Edward Bulwer
Paul Clifford. Fünftes Bändchen
Edward Bulwer

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Die Räuber waren sehr vergnügt über ihre Beute,
Sie sagten tausend Dinge, welche die Ruchlosigkeit ihrer Moral bezeugten.

Gil Blas.

Sie hielten an einem Ort, wo sie eine Höhle gemacht, geräumig genug, um sie und ihre Pferde aufzunehmen. Diese Höhle war in einem Dickicht von Gehölz und Buschwerk versteckt. Von diesem Schlupfwinkel pflegten sie ihre Streifzüge zu machen u. s. w.

Richard Turpins Schicksale.

Während der ersten Minuten ihrer Flucht fand kein Gespräch unter den Räubern statt. Ihre Pferde flogen dahin wie der Wind und die Gegend durch welche sie ritten, legte ihrer Eile kein andres Hinderniß als gelegentlich ein Gehege oder einen kurzen Strich Dickicht von entlaubten Buchenwaldungen in den Weg. Die Sterne verliehen ein munteres Licht und die Geister von Zweien wenigstens unter ihnen waren ganz gestimmt sich der heitern Erregung durch die rasche Bewegung und den freundlichen Himmel hinzugeben. Im dritten aber vereinigte sich vielleicht eine gewiße Vorahnung, daß das gegenwärtige Abenteuer nicht so fröhlich endigen würde, als es angefangen hatte, mit andern Ursachen des Trübsinnes zur Herabstimmuug der lebhaften Freude, welche gewöhnlich eine glücklich ausgeführte Unternehmung begleitet.

Der Pfad, den die Räuber einschlugen, zog sich großen Waldungen entlang oder über weite Stecken wüsten Landes. Sie begegneten auf ihrem Wege keinem lebenden Wesen, außer hier und da einer einsamen Eule, deren graue Gestalt den Saum nackter Wälder umflatterte, oder gelegentlich einer Heerde Kaninchen, die ihre Spiele trieben und sich an ihrer nächtlichen Atzung auf den Feldern labten.

»Himmel!« rief der große Räuber, dessen Incognito wir nicht länger beizubehalten brauchen und der, wie unsre Leser ohne Zweifel schon gemerkt haben, den Namen Pepper führte, »Himmel!« rief er und blickte mit einer Art von Verzückung zum Sternenhimmel hinauf, »was ist das für ein hübsches Leben! Manche Leute lieben die Jagd – zum Henker, was ist die Jagd gegen die Landstraße? Wenn es schon ein Spaß ist, einem garstigen Fuchs nachzujagen, wie viel mehr ist es einer, den hübschen, schmucken Wagen eines Edelmanns zu erjagen! Wenn es eine Freude ist einen Hasenpelz zu erbeuten, wie viel größer ist der eine Masse Gelds zu gewinnen! Wenn es eine Lust ist, am hellen Tag über ein Hag zu sehen, so will ich mich drauf hängen lassen, es ist zehnmal größre Lust, bei Nacht darüber hinzuschweben – da ist eines! Schaut wie das Buschwerk an uns vorbei fliegt und die einfältige alte Dame Luna herumtanzt, als ob unser Anblick die gute Dame in gute Laune versetzte. Solche alte Jungfern sind immer froh, wenn sie so feiner, glänzender junger Bursche ansichtig werden.«

»Ja!« rief der gebildetere, sentenzenreiche Augustus Tomlinson, durch den gelungenen Streich aus seiner sonstigen filosofischen Nüchternheit aufgeweckt, »kein Werk ist so lieblich als Nachtwerk, und die Hexen, welche von unsern Vorfahren verbrannt wurden, hatten gar Recht, auf ihren Ofengabeln mit den Eulen und Sternen auszureiten. Wir sind jetzt ihre Nachfolger, Ned! Wir sind die wahren Nachtvögel.«

»Nur« sagte Ned, daß wir ein gut Theil klüger sind, als sie waren; denn sie trieben ihr Spiel, ohne um einen Deut reicher zu werden, und wir – aber Tomlinson, wo Teufels habt Ihr das rothe Maroquin-Kästchen hingethan?«

»Erfahrung macht nie die Narren klug!« sagte Tomlinson, »sonst müßtet Ihr wissen, ohne erst zu fragen, daß ich es in meine sicherste Rocktasche geschoben habe. Bei Gott! wie schwer es ist!«

