Edward Bulwer
Paul Clifford. Viertes Bändchen
Edward Bulwer

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Achtzehntes Kapitel.

Wie konnte sie ihn lieben?
Frage nicht!
Keimt Liebe denn aus Willkür oder Pflicht?
Wenn er für sie nur edel war!

Binnen drei Wochen von seiner Ankunft in Bath an, war Capitän Clifford der bewundertste Mann daselbst. Zwar hätten vielleicht die Männer, welche in der Schätzung ihres eignen Geschlechts einen weit schnellern Takt besitzen, als die Frauen, ihn ein wenig scheel angesehen, wenn er nicht selbst sorgfältig den Schein der Zudringlichkeit vermieden hätte und wirklich der Gesellschaft von Männern mehr ausgewichen wäre, als daß er sie aufsuchte; so daß er, nachdem er ein Duell mit einem Baronet, dem Sohn eines Schuhmachers, der von ihm als einem gewissen Clifford gesprochen, ausgefochten hatte, und sich auf einem getiegerten Pferd sehen ließ, das für das schönste in Bath erklärt wurde, sich allmälig zu einer gewissen Anerkennung bei seinem eignen Geschlecht wie bei den Frauen zu allgemeiner Beliebtheit emporschwang. Was aber immer den Verdacht auf sich zog und rege erhielt, war sein vertrauter Umgang mit einem so sonderbaren und pomphaft aussehenden Gentleman, wie Herr Edward Pepper. Man konnte sich über eine gewisse Freimüthigkeit in Cliffords Benehmen wegsetzen, aber auch die Nachsichtigsten verloren die Geduld über der Unverschämtheit des langen Ned. Clifford jedoch war nicht blind gegen das Lächerliche, das an seinen Bekannten haftete und wußte bald so einzurichten, daß er seinen Beschäftigungen allein nachgieng; ja er nahm eine besondre Wohnung für sich und ließ den langen Ned und Augustus Tomlinson, (den letztern um als niederschlagendes Mittel auf den ersten zu wirken,) im ungestörten Genuß der Wohnung bei dem Haarkräusler. Er selbst besuchte alle öffentliche Lustbarkeiten, und sein Aeußeres, verbunden mit dem Anschein von Reichthum, den er um sich zu verbreiten wußte, verschaffte ihm den Zutritt in einige Privatzirkel, welche darauf Anspruch machten, ausschließliche zu heißen. Als ob Leute mit Töchtern in England je ausschließlich seyn können! Nicht wenige waren es der zärtlichen Blicke, nicht sparsam die einladenden Briefchen, die ihm zu Theil wurden. Und wäre sein einiger Zweck gewesen, eine Erbin zu heirathen: er hätte ihn aber ohne Schwierigkeit erreicht. Aber er widmete sich ganz Lucie Brandon und um Einen Blick von ihr zu gewinnen, hätte er auf alle Erbinnen der Welt verzichtet. Zum größten Glück für ihn war Mauleverer, dessen Gesundheit sehr leicht zu erschüttern war, an dem Tag, da Brandon Bath verließ, krank geworden; und seine Lordschaft ward somit verhindert, die Bewegungen Luciens zu beobachten, und die Fortschritte des Liebhabers zu untergraben oder ganz und gar zu vereiteln. Wirklich hatte Miß Brandon Anfangs, gerührt über die Zärtlichkeit ihres Oheims und von dem Sinn seiner Warnung betroffen, (denn sie war kein eigenwilliges junges Fräulein, das sich einmal in den Kopf sezte, zu lieben,) die Bemühungen des Capitän Cliffords mit einer Kälte aufgenommen, die nach ihrem Benehmen am ersten Abend wo er sie in Bath getroffen hatte, ihm eben so überraschend wie schmerzlich kränkend war. Er zog sich zurück und machte sich an den Squire, der geduldig und gelangweilt wie gewöhnlich, in seiner Lieblings-Ecke abgeschnitten dasaß. Zufällig trat Clifford dem Squire auf seinen gichtkranken Zehen, und als er die Ungeschicklichkeit entschuldigte, ward er durch die Gutherzigkeit und die eigenthümliche Ausdrucksweise des alten Herrn so eingenommen, daß er sich mit ihm, ohne ihn zu kennen, in ein Gespräch einließ. Clifford hatte eine Art von ansprechender Lebhaftigkeit und Aufrichtigkeit, um nicht zu sagen, Witz, welche für ältere Leute immer etwas Anziehendes hat, da diese die Freimüthigkeit mehr als alle Cardinaltugenden lieben, und so fand auch der Squire großes Wohlgefallen an ihm. Die einmal angeknüpfte Unterhaltung wurde, nachdem Clifford sich unterrichtet hatte, wer sein neuer Freund sei, wie sich von selbst versteht, ohne Schwierigkeit fortgesetzt; und am nächsten Morgen bei der Zusammenkunft im Brunnensaal, bat der Squire Clifford zum Essen. Da einmal der Zutritt ins Haus gewonnen war, so gab sich das Uebrige leicht. Lang ehe Mauleverer wieder seine Gesundheit erlangt hatte, war das von seinem Nebenbuhler angerichtete Unheil schon beinah unheilbar, und das Herz der reinen, einfachen, zärtlichen Lucie war mehr als halb an den familien- und heimathlosen Ritter verloren, der als Held in dieser Erzählung auftritt.

Eines Morgens machten Clifford und Augustus mit einander einen Spaziergang. »Wir wollen« sagte der letztere, der in schwermüthiger Stimmung war, »die geräuschvollen Straßen verlassen und uns einem filosofischen Gespräch über die menschliche Natur hingeben, indeß wir im Freien ein wenig frische Luft genießen.« Clifford stimmte dem Vorschlag bei und das Paar schlenderte gemächlich auf einen der Hügel, welche die Stadt Bladud's umgeben. »Es giebt gewisse Augenblicke,« sagte Tomlinson nachdenklich auf seine Jersey-Hosen niederblickend, »wo wir sind wie der Fuchs in dem Ammenmährchen: ›dem Fuchs that's weh, er wußte nicht wo‹; man fühlt sich außerordentlich unglücklich und kann nicht sagen, warum? eine finstere, trübe Schwermuth übermannt uns; wir fliehen den Anblick der Menschen, wir hüllen uns in unsere Gedanken ein wie Seidenwürmer, wir murmeln Zeilen ans traurigen Liedern, Thränen treten uns in das Auge; alles Mißgeschick das uns je zugestoßen, fällt uns ein; mit gesenktem Haupt und die Hände in den Hosentaschen schleichen wir einher, wir sagen: Was ist das Leben ? Ein Stein den man in die Pferdeschwemme werfen sollte. Wir schmachten nach einem verwandten Herzen und haben ein juckendes Verlangen, Wunder was von uns selbst zu sprechen; alle andern Gegenstände erscheinen uns schaal, abgeschmackt und unersprießlich – es ist uns, als könnte eine Fliege uns niederwerfen, wir sind in der Laune uns zu verlieben und ein gar schwermüthiges Stück Arbeit daraus zu machen. Aber trotz all dieser Schwäche hegen wir in solchen Augenblicken eine viel vornehmere Meinung von uns als je sonst. Wir nennen unsre Migräne die Schwermuth einer erhabenen Seele, die unbehagliche Unruhe in Folge einer schlechten Verdauung betiteln wir als Sehnsucht nach Unsterblichkeit, ja sogar als einen Beweis vom Wesen der Seele. Möchte ich doch einen Biografen finden, der solche Gemüthszustände recht versteht und möge er solche schmelzende Empfindungen als die Erzeugnisse eines poetischen GemüthsMan vergleiche das Leben Byron's von Moore, wo zur Genüge dargethan ist, daß wenn ein Mann 48 Stunden fastet, dann drei Hummer verzehrt, und Gott weiß wie viele Flaschen Claret dazu trinkt: wenn er sich am nächsten Morgen beim Erwachen von der Hälfte der periodischen Blätter des Lands als einen Dämon verschrieen findet, wenn der Nachmittag unter Besprechungen mit seinen Gläubigern oder Mißhelligkeiten mit seiner Gattin hingeht; wenn er mit Einem Wort zerrüttet ist in seiner Gesundheit, ungeregelt in seiner Lebensweise, bedrängt in seinen Vermögens-Umständen und unglücklich in seinem Hause – und wenn er dann so excentrisch seyn sollte, niedergeschlagen und menschenfeindlich zu werden, so ist seine Niedergeschlagenheit und sein Menschenhaß keineswegs diesen äußerst angenehmen Verhältnissen zuzuschreiben, sondern, Gott weiß warum? dem poetischen Gemüth! geltend machen, die in der That nur das Erzeugniß von einem Hammelsrippchen sind.«

