Edward Bulwer
Paul Clifford. Sechstes Bändchen
Edward Bulwer

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Sinkt nicht mit ihm zu Grab
Das Süßeste was mir das Schicksal gab,
Stirbt nicht die Hoffnung mir, des Lebens Trost
          *           *           *             *
Die Lehren, die ans Herz die Klugheit legt,
Sie waren tief der Seele eingeprägt,
Da stand geschrieben Warnung, so wie Rath,
Und dem Geheiße folgte rasch die That,
Er schien von allen Leidenschaften ledig.
          *           *           *             *
Doch Mancher hielt dafür, sie schliefen nur!

Crabbe.

O Liebesreste! holder Lenz des Lebens!

A. Watts, bei Verbrennung von Briefen.

Gar Viele düstere Gedanken geh'n,
In tiefer Trauer durch die bange Brust!
Du hättest's auch mit Thränen angeseh'n!

Mrs. Hemans.

Während Sir William Brandon seine ehrgeizigen Pläne verfolgte und trotz Luciens fester und beharrlicher Verschmähung des Lord Mauleverer noch immer auf dieser unpassenden Heirath bestand, während Mauleverer selbst Tag für Tag im Hause des Richters erschien, und obgleich er kein Wort von Liebe sprach, doch durch sein ganzes Benehmen nach Kräften sie an den Tag zu legen suchte, mußte es Jedermann außer dem Liebhaber und dem Vormund auffallen, wie Luciens Aussehen und Gesundheit rasch abnahm. Seit dem Tage, wo sie Clifford zum letztenmal gesehen, hatte ihr zuvor schon heftig erschütterter Geist es verschmäht, auch nur einen Schein seiner von Natur fröhlichen und glücklichen Stimmung wieder anzunehmen. Sie wurde schweigsam und in sich gekehrt, selbst ihre Sanftmuth ging zuweilen in mürrische, reizbare Verstimmung über. Weder zu Büchern, noch zur Musik, noch zu irgend einer Kunstfertigkeit, womit man die Zeit betrügt, nahm sie ihre Zuflucht, um auch nur für kurze Frist die bittern Empfindungen ihres Herzens sich zu erleichtern, aber den stets regen Stachel derselben in vorübergehende Vergessenheit zu versenken. Ihr Gemüth war seinem ganzen Wesen und Umfang nach erschüttert, ihr Stolz war verwundet, ihre Liebe vergällt, ihr Vertrauen wich endlich düsterem schwarzen Verdacht. Nichts, das fühlte sie wohl, als gänzlicher Ruin des guten Namens und Glückes konnte die verstockte Hartnäckigkeit rechtfertigen, womit er sie aufgegeben und verlassen hatte. Ihre Selbstlossprechunq tröstete sie auch nicht mehr in ihrer Betrübniß. Sie verdammte sich selbst wegen ihrer Schwäche, von der Entstehung ihrer unseligen Neigung an bis zu der Wendung, welche sie jetzt genommen hatte. »Warum bekämpfte ich sie nicht gleich Anfangs?« sagte sie mit Bitterkeit, »warum erlaubte ich mir so leicht, einen Unbekannten zu lieben, einen Mann von zweideutigem Charakter trotz den Warnungen meines Oheims und dem Geflüster der Welt?« Ach! Lucie bedachte nicht, daß damals, als sie dieser Schwäche sich schuldig machte, sie noch nicht gelernt hatte, so zu überlegen, wie sie jetzt überlegte und dachte. Ihre Geistesfähigkeiten waren noch nicht vollständig erweckt, ihre Welterfahrung lautere Unwissenheit gewesen. Sie wußte kaum, daß sie liebte, und ahnte durchaus nicht, daß das köstliche lebhafte Gefühl, das ihr Wesen durchdrang, je die Quelle von so viel Unglück und Gefahr werden könnte, als nun der Fall war, und wäre auch ihre Vernunft schon entwickelter gewesen und ihre Entschließungen kräftiger: vermögen denn immer Vernunft und Entschließungen gegen die Königin der Leidenschaften etwas auszurichten? Die Liebe ist allerdings nicht unüberwindlich, aber wie Wenige haben wirklich mit voller Seele sie zu bemeistern getrachtet? Täuschung erzeugt ein Gelübde, aber das Herz vergißt es wieder. Oder, in dem edeln Bild einer Schriftstellerin zu sprechen, die so zart und wahr die Empfindungen ihres Geschlechts schildert:

»Wir bauen in Gedanken
Die Leiter wo die Engel niedersteigen,
Wir selber aber liegen schlafend unten.«Die Geschichte der Leyer von L. E. L.
Wir haben vernommen, daß diese reizende und liebenswürdige junge Dame, nicht zufrieden mit ihren Triumfen in der Poesie, im Begriff steht unser Gebiet, die Prosa, zu betreten und in diesem Augenblicke mit der Abfassung einer Novelle sich beschäftigt. Dürften wir, die wir vielleicht mehr als einmal selbst die Erwartungen des Publikums getäuscht haben, uns das Vermögen zutrauen, seine Erwartungen von Andern zu beleben: so wagen wir gerne die Profezeihung großen und verdienten Beifalls, welcher besagter Novelle, wofern sie erscheint, zu Theil werden wird. Jedermann weiß, daß die Dichterin der Improvisatorin über die Hülfsquellen des Gefühls, des Gedankens, der Einbildungskraft und einen außerordentlichen Reichthum von Anschauungen und Glut der Darstellung zu gebieten hat; aber vielleicht weiß nicht Jedermann, daß ihr eben so das zu Diensten steht, was meist noch mehr dazu beiträgt, einer Novelle Berühmtheit zu verschaffen: nemlich anmuthiger und lebhafter Witz, scharfe und richtige Beobachtung, ein sicherer Takt in den Abstufungen und dem Wechsel des Tons und vor Allem die Kunst, Kleinigkeiten recht unterhaltend zu behandeln.

Eh Clifford sie das letztemal gesehen, hatte Lucie, wie wir bemerkt, immer noch (und dieß war ein Trost für sie,) den Glauben gehegt, daß trotz den äußern Anzeigen und seinem eigenen Bekenntnis, doch sein früheres Leben nicht von der Art gewesen sey, um alles Recht auf ihre Neigung zu verwürken; und nicht selten waren die Augenblicke, wo sie, bedenkend, daß der Tod ihres Vaters das einzige Wesen entrückt hatte, das unbestreitbare Ansprüche besaß, ihre Handlungen mitzubestimmen, dachte: Clifford könnte auf die Nachricht, daß sie ganz frei über ihre Hand zu verfügen habe, wieder erscheinen und eine Bewerbung erneuen, welche abzulehnen sie sich durch beinahe keine Rücksichten konnte bewogen finden. Dieß ganze, nur halb gestandene, aber ernste Gewebe von Gedanken und Hoffnungen löste sich von dem Augenblick an auf, wo er ihres Oheims Haus verließ. Seine Worte duldeten keine Mißdeutung. Er war nicht einmal auf ihre Herablassung eingegangen und ihre Wangen brannten bei dieser Erinnerung. Aber er liebte sie! Sie sah, sie erkannte es aus jedem Wort und Blick. Eine bittere und schwarze Erinnerung mußte wohl sein Gewissen beschweren, welche durchaus nicht den Beweggrund zu überwältigen vermochte, der ihn trieb, sie zu verlassen, als er sie für immer sich hätte zueignen können! Zwar hatte er, als er früher in einem Briefe ihr Lebewohl sagte, auch die gleiche sich selbstanklagende Sprache geführt – es fanden sich dieselben unheimlichen Hindeutungen und Anspielungen auf Schande oder Schuld darin; aber nie bis jetzt hatte sie dieselben im strengen Sinne verstanden, und nie bis jetzt hatte sie sich träumen lassen, wie weit ihre Bedeutung gehe. Und doch – welche Verbrechen konnte er begangen haben? Die Wahrheit kam Lucien nie in den Sinn. Sie schauderte, sich selbst zu fragen und beschwichtigte ihre Zweifel durch ein trübes, starres Schweigen. Aber trotz allen ihren Selbstanklagen und trotz ihrem gegen Clifford erwachten Verdacht, konnte sie doch nicht umhin sich zu gestehen, daß etwas Edles und ihrer nicht Unwürdiges in seiner Handlungsweise lag und seinen Widerstand gegen seine eigenen und ihre Wünsche veranlaßte; und dieser Glaube vielleicht beunruhigte sie eben, weil er sie rührte, und nährte in ihren Empfindungen einen beständigen Kampf und Streit, welchen ihr zarter Körper und ihr weiches Gemüth auszuhalten nicht im Stande waren. Wenn einmal die Nerven brechen, wie sehr bricht damit auch die Kraft des Charakters! Wie manchen verwitterten und versauerten Ascetikern begegnen wir in der Welt, bei denen es nur Einer Erschütterung des Herzens oder des Körpers bedurft hätte, um sie auf die Seite der sanften Weichheit hinüberzulenken! Sey Kummer oder Krankheit der Grund: der Schlag, welcher eine einzige Fiber verstümmelt, richtet eine seltsame Zerstörung in der Seele an. Wir sind die Sklaven unserer Muskeln und vom Triebwerk des launenhaften Bluts abhängige Puppen; und die herrliche Seele mit all ihren Fähigkeiten, ihren prächtigen Attributen und hochklingenden Ansprüchen ist, so lange sie irdisch, nur das Spielwerk dieses eitlen Gesellen, des Körpers; – vom Traum an, mit dem sie eine Stunde tändelte, bis zum Wahnsinn, der sie schüttelt, daß sie Tollheit schwatzt, daß sie lachend mit ihren eigenen Trümmern spielt und von Blindheit umnachtet ins Grab taumelt!