»Ey!« rief Pepper, »ich könnte nicht sagen, daß ich es leichter wünschte! denkt nur, daß wir den Lord zweimal und noch dazu auf derselben Straße geplündert haben!«

»Ich meine, Lovett!« rief Tomlinson, »war es nicht unartig, daß wir unsern Freund von Bath so unglimpflich behandelt haben? Ein Glück für uns, daß wir so streng darauf halten in Masken zu plündern. Er würde keine besonders gute Meinung von seiner Gesellschaft in Bath bekommen haben, wenn er unser Gesicht gesehen hätte.«

Lovett oder lieber Clifford hatte bisher geschwiegen. Jetzt kehrte er sich langsam auf seinem Sattel um und sagte: »der arme Teufel wäre beinah bei der Sache hinüber befördert worden. Der lange Ned hätte kurzen Prozeß mit ihm gemacht, wär' ich nicht ins Mittel getreten.«

»Und warum thatet Ihr das?« fragte Ned.

»Weil ich keinen Mord auf mir haben mag; es ist der Fluch unsres edlen Gewerbes, daß es so leidenschaftliche ausübende Jünger hat wie du bist.«

»Leidenschaftlich,« wiederholte Ned, »nun, ich bin ein wenig cholerisch, ich gesteh' es, aber das ist kein so großer Fehler bei der Straßenräuberei als es beim Häuser-Einbruch seyn würde. Ich weiß nichts, das so viele Kaltblütigkeit und Besonnenheit erforderte als die Säuberung eines Hauses vom Giebel bis zum Grund – ruhig und artig, Versteht sich!«

»Das ist also vermutlich auch der Grund,« sagte Augustus, »warum Ihr diese Laufbahn ganz verließet. Euer erstes Abenteuer war ein Einbruch, so meine ich von Euch gehört zu haben. Ich gestehe, es war ein gemeines Debutiren und Eurer nicht würdig.«

»Nein! Harry Cook verführte mich! aber die Probe, die ich in jener Nacht sah, verleidete mir das Schlösser aufsprengen; es bringt Einen in Berührung mit so niederträchtigen Gesellen; denkt nur, ein Krämer, ein Lumpentrödler war auch von der Partie.«

»Pfui!« sagte Tomlinson mit gravitätischem Eckel.

»Ja, Ihr dürft darüber wohl den Mund verziehen; nie brach ich nachher wieder in ein Haus ein.«

»Wer waren Eure andern Genossen?« fragte Augustus.

»Niemand als Harry Cook und ein sehr sonderbares Weibsbild – – «

Hier wurde Neds Erzählung durch einen sehr dunkeln Waldweg unterbrochen, der nur Einen Reiter auf Einmal durchließ. Einige Minuten verfolgten sie diesen düstern Pfad, bis er sie endlich an den Rand einer großen Schlucht führte, die mit Buschwerk überwachsen ungefähr in der Gestalt eines rohen Halbkreises sich ausdehnte. Hier stiegen die Räuber ab und führten ihre dampfenden Pferde den Abhang hinunter. Der lange Ned, der erste im Zug, blieb vor einem Buschwerk stehen, so dicht, daß es den Durchgang zu verwehren schien, das aber vor der kundigen Hand des Räubers zu beiden Seiten zurückweichend, den Anblick der Mündung einer Höhle darbot. Wenige Schritte durch den Gang dieser Vertiefung brachten sie an eine Thüre, die, selbst bei Fackellicht gesehen, in Farbe und Material den rohen Wänden zu beiden Seiten so ganz ähnlich erschien, daß sie ein argloses Auge ganz getäuscht haben würde, und die in der gewöhnlich darüber brütenden Finsterniß wohl Jahrhunderte lang hätte unentdeckt bleiben mögen. Der Druck auf eine geheime Feder öffnete die Thüre und die Räuber befanden sich jetzt in dem sichern Bereiche der rothen Höhle. Es darf daran erinnert werden, daß unter den frühern Studien unsers musterhaften Helden die Denkwürdigkeiten Richard Turpins eine Hauptstelle eingenommen hatten und ebenso, daß unter den mannigfaltigen Abenteuern dieses Ehrenmanns die jugendliche Einbildungskraft des lernbegierigen Knaben nichts so sehr ergriffen hatte als die Beschreibung der Waldhöhle, worin der muntre Turpin sich selbst, seinen Freund, sein Pferd und