»Ihr scherzt doch munter genug über Eure üble Stimmung,« sagte Clifford, »aber ich habe Grund zu der meinigen.«

»Nun denn?« rief Tomlinson. »Um so leichter ist sie zu kuriren. Der Geist kann die Uebel heilen, welche aus dem Geist entspringen; er ist ein Thor, ein Quacksalber und Faselhans, wenn er sich rühmt, die aus dem Körper herrührenden heilen zu können. Meine blauen Teufel entspringen aus dem Körper; deßwegen kämpft mein Geist, der wie Euch bekannt, ein äußerst weiser Geist ist, nicht gegen sie an. Sagt mir frei heraus« fuhr Augustus nach einer Pause fort, »plagt Euch je die Reue? Denkt Ihr je, wenn ihr ein Aufwärter geworden wäret, mit einer Schürze um den Leib, würdet Ihr ein glücklicheres und besseres Mitglied der Gesellschaft seyn als jetzt?«

»Reue?« sagte Clifford stolz und seine Antwort ließ einen tieferen Blick in das Geheimniß seines Herzens, seine Triebfedern, seine Denkweise und seine Eigenthümlichkeit werfen, als sonst möglich war, »Reue! das ist das hohlste Wort in unsrer Sprache. Nein – sobald ich bereue, so bald ändre ich meine Handlungsweise. Nie kann ich es als eine Buße für ein Verbrechen ansehen, wenn ich es bloß bereue; meine Seele ließe mir nicht zu, zu bereuen ohne gut zu machen. Bereuen! nein, noch nicht. Je älter ich werde, je mehr ich die Menschen kennen lerne und die Beschäftigungen des gesellschaftlichen Lebens, desto mehr Eckel empfinde ich, ein offner Verbrecher, gegen die bemäntelte und verdeckte Ehrlosigkeit um mich her. Ich anerkenne keine Verbindlichkeit gegen die Gesellschaft. Von meiner Geburt an bis auf diese Stunde habe ich von ihren Einrichtungen und Gesetzen keine einzige Gunst empfangen; offen trat ich ihr entgegen und geduldig will ich ihrer Rache mich unterwerfen. Dieß mag Verbrechen heißen; aber es wiegt nicht schwer in meinen Augen, wenn ich um mich schaue und zu allen Seiten die verlarvten Verräther sehe, welche große Verpflichtungen gegen die Gesellschaft zu haben anerkennen, welche sich rühmen, ihren Gesetzen zu gehorchen, ihre Einrichtungen zu verehren und vor Allem – o mit welchem Rechtsgefühl! – alle diejenigen anzugreifen, welche die Gesellschaft angreifen – und die doch lügen und betrügen und veruntreuen und unterschlagen, im öffentlichen Leben alle Vortheile an sich reissen, im Privatleben jeden Nutzen wegkapern, Reue! weßhalb? Ich trete arm und freundlos in die Welt; ich finde eine Gesetz-Sammlung – feindselig gegen die Armen und Freundlosen. Gegen diese mir feindseligen Gesetze bekenne ich denn auch meine Feindschaft. Zwischen uns ist das Verhältniß eines offnen Kriegs. Wie sie eine Blöße geben – ich bediene mich meines Rechts, wenn ich den Vortheil benütze; wenn sie mich überwinden, so gestehe ich ihnen ihr Recht zu, mich zu verderben.«Der Verfasser braucht hoffentlich nicht zu erinnern, daß dieß die Ansichten Paul Cliffords sind und nicht seine eigene.

»Leidenschaft« sagte Augustus kalt, »ist sonst gewöhnlich die Feindin der Vernunft; in Eurem Fall aber die Freundin.«

Das Paar hatte jetzt den Gipfel eines Hügels erreicht, der eine Aussicht auf die unten liegende Stadt beherrschte. Hier hielt Augustus, der etwas kurzathmig war, an, um Luft zu schöpfen. Als er dieß gethan hatte, deutete er mit dem Zeigefinger auf die unter ihnen liegende Scene und sagte mit Begeisterung: »Welch ein Gegenstand für die Betrachtung!«

Clifford stand im Begriff zu antworten, als sich plötzlich im Hintergrund der Ton von Gelächter und Stimmen vernehmen ließ. »Wir wollen fliehen« rief Augustus, »an diesem Tage des Mißmuths habe ich kein Gefallen am Mann, auch nicht am Weibe.«

»Halt!« rief Clifford mit zitterndem Tone; denn unter diesen Stimmen erkannte er eine, die bereits eine unwiderstehliche, bezaubernde Gewalt über ihn gewonnen hatte. Augustus seufzte und blieb mit Widerwillen regungslos stehen. Sofort ließ eine Biegung des Wegs eine Lust-Partie erblicken. Einige zu Fuß, Andere zu Pferd, noch Andere in kleinen Fuhrwerken, die noch heut zu Tag an Brunnen-Orten gebräuchlich sind, Fliegen oder Schwalben genannt.

Aber in dem ganzen fröhlichen Zug war nur Eine, für die Clifford Augen hatte. Mit jenem elastischen Schritt, der so selten die erste Jugendzeit überlebt, zur Seite des schwerfälligen Wagens hinwandelnd, worin ihr Vater gezogen wurde, strömte Lucie Brandon mit ihrer holden Schönheit über die ganze Gruppe (so schien es wenigstens ihrem Verehrer) einen zauberischen Glanz aus. Er blieb einen Augenblick stehen, um sein Herz zu besänftigen, das über ihren glänzenden Blicken und bei ihrem fröhlichen, unschuldvollen Lachen pochte; dann ermannte er sich und gieng langsam und mit einem gewissen Bewußtseyn des Eindrucks, den seine auffallend schöne Persönlichkeit machen mußte, auf die Gesellschaft zu. Der gute Squire empfieng ihn mit seiner gewöhnlichen Artigkeit, und belehrte ihn mit der lichtvollen Ordnung, der er so besonders hold war, über alle einzelne Umstände des Ausflugs. In diesem Augenblick wäre wirklich die Scene der Skizze eines Künstlers nicht unwerth gewesen – der alte Squire in seinem Wagen, sein wohlwollendes Antlitz gegen Clifford gekehrt, die Hände auf seinen Stock gestützt – Clifford sein stattliches Haupt neigend, um die Erzählung genau zu hören, auf der andern Seite des Wagens die schöne Tochter – ihr Gelächter plötzlich gestillt, ihr Schritt allmälig gesetzter und Röthe über Röthe die holde, sanfte, pfirsichzarte Wange überfliegend, die gesammte Gesellschaft von allen Größen, Altern und Aufzügen bot dem Carikaturen-Zeichner reichlichen Stoff, und die nachdenkliche Gestalt des Augustus Tomlinson, der, im Vorbeigehen gesagt, dem Schauspieler Liston ausnehmend glich,) stand abgesondert von den Uebrigen, auf der Spitze des Hügels, wo Clifford ihn verlassen hatte, und stellte, die eine Hand in der Weste, mit der andern sich das Kinn streichelnd, das langsam und einem Pendel gleich mit dem übrigen Kopf sich hob und senkte, moralische Betrachtungen über die bunte Gesellschaft an.