Wir haben oben gesagt, Lucie habe ihren Oheim und seine Gesellschaft geliebt; und noch jetzt, wenn nur Lord Mauleverer und seine Bewerbung nicht Gegenstand des Gesprächs wurde, lag etwas in der Unterhaltung Sir William Brandons, was ein Interesse in ihrer Seele erweckte, so sehr sie sich mit ihren eigenen Anliegen verzehrte. Wirklich setzten Kummer und das den Kummer gerne begleitende Nachdenken sie mehr und mehr in Stand, einen sehr feinen und tiefverschlungenen Charakter zu fassen. Es gibt kein so treffliches Mittel, zur Kenntniß des menschlichen Herzens zu gelangen, als Seelenleiden, besonders solche, welche aus Leidenschaften entstehen. Ueberrascht dich ein Schriftsteller durch seinen tiefen Blick in dein Wesen, so sey versichert, daß er schon Leid getragen hat; eine solche Schule ist die Alchymie der Thränen. Daher die immermehr um sich greifende, beinahe allgemeine Begriffsverwirrung, welche Schwermuth mit Tiefe verwechselt und das Lachen zum Symbol der hohlsten Leerheit stempelt. Beklagenswerther Irrthum! das Nachdenken führt uns zuerst in Dämmerung, aber seine nächste Station ist die Klarheit. Der lachende Filosof hat das Ziel der Weisheit erreicht; Heraklit wimmerte noch an den Auslaufsschranken. Doch für Lucie war es schon viel, wenn sie nur die Vorhalle der Filosofie erreichte.

Ungeachtet des Verdrusses, den wir natürlich gegen Jeden empfinden, der einen mißfälligen Gegenstand hartnäckig immer wieder vorbringt, ungeachtet des Eifers, womit Brandon Mauleverers Bewerbung unterstützte, fühlte sich doch Lucie seltsamer Weise mit einer gewissermaßen töchterlichen Zärtlichkeit zu diesem rätselhaften Menschen hingezogen; ja trotz der kalten, abgemessenen Art seines Charakters, – trotz der harten, abgestorbenen, winterlichen Fühllosigkeit, womit er die Wohlfahrt Anderer, oder Treue, Ehre, Tugend betrachtete, – trotz der Verknöcherung und Versteinerung seiner Empfindungen, die kein sterbliches Wesen auch nur für einen Augenblick erweichte, die keine warme und gesunde Aufwallung, außer höchstens zu einer rasch verfliegenden Glut, aufregte: trotz dieser vollendeten Verhärtung und Verweltlichung des Gemüths, wird es doch nicht unglaublich klingen, wenn wir sagen, daß Lucie in diesem Manne zu Zeiten etwas mit ihrem eigenen lebhaften und edeln Wesen Verwandtes fand. Dieses war jedoch nur dann zu bemerken, wenn sie ihn von frühern Zeiten zu reden veranlaßte und wenn allmälig der sarkastische Rechtsmann die Gegenwart vergaß und nicht über die Handlungen, sondern die Gefühle der Vergangenheit beredt wurde. Er konnte ihr Stundenlang von seinen Jugendträumereien, oder seinen Beschäftigungen, seinen Entwürfen als Knabe vorerzählen. Vor Allem liebte er es, sich mit ihr von Warlock zu unterhalten, seinen Ueberbleibseln von der alten Herrlichkeit, von den grünen Ufern des anmuthigen Flusses der den Besitzungen Fruchtbarkeit verlieh, und der Sommerpracht der Wälder und Heiden, welche seine Mittagsträume genährt hatten.

Wenn er von diesen Gegenden und Zeiten sprach, wurde seine Miene sanft und etwas in seinem Ausdruck, das in Lucien das Bild eines ihr noch theureren Wesens erweckte, zog sie noch mehr zu ihm hin. Eine Eisrinde schien von seiner Seele weggebrochen und Ströme entfesselter, zarter Empfindungen, mit wohlwollenden und großmüthigen Gefühlen gemischt, ergossen sich daraus. Plötzlich warf ihn ein Gedanke, ein Wort in die Gegenwart zurück – seine Züge erstarrten wieder plötzlich zu ihrer kalten Ruhe oder geheimem höhnischem Lächeln; das Siegel wurde plötzlich wieder auf den gelösten Zauber gedrückt und wie ein verwünschtes Geschöpf in einem Zaubermährchen zu einer bestimmten Stunde eine andere Gestalt annimmt, so war es, als ob das Wesen, dem man zugehört, auf einmal verschwunden und durch ein anderes ersetzt sey, das man mit Staunen ansah. Aber über Einen Zeitpunkt seines Lebens blieb er immer stumm, und dieß war gerade sein Eintritt in seine jetzige Laufbahn – die Periode seines frühsten Trachtens nach Reichthum und Ehre. Dieser ganze Zeitraum erschien wie eine schwarze Kluft, über die er gewandert und ein ganz Anderer geworden war, wie ein Reisender, der unter einem fremden Himmel landet, sobald er die Küste berührt, dessen Sitten und Sprache annimmt.

Alle Männer, auch die bescheidensten, haben einen gemeinsamen Fehler, der aber oft Domino und Maske vornimmt – Stolz! Brandon jedoch hatte diese Eigenschaft in einem Grade, wie er selten bei Männern vorkommt, welche sich in der Welt gehoben und ausgebreitet haben. Aus den Trümmern aller andern Gefühle errichtete sich dieser alle überlebende Sieger und Herr einen großen Palast zu seiner Residenz und nannte das Gebäude: Verachtung. Bitterer Menschenhaß war das innerste Mark von Brandons Natur; selbst über seiner einschmeichelndsten Verstellung, der Sanftheit seiner Stimme, seinem einnehmenden Lächeln, der gefälligen und gewinnenden Anmuth seines Benehmens, schwamm wie Oel ein glatter Hohn, der zwar selten erkennbar war, aber immer, nach Stärke und Menge, zu der dadurch bewirkten Ruhe in genauem Verhältnis stand.

Inzwischen, während im Privatleben sein Charakter sich so entfaltete und solche Widersprüche zeigte, stieg sein Name mit reißender Eile in der öffentlichen Schätzung. Ungleich vielen seiner Amtsgenossen hatte der glänzende Rechtsmann die von ihm gehegten Erwartungen übertroffen und erschien sogar noch ausgezeichneter in den weniger durch Zufälligkeiten unterstützten Amtspflichten eines Richters. Selbst der Neid – und Brandons politische Giftzunge machte ihm, trotz seiner persönlichen Leutseligkeit, viele Feinde, – sah sich gezwungen, seine gründliche Gesetzkenntnis anzuerkennen und die Art zu bewundern, wie er die eigenthümlichen Verrichtungen seiner neuen Würde erfüllte. Kein junger Advokat überraschte, kein durchtriebener Rabulist verwirrte ihn; auch verirrte sich seine Aufmerksamkeit nie auch von dem armseligsten Gegenstand, der vor seinen Richtstuhl kam. Ein Maler, der auf seine Leinwand das Bild eines unbeugsamen Richters hätte auftragen wollen, konnte schwerlich sein Ideal besser verwirklicht finden, als in dem strengen, gesammelten, lebhaften und doch majestätischen Angesicht Sir William Brandons, so wie er sich im Schmuck seines Amtes auf dem richterlichen Sitz ausnahm.

