesprochen und an den Tag gelegt, welche auch zu bethätigen, Euch unvermerkt der Wunsch kommen wird; der Wunsch erzeugt allmälig die Fähigkeit. Das Leben des Dr. Parr ist nur der zur That gewordene Styl des Dr. Parr. Und Lord Byron macht sich selbst für sein ganzes Leben unglücklich, weil er zufällig in die schwermüthige Ausdrucksweise hineingerathen ist. Aber gesetzt auch, Ihr entgehet diesem Mißgeschick durch besondere Stärke des Temperaments: so entgeht Ihr doch nicht dem Stempel der öffentlichen Meinung. Addison muß immer bei der Menge als der Freundlichste der Menschen gelten, wegen der schmeichelnden Anmuth seines Ausdrucks; und die Bewunderer der Sprache werden immer Burke für einen edlern Geist als Fox halten, wegen der Pracht seiner Sätze. Wie viele weise Aussprüche nannte man Späße, weil sie auf witzige Art gesagt wurden. Wie manches Nichts brachte seinem Urheber den Ruhm eines Weisen ein, ja! eines Heiligen, weil es aufgestützt war von der alten scheinheiligen Nonne: Ernsthaftigkeit!


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