Als diese den Gipfel des Hügels erreichte, war die Aussicht auf die Stadt unten so ergreifend, daß ein allgemeines Schweigen entstand, während jedes seine Augen weidete. Eine junge Dame insbesondere zog ihr Bleistift hervor und begann zu skizziren, während die Mama selbstgefällig zusah und zerstreut etwas kalten Braten verzehrte. In dieser Zeit, während des allgemeinen Schweigens geschah es, daß Clifford und Lucie, der Himmel weiß wie! sich neben einander fanden und in gehöriger Entfernung von dem Squire und der übrigen Gesellschaft, um sich einigermaßen allein zu fühlen. Es entstand von beiden Seiten ein Stillschweigen, das keines zu unterbrechen wagte, als Lucie, die eine Blume, welche sie von dem Ort mitgebracht, den die Gesellschaft besucht hatte, betrachtete und damit spielte, sie zufällig fallen ließ; Clifford und sie bückten sich im selben Augenblick darnach, um sie aufzuheben und ihre Hände begegneten sich. Unwillkürlich hielt Clifford die zarten Finger in den seinigen; seine Augen, auf die ihrigen treffend, bezauberten und brannten diese so, daß sie zum erstenmal nicht vor seinem Blicke niedersanken; seine Lippen bewegten sich, aber vielfache und heftige Empfindungen erstickten seine Stimme so sehr, daß kein Ton hervorkam. Aber das ganze Herz war in beider Augen, dieser Augenblick entschied für immer über ihr Schicksal. Eine neue Epoche war für sie angebrochen, von der an sie ein neues Leben rechneten, ein Mittelpunkt war ihnen gegeben, um den ihre Gedanken, Erinnerungen, Leidenschaften sich drehten. Die große Kluft war übersprungen; sie standen jetzt beide auf Einem Ufer, und fühlten obwohl noch jedes für sich unvereinigt, daß auf diesem Ufer kein lebendiges Wesen war als sie allein. Indeß brach Augustus Tomlinson, umgeben von Personen die Lust zum Schauen und Hören hatten, seinen Trübsinn und seine Zurückhaltung. Er sah seine nächste Nachbarin voll an, schwenkte seine rechte Hand in der Luft, bis er sie in der Richtung gegen die Häuser und Kamine unten ruhen ließ, und wiederholte den moralischen Ausruf, den er an Clifford verschwendet hatte, mit feierlicherem und leidenschaftlicherem Ernst als zuvor.

»Welch ein Gegenstand für die Betrachtung, Madame!«

»Sehr richtig gesagt, in der That, Sir!« sagte die angeredete Dame, die von ziemlich ernsthafter Gemüthsstimmung war.

»Ich sehe« fuhr Augustus in lauterem Tone fort und sah sich rings nach Zuhörern um, »ich sehe nie eine große Stadt von der Spize eines Hügels an, ohne an einen Apothekerladen zu denken!«

»Herr, Sir!« sagte die Dame. Tomlinson's Absicht war erreicht, betroffen über den witzigen Einfall sammelte sich augenblicklich eine kleine Gruppe um ihn, um die weitere Ausführung mitanzuhören.

»An einen Apothekerladen, Madame!« wiederholte Tomlinson. »Da unten liegen alle Heilkräuter, alle Purganzen, alle Herzstärkungen und Gifte; alles was heilt, stärkt und zerstört. Es sind Arzneiwaaren genug da, um Sie alle zu retten und zu heilen; aber Keines von Ihnen weiß, wie sie gebrauchen, welche Arzneien verlangen, und in welchen Portionen sie nehmen? so daß der größte Theil von Ihnen eine unangemeßne Gabe verschluckt und an dem Heilmittel stirbt!«

»Aber wenn die Stadt ein Apothekerladen ist, was stellt dann, nach Ihrer Vorstellungsweise, den Apotheker vor?« fragte ein alter Herr, welcher merkte, wo Tomlinson hinaus wollte.

»Der Apotheker, Sir!« antwortete Augustus, der seine Idee von Clifford entlehnte und die Stimme sinken ließ, damit der wahre Eigenthümer ihn nicht hörte, »der Apotheker, Sir! ist das Gesetz! das Gesetz steht hinter dem Ladentisch und theilt Jedem zu, welche Gabe er nehmen soll. Dem Armen giebt es schlechte Arzneien unentgeltlich, dem Reichen Pillen um den Appetit zu reitzen; dem letztern Belohnungen für die Schwelgerei, dem ersten nur rasche Befreiung vom Leben. Ach! entweder ist der Apotheker nur ein unwissender Quacksalber, oder ist seine Wissenschaft noch in den Windeln. Er begeht so viele Mißgriffe als Sie selbst begehen könnten, wenn Alles Ihrer eignen Auswahl überlassen wäre. Diejenigen, welche sich an ihn zu wenden haben, sprechen selten rühmlich von seiner Geschicklichkeit. Er hilft Euch zwar – aber von Eurem Geld, und nicht von Eurer Krankheit; und die einzige Seite seiner Wissenschaft, worin er Adept ist, und die, welche ihn in Stand setzt, Euch bluten zu lassen. O Menschenkinder!« fuhr Augustus fort, »welch edle Geschöpfe solltet Ihr seyn! ihr habt den Schlüssel zu allen Wissenschaften, allen Künsten, allen Geheimnissen, nur Eines ausgenommen. Ihr habt keinen Begriff davon, wie regiert werden soll! Ihr könnt kein erträgliches Gesetz machen, um Leben und Seele nicht! Ihr macht Euch selbst das Leben so unbehaglich als es nur mit allen Arten von verletzenden und quälenden Einrichtungen möglich ist und dann werft Ihr den Vorwurf auf das Schicksal! Ihr setzt Regeln fest, welche zu verstehen unmöglich ist, vielweniger ihnen zu gehorchen, und Ihr nennt einander Ungeheuer, weil Ihr die Unmöglichkeit nicht bemeistern könnt. Ihr erfindet alle Arten von Vergebungen unter dem Vorwand Gesetze zum Schutz der Tugend zu geben; und von den künstlichen Unregelmäßigkeiten der Handlungsweise, die Ihr selbst hervorruft, sagt Ihr, sie seyen angeboren; Ihr macht eine Maschine auf die verkehrteste Art die man sich denken kann, und nennt sie mit einem Seufzer: menschliche Natur. Ein Heer trefflicher Anlagen in Eurer Brust bekämpfend, besteht Ihr darauf, Gottes Allmacht zu schmähen und zu erklären, er beabsichtigte, Euch zu verworfnen Geschöpfen zu machen. Ja, Ihr nennt sogar den Mann frevelhaft und aufrührerisch, der Euch bittet und anfleht, um ein Jota besser zu werden, als Ihr seyd. O Menschenkinder! Ihr seyd wie ein Blumenstrauß, den man in Coventgarden holt. Die Blumen sind lieblich, der Duft köstlich; betrachtet die prächtigen Farben, bewundert die schwellenden Blätter – wie schön, wie Leben- und Natur-athmend, wie begabt mit dem Thau, dem Hauch, dem Segen des Himmels seyd Ihr Alle! Aber das schmutzige Stückchen Bindfaden das Euch zusammenhält – man sollte meinen, Ihr habt es aus der Gasse aufgelesen!«

Mit diesen Worten wandte sich Tomlinson um, wollte von dem Haufen weg und stieg feierlich den Hügel hinab. Die Lustparthie folgte langsam und Clifford, der von dem Squire eine Einladung erhielt, an seinem Familienmahl Theil zu nehmen, gieng an Luciens Seite und fühlte seinen Geist wie von Edens Lüften berauscht.