Die Zeitungen säumten nicht, den merkwürdigen Fang des berüchtigten Lovett zu berichten. Die Keckheit, womit er den Plan zur Befreiung seiner Kameraden entworfen und ausgeführt hatte, verbunden mit der Ungewißheit, in welcher seine Wunde einige Zeit das Publikum ließ, ob er nicht dem ihn bedrohenden Tode durch die Hinterthüre eines andern Todes entgehen würde, verursachte eine bedeutende Aufregung und Gährung in den Gemüthern der Menge, und um das Interesse zu unterhalten, waren die Journalisten nicht müßig, jede Anekdote, die sie nur immer aufbringen konnten, wahr oder falsch, die frühern Abenteuer des verwegnen Highwayman betreffend, aufzutischen. Manche gute Geschichte kam da an den Tag, die eben so viel zum Komischen als zum Tragischen neigte; denn nicht Eines von den Abenteuern des Räubers war durch Grausamkeit oder Blutvergießen bezeichnet; viele derselben verriethen mehr einen kecken, freudigen, lustigen Unternehmungsgeist. Es schien, als habe er die Landstraße wie einen Haupttummelplatz für scherzhafte Streiche angesehen und sey nur ein Räuber geworden, um einer überströmenden Neigung zum Spassen Luft zu machen. Manche hielten es beinah für eine Sünde, mit einem Menschen von so lustiger Gemüthsart streng zu verfahren, und es war besonders merkwürdig, daß nicht Eine der von ihm beraubten Damen vermocht werden konnte, gegen ihn zu klagen, im Gegentheil, sie sprachen von der Begebenheit als einer der angenehmsten Erinnerungen ihres Lebens, und schienen eher eine ermuthigende Dankbarkeit als Rachsucht gegen den artigen Missethäter zu empfinden. Aber nicht alle Herren waren von so versöhnlicher Gemüthsart und zwei stämmige Pächter und ein Viehmäster noch obendrein waren bereit, durch dick und dünn, die Identität des Gefangenen mit einem Reiter zu beschwören, der jedem von ihnen, bei dem Ritt nach Hause von gewissen Märkten, mit vieler Artigkeit eine Stunde lang Gesellschaft geleistet und das Vergnügen seiner Gesellschaft bei weitem, so versicherten sie sehr ernsthaft, über den Spaß hinausgetrieben habe; so daß der Stand seiner Angelegenheiten ein sehr finsteres Aussehen gewann, und der mit seiner Sache beauftragte Advokat – ein erfahrener Kopf – zuversichtlich erklärte, es sey keine Hoffnung vorhanden. Aber eine noch gewichtigere Anklage, weil sie von einer weit höhern Sphäre kam, wartete auf Clifford. In der Höhle des Räubers fanden sich einige Gegenstände, welche genau der Beschreibung der dem Lord Mauleverer auf verbrecherische Weise geraubten Kostbarkeiten entsprachen. Dieser Edelmann erschien nun, um die Sachen einzusehen und den Gefangenen in Augenschein zu nehmen. Auf jene konnte er mit dem ruhigsten Gewissen schwören, den Gefangenen selbst fand er im Fieber, abgemagert und im Zustand des Deliriums auf dem Krankenbett, auf das ihn seine Wunde geworfen. Er erkannte jedoch ohne Anstand in dem eingekerkerten Spitzbuben den stattlichen, herzengewinnenden Clifford, den er sogar einmal mit seiner Eifersucht beehrt hatte. Obwohl sein früher unbestimmter, schwankender Verdacht gegen Clifford auf diese Weise bestätigt ward, empfand doch der gutmüthige Peer einige Beklemmung bei dem Gedanken, als sein Ankläger aufzutreten; diese Beklemmung verschwand indeß in dem Augenblick, wo er das Gemach des Kranken verließ; und nach einem kurzen patriotischen Gespräch mit dem Beamten über die Nothwendigkeit der Pflichterfüllung im öffentlichen Dienst – ein Thema, welches das Auge dieses achtbaren Beamten mit tugendhaften Thränen erfüllte, – stieg er wieder in seinen Wagen, kehrte in die Stadt zurück und nach einem muntern Diner tète-à-tète mit einer alten Freundin, die von allen ihren Reizen nur die Annehmlichkeit der Unterhaltung und die Fähigkeit, Salmi mit Verstand zu essen, gerettet hatte, begab sich Mauleverer noch am Abend seiner Rückkehr in das Haus Sir William Brandons.

Als er in den Vorsaal trat, begegnete ihm Barlow, der Leibdiener des Richters, mit ziemlich verstörter und geheimnißvoller Miene, hielt ihn auf, als er eben in Brandons Studirzimmer hüpfen wollte und benachrichtigte ihn: Sir William sey ganz besonders beschäftigt, wolle aber seine Lordschaft im Empfangzimmer sprechen. Während Barlow noch redete, und Mauleverer sein rechtes Ohr, mit dem er am besten hörte, gegen ihn neigte, that sich die Thüre des Studirzimmers auf und ein Mann in grobem, wüstem Aufzug drückte sich unter unbehülflichen Bücklingen heraus. »So! das ist das ganz besondere Geschäft,« dachte Mauleverer; ein sonderbarer Sir Pandarus; aber diese alten Gesellen haben wunderliche Neigungen.«

»Jetzt werde ich wohl hinein dürfen, mein guter Freund,« sagte seine Lordschaft zu Barlow, und ohne die Antwort abzuwarten, trat er in das Studirzimmer. Er fand Brandon allein, ernstlich mit einigen Briefen beschäftigt, welche seinen Tisch bedeckten. Mauleverer näherte sich gleichgültig und warf sich in einen Stuhl ihm gegenüber. Sir William erhob das Haupt, als er das Geräusch vernahm, und Mauleverer, fühllos wie er war, erstaunte und entsetzte sich doch beinah über den Ausdruck im Gesicht seines Freundes. Brandons Antliz, obwohl beweglich, hatte doch beinah immer den herrschenden Ausdruck kalter Ruhe; sowohl in der Milde gesellschaftlicher Höflichkeit, wie in der Strenge seines Amtscharakters oder bei dem bittern Sarkasmus, welchen er nicht selten herausließ – immer zeichnete eine gewisse harte und unbeugsame Trockenheit seine Züge und seine Haltung aus. Aber jetzt war ein Kampf mannigfacher, in seinem Aeußern sich sonst nicht aussprechender Empfindungen auf seinem finstern Angesicht, das all die Stärke und Leidenschaftlichkeit seiner mächtigen männlichen Natur verkündigte; aus seinen Zügen und Augen schien etwas wie Schaam, Verdruß, Triumf, Reue und Haß zu sprechen. All diese verschiednen Gemüthsbewegungen, welche, so sonderbar die Behauptung klingen mag, sich in einem Ausdruck begegneten, waren nichts destoweniger so scharf und fürchterlich ausgeprägt, daß Mauleverers Seele mit Einemmal ihren Sinn errieth. Er warf einen Blick auf die Briefe, deren Schrift durch die Zeit oder Feuchtigkeit erloschen und verfärbt schien; dann betrachtete er noch einmal Brandons Gesicht und sagte mit ziemlich ängstlicher und gedämpfter Stimme:

»Himmel, Brandon, sind Sie krank? oder hat sich etwas ereignet? Sie beunruhigen mich!«

»Kennen Sie diese Locken noch?« sagte Brandon mit hohler Stimme, und unter den Briefen zog er einige kastanienbraune Locken hervor und schob sie mit abgewandtem Antlitz Mauleverer hin.

Der Graf hob sie auf – besah sie einige Augenblicke, wechselte die Farbe, schüttelte aber mit einer verneinenden Geberde den Kopf, als er sie wieder auf den Tisch legte.

»Diese Handschrift aber doch?« fing der Richter mit nachdrücklicherem und bittererem Tone wieder an, und deutete auf die Briefe.

Mauleverer nahm einen davon und hielt ihn zwischen sein Gesicht und die Lampe, so daß, was etwa seine Züge verrathen konnten, seinem Gesellschafter verdeckt blieb. Endlich ließ er den Brief mit erkünstelter Gleichgültigkeit fallen und sagte:

»Ach, ich kenne die Handschrift sogar nach so langer Zeit noch; dieser Brief ist an Sie gerichtet!«

»So ist es, und alle diese auch,« sagte Brandon im nemlichen Tone unnatürlicher, angestrengter Fassung. »Sie sind nach einer beinah fünfundzwanzigjährigen Entfremdung mir wieder zugekommen; es sind die Briefe, die sie mir in den Tagen unsrer Liebe schrieb, (hier lachte Brandon höhnisch,) – sie nahm dieselben mit sich fort, Sie wissen, wann? und (ein prächtiges Stück von weiblicher Consequenz!) bewahrte sie auf, wie es scheint, bis zu ihrem Todestag!«

Der besprochene Gegenstand, was er auch seyn mochte, schien dem Lord Mauleverer unbehaglich; er rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und sagte endlich:

»Nun, das arme Geschöpf! es sind peinliche Erinnerungen, da die Sache so unglücklich ablief; aber es war nicht unser Fehler, lieber Brandon; wir waren Weltmänner; wir kannten den Werth der – der – Weiber, und behandelten sie demgemäß."