»Die süße Heil'ge die sein Lager theilte,«

oder, um gewöhnlicher zu reden, die ehrenwerthe Mrs. Turpin verborgen hielt. Wirklich hatte diese frühe Erinnerung einen so unauslöschlichen Eindruck auf die Seele unsers Helden gemacht, daß er, sobald er sich zum überlegnen Ansehen unter seinen Freunden aufgeschwungen hatte, diesen Traum seiner Kinderjahre in Vollzug setzte. Sein Scharfblick hatte dazu einen wunderbar tauglichen Ort auserkoren. In einer dünn bevölkerten Gegend, von Angern und Waldungen umgeben und doch, (wie Herr Robins sich ausdrücken würde, wenn er bei einer Versteigerung ihn anzubieten hätte) »nur eine bequeme Ritts-Länge« von volkreichen und viel bereisten Straßen entfernt, vereinigte es alle Vortheile der Heimlichkeit mit der günstigsten Gelegenheit zu Raubzügen. Sehr wenige von der Bande, und nur diejenigen, welche bei der Anlegung beschäftigt gewesen, wurden mit dem Geheimniß dieser Höhle bekannt gemacht; und da unsre Abenteurer sie nur selten und nur bei Gelegenheiten dringender Noth oder sichrer Zurückgezogenheit besuchten, war sie länger als zwei Jahre unentdeckt und ungeahnt geblieben.

Die Höhle, schon von der Natur vertieft, verdankte der Verschönerung der Kunst nur wenig; jedoch waren die rauhen Wände durch eine kunstlose aber bequeme Tapete von Flechtwerk bedeckt; vier oder fünf Ruhepolster, wie sie die Räuber selbst zu verfertigen im Stande waren, standen um ein kleines aber helles Holzfeuer, das, weil kein Kamin da war, eine kleine Rauchmasse durch das Gemach verbreitete. Die Höhe der Höhle jedoch, neben der Alles ausgleichenden Gewohnheit, machte, daß dieser Uebelstand nicht allzulästig wurde; und vielleicht fanden sogar die Inhaber, gleich den Bewohnern einer irländischen Hütte, eine gewisse Behaglichkeit in einem Umstand, der mit ihren heimisch-vertrautesten Gedanken in so naher Verbindung stand. Ein Tisch, aus einer grob gehobelten Diele bestehend und von vier ungleichen Füßen getragen, deren Mißverhältniß durch Einschiebung von Blöcken oder Keilen zwischen ihnen und dem Boden abgeholfen war, stand beim Feuer, das dieß unzierliche Hausrathsstück erwärmte. In einer Ecke machte ein bedeckter Karren einen sehr in die Augen fallenden Bestandtheil der Einrichtung aus; ohne Zweifel war er sehr nützlich zur Beischaffung von Beute und Lebensmitteln; neben den Rädern waren nachlässig ein paar Tischlerinstrumente hingeworfen, so wie die mehr kriegerischen Werkzeuge: eine Muskete, eine Büchse und zwei Säbel. In der andern Ecke war ein offenstehender Schrank mit Reihen von Zinnplatten, Kannen u. s. w. Der Feuerstätte gegenüber, die links vom Eingang war, war eine Vertiefung zum Schlafgemach eingerichtet worden und gegenüber vom Eingang führten ein paar große, starke, hölzerne Staffeln zu einer geräumigen, ungefähr acht Fuß über dem Boden erhabnen Höhle. Dieß war der Eingang in die Ställe; und so bald ihre Herren die Zügel der Pferde fahren ließen, schritten die gelehrigen Thiere eins nach dem andern langsam die Stufen hinan, wie vierfüßige Geschöpfe, welche in der öffentlichen Anstalt von Ashley ihre Bildung empfangen haben, und verschwanden in der Oeffnung.