Ein andrer Squire, der sich unter den Lustbarkeiten von Bath beinah eben so verlor, wie Josef Brandon, nahm an der Gastlichkeit des Herrn von Warlock auch Theil. Als die drei Herrn sich in das Gesellschaftszimmer begeben hatten, setzten sich die beiden ältern zu einem Brettspiel und für Clifford blieb der ungestörte Genuß, von Luciens Unterhaltung. Sie saß neben dem Fenster, als Clifford zu ihr trat. Auf dem Tisch neben ihr lagen Bücher umher, deren Zauber (es waren hauptsächlich Poesieen) sie erst in neuerer Zeit empfinden gelernt hatte; auch waren verschiedene kleine Meisterstücke weiblicher Kunstfertigkeit umher zerstreut, wozu die feingeformten Finger Luciens besondre Geschicklichkeit besaßen. Die Schatten des Abends verdunkelten schnell die leeren Straßen und am wolkenlosen, durchsichtig klaren Himmel traten allmälig die Sterne, einer um den andern hervor, bis zuletzt

»wie Wasser einen Schwamm, ihr sanftes Licht
den leeren, heil'gen, weiten Aether füllte.«

Schöner Abend! (wenn wir, wie Augustus Tomlinson, uns einer begeisterten Anrede überlassen dürfen,) schöner Abend! für Dich haben alle Dichter ein Lied gehabt und Dich mit Bächen und Wasserfällen, mit Blumen, mit Schaafen, Fledermäusen, Schwermuth und Eulen herausgeputzt; aber wir müssen gestehen, daß für uns, die wir in diesem gefühlvollen Zeitalter eine rührige, weltliche, hartherzige Person vorstellen, die wir an unsere Nachbarn anrennen, und uns auf dasselbe gefaßt machen; für uns bist Du nie so bezaubernd, als wenn wir Dir begegnen in Deiner grauen Haube, in den sich leerenden Straßen und unter den ersterbenden Tönen einer Stadt. Gerne empfinden wir da die Stille, wo zwei Stunden zuvor nichts als Geschrei war. Gerne sehen wir die schmutzigen Wohnsitze des Verkehrs und der Ueppigkeit, diese ruhelosen Patienten am ewigen Erdenfieber, beschämt und überwölbt von einem Himmel voll Reinheit, Ruhe und Frieden. Gerne füllen wir unsern Geist mit Betrachtungen über den Menschen – und wäre es auch nur ein Semmel-Mann; lieber als mit leblosen Gegenständen – Hügeln und Strömen – Dingen, über die man wohl träumen, aber nicht nachdenken kann. Der Mensch ist der Gegenstand einer weit höheren Betrachtung, weit glänzenderer Hoffnungen und weit reinerer und erhabnerer Gefühle, als alle Fluthen und Wasserfälle in der weiten Welt; und dieß, o holder Abend, ist Ein Grund warum wir es lieber sehen, daß die ernsten und zarten Gedanken, die Du in uns hervorrufst, an die Geschäfte und Spuren der Thätigkeit unsers Geschlechts als an Schaafe, Fledermäuse, Melancholie und Eulen sich anknüpfen. Aber, o hochgepriesener Abend, ob du uns auf dem Land oder in der Stadt entzückest: du weckst immer in uns die Neigung, Liebe zu fühlen und einzuflößen; du bist der Urheber von mehr Ehen und Ehscheidungen, als irgend eine andre Zeit in den vierundzwanzig Stunden des Tags. Augen, die sonst nur gewöhnliche Augen für uns waren, werden, von deinem zauberhaften, wunderbaren Schatten berührt, vergeistigt und predigen uns den Himmel. Sanftmuth thront auf den Zügen, die, so lang die Sonne schien, uns streng erschienen; ein schmelzender Liebesglanz ruht auf dem Antlitz, das wir bei Tag wohl fünf Faden tief in ein Meer des Waschwassers der Mrs. Gowland getaucht hätten – und der Mund, ach! – – – Und welche Gefahren erst, du bescheidner Heuchler! und welches Paradies bringst Du denjenigen, welche schon lieben und innig lieben?

Schweigend und den Athem niederhaltend, der die Brust beider rasch und krampfhaft hob, saßen Lucie und Clifford bei einander, die Straßen waren ganz verlassen und die Einsamkeit, wenn sie hinuntersahen, machte daß sie um so inniger nicht blos die Bewegungen empfanden, welche ihre Seelen schwellten, sondern auch die unaussprechliche, elektrisch wirkende Sympathie, welche sie verband, indem sie zugleich sie von der übrigen Welt abtrennte. Die ringsum herrschende Ruhe wurde durch einen fernen Ton kunstloser Musik unterbrochen, und als diese näher kam, wurden zwei, nicht eben poetische Gestalten, sichtbar; die eine war ein blinder armer Mann, welcher seiner Flöte Töne entlockte, bei welchen die melancholische Schönheit der Melodie einigermaßen die unbedeutende Mangelhaftigkeit in der Ausführung vergütete. Ein Weib, viel jünger als der Musikant, deren Gesicht einige Schönheit verrieth, begleitete ihn und hielt, nachdenklich an den Fenstern der schweigenden Straße hinausblickend, einen abgegriffnen Hut in der Hand. Wir sagten zwei Gestalten – wir begiengen das Unrecht, eine dritte zu vergessen; ein zwar rauher und einfacher Freund, aber welchen zu lieben doch der Barde und die Frau viele und triftige Beweggründe hatten. Dies war ein kleiner, rauher Dachshund, mit schwarzen, durchdringenden Augen, die lebhaft und klug unter den buschigen Zotten die sie bedeckten, nach allen Seiten umherschauten, langsam schritt das Thier vorwärts, sanft an dem Stricke ziehend, an dem es festgehalten wurde und seinen Herrn leitete. Einmal wurde seine Treue in Versuchung geführt; ein andrer Hund lud ihn zum Spiel ein, der arme Dachs sah sich ängstlich und zweifelhaft um, stieß dann ein leises ablehnendes Geheul aus und verfolgte

»Geräuschlos seine stille Bahn.«

Der kleine Zug blieb unter dem Fenster stehen, wo Lucie und Clifford saßen; denn das lebhafte Auge der Frau hatte sie wahrgenommen, sie legte ihre Hand auf den Arm des Blinden und flüsterte mit ihm. Er verstand ihren Wink und vertauschte seine Melodie mit der eines zärtlichen Lieds. Das Stück war zu Ende, ein neues folgte, von derselben Gattung ein drittes – das Thema blieb sich immer gleich – nun warf Clifford ein Goldstück auf die Straße, der Hund wedelte mit seinem gestutzten, verkümmerten Schweif, sprang vor, raffte es mit dem Maul auf und das Weib tätschelte, mit zärtlicher Miene, den dienstfertigen Freund, sogar noch ehe sie dem Geber dankte; dann schob sie das Geld mit einem oder zwei Worten der Freude dem Blinden in die Tasche und die drei Wanderer setzten langsam ihren Gang fort. Gleich darauf kamen sie an eine Stelle, wo die Straße ausgebessert worden war und die Steine zerstreut umherlagen. Hier vertraute das Weib nicht mehr der Leitung des Hundes, sondern eilte besorgt zu dem Musikanten und leitete ihn mit augenscheinlicher Zärtlichkeit und ängstlicher Wachsamkeit über den unebenen Weg. Als sie die Gefahr überstanden hatten, hielt der Mann an, und ehe er die Hand, welche ihn geführt hatte, entließ, drückte er sie dankbar und dann bückten sich beide, der Mann und das Weib herab und liebkosten dem Hund. Diese kleine Scene, eine der kunstlosen Darstellungen von der Liebenswürdigkeit menschlicher Zärtlichkeit, deren so manche auf den Heerstraßen der Welt zerstreut sich finden, hatten beide Liebende unwillkührlich beobachtet; und als sie nun beide das Auge davon abwandten, da blieben diese Augen auf einander haften; Luciens ihre schwammen in Thränen.