»Recht, recht, recht!« rief Brandon heftig mit dem lauten Gelächter der Verachtung, dessen fürchterliche Gewalt wir umsonst zu schildern versuchen würden. »Recht und wahrhaftig, mein Lord, ich bedaure nicht, diesen Maaßstab angelegt zu haben, noch bereue ich meine Schätzung!«

»So, so, das ist gut!« versetzte Mauleverer, dem es noch nicht ganz wohl ums Herz war, und beeilte sich, das Gespräch zu verändern. »Aber, mein lieber Brandon, ich habe seltsame Neuigkeiten für Sie! Sie erinnern sich noch des verdammten Burschen, des Clifford, der die Unverschämtheit hatte, sich zu Ihrer anbetungswürdigen Nichte zu drängen? Ich sagte Ihnen, ich habe seinen langgewachsenen Freund im Verdacht, meine Bekanntschaft auf eine mißliebige Art gemacht zu haben, und ich hege deswegen gegen Clifford selbst Argwohn. Nun mein lieber Freund, dieser Clifford ist – Wer meinen Sie? kein Andrer als Herr Lovett mit seiner Newgate-Berühmtheit!«

»Was Sie mir nicht sagen!« erwiederte Brandon unempfindlich, indem er seine Papiere zusammenraffte und sie in eine Schublade legte.

»Es ist in der That wahr; und was noch mehr ist, Brandon, dieser Vogel ist einer von den Straßenräubern, welche mich auf der Reise von Bath ausplünderten. Ohne Zweifel erwies er mir denselben Liebesdienst auf dem Weg nach Mauleverer Park.«

»Möglich!« sagte Brandon, der ganz in Träumeeien versunken schien.

»Ja!« sagte Mauleverer, ärgerlich über diese Gleichgültigkeit; »aber sehen Sie nicht die Folgen davon für Ihre Nichte ein?«

»Meine Nichte?« wiederholte Brandon aufstehend.

»Gewiß. Es thut mir leid es zu sagen, mein lieber Freund, – aber sie war jung, sehr jung, damals in Bath. Sie gestattete diesem Burschen ihr allzu offen den Hof zu machen. Ja, – um ganz frei heraus zu sprechen, man hatte sie im Verdacht, ihn zu lieben!«

»Sie liebte ihn wirklich,« sagte Brandon trocken und heftete sein boshaft kaltes Auge auf den Freier. »Und nach Allem was ich weiß,« setzte er hinzu, »liebt sie ihn noch in diesem Augenblick.«

»Sie sind grausam,« sagte Mauleverer aus der Fassung gebracht. »Ich glaube es nicht, um meiner fortgesetzten Bewerbung willen.«

»Mein lieber Lord,« sagte Brandon, freundlich seine Hand ergreifend, während sein höhnisches Lächeln, eine anguis in herba, um seine zusammengekniffenen Lippen spielte, »mein lieber Lord, wir sind alte Freunde und dürfen einander nicht täuschen. Sie wünschen meine Nichte zu heirathen, weil sie eine Erbin von großem Vermögen ist, und Sie setzen voraus, daß aller Wahrscheinlichkeit nach mein Geld und Gut dasselbe noch vergrößern wird. Zudem ist sie schöner als irgend eine junge Dame von Ihrer Bekanntschaft und kann, nach Ihrem Muster gebildet, ebenso wohl Ihrem Geschmack, als Ihrer Klugheit Ehre machen. Unter diesen Umständen werden sie, dessen bin ich versichert, mit Nachsicht ihre mädchenhaften Verirrungen betrachten und sie darum nicht weniger lieben, weil ihre thörichte Einbildung ihr in den Kopf setzt, sie sey in einen Andern verliebt.«

»Eh – hm!« sagte Mauleverer, »Sie sehen die Sache weit mehr als Verstandesmensch denn von der Seite des Gefühls an; aber sehen Sie Brandon, wir müssen, um unserer Beider willen, womöglich versuchen, die Identität Lovetts mit Clifford nicht an den Tag kommen zu lassen. Ich sehe nicht ein, was dieß verhindern sollte. Ohne Zweifel war er wohl auf seiner Hut, so lang er in Bath den Vornehmen spielte und beging dort keine Unthat. Der Name Clifford ist bis jetzt gänzlich unbefleckt. Kein Betrug, keine Gewaltthat ist auf den Namen herausgekommen, und wenn nur der Spitzbube selbst sein Geheimnis bewahren will, so können wir ihn durch den Strick aus dem Weg schaffen, ohne daß von dem Geheimnis etwas verlautet.«

»Aber wenn ich mich recht besinne,« versetzte Brandon, »so sagen die Zeitungen, dieser Lovett werde nur siebzig oder achtzig Meilen von Bath entfernt vor Gericht gestellt werden, und dieß läßt befürchten, er werde erkannt werden.«

»Ja, aber er wird teufelmäßig verändert seyn, denke ich mir, denn seine Wunde hat bereits in seinem Gesicht keine Verschönerung hervorgebracht, und zudem, wenn der Hund einiges Zartgefühl hat, wird er natürlich nicht wünschen, als der galante Mann von jener lustigen Stadt erkannt zu werden, wo er so viel Glück zu machen schien, und wird sich, so gut er nur immer kann, verstellen. Ich höre Wunderdinge erzählen von seiner Kunst, sein Aeußeres zu verwandeln.«

»Aber er kann sich selbst in diesem Punkte verrathen in der Zwischenzeit, bis über ihn gerichtet wird,« bemerkte Brandon.

»Ich hoffe mich zu versichern, wie fern dieß wahrscheinlich ist, indem ich meinen Kammerdiener zu ihm schicken will, (Sie wissen ja, man behandelt die Herrn Straßenräuber mit einer gewissen Aufmerksamkeit und hängt sie mit aller ihren Gefühlen gebührenden Achtung,) und ihm andeuten lassen: es würde ihm ohne Zweifel sehr widerlich seyn, in seinen dermaligen unglücklichen Umständen, (nicht wahr, das ist der Ausdruck?) als der Gentleman erkannt zu werden, der in Bath sich eines so verdienten Beifalls zu erfreuen hatte, und er dürfe versichert seyn, daß ich, falls er es wünsche, obwohl die Gesetze meines Vaterlandes es mir zur Pflicht machen, gegen ihn aufzutreten, doch sein Geheimniß bewahren werde. Nun, Brandon, was sagen Sie zu diesem Kunstgriff? er wird meinen Plan begünstigen und den Herrn, der ohne Zweifel ganz Erfindung ist, Thränen vergießen machen, über meine großmüthige Schonung.«

»Es ist kein übler Gedanke,« erwiederte Brandon. »Ich muß Sie dafür loben. Auf alle Fälle ist es nothwendig, daß meine Nichte von der Lage ihres Liebhabers nichts erfährt. Sie ist ein Mädchen von ganz eigener Sinnesart und ihr Vermögen macht sie unabhängig. Wer weiß, ob sie nicht diese oder jene Thorheit beginge, Bittschriften an den König machte und mich bäte sie zu übergehen, oder gar – denn sie hat eine ganze Romanwelt im Kopf – ins Gefängniß ginge, um ihn zu trösten; oder in jedem Fall würde sie meine Verwendung zu seinen Gunsten ansprechen – eine ganz besonders peinliche Zumuthung, da ich aller Wahrscheinlichkeit nach die Ehre haben werde, über ihn zu Gericht zu sitzen.«

»Ja, allerdings, das werden Sie. Und ich stelle mir vor, die Keckheit des Spitzbuben wird sie nicht vermögen, von ihrer gewöhnlichen Strenge nachzulassen. Man sagt, Sie verheißen mehr menschliche Pendel zu machen, als irgendeiner Ihrer Amtsgenossen.«

»[Anmerkung Proj. Gutenberg: Textstelle in dieser Ausgabe unleserlich] ... Galle gegen mein Geschlecht; mir ekelt vor der Thorheit und den Halbsünden der Menschen. Ridet et odit ist mein Wahlspruch und ich gebe zu, daß diese Filosofie Einen eben nicht sonderlich barmherzig und gnädig stimmt.«

»Nun, Juvenal's Weisheit sey die Ihrige, die meinige die des Horaz!« erwiederte Mauleverer, indem er sich in den Zähnen stocherte; »aber ich bin froh, daß Sie die gebieterische Nothwendigkeit einsehen, dieß Geheimniß vor Luciens Argwohn zu bewahren. Sie liest keine Zeitungen, hoff' ich – Mädchen lesen sie ja nie!«

»Nein! und ich will dafür sorgen, daß sie ihr nicht unter die Hand kommen; und da sie in Folge der Trauer um meinen kürzlich verstorbenen armen Bruder Niemand als uns sieht, so ist es unwahrscheinlich, daß wenn auch Lovetts Ansprüche auf den Namen Clifford erweckt werden, es ihr zu Ohren kommen sollte!«

»Aber die verwünschten Diener?«

»Allerdings wahr! aber bedenken Sie, ehe diese es wissen, müssen es die Zeitungen haben; so daß wenn es je Noth thäte, wir noch Zeit genug haben, sie zu warnen. Ich darf nur Luciens Kammerfrau sagen: »Ein armer Gentleman, ein Freund des seligen Squire, mit dem Eure Gebieterin zu tanzen pflegte und den Ihr auch gesehen haben müßt – Kapitän Clifford ist – ist auf Leben und Tod angeklagt; es würde das arme Kind bei ihrem gegenwärtigen Gesundheitszustand angreifen, wenn man ihr von diesem Unglück eines Freunds von ihrem Vater sagte; deßhalb schweigt, wenn euch Eure Stelle und zehn Guineen lieb sind, – so kann ich mich so ziemlich auf ihre Verschwiegenheit verlassen.«