Wenn man diese Stufen hinaufzog, wozu jedoch, wegen ihrer großen Plumpheit, die vereinigte Kraft zweier gewöhnlicher Männer erforderlich war und was sich nicht so rasch bewerkstelligen ließ als zu wünschen gewesen wäre, so wurde der Raum oben zu einem ziemlich starken haltbaren Platz; denn die Wandung war ganz senkrecht und nur, wenn man die Hände auf dem Rand aufsetzte und so mit gymnastischer Gewandtheit sich emporschwang, konnte ein beherzter Angreifer die Höhe erreichen, und man kann sich leicht denken, daß gleich rüstige Vertheidiger ein solches Unternehmen wohl nicht ungestraft würden haben geschehen lassen.

Diese obere Höhle war offenbar mit einiger Sorgfalt eingerichtet, denn unsere Räuber widmeten ihren Pferden mehr Aufmerksamkeit als sich selbst – gleichsam als den edleren Wesen unter beiden Gattungen. Die Ställe waren einigermaßen abgetheilt, die Streue von trocknem Farnkraut sauber, die Tröge mit Hafer gefüllt und eine große Kufe war aus einem unfernen Teiche gefüllt worden. Ein Pferdegeschirr zu einem Karren und einige alte Fuhrmannskittel hingen an Pflöcken an der Mauer; am äußersten Ende dieser sonderbaren Ställe war eine fest verrammelte Thüre, eben groß genug, um Einen Mann durchzulassen. Die Verbündeten hatten es zum ausdrücklichen Gesetz gemacht, nie in ihr Heimwesen durch diese Thüre zurückzukehren und sich überhaupt derselben nie zu bedienen, ausgenommen zum Behuf der Flucht, wenn je die Höhle angegriffen werden sollte; in diesem Falle sollte, während ein Paar den Eingang der innern Höhle vertheidigten, ein dritter die verrammelte Thüre aufmachen; und da sie gegen den dichtesten Theil des Waldes sich aufthat, durch den mit großer List ein labyrinthischer Weg gehauen worden war, den ein unwissender Verfolger nicht leicht aufspüren konnte, so hatten diese Vorsichtsmaßregeln der Straßenräuber ihnen so ziemlich die Hoffnung gesichert, sich dem Angriffe von Feinden durch die Flucht wenigstens für einige Zeit zu entziehen.

Dieß war die innere Einrichtung der rothen Höhle; und man wird zugeben, daß wenigstens in der Wahl des Platzes sich ziemlicher Scharfblick zeigte, wenn auch die Verzierungen Mangel an Geschmack verrathen mochten.

Während die Pferde in der Dunkelheit hinauftrabten, machten sich unsere drei Helden, nachdem sie die Thüre verwahrt hatten, sofort an's Feuer. Und hier, o Leser! wurden sie begrüßt und bewillkommt von Einem – einem alten achtbaren Bekannten von dir – welchen unter solchen Verhältnissen wieder zu treffen, dich eben so sehr überraschen als schmerzen wird.

Wisse denn – doch zuerst wollen wir dir die Beschäftigung und den Aufzug der erhabenen Person, von welcher wir sprechen, beschreiben. Ueber einen Rost, köstlich überdeckt mit fetten Lendenstücken gebeugt, stand das Individuum; der rechte Arm war bis über den Ellbogen entblößt und seine rechte Hand hielt den bildlichen Dreizack, bei den Gastronomen unter dem Wort Gabel bekannt, fest. Sein perückenloses Haupt war mit einer kattunenen Nachtmütze geschmückt. Seines Oberkleides hatte er sich entledigt, und eine weißliche Schürze umwallte anmuthig seinen Unterleib. Seine Strümpfe waren nicht gebunden und gewährten zwischen Knie und Wade interessante Ansichten des rohen Fleisches. Ein Zeug-Schuh und Einer von Leder-Stoff umschloßen seine breiten Füße. Unternehmungsgeist oder vielleicht die edle Glut seines dermaligen Küchengewerbes verbreiteten eine noch rosigere Röthe über ein schon durch großartige Trankspendungen früh gefärbtes Antlitz und seine großen und runden Augenscheiben blitzten unter den Gardinen seiner blaßgelben Augenlieder den Ankömmlingen funkelnd entgegen. Dieß, o Leser! war der Anblick und das Geschäft des verehrungswürdigen Mannes, welchen zu bewundern wir dich schon längst angeleitet haben, dieß war – ach über die Wandelbarkeit des Irdischen! – war – nur ein neues Kapitel darf den Namen nennen.


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