»Um den Preis, geliebt und geleitet zu werden von dem Einen Wesen das ich liebe,« sagte Clifford mit leiser Stimme, »wollte ich blind und baarfuß über die weite Erde wandern.«

Lucie seufzte ganz leise, legte ihre zarten Hände in einander gefaltet aufs Knie, sah gedankenvoll darauf nieder und antwortete nicht. Clifford rückte seinen Stuhl näher und sah sie an, wie sie so da saß; die langen, schwarzen Wimpern senkten sich über die Augen und contrastirten mit den elfenbeinweißen Liedern; ihr zartes Profil war halb von ihm abgekehrt und empfieng eine noch rührendere Schönheit von dem sanften Licht, das darauf ruhte, und ihr voller, aber noch kaum aufgekeimter Busen schwoll von Gedanken, die sie nicht zergliederte, deren unbestimmtes Wonnegefühl sie sich zu empfinden begnügte; er sah sie an und seine Lippen zitterten – er strebte zu sprechen, strebte nur die Worte vorzubringen, welche das enthalten, was ganze Bücher auszudrücken versuchten und doch nur geschwächt und entstellt aussprachen; die Worte, ich liebe? Wie er der Sehnsucht seines Herzens widerstand, wissen wir nicht zu sagen – aber er widerstand – und Lucie nahm nach einer Pause der Verwirrung und Verlegenheit eine der Poesieen von dem Tisch auf und befragte ihn über einiges in der Stelle aus einer alten Ballade, auf die er sie einmal aufmerksam gemacht hatte. Die Stelle bezog sich auf einen Grenzhäuptling, Einen der alten Armstrongs, der von den Engländern gefangen und zum Tode verurtheilt, seinen letzten Gefühlen in einem leidenschaftlichen Abschied von seiner Heimath, seinem rauhen Thurm und seiner neuvermählten Gattin den Lauf ließ. »Glauben Sie,« sagte Lucie, als das Gespräch in Gang kam, »daß ein so gesetzloser auf Blut und Raub erpichter Mensch, wie dieser Räuber geschildert wird, so sanfter, zärtlichen Empfindungen fähig wird.«

»Ich glaube es,« sagte Clifford, »weil er sich nicht bewußt war der Verbrecher zu seyn, wofür Sie ihn halten. Wenn ein Mensch den Gedanken unterhält, daß seine Handlungen nicht schlimm seyen, so kann er in seinem Herzen alle bessern und edlern Empfindungen so gut bewahren, als ob er nie sich vergangen hätte. Der Wilde mordet seinen Feind, und wenn er nach Haus zurückkehrt, ist er seinem Freund nicht minder ergeben oder nicht weniger zärtlich für seine Kinder besorgt. Daß die milden Gesinnungen verhärtet und erstickt werden, dazu gehört nicht bloß, daß man des Verbrechens sich schuldig macht, sondern auch daß man die Schuld fühlt. O, viele welche die Welt mit ihrem Fluche beladet, sind zu Handlungen fähig – ja, haben Handlungen ausgeführt, die man an Andern verehren und anbeten würde. Will man wissen, ob das Herz eines Mannes der Macht der Liebe zugänglich ist, so frage man, nicht was er seinen Feinden, sondern was er seinen Freunden sey? Und Verbrechen,« fuhr Clifford rasch und heftig sprechend fort, während seine Augen flammten und die dunkle Röthe ihm in die Wangen stieg, »Verbrechen – was ist Verbrechen? die Menschen tragen ihre elendesten Vorurtheile, ihre schlimmsten Leidenschaften in ein bunt zusammengesetztes, widerspruchsvolles Gesetzbuch zusammen und was diesem zuwiderläuft, das stempeln sie zum Verbrechen. Wenn sie keinen Unterschied machen in der Bestrafung, das heißt also in der Schätzung – die dem Mord und eben so dem geringfügigen Diebstahl, zu dem der Hunger den schwachen Willen trieb, zuerkannt wird, so brauchen wir nichts weiter um uns zu überzeugen, daß sie das wahre Wesen der Schuld verkennen und daß sie den Mangel der Weisheit mit wilder Grausamkeit ersetzen.«

Lucie blickte beunruhigt in die belebte und wilde Miene des Redenden; Clifford faßte sich nach einem augenblicklichen Stillschweigen wieder und erhob sich von seinem Sitz mit dem fröhlichen und unbefangenen Lachen, das zu seinen besondern Eigenthümlichkeiten gehörte. »Es ist sonderbar mit den politischen Gegenständen, Miß Brandon« sagte er, »und wie Sie gewiß schon oft die Beobachtung gemacht haben: daß nemlich die unbedeutendsten den größten Lärmen machen, und daß die Leute, welche ihre ruhige Gemüthsstimmung verlieren, hauptsächlich solche sind, die nichts dafür zu gewinnen haben.«

Als Clifford so redete, wurden die Thüren aufgerissen und einige Besuche der Miß Brandon angemeldet. Der gute Squire war noch in die Wechselfalle seines Spiels vertieft und die Aufgabe die fremden Herrschaften, wie sich die Kammermädchen ausdrücken, zu empfangen und zu unterhalten fiel, wie gewöhnlich, Lucien zu. Zum Glück für sie gehörte Clifford zu den seltenen Menschen, die ein ausgezeichnetes gesellschaftliches Talent besitzen. Sein heitres und gefälliges Wesen, begleitet von Gefühl und Lebhaftigkeit, hatte viel von dem schönen Ideal der Ritterlichkeit, wie man es gewöhnlich nur auf dem Festland findet – von Helden im Gesellschaftssaal wie auf dem Schlachtfeld. Aufmerksam, höflich, witzig und mit mannigfachen Eigenschaften ausgestattet, welche (die seltenste aller Verbindungen!) Lebhaftigkeit mit Anmuth vermählen, war er vorzüglich für die glänzende Welt gemacht, von der seine Verhältnisse ihn ausschließen zu wollen schienen. Unter andern Sternen hätte aus ihm ein – Pfui! wir verlieren uns in einen höchst trivialen Gemeinplatz – was könnte aus jedem Menschen unter andern Sternen werden, als unter denjenigen welche seine Lebensbahn bestimmten? – Bald trat die Musik an die Stelle des Gesprächs und Cliffords Stimme wurde natürlich in Anspruch genommen. Miß Brandon hatte sich eben von dem Klavier erhoben, als er sich setzte um der an ihn gemachten Forderung zu entsprechen, und sie stand unter der übrigen Gruppe neben ihm, während er sang. Nur zweimal stahl sich sein Auge an die Stelle, welche ihr Athem und ihre Gestalt ihm heilig machten, das einemal als er sein Lied anfieng und dann wieder als er endigte. Vielleicht begeisterte ihn die Erinnerung an ihr Gespräch: gewiß schwebte es in diesem Augenblick seiner Seele vor, goß eine dunklere Röthe auf seine Stirne und gab seiner Stimme eine ausdrucksvollere und herzinnigere Weichheit.

Wenn ich scheide, dann forsche du nicht, was ich sey
Für Andre, du Wesen voll Huld!
Dir fern bin ich zwar von Sünden nicht frei:
Doch dir bleibe fremd meine Schuld!

Mein Leben – ein Fluß ist's und spiegelt den Strahl
Der von Oben so gütig drauf fällt;
Er bleibt, sey das Ufer auch finster und kahl,
Vom Licht deiner Liebe erhellt.

Gehn die Wogen hoch, im nächtlichen Wind,
Braust zürnend der Strom und wild:
Auf den Wellen, wenn schon sie gebrochen sind.
Auf allen noch zittert dein Bild!