»Sie sollten Präsident seyn bei dem Mittel- und Wegeausschuß!« rief Mauleverer, »mein Herz ist jetzt beruhigt; und wenn einmal der arme Clifford aus dem Weg? ist: »von der stolzen Höh gefallen,« können wir ihr die Sache auf milde Weise eröffnen, und da ich mich hierbei sehr schonend und ehrerbietig zu benehmen mich befleißigen werde, so kann sie nicht umhin, für meine Güte und wahre Zärtlichkeit empfänglich zu seyn.«

»Und wenn ein lebendiger Hund besser ist, als ein todter Löwe,« setzte Brandon hinzu, »so ist gewiß ein lebhafter Lord besser, als ein gehängter Straßenräuber!«

»Nach der gemeinen Logik,« erwiederte Mauleverer, »ist dieser Schuß einleuchtend genug; und obwohl ich gerne glaube, daß ein Mädchen dann und wann noch mit dem Andenken eines geschiedenen Geliebten sich beschäftigen mag, so wird sie dieß wohl in dem Fall unterlassen, wenn auf seinem Andenken eine Schmach lastet. Liebe ist nichts anderes als befriedigte Eitelkeit; verwunde die Eitelkeit, so zerstörst du die Liebe. Lucie wird sich genöthigt sehen, nachdem sie in der Wahl eines Geliebten so unglücklich war, in der Wahl eines Gatten desto klüger zu seyn – um sich bei sich selbst wieder in Achtung zu setzen.«

»Und deswegen sind Sie ihrer gewiß!« sagte Brandon ironisch.

»Dank meinem Stern, – meinem Hosenband – meinem Vorfahren, dem ersten Baronen und mir, dem ersten Grafen, – ich hoffe es zu seyn!« sagte Mauleverer und das Gespräch kam auf andere Gegenstände. Mauleverer blieb nicht mehr lange bei dem Richter, und Brandon, nun allein, machte sich wieder an seine Briefe.

Wir können uns kaum vorstellen, welche Empfindungen in Einem, der Brandon nur in seinen spätern Zeiten kannte, aufgestiegen wären, hätte er diese Briefe, die einer so viel frühern Zeit angehörten, gelesen. In dem heftigen, und wenn wir so sagen dürfen, dürren Charakter dieses Mannes lag so wenig, was einen Gedanken an Liebedienerei oder jugendliche Galanterie erweckte, daß ein Briefwechsel dieser Art beinahe so unnatürlich erscheinen konnte, als die Dichtungen von der Liebe der Pflanzen, oder den zärtlichen Neigungen der Gesteine. Die vor Brandon liegende Korrespondenz schilderte mannigfache Empfindungen, aber alle gehörten in Eine Klasse; das Meiste waren offenbar Antworten auf Briefe von ihm. Das einemal antworteten sie zärtlich auf Ausdrücke der Zärtlichkeit, aber ließen einen Zweifel blicken, ob die Schreiberin im Stande seyn würde, sein künftiges Glück zu sichern, und ihm Ersatz zu bieten für gewisse Opfer hinsichtlich der Geburt und des Vermögens und ehrgeiziger Aussichten, worauf sie hindeutete; zu andern Zeiten schien eine Ader geheimer Coquetterie den Styl zu durchdringen; ein unbeschreiblich kaltes und zurückhaltendes Wesen contrastirte gegen frühere Stellen der Korrespondenz und war ganz geeignet, dem Leser den Eindruck zu machen, daß die Gefühle des Liebhabers nicht ganz mit gleicher Innigkeit erwiedert wurden. Häufig warf ihm die Schreiberin, als wäre Brandon selbst auf diese Vermuthung gekommen, seinen unbilligen, eifersüchtigen und unwürdigen Verdacht vor, und der Ton des Vorwurfs war in jedem Brief ein anderer, bald munter und satirisch, bald sanft und entschuldigend, dann wieder scharf und abwägend und oft stolz und unwillig. In der ganzen Korrespondenz jedoch von Seiten der Geliebten, prägte sich eine hinreichend scharfe Individualität aus, um einen feinen Beobachter ziemlich befriedigende Blicke in den Charakter der Verfasserin werfen zu lassen. Er würde vielleicht das Urtheil gefällt haben, sie habe ein lebhaftes und feuriges Gefühl, aber für gewöhnlich eine nicht tiefe, launige Gemüthsart besessen, sehr geneigt, wie es schien, sich beleidigt zu finden und darüber zu grollen. Mit diesen Briefen waren andere von Brandons Handschrift vermischt – in wie ganz anderem, leidenschaftlichem Ton geschrieben! Alles was ein tiefer, stolzer, sinnender und grübelnder Charakter von hingebender Liebe träumen, von erwiederter Liebe verlangen konnte, das war brennend in diesen Blättern ausgeschüttet, und doch waren sie voll von Vorwürfen – von Eifersucht – von ängstlicher und peinlicher Beobachtung, eben so gemacht um zu verwunden, wie die Glut darin hinreissen konnte; und oft brach die bittere Anlage zur Menschenverachtung, welche seinem Temperament eigen war, durch die zärtlichste Schwärmerei der Huldigung, die sanftesten Ergüsse der Liebe hervor. »Du sahst mich gestern nicht,« schrieb er in einem Brief, »aber ich sah Dich, den ganzen Tag war ich bei Dir; Du hattest keine Miene, welche mir unbemerkt blieb; Du machtest keine Bewegung, welche ich nicht in meinem Gedächtniß verzeichnete. Julie, zitterst Du, wenn ich Dir dieß sage? Ja, wenn Du ein Herz hast, so weiß ich, diese Worte haben es bis ins Innerste durchstochen! Du gibst dir vielleicht den Schein, mit Unwillen mir zu antworten! Kluge Heuchlerin! Es ist sehr, sehr listig, sich erzürnt zu stellen, wenn man keine Antwort hat. Ich wiederhole es – während dieser ganzen Lustpartie, (Lustpartie! nun, dein Geschmack, man muß es gestehen, ist unvergleichlich! –) welche Du gestern mitmachtest und woran Theil zu nehmen, Du mich so obenhin batest, haftete mein Auge auf Dir. Du wußtest nicht, daß ich im Walde war, als Du den Arm des unvergleichlichen Digby mit so artig erheuchelter Unruhe annahmst, in dem Augenblick als die Schlange, die mein Fuß aufstörte, über euren Weg schlüpfte. Du wußtest nicht, daß ich in Gehörsweite von dem Zelte war, wo Ihr ein so vergnügliches Mahl einnahmt und von wo aus Euer Gelächter mit so vielen lustigen Tönen die Lüfte erfüllte. Gelächter! – O Julie, kannst Du mir sagen, Du liebest mich, und doch fröhlich seyn, bis zur Lustigkeit, wenn ich weg bin? Liebe! o Gott, was ist die meinige eine ganz andre Empfindung! die meinige gibt den Grundton meines ganzen Lebens an und die deinige! Ich sage Dir, ich meine zu Zeiten, ich wollte lieber deinen Haß auf mir haben, als das lauwarme Gefühl, daß Du gegen mich hegst und mit dem Namen Neigung beehrst. Herrlicher Ausdruck! Ich habe keine Neigung für Dich. Weg mit diesem kränklichen Wort! aber versuche mit mir, o Julie, mit mir einen Ausdruck aufzufinden, der nie im Munde eines Andern zu einer armseligen Bedeutung herabgewürdigt wurde. Neigung! ach das ist ein Name für eine Schwester, ein Name für ein Mädchen gegen ihr Eichhörnchen! aber nicht gemacht ist er für diese rothen, reifen Lippen! Soll ich diesen Abend in dein Haus kommen? Deine Mutter hat mich gebeten und Du – Du hast es angehört und nichts gesagt! O! Aber das war mädchenhafte Zurückhaltung – war es das? und mädchenhafte Zurückhaltung vermochte Dich auch, ein Buch zu ergreifen im Augenblick, wo ich Dich verließ, als gäbe meine Gesellschaft nur eine gewöhnliche Unterhaltung, der man sogleich eine andere folgen lassen muß. Seit ich Dich gesehen habe, sind Gesellschaft, Bücher, Essen – Alles mir verhaßt; aber Du, theure Julie, Du kannst lesen, kannst Du es? Nun aber, als ich Dich verließ, verweilte ich noch vor dem Fenster des Gesellschaftzimmers stundenlang, bis zur Dämmerung, und Du schlugest auch nicht Einmal die Augen auf und sahst mich nicht hin und her gehen. Wenigstens, dachte ich, werdest Du doch auf meine Tritte gehorcht haben, als ich dein Haus verließ; aber ich irre mich, reizende Moralistin! nach deinen Grundsätzen wäre eine solche Aufmerksamkeit gemein gewesen!«

An einer anderen Stelle des Briefwechsels suchte sich ein noch ernsterer, wenn nicht tieferer Strom von Empfindungen Luft zu machen:

»Du sagst, Julie, wenn Du Einen heirathen solltest, der so viel an das denkt, was er deinetwillen aufgibt, und von Dir eine eben solche ungeheure Erwiederung seiner Liebe verlangt, so müßtest Du wegen des zukünftigen Glücks von uns beiden zittern. Julie, die Alltäglichkeit einer solchen Besorgniß beweist mir, daß Du nicht wahrhaft liebst. Ich zittre nicht wegen unsres künftigen Glücks; im Gegentheil, die Stärke meiner Leidenschaft für Dich macht es mir zur Gewißheit, daß wir nie glücklich seyn können, nie außer dem ersten trunknen Entzücken der Vereinigung. Glück ist ein ruhiges stilles Gefühl. Kein Gefühl, das ich je gegen Dich empfinden kann, wird diese Prädikate verdienen – ich weiß, daß ich dem Elend und dem Fluche verfallen bin, wenn ich mit Dir verbunden seyn werde. Staune nicht! ich will Dir sogleich sagen warum. Ich träume nicht von Glück, und Du, könntest Du nur einen Tropfen von dem dunkeln grenzenlosen Meer meiner Empfindungen ergründen, würdest mir auch dieß Wort nicht nennen.