Während so diese gefährliche Liebe Cliffords und Luciens bei jedem Zusammentreffen und jeder Gelegenheit frische Nahrung fand, lag der unglückliche Mauleverer, fest überzeugt daß seine Krankheit ein Rückfall von der war, die er Warlockes Dispepsia nannte, in fürchterlichem Kriege mit den Ueberresten von Dürrfleisch und Pudding, die, wie er seine Aerzte mit Thränen im Auge versicherte, »in seiner Constitution verderblich lauerten.« Da Mauleverer, obgleich freundlich gegen alle seine Bekannte von welchem Stand sie seyn mochten, – wie die meisten Menschen von anerkannt hohem Rang – nur wenige Freunde besaß, vertraut genug um sein Krankenzimmer zu betreten, und von diesen nicht Einer in Bath war: so kann man sich leicht denken, daß er in gesegneter Unwissenheit über das wachsende Glück seines Nebenbuhlers lebte; und um nichts von der Wahrheit zu verhehlen: die Krankheit, welche die Gedanken des Menschen gar sehr auf sein eignes Ich hinlenke, verscheuchte viele der zärtlichsten Ideen die sonst in seiner Seele sich um das Bild von Lucie Brandon drängten. Seine Pillen trugen es über seine Leidenschaft davon, und er empfand, daß es Schlücke in der Welt giebt – mächtiger in ihren Wirkungen, als die aus den Schalen des Alcidonis. Zwar dachte er oft, wie lieblich es Lucien anstehen müßte, dieß Kissen zurecht zu machen und diese Arznei ihm anzurühren; aber Mauleverer hatte einen vortrefflichen Kammerdiener, der die Rolle zu spielen hoffte welche Gil Blas bei dem ehrlichen Licentiaten durchführte, und während er seinen Herrn pflegte, an einem Vermächtniß für sich selbst zu pflegen. Und der Graf, der ziemlich gut bei Stimmung war, konnte nicht umhin zu gestehen, es wäre kaum möglich daß irgend ein Mensch besser verstände, wie er es gern habe als Smoothson. So störte, während der Krankheit, die Gestalt seiner beabsichtigten Braut die Gemüthsruhe des edeln Anbeters nur wenig. Und erst als er sich wieder im Stande sah, drei gute Mahlzeiten nach einander mit erträglichem Appetit zu verzehren, erinnerte sich Mauleverer wieder, daß er heftig verliebt sey. Sobald diese Idee sich in seinem Gedächtniß wieder ganz befestigt und der Arzt ihm erlaubt hatte, sich eine kleine muntre Gesellschaft zu vergönnen, entschloß sich Mauleverer, eine oder zwei Stunden in den Tanzsaal zu gehen.

Es kann bemerkt werden, daß die meisten vornehmen Herrn irgend einen Lieblingsort haben, ein vorgezogenes Bajä wo sie gerne das Gepränge des Standes ablegen und den Wohlwollenden statt den Glänzenden spielen; und damals war Bath mit seiner Heiterkeit, seiner Behaglichkeit, der Mannigfaltigkeit der Charaktere, die sich in den dortigen Kreisen fanden, und durch die Gefälligkeit, womit solche Charaktere sich dem Spott preisgaben, ein Platz – ganz eigens dazu gemacht, einem Manne, wie Lord Mauleverer zu gefallen, der es liebte, zugleich selbst bewundert zu werden und sich über Andre lustig zu machen. Er war deßhalb in der Stadt Bladud's eine vergötterte Person und als er in den Saal trat, ward er von einem ganzen Strudel Nachahmer und Sykofanten umringt, alle entzückt seine Lordschaft so viel besser und nach eignem Geständniß auf dem Weg der Genesung zu sehen. Sobald der Graf hinlänglich sich verbeugt und gelächelt und Hände gedrückt hatte, um seinen guten Ruf aufrecht zu erhalten, hüpfte er den Tänzern zu, um Lucie aufzusuchen. Er fand sie nicht nur auf der gleichen Stelle, wo er sie zuletzt gesehen, sondern auch gerade mit demselben Tänzer gepaart, der früher die ganze Eifersucht und Wuth des galanten Edelmanns gereizt halte. Mauleverer, obwohl sonst nicht gewohnt, seine Complimente lange vorher auszudenken, hatte doch eben auf eine wundersüße Anrede an Lucie gesonnen; aber sobald die Gestalt ihres Tänzers sein Auge traf, so entschwand die ganze Schmeichelei seinem Gedächtniß. Er fühlte sich selbst erblassen, und als Lucie sich umwandte und ihn, als er sich näherte, mit sanftem und freundlich besorgtem Tone, wie sie ihres Oheims Freund und seiner Wiedergenesung schuldig zu seyn glaubte, begrüßte, verbeugte sich Mauleverer verwirrt und stumm; und die grünaugige Leidenschaft, welche das Gemüth eines wahren Liebenden zerrissen hätte, verwirrte jetzt, die Art ihrer Wuth ein wenig ändernd, nur das Benehmen eines Hofmanns.

In eine dunkle Stelle des Saals zurückgezogen, von wo er Alles sehen konnte, ohne selbst ins Auge zu fallen, beobachtete jetzt Mauleverer unabläßig die Bewegungen und Blicke des jungen Paars. Er war von Natur ein rascher und scharfsichtiger Beobachter und in diesem Falle schärfte noch die Eifersucht seine Talente; er sah genug um sich zu überzeugen, daß Lucie bereits eine Neigung für Clifford hatte, und da diese Ueberzeugung ihn in dem Glauben bestärkte, daß Lucie zu seinem eigenen Glück unumgänglich nothwendig sey, beschloß er keinen Augenblick zu verlieren und sofort den Capitän Clifford aus ihrer Nähe zu verscheuchen, oder wenigstens solche Untersuchungen über Verwandtschaft, Rang und Achtbarkeit dieses Herrn anzustellen, welche, wie er hoffte, die Verbannung aus ihrer Nähe zur nothwendigen Folge haben würden.

Ganz eingenommen von diesem Plan, näherte sich Mauleverer aus seiner Zurückgezogenheit auf Einmal dem Squire, begann ein Gespräch mit ihm und fragte ihn mit platten Worten: »Mit wem Henkers Miß Brandon tanze?«

Der Squire, ein wenig betreten über diese Derbheit, antwortete mit einer langen Lobrede auf Paul, und Mauleverer, der ihm mit dem holdseligsten Lächeln bis ans Ende zugehört, sagte dem Squire sehr höflich, er sey überzeugt, die Gutmütigkeit Henn Brandons habe ihn getäuscht. »Clifford,« sagte er und wiederholte den Namen, »Clifford! das ist einer von den Namen, welche Leute, die Niemand kennt, sich vorzugsweise beilegen, erstlich, weil der Name gut klingt und zweitens weil er gewöhnlich ist. Meine lange vertraute Freundschaft mit Ihrem Bruder macht mich besonders ängstlich besorgt wegen einer Sache, die sich auf seine Nichte bezieht, und in der That, mein theurer William hat mich, vielleicht meine Weltkenntniß und meinen Einfluß in der Gesellschaft, aber gewiß nicht meine Freundschaft für ihn überschätzend, darum ersucht, mir die Freiheit zu nehmen, mich als einen Freund, ja als einen Verwandten von Ihnen und Miß Brandon anzusehen, so daß ich hoffen darf, Sie werden meine Vorsicht nicht unbescheiden finden.«

Der geschmeichelte Squire versicherte ihn, er finde sich ausnehmend geehrt und sey weit entfernt zu meinen, seine Lordschaft sey – (was bei so ausgezeichneten Männern ganz unmöglich wäre, besonders solchen, wie seine Lordschaft sey) – unbescheiden.

Lord Mauleverer, durch diese Antwort ermuthigt, verfolgte einen arglistigen Plan und erreichte seinen Zweck so weit, daß er zwar den Squire nicht davon überzeugte, der hübsche Capitän sey eine verdächtige Person, aber ihn wenigstens überredete: die gewöhnliche Klugheit verlange, sich genaue Auskunft darüber zu verschaffen, wer der hübsche Capitän sey; um so mehr, als er wöchentlich dreimal bei dem Squire zu speisen und jede Nacht mit Lucie zu tanzen pflege.

»Sehen Sie,« sagte Mauleverer, »er nähert sich Ihnen jezt; ich will mich auf den Stuhl am Kamin zurückziehen und Sie sollen ihn scharf examiniren, ich zweifle nicht, Sie werten es mit der größten Zartheit thun.«

Nach diesen Worten nahm Mauleverer einen Gin ein, wo ihm, etwas taub wie er war, das folgende Gespräch nicht ganz entgieng, obgleich der Ort seiner Lauer ihn dem Auge entzog. Mauleverer galt als ein Mann von der pünktlichsten Ehrenhaftigkeit im Privatleben und hätte sich um Alles in der Welt nicht darüber betreffen lassen mögen, das Gespräch andrer Leute zu belauschen.

Als Clifford sich näherte, räusperte sich der Squire mit einem bedeutenden Gesicht, sezte sich zurecht und begann kunstreich seinen Angriff. »Ah, ha! mein guter Capitän Clifford, wie geht es Ihnen denn? Ich sah Sie – (und ich freue mich immer so sehr, mein Freund, als irgend Jemand, Sie zu sehen,) von der Ferne. Und wo haben Sie meine Tochter gelassen?«

»Miß Brandon tanzt mit Herr Muskwell, Sir!« antwortete Clifford.

»Ah – so! Herr Muskwell, hm – eine gute Familie die Muskwells – kommen von Primrose-Hall. Bitte, Capitän, nicht daß ich es um meinetwillen zu wissen begehrte, denn ich bin ein sonderbarer, guter Kerl, ich glaube und bin vollkommen überzeugt, (einige Leute sind tadelsüchtig, aber andre, Gott sey Dank! sind es nicht,) von Ihrer Achtbarkeit – von welcher Familie stammen Sie ab? Sie werden meine – meine Vorsicht nicht unbescheiden finden?« setzte der schlaue, alte Herr hinzu, diesen Ausdruck, der im Mund des Lord Mauleverer ihm so freundschaftlich vorkam, von diesem entlehnend.

Clifford wechselte einen Augenblick die Farbe, versetzte aber dann mit ruhiger Schelmerei im Blicke:

»Familie, o mein theurer Sir, ich stamme von einer alten, sehr alten Familie in der That.«

»So dachte ich mir's immer; und in welchem Theile der Welt?«

»Schottland, Sir – unsre ganze Familie stammt aus Schottland; das heißt, alle die lang leben; die übrigen sterben jung.« »Ja, gewissen Constitutionen sagt nur eine gewisse Luft zu. Ich, zum Beispiel könnte nicht in jeder Grafschaft leben, nicht – Sie verstehen mich – im Norden.«

»Wenige ehrliche Leute können dort leben,« sagte Clifford trocken.

»Und,« fuhr der Squire fort, durch seine eigenthümliche Aufgabe und die kalte Zuversicht seines jungen Freunds ein wenig in Verlegenheit gesetzt, »und ich bitte, Capitän Clifford, zu welchem Regiment gehören Sie?«

»Regiment? O – zu den Scharfschützen!« antwortete Clifford (»der Teufel plagt mich,« murmelte er vor sich hin, »ich kann keinen Spaß hinauslassen und wenn ich darüber den Hals brechen sollte!«)

»Ein sehr stattliches Corps!« sagte der Squire.

»Ohne Zweifel Sir!« versetzte Clifford.

»Und meinen Sie, Capitän Clifford,« hob der Squire wieder an, »es sey ein gutes Corps um vorwärts zu kommen?«

»Ein ziemlich schlechtes, um davon zu kommen,« murmelte der Capitän und sagte dann laut, »Nun freilich Sir, wir haben wenig Einfluß bei Hof.«

»Oh, dann ist ein desto freierer Spielraum, (wie mein Bruder der Advokat sagt und Niemand versteht das besser,) für das Verdienst. Ich darf glauben, daß Sie schon Manchen sich in die Höhe dienen sahen?«

»Nichts gewöhnlicher als ein solches Emporkommen; und so groß ist die Tugend in unserm Corps, daß ich nicht wenige kannte, welche diese Ehre gern ihren Kameraden gönnten.«

»Was Sie mir da sagen!« rief der Squire aus und riß über solche uneigennützige Großmuth die Augen auf.

»Aber sagte Clifford, der zu fürchten begann, er könnte die Zweideutigkeit zu weit treiben und trotz seinen Spässen doch dafür hielt, es lasse sich wohl eine angenehmere Ader der Unterhaltung anschlagen, »aber Sir, wenn Sie sich noch dessen erinnern, Sie haben das Jagdabenteuer von Ihrer Jugend her noch nicht beendigt, da die Hunde in Burnham Copfe die Spur verloren.«

»Ah, ganz recht,« rief der Squire, seinen jüngsten Verdacht ganz vergessend, und sofort begann er eine Geschichte, die so lang zu werden drohte, als die Jagd, wovon die Rede war. So bezaubert war er nach dem Schluß derselben von dem Charakter des jungen Gentleman der sie mit so viel Wohlgefallen angehört, daß er, als er Mauleverer wieder sprach, dem Grafen mit wichtiger Miene sagte, er habe den jungen Capitän scharf vorgenommen und habe jetzt die vollste Überzeugung von der Trefflichkeit seiner Familie und von der Güte seiner Grundsätze. Mauleverer hörte ihm mit der Miene höflicher Ungläubigkeit zu; er hatte nur wenig von dem Gespräch zwischen den beiden gehört, aber als er den Squire über manche Einzelnheiten, betreffend Cliffords Geburt, Verwandschaft und Vermögen ausfragte, fand er ihn gerade so unwissend wie zuvor. Einsehend jedoch, daß ein weiteres Streiten vergeblich sey, begnügte sich der Höfling damit, den Squire auf die Achseln zu klopfen und mit geheimnisvoller Artigkeit ihm zu sagen: »Ach, Sir! Sie sind zu gut!«

Mit diesen Worten drehte er sich um und suchte, noch nicht aller Hoffnung entsagend, die Tochter auf. Er fand Miß Brandon eben vom Tanz befreit und mit einer Art väterlicher Galanterie bot er ihr den Arm, um sie durch die Säle zu führen. Nach einigen einleitenden Floskeln, und nachdem er, zum tausendsten Male seine Freundschaft für William Brandon gerühmt, redete ihr der Graf von dem »vornehmaussehenden jungen Mann der sich Capitän Clifford nenne.«

Zum Unglück für Mauleverer hatte er, als seine Empfindlichkeit über Cliffords Eindringen unter dem Reden wieder sich erhitzte, etwas zu wenig auf seine Worte Acht, und er ließ in seinem Verdruß ein paar Worte der Warnung fallen, welche das Zartgefühl der Miß Brandon ganz besonders beleidigten.

»Mich hüten zu ermuthigen, mein Lord!« sagte Lucie, mit glühenden Wangen die Worte wiederholend, welche sie so empfindlich gekränkt hatten. »Ich muß Sie in der That bitten – «

»Sie meinen, liebe Miß Brandon,« unterbrach sie Mauleverer, und drückte ihr mit achtungsvoller Zärtlichkeit die Hand, »Sie müssen mich bitten, mich wegen meines unbedachtsamen Ausdrucks zu entschuldigen. Das thu' ich von Herzen. Fühlte ich weniger Theilnahme an Ihrem Glück, glauben Sie mir, so wäre meine Sprache besonnener gewesen.«

Miß Brandon verbeugte sich steif, und mit geheimer Wuth sah der Höfling, wie die ländliche Schönheit nicht einmal durch eine Entschuldigung des Lord Mauleverer sich so leicht zufrieden stellen ließ. »Ich habe Zeiten erlebt,« dachte er, »wo junge, unverheirathete Damen sich eine Grobheit von mir zur Ehre geschätzt hätten. Ueber eine Entschuldigung wären sie in Ohnmacht gefallen!« Eh er Zeit hatte, seinen Frieden zu schließen, trat der Squire zu ihnen, Lucie ergriff den Arm ihres Vaters und drückte den Wunsch aus, nach Haus zu gehen. Der Squire war über den Vorschlag ganz entzückt. Die Höflichkeit würde von Mauleverer verlangt haben, zu den kleinen Diensten, zu welchen der Abgang einer Dame vom Ball Gelegenheit giebt, seinen Beistand anzubieten. Er bedachte sich einen Augenblick. »Es hält Einen so lang in der verwünschten Zugluft auf,« dachte er schaudernd. »Zudem ist es ja auch möglich, daß ich sie nicht heirathe; und es ist nicht rathsam, für Nichts einer Erkältung, zumal bei Anbruch des Winters sich auszusetzen.« Von dieser klugen Berechnung durchdrungen überließ denn Mauleverer Lucien ihrem Vater, flüsterte ihr ins Ohr, – »Ihr Mißfallen mache ihn zum Unglücklichsten unter den Sterblichen,« und schloß seinen Abschied mit einer reuig-anmuthigen Verbeugung.