Die krämerhafte, kaltherzige Berechnung der Wahrscheinlichkeit einer dereinstigen Glückseligkeit (welches Predigtbuch lieferte Dir einen so gewählten Ausdruck?) findet keinen Raum in einer Seele, welche mit einer Alles überwältigenden Liebe liebt. Die Leidenschaft sieht nur auf Einen Gegenstand und nicht darüber hinaus – ich dürste, ich schmachte – nicht nach Glück, sondern nach Dir! Müßte mich dein Besitz unausbleiblich an einen Abgrund von Qual und Schande führen: meinst Du ich würde um ein Jota weniger darnach lechzen? Wenn Du nur Einen Gedanken, Eine Hoffnung, Eine dämmernde Vorstellung hegst von etwas Anderem außer dem Einzigen, daß Du die Meinige werden sollst: so magst Du der Achtung der Menschen würdiger seyn; aber völlig unwerth bist Du meiner Liebe

»Jetzt will ich Dir sagen, woher ich weiß, daß wir nicht glücklich seyn können. Erstlich: wenn Du sagst, ich sey stolz auf meine Geburt, besitze einen krankhaft reizbaren Ehrgeiz und großes Verlangen, in der Welt zu glänzen; ich werde, nachdem der erste Rausch der Liebe verflogen, Bitterkeit gegen das Weib fühlen, die meinen Stolz so gedemüthigt und meine Aussichten so verfinstert habe: so will ich nicht mit Zuversicht behaupten, daß du Dich völlig täuschest. Aber das weiß ich gewiß, daß das rasche Heilmittel in Deiner Macht ist. Hast Du die Geduld, Julie, eine Art von Geschichte meines Lebens oder vielmehr meiner Gefühle anzuhören? Wenn Du sie hast, so ist dieß vielleicht die beste Art, Alles, was ich vorzubringen habe, auseinander zu setzen. Du wirst dann sehen, das mein Familienstolz und mein weltlicher Ehrgeiz durchaus nicht auf denselben Grundlagen beruhen, welche mich über Andere lachen machen; wenn indeß meine Gefühle hierin, wie Du andeuten willst, ebenso Veranlassung zum Spott geben, siehe, meine Julie, so kann ich auch über sie lachen! So ein wesentliches Bedürfnis ist mir die Geringschätzung, daß ich eher mich selbst verachten wollte, als gar Keinen haben, den ich verachten könnte; doch zu meiner Erzählung!

Wisse denn, wir waren unsrer nur zwei Geschwister, Söhne eines Squire auf dem Lande von alter Familie, welche vordem weitläufige Besitzungen und einen gewissermaßen historischen Namen hatte. Wir lebten auf einem alten Landsitz; mein Vater war ein Freund von Schmausereien und Gastereien, ein Fuchsjäger, ein Trunkenbold, aber in seiner Art ein feiner Gentleman und ein Mitglied der Gesellschaft, das ihr wenig Ehre macht. Die ersten Empfindungen rücksichtlich seiner, auf die ich mich besinnen kann, waren die der Schaam. Wenig Anlaß zum Familienstolz also, wirst Du sagen! Allerdings, und das war gerade der Grund, der mir den Familienstolz in andrer Weise einflößte.

Meines Vaters Haus wimmelte von Gästen, hohen und niedrigen, und Alle stimmten darin zusammen, daß sie sich über den Wirth lustig machten. Bald entdeckte ich diesen Spott und Du kannst Dir leicht denken, daß ich keine Freude daran hatte. Der alte Jäger indeß, dessen Familie etwa eben so alt war als die unsrige und dessen Ahnen in derselben Eigenschaft wie er den Ahnen seines Herrn seit undenklichen Zelten gedient hatten, erzählte mir Geschichten über Geschichten von den Brandons der frühern Zeit. Ich wandte mich von den Geschichten zur eigentlichen Geschichte und fand, daß die Legenden ziemlich glaubhaft waren. Bei dieser Entdeckung begann ich zu glühen; mein Stolz, gedemüthigt wenn ich an meinen Herrn Vater dachte, lebte wieder auf, wenn mir meine Vorfahren einfielen – ich faßte den Entschluß ihnen nachzueifern, den gesunknen Namen wieder herzustellen und baute mir tolle Luftschlösser von diesen Entwürfen. Die Neigung, über diesen Gedanken zu brüten, nahm in mir überhand; ich vernahm keinen Scherz auf Kosten meines väterlichen Pflegers; ich sah nie den trunkenen Blick seiner umnebelten Augen, hörte nie eine ausgefuchste Nichtswürdigkeit von seinem faselnden Munde ohne daß meine Gedanken augenblicklich zu den Sir Charles und Sir Roberts meines Stammes zurückflohen, und ich mich mit der Hoffnung tröstete, die jetzige Entartung werde vorübergehen. Daher, Julie, mein Familienstolz; daher auch ein andres Gefühl, das Dir an mir mißfällt, meine Menschenverachtung. Ich lernte zuerst meinen Vater, den Wirth verachten; und dann auch meine Bekannten, seine Gäste; denn ich sah, daß sie ihm schmeichelten, während sie ihn verspotteten, und daß ihre Neigung zur Fröhlichkeit nicht die einzige war, welche sie auf seine Kosten zu befriedigen wußten. So wuchs die Menschenverachtung mit mir groß und ich hatte nichts, um ihr entgegenzuarbeiten; denn wenn ich mich umsah, fand ich keine Seele, die ich achten konnte. Dieser mein Vater hatte jedoch so viel Verstand, zu merken, daß ich kein Dummkopf sey. Er war stolz (der arme Mann!) auf meine Talente, d.h. auf die Preise die ich in der Schule gewann und die Glückwunschschreiben meiner Lehrer. Er schickte mich auf das Collegium; hier nahm mein Geist einen Anlauf – ich will Dir sagen, Liebste, was es war! Ehe ich dahin kam, hatte ich einige hübsche unbestimmte Traumvorstellungen von Tugend. Ich gedachte die Ehre meiner Ahnen durch Rechtschaffenheit wieder zu beleben; kurz ich war ein Embryo von einem König Pipin. Aus diesem Traum erwachte ich auf der Universität; da begriff ich zum erstenmal die wahre Wichtigkeit des Standes.

»In der Schule, weißt Du Julie, bekümmern sich die Knaben nichts um einen Lord. Ein guter Kolbenspieler, ein wackrer Gesell wiegt alle Grafen der Peerschaft auf. Aber auf dem Collegium hat Das Alles ein Ende; Ballen und Schlegel sanken jetzt zu der Werthlosigkeit herab, in welcher Korallen und Uhrgehänge zuvor gestanden hatten. Man wächst zum Mann heran und bekommt Achtung vor Kronen und schönen Wagen. Ich sah, es war wohl hübsch, einen Preis zu gewinnen, aber es war doch zehnmal hübscher, in Gesellschaft eines Peers einen Rausch zu trinken. Und so bewog mich, als ich jenes gethan hatte, das Verlangen, meines Ahnen würdig zu werden, auch das zweite zu thun – zwar nicht im vollen Umfang; ich bekam nie einen Rausch, mein Vater verleidete mir diesen ... [Anmerkung Proj. Gutenberg: Textstelle in dieser Ausgabe unleserlich ]... schon frühe. Seiner Schlemmerei verdanke ich meine Genügsamkeit mit Pflanzenkost, und seiner Trunksucht meine Anhänglichkeit an das Wasser. Nein – ich betrank mich nicht mit Peers; aber ich war bei ihnen doch so wohl gelitten, als hätte ich mich mit ihnen bezecht wie sie selbst.