Ungefähr fünf Minuten nachher ging er auch weg. Als er seinen kostbaren Leib in seinen Zobelpelz wickelte, ehe er sich in seinen Wagen versenkte, hatte er die tödtliche Kränkung zu sehen wie Lucie, durch irgend eine Ursache mit ihrem Vater in der Hausflur aufgehalten, von Clifford in den Wagen gehoben wurde. Hätte der Graf genauer beobachtet, als die ängstliche Sorgfalt die er sich selbst widmete, ihm zuließ, so würde er zu seinem Trost gesehen haben, daß Lucie ihre Hand mit fremder und kalter Miene gab und daß Cliffords ausdrucksvolles, schönes Angesicht eher Kränkung als Triumf verrieth.

Er sah aber nichts weiter als die Dienstleistung selbst, und als er, Fackeln und Läufer voran, und den wachsamen Smoothson zur Seite des kleinen Fuhrwerks, zu Haus angekommen war, murmelte er vor sich hin von seinem Entschluß, mit der nächsten Post an Brandon zu schreiben von dem Aerger über Lucie und seiner Eifersucht gegen den anscheinenden Liebhaber.

Während dieser tapfre Entschluß die große Seele Mauleverers in Bewegung sezte, erreichte Lucie ihr Zimmer, verriegelte die Thüre, warf sich auf ihr Bett und brach in einen langen Strom bittrer Thränen aus. So ungewöhnlich waren diese Gäste ihrem glücklichen und harmlosen Gemüth, daß die Heftigkeit und Hartnäckigkeit, womit sie jetzt floßen, beinah etwas Beunruhigendes hatte.

»Wie!« sagte sie mit Bitterkeit, »habe ich meine Neigung einem Mann von unsichrem Charakter zugewendet! und ist meine Bethörung so am Tage liegend, daß ein Bekannter diese Unklugheit rügen darf? Und doch sein Benehmen! sein Ton! Nein, nein! ihn zu lieben kann mir keine Schande bringen!« und bei diesen Worten schnitt ihr die Kälte womit sie Clifford beim Abschiednehmen heute Abend begegnet war, ins Herz. »Bin ich,« dachte sie, und weinte noch heftiger als zuvor, »so weltlich gesinnt, so niedrig, daß ich mich im Augenblick da ich eine Sylbe gegen ihn vorbringen höre, gegen ihn umgestimmt fühlen sollte? Sollte ich, nicht im Gegentheil sein Bild mit um so größrer Liebe umfassen, wenn er von Andern angegriffen wird! Aber mein Vater, mein theurer Vater, und mein gütiger, kluger Oheim – Etwas bin ich ihnen schuldig, und es würde ihnen das Herz brechen, wenn ich Einen liebte, den sie für einen Unwürdigen hielten. Warum sollte ich nicht meinen Muth zusammennehmen und ihm von dem Verdacht sagen den man gegen ihn hegt? Ein aufrichtiges Wort würde ihn zerstreuen. Sicherlich verlangt es die Zärtlichkeit gegen ihn von mir, daß ich ihm Gelegenheit verschaffe, alle falsche und entehrende Vermuthungen niederzuschlagen. Und wozu diese Zurückhaltung, da er so oft, wo nicht durch ein offnes Geständniß, doch durch Blick und Wink mir seine Liebe erklärt hat und weiß, wissen muß, daß er mir nicht gleichgültig ist? Warum spricht er nie von seinen Eltern, Verwandten und seiner Heimath?«

Und unter diesen Fragen zog Lucie aus einem Busen, der an Farbe und Gestalt sich mit dem vergleichen durfte, welcher Cymon zur Weisheit bekehrte,Dryden's Gedicht: Cymon und Ifignenia. einen Schattenriß ihres Geliebten, den sie selbst heimlich entworfen und der, obgleich kunstlos und roh hingeworfen, doch aus der Begeisterung des Andenkens entsprungen war und die Züge und den Ausdruck an sich trug, die unauslöschlich einem Herzen sich eingeprägt hatten, das ein so beflecktes Idol nicht verdiente. Sie blickte das Bild an, als ob es ihre Fragen an das Original beantworten könnte und als sie es anschaute und immer anschaute, stillten sich allmälig ihre Thränen und ihr unschuldvolles Antlitz gewann nach und nach seine gewölkte, beredte Heiterkeit wieder. Nie vielleicht wäre ein glücklicherer Augenblick gewesen, von Lucie selbst ein Bild zu entwerfen. Die unbewußte Anmuth ihrer Stellung, ihre gelüfteten Gewänder, der bescheidne, jugendliche Reitz ihrer Schönheit, die zarte Wange, auf welche die jungfräuliche Blüthe, eine Weile verscheucht, jetzt mit all ihrem Glanz zurückkehrte; die kleine, weiße, zarte Hand, worauf diese Wange sich stützte, während die andre das Bild hielt, an dem ihr Auge sich labte; das halbe Lächeln das jetzt an den vollen, rothen, thauigen Lippen heranzog, im Augenblick verschwand und dann wiederkehrte – alles dieß gab ein Bild von so bezaubernder Anmuth, daß wir zweifeln ob Shakspeare selbst ein irdisches Wesen hätte erdenken können, mehr geeignet, Miranda's oder Viola's Traumgestalt zu verkörpern. Die ruhige, mädchenhafte Zierlichkeit des Gemachs verstärkten den Zauber; und es war etwas Poetisches selbst in dem schneeweißen Glanze des Ruhelagers, in den halb zugezognen Läden, die einen Strahl des silbernen Mondes hereinließen, in der einsamen Lampe, die mit dem reinen Licht des Himmels stritt und ein gemischtes und gemildertes Licht in dem Gemach verbreitete.

Noch betrachtete sie den Schattenriß, als ein leiser Ton von Musik durch die Lüfte unter ihrem Fenster sich hereinstahl und allmälig an Stärke wuchs, bis sich bestimmt und deutlich der Ton einer Guitarre erkennen ließ, welche weit entfernt die stille Mondscheinnacht zu stören, ganz mit ihr im Einklang war. Die Galanterie und romantische Zärtlichkeit früherer Tage war, obwohl zu der Zeit, wo unsre Geschichte spielt, im Abnehmen, doch noch nicht ganz verschwunden und nächtliche Serenaden unter den Fenstern einer gefeierten Schönheit gehörten keineswegs zu den Seltenheiten. Aber Lucie erröthete und erglühte mehr und mehr, als die Musik ihr ins Ohr strömte, als ob sie eine tiefere Saite ihres Herzens träfe, als gewöhnliche Galanterie. Sie erhob sich von ihrer liegenden Stellung auf einen Arm und beugte sich vorwärts, um den Ton mit größerer, unfehlbarerer Sicherheit aufzufassen.

Nach einem Vorspiel von einigen Augenblicken begleitete eine klare und wohllautende Stimme das Instrument und die Worte des Gesangs lauteten wie folgt.

Cliffords Serenade.

O schöne Welt, wo jede Nacht
Mein Geist mit deinem Zwiesprach hält!
Die unnennbare Hoffnung lacht.
Ein Liebesstern, auf jene Welt!

Schlaf'! fremd erschein' ich selbst mir nun
Im Leben, das der Tag empört!
O schlaf'! beseligt mögst du ruhn,
In einer Welt, die mir gehört!

Als die Musik hinstarb, sank Lucie wieder zurück und drückte den Schattenriß, den sie in Händen hatte (mit glühenden Wangen, obgleich sie von Niemand beobachtet wurde,) an ihre Lippen. Und obgleich sie über den Charakter ihres Geliebten keinen Aufschluß erhalten hatte, obwohl sie selbst noch zu keinem bestimmten Entschluß gekommen war, ob sie ihn von den Gerüchten, die seinen Namen verunglimpften, in Kenntniß setzen sollte: dennoch, so tröstlich war ihr der Gedanke an seine zarte Aufmerksamkeit und seine Liebe, daß ehe eine Stunde verflossen war, der Schlummer ihr Auge schloß. Der Schattenriß blieb, wie ein Talisman gegen den Kummer, unter ihrem Kissen und in ihren Träumen flüsterte sie seinen Namen und zärtlich lächelte sie dazu, unkundig der Wahrheit und der Zukunft.


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