Ich stand ganz ... [Anmerkung Proj. Gutenberg: Textstelle in dieser Ausgabe unleserlich] ... Hüten auf der Universität, und wurde deßhalb von den Kappen so angesehen, als hätte mein Kopf die Höhe aller der Hüte erlangt, welche ich kannte. Aber es war dieß nicht von Vorne herein so. Ich muß Dir zwei kleine Anekdoten erzählen, die mich zuerst in das Geheimniß ächter Größe einweihten. Die erste ist folgende: ich saß mit einigen Collegiumsgenossen, ernsten und geschickten Leuten, zu Tische; zwei davon die mich nicht kannten, unterhielten sich von mir; sie hätten gehört, sagten sie, ich werde nie ein so guter Geselle werden wie mein Vater, nie einen solchen Keller und ein so gastfreies Haus haben.

»Ich habe sechs Grafen und einen Marquis dort getroffen,« sagte der andre Senior.

»Und sein Sohn,« versetzte der erste Herr wieder, »pflegt nur mit armen Teufeln Umgang, glaub ich.«

»So muß man also,« sprach ich bei mir selbst, »um das Lob kluger Leute zu verdienen, gute Weine haben, viele Grafen kennen und den Umgang mit armen Teufeln verschwören!«

Nichts konnte wichtiger seyn, als mein Schluß.

Die zweite Anekdote: An dem Tage, wo ich einen großen Preis der Universität gewann, lud ich meine Freunde zum Essen bei mir ein. Vier davon lehnten es ab, weil sie versagt seyn (sie waren eingeladen worden erst nachdem ich sie zu mir gebeten,) bei Wem? bei dem reichsten Mann auf der Universität.

Diese gleichzeitigen Vorfälle versetzten mich in eine tiefe Träumerei; ich erwachte und wurde ein Mann der Welt. Ich entschloß mich, nicht länger den Tugendhaften zu machen und dem Ruhme der Römer und Athener nachzujagen – ich entschloß mich, nach Reichthum, Macht und einem Namen in der Welt zu trachten. Ich schwor meine ehrlichen armen Teufel ab, und hielt mich, wie schon gesagt, zu einigen reichen Hüten. Siehe da meinen ersten großen Schritt in die Welt! Ich wurde ein Schmeichler und Schmarotzer. Wie! konnte das mein Stolz ertragen? ja freilich, mein Stolz freute sich daran, denn es kitzelte meine Verachtung, diese vornehmen Leute mir nützlich zu machen! es kitzelte zu sehr, wie leicht ich sie beschwatzen konnte und zu welch einer Menge von Absichten ich die beschwerliche Last ihrer Bekanntschaft verwenden mochte. Nichts ist thörichter als die Meinung: eitle vornehme Leute seyen nicht zu brauchen! man kann sie brauchen zu was man will, zu Allem was ein kluger Kopf aus ihnen zu machen Lust hat. Nun siehe Julie, wie mein Charakter bereits gebildet war! Familienstolz, Menschenverachtung und Ehrsucht – da hast Du ihn! spätere Verhältnisse prägten nur das schon Angelegte schärfer aus. Ich wünschte nach dem Abgang vom Collegium auf Reisen zu gehen; mein Vater konnte mir kein Geld geben. Was wollte das sagen? ich sah mich unbesorgt nach einem Bekannten um, der reicher war als meines Vaters Kasse; ich fand einen solchen in Lord Mauleverer; er war mit mir auf dem Collegium gewesen, und ich konnte seine Gesellschaft wohl ertragen, denn er hatte Bildung, Witz und Gutmüthigkeit; ich brachte ihn auf den Wunsch, ins Ausland zu gehen, und auf den Gedanken, er würde vor langer Weile sterben, wenn ich ihn nicht begleitete. Ich willigte mit Widerstreben in sein Verlangen, daß ich dieß thun solle, und sah Alles in Europa, was er zu sehen versäumte, auf seine Kosten. Was mich am meisten belustigte, war die Beobachtung, daß ich, der Schmarotzer, von ihm geachtet, und er, der Wohlthäter, von mir verlacht wurde! so wäre es nicht gekommen, wenn ich bei meiner Tugend geblieben wäre. Nun, holdeste Julie, die Welt gab, wie gesagt, meinen Universitätserfahrungen die Weihe ihrer Bestätigung. Ich kehrte nach England zurück, mein Vater starb und hinterließ mir keinen Schilling und meinem Bruder ein so verschuldetes Gut, daß er nichts davon bezog und zugleich mit solchen Bedingungen, daß er es nicht verkaufen konnte. Jetzt war für mich die Zeit gekommen, die Erfahrungen zu nutzen, deren ich mich rühmte. Ich erkannte die Nothwendigkeit, einen Beruf zu ergreifen. Ein Beruf ist eine Maske für den armen Spitzbuben! er gibt dem Betrug ein Ansehen und einen Anspruch, auf Anderer Kosten zu leben. Ich musterte meine Talente und betrachtete die Einrichtungen meines Vaterlandes; hieraus ergab sich der Entschluß, mich an der Schranke zu versuchen. Ich besaß eine unerschöpfliche Aufmerksamkeit und Thätigkeit, ich war lebhaft, schlau und kühn. Alle diese Eigenschaften galten bei den Gerichtshöfen. Ich hielt meine gesetzlichen Termine, ich ward berufen, ich besuchte meinen Bezirk – und ich erhielt keine Rechtssache, keine, Julie! meine nie sehr feste Gesundheit wankte unter dem Studium und der Gereiztheit meines Gemüthes; man verordnete mir, mich aufs Land zu begeben, ich kam in diese Stadt, die abgelegen und gesund ist. Ich wohnte im Hause Deiner Muhme, Du kamst täglich dahin, – ich sah Dich – das Uebrige weißt Du. Aber wo waren, wirst Du fragen, während dieser Zeit all die vornehmen Freunde? Beim Himmel, seit wir das Collegium verlassen, hatten sie etwas von der Weisheit gelernt, welche ich damals schon besaß; sie hatten keine Lust, etwas umsonst auszugeben; sie hatten jüngere Brüder, Vetter, Mätressen und wohl gar auch Kinder, für die sie sorgen mußten. Zudem hatten sie Ausgaben genug; je reicher Einer ist, desto weniger hat er zu geben. Einer von ihnen hätte mir eine Pfründe übertragen, wenn ich hätte in die Kirche, ein Anderer eine Offizierstelle, wenn ich hätte in sein Regiment treten wollen. Aber ich sah wohl, daß die Zeit für mich vorbei war, Geistlicher oder Soldat zu werden; auch verlangte ich nicht blos zu leben, oder auch behaglich zu leben, sondern ich wollte in den Besitz von Macht und Ansehen kommen, und so lehnte ich diese Anerbietungen ab. Andere meiner Freunde hätten mit dem größten Vergnügen mich in ihr Haus aufgenommen, mir Feste gegeben, mit mir gescherzt, wären mit mir geritten – aber weiter auch nichts! Aber ich hatte bereits so viel Einsicht, um zu begreifen, daß wenn Einer durch Kunst und Gewandheit zur Auszeichnung sich emporschwingt, es nicht mit Bedientenschritten geschehen darf. Man muß Gunstbezeugungen und Gönnerschaften annehmen, aber mit der Art eines unabhängigen Mannes. So wurden mir meine alten Freunde unbrauchbar, meine Gesetzesstudien verhinderten mich, neue zu gewinnen, ja sie entfremdeten mich den alten; denn die Leute mögen sagen, was sie wollen, daß die Gleichheit der Ansichten das Haupterforderniß zur Freundschaft sey; die Gleichheit der Lebensweise ist es weit mehr. Der, mit dem du ißst, frühstückst und zusammenwohnst, gehst, reitest, spielst oder stiehlst: der ist dein Freund! nicht der, welcher den Virgil eben so liebt wie du, und mit dir in der Bewunderung Händels zusammenstimmt. Meine Hauptbeute indeß, Lord Mauleverer, war weg; er hatte die Dulcinea eines Andern entführt und in Italien einen Schlupfwinkel gesucht; seitdem habe ich von ihm nichts mehr gehört und gesehen und kenne selbst seinen Aufenthalt nicht. Mit Ausnahme von ein paar schmalen Zuschüssen meines Bruders, des gutherzigen Mannes, den ich noch mehr ausplündern könnte, wäre ich nicht entschlossen, das Gut der Familie nicht zu ruiniren, bin ich ganz mir selbst überlassen gewesen: der Erfolg davon ist, daß ich, obgleich so gescheut als Andre meines Gleichen, kaum den Hungertod mir vom Leib gehalten habe; wären meine Bedürfnisse weniger einfach, so hätte ich mich seiner nicht erwehrt. Aber nicht leicht stirbt ein Mann Hungers, der Wasser trinkt und seine Speise nach dem Loth abwiegt. Aber etwas Anderes hätte mich nachdrücklicher und gefährlicher treffen können: getäuschte Erwartung, Zorn, betrogne Hoffnung, gekränkter Stolz – Alles dieß, was an meinem Herzen nagte, hätte es längst aufreiben können, wäre nicht die tiefgegründete, eiserne, trotzige Härte gewesen, womit die Natur – nein, ich muß um Verzeihung bitten, das ist nicht Natur! – womit die Verhältnisse mich ausgerüstet. Diese hat mich aufrecht erhalten und wird mich durch Zeit, Schmach, körperliche Schwäche und geistige Unruhe hindurch begleiten, bis mein Ehrgeiz eine gewisse Höhe erreicht und meine Verachtung menschlicher Armseligkeit sich sowohl an den Quellen des äußerlichen Glücks, als an der innerlich strömenden Quelle bitteren, an sich selbst zehrenden Trostes vollgeschwelgt hat. Und doch, o Julie, ich weiß nicht, ob auch dieß mich aufrecht erhalten hätte, wenn nicht mein Herz gerade in dem Zeitpunkt, wo ich am tiefsten verwundet, körperlich geschwächt, und geistig verbittert war, das Deinige gefunden und ihm zugeeilt wäre; ich sah Dich, liebte Dich, und das Leben gewann für mich eine neue Gestalt. Selbst jetzt, wo ich Dir dieß schreibe, verfliegt alle Bitterkeit, aller Stolz; Alles, wonach ich verlangt habe, verschwindet, selbst mein Ehrgeiz ist weg – ich habe keinen Wunsch mehr als Dich, Julie! schöne angebetete Julie! Wenn ich Dich liebe, liebe ich sogar mein Geschlecht. O, Du weißt nicht, welche Gewalt Du über mich hast! Mißbrauche sie nicht! Du kannst mir noch alles verwirklichen, wovon ich als Knabe träumte, aber Du kannst auch jeden Gedanken, jedes Gefühl, jede Empfindung in mir zu Stein verhärten.

Ich wollte Dir sagen, warum ich kein Glück von unsrer Verbindung erwarte. Du kennst jetzt mein Wesen. Du hast die Geschichte meines Lebens verfolgt, indem Du die Geschichte meines Charakters verfolgtest. Du siehst was ich aufgebe, wenn ich Dich gewinne. Ich sträube mich nicht gegen das Opfer. Ich gebe das eigentliche Wesen meines Geists und meiner Seele, wie sie jetzt sind, auf. Ich höre auf, ein Weltkind zu seyn. Ich kann mich nicht erheben; ich kann den Namen meiner Ahnen nicht mehr beleben; ja ich will ihn für immer verlassen. Ich will einen andern Namen annehmen. Ich will mich zu einem andern Rang im Leben heruntergeben. In einer abgelegnen Stadt mittelst eines niedrigeren Berufs als mein bisheriger war, müßen wir unsern Lebensunterhalt gewinnen und über den Ehrgeiz lächeln. Ich sag es Dir frei heraus, Julie, wenn ich die Augen meines Herzens schließe, wenn ich mein Auge von Dir abkehre, so macht mich dieses Opfer erbleichen. Aber dann drängst Du Dich mit Gewalt vor mein Auge, und ich fühle, daß Einer Deiner Blicke mir mehr als Alles ist. Wenn Du mit mir tragen kannst, wenn Du mich trösten kannst, wenn Du, falls eine Wolke über mein Gemüth zieht, sie unbemerkt vorübergehen lassen und mich anlächeln kannst, sobald sie weg ist – o Julie! dann gibt es keine so bittre Armuth, keine Verfolgung des Schicksals, keine Verzichtleistung auf frühere Träume, die mir nicht Wonne und Entzücken seyn würden, verbunden mit der Seligkeit, zu wissen, daß Du mein bist. Nie sollte Dir meine Lippe, nie mein Auge Dir sagen, daß es etwas auf Erden gibt, das ich bereuen, nach dem ich mich sehnen könnte. Nein Julie! könnte ich meinem Herzen mit dieser Hoffnung schmeicheln: Du würdest mich nicht bei einer Verbindung mit Dir Unglücksahnungen aussprechen hören! Aber ich zittre, Julie, wenn ich Deine Gemüthsart und die meinige bedenke; Du wirst einen trüben Blick von Einem, der nie fröhlich ist, für eine Beleidigung nehmen; Du wirst jeden Ausdruck der Leidenschaft gegen das Schicksal oder Andre, als einen Vorwurf gegen Dich ansehen. Du kannst Dich auch nicht in mein Wesen finden, Du kannst nicht in seine Tiefen hinabsteigen, nicht sehen, und noch viel weniger zu beschwichtigen suchen wirst Du die grübelnde, luchsäugige Eifersucht die hier wohnt. Holdeste Julie, nach jedem Athemzug, jeder Berührung, jedem Blick von Dir schmachte ich weit heftiger als eine Mutter nach dem Kinde sich sehnt, das ihr auf Jahre lang entrissen wird. Dein Haupt lehnte einmal auf einem alten Baum, erinnerst Du Dich desselben noch, in der Nähe von ...? – und jeden Tag, nachdem ich Dich gesehen, ging ich hin um ihn zu küssen. Wunderst Du Dich über meine Eifersucht? Wie kann ich Dich so lieben, und nicht eifersüchtig seyn? mein ganzes Wesen ist von Dir berauscht.

Dieß also, Dein Stolz und der meinige – Dein Wohlgefallen an der Bewunderung Anderer – Deine Flüchtigkeit, Julie! läßt mich meine ewige, immer strömende Quelle von Seelenpein voraus sehen. Es kümmert mich nicht; es kümmert mich nichts, wenn nur Du mein wirst, und wär' es nur für Eine Stunde!«

Es scheint, daß trotz der sonderbaren, bisweilen mit dem Charakter eines Liebhabers im Widerspruch stehenden, trotzigen und selbstsüchtigen Weise dieser Briefe Brandons, der ächte Ton der Leidenschaft, vielleicht ihre Originalität – unterstützt ohne Zweifel durch einige von dem Schreiber angewandte Beredtsamkeit und eine verrätherische Neigung von Seiten der Dame, endlich doch siegte, und daß zuletzt eine Verbindung geschlossen wurde, von der so unwahrscheinlich war, daß ihr ein günstiger Stern lächeln werde. Der Brief, welcher die Correspondenz schloß, war von Brandon; er war am Abend vor der Vermählung geschrieben, welche nach den Andeutungen dieses Briefs in der Stille und heimlich vor sich gehen sollte. Nach einem schwärmerischen Erguß der Hoffnung und Freude fuhr er also fort: »Ja Julie, ich widerrufe meine Worte: ich glaube nicht mehr, daß Du oder ich je Grund haben werden, uns unglücklich zu fühlen. Diese Augen, welche so zärtlich auf den meinigen hafteten, diese Hand, deren Druck ich noch in jedem Nerven meines Wesens fühle; diese Lippen, die sich so spröde – und doch, soll ich es sagen? mit Widerstreben von mir abwendeten – Alles sagt mir, daß Du mich liebst und meine Befürchtungen sind verbannt. Die Liebe, welche meine Natur besiegte, wird auch das Einzige, was ich an Dir verändert sehen möchte, besiegen. Nichts könnte mich je vermögen, Dich weniger anzubeten, obgleich Du dieß zu fürchten Dich anstellst; nichts als die Ueberzeugung, daß Du meiner unwürdig wärest, daß Du Gedanken an einen Andern hegtest – dann – auch dann würde ich Dich nicht hassen. Nein! das herrschende Gefühl meines frühern Daseyns würde sich wieder beleben, ich würde schwelgen in einem Uebermaß von Verachtung, ich würde Dich gering schätzen – Dich verhöhnen, und wieder werden, was ich war, eh' ich Dich kannte. Doch warum rede ich so? Meine Braut, meine Wonne, vergib mir!«

Zudem wir unsre Auszüge aus dieser Correspondenz beschließen, bitten wir den Leser Folgendes sich zu merken:

Erstens, daß die Liebe, zu welcher Brandon sich bekannte, von jener heftigen und sinnlichen Art war, welche einerseits oft die am wenigsten dauernde und andrerseits die leicht in die fürchterlichsten Extreme des Hasses und sogar des Widerwillens übergehende ist. Zweitens, daß der Charakter, welcher mit so sarkastischer Aufrichtigkeit sich aufschloß, offenbar bei der Geliebten entweder gänzliche Hingebung oder die kunstreichste Gewandheit erheischt; und Drittens, daß wir auf solche Eigenschaften bei der schönen Schreiberin hindeuteten, welche eben zu keinen sanguinischen Hoffnungen hinsichtlich solcher Erfordernisse berechtigten.

Während der herbe und sarkastische Brandon mit verzognem, aber oft auch mit bebendem Munde sich selbst zu dem Geschäft zwang, sich durch diese Denkmale früherer Thorheit und jugendlicher Aufregung durchzuarbeiten, bringt uns die weitere Darstellung der Begebenheiten, die jetzt rasch einer verhängnißvollen, furchtbaren Katastrofe entgegen gingen, auf die Erzählung von Thatsachen, welche viele Jahre früher fallen als die Zeit, bei der wir jetzt angekommen sind.


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